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März
ОглавлениеDiese Liebe, die anfing im März,
ist blutiger Ernst und kein Scherz.
Tag und Nacht gehörst du mir,
und genauso gehöre ich dir.
Herr Bert, er war ein Ritter kühn,
und nahm sich eine junge Dirn,
die schöne Linnea.
Als ich ihn das dritte Mal fragte, sagte er endlich ja. Nicht zu mir direkt. Desirée hat für mich gefragt. Ich blieb im Gang stehen. Draußen war es matschig, aber die Jungs kickten trotzdem mit dem Ball. Da ist Desirée rausgegangen. Ich konnte vom Fenster aus sehen, wie sie auf ihn zuging. Ich habe gesehen, wie er vor ihr weiter herumhüpfte, und ich habe gesehen, wie er nickte. Da habe ich Bescheid gewußt. Schon bevor Desirée zurückgekommen ist, habe ich es gewußt. Hätte sie dann gesagt, daß die Antwort nein sei, wäre ich wohl auf der Stelle tot umgefallen. Das mußte ich also nicht tun. Er hat ja gesagt.
Ich glaube, daß ich noch nie so froh gewesen bin.
Ja, ja, ja – er hat ja gesagt.
Desirée hat niemanden, aber ich glaube, daß sie auch jemanden haben möchte. Einmal ging sie mit Tobias, aber das war eher ein Witz. Er fragte, ob sie mit ihm gehen wollte, das heißt, mich hat er gefragt. Er hat jede gefragt, aber keine hat ja gesagt, also habe ich es auch nicht so ernst genommen. Man nimmt Tobias irgendwie nicht ernst, wenigstens nicht, wenn er mit jemandem gehen will. Er ist sonst ganz okay. Wir sind oft zusammen, aber das liegt daran, daß er sich wie wir Mädchen auch für Pferde interessiert.
„Tobias möchte mit dir gehen“, sagte ich im Vorbeigehen zu Desirée.
Aber sie nahm ihn ernst. Sie nimmt alles ernst. Sie stand lange da und überlegte, und schließlich sagte sie ja. Unter zwei Bedingungen:
1 Es darf nicht lange dauern.
2 Drücken ist nicht erlaubt.
Mit der letzten Bedingung meinte sie Tanzen. Und da vor allem den Tanzkurs. Tobias ist das, was ich einen begeisterten Tänzer nennen würde.
Er tanzt mit allen. Mit allen meine ich alle – auch die Mädchen aus der Vierten. Er kann gut tanzen. Boogie kann er auch, und er traut sich. Er traut sich überhaupt eine ganze Menge. Er drückt sich nicht in der Ecke herum und fürchtet sich.
Aber sich eng an Tobias drücken beim Tanzen möchte man doch nicht. Das wollte Desirée auch nicht.
Eine Woche gingen sie miteinander – und das kann man ja nicht gerade lange nennen. Tobias ist der einzige, mit dem Desirée einverstanden gewesen ist, also ist sie doch kaum mit jemandem gegangen. Und jetzt hatte sie auch niemanden.
Aber ich!
Wir standen im Gang, während der nasse Schnee vor den Fenstern herumwirbelte, und ich umarmte sie.
Wunschschnee, Schneewunsch, unser Schnee
Marsch im März
in Schnee und Matsch ...
Er hatte Ja gesagt.
Er heißt Stefan
S steht für Stolz und Schön.
T steht für Treu und Toll.
E steht für Ewige Liebe.
F steht für Feierlich Fein.
A steht für Alles, was gut ist.
N steht für das, was ich Noch Nicht weiß.
Stefan Forslund heißt er. S.F.
Suomi Finnland (Mamas Vorschlag)
Schwedische Filmindustrie (Papas Vorschlag)
Science Fiction (Desirée)
Schwedische Ferienhäuser (Ulrika)
Schwedische Frischkartoffel (Mathilda)
Meine Vorschläge:
Seltene Freude
Schimmernde Ferne
Süßer Fall (Total mein Fall!)
Aber eigentlich heißt er Stefan Herbert Forslund, aber Herbert gefällt ihm nicht. Den Namen hat er von seinem Großvater, der schon gestorben ist.
Herr Bert, er war ein Ritter kühn,
und nahm sich eine junge Dirn,
die schöne Linnea.
Linnea bin ich.
Linda Linnea Lindström.
Ihr hört, wie das klingt: Li, Li, Li.
Das nennt sich Alliteration, sagt Papa. Das ist nicht ganz ein Reim, aber fast. Jedes Wort fängt mit dem gleichen Laut oder Buchstaben an.
Stefan: Stattlich, stolz ...
So ist er:
Er ist gut in der Schule. In Mathe liegt er immer ganz vorne und in Englisch über dem Durchschnitt.
Er ist 1 Meter neunundfünfzig groß.
Er hat ziemlich helles Haar mit einem oft recht widerspenstigen Pony. Er hat hellblaue Augen. Ernste Augen kann man vielleicht sagen. Und offen, damit meine ich Augen, spiegelblank wie eine Bucht im Sommer.
Er spielt Libero.
Er spielt Flöte.
Er gehört Mir.
Ich bin einssechsundsechzig. Von wegen klein! Mama meint, daß ich bestimmt einsfünfundsiebzig werde. Das hat sie in einer Zeitschrift gelesen. Naja, nicht, daß gerade ich genauso groß werde. Aber in der Zeitschrift stand, daß Mädchen, die mit zwölf um die einssechsundsechzig sind, ungefähr so groß werden, wenn sie erwachsen sind.
„Wenn du ausgewachsen bist“, sagt Mama.
„Mannequin-Größe“, meint Papa.
Zu groß, finde ich. Aber in Umea habe ich einmal eine Frau gesehen, die bestimmt einsneunzig war. Und das ist groß! Aber sie ging aufrecht, trug ihre Größe mit Stolz, sozusagen. Sie sah aus wie afrikanische Frauen im Fernsehen, die Wasserkrüge auf den Köpfen tragen. So stolz hat diese Frau in Umea ausgesehen. Aber ich hoffe doch, daß ich nicht größer als einsfünfundsiebzig werde. Das reicht allemal.
Schon jetzt habe ich Probleme. Alle Jungs in der Klasse sind kleiner, die meisten Mädchen auch. Desirée ist einszweiundsechzig, Ulrika nur einsneunundvierzig.
„Bist du vielleicht groß! Donnerwetter!“ sagte Patrik Bergström zu mir, als er mich beim letzten Schulball aufforderte.
Ich hätte am liebsten die Beine vom Knie ab gekappt, als er das sagte. Ich wünschte, mir wäre etwas Passendes eingefallen wie: „Du bist doch hier der Knirps, oder!“ Aber nichts dergleichen fiel mir ein.
Und weil ich nun mal so groß bin, ziehe ich immer die Schultern ein.
„Lauf doch gerade“, sagt Mama mindestens einmal am Tag.
Ich bin größer als sie.
Stefan ist sieben Zentimeter kleiner als ich. Sieben Zentimeter, das ist soviel wie ein halber Bleistift, ein Lippenstift, ein Salzstreuer oder eine Kinokarte.
Ich bin eine Kinokarte größer als Stefan.
Wachs weiter, wachs weiter! Einsfünfundachtzig sollst du werden. Dann stimmt der Unterschied.
Ein bißchen lasch ist er schon.
Wir gingen miteinander, aber nichts passierte. Doch, wir schauten uns in den Pausen und im Unterricht mal an und lächelten. Er saß schräg hinter mir neben Sofia.
Unsere Lehrerin versetzt uns jeden Monat und bemüht sich, Jungs neben Mädchen zu setzen.
„So ist es mir am ruhigsten“, sagt sie dann.
Neben Stefan habe ich seit dem Herbst in der Vierten nicht mehr gesessen. Damals war er so kindisch und bekloppt, daß ich froh war, als der Monat zu Ende war. Jetzt würde es mein glücklichster Monat sein, wenn ich neben ihm sitzen dürfte. Ein bißchen eifersüchtig war ich auf Sofia, die den Platz neben ihm hatte, aber sie ging ja mit Richard, und deshalb mußte ich mir nicht allzu viele Gedanken machen. Ich glaube, sie hat ihn im Januar gefragt, ob sie miteinander gehen sollten, sie feiern bald ihr Zweimonatiges. Ich glaube, daß Richard genauso ein Laschi ist wie Stefan. Total lasch!
Nichts war los. Ich schickte ihm über Desirée Zettel. Da standen so Sachen drauf wie: Was hattest du in der Englischaufgabe? Was mußt du diese Woche für die Klavierstunde üben? Was machst du am Wochenende?
Eine Antwort bekam ich immer, aber das war es dann auch. Schließlich waren es Desirée und Ulrika, die es anpackten. Sie beschlossen, daß wir uns küssen sollten. Ich und Stefan, Sofia und Richard.
Als Termin wurde der 22. März festgesetzt.
Der Kusstag!
Es war wieder so ein Matschtag. Grau, verhangen, mit schmutzigem Schnee. Ich bin früh aufgewacht. Mama und Papa wollten wissen, was um alles in der Welt ich in dieser Herrgottsfrühe triebe.
„Herzlichen Glückwunsch!“ meinte Papa.
Ich fühlte mich überhaupt nicht munter. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Ich war wohl aufgeregt.
Wir sollten es im Keller tun. Wir in der Mittelstufe sind die einzigen, die im alten Schulhaus geblieben sind. Die Grundschule und die Oberstufe sind in neuen Backsteingebäuden untergebracht, aber wir sind noch in einem alten grautrüben Holzhaus. Im Keller ist das Musikzimmer für die Klavierschüler. Vor dem Musikzimmer sollte es geschehen. In der großen Pause.
Es kam aber an diesem Tag nicht dazu.
Wir hatten nämlich keine Pause.
Wir hatten Besuch von ein paar Typen, die über WAHNsinn redeten, das heißt, Weder Alkohol, Heroin noch Nikotin macht Sinn.
Ich war tatsächlich halb wahnsinnig, denn nach der Stunde ging gleich der Bus.
Er fährt mit dem Schulbus, Stefan. Er wohnt sechs Kilometer außerhalb der Ortschaft, nicht weit von Mathilda.
„Wir verschieben es auf morgen“, sagte Desirée.
Wir hatten ihr und Ulrika versprochen, zuschauen zu dürfen. Sie selbst hatten Sofia und mir versprochen, daß sie es keinem anderen erzählen würden. Sechs waren wir also, die wußten, was ablaufen würde.
Am nächsten Tag sollte es losgehen, am letzten Tag vor den Osterferien, am Gründonnerstag.
Ich zog mich grün an; grüne Hose und ein grünes T-Shirt, und ich war noch aufgeregter als gestern.
Am Vormittag hatten wir Mathe, Sachunterricht und Englisch. Nur in Englisch bin ich einigermaßen gut.
Love was on my mind.
This steht auf meinen Fingern, und wenn ich sie hebe, kann man lesen: This is his. Auf der Rückseite der Finger steht: Name, und in der Handfläche Stefan.
Wir bekamen mittags Hamburger, weil es der letzte Tag vor den Ferien war. Dann hatten wir Musik. Wir machten ein Musikquiz. Nur ich erkannte Den Phantoma.
You are my angel of music.
Und dann endlich der Kussaugenblick.
Richard und Stefan standen mit Desirée und Ulrika schon da, als Sofia und ich kamen.
Ja, dann standen wir alle sechs da und quatschten eine Weile, bis Desirée sagte: „Legt doch endlich los!“
Und das haben wir dann getan.
Wir haben uns zum ersten Mal geküßt, Stefan und ich.
Als ich klein war, habe ich manchmal an Papa gezeigt, wie sie sich im Fernsehen küssen.
Da habe ich den Mund weit aufgerissen und die Augen fest zugemacht.
Papa war entzückt aber auch entsetzt. „So was lernen die Kinder von diesen idiotischen Vorabendserien. Was für ein Bild von den Erwachsenen bekommen sie da nur!“ sagte er immer.
In dem Sommer, als ich neun war, liefen drei solche Serien im Fernsehen. Sallad, Tserc Moclaf und Eitsanyd.
Das heißt, wenn man die Wörter rückwärts liest, das habe ich damals nämlich immer getan. Meistens habe ich versucht, Wörter und Ausdrücke zu finden, die man in beide Richtungen lesen kann, wie Anna und Otto oder Lagerregal.
Aber eigentlich wollte ich doch von Soapoperas erzählen.
„Eitsanyd klingt wie ein Gift“, meinte Papa. Und das stimmt wohl.
„Du darfst nur die sehen, die wie ein russisches Volksmärchen klingen“, sagte Mama.
Das war natürlich Tserc Moclaf. Nur Falcom Crest durfte ich anschauen, und Mama saß dann immer dabei und schaute auch.
Jedenfalls habe ich gelernt, wie sie sich im Fernsehen küssen! Aber Stefan küssen hatte nicht das Geringste mit einer Fernsehserie zu tun.
Er hat mir sein Gesicht entgegengestreckt (er hat tatsächlich die Augen zugemacht), und dann haben wir uns geküßt. Die Nasen sind auch zusammengestoßen. Er hat seinen Mund genau auf meinen gesetzt. Er war etwas naß, aber weich. Ich konnte bis fünf zählen, bevor wir fertig waren. Mein Herz hat schon ein paar extra Schläge geschlagen, und mir wurde ganz trocken im Hals. Aber nun hatten wir es getan.
Dann kam Ostern, und ich würde ihn zehn Tage lang, also mindestens 240 Stunden lang, nicht sehen.
Er hatte aber versprochen zu schreiben.
Er ist mit seinen Eltern in die Berge gefahren, um Ski zu fahren. Sie haben eine Hütte in Borgafjäll.
Und so wurden meine Osterferien:
Die ganzen Feiertage über hatten wir Besuch. Kent und Gunbritt waren da und mit ihnen ihr neugieriger Junge, der neun ist und sich immer danach sehnt, zu uns zu fahren und mich zu treffen. Neun Jahre ist er! Ich bin zwölf! Aber das spannen Mama und Papa nicht, und ich finde es total öde, mit einem Knilch wie Johann zu „spielen“.
Die Feiertage waren jedenfalls total tote Hose.
Dann kamen die Ferien, und da habe ich nur Gewartet.
Auf Briefe, Karten, auf irgendeine Mitteilung habe ich gewartet. Jeden Tag habe ich gehofft, habe am Küchenfenster gesessen und nach dem Briefträger geschaut. Zu uns kommt er erst gegen halb elf, ich aber war immer schon um neun auf und habe gewartet.
„Worauf wartest du denn?“ wollte Papa wissen. Er war auch zu Hause. Er ist oft zu Hause, weil er Künstler ist. Im Keller hat er ein Zimmer mit Farben, einer Staffelei und einer Unmenge Bilder. Die meisten stellen Häuser dar, auch wenn einige davon etwas seltsam aussehen.
„Auf nichts“, antwortete ich.
Dann hat er einen Becher Kaffee auf der Küchenbank getrunken und ist wieder zu seinen Häusern nach unten gegangen.
Aber ich habe gewartet. Und Warten kann etwas Schönes sein. Spannend war es allemal. Ich habe immer gedacht: Heute wird es kommen.
Wenn man aber so denkt: Es wird heute bestimmt auch nicht kommen, dann ist das Warten nicht schön.
Heute kommt es, dachte ich.
„Man muß positiv denken“, sagt Mama immer. Das bedeutet, daß man fest daran glaubt, daß alles irgendwie klappen wird.
Als ich klein war und ganz ängstlich, habe ich Mama manchmal darum gebeten, mich zu „überreden“. Ja, so habe ich es genannt. Am meisten sollte sie mich überreden, daß es mir nicht schlecht ist. Kotzen zu müssen, war für mich das Allerschlimmste (ja, ich mag es auch heute nicht besonders). Sobald ich ein komisches Gefühl im Magen hatte, bin ich zu ihr gegangen und habe sie darum gebeten, mich zu überreden. Es ist ihr immer gelungen.
„Du wirst schon nicht brechen“, sagte sie. „Dein Bauch ist so schön weich, aber vielleicht hast du zuviel Süßigkeiten gegessen. Das bekommt dem Magen nicht. Aber brechen wirst du deshalb nicht. Nie im Leben! Großes Ehrenwort, du wirst nicht brechen.“
Das hieß „überreden“. Nun nennt sie es positiv denken, und das heißt: Nur ruhig Blut! Alles wird gut werden. Es wird schon klappen.
So positiv habe ich jetzt auch gedacht, als ich am Küchentisch saß. Das Wetter war schön, die Sonne schien, und es tropfte von den Dächern.
Wir wohnen in einer Siedlung am Stadtrand. Sie verläuft bergauf, Haus an Haus. Aber es sind nicht die Art Häuser, die Papa malt. Er malt Häuser, an die er sich aus seiner Kindheit in Bromma erinnert, sagt er.
Aber auch wenn das Wetter schön war, hatte ich keine Ruhe, nach draußen zu gehen, bevor die Post gekommen war. So hatte ich nicht gerade viel von der Sonne und vom Langlauf, aber nachmittags wenigstens habe ich über meiner Pferdemappe gesessen.
Es ist eine Sachbuchmappe über Pferde: über Rassen, Krankheiten, die Körperteile und anderes, was gut zu wissen ist.
Erst am Freitag kam ein Brief. Und was für einer! Das war es also, worauf ich eine Woche gewartet hatte:
„Nun ja!
Hier ist es schön sonnig. Wir fahren jeden Tag Slalom. Hier gibt es viele Abfahrten. Ich fahre am meisten auf der Buckelpiste. Abends essen wir, spielen Karten oder schauen fern. Ich habe die Flöte dabei, aber ich habe noch nicht darauf gespielt.
Wir hören voneinander!
Stefan“
Das war alles.
Ich habe das Papier umgedreht, ich habe daran gerochen (ich dachte an Geheimschrift), aber da war nichts mehr.
Das war es, worauf ich gewartet hatte.
Ein Laschi ist er, ein totaler Laschi!