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Die Frau hinter der Tür

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Ich hatte mir vorgenommen, nie darüber zu sprechen, aber was nehmen wir uns nicht alles vor, wenn plötzlich der Boden unter uns wegbricht. Es begann mit einem der üblichen Anrufe nach meiner Sendung, irgendeine Frau, die mir aus ihrem menschenleeren Leben erzählte, jedoch Glück hatte, daß ich im Begriff war, etwas zur Einsamkeit vorzubereiten, ihr also zuhörte mit Moderatorengeduld, ja sogar Fragen stellte und einen Ton anschlug, der mir später, als ich das Band abhörte, geradezu warm vorkam, und endete damit, daß ich zum Töten oder etwas Ähnlichem ausholte.

Zwei Tage nach diesem Anruf klopfte es abends an der Tür meiner Wohnung, mehrmals und sanft. Ich hatte mir gerade Wein eingeschenkt und trank noch einen Schluck, um die Gelassenheit, die ich gern an den Tag lege, zu bewahren, dann stand ich vom Sofa auf; von meinen Bekannten besaß niemand einen Schlüssel zum Eingang, und zu den Nachbarn im Haus bestand kein Kontakt – wer also konnte das sein? Nach kurzer Pause klopfte es erneut. Ich sah durch den Spion, was einen ja von vornherein beunruhigt, und da stand jemand im Dunkeln vor meiner Tür, nur etwas Licht, das von den Lämpchen an den Fahrstühlen kam, im Haar.

Wer ist da? rief ich. Das wissen Sie doch, erwiderte eine Frauenstimme, und ich löschte die Lampen in der Diele, als könnte ich mich damit selbst auslöschen. Was wollen Sie von mir? Ein Kratzen drang durch das Holz, wie von Fingernägeln. Machen Sie auf, ich weiß doch, wie allein Sie sind! Es klang wie ein Befehl, und ich fragte, wer sie ins Haus gelassen habe. Ist das wichtig? drang es durch die Tür; wichtig ist, daß ich jetzt bei Ihnen bin. Oder stört Sie das etwa? Ich nickte vor mich hin und schwieg; auf Zehenspitzen lief ich in den Wohnraum. Nur nicht laut werden, sagte ich mir. Mein Blick ging aus dem Fenster, über die Stadt. Da klingelte es, und ich verfluchte mich leise; die Frau, die mich im Sender angerufen hatte, ließ nicht locker.

Ein paar Momente lang blieb alles ruhig, ruhig bis auf meinen Atem. Dann hörte ich sie reden – es klang, als stünde sie schon in der Diele. Sie sei so lebendig, sagte sie, eine der lebendigsten Frauen überhaupt; ja viele wünschten ihr den Tod, so sprühe sie vor Leben!

Ich wandte den Kopf um – Von mir aus können Sie so lebendig sein, wie Sie wollen, nur gehen Sie jetzt wieder, das ist die falsche Adresse!

Es klingelte erneut, und sie rief mich beim Namen, sagte, ich sei am Ende – am Ende sind Sie, mein Lieber!

Und darauf kehrte ich langsam zur Diele zurück, jedes meiner alten Möbel berührend – ich sammele Einzelstücke, Solides in Kirsche und Ahorn. Dann das dritte Klingeln, zweimal kurz, wie ein verabredetes Zeichen, und meine Menschenkenntnis sagte mir, daß diese Frau auch äußerlich abstoßend wäre; doch etwas, das anders war als mein Ich, ließ mich das Gegenteil glauben. Ich streifte den Garderobenständer, es gab ein helles Geräusch: Wo Stock und Schirme hingehörten, waren meine Golfschläger abgestellt.

Wieder da? fragte sie durch die Tür.

Ich wollte schon ja rufen, aber da fragte sie, warum ich so anders als am Telefon sei, so ungeduldig …

Ich bin nicht ungeduldig, was soll das heißen?

Sie lachte; erst leise, dann laut, lachte mir gleichsam ins Gesicht, als gäbe es keine Tür mehr dazwischen, und ich zwang mich zu einem vernünftigen Ton. Gehen Sie doch bitte, sagte ich.

Da klopfte es mit aller Härte, sechs- oder siebenmal: Hier ist Ihr Publikum. Machen Sie auf!

Ich schwieg und zählte die Sekunden. Eine halbe Minute verging, dann kratzte sie wieder. Wissen Sie, was ich getan habe seit diesem Anruf? Ich bin allein und unbewaffnet durch die Stadt gelaufen. Ich habe schwarze Farbe und Pinsel gestohlen, um meine Wohnung zu streichen. Die Leute kennen mich hier nicht, sonst würden sie mir alles schenken. Wer mich kennt, der liebt mich. Der schenkt mir alles, das ist die Wahrheit!

Ach, tatsächlich? Ich faßte mir an den Kopf und stieß in abfälliger Weise Luft durch die Nase. Was denn? Was denn? rief sie, bin ich verrückt?

Das könnte schon sein.

Nein – das sagen Sie nur, weil die Sprache es zuläßt!

Und wieder klopfte sie mit den Knöcheln und schien sich dann an der Tür förmlich zu wetzen. Sie, ich habe einen Körper, rief sie.

Schön, dann verschwinden Sie mit diesem Körper!

Ein feiner Strahl fiel durch den Spion. Sie hatte Licht gemacht im Flur. Und so zögernd, als müßte ich einen Toten anschauen, brachte ich ein Auge an die Öffnung und sah nichts als ein anderes Auge, groß wie ein Ei. Sie kniff es zusammen. Keine Angst, ich will Sie nicht ansehen. Ich sehe Sie doch jeden Dienstag, zwanzig Uhr fünfzehn. Warum sagen Sie nichts? Auch so traurig, da drüben? Daß der Mensch Liebe braucht, ist beschämend, nicht wahr – wie denken Sie darüber?

Ich legte meine Hände aufeinander, wie vor Beginn jeder Sendung, und trat in die Mitte der Diele. Nehmen Sie Vernunft an, rief ich, gehen Sie nach Hause!

Nach Hause, wo ist das?

Dann gehen Sie eben einfach so.

Und warum sollte ich? Sie fragte das in aller Ruhe, und ich erwiderte, darum. Es sei vollkommen sinnlos: Man könne mich zu gar nichts zwingen. Im übrigen berühre sie mich auch kaum, wollte ich hinzufügen, da läutete das Telefon. Ich eilte zum Schreibtisch. Es war meine Cutterin mit Fragen zu einem Beitrag über Neue Sinnlichkeit und so weiter, wir sprachen über jeden Punkt. Ciao, ciao, sagte sie vor dem Auflegen, und ich sagte bene; das Italienische breitet sich ja jetzt bei uns aus, wer weiß, wohin das noch führt, am Ende kriegen wir die Lire hier oder sie unsere Mark. Leise wie ein Dieb schlich ich zurück in die Garderobe. Es war wieder dunkel im Flur, kein Laut drang herein. Ich machte Licht und griff nach der Klinke. Mit einem Ruck riß ich die Wohnungstür auf. Es war niemand zu sehen, es war alles wie immer. Am Ende des Flurs, wo ein Japaner wohnt, standen Schuhe auf dem Boden. Herr Sato ist also zu Hause, dachte ich noch, bevor ich mich einschloß.

Es folgte ein geglücktes Golfwochenende, Stunden des Vergessens in frischer Luft, bei überschaubarem Ehrgeiz. Ich wurde von allen Seiten gegrüßt, eine Begleiterscheinung meines Berufs, die mich nicht stört, im Gegenteil, ich empfinde dieses Gegrüßtwerden als durchaus natürlich, auch das wird noch zunehmen, denke ich: die kleine Kaste der Prominenten und die nützliche Masse, die ihr Leben vor dem Fernseher zubringt. Der Gedanke, ich sei einzigartig, kam mir übrigens relativ früh, nicht erst als Moderator, er kam mir schon im Kindergarten.

Am Montag traf ich dann meine Mitarbeiter, verläßliche Leute. Wir planten für die übernächste Sendung, ich gab den Rahmen vor, wer sonst; schon dunkelte es, ein Tag wie nichts. Und am Abend stand sie wieder vor meiner Wohnung. Es war kurz nach halb elf, die Nachrichten hatten begonnen, da kam dieses Gefühl in mir auf: nicht mehr allein zu sein. Wie auf Schienen lief ich von Raum zu Raum, bis an die Tür. Ich legte ein Ohr an das Holz, und in diesem Moment sagte sie: Ferngesehen, wie? Vielleicht machen Sie ja heute mal auf. Hier ist die Frau hinter der Tür.

Hinter der Tür bin immer noch ich!

Irrtum, mein Lieber – öffnen Sie.

Ich faltete die Hände im Nacken und gab keine Antwort. Es war, als müßte ich das Leben in seiner schrecklichen Gesamtheit einlassen. Wissen Sie, was ich heute den ganzen Tag über getan habe? fragte sie.

Was schon, rief ich.

Ich habe alles, was ich gerade finden konnte, schwarz gestrichen in meiner Wohnung. Ich bin noch halb betäubt von dem Lack. Aber schön sieht es aus, sehr schön … Ihre Stimme klang plötzlich beschwingt. So reden Menschen, die am Ziel sind, dachte ich. Dann schrillte meine Wohnungsklingel, zweimal kurz, zweimal lang. Menschenskind! schrie ich und sah mich im Garderobenspiegel und knipste das Licht aus. Mein Blick ging auf die Klinke. Ich wartete ab. Endlich holte sie Luft und pfiff ein paar Töne, wie ein Kind, das sich langweilt. Gut, gut, Sie bekämpfen Ihr Mitleid, das verbindet uns. Als ich noch am Meer lebte, besaß ich einen Hund. Ich warf ihn jeden Tag von einem höheren Felsen ins Wasser und versuchte ihn nicht zu bedauern. Schließlich war er mir so gleichgültig, daß ich ihn von einem ganz hohen Felsen herunterwarf. Er sollte ans Ufer schwimmen, aber kroch auf eine Klippe. Du hündischer Hund, brüllte ich, schwimm! Aber er rührte sich nicht. Eine Woche lang blieb er dort sitzen, ich hab ihm meine Reste zugeworfen, jeden Tag ein bißchen weniger. Zwei Schwimmer haben ihn dann ans Ufer geholt. Seitdem war alles aus zwischen mir und dem Hund. Wie lange sitzen Sie schon auf Ihrer Klippe, drei Jahre, fünf Jahre?

Jetzt reicht es mir, rief ich.

Um so besser – dann machen Sie auf!

Und da drohte ich ihr mit Konsequenzen, bis hin zur geschlossenen Anstalt, und ein wildes In-die-Hände-Klatschen hob an. Es klang wie Ohrfeigen, ich rannte zum Schreibtisch. Meine Hand griff den Hörer und legte ihn gleich wieder auf, ich lief in die Küche, das Klatschen ging weiter. Endlich was los! schallte es durch die Tür, als ich mit meinem Wein in die Diele zurückkam. Wissen Sie, daß ich neulich lauter Möbel in den Rhein geworfen habe, nur damit endlich was los war? Meine ganzen alten Sachen, plumps. Auch dieses Schwarzstreichen geschah nur, um nicht zu versteinern. Ich habe alles schwarz gestrichen, sogar das Bad, sogar die Klorolle!

Vielleicht sollten Sie sich selbst noch anstreichen!

Ich versuchte es jetzt mit Humor, aber sie hielt dagegen: Sie sei doch sowieso schon unsichtbar. Niemand erkennt mich in diesem Land, rief sie. Ist das nicht komisch? Woanders lieben mich alle. Die Dänen lieben mich. Die Türken lieben mich. Die Inder lieben mich, all diese vielen Inder. Die ganze Welt.

Ich liebe Sie nicht.

Sie schwieg, und ich lenkte ein: Nehmen Sie’s nicht persönlich … Ich trank einen Schluck, ich hörte sie flüstern. Eines Tages, drang es zu mir, werden Sie mich liebgehabt haben, was meinen Sie dazu? Ihre Nägel schleiften über die Tür. Ich stellte den Wein auf den Boden und berührte die Klinke. Geben Sie doch einfach auf, sagte ich und wollte noch etwas Nettes hinzufügen, da unterbrach mich ein Getrommel, sechs, sieben wütende Schläge, dann nur noch Atmen. Wie alt sie sei, fragte ich leise, und im Flur ging das Licht an. Warum fragen Sie mich nicht gleich, wie ich aussehe?

Wie sehen Sie aus?

Keine Frau hat solche Augen wie ich. Sie sind groß und golden. Ich wünschte, ich hätte nur Augen. Oder nur Augen und Wangen. Niemand erträgt meinen Anblick.

Und da zog ich die Tür auf und sah eine schmale Gestalt, die ihre Hände vors Gesicht schlug. Bin gar nicht da, sagte sie. In einem Singsang kam das, und ich bat sie zu gehen. Ich hätte ein Recht auf Privatleben, ob sie das nicht nachvollziehen könnte …

Es gibt doch gar nichts, was ich nachvollziehen möchte, fiel sie mir leise ins Wort, gleichzeitig wurde es dunkel; ich wollte die Tür wieder schließen, aber schon hatte sie etwas dazwischen. Wir waren beide nie der Liebling eines Menschen, man sieht doch in Ihrer Sendung, wie Sie das ständig vertuschen, hörte ich sie.

Die Tür loslassen, rief ich und überlegte, ob ich nach ihr treten sollte. Nur ein einziger Satz noch, kam ihre Stimme von unten, ein Satz noch aus dem Publikum.

Ich trat zurück, ich stieß den Wein um. Also reden Sie jetzt. Und dann hauen Sie ab! Von der Küche her fiel ein Streifen Licht in den Flur. Ich sah ein dunkles Bündel; sie schien auf dem Abtreter zu knien. Also reden Sie jetzt, flüsterte sie von unten, das klingt ja wie: Sprechen Sie nach dem Ton Ihre Nachricht.

Ich sah, wie sie die Finger spreizte, ein Spinne vor meiner Tür, eine Spinne, die sprechen konnte. Wie Sie beben vor Wut, sagte sie, ich spüre es bis hierher – tut mir in der Seele weh. Leider gibt’s für Schmerzen keine Beweise. Seit ich denken kann, befinde ich mich in Beweisnot. Und wie geht es Ihnen?

Mir geht’s gut. Warum verbergen Sie Ihr Gesicht?

Welches Gesicht? Kann ich jetzt endlich herein? Sie erhob sich, und ich warf mich gegen die Tür, krachend fiel sie ins Schloß; es klingelte dreimal. Da schrie ich das schlimmste Wort für eine Frau, das ich kenne. Die Stille danach war wie die Stille während eines Tonausfalls. Dann kam ihr Applaus, dazwischen hörte ich Schritte. Es wurde hell im Flur. Ich bückte mich nach dem Weinglas und trank die letzten Tropfen. Nie hatte ich diesen Ausdruck benützt, außer im Spaß. Die Tür des Japaners ging auf und zu, ich schaute durch den Spion. Irgend etwas war anders als sonst. Der Flur wirkte kahl. Kurz bevor das Licht wieder ausging, merkte ich es: Vor der Tür von Herrn Sato fehlten die Schuhe. Ich drehte den Schlüssel herum und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Der Fernseher lief noch. Die Nationalhymne wurde gespielt; so endete dieser Montag.

Das übliche Hin und Her vor meiner Sendung am Dienstagabend war für mich wie eine Droge, die den Verstand und die Sinne allein auf jene fünfundvierzig Minuten ab zwanzig Uhr fünfzehn lenkte und alles andere – Kleinkrieg mit Kollegen, Krankheit oder Urlaubsplanung und also auch die Frau hinter der Tür – vergessen ließ. Ich war die Konzentration selbst an dem Tag und war doch wie betäubt. Die Stunden verflogen. Ebenso verflogen die fünfundvierzig Minuten. Alles lief ohne Fehler, als sei ich kein Mensch. Nach der Sendung noch ein Bier mit der Technik; gegen elf Uhr war ich zu Hause. Erst in der Wanne kam ich zur Besinnung. Ich hatte etwas über neue Formen der Geselligkeit gemacht, und die Gedanken und Gesten, die dazu notwendig waren, lösten sich nun von mir wie der Schmutz dieses Tages. Ich wusch meinen Körper und dachte an nichts und erschrak um so mehr, als es klopfte. Keine Eile, rief sie, erst abtrocknen!, und ich boxte gegen die Kacheln.

Nur in ein Handtuch gehüllt, ging ich mit tropfendem Haar in die Diele. Ihre Nägel schlugen jetzt einen Rhythmus an die Tür, der mir wie ein Zeichen zwischen Liebenden vorkam. Was wollen Sie? brauste ich auf. Lassen Sie sich sonstwo helfen! Sie wiederholte den Rhythmus und setzte einen Schlußakkord. Ich sah Sie vorhin bei mir und dachte: Ich komm mal vorbei. Oder haben Sie keinen Angenehmen Abend noch gewünscht? Angenehmen Abend noch, haben sie doch deutlich gesagt und hätten dabei fast gezwinkert; schon fertig gebadet? Ich habe ihr Wasser gehört. Und was heißt helfen? Ich hasse alle Helfer. Ich suche doch Leute wie Sie, ohne Mitleid. Wir zwei Unmenschen in Ihrer Wohnung, wie wär’s? Sie lachte hell auf, und ich fror und wollte meinen Hausmantel holen. Wohin gehen Sie? schallte es durch den Flur. Sie gehen doch auch nicht mitten in der Sendung weg! Ich löste das nasse Handtuch von meinem Körper und machte einen Knoten hinein, Sekunden vergingen. Dann seufzte sie plötzlich, und ich schlug den Knoten gegen die Tür. Wieder vergingen Sekunden, bis sie den Atem einzog und sich leise bedankte und mir riet, etwas anzuziehen, um mich nicht zu erkälten. Da schlug ich erneut zu, um sie zum Schweigen zu bringen, und sie sagte, He, und rieb an der Tür und machte Pschscht. Wir gehören ja beide zu der Sorte, die sich zu Hause selber umarmen. Gar nicht so einfach, stimmt’s? Die Arme reichen nicht aus. Man steht wie abgebrochen da. Alles bekannt. Und ein Haustier hilft einem auch nicht. Selbst wenn man es liebt. Ich habe meinen Hund über alles geliebt, bevor ich gemerkt habe, wie hündisch er war. Warum sagen Sie nichts? Immer noch nackt?

Hauen Sie endlich ab.

He, das ist doch nicht Ihre Sprache! Sie sperren sich hier ein – das spricht für sich. Ich laufe wenigstens noch frei herum. Heute vormittag war ich im Theater und habe die ganzen Theaterplakate gekauft und dann zu Hause zerrissen. Ich hasse diese schönen Plakate. Nachts lauf ich durch die Stadt und zerkratze sie mit einem Messer. Medea, Nora, Käthchen, ritsch, ratsch. Niemand ist lebendiger als ich, keine Frau.

Ich ließ das Handtuch fallen und faßte mir an den Kopf. Dann rief ich, Hau ab!, und fügte hinzu, dies sei jetzt die letzte Warnung: Wenn sie nicht auf der Stelle verschwinden würde, geschähe ein Unglück!

Ein Unglück kommt selten allein, rief sie zurück, und ich hörte ein Geräusch, das wie das Hinstellen eines Eimers klang. Es wurde hell im Flur, ich legte ein Ohr an die Tür; alles war still. Sind Sie noch da? fragte ich. Nur keine Angst, war ihre Antwort. Da schaute ich durch den Spion, aber sah nichts als den Flur. Wahrscheinlich kniete sie wieder am Boden; vor der Tür von Herrn Sato standen auch in dieser Nacht keine Schuhe. Die Stille hielt an, und ich sagte: Sie haben mich also gesehen heut – wie fanden Sie’s denn? Ein Auf und Ab, als wischte sie über die Tür, drang an mein Ohr. Wie ich die Sendung fand? Bis auf Ihr Beinahezwinkern war nichts los. Die normale Verachtung. Aber es gibt so Tage … Manchmal bin ich schon froh, wenn ein Wind die Blätter bewegt. Warum haben Sie nicht richtig gezwinkert? Oder gleich gespuckt?

Ich legte meine Wange an die Tür und schloß die Augen. Müdigkeit überkam mich, wie ein plötzliches Fieber. Hören Sie, versuchte ich es noch einmal in vernünftigem Ton, ich muß langsam Schluß machen.

Langsam Schluß machen, wie geht das denn?

Die Frage hatte ich mir nie gestellt; ich schwieg und löste mich von der Tür, ich trat vor den Spiegel. Das Licht reichte aus, um meine Jammergestalt zu erkennen. Und schon ist man sprachlos, fuhr sie fort. Vielleicht sehen Sie sich mal in das werte Gesicht; langsam Schluß machen: daß ich nicht lache!

Ich hob den Blick – wie ein Kind, das weinen will, schob ich die Unterlippe vor. Dann kam ihr Lachen, und ich schrie, Verschwinden Sie! und schlug mit den Fäusten gegen die Tür. Es wurde dunkel im Flur. Ich hörte meinen Atem und dieses immer gleichmäßiger werdende Wischen und wieder ein Pschscht. Und da beschwor ich sie zu gehen, ja, flehte darum, und sie gab ihrer Verwunderung Ausdruck, mit einem Tzt-Tzt-Tzt-Tzt-Tzt, ehe sie vor sich hinmurmelte, wie man sich nur so erniedrigen und nur noch Mensch sein könne? Sie habe sich hier den angenehmen Abend versprochen, den ich allen Leuten gewünscht hätte, aber statt dessen … Ich sah förmlich, wie sie den Kopf schüttelte, während mir das Wischen nun vorkam, als zöge sie eine Linie. Was tun Sie da bitte? fragte ich ruhig. Ich streiche Ihre Tür schwarz, sagte sie; sie sagte es in aller Selbstverständlichkeit, und ich dachte im ersten Moment: Wer wird nun meine Sendung kriegen? Dann rief ich: Warum?

Warum? Damit mal etwas passiert; ich hasse die Zeit wie den Tod. Wissen Sie, woran ich glaube? Nur an den Schlaf. Dort liegt das Glück. Sie armer Wacher.

Ich griff mir an den Mund und machte einen Schritt auf den Garderobenständer zu. Ihre Stimme klang jetzt, als hätte ich Wachs in den Ohren. Ziemlich groß, Ihre Tür, sagte sie. Aber ich schaff’s schon. Es wird wunderbar aussehen. Wo ich doch so viel Zeit an dieser Tür verbringe, muß sie auch schön sein. Es gibt ja keine schönere Farbe als schwarz; alles muß schön sein in meiner Umgebung. Es muß zu mir passen. So wie Sie.

Ich passe nicht zu Ihnen!

Wenn ich hier fertig bin, schon.

Im Ton eines Liebesversprechens sagte sie das, und ich streckte einen Arm und griff nach dem Golfzeug; sie redete weiter und weiter, wie es mir schien. Ich tastete, bis ich den bleigefüllten Treiber hatte und drehte mich um. Es war nach wie vor dunkel im Flur, aber sie strich noch immer die Tür. Da war dieses Pinselgeräusch – als striche sie mir meinen Rücken. Was habe ich Ihnen getan? sagte ich wohl als nächstes, ich habe doch nur zugehört am Telefon, ich war freundlich zu Ihnen …

Von der anderen Seite keine Antwort, und ich packte die Klinke. Es roch jetzt nach Lack, bis in die Diele. Aber vielleicht, sagte ich, wollen Sie es allen erzählen, was Sie mir erzählt haben – bitte, ich lade Sie ein. Sie erhalten Gelegenheit, sich in der Sendung zu äußern. Ich habe vier Millionen Zuschauer, im Durchschnitt.

Und da glaubte ich sie lachen zu hören und den Farbeimer ausleeren und riß meine Tür auf, nackt wie ich war, und schlug mit dem Treiber ins Dunkle und traf etwas und holte aus und schlug wieder und wieder, ohne ein Wort, bis das Licht plötzlich anging und Herr Sato im Flur stand und sich ganz knapp verbeugte, ehe er in die Wohnung zurücktrat. Ich aber schaute mich um und sah ein Loch in der Wand und den Putz auf dem Boden und sah meine Tür, die immer noch braun war, bis auf ein großes schwarzes Kreuz, von dem noch in Bahnen der Lack herablief; und der Schläger in meiner Faust, der war ruiniert, ich habe mir das nie verziehen.

Ferne Frauen

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