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Der fragende Mann
Ein Anfang und ein paar Zugeständnisse
ОглавлениеWie sieht’s aus, Männer? Kann’s losgehen?
Oder dauert es noch, bis er beginnt, unser Aufbruch, von dem so oft die Rede ist? Weil unsere Mails noch nicht gecheckt sind, der Trainingsplan noch nicht absolviert und der Mähroboter noch nicht programmiert ist?
Klischee-Alarm im vierten Satz? Mag sein, aber: Zum einen lässt sich das mit den Klischees nicht immer vermeiden. Und zum anderen geht es nun mal nicht so schnell, diese neuen Männer zu werden, nach denen schon so lange gerufen wird – und zwar nicht nur von Frauen. Zumal es ja wirklich so sein könnte, dass sich der Aufbruch noch verzögert, weil wir tatsächlich in der gern heraufbeschworenen Krise der Männlichkeit stecken. Wir Männer, denen das alles zu viel ist. Und irgendwie auch zu schnell geht. Teilzeit, Elternzeit, Zeit für das Wesentliche? Wozu eigentlich, und: Wie soll das bitte gehen?
Andererseits: Die Zeichen der Zeit stehen auf Aufbruch. Noch nie hatten Männer so viele Möglichkeiten und Chancen, ihr Leben zu gestalten, noch nie war die Auswahl der Lebensentwürfe und Rollenbilder so groß wie gegenwärtig. Man könnte sagen: Es ist die beste Zeit, ein Mann zu sein. Also, was soll das Gerede von der Krise der Männlichkeit und vom Spagat, der den modernen Mann zu zerreißen droht? Das Leben ist nun mal kein Kindergeburtstag – und wer schon ein Piratenfest mit Schatzsuche vorbereitet und dann auch durchgezogen hat, der wird zustimmen, wenn ich jetzt sage: zum Glück. Also, wo ist das Problem, Mann? Und wer sagt überhaupt, dass es eines gibt?
Nicht erst #MeToo hat gezeigt, dass der Mann tatsächlich Probleme hat. Aber #MeToo war keine Krise der Männlichkeit, sondern eher ein Beleg dafür, dass mit den Männern, die mit ihrem Verhalten über Jahrzehnte Frauen erniedrigt haben, etwas nicht stimmt. Und auch mit den Strukturen, in denen sie sich bewegen, die sie zum Teil mit aufgebaut haben und die sie ungern aufbrechen wollten. Nicht nur im Showbiz. Und nicht nur, weil Wandel auch mit dem Verlust von Macht einhergeht, sondern weil Veränderung immer Mühe bereitet.
#MeToo hat in diesem Sinne also keine Krise der Männlichkeit ausgelöst, sondern eine Krise im Selbstverständnis von Männlichkeit. Und das war auch höchste Zeit. Denn wie jede Krise birgt auch die öffentliche Ächtung solcher Vorfälle die Chance, männliches Verhalten zu hinterfragen – und zu ändern.
Nicht jeder Mann ist ein Täter, aber jeder Mann konnte, nein, musste sich nach Bekanntwerden dieser Übergriffe fragen: Warum sind manche Männer so? Und was ist mein Anteil daran? Als Mann dieser Zeit?
Denn wenn wir anfangen, über strukturelle Probleme nachzudenken und inwieweit wir zu diesen beitragen, landen wir zwangsläufig bei uns selbst. Und bei Fragen wie: Bin ich glücklich, so, wie ich lebe? Oder bin ich in einem Leben gefangen, das ich so eigentlich nicht leben wollte? Und falls ja, warum ist das so? Ist das meine eigene Schuld? Habe ich zu lange einfach weitergemacht, obwohl ich doch schon früh zu zweifeln begonnen habe? Wann habe ich mich korrumpieren lassen? Wann habe ich kapituliert? War ich zu bequem? Oder gar zu ängstlich? Wann hätte ich sagen sollen: Schatz, ohne mich? Oder: Chef, ohne mich? Oder auch: Jungs, ohne mich?
Nicht mitzumachen kann unbequem sein, wohingegen Nicht-machen-Müssen meist sehr komfortabel ist. Da kann es schon mal vorkommen, dass wir nicht länger über die angenehme Leichtigkeit des Seins nachdenken, sondern sie halt einfach annehmen. Mag sein, dass es in meiner Generation – ich bin jetzt Anfang vierzig – nur wenige Männer gibt, die von ihren Frauen Hose und Hemd für den Tag rausgelegt bekommen. Aber es gibt immer noch einige, die ihre Hemden nicht selbst bügeln oder ihre Kinder nicht ins Bett bringen, obwohl sie schon Feierabend haben, zu Hause sind und Zeit dazu hätten. Manche von ihnen sagen dann gern: »Mit kleinen Kindern, das ist nicht so meins, das kann meine Frau besser. Außerdem – ich mache es ihr ja eh nicht recht.« Dieses »es der Frau eh nicht recht machen können« nennt sich in bestimmten Männerkreisen »Mutterchauvinismus« – und der ist, anders als sein männliches Pendant, das inzwischen eher gequält belächelt wird, offenbar ziemlich einschüchternd … Was dann zur Folge haben kann, dass der eingeschüchterte Mann sich sagt: »Bevor wir schon wieder diskutieren, soll sie sich mal lieber kümmern.«
Und er? Er wässert in der Zeit den Rasen. Ist auch wichtig. Win-win kann so einfach sein. Manchmal ist Win-win aber zu einfach, und vor allem: Manchmal ist das, was für den Mann Win-win ist, für die Frau ja wohl eher ein Win-lose.
Aber da müssen wir jetzt noch nicht drüber reden. Wir haben ja gerade erst angefangen, uns zu unterhalten. Und wir wollen hier auf den ersten Seiten nicht gleich schlechte Stimmung verbreiten, oder? Da draußen werden schon genügend Geschlechterscharmützel ausgetragen.
Hier drinnen jetzt also: Männerkram.
Und die Frage: Was will der Mann? Was soll er? Was ist er? Und natürlich auch: Was will und was kann er nicht? Und warum eigentlich nicht?
Das waren jetzt schon fünf Fragen zum Mann. Und es werden noch etliche folgen. Nicht alle werden in diesem Buch beantwortet. Aber es geht ja auch nicht nur darum, Antworten zu finden, sondern Fragen zu stellen, aus denen sich dann wieder neue Fragen ergeben können.
Fragen wie: Was will dieses Buch?
Inmitten all des Papiers sitzend, das ich über Monate zusammengetragen hatte, wurde mir nicht nur einmal schwindelig, wenn diese Frage auftauchte; wenn mir bewusst wurde, was schon alles über den Mann geschrieben worden ist. Eigentlich, dachte ich dann, ist doch schon alles gesagt. Alle Bezüge sind längst hergestellt. Bis heute hallt es durch die hohlen Gassen der Zeit, dass unser Land neue Männer braucht. Und beständig wird mit Bedauern oder Bestürzung wiederholt, dass Männer gewalttätiger sind als Frauen, zu viel Alkohol in sich reinschütten und sowieso nicht gut mit ihrem Körper, ihrem Geist, mit sich umgehen. »Ich war gestern beim Arzt, und der hat gesagt, wenn ich so weitermache, lebe ich vielleicht noch drei Jahre.« Das hat kürzlich ein guter Bekannter erzählt, Anfang fünfzig, geschieden, Lebemensch und Workaholic. Er wird so weitermachen. Er ist einer dieser Männer, die immer einfach weitermachen, obwohl sie wissen, dass nicht gut ist, was sie tun. Es scheint viele von diesen Männern zu geben. Männer sterben nicht nur früher, Männer nehmen sich dreimal häufiger das Leben als Frauen, unter Teenagern sind es sogar bis zu zehnmal mehr.
Und was tun wir? Offenbar nicht genug, denn diese Zahlen sind seit Jahren beunruhigend – und verändern sich kaum zum Besseren. Auch die Debatten verändern sich nicht wirklich. Immer wieder werden die Unterschiede der Geschlechter betont, immer wieder wird das Gemeinsame mit der Frau beschworen und sich dann wahlweise mit Schlichtungsversuchen, Quoten und genderdiversen Diskursen angenähert; es wird gespalten und geeint, gefragt und gebeten, appelliert und demonstriert. Und immer sind welche dabei, die das nicht wollen. Immer macht irgendjemand was kaputt, weil er – oder manchmal auch sie – Angst hat, etwas zu verlieren. Verlust will vermieden werden, ganz egal, ob es sich bei dem, was man aufgeben soll oder zu verlieren droht, um Reichtum, Macht, Bewunderung oder andere Annehmlichkeiten handelt. Oder eben um die Illusion, dass man selbst nichts für sein Unglück kann.
Dieses Buch und der nicht zu leugnende gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte haben eines gemeinsam: Der Impuls kam vonseiten der Frau. Was dieses Buch betrifft von zwei Frauen, um genau zu sein. Die Verlegerinnen des Münchner Verlags, in dem dieses Buch nun erschienen ist, wussten: Sie wollen sich einmischen in die Diskussion um den sogenannten neuen Mann. Und als sie während eines Termins auf der Buchmesse 2018 von diesem Vorhaben erzählten, merkte ich: Das würde mich auch interessieren. Ich schickte ihnen also ein paar meiner Texte über den Mann und die Welt mit der Anmerkung, dass diese ja vielleicht in die Anthologie passen könnten. Sie wollten keine Textsammlung. Sie fragten, ob ich nicht einfach alles schreiben wolle.
Wollte ich.
Und jetzt sitze ich hier und schreibe. Manchmal stehe ich. Ist angenehmer für den Rücken. Aber einfach? Von wegen. Doch ich schreibe.
Und frage mich: Gibt es sie überhaupt, diese neue Männlichkeit? Was zeichnet sie aus? Heißt neu lediglich, dass das Alte ausgetauscht wird? Wie viel steckt in mir von jenem Typ Mann, den wir so nicht mehr haben wollen? Wo hänge auch ich an alten Rollenbildern und in alten Mustern fest, obwohl ich mich doch immer für so modern und frei und fortschrittlich gehalten habe? Was trage ich dazu bei, dass sich nicht wirklich was verändert? Und: Ist das wirklich so? Dass sich nichts verändert?
»In der Tat wird die Veränderung der Männer dadurch immens erschwert, daß keine gesellschaftlichen Vorbilder angeboten werden, an denen der Mann sich positiv abarbeiten könnte, das heißt, sich auseinandersetzen, sich formen, sich orientieren, um den eigenen und vielleicht neuen Weg zu finden.« Wie am »Daß« zu erkennen ist, hat der Soziologe und Männerforscher Walter Hollstein diesen Satz vor der Rechtschreibreform niedergeschrieben, und zwar 1999. Was das Thema Vorbilder angeht, ist dieser Satz gewissermaßen zeitlos. Aber immerhin: Die Diskussion über Fragen wie »Was ist der Mann, und was soll er sein?« läuft. Und das seit dreißig, vierzig Jahren! Und sie wird überwiegend ernsthafter und ausgewogener geführt als noch vor zehn Jahren. Hervorzuheben ist hier etwa »Die Zeit«, die schon 2016 mit ihrer Serie »Der neue Mann« einen Blick hinter die Fassaden der Männlichkeit wagte: Psychotherapie für Männer? Wie wichtig ist es, einen guten Freund zu haben, mit dem ein tiefes, ehrliches Gespräch möglich ist? Fragen wie diese wurden ohne den oftmals bedauernden Unterton oder den häufig auf die Defizite des Mannes gerichteten Blick behandelt.
Und auch wenn selbst jenen Männern, die sich als progressiv oder sogar feministisch bezeichnen, die Adern am Hals anschwellen, wenn sie den Namen Margarete Stokowski hören: Nicht alle feministischen Texte der letzten Jahre wettern eindimensional gegen den vermeintlich modernen Mann, der sich nur als Hipster verkleidet hat, aber in seinem tiefsten Inneren auf die Robustheit des Patriarchats vertraut und die alten Muster auf Kosten der Frau einfach weiterlebt. So muss man etwa bei der Britin Laurie Penny nicht zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, dass auch sie, die die abgefuckten, aufmüpfigen Mädels feiert, dass es nur so kracht, den Mann nicht pauschal zum dunklen Herrscher macht.
Sie schreibt: »Fast die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch hat das Patriarchat Männer und Jungen ebenso unterdrückt wie Frauen.« Und Penny ist nicht die Einzige, die erkannt hat: Alle leiden unter diesem System; die einen mehr, die anderen weniger, aber alle leiden. Und wenn wir, so Penny, diesen Teufelskreis durchbrechen und »mehr kollektive Menschlichkeit erreichen wollen, müssen wir lernen, einander zuallererst als Menschen zu sehen«. Von wegen Jungs gegen Mädchen. Beziehungsweise: Mädchen gegen Jungs!
Und wenn nun also ein weiteres Mal von der Krise der Männlichkeit die Rede ist, dann muss doch auch die Frage gestellt werden: welche Männlichkeit? Und was soll das überhaupt sein? Und bewegen wir uns heute, im Jahr 2019, nicht schon jenseits solcher Kategorien? Zumindest in unserer, der sogenannten westlichen, modernen Welt? Und was ist mit der virtuellen Welt, die sich parallel zur sogenannten Realität entwickelt, sie immer mehr durchdringt und in vielen Lebensbereichen sogar auf besorgniserregende Weise beeinflusst? Und damit offenbart, was jene, die sich seit Jahrzehnten mit dem Mann als soziales und damit Gesellschaft prägendes Wesen befassen, immer wieder betonen: Dass es keine Männlichkeit an sich gibt, sondern viele Männlichkeiten, viele Ebenen des Mann-Seins. Und auch viele Ebenen des Nicht-Mann-sein-Wollens.
In diesem Buch wird es also nicht nur darum gehen, zusammenzutragen, was Männlichkeitsforscher und -forscherinnen bis heute über den Mann herausgefunden haben. Ich will versuchen, die Lücken und Brüche aufzuspüren, die ein Leben als Mann und mit dem Mann auch heute noch hat, ja, haben muss. Weil es eben nicht so funktioniert, dass wir heute Abend erkennen, was wir bisher falsch gemacht haben – und es von morgen an anders machen. Denn genauso wenig, wie sich ein Mensch über Nacht grundlegend verändern kann, wird sich eine Gesellschaft innerhalb weniger Jahre neu organisieren lassen, selbst wenn offensichtlich ist, dass es so nicht weitergehen kann. Die französische Philosophin Élisabeth Badinter schrieb schon Mitte der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts den Sturz des Patriarchats herbei. Dreißig Jahre später wurden dann von Margarete Stokowski die letzten Tage des Patriarchats angezählt. Und, wie sieht’s aus?
Eben.
Wir können also davon ausgehen, dass dieser letzter Tage Abend noch lange nicht angebrochen ist. Veränderungen brauchen Zeit. Das gilt für den Aufbruch des neuen Mannes genauso wie für den Sturz des Patriarchen.
Aber es sollte nicht zu viel Zeit vergehen, bis sich wirklich was tut. Wir sollten nicht auf den nächsten Skandal im Showbusiness oder die nächste Beratung im Kabinett warten, in der Hoffnung, dass danach nun aber wirklich alles anders wird. Aufbrüche werden gern aufgeschoben. Denn immer haben einige von denen, die gesagt haben, sie sind dabei, ihren Kram noch nicht gepackt, wenn es eigentlich losgehen soll. Und Umstürze haben nicht zwingend zur Folge, dass die fortschrittlichen Kräfte auch wirklich in dem Maße Einfluss bekommen, das nötig wäre, um den Wandel wirklich in Gang zu setzen. Oder am Laufen zu halten.
Dass es trotz der vielen Aufbruchsrufe offenbar doch nicht so richtig vorangeht mit dem Mann und dem Projekt einer gleichberechtigten Gesellschaft, ist natürlich beklagenswert. Trotzdem soll dieses Buch keine Klageschrift sein. Denn – auch wenn es viele kluge Beiträge gibt – es wird schon genug genörgelt da draußen. Und nicht erst, seit wir nahezu jeden noch so banalen Einwurf in den öffentlichen Plausch über den Mann und seine angebliche Diskriminierung in der Werbung kommentieren oder mit unserer ganz persönlichen Story verlinken, ist unser Zeitgeist so gesättigt mit Empörung, da muss ich nicht noch weitere Quengeleien in den Diskurs einspeisen.
Ich werde also nicht quengeln. Und ich bin auch nicht wütend. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Und auch wenn ich froh bin, dass das Leben aus mir keinen wütenden Menschen gemacht hat, so gibt es doch Momente, in denen ich mir wünschte, ich wäre wütender. Wenigstens ein bisschen. Nicht nur, weil in unserer Welt tagtäglich Dinge passieren, die einen wütend machen müssen, sondern auch, weil Wut eine jener Kräfte ist, die Veränderung in Gang setzen können – in einem selbst und in der Welt. Wenn wir schauen, wo unsere Wut herkommt und wo sie hinsoll, dann kann sie uns dazu bringen, über uns hinauszuwachsen, andere mitzureißen – und zwar nicht in den Abgrund, sondern in die Bewegung nach vorn.
Und obwohl also etwas mehr Wut guttäte, ist dies dennoch kein wütendes Buch über die gegenwärtige Welt mitsamt ihren Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten, die von Männern gleichermaßen erzeugt und erlitten werden. Es ist aber auch keine ausgeruhte Erkundung der Befindlichkeiten des modernen Mannes, der natürlich von alten Machtstrukturen profitiert, auch wenn er sie nicht alle gutheißt, mitunter sogar unter ihnen leidet. Etwa weil ihn diese Strukturen dazu bringen, Dinge gegen seine Überzeugung oder gar gegen seinen Willen zu tun oder zu lassen – und er tief in seinem Inneren spürt, dass das auf Dauer nicht gut sein kann.
Es schimmert schon durch, nicht wahr? Ich bin mehr so der verständnisvolle, nach Harmonie strebende Typ. Selbst wenn ich wollte, ich könnte gar kein wütendes Buch schreiben über den Mann und seine Fehler, seine Ignoranz und seine alles unterdrückende Männlichkeit, ein Buch, so rotzig und kraftvoll wie Laurie Pennys »Unsagbare Dinge« oder Margarete Stokowskis »Die letzten Tage des Patriarchats«. So was hat ja eine ganz andere Energie, wie der gegenüber spirituellen Dingen aufgeschlossene Mann heute sagt.
Aber: Ich bin nun mal nicht wütend, jedenfalls nicht so. Vielleicht weil ich keine Angst habe vor Veränderung? Vielleicht auch, weil ich keine Angst habe, meine Macht zu teilen, von der ich als Mann ja mehr habe als die Frau (auch wenn ich nicht weiß, wo sich dieses Mehr gerade versteckt)? Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es nicht nur wütend macht, sich mit dem Mann auseinanderzusetzen? Denn die Welt ist ja nicht nur voller Hartmut Mehdorns, denen im Jahr 2015, also acht Jahre nach Einführung des Elterngelds, zum Thema »Väter in Elternzeit« nichts Rückwärtsgewandteres einfällt als die Bemerkung, dass sich ein Mann, der Karriere machen will, nicht wundern darf, wenn er sich nach drei Monaten Elternzeit wieder hinten anstellen muss!
Und außerdem: Nicht alle Männer sind Schweine. Jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem »Die Ärzte« diese Zeilen mit dem bräsigen Augenzwinkern der ausverkauften Punkerseele in die Mikros geträllert haben. Manche Männer haben einfach nur schlechten Stil. Oder geschmacklosen Humor, der mitunter als Provokation daherkommt – so wie bei den Jungs aus der Oberstufe, die damals auf der Heckscheibe von Papas Roadster den Schriftzug »Eure Armut kotzt mich an« spazieren fuhren, abends mit ihren neureichen Kumpels auf der Wohnlandschaft ihrer Edel-WG fläzten und ihren Freundinnen dabei zusahen, wie sie ihnen die Bude aufräumten. Dass die Mädels dafür Zehnerkarten fürs Solarium spendiert bekommen haben, ist auch eines dieser Szenarien, die zwischen Win-win und Chauvinismus changieren, je nachdem, durch welche Brille wir schauen. Aber ich will nicht gleich zu Anfang den Fehler begehen, solchen Typen, die inzwischen ja vielleicht zu wirklich netten, mittelalten weißen Männern herangewachsen sind, zu viel Platz einzuräumen – sie nehmen ohnehin schon genug öffentlichen Raum ein und verzerren in gewisser Hinsicht unseren Blick auf die Männer.
Denn nicht alle Männer sind Polterer. Überall gibt es Männer, die ihre ganz persönlichen Teufelskreise aus Sucht, Gewalt, Selbstzweifeln und dem beständigen Drang, sich wem auch immer beweisen zu müssen, nicht durchbrechen können – und nicht selten daran zerbrechen. Die Welt ist nicht nur voller Männer, die Kriege führen, Mitarbeiter schikanieren, sich nach Fußballspielen prügeln oder sich an Kindern vergehen. Männer sind nicht nur Täter. Überall gibt es Männer, die versuchen, ihre Kriegstraumata zu verarbeiten; Männer, die sich selbst ausbeuten, um den Erwartungen ihrer Vorgesetzten zu genügen. In jedem Stadion gibt es Fans, die friedlich ihre Vereinsfahnen schwenken, und überall versuchen Männer, die Fehler ihrer Väter nicht zu wiederholen. Und überall gelingt ihnen das mal schlecht, mal recht. Und manche von ihnen werden Täter, weil sie selbst Opfer waren. Oder sich als Opfer fühlen.
Wir müssen gar nicht so weit in die Geschichte zurückblicken, um zu erkennen: Männergeschichten sind nur selten Heldenstorys, in denen es um Erfolg und Erfüllung, um Macht und Maseratis geht. Viel zu häufig sind es beklemmende Geschichten, Geschichten vom Scheitern und Schönreden, von Ohnmacht und Orientierungslosigkeit. Geschichten, die manchmal so traurig sind, dass man vor Wut heulen möchte. Und manchmal könnte man heulen, weil Männer in Foren und auch so manche »Männer«-Autoren immer noch und immer wieder darauf rumreiten, dass der Mann ja nur so schlecht und sozial inkompetent ist, weil er von Frauen dazu gemacht wird. Ganz zu schweigen von Kinderserien wie »Wickie und die starken Männer«, die nach Ansicht manch besorgter Männlichkeitsexperten die Herren der Schöpfung bloß als tumbe Haudraufs durchs Leben stolpern lassen, während die Frauen immer genau wissen, was zu tun ist. »Was bitte ist das für ein Männerbild, das kleinen Jungs da gezeichnet wird?«, fragte etwa der Autor und Männercoach Bjørn Thorsten Leimbach während seines Vortrags auf der letzten Mann-Sein-Konferenz in Berlin. Dass das nicht so einfach ist, wie es sich anhört, darüber wird zu reden sein!
Was ebenfalls nicht im Rauschen untergehen darf: Gewalt und Missbrauch gehen – ob nun im Kleinen oder im Großen – noch immer vor allem vom Mann aus. Mehr als 90 Prozent aller Morde werden von Männern begangen, in mehr als 80 Prozent aller Verbrechen sind Männer die Täter. Das lässt sich evolutiv (Männchen sind aggressiver, weil sie ihr Revier verteidigen müssen) oder auch küchensoziologisch (Männer geraten leichter auf die schiefe Bahn) herleiten, entschuldigen lassen sich die Taten weder durch das eine noch durch das andere. Deshalb müssen diese Taten geächtet werden. Aber über all die Anstrengungen, immer neue Gewalt und immer wieder begangenen Missbrauch zu verhindern, darf nicht vergessen werden, ihren Ursprung zu erkunden. Denn nur wenn wir wissen, worin das Zerstörerische wurzelt, können wir den Traumatisierten helfen und künftige Generationen vor dem alten, sich immer wiederholenden Leid bewahren. Frauen und Männer, Mädchen und Jungen.
Denn auch wenn manche Aspekte der Diskussionen um Gleichberechtigung, den Mann im Wandel und wie wir künftig zusammenleben wollen, durchaus komisch, manchmal absurd und bisweilen grotesk sind – das Thema bleibt ein ernstes.
Von daher will ich mich eher als nachdenkliche, leise zweifelnde Stimme an diesem Gespräch über die Mannsbilder beteiligen. In dieser Tonlage ist auch die Gefahr nicht so groß, sich plötzlich in den Reihen der Mansplainer, Herrklärer und Mannologen wiederzufinden. Ich liebe diese Titel – aber tragen möchte ich sie nicht!
Dementsprechend lesen sich einige Passagen dieses Buches wie Berichte oder Reportagen von meinen Streifzügen durch die Männerwelten, andere eher wie Monologe. Wie Grübeleien eines Suchenden, der mal in längeren, mal in kürzeren Kapiteln den Mann und dessen Lebens- und Gedankenwelten umkreist.
Und da wir uns gerade schon im Kreis drehen: Was ist denn jetzt mit dem Mann? Befindet er sich im Aufbruch? Oder steckt er in der Krise? Weil er nach #MeToo nun gar nicht mehr weiß, was er noch darf, der Arme? Weil mal wieder alles drunter und drüber geht? Die Frauen machen Druck, die Gesellschaft fordert Wandel, die Kinder brauchen einen Vater. Und dann hat er ja noch nicht seine Kumpels getroffen. Und noch nichts gearbeitet.
Es ist ja nicht so, dass der Mann nichts tut. Für sich. Für sein inneres Kind. Und auch die leiblichen oder zur neuen Liebe dazugekommenen Kinder. Er macht Segeltörns zu sich selbst, er baut sich einen Bogen und macht Kurse, die »Fasten und Bonding« oder »Finde deinen inneren Krieger« heißen. Er bucht Vater-Kind-Wochenenden, um Wald und Wiese mit Flurkarten aus Papier zu durchstreifen, geführt von herzlich, aber rau um sich blaffenden Teamern, die in klobigen Wanderschuhen vorausstapfen. Abends zünden sie ein Lagerfeuer an, um das sich die Väter scharen, ein Fläschchen Bier in der Hand und ein mildes Lächeln auf den Lippen. Und die Kinder jagen juchzend über die Wiesen, ein bisschen klebrig, aber schön durchgelüftet. Wieder andere Männer arbeiten sich an der Seite eines Therapeuten durch ihre Kindheit und Jugend, um sich von den Erwartungen des eigenen Übervaters zu befreien. Und so mancher befreit sich vom Druck jahrzehntelang verdrängter Lüste, indem er sich alle vier Wochen am erotischen Stammtisch mit anderen Experimentierfreudigen über Vorlieben und Versäumnisse, Zwänge und Zerstreuungen austauscht.
Und es ist auch nicht so, dass sich keiner mit dem Mann befasst. Männlichkeitsforscher sind seit Jahrzehnten auf der Suche nach des Mannes Kern. Im deutschsprachigen Raum gehören Klaus Theweleit, Walter Hollstein und Volker Elis Pilgrim zu den Pionieren. Theweleits »Männerphantasien« von 1978 sind im Frühjahr 2019 neu aufgelegt worden und immer noch aktuell, Hollsteins Bücher sind feste Referenzpunkte im Männerdiskurs, und Pilgrim ist bis heute gleichermaßen umstritten und gefeiert für seine steilen Thesen. In den USA haben sich Robert Brannon, Herb Goldberg und Michael Kimmel den Mann ganz genau angesehen. Brannon bearbeitete 1976 die »Vier Regeln der traditionellen Männlichkeit« kritisch, Goldberg formulierte zehn Jahre später die selbstzerstörerischen »Maskulinen Imperative«, und Kimmel forscht seit Anfang der Neunzigerjahre an der Ostküste zu Masculinities, also Männlichkeiten im Plural. Und der »Eisenhans« von Robert Bly ist seit Jahrzehnten so etwas wie die Bibel jener Männer, die sich auf die Suche nach sich selbst machen.
Die Genannten sind nur eine kleine Gruppe all jener Männerforscher und -autoren (in dieser Sparte gibt es nicht so viele Frauen, es sei denn, die feministische Theologie kommt ins Spiel), die im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte herausgearbeitet haben, auf welche Glaubenssätze sich die sogenannte traditionelle Männlichkeit stützt – und warum es so lange dauert, bis Männer all das, was ihnen als männliches Verhalten präsentiert wurde, abzustreifen vermögen. Oder vermeintlich bewährte Anweisungen wie »Sei ein Mann!« und »Stell dich nicht so an!« zumindest so für sich umzuwandeln imstande sind, dass weder sie noch andere unter den Folgen jahrelang unterdrückter Gefühle leiden. Und auch wenn sich heute jenseits von überwiegend ausgewogen argumentierenden Autoren wie Björn Süfke, der zuletzt die wertvolle Unterscheidung von Männerkatastrophen und Männerkrisen etablierte, doch noch einige tummeln, die sagen, ein bisschen mehr steinzeitliche Rollenverteilung würde unserer matriarchal gelenkten Gesellschaft sicher ganz guttun, so lautet doch der Tenor vieler Bücher über den Mann heute: Alles ist möglich!
Also lasst uns drüber sprechen, wo wir anfangen können, alles möglich zu machen.
Ein Anfang ist auch deshalb möglich, weil immer mehr Männer erkennen und zu verstehen beginnen, dass Leid und Missverständnisse gar nicht erst entstehen, wenn Männer sich mitteilen. Also, nicht mitteilen im Sinne von: »Ich sag jetzt mal was, damit alle registrieren, ich bin da! Und damit das klar ist: Ich werde liefern!« Nein, mitteilen im Sinne von: Ängste und Sorgen ergründen und formulieren, Fragen stellen, Antworten auf sich wirken lassen. Nicht alle sind auf der Suche nach dem inneren Krieger, um den vielfältigen Erwartungen unserer nach Gleichberechtigung strebenden Gesellschaft genügen zu können, manche sind einfach nur auf der Suche nach innerem Frieden. Weil sie wissen, dass es ihnen auf diese Weise eher gelingt, einen Platz in dieser Welt und eine klare Haltung zu finden, ihre Männlichkeit betreffend – und wie sie diese leben wollen.
Dennoch: Während die Auseinandersetzung des Mannes mit sich selbst zwar verwirrend, aber doch ein Aufbruch sein kann, so bleibt das Vorhaben »Männlichkeit heute« zu ergründen ein Gang über dünnes Eis. Zumal als weißer, mittelalter, in einer immer noch wachsenden Region lebender Mann! Denn: Was habe ich schon für Probleme? Außer dass ich mich mit schlanken Haustarif-Verträgen abspeisen lasse und gern anderen meine Hilfe anbiete, auch wenn ich eigentlich genug zu tun habe? Wann erlebe ich im Alltag Diskriminierung? So gut wie nie! Ich bekomme sie manchmal mit, aber sie ist – abgesehen von vereinzelten Lügenpresserufen – eigentlich nie gegen mich gerichtet.
Und trotzdem darf ich beunruhigt sein, dass es anderen so geht. Und auch wenn ich weder wütend noch unzufrieden bin, so will ich doch ein paar Dinge anmerken zu den Fragen unserer Zeit, die an manchen Tagen so beängstigend angespannt und aufgeladen ist – nicht nur, weil der Meeresspiegel steigt und einige Menschen heute wieder bestimmte Dinge »sagen dürfen wollen«.
Und so, wie der Mann auf den folgenden Seiten immer auch zugleich als Mensch gedacht ist – im Sinne von Individuum und Persönlichkeit – so soll auch dieses Buch beides sein: ein Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs, auf das, was auf der Hand liegt, und zugleich ein Versuch, die darunterliegenden Schichten zu ergründen. Die Zweifel des sogenannten modernen Mannes (die auch sicher die Männer anderer Zeiten kannten) oder die Ängste des »alten weißen Mannes« (die auch die jungen, in welcher Haut auch immer steckenden Männer kennen). Die Hoffnungen all jener Männer, denen es nicht in erster Linie darum geht, Mann zu sein oder wie ein Mann zu handeln, sondern darum, Mensch zu sein, ein im besten Falle anständiger; ein Mensch, der zuhört, wenn es hilft; ein Mensch, der handelt, wenn es geboten ist; ein Mensch, der nachfragt, auch wenn alles klar zu sein scheint.
Meine immer wiederkehrenden Zweifel, ob ich denn überhaupt berechtigt wäre, mich zu den Mannsbildern zu äußern und das weite Feld der Männerfragen und Männerplagen zu durchschreiten, wurden etwas abgemildert, als ich das Ende Mai erschienene Buch »Ja heißt ja und …« von Carolin Emcke las. Darin setzt sie sich vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte auch mit der Frage auseinander, ob sich Menschen, die selbst nie Opfer von Diskriminierung oder sexualisierter Gewalt geworden sind, überhaupt am gesellschaftlichen Diskurs über Schuld und Anstand beteiligen dürfen. Emcke schreibt, alle sollten sich äußern dürfen, auch wer nie selbst sexuell belästigt, gedemütigt oder herabgesetzt wurde, denn: »Strukturelle Ungleichheit und asymmetrische Machtverhältnisse lassen sich auch kritisieren, wenn man selbst nicht zu denen gehört, die dadurch benachteiligt werden. Auch wer mit Privilegien und Status bedacht wurde, qua Geburt, qua Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, Kultur, Nation, kann diese Privilegien in Frage stellen.«
Doch kaum war diese eine Frage nach der Berechtigung geklärt, wurde in Europa gewählt. Und als sich nach der Stimmenauszählung nicht nur die Vertreter der grünen Bewegung im Freudentaumel umarmten, sondern auch die Führer – so nennen sie sich tatsächlich – der nationalistischen Bewegungen auf der politischen Bühne tanzten, fragte ich mich: Und jetzt also ein Buch über die Suche nach der neuen Männlichkeit? Ist das nicht so, als würde ich den Rollrasen im Vorgarten wässern, obwohl der Dachstuhl in Flammen steht? Gibt es nicht drängendere Probleme, als sich mit dem Spagat der Männer zwischen überkommenen Traditionen und sich wandelnden Rollenbildern zu befassen? Sollten wir nicht erst klären, wie wir Wohlstand und Perspektiven gerecht verteilen, bevor wir fragen: Wer geht in Elternzeit? Oder: Wie lässt sich Beziehung heute so leben, dass beide Partner ihren Pflichten nachkommen können, ohne das Gefühl zu haben, ihre persönlichen Bedürfnisse immer hinten anstellen zu müssen? Sollten wir nicht zuerst die Demokratie retten, um dann zu schauen, wie wir dem Mann dabei helfen, der Vater zu sein, den er vielleicht gern selbst gehabt hätte? Oder, um es zuzuspitzen: Wozu den hadernden, zeternden oder auch verschreckten Mann umkreisen, während die Welt im Chaos versinkt?
Wohl genau deswegen: weil der Mann an all dem seinen Anteil hat. Und der ist beträchtlich. Ob er nun in der großen Politik mitmischt oder sein ganz persönliches Unglück in sich reinfrisst: Er ist Treiber und Erdulder zugleich. Und ob aktiv oder passiv, ob destruktiv oder produktiv – er hat dazu beigetragen, dass die Welt ist, wie sie ist. Dass die Gesellschaft ist, wie sie ist. Nicht der Mann an sich hat das zu verantworten – aber alle, die mit ihrer Selbstgefälligkeit und Ignoranz dazu beigetragen haben, dass die Visionen einer friedlichen europäischen Gesellschaft im Laufe der letzten zwanzig, dreißig Jahre erodierten; die zugelassen haben, dass die Vision einer friedlichen Weltgesellschaft wie nebenbei zurückgebaut wurde, weil es manchen so gar nicht in den Kram passte, würden ärmere Länder ihre Rohstoffe künftig in Eigenregie abbauen. Oder Konflikte in Krisenregionen nicht mehr mit ferngesteuerten Drohnen oder Präzisionswaffen aus deutscher Fabrikation ausgetragen werden, sondern am Verhandlungstisch über ein Ende der Kämpfe beraten wird – manchmal sogar mit Erfolg. Der Mann hat, weil er sich mit seinen Buddys immer noch um die Schaltstellen der Macht schart – sei es nun in der Kommunalpolitik oder in den Vorständen international agierender Konzerne –, einen großen Anteil an dieser Weltdynamik, die all jene Menschen, die kein hohes Einkommen oder üppig geerbt haben, in einen aufreibenden und kräftezehrenden Existenzkampf treibt.
Und während also nicht nur auf der großen Weltbühne, sondern auch in bundesdeutscher Politik und Wirtschaft das Streben Einzelner nach immer mehr Macht und immer noch mehr Profit die stärkste Triebfeder – oder mächtigste Bremse, je nachdem – des gesellschaftlichen Wandels ist, regen wir uns über Werbespots auf, die angeblich unseren lieben Papa diskriminieren? Das mag, um es mit Günter Wallraff zu sagen, »die da oben« freuen, wenn wir uns an Kleinigkeiten aufreiben – aber »wir hier unten« kommen so leider nicht weiter. Im Gegenteil, all dieses Kommentieren und Teilen von eher kurz gedachten Meinungen im Netz bindet so viel Zeit und Energie, die dann für Veränderungen in der Welt jenseits der virtuellen Echokammern fehlt. Der YouTuber Rezo hat Ende Mai zwar wunderbar vorgeführt, wie eine Stimme aus dem Netz den alten Dampfer Bundespolitik ganz real in Seenot bringen kann, aber die meiste Zeit drehen sich die Diskurse im Netz um sich selbst, und der Erkenntnisgewinn bleibt dabei doch eher niedrig. So viel Dynamik – und doch so statisch.
Bewegung und Stillstand. Ein Widerspruch, der auch dem Manne innewohnt. Psychiater verweisen gern darauf, dass Männer meist zu lange warten, bis sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Aber wenn einer dann aus seiner bisherigen »Verschlusssache Mann« ein offenes Buch gemacht und verstanden hat, was zu tun ist, dann vollzieht sich die Veränderung recht schnell. Und dieser scheinbar unvermittelte Übergang des Mannes von Stillstand in Bewegung kann durchaus irritieren. Denn auch wenn wir heute sagen können, die vor fünf Jahrzehnten angeschobenen Emanzipationsprozesse haben bereits vieles verändert, so steht einer gewachsenen rationalen Akzeptanz von Veränderungen immer noch der emotionale Affekt gegenüber. Um es schlichter zu formulieren: Manches klingt zwar gut, wenn wir darüber sprechen, fühlt sich aber irgendwie seltsam an, wenn wir es tatsächlich leben. Wenn sich eine Frau also vorher gewünscht hat, ihr Mann würde doch bitte mehr über seine Gefühle sprechen, so kann es sein, dass sie dann erst mal nicht so gut damit zurechtkommt (oder sagen wir es deutlich: es auch ein bisschen anstrengend findet), wenn er es tatsächlich tut.
Kein Wunder also, dass immer wieder von der Krise des Mannes die Rede ist. Diese Krise ist auch das Resultat einer Überforderung, die sich aus den Umständen der Zeit ergibt. Er ist überfordert, weil er nicht so recht weiß, wie er all den Anforderungen gerecht werden soll, mit denen er sich konfrontiert sieht. Und die zusammengenommen wohl die oft erwähnte »neue Männlichkeit« ausmachen: die Beziehung pflegen, ein präsenter Vater sein, den Vorgesetzten zufriedenstellen und dabei die eigenen Bedürfnisse nicht völlig übersehen. Der Mann soll machen. Und er soll lassen. Dynamik und Stillstand. Auch Frauen kennen das und hadern damit. Und jetzt?
Vielleicht sollte zunächst klargestellt werden, dass die gern beschworene Krise des Mannes oder die Krise der Männlichkeit nicht einfach als stehender Begriff, als selbst erklärender Zustand gewertet werden darf. Der Psychologe Björn Süfke betont in seinem jüngsten Buch »Männer« in diesem Zusammenhang eine notwendige Unterscheidung: Männlichkeit kann nicht in der Krise sein, denn Männlichkeit ist ein soziales Konstrukt, also eine Art Zusammenfassung unterschiedlichster Eigenschaften, die gemeinhin mit Männern verbunden werden. Ein Mann hingegen kann sehr wohl eine Krise durchleben, die ihn womöglich auch an seiner Männlichkeit zweifeln lässt – aber es ist immer noch seine eigene, persönliche Krise. Keine Krise der Männlichkeit. Auch Walter Hollstein warnte schon vor zwanzig Jahren davor, das Individuum und die gesellschaftlichen Zuschreibungen an dieses aufgrund seines Geschlechts durcheinanderzuwerfen.
Die Krise des Mannes kann aus verschiedenen Richtungen kommen. Entweder ausgelöst durch den Zerfall der traditionellen Muster, also der gesellschaftlichen Neuformulierung dessen, was als männlich verstanden oder gewünscht wird – oder als Folge jahrelangen Verdrängens und Verharrens des Einzelnen in ebendiesen alten Mustern, obwohl doch alles schon im Wandel ist.
Ach ja, eins noch: Ich nehme zwar immer wieder Bezug auf Fachdiskurse, aber dieses Buch ist kein Sachbuch! Kann es nicht sein, weil ich kein Fach-Mann bin. Und soll es auch nicht sein. Allein schon deshalb nicht, weil es um Menschen geht.
Die Mannsbilder, die auf den folgenden Seiten gezeichnet oder betrachtet werden, sind keine allgemeingültigen Kategorien, keine Stellvertreter einer Art. Sie sind zuallererst Individuen mit ihrer eigenen Geschichte, ihren eigenen Stärken und ihrem jeweils ganz eigenen Hang zu Verfehlungen. Jeder Mensch hat seine Art, Chancen zu nutzen – oder diese ziehen zu lassen, weil er nicht durch die Angst hindurch, sondern lieber daran vorbeigeht. Wenn er Glück hat, stößt er auf diesem Umweg auf die Erkenntnis, dass seine Ziele, also das, was er sich wünscht, hinter der Angst liegen. Und dass er schon längst am Ziel wäre, wenn er sich dieser Angst gestellt und mit ihr gearbeitet hätte. Oder, wie Martin sagte, der auf dem Berliner Männerkongress im Juni davon berichtet hat, wie er als 38-Jähriger zum ersten Mal seinem Vater begegnet ist, irgendwo im fernen Kanada, wo dieser seit Langem lebt: »Tut das, wovor ihr am meisten Angst habt.« Und damit meinte er nicht das Auswandern, sondern das Sich-dem-Vater-Stellen (und damit einer weiteren Version der eigenen Vergangenheit). »Und wenn ihr dann die Geschichte gehört habt«, sagte Martin, »dann versucht zu verstehen, warum die Menschen so gehandelt haben, warum ihr so gehandelt habt.«
Versucht zu verstehen. Das heißt auch: Es gibt keine pauschalen Antworten, keine allgemeingültigen Erklärungen. Und obwohl wir alle einzigartig sind mit unserer ganz eigenen Geschichte, so bewegen wir uns doch alle in ähnlichen Verhaltensmustern. Weil unsere Welt nun mal sehr geordnet ist, in vielen Bereichen des Lebens sogar erstaunlich kleinteilig, und wir daher nur auf ein endliches Repertoire von Verhaltensweisen und Interaktionsmustern zugreifen können. Wir alle fahren Fahrrad oder Auto und müssen dabei bestimmte Regeln einhalten, wenn wir uns und andere nicht in Gefahr bringen wollen; wir alle gehen Verpflichtungen ein, treffen Abmachungen, die wir einlösen und einhalten wollen; wir alle sind mal müde, und die Küche steht trotzdem voller Kram; wir alle müssen uns etwas einfallen lassen, wenn die Kollegin krank wird oder unser Kind von den Lehrern nicht in allen Facetten seiner Persönlichkeit wahrgenommen und daher, wie wir finden, irgendwie falsch beurteilt wird.
Das kann schon mal viel sein. Mitunter: zu viel. Und die Bewältigung dieses »Zuviel«, von dem wir in unserer informationsübersättigten Gegenwart reichlich haben und das natürlich auch seinen Anteil hat an dem immer mal wieder auftretenden Gefühl der Orientierungslosigkeit, ist bereits eine große Herausforderung. Aber es scheint, als wäre es eine noch größere Herausforderung, angesichts dieses »Zuwenig«, das wir auch hin und wieder empfinden, nicht die Nerven zu verlieren; nicht zu verzagen, wenn wir merken, irgendwas fehlt – wir aber nicht wissen, was.
Manche sagen, ihnen fehlt die Zeit, um sich mit den Dingen zu befassen, die ihnen wichtig sind. Wenn wir ihnen aber die Zeit geben, merken sie, dass Radfahren und Lesen und Aufräumen allein auch nicht glücklich machen. Wir wissen meist, von was, aber nicht immer, wofür wir uns befreien wollen. Auch das ist ein Thema, das später noch einmal auftauchen wird.
Wohin und wozu? Wenn wir beginnen, uns diese Fragen bewusst zu stellen, dann wird uns von manchen ans Herz gelegt: »Schau nicht zurück. Was geschehen ist, ist geschehen.« Das mag sein. Aber es ist fatal zu sagen, was hinter uns liegt, ist nicht wichtig. Schau nach vorn, sagen die, die keine alten Wunden aufreißen wollen. Aber um zu wissen, wo wir hinwollen, müssen wir wissen, wo wir herkommen.
Denn die Generationen vor uns haben mit dem, was sie getan oder auch nicht getan haben, die Welt geschaffen, in der wir uns bewegen. Die von den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts Gebrochenen haben ihre Traumata nur ein bisschen umverpackt, dann weitergereicht – und auf diese Weise auch ihre Kinder gebrochen. Weil sie ihnen wohl unterbewusst übel nahmen, dass die es so viel besser hatten als sie selbst. Sie wären auch gern ein Kind gewesen, sind aber aufs Grausamste um ihre Kindheit betrogen worden, sodass sie gar nicht anders konnten, als ihren Kindern ebenfalls Kindheit und Jugend zu nehmen. Und so reichen seit hundert Jahren überall auf der Welt zu jeder Zeit traumatisierte Generationen ihren unausgesprochenen Schmerz an die nächsten Generationen weiter. Und solange die Menschen Krieg führen oder ihren technischen Vorsprung nicht irgendwie anders als zum Ausbeuten oder Übervorteilen anderer Menschen zu nutzen imstande sind, solange werden kaputte Männer und verunsicherte Frauen genau diese aus ihren Kindern machen. Ohne es zu wollen.
Und auch wir, die Kinder der Kinder der deutschen Kriegsgeneration, haben unser Stück vom Unglück abbekommen, ohne es zu wollen; müssen ein Päckchen voller Ängste tragen, das wir nicht geschnürt haben. Wenn wir über den Mann und die Frau von heute sprechen, müssen wir auch über die verheerenden Kriege des vergangenen Jahrhunderts sprechen. So, wie es etwa Jack Urwin in seinem so großartigen wie beklemmenden Buch »Boys don’t cry – Identität, Gefühl und Männlichkeit« getan hat. Im Jahr 2016, als dieser Parforceritt durch die Geschichte der Männlichkeit erschien, war Urwin gerade mal 24 Jahre alt. Als ich das las, musste ich das Buch erst mal kurz beiseitelegen. Denn sich mit Mitte zwanzig an die ganz großen Steine auf den Herzen der Menschen zu wagen und sich anzuschauen, worunter all die Indianer, die doch eigentlich keinen Schmerz kennen, bis heute leiden, das ist schon so mutig, dass es einem Angst machen kann.
Aber so, wie Jack Urwin ganz offensichtlich keine Angst vor den großen Traumata hatte, so wagen sich immer mehr Männer daran, ihren persönlichen Krisen auf den Grund zu gehen. Nicht immer konsultieren sie dazu einen Arzt oder Therapeuten, viele fangen niedrigschwelliger an. Sprechen mit einem Freund. Ihrer Frau. Oder buchen ein Seminar beim Männercoach, hören sich Vorträge an, tasten sich heran an die Möglichkeiten der Hilfe zur Selbsthilfe. Sie probieren aus, wie es sich anfühlt, zu reden. Über das, was in ihnen vorgeht. Was es bedeuten könnte, seine eigene Wahrheit zu leben. Warum es wichtig ist, sich mit den Vorfahren auszusöhnen. Und sie sind alle auf dem Weg, die Bärtigen und die mit dem Amulett um den Hals; die Einsamen und die Überforderten; die Selbstständigen und die einstmals Selbstgerechten; die Väter und die Vertreter; die jungen und die alten. Und viele von ihnen werden auch in diesem Buch ihren Platz haben. Die mächtigen Männer und die schmächtigen, die traurigen und die schaurigen, aber auch die klaren und die, die stets gut waren. Und immer wieder gut sind, weil sie es wollen. Und sich nicht davon abbringen lassen. Sie sind gut in dem Sinne, dass sie mitfühlend, anständig, aufrecht und ehrlich sein wollen, auch wenn sie wissen, dass es ihnen nicht immer gelingen wird.
So gesehen ist es vielleicht noch zu früh, von einem Aufbruch zu sprechen.
Aber: Ein Anfang ist gemacht.