Читать книгу EINTAUCHEN - Brigitte Bauer - Страница 8
ОглавлениеEs war einmal …
Ich befinde mich in einem Kaufhaus der 1970-iger Jahre. Ich schlängle mich um die vielen Wühltische mit ihrem Billigsortiment, um die schmale Rolltreppe ausfindig zu machen, die mich hinauf in die Musikabteilung bringen soll. Doch ich lande - wieder einmal - auf der Seite nach unten. Also auf zur gegenüberliegenden Rolltreppenseite, die mich nach oben führt, wieder durch’s Getümmel der Leute, die hektisch im Begriff sind, nach etwas zu suchen, nämlich nach dem augenscheinlich Besten, was das Angebot hergibt! Und das ist, für derzeitige Verhältnisse reichhaltig, so dass dieses ständige Sich-entscheiden-müssen, die beste Wahl zu treffen, wohl einen andauernden Kaufhausstress auslöst. So empfinde ich jedenfalls die Energie, die mich erwartet, nachdem ich die, besonders in den kalten Wintermonaten stets übelriechende warme Luftschleuse am Eingang durchquert habe.
Und ich befinde mich im Teenageralter, in einem der vielen Umbrüche meines irdischen Lebens im sog. 7-Jahres-Rhythmus. Diese Zeit scheint mir am intensivsten an Gedanken, Gefühlen, Emotionen, Ideen und Visionen.
Und in dieser fortwährenden aussergewöhnlichen Gemütslage, die ja oftmals von „Himmel hochjauchzend, zu Tode betrübt“ reicht, bringt mich die rollende stählerne Treppe nach oben in die so sehr ersehnte Musikabteilung. Ich liebe sie! Auch gefällt mir, inmitten von vielen „Gleichgesinnten“ zu sein. Zwar habe ich noch ein paar Jahre bis zur Volljährigkeit, fühle aber in mir schon das „Erwachsen sein“, das „Tun- und lassen dürfen, was man will“, das „Frei sein“. So ist es jedesmal, wenn ich in diese Welt eintauche, dort, in dieser Musikabteilung des grossen Kaufhauses.
So bin ich gespannt wie ein Flitzebogen, was ich dieses Mal vernehmen werde, wenn ich, oben angekommen, mit einem grossen Schritt die Rolltreppe hinter mir lasse und mich meinem Ziel nähere. Ich traue meinen Ohren nicht, ich höre „Deep Purple“. Dieser ganz und gar ungewöhnliche Sound, der die ganze Abteilung samt der nächsten erfasst, löst in mir plötzlich eine gewisse Ohnmacht aus bzw. den Drang, eine Mauer des Schweigens durchbrechen zu wollen, doch es gelingt mir nicht. Auch nicht, diesen seltsamen Gefühlszustand in Worte zu fassen.
Endlich nun angekommen, an den viereckigen, etwa zwei mal zwei Meter grossen Kästen, in denen unzählige Finger gekonnt in einer Art wellenförmiger Bewegung die vielen Single- und Langspielplatten in ihren beeindruckenden originell gestaltenden Cover-Hüllen hin und her schubsen, bis zu einem plötzlichen Innehalten und Herausgreifen einer Schallplatte, dieser einen Schallplatte, nach der man ewig gesucht hat.
Und jetzt kommt der aufregendste Moment, der Gang zu den etwa Dutzend Schallplattenspielern mit den an der jeweiligen Seite hängenden übergrossen Kopfhörern. Es ist nicht leicht, einen solchen Platz zu ergattern, denn die Leute stehen verklärt da, summen oder klopfen im Takt und vergessen scheinbar alles um sich herum. Wie auch mich und ich sie auch, wenn ich dann mit meinen Augen gebannt der Schallplattennadel folge, wie sie spiralförmig, anfangs knisternd und dann auf- und abwiegend im Kreise auf der pechschwarzen Scheibe tanzt und wunderbare Töne von sich gibt. Und ich höre den Song „In the Year 2525 …“.
Dieser bekannte Song, dieser Ohrwurm für mich, wird mich mein Leben lang begleiten und mich immer und immer wieder in den grenzenlosen Raum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eintreten lassen, so dass mein Geist frei wird in meinen Erinnerungen, Träumen, Alpträumen, wie auch ganz konkret in meinen Visionen …