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Jacob und Wilhelm Grimm

Rumpelstilzchen

Deutschland

Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Sie lebten in einer kleinen Mühle nahe eines Baches, in dem das Wasser so rein war, dass man die Forellen darin mit bloßem Auge entdecken konnte. Schön war es dort, nur einsam, denn die Mühle lag ganz am Ende eines großen Reiches, an dessen Rand sich nur wenige Menschen verirrten.

Aber eines Tages passierte der König selbst die kleine Mühle und entschloss sich, dort einzukehren. Da traf der alte Müller den König, und, um sich ein Ansehen zu geben, behauptete er: »Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.«

Der König erwiderte: »Das ist eine Kunst, die mir wohl gefällt. Wenn deine Tochter so geschickt ist, wie du sagst, so bring sie morgen in mein Schloss, da will ich sie auf die Probe stellen.«

Als nun das Mädchen zu ihm gebracht wurde, führte der König sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh lag, gab ihr Spinnrad und Spule und sprach: »Jetzt mach dich an die Arbeit. Und wenn du bis morgen früh das Stroh nicht zu Gold gesponnen hast, musst du sterben.«

Daraufhin schloss er die Kammer selbst zu, und die Müllerstochter blieb allein darin. Da saß das arme Mädchen nun und wusste um ihr Leben keinen Rat. Sie verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen konnte, und ihre Angst wurde immer größer, sodass sie alsbald zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Tür auf, und ein kleines Männchen trat herein und sprach: »Guten Abend, Jungfer Müllerin. Warum weinst du so sehr?«

»Ach«, antwortete das Mädchen, »ich soll Stroh zu Gold spinnen und kann es doch nicht.«

Da fragte das Männchen: »Was gibst du mir, wenn ich dir’s spinne?«

»Mein Halsband«, sagte das Mädchen.

Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und

schnurr, schnurr, schnurr,

dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf, und

schnurr, schnurr, schnurr,

dreimal gezogen, war auch die zweite voll. Und so ging’s fort bis zum Morgen. Da war alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold. Bei Sonnenaufgang kam auch schon der König herbei, und als er das Gold erblickte, staunte er und freute sich, aber sein Herz wurde nur noch gieriger nach Gold. Er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl ihr, auch dieses Stroh in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre. Das Mädchen wusste sich nicht zu helfen und weinte. Da ging abermals die Tür auf, und das kleine Männchen erschien und sprach: »Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?«

»Meinen Ring von dem Finger«, antwortete das Mädchen.

Das Männchen nahm den Ring, fing wieder an, mit dem Rad zu schnurren, und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold gesponnen. Der König freute sich über die Maßen bei dem Anblick, jedoch hatte er noch immer nicht des Goldes genug.

Er ließ die arme Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und forderte: »Das alles musst du noch in dieser Nacht verspinnen. Gelingt es dir, so sollst du meine Gemahlin werden.« ›Und wenn’s auch eine Müllerstochter ist‹, so dachte er, ›eine reichere Frau werde ich in der ganzen Welt nicht finden.‹

Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum dritten Mal und fragte: »Was gibst du mir, wenn ich dir auch diesmal das Stroh spinne?«

»Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte«, antwortete das Mädchen.

»So versprich mir eins: Dein erstes Kind will ich haben, wenn du Königin wirst.«

›Herrje, wer weiß, wie das noch ausgeht‹, dachte die Müllerstochter und wusste sich in der Not nicht anders zu helfen.

Sie versprach dem Männchen also, was es verlangte, und dafür spann jener noch einmal das Stroh zu Gold. Als am Morgen der König kam und alles fand, wie er es gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr, und die Müllerstochter wurde eine Königin.

Nach einem Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen. Da trat es plötzlich in ihre Kammer und verlangte: »Nun gib mir, was du versprochen hast.«

Die Königin erschrak sehr und bot ihm alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte. Aber das Männchen beharrte: »Nein. Etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.«

Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, dass das Männchen Mitleid mit ihr hatte: »Drei Tage will ich dir Zeit lassen. Wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten.«

Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über das Land, der sich weit und breit erkundigen sollte, was es sonst noch für Namen gäbe. Als das Männchen am nächsten Tag kam, fing sie an mit Caspar, Melchior, Balzer und sagte der Reihe nach alle Namen, die sie wusste, aber bei jedem entgegnete das Männlein: »So heiß ich nicht.«

Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen, wie die Leute da genannt würden, und trug dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor.

»Heißt du vielleicht Rippenbiest? Oder Hammelswade? Oder Schnürbein?«

Doch es antwortete immer: »So heiß ich nicht.«

Am dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte: »Neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie:

»Heute back ich, morgen brau’ ich,

übermorgen hol ich der Königin ihr Kind!

Ach, wie gut, dass niemand weiß,

dass ich Rumpelstilzchen heiß!«

Da könnt ihr euch denken, wie froh die Königin war, als sie den Namen hörte.

Und als bald das Männlein in die Stube trat und fragte: »Nun, Frau Königin, wie heiß ich?«

Da sprach sie erst:

»Heißest du … Kunz?«

»Nein.«

»Heißest du … Heinz?«

»Nein.«

»Heißt du etwa … RUMPELSTILZCHEN?«

»Das hat dir der Teufel gesagt! Das hat dir der Teufel gesagt!«, schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den Leib hineinfuhr. Dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen und riss sich selbst mitten entzwei.


Schneewittchen und Rosenrot

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