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KAPITEL FÜNF
ОглавлениеGemäß Mackenzies gewöhnlicher Herangehensweise begannen sie mit dem jüngsten Tatort. Dieser war das Äquivalent zu einem noch warmen Körper und gab mehr Hinweise preis als einer, der bereits erkaltet war. Auf der Fahrt nach Maryland las Mackenzie die Akten laut vor, während Ellington am Steuer saß.
Als sie in Christines Wohnung in Baltimore ankamen, wurden sie von einem Vertreter der örtlichen Polizeidienststelle erwartet. Es handelte sich um einen älteren Herrn, der vermutlich in seinem letzten Dienstjahr war und Fälle wie diesen beaufsichtigte.
„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte er und schüttelte ihnen die Hand mit einer Freude, die ihn schon fast anstößig machte. „Hilfssheriff Wheeler. Ich habe quasi die Aufsicht über den Fall hier.“
„Agenten White und Ellington“, sagte Mackenzie und merkte, dass sie sich immer noch nicht ganz sicher war, wie sie sich selbst vorstellen sollte. Mit Ellington hatte sie darüber noch nicht gesprochen, obwohl ihre Eheurkunde sie offiziell zu Mackenzie Ellington machte.
„Was können Sie uns aus Ihrer Perspektive heraus erzählen?“, fragte Ellington, während sie Christine Lynchs Wohnung betraten.
„Nun, mein Partner und ich haben uns hier mit dem Freund des Opfers getroffen und dann gemeinsam die Wohnung betreten. Sie lag genau hier, auf dem Küchenboden. Ihr Shirt neben ihr, die Augen noch immer geöffnet. Es war offensichtlich, dass sie erwürgt worden war, auch wenn es keine Anzeichen auf einen Kampf gab.“
„In der Tatnacht hat es geschneit“, sagte Ellington. „Gab es im Hausflur keine nassen Schuhabdrücke?“
„Nein. Soweit wir wissen fand ihr Freund sie erst am folgenden Nachmittag. Zwischen ihrem Mord und seinem Besuch können zwischen zehn und sechzehn Stunden vergangen sein.“
„Es war also ein sauberer Tatort?“, fragte Mackenzie.
„Ja. Keine Hinweise, keine Schuhabdrücke. Nichts von Interesse.“
Mackenzie dachte an die Fallakten, genauer an eine recht persönliche Notiz des Gerichtmediziners, die dieser vor nicht mehr als sechs Stunden zur Akte hinzugefügt hatte. Bei der Vorbereitung des Körpers hatten sie Hinweise auf sexuelle Erregung in der Unterwäsche Christines gefunden. Das könnte, natürlich, ein Resultat der Zeit sein, die sie mit ihrem Freund verbracht hatte. Aber wenn sie hier gefunden worden war, ohne Shirt und in ihrer Küche … naja, der Verdacht lag nahe, dass sie sich mit jemandem hier getroffen hatte. Und vielleicht wollten sie nicht warten, bis sie im Schlafzimmer waren.
„Hat die örtliche Polizei nach den Videoaufnahmen gefragt?“, wollte Mackenzie wissen. „Ich habe beim Reinkommen gesehen, dass an der Gebäudeseite mindestens zwei Sicherheitskameras angebracht sind.“
„Wir haben jemanden dran“, sagte Wheeler. „Letzter Stand vor zwei Stunden war, dass sich auf den Bändern nichts Bemerkenswertes befindet. Aber Sie können sich gerne selbst ein Bild machen.“
„Darauf werden wir vielleicht sogar zurückkommen“, sagte Mackenzie, als sie die Küche verließ und den Wohnraum betrat.
Christine war ein sehr ordentlicher Mensch gewesen. Das kleine Bücherregal auf der rechten Seite des Wohnzimmers war sauber gestapelt, die Titel, bei denen es sich hauptsächlich um Biographien und alte, politikwissenschaftliche Texte handelte, alphabetisiert. Auf den zwei Beistelltischen und an der Wand befanden sich einige Bilder. Die meisten zeigten Christine und eine Frau, bei der es sich eindeutig um ihre Mutter handelte.
Schließlich sah sie sich im Schlafzimmer um. Das Bett war gemacht und auch der Rest des Raums genauso aufgeräumt wie das Wohnzimmer. Die Gegenstände, die sich auf Nacht- und Schreibtisch befanden, verrieten nur wenig: Stifte, Kleingeld, ein iPhone-Ladegerät, das Flugblatt eines örtlichen Politikers, ein Glas mit einem Schluck Wasser darin. Es war offensichtlich, dass in der Nacht, in der Christine starb, nichts Physisches in diesem Zimmer vorgefallen war.
Es stellten sich viele Fragen und Mackenzie fand genauso viele möglichen Folgerungen, die sie nun alle in ihrem Kopf sortierte, während sie zurück in die Küche ging.
Sie hat sich nach ihrer Rückkehr mit jemandem hier getroffen. Hatte sie Besuch erwartet oder nicht?
Die Tatsache, dass ihre Leiche innerhalb der Wohnung gefunden worden war und ihr Shirt sich nicht mehr an ihrem Körper befand, lässt vermutlich darauf schließen, dass sie den Mörder hereingebeten hat – unabhängig davon, ob er erwartet oder unerwartet vorbeigekommen war. Hat sie ihn in ihre Wohnung eingeladen, ohne auch nur zu ahnen, dass sie in Gefahr war?
Als sie die Küche betrat, machte sich Ellington, der mit Hilfssheriff Wheeler sprach, gerade Notizen. Sie wechselten einen kurzen Blick und nickten. Es war eines der vielen Beispiele ihres harmonischen, abgestimmten Arbeitens – eine nonverbale Sprache, die sie vor Unterbrechungen und unangenehmen Momenten bewahrte.
„Nun, Hilfssheriff Wheeler, ich denke, wir sind hier fertig“, sagte Ellington. „Besteht die Chance, dass Sie zufällig auch für den Fall der getöteten Jo Haley zuständig sind?“
„Nein. Aber ich weiß genug über den Fall, um zu helfen, wenn es nötig ist.“
„Sehr gut. Wir werden Ihnen Bescheid geben, wenn es dazu kommen sollte.“
Wheeler schien damit zufrieden zu sein und lächelte beiden zu, als sie Christine Lynchs Wohnung verließen. Draußen betrachtete Mackenzie den Bürgersteig, der nur dürftige Hinweise darauf lieferte, dass es geschneit hatte. Sie lächelte dünn, als sie realisierte, dass sie und Ellington vermutlich kurz davor gewesen waren, zu heiraten, als das arme Mädchen gestorben war.
Christine Lynch wird niemals das Privileg haben, zu heiraten, einen Ehemann an ihrer Seite zu spüren. Mackenzie fühlte Trauer für die Frau – eine Trauer, die noch tiefgründiger wurde, als sie realisierte, dass ihr eine weitere Freude des Frauseins verwehrt bleiben würde.
Traurig legte Mackenzie eine Hand auf ihren leicht hervortretenden Bauch, als wolle sie beschützen, was sich darin befand.
***
Nach einem Anruf im Büro fanden Mackenzie und Ellington heraus, dass es sich bei Christines Freund um einen zweiundzwanzigjährigen Mitstudenten des Mädchens handelte. Er arbeitete Teilzeit auf einem Amt für Gesundheitswesen, um erste Erfahrungen in einer Branche zu sammeln, die ihn nach seinem Abschluss möglicherweise erwartete. Er war nicht bei der Arbeit, sondern zuhause und schien den Verlust Christines besonders schwer zu nehmen.
Als sie bei ihm ankamen, putzte Clark Manners gerade seine bereits blitzsaubere Wohnung. Es war offensichtlich, dass er nicht gut geschlafen hatte. Seine Augen waren glasig und er bewegte sich, als schob eine unsichtbare Kraft ihn vor sich her. Dennoch wirkte er enthusiastisch, als er sie in seine Wohnung einlud – eifrig, der ganzen Sache auf den Grund zu gehen.
„Ich bin nicht dumm“, sagte er, als er sich in seinem makellosen Wohnzimmer hinsetzte. „Wer auch immer sie umgebracht hat … wollte sie vergewaltigen, oder? Deshalb war sie oben ohne, nicht wahr?“
Mackenzie hatte sich genau das auch gefragt, doch die Fotos des Tatorts erzählten eine andere Geschichte. Als Christine zu Boden ging, landete sie auf dem Shirt. Das schien einen Hinweis darauf zu geben, dass es ihr widerstandsfrei ausgezogen und dann zu Boden geworfen worden war. Wenn Mackenzie wetten müsste, würde sie daraufsetzen, dass Christine sich dem Oberteil selbst entledigt hatte. Vermutlich für die Person, die sie in ihre Wohnung gelassen und die sie am Ende getötet hatte. Mackenzie war sich bezüglich eines potentiellen Plans des Täters, Christine zu vergewaltigen, nicht sicher. Die Möglichkeit war dagewesen, doch Mackenzie vermutete, dass für ihn die Tötung im Vordergrund gestanden hatte.
Doch der arme Junge musste davon nichts wissen.
„Es ist zu früh für Spekulationen“, sagte Mackenzie. „Es gibt verschiedene Szenarien. Und wir hatten gehofft, dass Sie uns dabei helfen können, herauszufinden, was geschehen ist.“
„Sicher, sicher“, sagte Clark, der offensichtlich ein langes Nickerchen und einen eingeschränkteren Koffeinkonsum nötig hatte. „Ich werde tun, was ich kann.“
„Können Sie Ihre Beziehung zu Christine beschreiben?“, fragte Ellington.
„Wir waren ungefähr sieben Monate zusammen. Sie war meine erste richtige Freundin – die erste Beziehung, die länger hielt als zwei oder drei Monate. Ich habe sie geliebt. Das wusste ich bereits nach wenigen Wochen.“
„Hatte die Beziehung bereits ein körperliches Level erreicht?“, fragte Mackenzie.
Mit verträumtem Blick nickte Clark. „Ja. Das ging ziemlich schnell.“
„In der Nacht ihres Todes“, fuhr Mackenzie fort, „war sie zuerst hier gewesen. Blieb sie oft über Nacht?“
„Ja, ein oder zwei Mal pro Woche. Manchmal war ich auch bei ihr. Erst vor einigen Wochen hat sie mir einen Schlüssel gegeben, damit ich kommen konnte, wann immer ich wollte. So war ich auch in der Lage, ihre Wohnung zu betreten … und sie zu finden.“
„Warum ist sie in jener Nacht nicht hiergeblieben?“, frage Ellington. „Es war spät, als sie nach Hause ging. Gab es Streit zwischen Ihnen beiden?“
„Nein. Gott, wir stritten nur selten. Nein … wir haben alle etwas getrunken und ich hatte viel zu viel. Ich gab ihr einen Gutenachtkuss und ging dann zu Bett, wo ich sofort einschlief. Es ging mir nicht so prickelnd. Sie blieb noch mit meinen Freunden sitzen. Ich war mir sicher, dass sie sich früher oder später zu mir ins Bett legen würde, aber als ich am nächsten Morgen aufwachte, war sie weg.“
„Glauben Sie, dass einer Ihrer Freunde sie womöglich nach Hause gebracht haben könnte?“, fragte Mackenzie.
„Ich habe sie alle gefragt und sie haben es verneint. Selbst wenn sie es ihr angeboten hätten - Christine hätte es abgelehnt. Ich meine, es sind nur drei Häuserblocks und sie liebte das kalte Wetter, liebte es, zu laufen. Sie stammte aus Kalifornien, Schnee war für sie also etwas Magisches, verstehen Sie? Ich erinnere mich sogar, wie aufgeregt sie an dem Abend gewesen war, als sie die Wettervorhersage hörte. Sie machte sogar Witze darüber, im Schnee spazieren zu gehen.“
„Wie viel Freunde waren an dem Abend hier bei Ihnen?“
„Mit Christine waren wir zu sechst. Soweit ich weiß, sind sie alle kurz nach Christine ebenfalls aufgebrochen.“
„Können Sie uns die Namen und Kontaktinformationen geben?“, fragte Ellington.
„Sicher“, sagte er und zog sein Handy heraus, um die Informationen zusammenzusuchen.
„Ist es normal, unter der Woche so viel Besuch zu haben?“, fragte Mackenzie.
„Nein. Wir haben uns quasi für einen letzten gemeinsamen Abend getroffen, bevor die Ferien zu Ende sind. Nächste Woche geht der Unterricht wieder los. Und mit der Arbeit und anstehenden Familienbesuchen war es der einzige Abend, den wir alle freischaufeln konnten.“
„Hatte Christine außerhalb Ihrer Gruppe noch andere Freunde?“
„Nicht viele, sie war ein sehr introvertierter Mensch. Da waren nur ich und zwei meiner Freunde, mit denen sie manchmal abhing, aber das war‘s. Sie stand ihrer Mutter sehr nahe. Ich denke, ihre Mom hatte vor, noch vor Ende des nächsten Semesters herzukommen und hier zu leben.“
„Haben Sie nach dem Vorfall mit ihrer Mutter gesprochen?“
„Ja“, sagte er. „Es war seltsam, weil ich zuvor noch nie mit der Frau geredet habe. Ich habe ihr bei den …“
Er hielt inne und zum ersten Mal bildeten sich Tränen in seinen müden Augen.
„… bei den Beerdigungsvorbereitungen geholfen. Ich glaube, sie soll hier eingeäschert werden. Sie ist gestern Abend hergeflogen und wohnt in einem Hotel in der Umgebung.“
„Ist sie alleine?“, fragte Mackenzie.
„Ich weiß es nicht.“ Er krümmte sich und sah zu Boden. Er war sowohl erschöpft als auch traurig, eine Mischung, die ihn schließlich umhauen würde.
„Wir werden Sie fürs erste alleine lassen“, sagte Mackenzie. „Haben Sie die Hotelinformationen von Mrs. Lynch?“
„Ja“, sagte er und zog langsam wieder sein Handy raus. „Moment.“
Während er nach dem Namen des Hotels suchte, sah Mackenzie Ellington an. Wie immer waren seine Antennen ausgefahren und er sah sich intensiv im Raum um, damit ihm nichts entging. Sie bemerkte auch, dass er mit seinem Ehering spielte, während er sich umsah. Langsam drehte er ihn an seinem Finger herum.
Dann blickte sie wieder zu Clark Manners. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie ihn erneut befragen würde – und das vermutlich bald. Die Tatsache, dass er wie besessen seine Wohnung putzte, nachdem seine Freundin umgebracht worden war, machte aus psychologischer Sicht Sinn. Aber es könnte auch als Versuch gewertet werden, Beweise verschwinden zu lassen.
Doch sie hatte schon zuvor Menschen gesehen, die die Trauer zerbrochen hatte und tief in sich fühlte sie, dass Clark vermutlich unschuldig war. Niemand konnte diese Art von Trauer spielen, ganz zu schweigen von seiner Unfähigkeit zu schlafen. Doch früher oder später würden sie auf jeden Fall mit seinen Freunden sprechen müssen.
Als Clark die Hoteldetails gefunden hatte, gab er Mackenzie sein Handy, damit sie diese notieren konnte. Sie schrieb auch die Namen und Nummern der Freunde ab, die sich am Abend von Christines Tod in Clarks Wohnung aufgehalten hatten. Während sie schrieb, bemerkte sie, dass auch sie mit ihrem Ehering gespielt hatte. Ellington sah es ebenfalls und schenkte ihr, trotz der Situation, ein kurzes Lächeln. Als sie das Handy entgegennahm, hörte sie auf, an dem Ring zu drehen.
***
Margaret Lynch war das genaue Gegenteil von Clark Manners. Sie war kühl und gesammelt und begrüßte Mackenzie und Ellington mit einem Lächeln, als sie sich in der Lobby des Radisson-Hotels trafen, wo sie wohnte. Sie geleitete sie zu einer Couch im hinteren Teil der Lobby, wo sie zum ersten Mal Schwäche zeigte.
„Wenn ich beginne, zu weinen, möchte ich das lieber nicht vor allen anderen tun“, bemerkte sie und verschwand in der Couch. Sie schien sich ziemlich sicher zu sein, dass das passieren würde.
„Ich würde gerne mit der Frage beginnen, wie gut Sie Clark Manners kennen“, sagte Mackenzie.
„Nun, ich habe vor zwei Tagen zum ersten Mal mit ihm gesprochen. Nach dem Vorfall. Aber Christine hatte ihn einige Male am Telefon erwähnt. Ich denke, sie war ziemlich angetan von ihm.“
„Gibt es irgendeinen Verdacht von Ihrer Seite?“
„Nein. Ich kenne den Jungen natürlich nicht, aber basierend auf Christines Erzählungen kann ich mir nicht vorstellen, dass er derjenige war, der es getan hat.“
Mackenzie bemerkte, dass Mrs. Lynch alles ihr Mögliche tat, um Worte wie getötet oder ermordet zu vermeiden. Sie nahm an, dass die Frau in der Lage war, bei Verstand zu bleiben, weil sie es schaffte, sich davon zu distanzieren. Die Tatsache, dass sie beide bereits seit einiger Zeit an verschiedenen Enden des Landes gelebt hatten, machte es vermutlich einfacher.
„Was können Sie mir über Christines Leben hier in Baltimore erzählen?“, fragte Mackenzie.
„Nun, sie begann ihr Studium in San Francisco. Sie wollte Anwältin werden, aber die Schule und der Lernstoff … es passte einfach nicht. Wir redeten lange über ihren Wunsch, sich bei der Queen Nash Universität zu bewerben. Sehr lange. Ihr Vater verstarb, als sie elf Jahre alt war und seitdem waren es nur Christine und ich. Keine Onkel, keine Tanten. Wir waren schon immer eine kleine Familie. Sie hat eine noch lebende Großmutter, doch die leidet an Demenz und lebt in einem Heim in der Nähe von Sacramento. Ich weiß nicht, ob Sie es bereits wissen, aber ich werde sie hier in Baltimore einäschern lassen. Es macht keinen Sinn, sie zurück nach Kalifornien zu bringen, um dort genau dasselbe zu tun. Wir haben dort keine wirklichen Verbindungen. Und ich weiß, dass ihr es hier gefallen hat, also …“
Diese arme Frau wird ganz alleine sein, dachte Mackenzie. Wenn sie Menschen befragte, war sie sich solchen Dingen immer bewusst, aber dieser Gedanke überrollte sie wie ein riesiger Fels.
„Wie auch immer, sie wurde angenommen und wusste bereits nach dem ersten Semester, wie gut es ihr hier gefiel. Sie war immer sehr entschuldigend, machte sich Sorgen um mich, ihre einsame, alte Mutter. Sie blieb in Kontakt und rief zwei Mal die Woche an. Sie redete über ihre Kurse und, wie gesagt, auch über Clark.“
„Was sagte sie über ihn?“, fragte Ellington.
„Dass er süß und sehr lustig war. Sie erwähnte auch von Zeit zu Zeit, dass er etwas langweilig war und dazu neigte, öfters mal zu viel zu trinken.“
„Aber nichts Negatives?“
„Nicht, dass ich mich erinnern kann.“
„Entschuldigen Sie meine Frage“, sagte Mackenzie. „Aber wussten Sie, ob die beide exklusiv waren? Bestand die Möglichkeit, dass Christine sich noch mit jemand anderem traf?“
Mrs. Lynch dachte einen Moment nach. Sie schien an der Frage keinen Anstoß zu nehmen, sondern blieb genauso ruhig, wie sie es bei ihrer Ankunft gewesen war. Mackenzie fragte sich, an welchem Punkt die arme Frau schließlich umknicken würde.
„Sie hat nie erwähnt, dass es in Liebesfragen einen Konkurrenten für Clark hätte geben können“, sagte Mrs. Lynch. „Und ich denke, ich weiß, warum Sie fragen. Mir wurde gesagt, dass die Szene aussah, als ob … nun ja, sie war oben ohne und so. Ich hatte einfach angenommen …“
Sie hielt inne und brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Die folgenden Worte schienen etwas in ihr aufzuwirbeln, doch sie schaffte es, die Gefühle zu verbannen, bevor diese die Kontrolle übernahmen. Als sie weiterredete, war sie noch immer kalt wie Stein.
„Ich hatte einfach angenommen, dass es sich um einen misslungenen Vergewaltigungsversuch handelte. Dass der Mann aus irgendeinem Grund austickte und nicht in der Lage war, es zu Ende zu bringen. Aber ich nehme an, es besteht die Möglichkeit, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben hat. Wenn es so war, dann wusste ich einfach nichts davon.“
Mackenzie nickte. Die Theorie der versuchten Vergewaltigung war auch ihr durch den Kopf gegangen, doch das Shirt auf dem Boden und ihr Kopf, der willkürlich darauf lag, schienen in diesem Zusammenhang keinen Sinn zu machen.
„Mrs. Lynch, wir möchten Sie nicht länger belästigen als absolut notwendig“, sagte Mackenzie. „Wie lange werden Sie in der Stadt bleiben?“
„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht ein oder zwei Tage nach dem Gottesdienst.“ Beim Wort Gottesdienst stockte ihre Stimme ein winziges bisschen.
Ellington überreichte ihr eine seiner Visitenkarten und stand auf. „Wenn Ihnen etwas einfällt oder Sie während der Beerdigung oder dem Gottesdienst etwas Auffälliges hören, geben Sie uns bitte Bescheid.“
„Natürlich. Und vielen Dank, dass Sie sich darum kümmern.“ Mrs. Lynch sah verloren aus, als Mackenzie und Ellington sich verabschiedeten. Natürlich, dachte Mackenzie. Sie ist alleine in einer Stadt, die sie nicht kennt, in die sie gereist ist, um sich um ihre verstorbene Tochter zu kümmern.
Mrs. Lynch brachte sie zur Tür und winkte ihnen zu, während sie zu ihrem Wagen liefen. Zum ersten Mal bemerkte Mackenzie, dass ihre Hormone aufgrund der Schwangerschaft offiziell verrücktspielten. Sie fühlte mit Mrs. Margaret Lynch, wie sie es noch nie zuvorgetan hatte. Die Frau hatte Leben erschaffen, es großgezogen und genährt – und es dann auf brutale Art und Weise verloren. Es musste furchtbar sein. Mackenzie war elend zumute, als sie und Ellington sich in den Verkehr mischten.
Und gleichzeitig spürte Mackenzie eine Entschlossenheit in sich auflodern. Sie hatte schon immer eine Leidenschaft dafür gehabt, die Dinge richtig zu stellen, Mörder und andere Monster zur Rechenschaft zu ziehen. Und es war ihr gleich, ob es die Hormone waren oder nicht, aber sie schwor sich, Christine Lynchs Mörder zu finden. Sie wollte Margaret Lynch unter allem Umständen die Möglichkeit geben, mit dem Geschehenen abzuschließen.