Читать книгу Verzehrt - Блейк Пирс - Страница 15
KAPITEL NEUN
ОглавлениеHeute war ihr Name Judy Brubaker.
Sie genoss es, Judy Brubaker zu sein.
Die Menschen mochten Judy Brubaker.
Sie ging schnellen Schrittes um das leere Bett, strich die Laken glatt und schüttelte die Kissen auf. Während sie das tat, lächelte sie der Frau zu, die in dem bequemen Sessel saß.
Judy hatte noch nicht entschieden, ob sie sie töten würde.
Die Zeit läuft dir davon, dachte Judy. Du musst dich entscheiden.
Der Name der Frau war Amanda Somers. Judy hielt sie für eine seltsame, scheue und mausgraue kleine Kreatur. Sie war erst seit gestern in Judys Pflege.
Während sie weiter das Bett machte, fing Judy an zu singen.
Weit weg von zu Haus'
So weit weg von zu Haus'––
Dieses kleine Baby ist weit weg von zu Haus'.
Amanda stimmte mit ihrer leisen, näselnden Stimme ein.
Du sehnst dich danach
Jeden Tag
Zu traurig zu lachen, zu traurig zu spielen.
Judy war ein wenig überrascht. Amanda Somers hatte bisher kein wirkliches Interesse an dem Lied gezeigt.
"Mögen Sie das Lied?", fragte Judy Brubaker.
"Ich denke schon", sagte Amanda. "Es ist traurig, ich nehme an, das passt zu meiner Stimmung."
"Warum sind Sie traurig? Ihre Behandlung ist abgeschlossen und Sie können wieder nach Hause. Die meisten Patienten freuen sich darüber."
Amanda seufzte, sagte aber nichts. Sie faltete ihre Hände. Mit ihren Fingern zusammen, bewegte sie ihre Handflächen voneinander weg. Sie wiederholte die Bewegung einige Male. Es war eine Übung, die Judy ihr beigebracht hatte, um den Heilungsprozess nach ihrer Karpaltunneloperation zu unterstützen.
"Mache ich das richtig?", fragte Amanda.
"Fast", erwiderte Judy, hockte sich neben sie und berührte ihre Hände, um die Bewegung zu korrigieren. "Sie müssen die Finger gestreckt lassen, sodass sie sich nach außen biegen. Denken Sie daran, Ihre Hände sollten aussehen wie eine Spinne, die Liegestütze auf einem Spiegel macht."
Amanda machte es nun korrekt. Sie lächelte und sah recht stolz auf sich selbst aus.
"Ich kann fühlen, wie es hilft", sagte sie. "Danke."
Judy sah Amanda zu, wie sie die Übung wiederholte. Judy hasste die kurze, hässliche Narbe, die sich über den unteren Teil von Amandas rechter Hand zog.
Unnötige Operation, dachte Judy.
Die Ärzte hatten Amandas Vertrauen und Naivität ausgenutzt. Sie war sich sicher, dass eine weniger dramatische Behandlung genauso gut, wenn nicht besser funktioniert hätte. Eine Armschiene vielleicht oder Kortikosteroid Injektionen. Judy hatte schon zu viele Ärzte gesehen, die auf eine Operation bestanden, ob sie notwendig war oder nicht. Es machte sie immer sehr wütend.
Aber heute war Judy nicht nur wütend auf die Ärzte. Sie spürte auch Ungeduld mit ihrer Patientin. Sie war sich nicht sicher, warum.
Es ist nicht leicht, etwas aus ihr herauszubekommen, dachte Judy, als sie sich auf die Bettkante setzte.
Während ihrer Zeit zusammen, hatte Amanda Judy reden lassen.
Natürlich hatte Judy Brubaker auch viele interessante Dinge zu erzählen. Judy ähnelte der jetzt verschwundenen Hallie Stillians nicht sehr, die die Persönlichkeit einer gütigen Tante gehabt hatte.
Judy Brubaker war gleichzeitig schlichter und auffallender und sie trug normalerweise einen Jogginganzug anstatt konventioneller Kleidung. Sie liebte es, Geschichten von ihren Abenteuern zu erzählen – Fallschirmspringen, Drachenfliegen, Tauchen, Bergsteigen und anderes. Sie war per Anhalter durch Europa und weite Teile Asiens gereist.
Natürlich war nichts davon wirklich passiert. Aber es waren wundervolle Geschichten.
Die meisten Leute mochten Judy Brubaker. Leute die Hallie womöglich zu übertrieben freundlich gefunden hätten, mochten Judys direkte Art sehr viel mehr.
Vielleicht passt Amanda nicht zu Judy, dachte sie.
Aus welchem Grund auch immer, Amanda behielt ihre Gedanken für sich. Sie war Mitte Vierzig, aber erzählte nie von ihrer Vergangenheit. Judy wusste immer noch nicht, was Amanda beruflich tat, oder ob sie überhaupt arbeitete. Sie wusste nicht, ob Amanda jemals verheiratet gewesen war – auch wenn die Abwesenheit eines Eheringes darauf hindeutete, dass sie derzeit nicht verheiratet war.
Judy gefiel es nicht, wie die Dinge liefen. Und die Zeit lief ihr davon. Amanda konnte jederzeit aufstehen und gehen. Und Judy versucht immer noch zu entscheiden, ob sie sie vergiften sollte oder nicht.
Ein Grund für diese Unentschlossenheit war reine Vorsicht. Die Dinge hatten sich in den letzten Tagen drastisch verändert. Ihre letzten beiden Morde waren jetzt in den Zeitungen. Es schien, als hätte ein kluger Gerichtsmediziner das Thallium in den Leichen entdeckt. Das war eine beunruhigende Entwicklung.
Sie hatte einen Teebeutel mit einem veränderten Rezept dabei, das ein wenig mehr Arsen und etwas weniger Thallium verwendete. Aber Entdeckung war immer noch ein Risiko. Sie wusste nicht, ob die Tode von Margaret Jewell und Cody Woods zu ihrem Rehabilitationsaufenthalt oder ihren Pflegerinnen zurückverfolgt worden war. Diese Methode des Tötens wurde gefährlicher.
Aber das größte Problem war, dass es sich nicht richtig anfühlte.
Sie hatte keine Verbindung zu Amanda Somers.
Sie hatte nicht das Gefühl, sie zu kennen.
Einen "Toast" zu Amandas Abschied vorzuschlagen, würde gezwungen, vielleicht sogar vulgär wirken.
Allerdings war die Frau noch hier, bewegte ihre Hände und zeigte keine Anzeichen für einen baldigen Abschied.
"Wollen Sie nicht nach Hause?", fragte Judy.
Die Frau seufzte.
"Nun, Sie wissen, dass ich noch andere Probleme habe. Zum Beispiel mit meinem Rücken. Es wird schlimmer, je älter ich werde. Mein Doktor sagt, dass ich eine Operation benötige. Aber ich weiß nicht. Ich denke immer wieder, dass ich vielleicht nur eine richtige Therapie brauche. Und Sie sind eine so gute Therapeutin."
"Danke", sagte Judy. "Aber Sie wissen, dass ich hier nicht Vollzeit arbeite. Ich bin freiberuflich tätig und heute ist hier mein vorerst letzter Tag. Falls sie noch länger bleiben, dann leider nicht in meiner Pflege."
Judy wurde durch Amandas wehmütigen Blick überrascht. Amanda hatte ihr selten direkt in die Augen gesehen so wie jetzt.
"Sie wissen nicht, wie es ist", sagte Amanda.
"Wie was ist?", fragte Judy.
Amanda zuckte ein wenig mit den Schultern, aber schaute weiter in Judys Augen.
"Von Menschen umgeben zu sein, denen man nicht voll vertrauen kann. Leute die sich scheinbar um einen sorgen und vielleicht tun sie das auch, aber dann wieder, vielleicht auch nicht. Vielleicht wollen sie nur was von dir. Ausnutzer. Allesamt. Es gibt viele solcher Leute in meinem Leben. Ich habe keine Familie und ich weiß nicht, wer meine Freunde sind. Ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann und wem nicht."
Mit einem leichten Lächeln fügte Amanda hinzu, "Verstehen Sie, was ich meine?"
Judy war sich nicht sicher. Amanda sprach noch immer in Rätseln.
Hat sie sich in mich verknallt? fragte Judy sich.
Es war nicht unmöglich. Judy war sich bewusst, dass Leute oft dachten, sie wäre lesbisch. Das amüsierte sie jedes Mal, denn sie hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, ob Judy lesbisch war oder nicht.
Aber vielleicht war es das gar nicht.
Vielleicht war Amanda einfach einsam und sie hatte angefangen Judy zu vertrauen, ohne es zu merken.
Eines war jedoch sicher. Amanda war emotional instabil, wahrscheinlich neurotisch, sicherlich depressiv. Sie musste viele verschiedene Medikamente nehmen. Falls Judy einen Blick auf sie werfen konnte, dann wäre sie vielleicht in der Lage einen Cocktail nur für Amanda zu brauen. Das hatte sie schon einmal getan und es hatte seine Vorteile, vor allem in Zeiten wie diesen. Es wäre gut, das Thallium Rezept dieses eine Mal auszulassen.
"Wo wohnen sie?", fragte Judy.
Ein seltsamer Ausdruck huschte über Amandas Gesicht, als versuche sie herauszufinden, was sie Judy erzählen sollte.
"Auf einem Hausboot", sagte Amanda.
"Ein Hausboot? Wirklich?"
Amanda nickte. Judys Interesse war geweckt. Aber warum hatte sie das Gefühl, dass Amanda ihr nicht die Wahrheit sagte – zumindest nicht die ganze Wahrheit?
"Wie interessant", sagte Judy. "Ich habe über die Jahre immer mal wieder in Seattle gelebt und es gibt so viele Hausboote hier in der Gegend, aber ich habe noch nie eines von innen gesehen. Eines der wenigen Abenteuer, die ich noch nicht erleben durfte."
Amandas Lächeln wurde heller, aber sie sagte nichts. Dieses unerklärliche Lächeln fing an Judy nervös zu machen. Wollte Amanda sie auf ihr Hausboot einladen? Hatte sie überhaupt ein Hausboot?
"Machen Sie auch Hausbesuche?", fragte Amanda.
"Manchmal, aber …"
"Aber was?"
"Nun, in Situationen wie dieser, ist es nicht erlaubt. Das Rehabilitationszentrum würde das als Abwerben ansehen. Ich habe eine Vereinbarung unterzeichnet es nicht zu tun."
Amandas Lächeln wurde nun ein wenig schelmisch.
"Nun, was wäre so falsch daran, wenn sie mich einfach besuchen würden? Kommen Sie vorbei. Schauen Sie sich meine Wohnung an. Wir können uns unterhalten. Ein wenig Zeit zusammen verbringen. Schauen, wo es uns hinführt. Und dann, wenn ich mich entscheide Sie anzuheuern … nun, das wäre dann doch etwas anderes, oder nicht? Definitiv kein Abwerben."
Judy lächelte. Sie begann Amandas Klugheit zu schätzen. Was sie vorschlug, würde die Regeln trotzdem biegen, wenn nicht sogar brechen. Aber wer sollte davon wissen? Und es würde Judys Plänen entgegenkommen. Sie würde all die Zeit haben, die sie brauchte.