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1. Kapitel

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Die Mittagssonne schien direkt durch das kleine Fenster, so dass man ihm genau ansehen konnte, dass es dringend geputzt werden musste. Jasmin wünschte sich einen Lappen, einen Eimer mit Wasser und ein Reinigungsmittel. Um sich von der schmutzigen Scheibe abzulenken sah sie sich in dem Raum um, in dem sie mit fünf anderen jungen Schauspielerinnen saß. Jedes einzelne dieser Mädchen war jung, hübsch und vermutlich auch talentiert, sonst wären sie nicht in der Endauswahl. Alle waren in ihren Text vertieft, um die geforderte Szene ohne Patzer spielen zu können.

Auch Jasmin senkte wieder den Blick und ging noch einmal den Dialog durch, obwohl sie das Gefühl hatte, dass inzwischen jedes einzelne Wort in ihr Hirn eintätowiert war – vermutlich für den Rest ihres Lebens.

Drei der Mädchen lasen leise, zwei andere jedoch murmelten halblaut vor sich hin, was die leise Lesenden irritierte und zu ärgerlichen Blicken und gerunzelten Stirnen führte.

„Jasmin Tyler!“

Sie zuckte kurz zusammen als ihr Name durch den Raum hallte, dann stand sie auf und folgte der korpulenten Frau mit dem weißblonden Igelhaarschnitt, die ihren Namen gerufen hatte.

Sie gingen durch die Tür, einen neonbeleuchteten Flur entlang und eine schmale Treppe hinab. Jasmins hohe Schuhe klapperten auf den gefliesten Stufen, die gummiartigen Sohlen der Igelfrisur vor ihr erzeugten nur ein schüchternes Schmatzen. Schließlich öffnete die Frau eine schwere Tür und ließ Jasmin an sich vorbeigehen ohne etwas zu sagen oder auch nur ein Lächeln anzudeuten.

Die hat ja wirklich Freude an ihrem Job! dachte Jasmin, zog unauffällig eine Grimasse und trat ein.

Rechts war die Bühne, links von ihr saßen zwei Männer und eine Frau an einem Tisch, alle mit Kugelschreiber, Klemmbrett und einem ernsten Gesichtsausdruck ausgestattet.

Jasmin ging lächelnd auf sie zu und gab jedem die Hand.

„Hallo, schön, Sie wieder zu sehen“, sagte sie höflich.

Vor dem Mann in der Mitte lag ihr Foto, auf deren Rückseite ihre bisherigen Rollen und ihre persönlichen Angaben standen. Er nickte ihr kurz zu.

„Können wir?“ Seine Stimme klang rau, als wäre sie vor kurzem arg strapaziert worden.

„Natürlich.“ Sie drehte sich um und stieg die drei Stufen zur beleuchteten Bühne hinauf. Fast wäre sie dabei gestolpert, konnte sich jedoch rechtzeitig fangen. Ihr Herz schlug noch ein paar Takte schneller.

Auf der Bühne wartete bereits ein dünner junger Mann mit einem kleinen Ziegenbart. Jasmin stellte sich ihm gegenüber auf und sah hinab zu den drei Menschen, die darüber entscheiden würden, ob sie am Ende die Rolle bekommen würde oder nicht.

Der Mann mit der rauen Stimme hob eine Hand. „Sind Sie bereit?“

Sie nickte. „Ja.“

Er streckte die Hand nach vorn. „Und – bitte!“

Schon kam der Ziegenbart mit schnellen Schritten auf sie zu, blieb vor ihr stehen und stemmte die Hände in die Seiten. „Was fällt dir eigentlich ein?“

„Was mir einfällt?“ fragte sie empört und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete sie auf ihn. „Du belügst und hintergehst mich, und wenn ich dir auf die Schliche komme, machst du mir Vorwürfe! Du bist der schäbigste Mistkerl, dem ich je begegnet bin!“

Zwanzig Minuten später war Jasmin auf dem Weg nach Hause und ging im Taxi noch einmal jedes Wort, jede Betonung und jede Geste durch, die sie gesagt, gemacht und unterlassen hatte. War sie gut genug gewesen? Hatte sie überzeugen können? Eine Antwort würde sie erst dann bekommen, wenn der Anruf ihres Agenten kam. Sie seufzte und begann, auf ihrem Daumennagel zu kauen. Das Warten war viel schlimmer als das Vorsprechen selbst.

Der offenbar aus Indien stammende Taxifahrer schimpfte lautstark und mit schwer verständlichem Akzent über das Wetter. Jasmin ließ die Hand sinken und sah aus dem Fenster. Es begann wieder zu schneien. Die Sonne, die gerade noch geschienen hatte, war hinter den dicken Wolken verschwunden, die ihre weiße Pracht auf die Straßen, die Autos und die Menschen herab rieseln ließen. Im Nu sah alles aus wie mit Puderzucker bestäubt. Seit Tagen gab es immer wieder Schneeschauer. Zu Weihnachten dagegen hatte es pausenlos geregnet. Jasmin wünschte sich die Rolle schon deshalb, weil die Dreharbeiten in Kalifornien stattfinden würden. Wenn es klappte hätte sie ab dem nächsten Monat wieder Sommer. Ein verträumtes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

Los Angeles

Der Regisseur Steve Conelly öffnete den oberen Knopf seines Hemdes. Es war verdammt heiß in Charles’ Büro, obwohl es erst neun Uhr morgens war. Offensichtlich war mal wieder die Klimaanlage ausgefallen. Steve war nicht der Einzige, dem die Schweißtropfen auf der Stirn standen. Er griff sich seine Unterlagen und wedelte sich damit etwas Luft zu. Viel brachte es nicht.

Während er sich bemühte, Charles’ Ausführungen zu folgen, trank er sein Wasserglas leer. Seine Gedanken schweiften ab und landeten bei dem vergangenen Abend, an dem er sich in einem italienischen Restaurant von Mary getrennt hatte. Die Immobilienmaklerin war zwar attraktiv und intelligent, allerdings auch furchtbar anstrengend. Sie hatte ihm kaum Luft zum Atmen gelassen, so dass er nach zwei Monaten genug von ihr gehabt hatte. Stocksauer hatte sie ihm ihren Weißwein in den Schoß gekippt und war aus dem Lokal gerauscht.

„Also, Beginn wie gesagt am 13. Februar", holte Charles' Stimme ihn wieder in die Gegenwart zurück . "Einen Monat vorher, am 14. Januar, treffen wir uns mit den weiteren Produzenten und Geldgebern, den Hauptdarstellern und so weiter bei George White. Er hat sein Penthouse in Manhattan zur Verfügung gestellt. Für die Hauptrolle ist Tom Becker verpflichtet worden, die abschließenden Castings für die weibliche Hauptrolle laufen noch, werden aber in diesen Tagen abgeschlossen.“

Charles fuhr sich mit der Hand über seine sommersprossige Glatze. Die wenigen Haare, über die er rund um den Kahlkopf noch verfügte, schimmerten feucht. Er wandte sich an Steve. „Ich hoffe, du wirst am nächsten Samstag ebenfalls durch Anwesenheit glänzen.“

Steve grinste. „Manhattan im Januar? Klar, wieso nicht? Das klingt ausgesprochen reizvoll.“ Er zog eine leichte Grimasse.

Charles blätterte in den Papieren auf dem Tisch und nickte. „Gut. Der Regisseur sollte nun mal dabei sein.“

Er wandte sich wieder sämtlichen Mitarbeitern zu, die sich rund um den großen Besprechungstisch versammelt hatten.

„Das Drehbuch ist fertig, die Arbeiten am Storyboard werden rechtzeitig zu Drehbeginn abgeschlossen sein, wurde mir jedenfalls versichert.“ Er verdrehte leicht die Augen und grinste Steve an. Dann nickte er seiner Assistentin Wendy zu, die daraufhin aufstand, aus einem Karton einen Stapel Bücher holte und an die Anwesenden verteilte.

Steves Blick fiel auf seine Assistentin Leslie Hershkowitz, die neben ihm saß und die letzten Tropfen Wasser aus ihrem Glas mit der Zunge auffing. Ihr enttäuschter Blick zeigte, dass ihr Durst noch längst nicht gestillt war. Kein Wunder! dachte Steve und wandte sich an Wendy, die noch immer die Drehbücher verteilte.

„Sag mal, habt ihr noch etwas Wasser in dieser Sauna?“ fragte er und hob sein leeres Glas. „Bei dieser Hitze vertrocknen meine grauen Zellen.“

Wendy schmunzelte. „Davon hast du noch welche?“ fragte sie kess.

„Nicht mehr allzu viele, also sei so lieb, und besorge uns etwas zu trinken, ja?“ bat Steve und zeigte sein charmantestes Lächeln.

Wendy zwinkerte ihm fröhlich zu. „Für dich tue ich doch alles.“ Damit verließ sie den Raum.

Leslie grinste ihn an und formte mit dem Mund ein „Danke“.

Steve grinste zurück. „Gern geschehen“, flüsterte er und schlug das Drehbuch auf.

Als die Besprechung endlich zu Ende war fuhr Steve erleichtert nach Hause. Er hatte sich vor drei Jahren einen Bungalow in Pasadena geleistet und freute sich immer wieder, wenn er die Kiesauffahrt hinauffuhr. Heute munterte ihn besonders der Gedanke an seinen Pool auf, er hatte eine Abkühlung dringend nötig.

Doch vorher musste er in New York anrufen. Dort war es jetzt früher Nachmittag, das bedeutete, dass seine Mutter hoffentlich noch ansprechbar war. Nach fünf Uhr nachmittags war sie meist schon so angetrunken, dass ein Telefonat mit ihr zur Qual wurde.

Seufzend ging Steve in sein Arbeitszimmer, warf das Drehbuch auf den überfüllten Schreibtisch und setzte sich. Dann ergriff er den Hörer und wählte die bekannte Nummer.

„Hallo?“

„Hi Mom, ich bin’s.“

„Steve! Endlich meldest du dich mal wieder. Wie geht es dir, mein Junge?“

„Danke, sehr gut. Und wie geht es dir?“

„Ach, wie immer. Ich warte gerade auf Alex. Er hatte einen Termin bei seinem Arzt und müsste jeden Moment zurück kommen.“

„Wie geht es ihm?“

„Nicht besonders. Er wiegt nur noch 69 Kilo.“

Steve fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht. Alex war sein Zwillingsbruder und er selbst wog ungefähr 88 Kilo. Die Sorge um seinen Bruder schnürte ihm den Magen zusammen.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich euch schon sehr bald besuchen kann“, teilte er seiner Mutter mit. „Am 14. komme ich nach New York und werde ein bis zwei Wochen bleiben.“

„Oh, das ist schön!“ freute sich Louise Conelly. „Du wirst doch hier bei uns wohnen?“

„Tut mir leid, nein. Charles Lancaster hat bereits ein Hotelzimmer für mich reserviert“, log er. „Die Gesellschaft bezahlt, das muss man ausnutzen.“

Die Wahrheit war, dass er den Anblick seines kranken Bruders und seiner trinkenden Mutter nur in Maßen ertragen konnte.

„Verstehe“, sagte Louise. „Ich freue mich trotzdem auf dich, mein Junge.“

„Ich freue mich auch auf euch. Grüß Alex schön von mir. Wir sehen uns dann nächste Woche.“

„Gut. Oh, da kommt dein Bruder gerade. Bleib mal kurz dran, ja?“

Steve hörte, dass sich die Wohnungstür schloss und dann die Stimme seiner Mutter. „Und? Was hat der Arzt gesagt?“

Steve konnte die Antwort nicht verstehen, sein Bruder war zu weit entfernt. Dann drang ein lautes Poltern, Krachen und Knacken an sein Ohr, so dass er den Hörer mit einer hastigen Bewegung vom Kopf wegriss. Er glaubte, einen Schrei gehört zu haben. Was war da los? Es klang, als hätte seine Mutter den Hörer fallen gelassen.

Ein kurzer Wortwechsel folgte, dann hörte er laut und deutlich die Stimme seines Bruders.

„Steve? Bist du noch dran?“

„Ja, klar. Was ist denn los bei euch?“

„Es ist soweit.“ Alex seufzte vernehmlich.

Steve schluckte. „Du meinst…?“

Alex Stimme zitterte leicht. „Ja. Ich habe AIDS. Die Krankheit ist ausgebrochen.“

New York

Die Cooper Enterprises nahmen die gesamte 45. Etage des Nordturmes des World Trade Centers ein. Der Ausblick von hier oben war überwältigend, besonders wenn sich die Mittagssonne im Hudson River spiegelte und das Wasser so hell glitzern ließ, dass es fast blendete.

An diesem Tag tat sie das allerdings nicht. Der Himmel war hinter vielen Wolken verschwunden und vor dem großen Eckfenster tanzten immer mehr und immer dickere Schneeflocken.

Linda hatte ohnehin keine Muße, aus dem Fenster zu sehen. Sie studierte die Presse. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich die Tageszeitungen und alle waren voll von Nachrufen und Beileidsbekundungen. Scheinbar jedes Blatt im Land berichtete über den plötzlichen Tod von Adam Cooper, den erfolgreichen Geschäftsmann, den Tycoon, den Milliardär. Linda jedoch dachte an den Ehemann und Vater Adam Cooper.

Ihren Vater.

Sie hatte ihn geliebt. Sie hatte auch Angst vor ihm gehabt, ihn manchmal sogar verachtet, dennoch hatte sie ihn, wie so viele junge Mädchen es mit ihren Vätern tun, auf ein Podest gehoben und zu ihm aufgesehen.

Schon als sie noch sehr klein war bemerkte sie, dass das Verhalten ihrer Mutter sich änderte, sobald ihr Vater nach Hause kam.

War Jo-Anne Cooper gerade noch liebevoll und fröhlich gewesen, sorgte allein die Anwesenheit ihres Mannes dafür, dass sie still wurde und bedrückt wirkte. Sie schien förmlich zu schrumpfen, als versuche sie, unsichtbar zu sein. Linda war fast sechs Jahre alt, als ihr klar wurde, warum das so war. An jenem Abend bekam sie das erste Mal mit, dass ihr Vater ihre Mutter schlug.

Sie hatten sich wie an fast jedem Abend zum Dinner im Esszimmer eingefunden, einem großen hellen Raum mit glänzendem Parkettboden, Perserteppichen, Mahagonimöbeln und geschmackvollen Antiquitäten. Hierbei handelte es sich um Erbstücke von Jo-Annes Vorfahren, zum Teil mehrere hundert Jahre alt und ausgesprochen wertvoll. Das einzige, was Linda zu dem Zeitpunkt über diese Bilder mit den verschnörkelten Goldrahmen, riesigen bemalten Vasen und zierlich wirkenden Vitrinen wusste, war, dass es ihr streng verboten war, sie auch nur zu berühren. Gerade anschauen durfte sie sie.

Das große Erkerfenster zeigte auf den kleinen Vorgarten hinaus, der im Licht der langsam untergehenden Julisonne aussah wie in Gold getaucht. Die wenigen Wolken schimmerten bewegungslos in altrosa, orange und hellgrau. Vögel flatterten zwitschernd von Ast zu Ast, ein Pärchen führte einen jungen Collie an der Leine spazieren und lachte vergnügt über seine tollpatschigen Bewegungen.

Jenseits des Fensters hätte die Stimmung nicht gegensätzlicher sein können. Adam war mürrisch und kurz angebunden. Selbst Linda, die anfangs fröhlich von ihren Erlebnissen berichtete hatte, verstummte bald, angesichts der Laune ihres Vaters. Jeder aß still vor sich hin. Linda warf vorsichtige Blicke zu ihren Eltern und freute sich auf das Ende der Mahlzeit.

Schließlich tupfte Adam sich den Mund mit der gestärkten Serviette ab und gab Martha, dem Hausmädchen, mit einer Handbewegung das Zeichen, dass der Tisch abgeräumt werden konnte. Linda wischte sich ebenfalls den Mund ab und legte die Serviette auf ihren leeren Teller.

Nachdem der Tisch abgeräumt war gab Adam Martha für den Rest des Abends frei und wartete, bis sie verschwunden war. Dann wandte er sich an seine Tochter.

„Geh auf dein Zimmer. Ich möchte mit deiner Mutter allein reden.“ Sein Ton duldete keinerlei Widerspruch.

Linda warf ihrer Mutter einen kurzen Blick zu. Jo-Annes Kopf war gesenkt, die Hände hatte sie auf ihrem Schoß ineinander verschränkt. Der zierliche Körper drückte Ergebenheit aus.

Linda stand auf, verließ gehorsam den Raum und schloss die Tür hinter sich. Sie ging jedoch nicht hinauf in ihr Zimmer, sondern blieb am Fuße der Treppe stehen und wartete. Sie wusste nicht genau worauf, doch irgendetwas – Neugier? Eine Ahnung? – hinderte sie daran, weiterzugehen. Stattdessen spitzte sie die Ohren.

Die Stimme ihres Vaters war zu hören. Er klang aufgebracht, wütend und regelrecht aggressiv. Sie konnte keine einzelnen Worte verstehen. Die Türen in der alten Villa waren solide gebaut und ließen kaum einen Ton nach außen dringen. Es klang dennoch beängstigend und Linda entfernte sich instinktiv ein wenig weiter von der Tür.

Ganz leise war ihre Mutter zu hören. Beschwichtigend, beruhigend, mit einem entschuldigenden Unterton. Dann wieder die Stimme ihres Vaters. Sie klang sarkastisch und gemein. Jo-Anne erwiderte etwas. Linda erkannte selbst durch die geschlossene Tür die Angst in der Stimme ihrer Mutter.

Und dann, so unerwartet wie ein plötzlich auftretendes Sommergewitter, ein kräftiger Schlag, ein Poltern, ein spitzer Schrei. Linda zuckte erschrocken zusammen und kauerte sich zitternd in die kleine Ecke unter der Treppe.

Sie hörte noch einen heftigen Schlag, einen weiteren Schrei, das Klirren von Porzellan und kurz darauf meinte sie, ein klägliches Wimmern zu vernehmen. Sie senkte den Kopf, kniff die Augen zusammen und presste die Hände fest auf ihre Ohren. Die Geräusche wurden so zwar noch leiser, doch nach wie vor hörte sie ihre Mutter schreien, vernahm die bedrohliche Stimme ihres Vaters, die noch lauter geworden war. Jedes Wort, das er sagte, schien von einem weiteren Schlag begleitet zu werden.

Irgendwann konnte Linda die angsterfüllten Schreie ihrer Mutter nicht mehr ertragen. Mit klopfendem Herzen kam sie vorsichtig aus ihrem Versteck und lief so schnell sie konnte die Treppe hinauf, verfolgt von den brutalen Geräuschen im Esszimmer, die wie ein Echo in ihrem Kopf widerhallten.

Kaum hatte sie ihr Zimmer betreten schlüpfte sie schwer atmend unter die Bettdecke. Dort blieb sie, zitternd, weinend und den schnellen Schlägen ihres Herzens lauschend, bis sie irgendwann schluchzend einschlief, ihren Lieblingsteddy fest an sich gepresst.

Jahre später hatte sie sich gefragt, warum sie an dem Abend nicht eingegriffen hatte. Weshalb war sie nicht zurück gegangen ins Esszimmer und hatte ihren Vater beschworen, aufzuhören?

Sie wusste es nicht. Schon früh hatte man ihr eingeimpft, dass sie sich nicht einzumischen hatte, wenn Erwachsene etwas besprachen oder auch stritten. Möglicherweise war es auch die intuitive Angst davor, ebenfalls Prügel zu beziehen.

Von dem Tag an jedenfalls beobachtete sie ihre Eltern genauer als vorher. Sie registrierte die blauen Flecken an den Armen und Beinen ihre Mutter, über die sie sich bis dahin nie Gedanken gemacht hatte. Linda war voller Mitgefühl für sie.

Als sie älter wurde, nahm sie jedoch immer mehr eine andere Haltung ein. Ihre Mutter war schwach. Warum wehrte sie sich nicht? Wieso um alles in der Welt ließ sie sich diese Misshandlungen gefallen? Linda konnte das passive und duldsame Verhalten ihrer Mutter nicht begreifen und begann, sie für ihre Schwäche und Willenlosigkeit immer mehr zu verachten.

Ich werde mir so etwas nie gefallen lassen, schwor sie sich. Niemals!

Zu seiner Tochter war Adam Cooper nie anders als liebevoll und fürsorglich. Sie bekam alles, was sie sich wünschte. Bereits mit vier Jahren hatte sie Berge von Spielzeug und immer die hübschesten und modernsten Kleider, Schuhe und Taschen. Fast täglich brachte er ihr ein neues Geschenk mit.

Adam hatte nie viel Zeit für die Familie, da er hart arbeitete. Selbst an den Wochenenden verschwand er häufig für einige Stunden im Büro. Zudem war er beruflich oft auf Reisen. Der Aufbau von Hotels in Florida und Kalifornien, Spielcasinos in Las Vegas und Autofabriken in Detroit nahm eine Menge Zeit in Anspruch.

Linda war beinahe elf Jahre alt als sie an einem heißen Sommertag begriff, dass nicht die Arbeit allein ihren Vater veranlasste, viel Zeit im Büro zu verbringen. An diesem frühen Abend im Juni besuchte sie ihn dort spontan, da sie bei einer Schulkameradin in der Nähe gewesen war und hoffte, ihr Vater könne sie in seinem Jaguar nach Hause mitnehmen.

Sie fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in den 45. Stock, passierte eine Glastür und wandte sich dann nach rechts, wo das Büro ihres Vaters lag. Das Vorzimmer war leer, worüber sie sich aber nicht wunderte. Es war bereits nach sechs Uhr, sämtliche Angestellten waren auf dem Weg nach Hause.

Sie durchquerte das Vorzimmer und ging am Schreibtisch der Empfangssekretärin vorbei zum Büro ihres Vaters, als sie merkwürdige Geräusche hörte. Ein Stöhnen und Keuchen.

Linda erschrak und blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. War ihr Vater gestürzt? Hatte er sich verletzt? Sie wollte gerade nach ihm rufen als sie eine heisere Frauenstimme hörte: „Oh Gott, Adam! Ja! Jaa!“

Vorsichtig schlich Linda näher und spähte durch die angelehnte Tür. Ihr Vater stand etwa drei Meter von ihr entfernt mit heruntergelassenen Hosen vor seinem gewaltigen Schreibtisch. Um seine Hüften schlangen sich zwei schlanke Frauenbeine, die genauso rhythmisch zuckten wie der Hintern ihres Vaters. Er stöhnte laut und warf den Kopf zurück. Seine Bewegungen wurden schneller, das Keuchen aus beiden Kehlen lauter.

Lindas Magen hob sich, sie musste würgen. Leise, die Augen vor Entsetzen geweitet und beide Hände vor den Mund gepresst, wandte sie sich ab und verließ fluchtartig das Büro. Im Fahrstuhl nach unten musste sie sich festhalten, weil ihre Beine zitterten, doch die Welle der Übelkeit ließ langsam nach.

Sie ging den weiten Weg nach Hause. Die ganze Zeit, während sie mechanisch Fuß vor Fuß setzte, dachte sie darüber nach, was sie gesehen hatte. Aufgeklärt war sie bereits. Doch sie hatte sich die körperliche Liebe immer völlig anders vorgestellt, zärtlich und schön. So wie in den Liebesfilmen, die sie heimlich sah. Das, was ihr Vater und seine Sekretärin taten, fand sie dagegen ekelhaft. Geradezu abstoßend.

Dann überlegte sie, ob ihr Vater in seine Sekretärin verliebt war. Würde er ihre Mutter für sie verlassen? Und was würde das für sie selbst bedeuten? Einen Umzug? Eine Stiefmutter?

Nichts dergleichen geschah. Linda fand bald heraus, dass Adam Cooper es generell mit der ehelichen Treue nicht sehr genau nahm. An der Situation zu Hause änderte sich dadurch nichts.

Linda behielt ihre Kenntnisse für sich. Sie fand, das ging niemanden etwas an. Auch mit ihrer Mutter sprach sie nie über das, was sie über deren Ehe wusste.

In den letzten Jahren ihres kümmerlichen Lebens war Jo-Anne nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst. Sie magerte immer mehr ab und bekam einen verbitterten Zug um den Mund. Vor etwas mehr als einem Jahr war sie schließlich gestorben.

„Es war ihr Herz“, sagten die Ärzte.

Ja, das ist richtig, hatte Linda damals gedacht. Ihr Herz ist gebrochen. Mein Vater hat es zerstört.

Obwohl sie sich über ihren Vater in persönlicher Hinsicht keinerlei Illusionen machte bewunderte sie ihn grenzenlos, wenn es um das Geschäft ging. Während der Ferien und nach Beendigung ihrer Ausbildung am College nahm er seine Tochter unter seine Fittiche und brachte ihr alles bei, was er wusste. In vielen Dingen war sie ihm ähnlich: Sie war unwahrscheinlich ehrgeizig und hatte den richtigen Riecher für Erfolg versprechende Projekte.

In den letzten paar Jahren hatte Adam ihr immer mehr die Verantwortung für sein gewaltiges Unternehmen übertragen und sie hatte sich der Herausforderung gestellt und bewiesen, dass sie sein Vertrauen rechtfertigte. Oft genug hatte er ihr gesagt, wie stolz er auf sie war und auf das, was sie geleistet hatte.

Sie lehnte sich zurück, sah das Foto von ihm an, das auf ihrem Schreibtisch stand und verschränkte locker die Hände in ihrem Schoß.

„Du hast mich verdammt früh allein gelassen, Vater“, murmelte sie halblaut und strich sich eine Strähne ihres schwarzen glatten Haares hinter das Ohr. „Ich werde alles tun, um dich nicht zu enttäuschen, aber ein bisschen länger hättest du schon noch an meiner Seite bleiben können.“ Sie seufzte tief und lang anhaltend.

Die Obduktion hatte ergeben, dass Adam Cooper nach dem Genuss von etwa einer Flasche Rotwein versehentlich die Treppe in seiner Villa herabgestürzt war. Am nächsten Morgen hatte das Hausmädchen ihn leblos und merkwürdig verkrümmt auf dem Boden vor der Treppe gefunden. Er hatte sich das Genick gebrochen.

Und am kommenden Donnerstag sollte er beigesetzt werden.

Linda schloss die Augen. Zum wiederholten Mal dachte sie daran, was sie getan hatte, während ihr Vater in den Tod gestürzt war.

Sie war eigentlich mit ihm zum Abendessen verabredet gewesen, doch sie hatte ihm abgesagt und stattdessen eine leidenschaftliche Nacht mit Henry Parker verbracht.

Wenn ich die Verabredung eingehalten hätte, würde Vater vermutlich noch leben, dachte sie schuldbewusst. Schließlich schlug sie die Augen wieder auf, setzte sich gerade hin und straffte die Schultern.

Es war tragisch, aber nicht zu ändern. Und es hatte kein Sinn, sich mit Vorwürfen zu überschütten. Sie würde jetzt an Adams Stelle weiter machen, so, wie er es gewollt hätte. Die Verantwortung, die auf ihren 25jährigen Schultern lastete, schreckte sie nicht. Sie wusste, dass sie es schaffen würde.

Während sie auf ihre goldene Dior-Armbanduhr sah drückte sie die Taste, die sie mit ihrem Vorzimmer verband.

„Susan, ist Mr. Lancaster schon da?“

„Nein, Miss Cooper. Noch nicht.“

„Schicken Sie ihn rein, sobald er kommt.“

„Selbstverständlich, Miss Cooper.“

Linda ließ die Taste los und sah aus dem Fenster. Charles Lancaster war Filmproduzent und ein alter Bekannter ihres Vaters. Auch Adam hatte sich manchmal an Filmproduktionen beteiligt, und das Projekt, wegen dem Charles Lancaster einen Termin mit ihr vereinbart hatte, schien rentabel zu sein. Er hatte zumindest behauptet, Steve-Conelly-Filme wären immer rentabel. Linda hatte diesen Namen zwar noch nie gehört, wusste aber, dass sie sich in diesen Dingen voll und ganz auf Charles verlassen konnte. Heute wollten sie die finanziellen Einzelheiten besprechen.

Das Telefon klingelte, sie hob den Hörer ab. „Ja?“

„Mr. Parker ist auf Leitung eins.“

Linda seufzte. „Also gut, stellen Sie ihn durch. Aber geben Sie mir trotzdem gleich Bescheid, wenn Mr. Lancaster erscheint.“

„Natürlich, Miss Cooper.“

Lindas Fingernägel trommelten auf die Schreibtischplatte. Es klickte in der Leitung.

„Hallo Henry.“

„Guten Morgen, Liebling. Ich habe gerade gehört, was passiert ist. Es tut mir schrecklich leid.“

„Danke. Nett, dass du dich meldest.“

„Wie geht es dir denn?“

„Ach, inzwischen ganz gut. Ich war am Wochenende in den Hamptons. Dort kann ich am besten zur Ruhe kommen. Ich musste eine Weile für mich sein.“

„Verständlich. Wann ist die Beerdigung?“

„Am Donnerstag. Wo bist du jetzt?“

„In Chicago. Noch bis zum Wochenende. Hier ist ein Kongress, über den ich berichte. Ich hab dir doch davon erzählt.“

Sie hörte Stimmengewirr und Telefonklingeln im Hintergrund. Vermutlich rief er aus der Hotelhalle an.

„Ja, richtig.“

„Ich kann deshalb nicht früher weg“, bedauerte Henry. „Es tut mir ehrlich leid, dass ich jetzt nicht bei dir sein kann.“

Linda drehte die Augen zur Decke. „Das ist schon in Ordnung, Henry. Es geht mir ganz gut, wirklich.“

Das vereinbarte Signal ertönte. Charles Lancaster war eingetroffen.

„Hör zu, ich habe jetzt eine wichtige Besprechung“, sagte sie kurz angebunden. „Am Wochenende melde ich mich bei dir.“

„Schön. Ich freue mich auf dich.“

„Bis dann.“

Sie legte auf und seufzte leise. Henry Parker. Sie hatte ihn vor drei Monaten anlässlich eines Interviews kennen gelernt, das er mit ihr für seine Zeitung geführt hatte. Die Finanzwelt wollte, so die zuständige Redakteurin, die Tochter und spätere Nachfolgerin von Adam Cooper näher kennen lernen. Linda war nicht begeistert gewesen, doch ihr Vater hatte ihr zugeredet.

„Mach das, Engel. Das kann durchaus nützlich sein“, hatte er ihr zugeredet. „Sei einfach du selbst.“

Und wie üblich war sie seinem Rat gefolgt.

Das Interview fand eines Vormittags in ihrem Büro statt. Es war unspektakulär. Ein vollbärtiger Fotograf machte einige Bilder von ihr an ihrem Schreibtisch und der Journalist stellte mehrere Fragen zu ihrer Person und ihrem Werdegang.

Henry Parker war auffallend attraktiv, ausgesprochen freundlich und intelligent. Linda gefielen sein kurzes schwarzes Haar, sein markantes Gesicht und sein warmes Lächeln.

Sie hatten sich gut verstanden, waren nach dem Interview gemeinsam essen gegangen und bereits nach kurzer Zeit hatte sie sich auf ihn eingelassen. Er war ein unersättlicher und raffinierter Liebhaber und sie genoss die unbeschwerte Zeit mit ihm. Zunächst.

Inzwischen langweilte er sie. Es war mit ihm so wie mit den Jungs vom College, mit denen sie kurze Beziehungen gehabt hatte; sie verliebten sich in sie, taten alles, um ihr zu gefallen und eben das gefiel ihr nicht.

Sie wollte einen Mann, der seinen eigenen Kopf hatte, der selbstbewusst war und ihr die Stirn bieten konnte. Jemanden, der stark war. Nicht schwach wie ihre Mutter.

Diese Voraussetzungen erfüllte Henry Parker nun einmal nicht. Wenn er zurück nach New York kam würde sie ihm klarmachen müssen, dass die Geschichte zwischen ihnen zu Ende war.

Als Jasmin die Wohnungstür aufschloss kam ihr ein leicht muffiger Geruch entgegen.

„Ben, bist du da?“ rief sie.

Keine Antwort. Vermutlich war er bereits auf dem Weg zur Probe. Jasmin zog ihren braunen Stoffmantel aus und hängte ihn und ihre Handtasche an die Garderobe.

Als sie das schmutzige Frühstücksgeschirr in der Küche, die Kleidungsstücke auf dem Boden des Schlafzimmers und das zerwühlte Bett sah runzelte sie verärgert die Stirn. Dass Ben es aber auch nie schaffte, die Wohnung ordentlich zu hinterlassen. Sein Hang zur Unordnung vertrug sich so gar nicht mit ihrer Ordnungsliebe und war der einzige wirklich wunde Punkt in ihrer ansonsten meist harmonischen Beziehung.

Immerhin wusste sie jetzt, womit sie sich am besten würde ablenken können. Sie öffnete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen und begann, Bens Hosen, Socken und T-Shirts vom Boden aufzuheben.

Wenn du nicht bald ordentlicher wirst, Benjamin Summers, überlege ich mir das mit der Hochzeit noch mal, dachte sie grimmig.

Am Silvesterabend, kurz nach Mitternacht, hatte Ben sie auf der Dachterrasse ihrer Eltern gebeten, seine Frau zu werden. Es war zwar eisig kalt aber auch sehr romantisch gewesen, denn während er ihr den Antrag machte fielen dank der Feuerwerksraketen Sterne und bunte Lichter vom Himmel.

Er hatte so schüchtern und verlegen gewirkt, erinnerte sie sich lächelnd. Ständig war er sich mit der Hand durch die blonden Haare gefahren, und als sie ihm glücklich um den Hals gefallen war hatte sie an seiner Erleichterung gemerkt, wie aufgeregt er gewesen war.

Nachdem sie das Bett gemacht und abgewaschen hatte nahm sie ein Staubtuch und begann, die Bilder auf dem Kaminsims abzustauben. So richtig ablenken konnte das Aufräumen und Putzen sie jedoch nicht. Ständig fiel ihr Blick auf das Telefon, das beharrlich schwieg. Das einzige Geräusch kam vom Ticken der Uhr an der Wand, ein Ton, der ihre Nervosität noch steigerte. Sie stellte das Radio an, nicht zu laut, damit sie keinesfalls das Klingeln des Telefons überhörte.

David, ruf endlich an! dachte sie entnervt. Ich halte diese Ungewissheit nicht mehr aus!

Das Staubtuch fuhr über das Bild ihres älteren Bruders. Wieder einmal staunte sie über die Ähnlichkeit, die Jonathan und sie aufwiesen. Beide hatten sie kastanienbraunes Haar und große dunkle Augen. Wenn sie lächelten sahen sie beinahe wie Zwillinge aus, dabei war Jonathan drei Jahre älter als sie.

Er war siebenundzwanzig und stand kurz vor dem Abschluss seines Jurastudiums. Seit er in Harvard studierte hatten sie wenig Kontakt. Ihr letztes Telefonat war allerdings erst wenige Tage her. Jonathan hatte angerufen, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Es war ein Gespräch gewesen, wie es zwischen ihnen typisch war.

„Alles Gute zum Geburtstag, du alte Schachtel!“

„Sehr witzig. Aber trotzdem danke, du Greis.“

„Immerhin sehe ich jünger aus als du“, hatte Jonathan behauptet.

„In deinen Träumen!“ hatte sie lachend erwidert. „Kämmst du dir die Haare eigentlich schon nach vorn auf die hohe Stirn?“

Gelächter war an ihr Ohr gedrungen. Er hatte gut lachen, denn sein Haar war nach wie vor üppig.

„Wie geht’s Mom und Dad?“

„Bestens, wie immer. Und was treibst du so?“

„Na, was wohl?“ stöhnte er. „Lernen, lernen und dann noch ein wenig lernen.“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Eine faule Socke wie du? Mich wundert, dass sie dich überhaupt in Harvard zugelassen haben.“

„Mit jedem Jahr, das du älter wirst, wirst du frecher“, beschwerte sich ihr Bruder. Jasmin überhörte den Vorwurf, aber nur, weil sie ihm ihre Neuigkeiten erzählen wollte. Sie ließ sich auf die Couch fallen, strich ihre widerspenstige Haarsträhne hinter das rechte Ohr und legte die Füße hoch.

„Brüderchen, stell dir vor, Ben und ich sind verlobt!“

„Gratuliere! Hat er sich endlich getraut, dich zu fragen?“

„Oh ja“, lächelte sie verträumt. „Es war sehr romantisch.“

„Ich freue mich für euch. Wann wollt ihr heiraten?“

„Das wissen wir noch nicht genau. Vielleicht im Herbst.“

„Da möchte ich auf jeden Fall dabei sein.“

„Na gut, dann schicken wir dir eben doch eine Einladung“, grinste sie.

Er tat empört. „Ziege!“

Dann berichtete sie ihm von dem Vorsprechen.

„Mein Agent hat mir einen Castingtermin besorgt für die weibliche Hauptrolle im neuesten Steve-Conelly-Film. Ich bin jetzt in der Endauswahl. Nächste Woche ist das entscheidende Vorsprechen. Drück mir bitte die Daumen.“

„Ja, klar. Und was für ein Film soll das sein?“

„Eine romantische Komödie. Ich bin total nervös.“

„Du schaffst das schon. Ich denk an dich. Sag mir Bescheid, wie es gelaufen ist.“

„Klar, mach ich.“

„Sorry, aber ich muss Schluss machen, die Vorlesung fängt in zehn Minuten an. Liebe Grüße an Mom und Dad. Und dir viel Glück, Kleine!“

Als sie gerade das Waschbecken im Badezimmer schrubbte klingelte das Telefon. Für einen Moment blieb Jasmin das Herz stehen. Sie hielt mitten in der Bewegung inne und sah kurz in den Spiegel.

„Okay“, murmelte sie, „dies ist die Stunde der Wahrheit.“

Sie atmete tief durch und eilte ins Wohnzimmer, wobei sie sich die Gummihandschuhe von den Händen streifte. Ihre Hand zitterte leicht, als sie nach dem Hörer griff.

„Hallo?“

„Jasmin, hier ist David.“

„David! Na endlich!“

„Ed Carpenter hat angerufen“, berichtete David.

Ed Carpenter war der Leiter des Castings. David fuhr fort. „Sag mal, raucht der Mann Kette? Seine Stimme klang heute noch schlimmer als sonst, als müsste sie dringend geölt werden.Verglichen mit ihm steht Joe Cocker noch vor dem Stimmbruch. “

Jasmin setzte sich vorsorglich auf einen Sessel.

„Keine Ahnung. Jetzt sag schon, David. Hab ich die Rolle?“

Das Café Condesa in Greenwich Village war ein kleines, kubanisch angehauchtes Café, in dem es mittags eine große Auswahl an köstlichen Omelettes gab und außerdem die besten Weine. Anne Tyler liebte dieses Café besonders wegen der leckeren Salate. Sie und Leon aßen häufiger hier.

Ihre Füße wippten im Rhythmus der karibischen Musik während sie auf ihre Tochter wartete. Jasmin hatte vor einer halben Stunde angerufen und sie gebeten, sich mit ihr zu treffen. Sie habe interessante Neuigkeiten hatte sie gesagt.

Nach zehn Minuten und einem heißen starken Kaffee sah Anne ihre Tochter vor der Eingangstür aus einem Taxi steigen. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt und trug ihren langen braunen Mantel. Um den Hals hatte sie sich gegen die Kälte einen dicken roten Schal geschlungen, so groß, dass er aussah wie ein kommunistisches Statement.

Als sie durch die Eingangstür trat sah sie sich suchend um, bis sie ihre Mutter entdeckte. Sie trat auf ihren Tisch zu, beugte sich zu Anne hinab und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Hi Mom. Schön, dass du Zeit hattest.“

„Die habe ich mir gern genommen. Aber nun setz dich hin und sag mir, was los ist. Ich platze gleich vor Neugier.“

Jasmin hing seelenruhig ihren Mantel und den Schal an den in der Nähe stehenden Garderobenständer. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer Mutter um. „David hat vor einer halben Stunde angerufen“, sagte sie betont beiläufig.

„David?“

„Jasmin rollte mit den Augen. „Mein Agent! Es geht um die Rolle in dem Steve-Conelly-Film.“

„Oh ja, richtig.“ Annes Augen wurden größer. Gespannt sah sie zu ihrer Tochter auf, die immer noch neben dem Tisch stand. „Und? Was hat er gesagt? Hast du die Rolle?“

Jasmin behielt ihren ernsten Gesichtsausdruck noch einen kurzen Moment bei, doch dann hielt sie die Maskerade nicht mehr durch und strahlte über das ganze Gesicht. „Ich habe die Rolle!!“

Mit einem spitzen Schrei sprang Anne auf und nahm sie in die Arme. Beide kreischten vor Freude, doch als sie die vielen anderen Gäste bemerkten, die sich mit missbilligenden Blicken zu ihnen umgedreht hatten, dämpften sie rasch die Lautstärke und setzten sich hin.

„Das ist großartig, Engel“, jubelte Anne. „Ich freue mich ja so für dich!“ Sie winkte dem Ober. „Zwei Gläser Champagner, bitte.“ Und an Jasmin gewandt: „Das muss begossen werden! Und jetzt erzähl!“

Jasmin lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Ich hatte den Text so intensiv gelernt, dass ich ihn sogar aufsagen könnte, wenn du mich aus der Tiefschlafphase holen würdest“, behauptete sie. „Trotzdem hatte ich total weiche Knie, als es endlich soweit war. Ich habe mich so gut ich konnte in die Figur hineinversetzt, habe versucht, an alles zu denken, was ich auf der Schauspielschule gelernt habe. Es hat auch gut geklappt. Anschließend waren die anderen Mädchen dran und für mich hieß es warten. Ich fuhr also nach Hause und wartete auf Davids Anruf.“

Der Ober brachte den Champagner. Sie prosteten sich lächelnd zu und tranken.

„Als er endlich anrief erzählte er, Ed Carpenter hätte ihm gesagt, ich wäre genau das, was sie gesucht hätten“, fuhr Jasmin strahlend fort. „Sie sind sicher, ich bin die perfekte Besetzung für die Rolle. Laut David wollen sie jemanden mit Pfeffer im Hintern.“ Sie grinste über das ganze Gesicht.

„Übersetzt heißt das, jemanden mit Temperament, stimmt’s?“ fragte Anne leicht irritiert.

„Genau.“ Jasmin nickte. „Ich wäre vor Glück und Stolz fast geplatzt.“

„Das kann ich mir vorstellen!“ lachte Anne.

Ihre Tochter atmete tief durch und lächelte selig vor sich hin. „Für das kommende Wochenende ist eine Besprechung angesetzt worden. Bei der Gelegenheit soll das Team sich kennen lernen. Wir treffen uns bei George White, einem der Geldgeber. Es kommen die Leiter des Castings, die Haupt- und Nebendarsteller, der Regisseur, die Produzenten, Autoren und so weiter.“

Ihre Augen funkelten. „Stell dir vor, ich lerne Steve Conelly kennen! Und mein Filmpartner ist Tom Becker. Er war bereits für einen Oscar nominiert. Ich bin ja so aufgeregt!“

„Tom Becker?“ fragte Anne begeistert. „Oh, den mag ich gern. Er ist soo männlich.“

Jasmin nickte grinsend. „Stimmt. Er ist aber auch soo schwul.“

„Das ist nicht wahr!“ Anne starrte sie entgeistert an.

„Doch. Zumindest geht in der Branche dieses Gerücht um.“ Sie strahlte immer noch. „Ich freue mich ja so! Schon Mitte Februar beginnen die Dreharbeiten.“

„In Hollywood?“

„Ja, die Studio- und einige Außenaufnahmen. Aber wir drehen auch in Europa.“

Sie trank noch einen Schluck Champagner und verschluckte sich fast vor Aufregung. „Ich werde nach London und Rom fliegen, ist das nicht einfach irre?“

Anne musste lachen. „Wie schön, dass du dich trotz deiner Flugangst darauf freust. Ich beneide dich. Ich war noch nie in Europa.“ Dann fügte sie hinzu. „Da wirst du ziemlich oft weg sein. Was sagt Ben denn dazu?“

Jasmin lehnte sich wieder zurück und seufzte. „Na ja, begeistert wird er sicher nicht sein. Aber er weiß ja, wie das ist. Schließlich ist er hin und wieder auf Theatertournee. Dann ist er manchmal für sechs bis acht Wochen unterwegs, je nachdem, wie gut das Stück ankommt.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem werden wir hauptsächlich während der Woche drehen. An den Wochenenden kann ich bestimmt nach Hause fahren. Zumindest, solange wir in den Staaten sind.“

Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt, selbst davor hatte sich eine gewaltige Menge versammelt: Bewunderer, Schaulustige, Reporter, Fernsehteams.

Adam Coopers Sarg war geschlossen und mit roten Rosen und weißen Nelken geschmückt. Ein großes Bild von ihm stand seitlich im Altarraum, flankiert von mehreren dicken weißen Kerzen. Auf dem Bild sah er so stark und gesund aus, dass er beinahe präsent wirkte. Es kam Linda vor, als würde er sie ansehen und ihr Mut zusprechen.

Der Gottesdienst war würdevoll. Der Pfarrer berichtete von Adams Anfängen, von der Zeit, als er in den frühen fünfziger Jahren jede Gelegenheit genutzt hatte, um sich beruflich zu etablieren. Adam kam aus eher ärmlichen Verhältnissen und hatte schon früh beschlossen, diesen zu entkommen und ein reicher Mann zu werden.

„Der junge Adam Cooper war ausgesprochen einfallsreich“, erzählte der Geistliche. Seine sonore Stimme hallte vernehmlich durch das Kirchenschiff, so dass auch die Zuhörer in den letzten Reihen jedes Wort verstehen konnten.

„Er bot seine Dienste als Fensterputzer an, schwatzte seinen Kunden dabei Dinge ab, die sie nicht mehr benötigten, restaurierte und verkaufte sie. Mit zwanzig Jahren machte er sein erstes eigenes Geschäft auf, bereits mit fünfundzwanzig war er Besitzer einer erfolgreichen Ladenkette und gründete bald darauf eine Familie mit der jungen Jo-Anne Mitchell. Mit Mut, Entschlossenheit und ungewöhnlichem Ehrgeiz wurde er immer erfolgreicher, bis er schließlich zu einem angesehenen Bürger New Yorks avancierte, der sich sehr für wohltätige Zwecke engagierte und mehrere Stiftungen ins Leben rief.“

Der Pfarrer sah nun zu Linda.

„Adam Cooper wird dieser Gemeinde zweifellos sehr fehlen. Doch in seiner Tochter hat er eine Nachfolgerin, die ihrem Vater sicher das Wasser reichen kann und genau wie alle, die heute hier sind, sein Andenken stets in Ehren halten wird.“

Linda schluckte, nickte dem Pfarrer kurz zu und senkte den Kopf.

Edward I. Koch, der amtierende Bürgermeister von New York, sprach ebenfalls ein paar bewegende Worte. Er betonte, wie freundlich, großherzig und überaus beliebt der Verstorbene gewesen war.

Seine brutale, herrschsüchtige und betrügerische Seite hat er nur der Familie offenbart, dachte Linda zynisch.

Nach dem Gottesdienst stand sie mit den engsten Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern ihres Vaters auf dem Friedhof. Es war Zeit, endgültig Abschied zu nehmen.

Es war klirrend kalt und windstill an diesem Januartag. Das tiefe Blau des Himmels wurde nur durch wenige kleine Wolken unterbrochen. In der Nacht zuvor hatte es erneut geschneit und die Grabsteine, Bäume und Büsche auf dem Friedhof hatten dicke Mützen aus Watte auf. Einige übermütige Sperlinge hinterließen kleine, kaum sichtbare Spuren im Schnee, ein Eichhörnchen huschte lautlos einen Eichenstamm hinauf, ließ sich auf einem dicken Ast nieder und sah auf sie herab, doch Linda, in einem knielangen schwarzen Kleid und einem Nerzmantel, sah nichts davon, nahm ihre Umwelt kaum wahr.

„Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“ Der Pfarrer bekreuzigte sich und nickte ihr zu. Sie nahm eine Schaufel voll Erde und ließ sie auf den Sarg sechs Fuß unter ihr fallen. Dann steckte sie die Schaufel zurück und warf eine langstielige rote Rose in die Grube.

Gute Reise, Vater. Du wirst mir fehlen.

Mit gesenktem Kopf trat sie ein paar Schritte zurück. Ihre Augen waren während des gesamten Gottesdienstes trocken geblieben, was die anderen Trauergäste teils verwundert, teils missbilligend registriert hatten. Linda spürte die Blicke, wusste aber selbst nicht, warum sie nicht weinen konnte. Der Tod ihres Vaters traf sie tief, sie wusste, sie würde ihn vermissen, sehr sogar. Dennoch konnte sie keine Tränen vergießen.

Adams Sekretärin trat neben sie und berührte sie sacht am Arm. Mariah Moore war eine junge Schwarze, Mitte Zwanzig, schlank, hübsch anzusehen und kompetent. Das war der Typ Sekretärin, den Adam Cooper stets bevorzugt hatte.

Einmal hatte er unvorsichtigerweise einem Reporter gegenüber behauptet, er könne nur dann gut arbeiten, wenn seine Sekretärin eine Augenweide sei, weil ihn der Anblick eines knackigen Hinterns, eines üppigen Dekolletés und langer Beine inspirieren und zu Höchstleistungen anspornen würde.

Die allgemeine Empörung nach Veröffentlichung dieser Aussage war erdbebengleich gewesen. Sämtliche Frauenrechtlerinnen waren auf die Barrikaden gegangen und die Presse hatte ihn unbarmherzig angegriffen, bis Adam Cooper öffentlich die Aussage widerrief. Zudem hatte er unauffällig für die sofortige Entlassung des Reporters gesorgt.

Linda erwiderte Mariahs Blick und lächelte vage. Mariah sah sie besorgt an. „Geht’s Ihnen gut, Miss?“

„Ja, danke, Mariah. Es wird schon wieder.“

„Natürlich. Sie sind stark. Sie schaffen das.“

Adams Sekretärin lächelte sie ermutigend an. Da ihr Chef verstorben war gab es für sie - abgesehen von der Abwicklung und Verteilung der laufenden Projekte - nichts mehr zu tun.

Linda selbst und der stellvertretende Geschäftsführer Harvey Daniels hatten ihre eigenen Sekretärinnen und keine Verwendung für eine weitere. Sämtliche adäquaten Stellen in der Firma waren derzeit besetzt.

Doch Linda hatte sich umgehört und eine gute Stellung bei einem befreundeten Immobilienmakler gefunden, der seine Büros ebenfalls im Nordturm des Trade Centers unterhielt. Ab dem nächsten Monat würde Mariah Moore bei ihm arbeiten.

Nach der Beisetzung und den Beileidsbekundungen trafen sich die Trauernden in einem Restaurant. Adam hatte, abgesehen von Linda, keinerlei Familie, so dass die Gemeinschaft, die sich in dem separaten Raum traf, hauptsächlich aus Geschäftspartnern, Freunden, Nachbarn und Politikern bestand. Alle waren inzwischen durchgefroren und freuten sich sichtlich, endlich ins Warme zu kommen.

Nach dem Essen kam Mariah Moore zu Linda und verabschiedete sich.

„Nochmals vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben, eine Stellung zu finden, Miss Cooper. Das war wirklich sehr anständig von Ihnen.“

Linda lächelte ihr freundlich zu. „Das habe ich gern gemacht, Mariah. Schließlich sind Sie eine sehr gute Kraft. Es war nicht schwierig, etwas Passendes für Sie zu finden. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

Mariah drückte ihre Hand. Sie hatte Tränen in den Augen. „Das wünsche ich Ihnen auch, Miss Cooper. Auf Wiedersehen.“

Als die Gesellschaft sich aufgelöst hatte ließ Linda sich zu der Villa fahren, die jetzt ihr gehörte, in der sie jedoch schon lange nicht mehr lebte. Sie wohnte inzwischen allein in einer schönen Penthousewohnung in der Nähe der Fifth Avenue.

Langsam schritt sie durch alle Räume des großen Hauses. Ihr früheres Zimmer war nach ihrem Auszug in ein weiteres Gästezimmer umgewandelt worden. Hier gab es nichts, was an ihre Kinderzeit erinnerte. In der geräumigen Küche aber musste sie lächeln. Als Kind hatte sie viel Zeit hier verbracht und der Köchin Sophia, einer resoluten und barschen Spanierin mit goldenem Herzen, bei der Arbeit zugesehen. Ihre geringen Kochkenntnisse und die paar Brocken Spanisch, die Linda beherrschte, hatte sie von ihr gelernt.

Als sie im Esszimmer stand hatte sie das Gefühl, wieder die wütende Stimme ihres Vaters und die ängstlichen Schreie ihrer Mutter hören zu können. Sie rieb sich die Arme und runzelte unwillig die Stirn. Das war nun endgültig vorbei. Wahrscheinlich würde sie die Villa und viel von der Einrichtung verkaufen. Sie hing nicht daran.

Als sie bald darauf die Tür zu ihrer eigenen Wohnung aufschloss atmete sie erleichtert durch, zog ihren Mantel und die Schuhe aus und ließ sich in ihren altmodischen Ohrensessel fallen, der herrlich gemütlich war und mit dem passenden großen Fußhocker direkt vor dem Wohnzimmerfenster stand. Hier saß sie so oft es ihr möglich war und blickte auf die vielen Hochhäuser und das kleine Stück vom Himmel, das sie sehen konnte.

Auch jetzt schaute sie aus dem Fenster, nahm jedoch nichts von dem wahr, was jenseits der Glasscheibe zu sehen war. Sie dachte an ihre Eltern. An ihre traurige, schwache Mutter und ihren brutalen, aber erfolgreichen Vater. Sie waren nicht mehr da. Innerhalb von eineinhalb Jahren hatten beide sie verlassen. Sie war völlig allein. Ganz und gar auf sich gestellt.

Linda spürte ihre Augen feucht werden und kurz darauf kullerte langsam eine Träne ihre Wange hinunter. Dann noch eine und noch eine.

Endlich konnte sie weinen!

Sie zog die Beine an, schlang die Arme um die Knie und weinte, wie sie seit vielen Jahren nicht mehr geweint hatte.

In dem großen, im Art-Deco-Stil eingerichteten Wohnzimmer hatten sich an diesem Samstagabend Produzenten, Schauspieler, Drehbuchautoren und viele andere eingefunden, die auf die eine oder andere Weise an der Entstehung des neuesten Steve-Conelly-Films beteiligt waren. Jeder hatte ein Getränk in der Hand und plauderte angeregt.

Georges Whites Frau Katherine unterhielt sich mit Charles Lancaster und Tom Becker. Ihr herzliches Lachen drang durch das Stimmengewirr an Georges Ohr. Jedes Mal, wenn sein Blick auf Katherine fiel, lächelte er zufrieden. Trotz ihrer inzwischen vierundfünfzig Jahre war sie eine attraktive Frau. Sie war füllig – was er schätzte – und fast immer gut gelaunt. Seit mehr als dreißig Jahren waren sie ein Paar und verstanden sich noch immer hervorragend. George wusste, das würde auch so bleiben, bis der liebe Gott einen von ihnen zu sich holte.

Im Hintergrund spielte ein Pianist Songs von George Gershwin, Irving Berlin und Cole Porter, Georges bevorzugte Musik. Zufrieden sah er sich um und entdeckte Steve Conelly, der allein an der Bar stand, Bier trank und das Treiben um sich herum interessiert beobachtete.

Steve Conelly war für George ein Phänomen. Die Frauen liebten ihn, was nicht weiter verwunderlich war, denn er war sehr charmant und sah unverschämt gut aus.

Was George aber faszinierte war die Tatsache, dass es nicht einen einzigen Mann gab, der ihn nicht mochte. Er jedenfalls kannte keinen. Die Männer schätzten an ihm nicht so sehr seinen Charme sondern in erster Linie seine Ehrlichkeit und seinen Humor. George hatte in seinem Leben nur selten erlebt, dass andere Männer für einen Frauentyp, wie Steve es eindeutig war, in diesem Maße bewundernde Sympathie aufbrachten.

Er schlenderte hinüber zur Bar und begrüßte ihn.

„Guten Abend, Steve.“

„Hallo George. Nette Party.“ Steve stieß mit seinem Glas an das des Gastgebers und trank einen Schluck.

„Du siehst aber nicht gerade aus, als würdest du dich amüsieren“, konstatierte George, während er sein Rotweinglas an die Lippen hob.

„Ich habe einfach nur großen Hunger. Dann steht mir nicht der Sinn nach Konversation. Wann gibt es endlich etwas zu essen?“

Steve drückte seine freie Hand in den Magen und machte ein leidendes Gesicht.

„Es geht gleich los“, beruhigte ihn George mit einem kurzen Blick auf seine protzige Armbanduhr. „Es gibt Steaks, Hummer, Lachs, frisches Brot und verschiedene Saucen und Salate. Aber noch sind nicht alle Gäste da, du wirst dich also etwas gedulden müssen.“

Er zwinkerte Steve grinsend zu. „Geh einfach in die Küche und lass dir ein Stück Brot geben, wenn du nicht mehr warten kannst.“

„Danke“, lächelte Steve. „Ich überlege es mir. Wer fehlt denn noch?“

„Lass mich nachdenken…“ George blickte sich im Raum um.

„Ach ja, richtig, Linda Cooper fehlt noch, Adam Coopers Tochter. Adam war ein guter Freund von mir und auch von Charles. Charles erzählte mir, dass Linda auch ein paar Dollar in unseren Film investieren wird, sei also freundlich zu ihr.“

Steve sah ihn fragend an und George schüttelte fassungslos den Kopf. „Hast du denn noch nie von Adam Cooper gehört?“

Als er sah, dass Steve ratlos mit den Schultern zuckte gab er sich selbst die Antwort. „Natürlich nicht, du kommst ja von der Westküste und kennst nur alle aus dem Filmbusiness.“

Steve lächelte ihm zu. „Nicht alle“, schwächte er ab.

„Der Name Cooper kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber…“ Er schnalzte bedauernd mit der Zunge.

„Ihm gehörten jede Menge Hotels, Casinos und, und, und“, berichtete George.

Der Ton seiner Stimme senkte sich ein wenig, als er weiter sprach. „Vor etwa einer Woche ist er gestorben. Betrunken die Treppe heruntergefallen, wie man hört. Dabei trank er, soviel ich weiß, nicht viel.“ Er schüttelte betroffen den Kopf. Einen Moment wirkte er gedankenverloren, dann wandte er sich wieder Steve zu und fuhr fort.

„Tja, seine Tochter hat jedenfalls alles geerbt. Sie ist eine richtig gute Partie, mein Lieber. Und unverheiratet.“

„Hübsch?“ fragte Steve.

„Mir ist sie zu mager. Aber doch, sie ist eine attraktive Frau, keine Frage. Du wirst sie ja gleich kennen lernen. Oh, und dann fehlt noch die Kleine, die die weibliche Hauptrolle spielen soll, wie mir Ed Carpenter erzählte. Wie heißt sie noch? Jamie oder Janine Irgendwas – mir fällt der Name nicht ein.“

„Meinst du vielleicht Jasmin Tyler?“ erkundigte sich Steve. Auch er hatte bereits mit Ed gesprochen.

„Ja, genau! Tyler, Jasmin Tyler. Ich habe noch nie von ihr gehört. Vermutlich irgend so ein junges Starlet.“

„Jung ist sie, das stimmt“, bestätigte Steve und trank sein Glas leer. Sein Gesicht drückte Anerkennung aus als er fort fuhr. „Ich habe einen Film mir ihr in einer Nebenrolle gesehen und muss sagen, sie ist wirklich gut. Ich glaube, sie hat Potential.“

„Du musst es ja wissen“, lenkte George ein.

Seine Frau trat zu ihnen und George lächelte ihr zärtlich zu. Katherine drückte kurz seine Hand, dann wandte sie sich an Steve.

„Hier versteckst du dich, mein Junge! Ich habe schon nach dir gesucht.“ Sie breitete die Arme aus. „Nun nimm mich endlich in den Arm, wir haben uns ja ewig nicht gesehen.“

Steve lächelte und tat ihr den Gefallen. Er hatte Katherine White sehr gern, sie war die herzlichste Person, die er kannte.

„Wie geht es dir, Katie?“

„Oh, hör auf, mich so zu nennen, du weißt, ich hasse das. Aber danke der Nachfrage, es geht mir sehr gut. Obwohl ich es kaum erwarten kann, wieder nach Kalifornien zu kommen. Die Temperaturen hier sind einfach nichts mehr für mich und meine alten Knochen.“

Katherine und George lebten, seit sie im Ruhestand waren, viele Monate im Jahr in ihrem Haus in Santa Monica. George war früher Chefarzt in der Orthopädie des Mount Sinai Hospital gewesen und Katherine eine sehr erfolgreiche Anwältin. Inzwischen beteiligten sie sich finanziell an der schillernden Welt des Filmbusiness.

„Nun mal langsam, Katherine, du bist doch nicht alt“, widersprach Steve charmant. „Für deine vierzig Jahre siehst du noch sehr knackig aus.“

Katherine lachte herzlich. „Du bist unverbesserlich, mein Junge! Von niemandem lasse ich mich so gern auf den Arm nehmen wir von dir.“

Steve legte ihr den besagten Arm um die Schulter und drückte sie kurz an sich. George blickte zur Tür und bemerkte seinen neusten Gast.

„Ah, da ist Linda ja endlich. Ich gehe sie eben begrüßen. Katherine, du kommst doch mit? Und keine Angst, Steve, gleich gibt es etwas zu essen. Trink doch solange noch ein Bier, das füllt den Magen.“

Lachend wandte er sich der Eingangstür zu.

Katherine lächelte zu Steve hoch, der sie um einiges überragte. „Wir sprechen uns später, ja?“

„Gern“, nickte er und sah beiden lächelnd nach.

Er beobachtete, dass George eine schlanke junge Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren begrüßte und sie mit Katherine bekannt machte.

Linda Cooper war allem Anschein nach allein auf die Party gekommen. Ihr schwarzes Kleid mit dem leicht schwingenden Rock, der auf der Höhe ihrer Knie endete, betonte ihre schlanken Beine mit den rehartigen Fesseln.

Steve sah sie sich genauer an. Schrägstehende, ernste Augen, volle Lippen und ein charmantes Lächeln. Mimik und Gestik drückten Selbstbewusstsein aus. Ihre Bewegungen waren fließend und elegant wie die einer Tänzerin. Sie war zweifellos eine sehr schöne Frau.

Katherine redete gerade ernst und leise auf sie ein, vermutlich sprach sie ihr Beileid aus. Linda Cooper nickte und lächelte milde.

Der Pianist stimmte „It had to be you” an, als eine weitere Frau an der Seite eines unscheinbaren Mannes mit grauen Schläfen das Penthouse betrat. Bei dem Anblick ihres langen, glänzenden Haares musste Steve unweigerlich an eine Kastanie denken, die aus ihrer frisch geöffneten, stacheligen Schale lugte.

Obwohl er bereits einen Film mit Jasmin Tyler gesehen hatte und durchaus an schöne Frauen gewöhnt war schlug sein Herz bei ihrem Anblick ein paar Takte schneller. Sie war in natura noch hinreißender als auf der Leinwand. Ihre Augen waren dunkel und so strahlend, dass sie das lebhafte Gesicht dominierten. Ihr schön geschwungener Mund war ein klein wenig zu breit, die Nase zierlich. Sie erschien ihm nicht so mager wie viele andere Schauspielerinnen in ihrem Alter. Sie war zwar schlank, doch ihre Figur wirkte fraulich. Steve beobachtete sie gebannt. Seinen Hunger hatte er völlig vergessen.

Jasmin Tyler schien aufgeregt zu sein, sie schaute sich genau um und tuschelte dann mit dem Mann an ihrer Seite. Vermutlich war er ihr Agent. Beide lachten. Ihr Lachen war tief und fröhlich. Jetzt begrüßte George White seine neuesten Gäste und machte Jasmin und ihren Begleiter mit Linda Cooper bekannt. Die Frauen gaben sich die Hand und lächelten sich freundlich zu.

Während des Essens saß Linda zwischen einem der Autoren und dem Gastgeber. Sie trank einen Schluck von ihrem Chardonnay und stieß George White vorsichtig mit dem Ellenbogen an. Kauend wandte er sich ihr zu. „Hmm?“

„George, sag mir, wer ist der Mann dort drüben?“

Sie deutete mit dem Kinn unauffällig an das andere Ende des Tisches, wo ein großer, durchtrainiert wirkender Mann von etwa dreißig Jahren saß und sich lebhaft mit Jasmin Tyler unterhielt. Seine dunkelbraunen Haare waren ein wenig zu lang, was ihm zusammen mit dem Drei-Tage-Bart einen etwas verwegenen Anstrich gab. Die dunklen Augen im braun gebrannten Gesicht wirkten lachbereit und erschienen Linda ausgesprochen sexy. Vereinzelte Pockennarben auf seinen Wangen verhinderten, dass er zu gut aussah, machten sein Äußeres aber umso interessanter.

George folgte Lindas Blick und schluckte den Bissen, den er noch im Mund hatte, hinunter. Das Steak war perfekt gelungen und zerging ihm auf der Zunge.

„Wer das ist? Das ist Steve Conelly, der Regisseur. Habe ich euch noch nicht bekannt gemacht?“

„Nein, bedauerlicherweise nicht.“

„Ein großartiger Regisseur und ein wirklich feiner Kerl. Ich schätze ihn sehr.“

„Vielleicht stellst du ihn mir später vor?“ Ihre schmal gewordenen Augen waren nach wie vor auf Steve gerichtet.

George musterte sie und hob verstehend eine Augenbraue. „Ja, das sollte ich wohl tun“, nickte er.

Jasmins Unterhaltung mit Steve Conelly war ausgesprochen kurzweilig. Sie hatte bereits einige seiner Filme gesehen und bewunderte seine Arbeit sehr. Auf die Zusammenarbeit mit ihm war sie gespannt.

Er hatte das Drehbuch bereits vollständig durchgearbeitet und erzählte ihr einige wichtige Details, wobei er nicht mit amüsanten Kommentaren sparte. Dabei sah er ihr immer wieder ein paar Sekunden zu lange in die Augen.

Sie genoss es. Er war ein gut aussehender Mann und mit ihm zu flirten machte ihr Spaß. Sie mochte sein Lächeln. Es schien sein Gesicht von einem Moment zum anderen auf faszinierende Weise zu verändern.

So wie sich eine Landschaft verwandelt, sobald die Sonne aufgeht, dachte sie und wunderte sich im gleichen Moment über sich selbst. Solch lyrische Gedanken hatte sie sonst nie.

Fast unbewusst erwiderte sie Steves Blick und verspürte den Anflug eines schlechten Gewissens. Ben war im Theater und sie hatten sich vorhin noch geliebt. Aber egal! Dies war schließlich nur ein Flirt.

Sie stieß ihr Weinglas an seines und bemerkte ein beunruhigendes Kribbeln im Bauch als er sie anlächelte und ihr über den Rand seines Glases hinweg tief in die Augen sah.

Das Essen war mittlerweile beendet. Diskret umher huschende dienstbare Geister brachten die leeren Teller in die Küche oder schenkten Getränke nach.

Einige Leute saßen noch am Tisch, andere standen an der Bar oder hatten es sich in der eleganten Sitzgruppe bequem gemacht. Hier und da drehten sich Rauchsäulen mit eleganter Leichtigkeit in die Höhe. Vereinzeltes Lachen und lebhafte Unterhaltungen erfüllten die Luft und vermischten sich den gefühlvollen Klängen des Klaviers.

Jasmin sah sich leicht verwirrt um.

„Ich dachte, es ginge um eine geschäftliche Besprechung, als ich die Einladung zu diesem Dinner erhielt“, wunderte sie sich.

Steve lachte. „Oh, das ist auch eine“, bestätigte er vergnügt.

„Bei solchen Zusammenkünften wird mehr über das Geschäft geredet als in sämtlichen Studios und Büros der Welt. Es geht nur sehr viel zwangloser zu.“

Mit seinem Glas deutete er diskret auf Charles Lancaster, der sich mit George White unterhielt. „Da geht es gerade um Millionen, darauf wette ich.“

Sie folgte seinem Blick. Er hatte Recht, das Gespräch wirkte ernst. „Sieht tatsächlich so aus“, stimmte sie ihm zu.

„Tja“, sagte er lapidar, „so ist das bei diesen Partys. Sie werden sich mit der Zeit schon daran gewöhnen.“

Wieder warf er ihr diesen Blick zu, der die Schmetterlinge in ihrem Bauch Saltos schlagen ließ. Sie senkte den Blick und wurde nervös. Dieser Mann hatte eine unwahrscheinliche Ausstrahlung. Wenn er sie ansah gab er ihr das Gefühl, das hinreißendste Wesen auf der Erde zu sein.

Ganz ruhig, Jasmin! sagte sie sich. Dieses Gefühl gibt er mit Sicherheit noch sehr, sehr vielen anderen Frauen!

Sie zuckte kurz zusammen als sein Bein unter dem Tisch wie zufällig das ihre berührte. Ihr Herz klopfte schneller und eine eigentümliche Hitze stieg in ihr auf, die schließlich ihr Gesicht erreichte und ihm eine sanfte, hellrote Tönung verlieh.

George White stellte Steve und Linda einander vor.

„Steve, das ist Linda Cooper. Sie wird uns bei der Finanzierung des Films unterstützen. Linda, das ist Steve Conelly, der Regisseur. Du hast sicher schon von ihm gehört.“

Sie reichten sich die Hand und lächelten sich zu.

George zwinkerte Linda unauffällig zu. „Entschuldigt mich bitte, ich bin gleich wieder da.“ Im nächsten Moment war er verschwunden.

„Ich habe gerade von Ihrem schweren Verlust gehört“, sagte Steve. „Es tut mir sehr leid für Sie.“

Sie lächelte ein wenig gequält. „Vielen Dank.“

„Ihr Vater war eine Legende, sagt man. Und Sie treten jetzt sozusagen in seine Fußstapfen?“

„Das habe ich vor. Ich habe in den letzten Jahren viel von ihm gelernt und meine Arbeit macht mir großen Spaß.“

„Darauf kommt es an, denke ich“, nickte Steve. „Mit Spaß zu arbeiten. So geht es mir glücklicherweise auch. Ich liebe meinen Job und könnte mir nicht vorstellen, je etwas anderes zu machen.“

„Ich muss gestehen, dass ich von Ihrer Arbeit nicht sehr viel weiß“, gab Linda mit einem schüchternen Lächeln zu. „Ehrlich gesagt habe ich bisher keinen einzigen Ihrer Filme gesehen.“

„Ich bin schockiert“, grinste er. „Das wird sich aber hoffentlich ändern, wenn Sie sich an unserem neuesten Projekt beteiligen.“

Sie lächelte kokett. „Vermutlich.“

Für einen Moment trafen sich ihre Augen. Er bemerkte, dass die ihren von einem faszinierenden Grün waren.

Linda leerte ihr Glas und stellte es auf den Stehtisch neben ihr. „George hält große Stücke auf Sie, wissen Sie das? Auch Charles Lancaster betonte, dass Sie ein wirklich guter Regisseur sind. Ich habe sogar gehört, Sie werden mit Sicherheit der jüngste oscarpremierte Regisseur aller Zeiten sein.“

Steve musste lachen. „Wer sagt denn so etwas?“

„Das weiß ich nicht mehr.“ Linda schmunzelte. „Aber Ihre Filme sind bisher ziemlich erfolgreich gewesen, nicht wahr?“

Steve hielt nichts von falscher Bescheidenheit. „Das stimmt schon. Ich liebe meine Arbeit und ich denke, dass die Zuschauer das merken und entsprechend honorieren.“

Er machte eine kurze Pause, trank einen Schluck und sah sie lächelnd an. „Eine Oscar-Nominierung fehlt allerdings noch.“

„Die kommt bestimmt. Ich bin sicher, Ihre Frau ist sehr stolz auf Sie.“

Er hielt ihrem forschenden Blick stand. „Ich bin nicht verheiratet.“

„Na, dann ist eben Ihre Freundin sehr stolz.“

Steve lächelte still in sich hinein und sondierte unauffällig den Raum. Jasmin Tyler war nirgends zu sehen. Vermutlich war sie bereits gegangen. Bedauerlich.

„Eine Freundin gibt es zurzeit auch nicht“, sagte er und erwiderte ihren Blick.

Ein Kellner kam vorbei, in den Händen ein Tablett mit gefüllten Weingläsern. Linda hielt ihn mit einer kurzen Geste an, nahm sich ein volles Glas und bedeutete ihm dann mit einem Blick, dass er gehen könne. Er verschwand. Während Linda an ihrem Wein nippte ließ sie ihr Gegenüber nicht aus den Augen.

„Und was ist mit Ihnen?“ wollte Steve wissen. „Sind Sie verheiratet oder…?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nichts dergleichen.“ Ihre grünen Augen funkelten. Kurz musste sie an Henry Parker denken, aber wirklich nur sehr kurz.

Steve sah sie ernst an, nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es ab. Dann ergriff er ihre Hand. „Gehen wir auf die Terrasse“, sagte er.

Ihr Herz schlug schneller und ohne zu zögern folgte sie ihm nach draußen.

Als die Tür sich hinter ihnen schloss waren von einer Sekunde zur anderen das Stimmengewirr und die Musik verstummt. Sie hörten nichts weiter als das Rauschen des Verkehrs weit unter ihnen, hin und wieder untermalt von einer ungeduldig klingenden Autohupe.

Mitte Januar war es natürlich bitterkalt und auf Lindas Unterarmen und den Beinen bildete sich im Nu eine Gänsehaut. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Steve bemerkte das und legte ihr fürsorglich einen Arm um die Schultern. „Besser so?“ fragte er.

Sie nickte und sah sich auf der großen Dachterrasse um. Sie waren wirklich völlig allein hier draußen. Niemand verspürte Interesse, bei diesen eisigen Temperaturen die Aussicht oder den sternenklaren Nachthimmel zu bewundern.

Einzig sie war so verrückt, eine Erkältung zu riskieren, nur um mit diesem Mann allein zu sein.

Gemeinsam betrachteten sie die Skyline von New York. Der Central Park lag schwach beleuchtet unter ihnen. Steve ließ seine Hand sanft und wärmend über ihren Oberarm streichen und registrierte, dass sie sich behutsam an ihn lehnte. Es war offensichtlich, dass sie Interesse an ihm hatte. Und sie war eine aufregende Frau.

Warum nicht? dachte er. Sie will mich, und für heute Nacht kann sie mich haben.

Einige Minuten standen sie so da, schweigend und eng aneinander gelehnt. Der fast volle Mond wurde nur unzureichend von einer Wolke verdeckt, so dass sein kaltes Licht blass durch sie hindurch schimmerte.

Schließlich wurde Linda wirklich kalt in ihrem kurzen Kleid. Sie drehte sich zitternd zu ihm um. „Steve, ich glaube, ich möchte jetzt doch wieder…“ Sie konnte den Satz nicht beenden, denn er sah ihr kurz in die Augen, beugte sich zu ihr und küsste sie, fordernd und sehr leidenschaftlich. Sie erwiderte seinen Kuss und presste sich an ihn.

Himmel, sie kann es gar nicht mehr erwarten! dachte Steve begeistert. Diese Frau ist ein Vulkan!

Ihre Arme umschlangen seine Taille. Diesen Mann will ich, dachte Linda. Diesen und keinen anderen.

Ihr war überhaupt nicht mehr kalt – im Gegenteil In ihr loderte ein Feuer. So etwas war ihr noch nie passiert. Aber es gefiel ihr. Sehr sogar. War das die berühmte Liebe auf den ersten Blick?

Als sich ihre Lippen voneinander lösten sah er sie an, hob eine Hand und strich mit dem Zeigefinger zart die Konturen ihrer Lippen nach. Sie konnten in den Augen des anderen lesen, dass sie sich über den weiteren Verlauf des Abends absolut einig waren.

Linda räusperte sich. „Ich würde mich jetzt gern bei einer heißen Tasse Kaffee aufwärmen“, sagte sie leise.

Steve nickte. „Wo?“

„Mein Appartement ist nur vier Blocks entfernt.“

Er nahm wieder ihre Hand und lächelte. „Worauf warten wir noch?“

Sie fuhren im Taxi zu ihr, vergaßen den Kaffee und landeten direkt im Bett. Er hatte mit seiner Einschätzung recht gehabt: Linda Cooper war temperamentvoll und leidenschaftlich. Sie wechselte fast spielerisch von der fantasievollen und hungrigen Raubkatze zum anschmiegsamen Hauskätzchen. Erst im Morgengrauen schlief sie erschöpft in seinen Armen ein, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.

Steve blieb noch zwei Wochen in der Stadt, in denen Linda ihn völlig mit Beschlag belegte. Ihm blieb kaum Zeit, um seine Familie zu besuchen. Alex ging es nicht besonders gut, er lag die meiste Zeit im Bett. Steves Mutter nahm die Diagnose über den Ausbruch der Krankheit sehr mit, sie war nun schon am frühen Nachmittag oft ziemlich angetrunken. Steve beschränkte seine Besuche auf höchstens eine halbe Stunde. Der Anblick seines leidenden Bruders und der glasigen Augen seiner Mutter war für ihn nur schwer zu ertragen.

Linda und er gingen gemeinsam ins Theater, besuchten Ausstellungen und verschiedene Restaurants. Es machte ihm Spaß, mit ihr auszugehen, dennoch freute er sich auf seine Rückkehr nach Kalifornien und den Beginn der Dreharbeiten, die für Mitte Februar angesetzt worden waren. Es war offensichtlich, dass Linda in ihn verliebt war und eine feste Beziehung mit ihm wollte. Doch Steve schreckte davor zurück; Er mochte sie, er genoss den Sex mit ihr, aber das war auch alles. Sobald er wieder an der Westküste war, nahm er sich vor, würde er den Kontakt zu ihr einschlafen lassen.

Los Angeles, Februar 1989

Die wenigen Wochen vor Drehbeginn waren ausgefüllt mit Beleuchtungstests sowie Kostüm- und Leseproben, wegen derer Jasmin hin und wieder für einige Tage nach Los Angeles fliegen musste. Jeder Flug war für sie eine Nervenprobe. Ihre Hände wurden bereits während des Starts schweißnass und bei jedem Luftloch blieb ihr das Herz stehen. Wenn sie endlich wieder sicher auf der Erde stand musste sie sich stets beherrschen, um nicht wie der Papst auf die Knie zu sinken und den Boden zu küssen.

Mitte Februar begannen dann endlich die Dreharbeiten für den Film, dessen Titel inzwischen feststand. Er hieß „Just a game“.

Einen Tag vorher, am späten Sonntagnachmittag, traf Jasmin in Los Angeles ein und bezog das für sie reservierte Hotelzimmer im legendären Chateau Marmont.

Am Montagmorgen um sechs Uhr saß sie aufgeregt in der Maske. Die Hair-Stylistin drehte ihr langes Haar auf große Lockenwickler, während die Maskenbildnerin ihr Gesicht eincremte.

Die Regieassistentin schaute herein, eine vollschlanke Mittdreißigerin mit kurzen dunkelblonden Haaren, die Jasmin bereits von den Leseproben kannte.

„In einer halben Stunde“, sagte sie knapp.

„Danke, Leslie.“ Jasmin sah sie nur durch den Spiegel und lächelte ihr zu. Leslie lächelte zurück und verschwand wieder. Jasmin wandte sich an ihre Stylistinnen. „Ihr habt es gehört, beeilt euch bitte. Ich muss mich auch noch umziehen.“

Die Mädchen erhöhten merklich das Tempo und Jasmin dachte an den Regisseur, den sie gleich wieder sehen würde, und den Abend bei George White.

Seitdem hatte sie Steve Conelly nicht mehr gesehen, aber der Flirt mit ihm war ihr noch lebhaft in Erinnerung. Sowohl der Mann als auch der Flirt hatten ihr gefallen – bis sie gesehen hatte, dass er mit dieser Linda Cooper die Wohnung verließ.

Sie war gerade aus dem Badezimmer gekommen als sie bemerkt hatte, dass er Linda in ihren Mantel half, sie anlächelte und ihren Arm nahm. Linda hatte ihn angestrahlt und gemeinsam mit ihm das Penthouse verlassen. In dem Augenblick hatte Jasmin sich gefühlt, als hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben.

So ein Typ bist du also, hatte sie ernüchtert gedacht. Er war wohl nur auf ein schnelles Abenteuer aus gewesen und Linda Cooper hatte sich scheinbar allzu gern dazu überreden lassen.

Jasmin war froh, dass sie Ben hatte. Aber Ben war weit weg, er war in New York, sie in L. A. Für eine ganze Weile würden sie sich nur an den Wochenenden sehen können.

Und gleich stehe ich diesem…diesem Westentaschencasanova gegenüber und muss seinen Anweisungen folgen, dachte sie mit einer Mischung aus Unbehagen und einer verwirrenden Vorfreude. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz schneller schlug als gewöhnlich.

Steve kontrollierte die Beleuchtung und den Aufbau der Requisiten. Er gab Anweisungen an die Techniker und überprüfte das Storyboard sowie das Skript für den bevorstehenden Drehtag. Seit knapp zwei Wochen war er zurück und hatte sich mit Feuereifer auf die Vorbereitungen für die Dreharbeiten gestürzt.

Sein Blick schweifte zur Tür. Jasmin Tyler hatte das Set betreten und sah sich interessiert um. Nervosität strahlte sie nicht aus, nur gespannte Neugierde.

Er wandte sich an den Kameramann an seiner Seite. „Geh noch einen Meter weiter nach links, Bob. Ich bin gleich wieder da.“ Dann trat er ihr mit forschem Schritt entgegen.

„Jasmin, schön Sie zu sehen!“ Er reichte ihr die Hand, zog sie zu sich heran und gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange.

„Hallo Steve.“ Sie lächelte schüchtern. „Ich bin ein wenig aufgeregt. Geht es gleich los?“

„In ein paar Minuten. Gehen Sie doch schon an Ihren Platz.“ Er zeigte nach rechts, wo die Requisiteure einen Teil des Studios in ein Wohnzimmer umgewandelt hatten.

„Wir fangen mit der 3. Szene an. Sie stellen sich vor das Regal und sehen sich die Bücher an. Dann kommt Tom durch die hintere Tür und Sie beginnen mit dem Dialog.“

„Okay.“ Jasmin schlug die entsprechende Seite ihres Textes auf, nickte ihm zu und wollte sich auf den Weg machen, doch Steve legte seine Hand auf ihren Arm und hinderte sie so daran, weiterzugehen.

Sie blieb stehen und sah abwartend zu ihm auf. Er war fast einen Kopf größer als sie, obwohl sie mit einem Meter achtundsechzig auch nicht gerade klein war.

Er räusperte sich nervös und kratzte sich an der Nase. „Ich wollte noch sagen, ich habe es wirklich genossen, mich auf der Party von George mit Ihnen zu unterhalten. Und ich freue mich sehr, dass wir jetzt zusammen arbeiten.“

Sie senkte den Blick und sah auf seine Hand, die noch immer ihren Arm festhielt. Er ließ sie so schnell los, als hätte er sich verbrannt. „Entschuldigen Sie.“

„Mir hat der Abend auch Spaß gemacht“, sagte sie. „Und es war sehr nett, sich mit Ihnen zu unterhalten. Doch dann waren sie plötzlich verschwunden.“

Er strich sich nervös durchs Haar. Der Blick, mit dem sie das sagte, gefiel ihm gar nicht. Eine Augenbraue hatte sich gehoben, so als warte sie auf eine Ausrede.

Er tat ihr den Gefallen. „Ja, wissen Sie, ich musste eine Bekannte nach Hause fahren, sie fühlte sich nicht gut“, flunkerte er.

„Ach so.“ Jasmin sah ihm in die Augen und er spürte sofort, sie wusste, dass er nicht die Wahrheit sagte.

„Ich hoffe, es geht Ihrer Bekannten inzwischen besser“, sagte sie ruhig und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, auf ihren Platz.

Mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend setzte Steve sich auf seinen Regiestuhl. Schließlich nahm er das Megafon in die Hand, hielt es einige Sekunden mit leerem Blick und begrüßte dann freundlich das gesamte Team, bevor er Anweisungen für die erste Aufnahme gab. Allerdings war er nicht ganz bei der Sache. Er hatte sich lange nicht so unwohl gefühlt. Jasmin Tyler gab ihm das Gefühl, als könne sie seine Gedanken lesen. Es war ihm unsagbar schwer gefallen, ihrem Blick standzuhalten.

Die Dreharbeiten verliefen planmäßig und ohne größere Schwierigkeiten. Nachmittags um fünf rief Steve: „Okay, Leute, das war’s für heute. Feierabend! Morgen früh um halb sieben sehen wir uns wieder.“

Jasmin seufzte erleichtert auf. Das war ein verdammt langer Tag gewesen, sie war völlig erschöpft. In der Mittagspause hatte sie nur kurz ausruhen und ein Sandwich hinunterwürgen können, bevor sie erneut in die Maske hatte gehen müssen, um ihr Make-up auffrischen zu lassen. Anschließend war es gleich weiter gegangen. Sie sehnte sich danach, eine heiße Dusche zu nehmen und anschließend ihre Füße hochzulegen.

Nachdem sie ihren Kollegen einen schönen Feierabend gewünscht hatte ging sie in ihre Garderobe, um sich abzuschminken und umzuziehen. Wenn sie in ihrem Hotelzimmer war, würde sie gleich nach der Dusche Ben anrufen. Er wartete bestimmt schon auf ihren Anruf und wollte hören, wie ihr erster Tag gewesen war.

Sie hatte gerade ihre Augen abgeschminkt, als es schüchtern an der Tür klopfte.

„Ja, bitte?“

Durch den Spiegel sah sie, dass Steve Conelly das kleine Zimmer betrat. Gegen ihren Willen schlug ihr Herz schneller. Es war, als führte es ein Eigenleben.

Er ist ein Frauenheld! schärfte sie sich ein. Nimm dich gefälligst zusammen! Er sieht gut aus, das ist aber auch alles.

„Steve! Hi.“ Ihre Stimme klang sehr viel gelassener, als sie sich fühlte.

Er stellte sich neben sie und sah sie durch den Spiegel an. „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie gute Arbeit geleistet haben, Jasmin.“

Sie erwiderte seinen Blick mit einem kleinen Lächeln. „Danke. Ihre Tipps und Anweisungen haben mir sehr geholfen“, erwiderte sie höflich.

Dann schwieg sie und wartete ab. Er machte auf sie nicht den Eindruck, als hätte er das, was er eigentlich sagen wollte, bereits ausgesprochen.

Wieder räusperte er sich nervös, genau wie am Morgen.

„Und dann wollte ich Sie fragen, ob Sie gleich mit mir eine Kleinigkeit essen gehen würden.“

Jasmin griff nach ihrer Bürste. „Ich weiß nicht recht, eigentlich wollte ich…“ Als seine Hand sich sacht auf ihre Schulter legte verkümmerte ihr der Satz auf den Lippen. Ein angenehmer Schauer überlief sie. Unbewusst hielt sie ganz still.

„Ich kenne ein nettes italienisches Restaurant, ganz hier in der Nähe“, sagte Steve mit belegter Stimme. „Die Spaghetti Carbonara sind einfach köstlich.“

Sie sagte nichts. Er stockte und nahm die Hand von ihrer Schulter. „Bitte, Jasmin. Ich muss mit Ihnen reden.“

Sie legte die Bürste zurück und drehte sich zu ihm um. „Also gut, geben Sie mir zehn Minuten“, bat sie.

Er nickte ihr zu, erleichtert, wie es ihr schien, und verließ ihre Garderobe. Jasmin atmete tief durch. Der Anruf bei Ben musste wohl noch warten.

Das Restaurant war wirklich gut, das musste sie zugeben. Der Weißwein schmeckte himmlisch und war erfrischend kühl. Die Spaghetti waren al dente und die Carbonarasauce sahnig und - wie Steve gesagt hatte - einfach köstlich. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie war.

Während des Essens unterhielten sie sich über die Dreharbeiten und die Pläne für den nächsten Tag. Steve war amüsant, freundlich und charmant. Sie entspannte sich. Doch nachdem die Teller fortgeräumt waren griff er über den Tisch hinweg nach ihrer Hand und wurde ernst.

„Jasmin, ich habe heute Morgen gelogen. Ich musste an dem Abend keine Bekannte nach Hause fahren“, gab er unvermittelt zu.

„Ja, ich weiß.“

Sie entzog ihm ihre Hand und griff nach ihrem Weinglas. „Aber warum haben Sie gelogen?“

Er lehnte sich zurück und seufzte leise. „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Vielleicht wollte ich nicht, dass Sie eine schlechte Meinung von mir haben. Mir liegt erstaunlich viel an Ihrer Meinung und ich weiß nicht, warum das so ist.“

Jasmin musste lächeln. Er wirkte tatsächlich ein wenig verwirrt und ratlos. Seine Offenheit gefiel ihr.

„Ich finde Sie jedenfalls sehr sympathisch, das ist das Einzige, dessen ich mir sicher bin“, fuhr er fort.

„So sympathisch wie Linda Cooper?“

Sie biss sich ein klein wenig zu spät auf die Zunge. Das hatte sie gar nicht sagen wollen!

Er lächelte und beugte sich zu ihr. „Auf eine völlig andere Weise.“ Dann nahm er ihre Hand in seine beiden Hände, führte sie zu seinem Mund und küsste sie sanft.

Zögernd entzog Jasmin sie ihm. „Das ehrt mich sehr, Steve“, sagte sie, schlug für einen Moment die Augen nieder und sah ihn dann ernst an. „Aber Sie sollten wissen, dass ich verlobt bin und noch in diesem Jahr heiraten werde.“

Sie konnte sehen, dass ihre Mitteilung ihn unangenehm überraschte. Sein Lächeln verschwand und er lehnte sich wieder zurück.

Sie sprach weiter. „Und was meine Meinung über Sie angeht…“

Sie sah ihn nachdenklich an, die Stirn ein wenig gerunzelt, als wundere sie sich über etwas. „Ich bilde mir diese Meinung noch. Im Augenblick machen Sie auf mich den Eindruck eines Mannes, der sich seines guten Aussehens und seines ausgeprägten Charmes nur allzu deutlich bewusst ist und beides nutzt, um möglichst viele Frauen in sein Bett zu bekommen.“ Sie ergriff ihr Glas während sie ihn betrachtete und trank einen kleinen Schluck.

Er breitete in einer abwehrenden Geste die Arme aus und schüttelte den Kopf. „Also, das stimmt so wirklich nicht, ich -“

Sie stellte ihr Glas ab. „Ich war noch nicht ganz fertig, wenn Sie erlauben.“

Er schwieg und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich wollte noch sagen, dass Ihr Lebenswandel mich überhaupt nichts angeht, Ihre Mühe bei mir allerdings absolut verschwendet ist“, fuhr sie fort. „Ich hätte aber nichts dagegen, wenn wir uns besser kennen lernen und Freunde werden.“

Sein Lächeln kehrte zurück, er nickte, hob sein Glas und stieß mit ihr an. „Das würde mich freuen, Jasmin“, sagte er ehrlich. „Und jetzt bringe ich dich ins Hotel.“ Er winkte nach dem Ober.

Das Chateau Marmont war ein filigranes weißes Gebäude am Sunset Boulevard, das einem französischen Schloss nachempfunden worden war und dem Hotel schon dadurch einen speziellen Charme verlieh. Die Lobby war groß, sehr hoch und edel eingerichtet, der Fußboden bestand aus hellem Marmor und die Zimmer waren elegant und geräumig. Jasmin hatte gehört, dass hier unter anderem schon Billy Wilder und Greta Garbo genächtigt hatten.

Sie hatte ein langes, heißes Bad genommen und war dann erschöpft eingenickt.

Als sie erwachte war es bereits halb zehn.

Oh Gott, Ben! schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte völlig vergessen, ihn anzurufen. Heute war Montag und in New York war es bereits drei Stunden weiter, also halb eins, was bedeutete, dass Ben aller Wahrscheinlichkeit nach schlief. Der Anruf bei ihm musste also notgedrungen bis zum nächsten Morgen warten.

Jasmin beschloss, stattdessen den Text für den nächsten Tag noch einmal durchzugehen. Sie setzte sich auf, griff nach dem Drehbuch und begann zu lesen.

Schon nach wenigen Sätzen ließ ihre Konzentration nach. Steve Conellys dunkle Augen schoben sich zwischen sie und den Text, schienen in ihre einzutauchen. Wieder spürte sie seine Lippen auf ihrer Hand…

Ungeduldig verzog sie das Gesicht. Himmelherrgott, es hatten doch schon häufig Männer mit ihr geflirtet! Warum zum Teufel reagierte sie plötzlich wie eine Fünfzehnjährige? Sie liebte Ben und würde ihn bald heiraten. In ihrem Leben war kein Platz für Steve Conelly - jedenfalls nicht in ihrem Privatleben.

Sie schüttelte den Kopf, schob jeden Gedanken an ihn von sich und vertiefte sich erneut in das Skript.

Nur wenig später sah sie ein weiteres Mal Steves Gesicht vor sich, seine lächelnden Augen, hörte seine dunkle, wohlklingende Stimme, sein herzliches Lachen…

Es war verrückt, lächerlich, total albern. Sie schlug mit Schwung das Drehbuch zu und legte es zur Seite. Wahrscheinlich war sie nur übermüdet. Sie würde jetzt schlafen und am nächsten Morgen noch einmal ausgeruht den Text durchgehen, nahm sie sich vor.

Früh um halb sechs war sie bereit, um hinunter zum Frühstück zu gehen und anschließend ins Studio zu fahren. Doch vorher griff sie nach dem Telefon und wählte ihre Nummer in New York. Dort war es jetzt halb neun. Hoffentlich war Ben schon wach.

Direkt neben den Apparat hatte sie ein Bild von ihm und sich aufgestellt. Es war bei der Premierenfeier des Stückes aufgenommen worden, in dem er derzeit spielte. Sie strahlten sich darauf verliebt an.

Bereits beim zweiten Klingeln hob er ab.

„Jasmin?“

„Ja, ich bin’s. Hallo Schatz.“

„Warum meldest du dich erst jetzt? Ist alles in Ordnung?“ Er klang besorgt.

„Ja, es ist alles okay. Ich war gestern noch etwas essen und bin dann eingenickt. Als ich aufgewacht bin, war es zu spät, um dich noch anzurufen. Tut mir leid. Es war sehr anstrengend gestern, ich war völlig erledigt.“

„Mit wem warst du essen?“ fragte er.

Klang er misstrauisch? Eifersüchtig? Jasmin spürte ihre Handflächen feucht werden. „Nur mit einigen Mädchen von der Crew“, antwortete sie.

Warum log sie?

„Ach so. Und, erzähl mal, hat alles gut geklappt?“

„Ja, sehr gut. Ich hatte zwar ein paar Hänger, aber ansonsten ging es. Und was machst du so?“ fragte sie.

„Gestern hatte ich ja frei, also habe ich die Wohnung geputzt. Was sagst du jetzt?“ fragte er stolz.

„Dass ich dich liebe und vermisse“, sagte sie herzlich. „Ich freue mich schon auf das Wochenende. Holst du mich am Flughafen ab?“

„Ja, klar. Sag mir nur vorher, wann du ankommst. Aber wir telefonieren doch morgen wieder, ja? Ich vermisse dich nämlich auch, Baby“, sagte er mit Sehnsucht in der Stimme.

„Ich rufe dich morgen auf jeden Fall wieder an“, versprach Jasmin. „Ich liebe dich. Kuss.“

„Ich liebe dich auch. Kuss.“

Sie legte auf, nahm ihre Tasche und machte sich lächelnd auf den Weg zum Frühstück.

Während der Dreharbeiten an diesem Tag stellte sie fest, dass es gut gewesen war, mit Steve essen zu gehen. Ihre offenen Worte und ihr Freundschaftsangebot hatten geholfen, eine lockere und freundliche Atmosphäre zwischen ihnen zu schaffen. Am Tag vorher hatte sie sich noch nicht ganz so wohl gefühlt, die Erinnerung an den Abend bei George White war für sie noch zu lebendig gewesen.

Steve benahm sich im Grunde nicht anders als vorher, er war nach wie vor hilfsbereit und umgänglich. Doch jetzt lag da dieser kumpelhafte Unterton in seiner Stimme und hin und wieder erschien ein schalkhaftes Blitzen in seinen Augen, das gestern noch nicht da gewesen war. Beides sorgte für eine leichte und humorvolle Stimmung zwischen ihnen. Es machte Jasmin einfach Spaß, mit ihm zu arbeiten, und als er kurz vor Feierabend fragte: „Gehen wir gleich noch irgendwo einen Happen essen?“, nickte sie ihm lächelnd zu. „Sehr gerne.“

Diesmal aßen sie im ‚Katsuya‘, einem schrillen und angesagten Japaner am Hollywood Boulevard, doch das Essen selbst war gar nicht so wichtig. Sie redeten. Über Filme, Musik, über sich.

Irgendwann zwischen Sushi und süßen Chiligarnelen fragte Jasmin: „Bist du eigentlich noch mit Linda Cooper zusammen?“

Steve trank einen Schluck Wein, ehe er antwortete. „Nein, eigentlich nicht.“ Er drehte bedächtig den Stiel des Glases zwischen Daumen und Zeigefinger und beobachtete scheinbar gebannt die helle Flüssigkeit.

Sie sah ihn neugierig an. „Eigentlich?“

„Wir sind nicht zusammen“, stellte er fest, wirkte jedoch etwas verlegen als er den Blick hob und Jasmin ansah. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob ihr das klar ist.“ Er stellte das Glas ab.

Linda rief noch immer fast täglich an. Er merkte bei diesen Gesprächen, dass sie darauf wartete, dass er für das Wochenende seinen Besuch in New York ankündigte oder sie bat, ihn zu besuchen. Den Gefallen tat er ihr jedoch nicht.

Er konnte sehen, dass seine Antwort Jasmin amüsierte.

„Du hast ihr nichts gesagt, nicht wahr?“ ahnte sie.

Er schwieg lieber und widmete sich ausführlich einer Franse an der weißen Tischdecke, die immer länger wurde, während er daran zog. Jasmin hob missbilligend eine Augenbraue. „Verstehe. Du dachtest, mit deiner Abreise nach Los Angeles hat sich die Angelegenheit von selbst erledigt, richtig?“

Er nickte peinlich berührt, ließ die Franse endlich wieder los und drehte erneut den Stiel seines Glases zwischen den Fingern.

„Erwischt! Ja, ich hatte gehofft, dass ihr klar ist, dass die Sache zwischen uns zeitlich begrenzt ist“, gab er verlegen zu.

Mit gerunzelter Stirn schüttelte Jasmin den Kopf. „Männer!“

Der Hauptgang kam und Steve nutzte die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln.

„Apropos Männer. Erzähl mir von deinem Verlobten. Was ist das für ein Typ?“

Sie lächelte und griff nach ihren Stäbchen.

„Ben ist ebenfalls Schauspieler, allerdings am Theater. Er liebt den direkten Kontakt zum Publikum.“

„Woher kennst du ihn?“

„Vom Theater. Wir sind gemeinsam am Broadway aufgetreten. Kein sehr erfolgreiches Stück“, gab sie zu. „Aber damals haben wir uns ineinander verliebt.“

„Du hast ihn bei der Arbeit kennen gelernt?“

„Ja, genau“, nickte sie. Irritiert sah sie ihn an, sein Blick war nachdenklich geworden.

„Stimmt etwas nicht?“ fragte sie.

Er sah ihr in die Augen und lächelte. „Nein, nein, es ist alles ok.“

Am Mittwoch rief Jasmin bereits im Laufe des Vormittags während einer kurzen Drehpause bei Ben an, da sie ihn später vermutlich nicht würde erreichen können. Diesmal dauerte es ungleich länger bis er an den Apparat ging, sie wollte gerade wieder auflegen.

„Hallo?“ Seine Stimme klang belegt, als wäre er gerade aufgewacht.

„Ben, ich bin’s. Ist alles in Ordnung?“

„Oh, hi, Baby. Ja, alles okay.“ Er räusperte sich und hustete. „Ich habe geschlafen, weißt du.“

„Um diese Uhrzeit?“ fragte sie verwundert. Das war gar nicht seine Art.

„Ach, weißt du, es ist gestern noch ziemlich spät geworden“, erklärte er. „Ein Kumpel von mir rief mich an. Allan, du kennst ihn doch. Er hat mich überredet, mich auf ein Bier mit ihm zu treffen.“

„Lass mich raten“, lachte Jasmin. „Aus dem einen Bier wurden einige mehr.“

„Erraten. Wir sind durch ein paar Clubs gezogen und ich habe keine Ahnung, wann ich nach Hause gekommen bin.“

„Dann sei dankbar, dass ich dich geweckt habe, Liebling. Du musst doch sicher bald zur Probe, oder?“

Sie hörte einen unterdrückten Fluch. „Verdammt, du hast recht. Ich muss mich beeilen. Bis bald, Baby.“

Ein gleich bleibender Ton drang an Jasmins Ohr. Er hatte aufgelegt. Kein ‚Ich liebe dich‘ oder ‚Wann meldest du dich wieder?‘ Nicht einmal das obligatorische ‚Kuss‘. Eigenartig.

Sie zuckte mit den Schultern und legte den Hörer auf. Sie musste wieder an die Arbeit und hatte keine Zeit, sich über Ben und sein merkwürdiges Verhalten den Kopf zu zerbrechen.

New York

Linda zerbrach sich den Kopf über Steve. Sie vermisste ihn schmerzlich. In den wenigen Wochen, die sie gemeinsam verbracht hatten, hatte sie sich heftig in ihn verliebt. Sie hatten fast täglich miteinander geschlafen und viel Spaß zusammen gehabt. Linda hatte sich unheimlich wohl mit ihm gefühlt und schätzte seine natürliche und charmante Art.

Doch jetzt war er bereits seit mehr als zwei Wochen wieder in Kalifornien und hatte sich nicht ein einziges Mal bei ihr gemeldet. Stets rief sie an.

Wie anders war Henry gewesen. Sobald er aus Chicago zurück gewesen war hatte er fast täglich angerufen. Einige Tage lang hatte sie ihre Arbeit vorgeschützt oder sich von ihrer Sekretärin verleugnen lassen, um einer Verabredung mit ihm aus dem Weg zu gehen. Sie wollte sich lieber mit Steve treffen, der ja zu der Zeit noch in der Stadt gewesen war.

Schließlich war sie deutlicher geworden.

„Hör zu, Henry“, hatte sie bei ihrem letzten Telefonat gesagt. „Ich treffe mich seit einiger Zeit mit einem anderen und denke, dass es besser ist, wenn wir zwei uns nicht mehr sehen.“

Einige Sekunden lang war nichts zu hören gewesen, nur eisige Stille. Dann hatte Henry lediglich noch drei Worte gesagt.

„Fahr zur Hölle!“

Das war es dann.

Linda dachte kurz darüber nach wie es wäre, wenn Steve ihr sagen würde, es gäbe eine andere Frau in seinem Leben.

Es würde verdammt weh tun.

„Miss Cooper?“

Susans Stimme erklang aus dem kleinen Lautsprecher auf Lindas Schreibtisch. Sie drückte eine Taste.

„Ja, Susan?“

„Ich sollte Sie an das Meeting um elf erinnern.“

„Richtig. Sagen Sie auch Mr. Daniels noch einmal Bescheid.“

„Jawohl, Miss Cooper.“

Das Meeting war kurzfristig anberaumt worden, da es Probleme in Detroit gab. Die Autoverkäufe waren in der letzten Zeit stark zurückgegangen während die Produktionskosten gestiegen waren. Sie musste handeln. Sie würde versuchen müssen, die Personalkosten zu reduzieren und wusste schon jetzt, dass es deshalb Probleme mit der Gewerkschaft geben würde.

Linda packte ihre Unterlagen zusammen und gähnte herzhaft. In der letzten Zeit war sie ständig so müde. Und was zum Teufel war mit ihrem Busen los? Sie befühlte beide Brüste. Es spannte und schmerzte ein wenig. War sie krank? Wie ein Blitz schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf und rasch überlegte sie, wann sie das letzte Mal ihre Periode gehabt hatte.

Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Schweißtropfen als ihr klar wurde, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, in diesem Jahr überhaupt ihre Periode gehabt zu haben. Während der letzten Wochen mit Steve und der vielen Arbeit, die nach dem Tod ihres Vaters hatte erledigt werden müssen, hatte sie darüber überhaupt nicht nachgedacht.

Das heißt, ich bin womöglich schwanger! Das darf doch nicht wahr sein!!

Ihr Blick fiel auf die Uhr an der Wand. Verdammt, das Meeting! Sie ergriff ihre Aktentasche, hastete aus dem Büro und nahm sich fest vor, sobald wie möglich einen Termin bei ihrem Gynäkologen zu vereinbaren.

„Hör zu, Kleine, du musst jetzt hier verschwinden. Ich bin wirklich spät dran.“ Ben suchte hektisch alle Klamotten von - wie hieß sie wieder? Darcy? - zusammen und warf sie zu ihr aufs Bett.

„Ich bin aber noch müde.“ Das Mädchen streckte sich wohlig auf dem Bett aus, die kleinen spitzen Brüste hatten Abdrücke von den Falten der Bettwäsche. Sie schüttelte den Kopf mit den dunkelblonden Locken und spreizte wollüstig die Beine. „Komm zu mir“, gurrte sie.

„Sorry, aber ich muss echt los. Zieh dich jetzt an und hau ab.“

Er wurde absichtlich grob, denn er wollte nichts weiter, als dass sie aus der Wohnung verschwand. Maulend schlüpfte sie in ihre Sachen, zog ihre hohen Schuhe an und griff nach ihrer Tasche.

Als sie ihm beim Hinausgehen einen Kuss geben wollte drehte Ben den Kopf weg und hielt die Tür weit auf. „Bye, mach’s gut.“

„Gestern warst du netter“, bemerkte sie enttäuscht und verschwand.

Er schloss die Tür und lehnte sich aufatmend dagegen.

Jesus, er musste aufhören, so viel zu trinken. Und das Koks hätte er sich erst recht sparen müssen. Er wusste einfach nicht mehr was er tat, wenn er stoned war. An den Sex mit der Kleinen konnte er sich nicht einmal mehr genau erinnern, doch dass er mit ihr geschlafen hatte, das wusste er.

Seufzend sah er sich in der Wohnung um. Sie musste dringend aufgeräumt werden. Vor allem musste er die Bettwäsche wechseln! In zwei Tagen kam Jasmin nach Hause. Bis dahin würde er auf keinen Fall mehr ausgehen, dass nahm er sich fest vor.

Ben ging ins Bad und zog sich sein T-Shirt über den Kopf. Dann rasierte und wusch er sich und putzte sich gründlich die Zähne.

Er musste zur Probe, und das, obwohl sein Kopf dröhnte und er todmüde war.

Mit schlechten Gewissen dachte er an das Mädchen, das gerade gegangen war. Die Kleine selbst war ihm vollkommen gleichgültig, doch Jasmin durfte keinesfalls erfahren, was er tat, während sie in Kalifornien war.

Allan würde ihn nicht verraten, das wusste er. Schließlich erzählte Ben dessen Freundin auch nicht, was er so trieb. Und da hätte es einiges zu berichten gegeben… Es war ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen, das keiner den anderen in die Pfanne haute. Es war eben eine echt coole Männerfreundschaft.

Doch wenn Jasmin jemals irgendwie herausbekam, dass er während ihrer Abwesenheit Drogen nahm und mit anderen Frauen schlief, würde sie ihn mit Sicherheit verlassen. Und genau das würde er nicht zulassen. Auf gar keinen Fall.

Linda hatte noch für den gleichen Nachmittag einen Termin bei Ihrem Gynäkologen bekommen. Dr. Fox war ein alter Bekannter ihres Vaters gewesen und hatte sie schon immer bevorzugt behandelt.

Nachdem sie eine Urinprobe abgegeben und Dr. Fox sie untersucht hatte, zog sie sich wieder an und setzte sich vor seinen Schreibtisch. Nervös schlug sie die Beine übereinander und wartete auf ihn. Er hatte nach der Untersuchung den Raum verlassen um, wie er sagte, „die Mädels anzutreiben.“ Schließlich wollte sie so schnell wie möglich das Ergebnis der Untersuchung erfahren.

Während sie sich in dem altmodisch eingerichteten Untersuchungszimmer umsah, dachte sie darüber nach, wie Steve wohl auf ein positives Ergebnis reagieren würde. Er würde vermutlich geschockt sein. Und völlig unvorbereitet. In Gedanken überlegte sie, mit welchen Worten sie ihm von der Schwangerschaft - so denn eine vorlag - erzählen könnte.

Vielleicht gerade heraus: „Halt dich fest, Steve, ich bin schwanger.“

Oder seine Freude voraussetzend: „Großartige Neuigkeiten, Liebling: Du wirst Vater!“

Lieber auf die beiläufige Art? „Hier regnet es seit ein paar Tagen und nebenbei bemerkt, ich bekomme ein Kind von dir.“

Egal, wie sie es ihm sagte, es wäre auf jeden Fall eine Überraschung. Vermutlich eine unangenehme. Sie hatte keine Ahnung, was er dazu sagen würde. Würde er wütend werden? Oder im Gegenteil vorschlagen, dass sie heiraten sollten? Vielleicht wäre es ihm auch völlig gleichgültig. Sie konnte seine Reaktion überhaupt nicht abschätzen.

Zum wiederholten Mal sah Linda auf ihre Armbanduhr. Wo zum Teufel blieb Dr. Fox?

In diesem Moment ging die Tür auf. Der Arzt kam auf sie zu und blieb schließlich mit einem kleinen Lächeln vor ihr stehen. Er war in den Fünfzigern, kahlköpfig und füllig, dabei aber der fröhlichste Mensch, den sie kannte. Mit bangem Blick stand Linda auf und sah ihn erwartungsvoll an.

„Herzlichen Glückwunsch, Miss Cooper! Sie hatten Recht, Sie erwarten tatsächlich ein Baby!“ Dr. Fox schüttelte ihr strahlend die Hand. Teilnahmslos erwiderte sie den Händedruck.

Ich bin wirklich und wahrhaftig schwanger! Schwanger! Du meine Güte, ich bekomme tatsächlich ein Kind!

„Danke, Dr. Fox“, sagte sie benommen. „Das sind - überraschende Neuigkeiten.“

Dr. Fox bat sie mit einer Geste, wieder Platz zu nehmen und setzte sich ihr gegenüber auf seinen Ledersessel. Dann schob er ihr ein Ultraschallbild zu.

„Sehen Sie, das ist Ihr Baby.“ Er zeigte auf einen kleinen Punkt, etwa so groß wie in Streichholzkopf.

Ungläubig starrte Linda auf den kleinen Fleck auf dem grobkörnigen Schwarz-Weiß-Foto.

Jetzt war es offiziell. Sie und Steve wurden Eltern. Sie würden eine Familie sein! Und in dieser Sekunde wurde ihr klar, dass dies genau das war, was sie wollte: Eine Familie mit Steve Conelly! Jetzt musste sie ihn nur noch dazu bringen, genau das ebenfalls zu wollen. Ein zuversichtliches Lächeln umspielte Lindas Lippen.

Los Angeles

Der Drehtag war - wieder einmal - sehr anstrengend gewesen, aber das Schlimmste war Steves schlechte Laune. Er ließ sie an jedem aus, der seinen Weg kreuzte und das Pech hatte, irgendeinen kleinen Fehler zu machen. Die Stimmung am Set war furchtbar gewesen und alle seufzten erleichtert auf, als er verkündete: „Schluss für heute!“

Jeder verzog sich, so schnell er konnte, nur Jasmin ließ sich Zeit.

Die Freundschaft zwischen ihr und Steve hatte sich in den vergangenen Tagen noch gefestigt. Sie verstanden sich sehr gut, verbrachten die Mittagspausen gemeinsam, waren auch am Mittwoch nach der Arbeit noch etwas essen gegangen und anschließend über den Hollywood Boulevard gebummelt. Sie unterhielten sich, lachten viel und entdeckten jede Menge Gemeinsamkeiten.

Inzwischen vertrauten sie sich auch Dinge an, die sie sonst eher für sich behielten. So erfuhr Jasmin, dass Steve einen Zwillingsbruder hatte, Alex, der mit ihrer Mutter in New York lebte. Dieser Bruder war homosexuell und seit zwei Jahren HIV-positiv. Steves Mutter war mit der Situation überfordert und trank zu viel.

Vor kurzem war die Krankheit bei Alex ausgebrochen, und sein Immunsystem war inzwischen so stark angegriffen, dass er seinen Beruf – er war Innenarchitekt – nicht mehr ausüben konnte. Wenn Steve in New York war, besuchte er die beiden stets, war aber immer froh, wenn er wieder zurück nach L.A. musste. Er unterstützte seine Mutter und seinen Bruder finanziell und hatte sie sehr lieb, doch die Situation überforderte auch ihn.

„Sie bedeuten mir unheimlich viel“, hatte er ihr erzählt. „Doch zu sehen, wie Alex immer schwächer wird und meine Mutter sich aus Kummer darüber langsam zu Tode trinkt, macht mich jedes Mal fertig. Trennen kann ich die zwei auch nicht, dafür hängen sie zu sehr aneinander. Sie brauchen sich. Was also kann ich tun? Ich besuche sie hin und wieder und sorge dafür, dass sie zumindest keine finanziellen Sorgen haben. Glücklicherweise verdiene ich inzwischen genug, dass es sowohl für mich als auch für meine Familie reicht.“

An diesem Abend beschloss Jasmin, sich vor dem Gehen bei ihm zu erkundigen, was heute mit ihm los gewesen war. Vielleicht ging es seinem Bruder schlechter. Sie hatte Steve sehr gern. Wenn es ihr möglich war, wollte sie ihm helfen, auch wenn sie nicht viel mehr tun konnte, als ihm zuzuhören. Sie schminkte sich ab, zog sich um und verließ ihre Garderobe.

Steve war noch am Set und sah sich mit seiner Assistentin ein paar Aufnahmen des Tages an. Sie hörte ihn seufzen. „Ich fürchte, die Szene müssen wir morgen noch einmal drehen, die Lichteinstellung ist –“

Jasmin räusperte sich. „Steve, kann ich einen Moment mit dir reden?“

Er drehte sich um und nickte ihr kurz zu. „In zwei Minuten in meinem Büro, okay? Dann bin ich hier fertig.“

„Einverstanden. Ich warte dort auf dich.“

Sie machte sich auf den Weg. Als sie die Tür zu Steves Büro aufmachte, sah sie Danny, den Portier, und winkte ihm freundlich zu.

Der Raum war spärlich eingerichtet: Ein Schreibtisch mit Computer, zwei Stühle, und auf der anderen Seite die Couch, ein Sessel und ein kleiner Tisch. Außerdem gab es eine Kommode, auf der ein paar Gläser und Flaschen standen. Keine Pflanzen, keine Bilder.

Jasmin setzte sich auf die Couch und wartete. Bei passender Gelegenheit würde sie Steve ein paar Vorschläge machen, wie man dieses Zimmer anheimelnder gestalten konnte. In einem so tristen Büro konnte man doch nicht kreativ arbeiten!

Sie sah zur Tür als diese sich schwungvoll öffnete. Steve kam auf sie zu und ließ sich neben sie auf die Couch fallen. Er streckte die langen Beine aus und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.

„Also“, wollte er wissen, „was gibt es denn?“

Sie drehte sich zu ihm und kam gleich zur Sache. „Was war heute mit dir los?“

„Was soll denn los gewesen sein?“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und warf ihr einen abwehrenden Blick zu. „Mir geht’s gut.“

Sie sah ihn schweigend an.

Er seufzte und ließ die Arme sinken. „Ja, okay, es geht mir nicht gut.“

„Ist etwas mit Alex?“ erkundigte Jasmin sich besorgt.

„Nein, nein. Mit ihm ist soweit alles in Ordnung.“

Steve machte eine kurze Pause, schien zu überlegen. Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. Dann seufzte er. „Na schön, ich sag es dir. Aber bitte erzähle es nicht herum.“

Sie versprach es.

Er stand auf, ging hinüber zu seiner provisorischen Bar und schenkte sich einen Whisky mit Eis ein.

„Möchtest du auch einen Drink?“

„Werde ich einen brauchen?“

Er lächelte gequält. „Einen Sherry?“

Sie nickte und kurz darauf kam er mit zwei gefüllten Gläsern zurück und reichte ihr den Sherry. Dann setzte er sich wieder und nahm einen großen Schluck.

Fasziniert beobachtete sie seine schmal gewordenen Augen und seine mahlenden Kiefer, mit denen er einen Eiswürfel zerbiss, als hätte der ihm etwas getan.

Als er die Eisstückchen hinuntergeschluckt hatte holte er tief Luft. Dann platzte es aus ihm heraus. „Linda Cooper rief mich gestern Abend an. Sie erwartet ein Baby. Und sie sagt, es ist von mir.“

Jasmin hatte gerade einen Schluck getrunken und prustete nun erschrocken den Sherry mitten auf sein Hemd. Eilig stellte sie ihr Glas ab und zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche.

„Oh Gott, Steve, das tut mir leid!“ sagte sie und wischte unbeholfen mit dem Tuch an seinem Hemd herum. „Hoffentlich geht das wieder raus.“

„Lass doch bitte das Hemd, Jasmin. Ich habe jetzt ganz andere Sorgen. Linda ist schwanger!“

Sie ließ von ihm ab. „Ja, natürlich. Entschuldige.“

Ungeduldig stand er auf. „Und sonst sagst du nichts dazu?“

Überrascht sah sie zu ihm hoch. „Was soll ich dazu sagen? Ihr seid zwei erwachsene Menschen, hattet Sex und habt nicht ausreichend verhütet. So etwas kommt jeden Tag vor.“

Dass die Nachricht ihr einen schmerzhaften Stich versetzt hatte, sagte sie nicht und sie hoffte, dass Steve es ihr nicht ansah. Doch er war viel zu durcheinander, um aufmerksam sein zu können.

„Sie hatte mir gesagt, dass sie die Pille nimmt. Aber gestern hat sie mir gestanden, dass sie sie ab und zu wohl vergessen hat. Ich hätte mich nicht nur auf sie verlassen dürfen, ich Riesenkamel!“

Aufgebracht ging er im Zimmer hin und her.

„Was soll ich denn jetzt tun?“ fragte er mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck.

Seine Hilflosigkeit rührte sie auf der einen Seite, andererseits hatte er sich das Ganze selbst eingebrockt.

Typisch Mann! dachte sie. Sie machen sich erst dann Gedanken, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Doppeldeutigkeit des Sprichworts in dieser Situation ließ sie beinahe schmunzeln, doch dann riss sie sich lieber zusammen.

„Was hat sie denn gesagt?“ fragte sie und fuhr ihn an: „Setz dich bitte wieder hin, dein Gerenne macht mich ganz nervös.“

Er hörte nicht auf sie, lief weiter ziellos hin und her und berichtete: „Sie hat gesagt, dass die Schwangerschaft auch für sie überraschend kommt, und dass sie mich nicht unter Druck setzen will. Wenn ich möchte, kann ich mich völlig heraus halten, zu zahlen brauche ich auch nicht, Geld hat sie ja genug.“

Bei den letzten Sätzen war er lauter geworden, jetzt jedoch senkte er die Stimme. „Als sie dann aber erwähnte, dass es für ein Kind eigentlich wichtig ist, Mutter und Vater zu haben, hat sie mich kalt erwischt.“ Er blieb stehen und raufte sich die Haare. „Sie appelliert an mein Ehrgefühl. Und das macht sie sehr geschickt. Ich fühle mich überrumpelt und manipuliert.“

Er hielt kurz inne und sah sie an. „Weißt du, am liebsten würde ich diesen Anruf vergessen und mich ganz still verhalten, aber verdammt, Jasmin, sie bekommt mein Kind. Ich bin ohne Vater aufgewachsen und weiß, wie das ist. Kein gutes Gefühl.“

Er ließ sich neben sie fallen und stützte sein Gesicht in die Hände. Sie hatte das Gefühl, dass er den Tränen nahe war. In diesem Moment wirkte er auf Jasmin wie der kleine Junge, der darunter litt, keinen Vater zu haben, der mit ihm angeln ging und Basketball spielte. Gleichzeitig war er der erwachsene Mann, dem seiner Ansicht nach Unrecht geschehen war und der nicht verstand, wie ihm so etwas hatte passieren können. Trotzdem fühlte sie sich in diesem Moment mehr als sonst zu ihm hingezogen. Er strahlte eine unwahrscheinliche Verletzbarkeit aus, ließ sie, obwohl sie erst seit wenigen Tagen befreundet waren, an seinem Schmerz, den er als Kind erfahren hatte, und seiner Ratlosigkeit teilhaben. Sie betrachtete dieses Verhalten als Geschenk und legte ihren Arm um seine breiten Schultern. Dann lehnte sie sich zurück und zog ihn tröstend zu sich heran.

Er ließ es willig geschehen, drehte sich ein wenig zu ihr und spürte die zarte Haut ihres Halses an seinen Lippen. Sie roch nach Parfum, anregend und sinnlich. Ihr Haar kitzelte seine Nase, als er ihren Duft einatmete.

Jasmin spürte seine Lippen an ihrem Hals, ganz sacht, fast glaubte sie, es sich einzubilden. Sein Arm legte sich um ihren Leib. Sie fand es nicht merkwürdig oder unangenehm, eher so, als wäre das der Ort, wo er hingehört, so normal, so selbstverständlich fühlte es sich an. Sie schloss die Augen und genoss die Berührungen seiner Hand und seiner Lippen. Alles Denken war mit einemmal wie ausgeschaltet. Es fühlte sich einfach zu schön an. Sanft wie Schmetterlingsflügel und doch fähig, in ihr ein Erdbeben auszulösen.

Sie wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht was, und auch nicht, ob ihre Stimme ihr gehorchen würde, daher schwieg sie. Ihre linke Hand fuhr zärtlich durch sein dichtes Haar, ihre Rechte streichelte sanft den Arm, den er um sie geschlungen hatte. Ein mit Muskeln durchzogener, braungebrannter Arm mit dunklen Haaren. Ein männlicher, aufregender Arm…

Ihr Herz schlug fast schmerzhaft gegen ihren Brustkorb. Die Situation drohte ihr zu entgleiten und sie wusste nicht, was sie dagegen tun konnte. Oder vielmehr, ob sie etwas dagegen tun wollte.

Langsam hob Steve den Kopf und sah sie an. In ihren Augen las er Furcht, Neugier und noch etwas, dass er nicht näher bestimmen konnte. Eine gewisse Unruhe vielleicht. Oder Nervosität.

Um sie herum herrschte völlige Stille. Vermutlich war niemand mehr da, sie waren allein. Allein mit der Gewissheit, dass ihre Freundschaft nicht mehr lange das sein würde, was sie bisher war. Zumindest dann, wenn er jetzt das tat, wonach er sich sehnte, seit er ihr bei George White begegnet war.

Behutsam näherte er sich ihrem Gesicht und berührte sacht ihre bebenden Lippen. Sie wehrte sich nicht, kam ihm aber auch nicht entgegen. Sie hielt ganz still.

Vorsichtig wagte sich seine Zunge vor und erleichtert merkte er, dass sie seinen Kuss zögernd, beinahe ängstlich erwiderte. Ein Glücksgefühl breitete sich in ihm aus, wie er es lange nicht mehr gespürt hatte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Jasmins Herz schlug zum Zerspringen, ihr Unterleib zog sich fast schmerzhaft zusammen, kribbelte, als wären tausend Ameisen darin in Panik geraten. Steve küsste sie, ganz sanft und sehr zärtlich, seine Lippen waren kühl und weich. Sie war komplett durcheinander. Sie musste ihn daran hindern, weiter zu machen.

Ben!, dachte sie, Ben, was tue ich hier? Das geht doch nicht!

Langsam lösten sich Steves Lippen von ihren. In diesem Moment schoss ihr ein völlig anderer Gedanke durch den Kopf: Oh Gott, das ist so schön, bitte, bitte hör nicht auf!

„Keine Angst, das kann ich gar nicht.“ Seine leise Stimme klang etwas heiser und sie erschrak. Ihr Herz schlug noch schneller. Hatte sie laut gedacht?

Er küsste sie erneut, leidenschaftlicher diesmal, und Jasmin erschauerte, als seine Hand über ihren Oberschenkel strich. Doch als er begann, ihre Brust zu streicheln unterdrückte sie einen wohligen Laut, nahm ihre ganze Kraft zusammen und schob ihn schweren Herzens sanft von sich. „Steve, nicht!“

„Jasmin…“

„Nein, es - es geht nicht. Ich kann das nicht tun.“ Ihre Wangen brannten und sie versuchte, etwas Abstand herzustellen, indem sie sich gerade hinsetzte und ihr Haar ordnete. Leise sagte sie: „Ich habe Ben die Ehe versprochen und - na ja, mir bedeutet so ein Versprechen eine Menge und Treue halte ich für unendlich wichtig.“

„Aber ihr seid doch noch nicht verheiratet.“ Seine Hand streichelte sanft ihre Wange, sein Atem ging schwer und streifte ihr Gesicht. Für einen Moment schloss sie die Augen und lächelte schwach. Dann sah sie ihn ernst an. „Ein wirklich bestechendes Argument.“

„Hat dir der Kuss denn nicht gefallen?“ Sein Zeigefinger berührte ihre Lippen, verursachte ein verführerisches Kitzeln. „Ich fand ihn jedenfalls sehr schön“, flüsterte er.

Ihre Lider wurden schwer. Erneut schloss sie die Augen und spürte, dass ihr Widerstand beinahe gebrochen war. Ihre Brust hob und senkte sich wie nach einem Hundert-Meter-Lauf. Langsam lehnte sie sich wieder zurück. Sein kräftiger Körper war ihrem so unheimlich nah, sie spürte sein Herz schlagen und ahnte seine Erregung. Unwillkürlich stöhnte sie auf, als er ihr Haar hob und sie an die empfindliche Stelle zwischen Hals und Ohr küsste.

„Er war - sehr schön, wirklich.“ Sie versuchte vergeblich, ihre Augen wieder zu öffnen. „Aber trotzdem, ich - das geht einfach nicht!“

Ihre letzten Worte waren nur noch ein Flüstern. Sie hatte den Satz kaum beendet, als seine Lippen jedes weitere Wort verhinderten.

Sie hatte versucht, ihm zu widerstehen, sie hatte es wirklich versucht. Doch mit jedem Kuss, mit jeder Berührung von ihm waren die Schleusen ein klein wenig mehr geöffnet worden, und nun waren die hervorbrechenden Wassermassen einfach nicht mehr aufzuhalten.

Sie war nicht mehr vernünftig, konnte es nicht sein. Sie war nur noch schwach, süchtig nach seinen Händen, seinen Lippen. Er drückte sie langsam nach hinten, so dass sie auf der Couch lag und er halb auf ihr war. Seine Hände waren überall, streichelten ihre Arme, ihre Schultern, ihre Brust. Dann legte seine Hand sich auf ihr Bein und wanderte aufreizend langsam ihren Oberschenkel hinauf, Zentimeter für Zentimeter. Sie hatte das Gefühl, verrückt zu werden, verrückt vor Sehnsucht und Verlangen nach ihm.

Er öffnete den Reißverschluss ihres Rocks, ihre Hände fanden seine Jeans, öffneten sie mit zitternden Händen und ihr Unterleib wölbte sich ihm entgegen. Ungeduldig und dennoch zärtlich streifte er ihren Rock und den Slip ab. Sie hörte seine Schuhe auf den Boden fallen. Sekunden später gesellte sich seine Jeans zu den Schuhen.

Als er in sie eindrang stöhnten beide laut auf und streiften sich gegenseitig hastig die restliche Kleidung ab.

Er streichelte ihre Brust während er sich langsam und gefühlvoll in ihr bewegte. „Oh Gott, Jasmin, du bist so schön!“ flüsterte er. „So wunderschön.“ Sein Mund fand ihre Brustwarze und sie wurde fast ohnmächtig, als sie seine Zunge dort spürte.

Fünfzehn Minuten später fanden sie sich schweißüberströmt und schwer atmend auf dem Teppich wieder. Sie lag auf ihm und küsste ihn. Seine Fingerspitzen strichen über ihren Rücken und verursachten ihr eine wohlige Gänsehaut.

„Das war einfach - ich finde keine Worte dafür“, flüsterte er in ihr Ohr und küsste zärtlich ihren Hals.

Sie hob den Kopf. „Tu das nie wieder!“ beschwor sie ihn leise und mit ernster Miene. „Ich bitte dich.“

Er schmunzelte. „Das kann ich dir nicht versprechen.“ Mit einem schelmischen Lächeln legte er seine Hände auf ihre Brüste und strich sanft über die weiche Haut. „Es tut mir leid, aber ich bin verrückt nach dir.“

Sein Haus in Pasadena schien Steve an diesem Abend leerer als sonst. Er vermisste Jasmin schon jetzt, dabei war es erst eine Stunde her, dass er sie gesehen hatte. Gesehen, gehört und gespürt. Noch immer meinte er, ihren Geruch in der Nase zu haben und ihre weiche, glatte Haut unter seinen Händen zu fühlen.

Um wieder klar im Kopf zu werden schwamm er einige Runden in seinem Pool, dann mixte er sich einen Martini, legte sich auf eine Liege und dachte an sie.

Selbstverständlich hatte er mit ihr schlafen wollen, schon seit er sie auf Georges Party gesehen hatte. Doch er hätte nie geglaubt, dass sie solche Gefühle in ihm auslösen könnte. Er hatte weiß Gott schon mit vielen schönen Frauen geschlafen, doch mit keiner hatte er sich so wohl gefühlt wie mit ihr. Keine war so hartnäckig in seinem Kopf geblieben. Und nach keiner hatte er sich so gesehnt, wie er sich jetzt nach ihr sehnte. Was zum Teufel war mit ihm los?

Die Sonne war schon fast völlig untergegangen, durch den leichten Wind bildete sich eine Gänsehaut auf seinem nassen Körper. Er blickte über einige Palmen und Zypressen hinunter auf die Straße, die nach Los Angeles führte und auf der zu dieser Zeit nur wenig Verkehr herrschte.

Mit beiden Händen fuhr er sich über das Gesicht und Linda fiel ihm plötzlich ein. Linda, die sagte, sie sei schwanger von ihm.

Ich werde Vater, ich werde ein Kind haben, sagte er sich mit einem leichten Gefühl des Unbehagens. Und ich liebe eine andere Frau als die Mutter dieses Kindes.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, wurde ihm klar: Er liebte Jasmin wirklich. Er dachte ständig an sie, hatte Herzklopfen in ihrer Nähe, liebte alles an ihr: wie sie sich das Haar aus dem Gesicht strich, ihr Lachen, ihren Humor und ihre strahlenden Augen, wenn sie sich freute.

Nur einmal hatte er bisher so für eine Frau empfunden. Mit 17. Sie hieß Betsy Winer, war ein Jahr jünger als er und Cheerleaderin. Auf der Beliebtheitsskala in der Schule rangierte sie ganz weit oben. Wie stolz war er gewesen, als sie sich im Kino von ihm küssen ließ. Tagelang war er kaum ansprechbar gewesen, hatte nur verliebt vor sich hin gegrinst.

Doch eine knappe Woche später hatte sie ihn wegen Ryan Johnson, einem gut aussehenden aber ausgesprochen dämlichen Footballspieler, fallen gelassen. Damals war seine Welt zusammengebrochen und seitdem ließ er solche Gefühle nicht mehr zu, hielt die Frauen stets auf Distanz und behielt die Kontrolle.

Bis heute.

Die Sonne war inzwischen endgültig zwischen den Hügeln verschwunden und ihm wurde kalt. Er nahm sein Handtuch, hängte es sich über die Schultern und ging hinein.

Linda wartete auf seinen Anruf. Sollte er sie anrufen? Gerade jetzt verspürte er keinerlei Verlangen danach, mit ihr zu reden. Und was sollte er ihr sagen? Er wollte keine Beziehung mit ihr. Er wollte schon gar nicht eine Familie mit ihr gründen.

Er wollte Jasmin, und zwar ganz und gar und für sich allein. Doch sie war mit einem anderen verlobt. Abgesehen davon wusste er nicht einmal, ob sie ihn wollte. Für sie war er vielleicht nur eine aufregende Abwechslung, eine spontane Gelegenheit, die sie genutzt hatte.

Wie ein Blitz schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Sie füllte die Rolle raus, die sonst immer seine gewesen war. Das war ein völlig neues Gefühl für ihn, ungewohnt und schmerzhaft.

Und dann war da das Kind, dem er ein guter Vater sein wollte.

Ich muss mich ja nicht gleich heute entscheiden, dachte er unwillig. Er musste nachdenken, wenigstens ein paar Tage. Am Wochenende war er allein und hatte nichts vor. Bis zum Drehbeginn am Montag konnte er in aller Ruhe über sich und Linda Cooper nachdenken.

Und über Jasmin. Er sah sie vor sich, ihren wunderschönen nackten Körper, ihr Gesicht, das gleichzeitig Freude, Verwunderung und Reue ausdrückte.

Nachdem sie miteinander geschlafen und sich wieder angezogen hatten, hatte sie gesagt: „Das darf nie wieder passieren, Steve. Und ich möchte nicht, dass Ben jemals davon erfährt.“

Er erinnerte sich, bei diesen Worten nicht nur Bedauern, sondern auch tiefe Traurigkeit verspürt zu haben.

„Keine Angst“, hatte er dennoch gesagt, „von mir erfährt niemand etwas. Versprochen.“

Sie war auf ihn zugekommen, hatte ihn noch ein letztes Mal zärtlich geküsst, dann war sie gegangen. Bereits in dem Moment hatte er sich einsam gefühlt.

Und schon morgen Mittag fährt sie nach New York zu ihrem Ben.

Bei dem Gedanken an diesen unbekannten Mann erfüllte ihn ein Gefühl, dass er seit Ryan Johnson nicht mehr gehabt hatte: rasende Eifersucht.

Die Vorstellung, dass dieser Mann sie küssen, berühren und womöglich mit ihr schlafen würde, sorgte dafür, dass sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog.

Als Jasmin wieder in ihrem Hotelzimmer war nahm sie als erstes eine Dusche. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, und dennoch konnte sie nicht aufhören zu lächeln. Noch immer spürte sie Steves Körper, seine Hände, seine Zunge, und ein wohliges Schaudern durchlief sie, während das heiße Wasser über ihren Körper rann.

Mit ihm zu schlafen war natürlich ein großer, ja ein riesiger Fehler gewesen. Aber ein wunderschöner Fehler. Er hatte sie in eine Ekstase versetzt, die sie lange nicht gespürt hatte. Natürlich lag das nur daran, dass es aufregend neu mit ihm gewesen war.

Oder vielleicht doch nicht? Lag es vielmehr daran, dass nach drei Jahren Beziehung bei ihr und Ben eine gewisse Routine eingekehrt war?

Oder daran, dass es falsch gewesen war, verboten, tabu?

Sie wusste es nicht, sie wusste nur, dass es herrlich gewesen war; zärtlich und doch leidenschaftlich, unbekannt und doch merkwürdig vertraut. Es hatte keine Fremdheit zwischen ihnen gegeben, alles schien so selbstverständlich, als müsse es so sein. So und nicht anders.

Als sie schließlich im Bademantel ihre Tasche für das Wochenende packte wurde ihr klar, dass sie Ben anrufen musste. Sie hatte ihm noch nicht mitgeteilt, wann sie ankam und sicher wartete er bereits darauf, von ihr zu hören.

Sie sah auf die Uhr. Es war halb acht, bei ihm also halb elf. Sie hatte eine ganz neue Scheu davor, seine Stimme zu hören und war sicher, dass er merken würde, dass etwas nicht stimmte.

Mit leicht zitternder Hand griff sie zum Hörer und wählte. Nach dem fünften Klingeln sprang der Anrufbeantworter an. Erleichtert schloss sie für einen Moment die Augen. Richtig, heute Abend hatte er eine Vorstellung!

Froh, nicht mit ihm sprechen zu müssen, gab sie mit möglichst normaler Stimme ihre Ankunftszeit an, sagte, dass sie sich auf ihn freue, legte den Hörer auf und fühlte sich scheußlich.

Schließlich zog sie sich an, legte ein leichtes Make-up auf und föhnte sich das Haar. Sie hatte beschlossen, noch auf einen Drink in die Hotelbar zu gehen. Zum Schlafen war sie viel zu durcheinander, außerdem war es noch früh. Den Text für den nächsten Tag hatte sie bereits gelernt, deshalb sprach nichts gegen einen Tapetenwechsel. Mit dem Gedanken an Steve und einem verträumten Lächeln im Gesicht verließ sie ihr Zimmer.

Die Hotelbar war nicht besonders gut besucht, nur drei Tische waren besetzt und an der Bar langweilte sich eine blond gelockte junge Frau, die mit einem Strohhalm in ihrem Cocktail rührte. Jasmin ging zur Theke und setzte sich auf den Hocker neben ihr.

„Hallo.“

Der Lockenkopf drehte sich zu ihr um. „Hi. Auch allein unterwegs?“

„Sieht so aus.“ Jasmin wandte sich an den Barkeeper. „Ein Ginger Ale bitte. Mit viel Eis.“ Dann reichte sie der Frau ihre Hand. „Jasmin Tyler“.

Ihre Sitznachbarin ließ den Strohhalm los und ergriff ihre Hand.

„Angelina de Marco, Gina für meine Freunde.“ Sie zuckte mit den Achseln und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Und für alle anderen auch. Ist mir ein Vergnügen.“

Jasmin musterte sie. Ginas blonde Locken waren schulterlang, sie hatte ein schmales, ganz hübsches Gesicht mit einer ebensolchen Nase, auf der ein paar vorwitzige Sommersprossen saßen. Sie war relativ klein, höchstens einen Meter fünfundsechzig, und zierlich.

„Sie sind Italienerin?“

„Si, l’altra metá. Zur Hälfte. Mein Vater stammt aus Italien, aber er kam schon als Kind hierher.“

„Haben Italiener nicht meist dunkles Haar?“ frage Jasmin neugierig, während sie ihr Getränk entgegennahm. Dann grinste sie. „Ich habe auch noch keinen Italiener mit Sommersprossen gesehen.“

„Meine Mutter ist Amerikanerin mit schwedischen Wurzeln“, erklärte Gina. „Ich komme sehr nach ihr, wissen Sie.“

„Dann sind Sie ja ein regelrechter Nationencocktail, was?“ amüsierte sich Jasmin. „Meine Familie ist amerikanisch durch und durch. Aber mein Vater hat viele Jahre in England gearbeitet.“ Sie zuckte bedauernd die Schultern. „Mehr europäische Kultur habe ich leider nicht zu bieten.“

Gina grinste und bot großzügig an: „Wir können uns trotzdem unterhalten.“

Und das taten sie. Gina war neunzehn und im Chateau Marmont als Sängerin angestellt. Sie verdiente nicht viel, durfte aber für die Dauer ihres Engagements im Hotel wohnen und brauchte weder an der Bar noch im Restaurant zu bezahlen.

„Ich hoffe immer darauf, dass ich bei einem meiner Auftritte entdeckt werde und groß herauskomme“, teilte sie Jasmin mit. „Bis jetzt hat das leider noch nicht geklappt. Aber man kann ja nie wissen.“

Nach einigen Drinks - Jasmin war von Ginger Ale auf Weißwein umgestiegen - unterhielten sie sich bereits so gut, als würden sie sich seit Jahren kennen. Sie freundeten sich mit dem Barkeeper Leo an, machten sich leise kichernd über die anderen Gäste in der Bar lustig und warfen sich Filmzitate und Werbesprüche um die Ohren, bis sie vor Lachen kaum noch Luft bekamen.

Gegen Mitternacht allerdings wurde Jasmin klar, dass sie langsam ins Bett musste. Schließlich war morgen noch ein Arbeitstag, den sie anständig hinter sich bringen musste.

„Ich muss morgen drehen“, sagte sie langsam zu Gina, der Wein machte ihre Zunge schwer. Dann fing sie wieder an zu kichern. „Aber es dreht sich ja jetzt schon alles!“

Umständlich kletterte sie vom Barhocker und ergriff ihre Handtasche. „Ich muss jetzt ins Bett. Gute Nacht, Gina. Vielleicht sehen wir uns am Montag, okay?“

Als Gina vom Hocker steigen wollte, fiel dieser fast um. „Ich gehe auch lieber schlafen“, beschloss sie mit schwerer Zunge. „Mann, diese Cocktails haben es in sich. Gute Nacht, Süße!“ Sie küsste Jasmin auf die Wange, dass es knallte. „Du bist echt prima.“ Leicht wankend verließ sie die Bar.

Am nächsten Morgen kam Jasmin kaum aus dem Bett. Hinter ihrer Stirn hatte sich offenbar ein Schmied eingenistet, der lautstark mit einem großen Hammer ein hartes Metall bearbeitete.

Erst in der Maske setzte sie ihre Sonnenbrille ab, und gleich darauf beschlich sie das ungute Gefühl, dass die anderen sich wissende Blicke zuwarfen.

Das bilde ich mir nur ein, sagte sie sich. Ich hätte beim Ginger Ale bleiben sollen.

„Na, Jasmin, hattest du eine heiße Nacht?“ fragte Beverly Winter in einem anzüglichen Ton. Beverly spielte in dem Film ihre Freundin. Auch hinter der Kamera verstanden die zwei sich gut.

„Nur ein Glas Wein zu viel, Bev. Nicht der Rede wert.“ Ich muss unbedingt eine Kopfschmerztablette auftreiben.

„Tatsächlich?“ Beverly, die auf dem Stuhl neben ihr saß, rückte näher an sie heran, als wolle sie ihr etwas anvertrauen. „Hier kursieren aber ganz andere Gerüchte.“

Jasmin horchte auf. „Was denn für Gerüchte?“

„Na ja…“ Ihre Kollegin warf Blicke nach rechts und links und flüsterte dann: „Danny, der Portier, hat dich gestern in Steves Büro gehen sehen und kurz darauf sollen sehr verdächtige Geräusche aus dem Zimmer gekommen sein.“

Sie registrierte Jasmins rot angelaufenes Gesicht und lächelte wissend.

„Es ist also wahr, stimmt's?“ wisperte sie mit einem sensationslüsternen Grinsen.

„Beverly, wenn du jemals…“ begann Jasmin leise. Ihre Wangen brannten vor Scham.

„Keine Angst, ich sage nichts“, behauptete ihre Kollegin und hob abwehrend die Hände. Dann leuchteten ihre Augen auf. „War es denn wenigstens gut?“

„Das geht dich gar nichts an“, blockte Jasmin ab. Ihr war heiß geworden.

„So gut also! Wow!“

Auf dem Weg zum Set fühlte sie sich elend. Von allen Seiten wurde sie von belustigten Blicken und anzüglichen Kommentaren verfolgt. Auch die Kameramänner und Requisiteure grinsten sie frech an.

Hat dieser verdammte Danny etwa ein Rundschreiben verfasst? fragte sie sich wütend, während sie mit gesenktem Kopf weiterging.

Steve war wie üblich bereits da und als er sie bemerkte, lächelte er ihr vertraulich zu. Sie winkte ihn hektisch zu sich und als er ihr Gesicht sah, entschuldigte er sich bei Tom Becker, ihrem Filmpartner, mit dem er sich gerade über die nächste Szene unterhalten hatte, und trat zu ihr.

„Hallo, was gibt es denn?“ fragte er verwundert.

„Es wird am ganzen Set über uns getuschelt“, zischte sie. "So wie es aussieht hat der Portier uns gestern gehört, als wir…“ Sie brach ab und kämpfte mit den Tränen. „Er hat allen davon erzählt.“

„Du machst Witze!“

„Schön wär’s. Beverly hat es mir gerade gesagt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie mich alle ansehen!“ Ihr Kinn zitterte und ihre Augen glänzten feucht.

Steve bemerkte das und hätte sie am liebsten tröstend in den Arm genommen, doch das war unmöglich. Es sahen bestimmt schon genug Leute, dass sie sich unterhielten und machten sich einen Reim darauf.

„Hör zu“, sagte er beruhigend. „Das ist schlimm, aber wenn wir darauf eingehen, wird es nur noch schlimmer. Montag reden alle schon wieder über etwas anderes. Wir müssen jetzt ruhig bleiben und unsere Arbeit machen.“ Er lächelte ihr liebevoll zu. „Schaffst du das?“

Sein Lächeln tat ihr gut. Sie schluckte, dann nickte sie langsam. „Ja. Ich - ich denke schon.“

„Braves Mädchen.“

Er warf ihr einen Blick zu, von dem ihre Knie weich wurden und fügte hinzu: „Heute Mittag treffen wir uns bei dir im Hotel und reden darüber. Ich würde dich ja zu mir einladen, aber das Hotel ist näher. Und mein Büro steht vermutlich unter Beobachtung der gesamten Crew. Bist du einverstanden?“

Sie nickte. „Gut. Ich warte auf dich. Zimmer 309.“

Der Vormittag verging so langsam, dass sie ganz kribbelig wurde. Es klappte gar nichts. Mehrere Einstellungen mussten acht- bis zehnmal wiederholt werden. Bis zum Mittag lagen ihre Nerven blank.

Glücklicherweise hatte sie am Nachmittag frei, da die Heimreise nach New York sich sonst wirklich nicht lohnen würde.

Als sie endlich Feierabend hatte atmete sie erleichtert durch und beeilte sich, zum Hotel zu kommen. Zehn Minuten nachdem sie ihr Zimmer betreten hatte klopfte es. Steve hatte ein paar Burger besorgt und etwas zu trinken, doch sie winkte ab.

„Ich habe keinen Hunger“, sagte sie matt und ließ ihn herein.

Er nahm auf dem Bett Platz und packte einen Hamburger aus.

„Mir knurrt ganz schön der Magen“, bekannte er. „Das Frühstück fiel heute aus. Meine Haushälterin kommt erst heute Abend.“ Er biss hinein und kaute genüsslich. Jasmin ging zum Fenster, sah kurz hinaus, drehte sich um und ging wieder zurück zur Tür.

„Es ist so schrecklich, Steve“, jammerte sie. „Was sollen wir denn bloß tun?“

Er schluckte den Bissen hinunter. „Gar nichts, das habe ich dir doch schon gesagt. Etwas anderes bleibt uns doch gar nicht übrig, oder?“

Sie blieb stehen. „Ich kann diese Blicke nicht mehr ertragen. Jeder grinst mich anzüglich an. Und Tom deutete etwas an von der 'engen Zusammenarbeit mit dem Regisseur'. Alle wissen es! Wirklich alle!“ Zornig und den Tränen nahe setzte sie ihren Marsch durch das Zimmer fort. Steve hatte den Burger aufgegessen und trank einen Schluck Cola. Dann klopfte er neben sich aufs Bett. „Komm her und setz dich, heute machst du mich ganz nervös.“

Obwohl ihr nicht danach zumute war musste sie lachen und setzte sich gehorsam zu ihm. Er legte seinen linken Arm um ihre Taille und drückte sie kurz an sich.

„Eine Möglichkeit gibt es noch“, sagte er nachdenklich.

Sie hob den Kopf und sah ihn gespannt an. „Und welche?“

Das Braun seiner Augen war heute bernsteinfarben und sein Blick warm und weich. Sie spürte die Wärme seines Körpers und fühlte sich wunderbar geborgen.

Er holte Luft. „Wir machen es offiziell. Reinen Tisch. Du sagst es Ben, ich sage es Linda und wir stehen zu unseren Gefühlen.“

Sie starrte ihn an, verwirrt und entsetzt. „Wie bitte!?“

Er nahm ihre Hand, die kraftlos auf ihrem Schoß lag. „Jasmin, das, was gestern geschehen ist, ist doch nicht ohne Grund passiert.“

Sie schüttelte verständnislos den Kopf und bemerkte irritiert seinen unsicheren Blick. „Wie meinst du das?“

Nervös stand sie wieder auf und ging fahrig auf und ab. „Du wolltest mich doch von Anfang an in dein Bett bekommen. Und gestern hast du die Nuss geknackt. Gratuliere.“

Er wirkte gekränkt, ja, beinahe verletzt. „Soll das heißen, dir hat es gar nichts bedeutet?“ wollte er wissen. „War das nur so eine Laune? Ein Augenblick der Schwäche, oder was?“ Sein Blick hatte sich verengt, ernst und traurig sah er sie an. „So kam es mir nicht vor.“

„Ich weiß es ehrlich nicht“, sagte sie ratlos, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und über das Gesicht. „Ich begehre dich, ich empfinde viel für dich. Aber bis gestern dachte ich, ich liebe Ben. Ich habe ihn nur fünf Tage nicht gesehen, und so viel ist passiert! Ich bin total durcheinander und zu gar keinen konkreten Gefühlen fähig.“

Nach diesem Erguss fielen ihre Arme herab, sie stand mitten im Zimmer, eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel, lief langsam an ihrer Wange hinab.

Er stand ebenfalls auf, trat zu ihr und nahm zärtlich ihr Gesicht in seine Hände. Mit einem sanften Kuss entfernte er die Träne von ihrer Wange.

„Okay“, nickte er. „Warten wir das Wochenende ab. Vielleicht siehst du am Montag klarer. Aber eins musst du wissen: Ich fand es gestern wunderschön. Und mir hat es sehr viel bedeutet. Du bedeutest mir sehr viel.“

Sie lächelte zaghaft. „Es war wirklich wunderschön“, gab sie flüsternd zu.

Seine Hände verschwanden von ihrem Gesicht und legten sich sanft auf ihre Oberarme. Sie schwiegen eine Weile. Dann strichen seine Hände an ihren Armen hinab, ergriffen ihre Hände und hielten sie fest. Er seufzte auf. „Ich möchte dich eigentlich nicht fahren lassen. Ich könnte durchdrehen, wenn ich daran denke, dass du und dieser - dieser Ben in den nächsten Tagen -“

Jasmin löste ihre rechte Hand aus seiner Linken und legte den Zeigefinger auf seinen Mund. Er schluckte den Rest des Satzes hinunter.

„Du hast gewusst, dass ich verlobt bin“, rief sie ihm leise in Erinnerung und nahm den Finger wieder herunter.

Sie senkte den Blick zum Boden. „Ich muss allerdings gestehen, dass mir bei dem Gedanken an Ben auch nicht ganz wohl ist. Ich weiß wirklich nicht, wie ich in die Augen sehen soll.“

Sie hob ihren Daumen an den Mund und knabberte nervös auf dem Nagel herum.

Steve nahm ihre Hand, küsste den misshandelten Daumen und sah sie bittend an. „Dann fahr nicht. Bleib einfach hier. Bei mir.“

„Ach Steve!“ Sie schlang die Arme um seine Hüften und legte den Kopf an seine Brust. Er zog sie fest an sich. Sie spürte die Wärme seines Körpers und lauschte mit geschlossenen Augen auf seinen Herzschlag. Der Gedanke, hier zu bleiben und das Wochenende mit Steve zu verbringen, war nicht ohne Reiz. Dennoch konnte sie es nicht tun.

Sie hob den Kopf. „Ich kann wirklich nicht hier bleiben. Wenn ich es täte, könnte ich es nicht genießen, weil ich Ben gegenüber ein schlechtes Gewissen hätte. Aber ich weiß, dass du mir fehlen wirst. Du bist ein toller Mann, Steve Conelly.“

Er küsste sie auf die Nasenspitze und lächelte gequält. „Erzähl mir lieber mal was Neues.“

New York

Als Jasmin spät abends am John F. Kennedy Airport ankam und die Zollkontrolle passiert hatte, sah sie Ben bereits hinter der Absperrung stehen und winken. Sie winkte zurück.

Obwohl sie ein schlechtes Gewissen wegen ihres Treuebruchs hatte freute sie sich ehrlich, ihn wieder zu sehen. Sie hatte ganz vergessen wie sehr sie sein Lächeln liebte. Als er sie in den Arm nahm und küsste machte sie sich dennoch bald wieder von ihm los.

„Endlich bist du wieder da!“ freute er sich. „Du hast mir gefehlt.“

Fast reflexartig antwortete sie: „Du hast mir auch gefehlt.“

Habe ich dich wirklich vermisst? fragte sie sich verwirrt. Ich weiß es nicht! Was habe ich nur getan!?

Ben strahlte sie an, nahm ihr die Tasche ab und griff nach ihrer Hand. Gemeinsam verließen sie das Flughafengebäude und stiegen in ein Taxi.

Jasmin zog fröstelnd die Schultern hoch. In New York war es mindestens fünfzehn Grad kühler als in Kalifornien und es wehte ein schneidender Wind. Die Passanten trugen dicke Jacken, Mützen und Schals. Verglichen mit den fröhlichen und luftig gekleideten Menschen in Los Angeles kam ihr New York wie eine andere Welt vor.

Aber wenigstens lag kein Schnee mehr.

In der Wohnung atmete sie erst einmal tief durch. Die fünf Tage, die sie fort gewesen war, kamen ihr viel länger vor. Es war schön, wieder in der Stadt und in den eigenen vier Wänden zu sein.

Aber es war auf eine völlig neue und verwirrende Art beunruhigend, mit Ben allein zu sein. Schon kam er auf sie zu, zog ihr den Mantel aus und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Dann legte er seine Arme um sie und küsste sie, innig und fordernd.

Sie versuchte krampfhaft, sich ganz auf ihn zu konzentrieren und seinen Kuss zu genießen, doch immer wieder tauchte vor ihrem inneren Auge ein Bild von Steve auf, sie konnte gar nichts dagegen tun. Ihr ging nicht aus dem Kopf, was er gesagt hatte; dass er durchdrehen könne bei dem Gedanken, dass sie und Ben -

Bens Hände glitten ihren Rücken hinunter. Dann noch tiefer. Er drückte zu und presste sich an sie. Jasmin fühlte sich merkwürdig angewidert. Jetzt mit ihm ins Bett zu gehen brachte sie einfach nicht fertig. Verunsichert stellte sie fest, dass sie das Gefühl hätte, Steve untreu zu sein, wenn sie es tat. Sie löste sich von Ben und lächelte entschuldigend.

„Hör mal, ich bin total erschöpft. Lass mich erst einmal ankommen, okay?“

Enttäuscht ließ er von ihr ab und zuckte die Schultern. „Wie du meinst“, sagte er. Im nächsten Moment lächelte er sie an. „Aber sag mir gleich Bescheid, wenn du ausgeruht bist, ja? Ich kann es nämlich gar nicht abwarten, dir wieder richtig nah zu sein.“

Freitagabend und immer noch kein Lebenszeichen von Steve. Linda hatte entgegen ihrer Gewohnheit bereits gegen fünf Uhr das Büro verlassen und war nach Hause gefahren, weil sie sich einfach nicht mehr auf ihre Arbeit hatte konzentrieren können.

Sie schlüpfte in ihren Jogginganzug und machte sich auf den Weg in den Central Park.

Während sie ihre Lieblingsrunde drehte dachte sie an das Telefonat, bei dem sie Steve gesagt hatte, dass sie sein Kind erwartete. Seine Reaktion war natürlich nicht euphorisch gewesen, damit hatte sie auch nicht gerechnet.

„Ich habe Neuigkeiten“, hatte sie gesagt und ihm geraten, sich lieber hinzusetzen. „Mein Gynäkologe hat mir bestätigt, dass ich schwanger bin. Du wirst Vater, Steve.“

Kein Laut war aus der Leitung gedrungen. „Steve? Bist du noch dran?“

„Ja, ja, natürlich. Ich bin nur - überrascht.“ Er hatte sich geräuspert. „Entschuldige, aber hattest du nicht gesagt, dass du verhütest?“

„Ja, ich nehme die Pille. Allerdings ist es gut möglich, dass ich sie hin und wieder vergessen habe. Ich -“

„Du hast sie ‚hin und wieder’ vergessen? Und was soll jetzt werden?“

Seine Stimme hatte einen ärgerlichen Klang angenommen. Sie konnte sich gut erinnern, dass ihr in diesem Augenblick die Tränen gekommen waren. Insgeheim hatte sie doch gehofft, dass er sich freuen würde. Sie hatte sich in Gedanken eine naive dumme Gans gescholten und ihm verschnupft versichert, dass sie ihn nur informieren wolle, er müsse sich keine Gedanken machen. Sie würde auch allein zurechtkommen. Daraufhin hatte er fast ein wenig kleinlaut geklungen als er ihr angeboten hatte, sie zu unterstützen, so gut er konnte.

„Das ist nicht nötig“, hatte sie kühl behauptet. „Obwohl es für ein Kind natürlich sehr wichtig ist, wenn es Mutter und Vater hat.“

Bald darauf hatten sie sich verabschiedet. Er sagte, er brauche etwas Zeit zum Nachdenken und würde sich in Kürze bei ihr melden. Das war am Mittwochabend gewesen. Seitdem hatte er nichts von sich hören lassen.

Während sie in gleichmäßigem Tempo lief, spürte sie, wie sich die bekannte wohlige Wärme in ihren Gliedern ausbreitete, die ihr signalisierte, dass ihr Körper sich durch die Bewegung entspannte. Ihr Geist dagegen war total angespannt.

Sollte sie ihn anrufen? Nein, verdammt noch mal, sie wollte ihm gegenüberstehen, nicht nur seine Stimme hören. Und sie wollte ihm in die Augen sehen, wenn er sich für oder gegen sie und das Kind entschied. Sie erhöhte das Tempo. Es begann leicht zu regnen, und sie beschloss, den Heimweg anzutreten, bevor es schlimmer wurde. Sie hasste es, bei Regen zu joggen.

Als sie außer Atem und verschwitzt zu Hause ankam hatte sie eine Entscheidung getroffen. Sie packte rasch eine Tasche, ging zum Telefon und ordnete an, ihren Privatjet vorzubereiten, sie wolle über das Wochenende nach Los Angeles fliegen. Dann sprang sie unter die Dusche.

Los Angeles

Der Flug verlief reibungslos, nur beim Start und bei der Landung war ihr ein wenig übel. Das Baby hat wohl was gegen das Fliegen.

Sie hatte sich bereits von New York aus einen Leihwagen gemietet und sicherheitshalber ein Zimmer im Beverly Hills Hotel reserviert. Als sie auf dem L. A. International Airport ankam, war es dort fast Mitternacht.

Soll ich jetzt direkt zu Steve fahren? überlegte sie. Oder lieber ins Hotel?

Doch sie wusste, sie würde nicht schlafen können, bevor sie nicht mit ihm gesprochen hatte, also ließ sie sich den Wagen bringen und fuhr hinaus nach Pasadena.

Steve hatte ihr zu Beginn ihrer Beziehung seine Karte gegeben, die Adresse stand darauf, ebenso wie seine Telefonnummer. Sie verzichtete jedoch darauf, ihn mit einem Anruf vorzuwarnen.

Sein Haus lag in der Nähe des Brookside Park. Gegen ein Uhr fuhr sie die Kiesauffahrt hinauf und sah sich dabei um. Es war zwar dunkel, doch im Licht der Autoscheinwerfer und einiger Laternen konnte sie sehen, dass es ein herrliches Grundstück war, eingerahmt von Palmen und Zypressen.

Das Haus selbst war ebenerdig, großzügig geschnitten und sehr modern. Sie sah einen Swimmingpool und erahnte sogar in einiger Entfernung einen Tennisplatz. Während ihrer Internatszeit in der Schweiz hatte sie fast täglich Tennis gespielt.

Hier könnte ich mich wohl fühlen, dachte sie mit einem zufriedenen Lächeln. Ein schöner Ort zum Leben und um ein Kind aufzuziehen.

Sie hielt vor der offenen Garage an. Dort stand ein Sportwagen, einige Fenster im Haus waren beleuchtet. Steve war also offensichtlich zu Hause und auch noch wach. Sie nahm ihre Tasche vom Beifahrersitz, stieg aus und ging mit klopfendem Herzen zur Eingangstür. Wie würde er reagieren, wenn sie so unverhofft vor seiner Tür stand?

Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr, nahm all ihren Mut zusammen und läutete. Eine melodische Glocke ertönte. Es dauerte nicht lange, dann hörte sie von innen seine Stimme.

„Lass nur, Josefine, ich gehe schon. Du kannst dich wieder hinlegen.“

Josefine. Er hatte seine Haushälterin hin und wieder erwähnt, stets in einem Tonfall der signalisierte, dass er ihr sehr zugetan war.

Er öffnete die schwere Holztür. Sein Gesicht, als er sie erkannte, zeigte Überraschung, aber keine Freude. Doch er fing sich schnell.

„Linda! Was machst du denn hier? Komm rein.“ Er ging zur Seite und ließ sie eintreten.

Der Eingangsbereich war mediterran eingerichtet und geräumig. Ein großer heller Teppich auf braunen Bodenfliesen, dezente Beleuchtung, geschmackvolle Bilder und die vielen Pflanzen in tönernen Kübeln gaben dem Raum eine anheimelnde Atmosphäre. Sie sah sich interessiert um. „Schön hast du es hier.“

„Danke.“ Er nahm ihr die Tasche ab und stellte sie auf eine antike Kommode. „Gehen wir ins Wohnzimmer.“

Er ging voraus in den sanft beleuchteten Wohnbereich, der von einer gigantischen Couch beherrscht wurde, die vor einem offenen Kamin stand, in dem jedoch kein Feuer brannte. Dazwischen lag ebenfalls ein heller, großer und dicker Teppich. Das Fernsehgerät zeigte eine Sportsendung. Steve schaltete das Gerät aus.

Vor dem Panoramafenster, das auf den Pool und die Terrasse hinausging, stand ein Flügel, auf dem einige Fotos in silbernen Rahmen standen. Linda ging langsam auf das glänzende Instrument zu.

„Spielst du?“

„Nicht sehr oft und nicht sehr gut. Aber manchmal entspannt es mich.“

Ihre Finger glitten sanft über die Tasten, ohne einen Ton hervorzubringen. „Hast du in den letzten paar Tagen gespielt?“

„Ja, gestern.“ Sie hörte die Verwunderung in seiner Stimme. „Und heute auch ein wenig. Woher weißt du das?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nur so ein Gefühl.“

Sie schaute sich die Fotos an. Auf einigen Bildern war er mit Leuten zu sehen, die vermutlich zu seiner Familie gehörten. Auf einem Foto war eine ältere blonde Frau mit Übergewicht zu sehen, die früher mal sehr hübsch gewesen sein musste. Ihre Augen glichen denen von Steve. Bestimmt war das seine Mutter. Neben ihr stand ein Mann in Steves Alter, der ihm sehr ähnelte. Vermutlich also sein Bruder.

Auf anderen Bildern stand er neben Schauspielern, mit denen er bereits gearbeitet hatte. Sie erkannte James Belushi, Michael Douglas und Farrah Fawcett-Majors. Auf dem Bild hatte Steve den Arm um Farrah gelegt und sie strahlte ihn an. Linda spürte einen Stich und deutete auf das Foto. „Hattest du was mit ihr?“ Sie bemühte sich, interessiert und nicht eifersüchtig zu wirken.

„Mit Farrah? Nein, gegen Lee kam ich nicht an“, lächelte er. „Im Ernst, sie ist nur eine Freundin.“

Linda drehte sich zu ihm um. „Ich hoffe, ich störe dich nicht“, begann sie, „aber ich musste dich einfach sehen. Und da du dich bei mir nicht blicken lässt - nun ja: da bin ich!“ Sie breitete die Arme aus und ließ sie wieder sinken.

Er spürte ihre Unsicherheit. Linda und unsicher! Das hatte er noch nie bei ihr erlebt. Da er sich selbst gegenüber zugeben musste, dass er sich wirklich nicht gerade vorbildlich verhalten hatte, ging er auf sie zu, nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er merkte allerdings gleich, dass sie diese onkelhafte Begrüßung enttäuschte.

„Du störst mich nicht“, versicherte er ihr. „Möchtest du einen Drink?“ Er hatte auf jeden Fall einen nötig.

„Eine Cola, wenn du hast.“ Sie strich über ihren Bauch. „Keinen Alkohol für mich.“

„Natürlich.“ Er wandte sich zu der üppig bestückten Bar, die an der linken Wand stand. „Kommt sofort.“

Langsam folgte sie ihm. Links und rechts neben der Bar standen beleuchtete Vitrinen. Sie trat näher und sah hinter den Glasscheiben eine Menge kleiner Wagen. Spielzeugautos. Sie erkannte einen roten Lamborghini, einen dunkelgrünen VW-Käfer, verschiedene Mercedes-Limousinen, einen Rolls Royce und viele andere mehr, alle detailgetreu.

Er schenkte Cola in ein Glas und gab Eis und eine Scheibe Zitrone dazu. „Bitte sehr.“

„Eine beeindruckende Sammlung“, sagte sie, während sie das Glas entgegennahm.

„Danke. Ein Hobby seit meiner Kindheit.“ Er wies einladend auf die Couch. „Setz dich doch.“

Mit dem Glas in der Hand nahm sie auf der Couch Platz und schlug die Beine übereinander, während sie beobachtete, wie Steve eine Schallplatte mit Jazz-Musik auflegte.

Als die Musik erklang setzte er sich auf einen Sessel und drehte mit gesenktem Kopf sein Whiskyglas in den Händen.

Sie trank einen Schluck Cola und musterte ihn. Er trug eine helle Jeans und ein weißes T-Shirt, das sich über seinen muskulösen Oberkörper spannte, ohne zu eng zu wirken. Sein Haar war unordentlicher als sonst, was ihn in ihren Augen nur noch verführerischer aussehen ließ. Seine angespannten Kiefern machten deutlich, was er von ihrem unangemeldeten Besuch hielt, doch das war ihr egal. Sie bekam sein Kind, er musste sich Zeit für sie nehmen, verdammt noch mal!

Warum sagte er nichts? Das Schweigen dauerte schon viel zu lange an. Mit jeder Sekunde, die verging, schien es schwerer zu werden, es zu brechen. Sie stellte ihr Glas auf dem niedrigen gläsernen Couchtisch ab und verursachte damit ein Geräusch, das in ihren Ohren so laut war wie ein Donnerhall. Langsam lehnte sie sich zurück.

„Und?“ wollte sie wissen, „hast du schon über unsere Situation nachgedacht?“

Er hob den Kopf. Mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht sah er sie an. „Natürlich.“ Er räusperte sich. „Ich muss dich etwas fragen und möchte dich bitten, mir diese Frage nicht übel zu nehmen.“

Sie hob auffordernd eine Hand. „Nur zu.“

Eine Weile schwieg er, dann fragte er direkt: „Bist du dir ganz sicher, dass das Kind von mir ist?“

Ihr erster Impuls war der, ihm die Cola ins Gesicht zu schütten, doch sie hielt sich zurück, straffte nur die Schultern. „Ich bumse nicht wahllos in der Gegend herum“, sagte sie kalt. „Ja, ich bin mir sicher. Hundertprozentig.“

Seine linke Augenbraue hob sich missbilligend. Richtig, erinnerte sich Linda, eine solche Ausdrucksweise mag er nicht.

Er senkte wieder den Kopf, starrte auf den Fußboden und nickte, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. „Und bist du dir auch sicher, dass du das Kind behalten willst?“ Seine Stimme war leise geworden, fast brüchig.

Sie konnte nicht mehr stillsitzen, stand auf, stellte sich vor das Fenster und schaute nach draußen. Da es dort dunkel war sah sie wie in einem Spiegel sich und Steve im Wohnzimmer. Es war kein scharfes Bild, alles wirkte ein wenig verschwommen und diffus. Genauso kam ihr die ganze Situation vor.

Er saß noch immer auf der Couch und wirkte bedrückt. Die fröhliche Jazzmusik passte gar nicht zu dieser Situation. Er hätte lieber einen Blues auflegen sollen, dachte sie mit einem Anflug von Bitterkeit.

Sie fixierte ihn durch die Glasscheibe. „Willst du es denn nicht?“ fragte sie leise und legte schützend die Hände auf ihren Bauch, als wolle sie das Ungeborene vor Gefahr bewahren.

Er hob den Kopf, stellte sein Glas neben ihres und trat hinter sie. Ihr Anblick rührte ihn auf merkwürdige Weise. Er legte die Arme um ihren Leib und berührte ihre gefalteten Hände. „Ich weiß es wirklich nicht“, sagte er leise. „Ich finde den Gedanken, ein Kind zu haben - Vater zu werden - etwas beängstigend. Und ich will ganz ehrlich sein…“ Er zögerte. „Ich weiß nicht, ob du die Frau bist, mit der ich ein Kind aufziehen möchte.“

Sie sah ihn durch die sich spiegelnde Fensterscheibe an, traurig und verletzt. Er sprach weiter, in einem beschwichtigenden Ton.

„Versteh' mich nicht falsch, Linda. Du bist eine großartige Frau, wunderschön, ausgesprochen klug und sehr reizvoll, aber - ich glaube nicht, dass ich dich liebe. Es tut mir leid.“

Es tat weh. Schrecklich weh. Sie sollte jetzt gehen. Weggehen von ihm und nie, nie mehr wieder kommen. Doch stattdessen drehte sie sich langsam um, stand ganz nah bei ihm und sah ihm in die Augen. Seine Hände lagen auf ihren Schultern.

„Ich glaube schon, dass ich dich liebe und dass ich dich glücklich machen könnte“, flüsterte sie. „Vielleicht kommt es auf einen Versuch an.“ Mit großen, bittenden Augen sah sie ihn an.

Wieder fiel ihm auf, von welch einem schönen, intensiven Grün ihre schräg stehenden Augen waren. Sogar in diesem schwachen Licht war das deutlich zu erkennen. Doch ihr flehender Blick löste nur ein Gefühl des Ärgers in ihm aus.

„Wie soll denn das gehen?“ fragte er gereizt, ließ sie abrupt los und wandte sich ab

„Ich lebe und arbeite hier, du hast dein Leben und deine Firma in New York. Das hat doch keinen Sinn.“ Er fuhr sich durch das Haar und sah sie an, als wolle er ihre Zustimmung.

Doch Linda gab so schnell nicht auf. „Ich könnte die Wochenenden hier bei dir verbringen“, schlug sie vor. „Und wenn das Kind da ist, werde ich weniger arbeiten.“ Ihre Augen leuchteten auf, als ihr ein Gedanke kam.

„Ich könnte den Hauptsitz der Cooper Enterprises nach L.A. verlegen. Es wäre möglich, Steve.“

Sie hörte selbst, wie eindringlich sie klang und hasste sich dafür, dass sie um ihn und seine Zuneigung bettelte wie ein Hund um einen saftigen Knochen.

Er wandte sich wieder um, nahm sein Glas vom Tisch, trank einen großen Schluck und ging zur Bar, um sich nachzuschenken. „Ich brauche noch Zeit“, sagte er fast ein wenig grob. „Das geht alles so furchtbar schnell. Ich war ganz zufrieden mit meinem Leben, und auf einmal tauchst du auf und krempelst alles um.“ Mit dem gefüllten Glas in der Hand drehte er sich wieder zu ihr und sah sie vorwurfsvoll an.

„Nicht ich kremple alles um“, widersprach sie hitzig. „Unser Kind tut das. Auch für mich wird sich eine Menge ändern. Auch für mich ist das alles Neuland. Ich bin nicht weniger durcheinander als du.“

Er sah zu ihr. Sie hatte die Arme in die Seite gestemmt und sah ihn herausfordernd an. Steve seufzte. „Es ist schon spät und ich bin schrecklich müde“, sagte er beschwichtigend. „Lass uns morgen weiterreden. Du kannst gern hier bleiben und im Gästezimmer übernachten, wenn du möchtest. Ich lasse es dir herrichten.“

Er stellt das volle Glas auf der Bar ab und wandte sich zum Gehen. „Gute Nacht, Linda.“

Mit schnellen Schritten verließ er das Zimmer. Dann weckte er seine Haushälterin, bat sie mit wenigen Worten, das Gästezimmer herzurichten und eilte weiter, seinem eigenen Schlafzimmer entgegen. Er musste jetzt allein sein. Es schien ihm unmöglich, Lindas Gegenwart auch nur einen Augenblick länger zu ertragen.

Josefine kämpfte sich aus ihrem Bett, nachdem Steve sie so unverhofft geweckt hatte. Wäre es nicht er, der ihr mitten in der Nacht den Auftrag gab, das Gästezimmer herzurichten, sie hätte nach so einer Aktion unweigerlich gekündigt. Doch für Steve würde sie vieles tun, er war für sie der Sohn, den sie nie gehabt hatte.

Sie hatte vor fast drei Jahren auf seine Zeitungsannonce geantwortet und war inzwischen sehr viel mehr für ihn als nur eine Haushälterin. Sie war sein Mutterersatz, sein Beichtvater, seine Psychotherapeutin. Sie kannte ihn besser als jeder andere.

Schon viele Frauen waren in dieses Haus gekommen. Und sie waren alle wieder gegangen. Einige nach wenigen Stunden, andere nach ein paar Tagen. Wirklich verliebt hatte er sich, seit sie ihn kannte, noch nie. Und Josefine war sicher, dass es mit der Dame, die plötzlich mitten in der Nacht vor seiner Tür gestanden hatte, auch nicht anders sein würde. Neu war nur, dass ein Gästezimmer benötigt wurde.

Sie schlüpfte in ihren Morgenrock und machte sich seufzend auf den Weg.

Steve saß auf seinem Bett, hatte die Ellenbogen auf seine Knie gestützt und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Er war durcheinander, aufgewühlt und ausgesprochen ärgerlich.

Warum, um alles in der Welt, war Linda so plötzlich hier aufgetaucht?

Er hatte doch gesagt, er würde sich melden. Konnte sie ihm nicht noch ein wenig Zeit geben, um sich an den Gedanken, ein Kind mit ihr zu haben, zu gewöhnen?

Er ließ sich nach hinten fallen und fuhr sich erschöpft mit den Händen über das Gesicht. Als sie so unerwartet vor seiner Tür gestanden hatte, war er mit seinen Gedanken bei dem Gespräch gewesen, dass er mittags mit Jasmin geführt hatte. Er war noch nicht bereit für Diskussionen mit Linda. Und ihre konkreten Zukunftspläne gaben ihm das Gefühl, als würde sich ein Strick um seinen Hals legen. Sie zog am anderen Ende und ihm ging langsam die Luft aus.

Er glaubte ihr, dass sie durcheinander war, dennoch kam es ihm so vor, als würde ihr die Schwangerschaft gut in den Kram passen. Er fühlte sich wehrlos und ausmanövriert. Und dieses Gefühl machte ihn wütend. Es war besser, mit dieser Wut allein zu sein.

Wie versteinert stand Linda mitten im Raum, mit hängenden Schultern und unfähig, zu verstehen, was gerade geschehen war.

Er gibt mir das Gästezimmer. Mir! Der Mutter seines ungeborenen Kindes!

Sie konnte es nicht fassen. Noch nie war sie so abgefertigt, so beleidigt worden. Sie bekam sein Baby. Und er behandelte sie wie einen x-beliebigen Gast, der überraschend hereinschneite.

Wütend überlegte sie hin und her. Was sollte sie tun? Ins Hotel fahren? Oder in seinem - Gästezimmer schlafen? Allein der Gedanke war für sie unvorstellbar.

Nach einigen Minuten, in denen sie noch immer dastand wie vom Schlag getroffen, erschien in der Tür zum Wohnzimmer eine ältere Dame im Morgenmantel, deren graues Haar zu einem losen Knoten geschwungen war.

„Guten Abend, Miss. Ich bin Josefine“, sagte sie kurz angebunden. „Ihr Zimmer ist bereit. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo es ist.“

Linda erwachte aus ihrer Starre und folgte Josefine mechanisch wie ein Roboter einen Flur entlang.

„Ihre Tasche habe ich schon ins Zimmer gebracht“, berichtete Josefine und öffnete die Tür zu einem in verschiedenen Grüntönen gehaltenen Zimmer mit hübschen gestreiften Tapeten und einem gemütlich wirkenden Himmelbett. Linda ging hinein und nickte ihr zu. „Danke.“

„Das Bad ist dort.“ Josefine deutete auf eine Tür gegenüber vom Bett. „Gute Nacht, Miss.“ Sie wandte sich ab und wollte gerade das Zimmer verlassen, als Linda sie aufhielt.

„Ach, einen Moment noch, Josefine. Welches ist das Schlafzimmer von Mr. Conelly?“

Josefine zögerte. Steve hätte wohl kaum darauf bestanden, das Gästezimmer vorbereiten zu lassen, wenn er nächtliche Gesellschaft wünschen würde. Als er sie geweckt hatte, hatte er verstört und ärgerlich ausgesehen. Und der Grund dafür stand vermutlich gerade vor ihr.

„Warum wollen Sie das wissen?“ fragte sie ungehalten und musterte ihr Gegenüber mit einem missfälligen Blick.

Das geht dich gar nichts an, du alte Hexe! dachte Linda wütend, doch sie zwang sich zu einem Lächeln.

„Ach, wissen Sie, wir hatten eine kleine Unstimmigkeit. Ich dachte, ich könnte ihm morgen früh als Wiedergutmachung das Frühstück ans Bett bringen“, log sie.

Josefine hob zweifelnd eine ihrer kräftigen Augenbrauen, deutete dann jedoch mit der Hand auf eine Tür am Ende des Flurs. „Es ist das letzte auf der rechten Seite. Und er isst am liebsten Eier mit Speck zum Frühstück. Dazu Toast und schwarzen Kaffee, heiß und stark.“

Die Haushälterin warf Linda einen warnenden Blick zu. Sie glaubte ihr kein Wort. Diese schnöselige Person konnte sie sich beim besten Willen nicht dabei vorstellen, wie sie Frühstück machte. Vermutlich wusste sie nicht einmal, wie man ein Ei aufschlug.

„Am Wochenende schläft Mr. Conelly mindestens bis um neun Uhr“, fuhr sie fort. „Und die Küche ist gegenüber vom Wohnzimmer. Das sollten Sie ja wohl lieber wissen, wenn Sie ihm das Frühstück machen wollen.“

Der ironische Unterton entging Linda nicht, sie nickte Josefine kühl zu.

„Gute Nacht, Miss“, wiederholte diese und verließ das Zimmer.

Das letzte auf der rechten Seite. Linda lächelte zufrieden, öffnete ihre Tasche, die auf dem Bett stand, und zog ein schwarzes, durchsichtiges Negligé heraus. Doch dann legte sie es wieder zurück. Sie würde es nicht brauchen.

Steve schlief unruhig. Es ging ihm so viel durch den Kopf, dass er immer wieder kurz aufwachte und sich dann hin und her wälzte. Schließlich übermannte ihn aber doch der Schlaf. Die Woche hatte ihn erschöpft.

Bereits nach kurzer Zeit wachte er erneut auf, weil er eine Bewegung vernahm. Die Bettdecke wurde angehoben, ein Körper schob sich an seinen Rücken, kühle weiche Hände streichelten seinen Arm und seine nackte Brust. Noch im Halbschlaf drehte er den Kopf ein wenig zur Seite. „Linda?“ Er bekam keine Antwort, aber als sich ein Lippenpaar auf seinen Mund presste und eine Hand ihn zwischen den Beinen streichelte, wusste er, dass sie es war. Er spürte ihre nackten Brüste an seinem Oberkörper und reflexartig drehte er sich vollständig zu ihr um, schlang seine Arme um sie und presste sie an sich. Ihr kühler Körper schmiegte sich an ihn wie Seide. Er drehte sie auf den Rücken, so dass er auf ihr lag.

Sie zog ihm geschickt die Boxershorts herunter und öffnete sich für ihn. Während er in sie eindrang, bemerkte er verwirrt, dass ein triumphierendes Lächeln ihre Lippen umspielte.

Es war schon spät, sie sollte jetzt wirklich langsam ins Bett gehen. Gina trank ihren Cocktail aus und warf Leo einen Blick zu. Der schüttelte bedauernd den Kopf.

„Du hast für heute wirklich genug gehabt, Kleine“, sagte er, während er mit einem schneeweißen Tuch ein Weinglas polierte.

„Ach Leo, sei nicht so! Nur noch einen, dann gehe ich schlafen. Bestimmt.“ Sie warf ihm einen flehenden Blick zu und klapperte mit den Wimpern. „B-i-t-t-e!“

Ein Mann trat neben sie. „Geben Sie der Lady, was sie möchte“, sagte er. „Ich übernehme die Verantwortung.“

Gina drehte sich zu dem Mann um und musterte ihn. Er war etwa einen Kopf größer als sie, vermutlich Mitte zwanzig, und hatte braunes, seitlich gescheiteltes Haar und ein freundliches Lächeln. Unter seinem hellen Sakko mit den halb aufgekrempelten Ärmeln trug er ein dunkelblaues T-Shirt. Auch seine Augen waren blau.

„Du hast es gehört, Leo“, grinste sie in Richtung des Barkeepers.

Leo seufzte vernehmlich und machte sich daran, ihr einen letzten Drink zu mixen.

Der Mann setzte sich neben sie und gab ihr die Hand. „Ich bin Ian.“ Er sprach mit dem gedehnten Akzent eines Südstaatlers.

„Gina. Danke für den Drink.“ Sie merkte selbst, dass sie nicht mehr ganz deutlich sprach.

„Gern geschehen. Sind Sie ganz allein hier, Gina?“

„Ja. Und Sie?“

„Hier in der Bar bin ich auch allein. Meine Verlobte ist bereits auf unserem Zimmer.“

Leo stellte mit einem warnenden Blick den Cocktail vor sie auf die Theke. Sie strahlte ihn an und tat so, als hätte sie den Blick nicht bemerkt. „Danke sehr, Leo, mein Freund!“

Inzwischen hatte sie Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten und sie auf ein Ziel zu konzentrieren. Vorsichtig ergriff sie das Glas und trank einen kräftigen Schluck. Sie war schon viel zu angetrunken um zu bemerken, dass Leo bei diesem Cocktail sehr mit dem Rum gegeizt hatte.

Sie wandte sich wieder ihrer neuen Bekanntschaft zu. „Du bist verlobt? Das ist schön!“ sagte sie mit schwerer Zunge.

Ian lächelte. „Ja, das finde ich auch.“

Er bestellte sich ein Bier und berichtete, dass er aus Savannah in Georgia, kam und hier mit seiner Verlobten Urlaub machte.

„Sie wollte unbedingt hierher. Wissen Sie, sie ist ein großer Filmfan. Heute musste ich sie vor dem Hollywood-Schriftzug fotografieren und den ganzen Nachmittag lang hat sie die Sterne auf dem Walk of Fame besichtigt und mindestens fünfzig davon geknipst.“

Er verdrehte die Augen und nippte an dem Bier, das Leo vor ihm abgestellt hatte.

Gina hatte Schwierigkeiten, ihm konzentriert zuzuhören, ihre Augen fielen immer häufiger zu und ließen sich immer schwerer wieder öffnen. Ihr Oberkörper beugte sich auf dem Barhocker gefährlich nach hinten. Gerade noch rechtzeitig umklammerten ihre Hände die Theke.

„Ich denke, ich bringe Sie jetzt lieber in Ihr Zimmer“, sagte Ian mit einem fürsorglichen Unterton, als er Ginas Balanceakt auf dem Hocker bemerkte.

Der Gedanke an ihr Bett hatte für sie plötzlich etwas Unwiderstehliches. Sie nahm einen letzten Schluck und stieg vorsichtig vom Barhocker. Dennoch stolperte sie und drohte umzukippen. Ian fing sie rechtzeitig auf.

„Hoppla!“ schmunzelte er. „Ich denke, du hast wirklich genug. Na, komm!“

Leo beobachtete beunruhigt, wie der Mann Gina aus der Bar führte.

„Welche Zimmernummer hast du?“ fragte Ian, als sie ins Foyer traten.

Sie reichte ihm den Schlüssel aus ihrer Handtasche. Ihr Zimmer war das vorletzte auf dem Flur im dritten Stock. Im Aufzug hielt er sie fest, damit sie nicht umkippte, und ließ sie auch, als sie ausstiegen, nicht los. Erst vor ihrer Zimmertür lockerte er seinen Griff, schloss die Tür auf und schob sie behutsam über die Schwelle.

„So, am besten, du legst dich gleich hin“, sagte er, legte seine Hände auf ihre Schultern und dirigierte sie zum Bett. Gina ließ sich erschöpft bäuchlings darauf fallen. Sie wollte nur noch schlafen.

Zunächst bemerkte sie gar nicht, dass Ian sich neben sie legte. Doch dann spürte sie seine Hand auf ihrem Rücken. Er streichelte sie.

„Lass mich in Ruhe“, murmelte sie schlaftrunken.

„Keine Sorge, ich gehe gleich.“ Seine Stimme klang heiser, seine Hand wanderte langsam tiefer und begann, ihren Po zu streicheln, glitt dann langsam zwischen ihre Beine.

Mit einem Schlag war Gina hellwach und stocknüchtern. Die Erinnerung, die sie in diesem Moment durchfuhr, war so heftig und so schmerzvoll, dass sie eine Welle der Panik in sich aufsteigen spürte.

„Nimm deine verdammten Finger da weg!“ schrie sie hysterisch, drehte sich zu ihm um und schlug mehrfach auf seinen Arm ein. Ihre Augen flackerten vor Angst und Wut.

„He, Kleine, bleib ganz ruhig, ich tue dir doch nichts“, versicherte Ian.

Ich tue dir doch nichts! Diesen Satz hatte sie schon einmal gehört und der Gedanke daran bewirkte, dass sich die Haare auf ihren Armen aufrichteten. Das Atmen fiel ihr auf einmal so schwer, als läge ein Bleigewicht auf ihrer Brust.

Ians Hand streichelte ihre Wange, seine glänzenden Augen stierten auf ihre Brust.

Gina rutschte zur Seite, krabbelte vom Bett herunter und sah sich mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen im Zimmer um. Dann ergriff sie mit einer schnellen Bewegung einen schmiedeeisernen Kerzenhalter, der auf einer Kommode stand und erhob ihn drohend.

„Verschwinde! Sofort!“ Ihre Stimme bebte. „Oder ich brülle das ganze Hotel zusammen - inklusive deiner Verlobten!“ Den Leuchter wie einen Baseballschläger schwingend kam sie auf ihn zu. Er setzte sich auf und hob abwehrend beide Hände. Ihm dämmerte, dass sie es bitter ernst meinte. „Ist ja schon gut, beruhige dich.“

Ginas Lippen bebten. „Raus hier! Aber pronto!“ Mit dem Kopf wies sie zu Tür. Ihr Herz raste und ihre Hände schwitzten. Sie hatte Angst, der Kerzenständer würde ihr entgleiten und packte sicherheitshalber fester zu.

„Na los, mach schon!“ sagte sie laut und trat noch einen Schritt näher. „Oder ich ziehe dieses Ding über deinen schmierigen Scheitel, du notgeiler Mistkerl!“

Verständnislos schüttelte er den Kopf, stand vom Bett auf und ging mit erhobenen Händen und eingezogenem Kopf an ihr vorbei. „Meine Güte, was für ein Aufstand!“ Dann öffnete er die Tür.

„Verpiss dich!“ brüllte Gina. Er verschwand und schlug krachend die Tür hinter sich zu.

„Hysterische Gans!“ hörte sie ihn noch rufen, dann ließ sie den Leuchter polternd zu Boden fallen, warf sich aufs Bett und begann zu schluchzen.

New York

Als Jasmin am Samstagmorgen erwachte lag sie allein im Bett. Sie hatte tief und traumlos geschlafen und fühlte sich munter und ausgeruht. Es ist doch etwas anderes, im eigenen Bett zu schlafen, dachte sie zufrieden und streckte sich ausgiebig. Sie war am Abend zuvor sehr früh eingeschlafen, die anstrengende und ereignisreiche Woche hatte ihren Tribut gefordert.

Der herrliche Geruch von frischem Kaffee und Eiern mit Speck erreichte ihre Nase und weckte ihren Appetit. Sie schlug die Decke zurück, warf sich ihren dunkelroten Morgenmantel über das kurze Nachthemd und ging beschwingt hinüber in die Küche. Ben saß am Tisch und sah auf den Bildschirm des eingeschalteten Fernsehers.

„Guten Morgen!“ wünschte sie fröhlich und sah, dass die Eier kurz davor waren, zu verkohlen. Schnell schob sie die Pfanne von der Herdplatte.

„Ben, die Eier, du hast -“ Sie verstummte abrupt, als Steves Name fiel und wandte sich überrascht ebenfalls dem Bildschirm zu.

„- hat während der Dreharbeiten zu seinem neuesten Film offensichtlich seine Zuneigung zu der jungen Schauspielerin Jasmin Tyler entdeckt. Wie uns aus zuverlässiger Quelle berichtet wurde, verbringt der erfolgreiche Regisseur viel Zeit mit der hübschen Hauptdarstellerin. Die zwei scheinen ein weiteres Paar zu sein, das während der Dreharbeiten zu einem Kinofilm romantische Gefühle füreinander entwickelt hat.“

Es wurde ein Foto eingeblendet. Jasmin wurde heiß. Sie wusste genau, bei welcher Gelegenheit dieses Bild entstanden war: Sie hatte Schwierigkeiten mit einer Szene gehabt und Steve war zu ihr gekommen, um sie zu ermutigen. Auf dem Foto stand er direkt vor ihr und hatte mit seinem Zeigefinger ihr Kinn angehoben, damit sie ihn ansah und zuhörte, was er ihr sagte. Im Zusammenhang mit dem Bericht jedoch schien das Bild etwas völlig anderes auszusagen.

Die Sprecherin verglich sie mit Tim Robbins und Susan Sarandon sowie anderen prominenten Pärchen, die sich während der Dreharbeiten ineinander verliebt hatten.

Ben drehte sich zu ihr um. „Sag mal, ist das wahr?“ fragte er erschüttert.

Sie antwortete nicht, starrte nur weiterhin auf den Bildschirm, unfähig, sich zu bewegen. Sie spürte, ihre Beine würden ihr nicht gehorchen, sie waren gefühllos geworden.

Die Sprecherin kam wieder auf sie und Steve zurück. „Noch vor wenigen Wochen wurde Steve Conelly häufig mit Linda Cooper, der Tochter des vor kurzem verstorbenen New Yorker Geschäftsmannes Adam Cooper gesehen, während Jasmin Tyler Anfang des Jahres ihre Verlobung mit einem Broadway-Schauspieler bekannt gegeben hat. Wir werden -“

Jasmin griff nach der Fernbedienung und schaltete mit zitternder Hand den Fernseher aus. Bens Blick schien sie zu durchbohren. Er drückte Angst aus, Wut und Enttäuschung, aber vor allem Schmerz. Jasmin fühlte sich furchtbar.

Er darf es nie erfahren!, dachte sie. Oder doch? Was, wenn ich ihm die Wahrheit sage? Er merkt es doch bestimmt sowieso, wenn ich ihn anlüge.

Mit bebenden Lippen wandte sie sich ihm zu. „Es ist natürlich nicht wahr“, hörte sie sich sagen. „Die idiotischen Möchtegern-Reporter in dieser Sendung denken sich doch immer wieder irgendeinen Schwachsinn aus“.

Sie lächelte ihn - wie sie hoffte - beruhigend an. Seine Zweifel an ihren Worten waren fast greifbar.

„Es stimmt, dass Steve und ich viel Zeit miteinander verbracht haben“, gab sie zu. „Schließlich arbeiten wir zusammen und verstehen uns gut. Wir sind Freunde. Aber das ist alles.“

„Und das Foto, hm?“ Ben war aufgestanden und ging auf sie zu.

„Hat irgendein Spaßvogel während der Dreharbeiten gemacht. Ich hatte eine Szene verpatzt und Steve versuchte, mich aufzubauen.“

Diesmal sagte sie die Wahrheit und spürte auch sofort, dass Ben ihr diese Erklärung abnahm. Sie nahm seine kraftlosen Hände in ihre. „Ich liebe dich, Ben. Zwischen mir und Steve ist nichts, ich schwöre es dir.“

Zumindest jetzt nicht mehr, vervollständigte sie den Satz in Gedanken.

Ben sah sie aus schmalen Augen an, er war noch immer misstrauisch.

„Wirklich“, bekräftigte sie, trat näher an ihn heran und küsste ihn sanft. Er zog sie an sich, ganz fest. Seine Umarmung tat ihr weh, doch sie sagte nichts.

„Ich könnte den Gedanken, dass du einen anderen hast, nicht ertragen, Baby.“ Seine Stimme klang ruhig, aber dadurch wirkte das, was er sagte, merkwürdig bedrohlich.

Sie schwieg.

Langsam streifte Ben den Morgenmantel von ihren Schultern. Er fiel zu Boden und wirkte wie ein überdimensionaler Blutfleck zu ihren Füßen. Dann schob Ben ihr kurzes Nachthemd hoch, senkte den Kopf und bedeckte ihre Brüste mit Küssen.

„Jesus, habe ich diese zwei vermisst!“ Er hob den Kopf wieder und sah sie sehr ernst an. Seine blauen Augen funkelten. „Niemand sonst soll sie je berühren, hörst du? Niemand außer mir.“

Er richtete sich wieder auf und sah sie an, seine rechte Hand schob sich in ihren Slip, berührte sie.

Jasmin zuckte fast unmerklich zusammen. Er zog seine Hand wieder zurück und ergriff die ihre. „Komm!“

Los Angeles

Linda schlief noch. Steve saß in der Küche, trank einen heißen Kaffee und dachte an die vergangene Nacht.

Als Lindas kühler nackter Körper sich an ihn gepresst hatte, hatte er mit ihr schlafen wollen; um sich abzureagieren, um irgendwie mit der Wut, der Hilflosigkeit und der Verwirrung umzugehen. Er war rücksichtslos und egoistisch gewesen, vielleicht hatte er ihr sogar weh getan, doch danach hatte er sich deutlich besser gefühlt - erleichtert und zu erschöpft, um noch viel denken zu können. Er seufzte, griff nach der Zeitung und fing an, in ihr zu blättern. Er kam zu der Seite, auf der die neuesten Klatschmeldungen standen, überflog sie und wollte gerade weiterblättern, als eine Überschrift ihm ins Auge sprang. „Hollywood-Regisseur Steve Conelly auf Freiersfüßen"

Zuerst glaubte er, der Artikel beträfe ihn und Linda, doch dann las er weiter:

„Der bekannte Regisseur und Frauenheld Steve Conelly hat eine neue Eroberung gemacht. Wie unserer Zeitung berichtet wurde, hat er offenbar eine Affäre mit der jungen Schauspielerin Jasmin Tyler, die vor gut zwei Monaten ihre Verlobung mit einem Broadway-Schauspieler bekannt gegeben hat. Conelly und Jasmin Tyler sind sich vermutlich bei den Dreharbeiten für seinen neuesten Film näher gekommen…"

Seine Augen verengten sich, seine Hand hatte sich während des Lesens zur Faust geballt. Ob dafür auch der Portier verantwortlich war? Wenn ja, würde dieser sich einen neuen Job suchen müssen. Indiskretion war Steve verhasst.

Dann dachte er an Jasmin. Sie würde schockiert sein, wenn sie diesen Artikel las. Und ihr Verlobter? Wie würde er reagieren?

Ganz leise war Linda hinter ihn getreten und las über seine Schulter mit. Als Steve sie bemerkte, zuckte er zusammen. „Linda! Du hast mich erschreckt.“

Forschend sah sie ihn an. „Das glaube ich dir aufs Wort, mein Lieber.“ Sie tippte auf den Artikel. „Ist da etwa was dran?“

Steve lehnte sich zurück und seufzte. „Was willst du hören?“

„Nach Möglichkeit die Wahrheit.“ Sie setzte sich neben ihn und er bemerkte ein nervöses Flackern in ihren Augen. Dann entschloss er sich nach kurzem Zögern, ihr - wie sie es wollte - die Wahrheit zu sagen.

„Na schön.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Vor wenigen Tagen sind Jasmin und ich uns näher gekommen, das stimmt. Irgendjemand hat das mitbekommen und sich wohl gedacht, diese Information ließe sich prima verkaufen.“

Linda lehnte sich zurück. Eine Welle der Übelkeit überkam sie, die nichts mit der Schwangerschaft zu tun hatte.

„Ihr seid euch - näher gekommen?“ Sie hatte Schwierigkeiten, die Worte hörbar auszusprechen. „Wie nah denn?“

Steve rollte mit den Augen. „Du weißt doch, was ich meine. Also bitte: Wir haben miteinander geschlafen.“

„Du hast mit Jasmin Tyler geschlafen“, wiederholte sie tonlos. Ihr wurde heiß. Furchtbar heiß. Ihre Kehle schien von jetzt auf gleich auszutrocknen. Sie brauchte Wasser. Sofort. Mit ausdruckslosen Augen sah sie ihn an. „Bring mir ein Glas Wasser.“

Er stand auf und kam kurz darauf mit dem Gewünschten zurück. Sie nahm ihm das Glas ab, trank es in einem Zug leer und gab es ihm zurück.

„Jetzt wird mir einiges klar“, sagte sie ernüchtert.

„Was meinst du?“

„Was ich meine? Deine Reserviertheit mir gegenüber. Deine Unentschlossenheit. Sie ist es, die du willst, nicht wahr?“ Sie tippte wieder mit ihrem Zeigefinger auf den Artikel und blinzelte energisch die Tränen weg, die ihr partout über die Wangen laufen wollten.

Er fuhr sich durch die Haare. „Ich habe Jasmin in der letzten Woche recht gut kennen gelernt und ja, sie bedeutet mir viel. Aber du bist es, die mein Kind bekommt.“

Ganz langsam wich die Hitze aus ihrem Körper. Ihr Atem ging wieder fast normal, ihr Pulsschlag auch. Noch war offenbar nicht alles verloren.

Mit schmalen Augen sah sie ihn an. „Und ich bin es, die letzte Nacht mit dir geschlafen hat. Was Jasmin Tyler wohl dazu sagen würde?“ fragte sie sarkastisch.

„Du hast es doch gerade gelesen, sie ist verlobt. Das war eine einmalige Sache mit uns. Zufrieden?“

Sie lachte bitter auf. „Ob ich zufrieden bin? Nein, Steve, das bin ich sicher nicht. Du erfährst, dass ich dein Kind bekomme und lässt dich von ihr trösten. So war es doch, oder?“

Er antwortete nicht, bewunderte allerdings insgeheim ihre Treffsicherheit.

Sie beobachtete ihn aufmerksam. „Du sitzt zwischen den Stühlen, nicht wahr?“

„Es ist nichts mehr zwischen Jasmin und mir“, versicherte er bedrückt. „Sie wird bald heiraten.“

Lindas Blick fiel auf die Zeitung. „Da wäre ich nicht so sicher. Wenn ihr Zukünftiger diesen Artikel liest, sagt er die Hochzeit vielleicht ab.“

Dieser Gedanke war Steve auch schon gekommen. Und er gefiel ihm.

New York

Sie lagen im Bett, Ben hatte einen Arm hinter dem Kopf verschränkt und rauchte eine Zigarette. „Was willst du gegen dieses Gerede unternehmen?“ fragte er.

Sich aufsetzend erwiderte sie: „Gar nichts. Was soll ich denn tun? Das verstummt von ganz allein.“ Sie war durcheinander. Mit Ben zu schlafen hatte ihr bisher immer Spaß gemacht, doch diesmal…. Etwas war anders gewesen. Irgendwie fremd.

Eine Erkenntnis durchzuckte sie. Er war anders gewesen. Besitz ergreifend, nicht so liebevoll und zärtlich wie sonst. Im Nachhinein kam es ihr vor, als hätte er wie ein Hund sein Revier markiert.

Nachdenklich blies er den Rauch aus. „Ich wüsste etwas, wodurch es ganz schnell verstummen würde.“

Rasch schob sie die irritierenden Gedanken beiseite und schaute ihn neugierig an. „Raus mit der Sprache.“

Er lächelte triumphierend. „Wir könnten heiraten. Heute noch. Und die Presse dazu einladen. Dann würde dieser Lügengeschichte ganz schnell die Luft ausgehen.“

Sie starrte ihn entsetzt an. „Heute noch heiraten? Wie soll denn das gehen, Ben? Wir brauchen doch Dokumente, Bluttests und was weiß ich.“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht in Florida. Mein Kollege Matt hat sich dort trauen lassen. Das ging ganz schnell. Wir fliegen rüber nach Jacksonville und heute Abend bist du Mrs. Benjamin Summers.“

Sie zögerte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht. Findest du es nicht etwas übertrieben, nur wegen ein paar Reportern, die sich etwas aus den Fingern gesaugt haben, zu heiraten?“

Ben drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und setzte sich dann mit einem Ruck auf. „Jasmin, ich liebe dich und ich will dich heiraten. Was spricht dagegen, es gleich zu tun?“

Er machte eine Pause. „Oder hast du es dir anders überlegt? Willst du mich doch nicht mehr heiraten?“

Will ich ihn heiraten? fragte sie sich ratlos. Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr!

Er sah sie prüfend an. „Vielleicht ist an dieser Story doch etwas dran?“

Sie schüttelte automatisch den Kopf. Ihre Gedanken überschlugen sich. „Nein, das sagte ich dir doch. Aber ich…“

Er legte den Kopf schräg und sah sie durchdringend an. „Aber?“

Sie atmete tief durch. „Ich habe doch gar kein Kleid.“

„Wir kaufen dir eins.“

„Du hast heute Abend eine Vorstellung.“

„Die kann die Zweitbesetzung übernehmen.“

„Was werden meine Eltern sagen?“

„Wir nehmen sie mit.“

Sie musste lachen. „Du hast wohl auf alles eine Antwort.“

Er blieb ernst. „Ich will dich heiraten, Jasmin. Und ich will es heute tun. Also, was ist? Bist du einverstanden?“

Los Angeles

Für den Rest des Wochenendes ließen Linda und Steve das Thema Jasmin Tyler fallen, wenn sie auch beide kaum an etwas anderes dachten. Lindas Blick ruhte auf Steve während er im Pool schwamm, sich neben ihr auf einer Liege ausruhte oder mit Josefine sprach. Sie hatte noch nie so für einen Mann empfunden. Bei ihren bisherigen Beziehungen war sie stets merkwürdig unbeteiligt geblieben und wenn sie vorbei waren, hatte sie immer nur Erleichterung verspürt, keine Trauer.

Diesmal war es anders. Sie wollte diesen Mann, um jeden Preis. Noch vor kurzem hatte sie gedacht, dass es sehr wehtun würde, wenn sie erführe, dass Steve eine andere hätte. Doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass ein derartiger Schmerz so heftig sein konnte. Der Gedanke, dass er eine andere Frau in den Armen hielt, küsste und streichelte war so furchtbar, dass sie glaubte, es nicht aushalten zu können. Trotzdem sah sie die zwei ständig vor sich und litt dabei Höllenqualen.

Dennoch wollte sie ihn auf keinen Fall verlieren. Gut, er war den Reizen Jasmin Tylers erlegen. Vermutlich hatte sie ihn verführt und er war nun mal ein Mann. In dieser Beziehung waren alle Männer schwach. Sie würde ihm diesen Fehltritt wahrscheinlich irgendwann verzeihen können. Wichtig war nur, dass es ein einmaliger Fehltritt blieb. Sie hatte seine Augen aufleuchten sehen, als er von dieser kleinen Schlampe gesprochen hatte. So hatten sie bei ihr nie geleuchtet.

Doch sie hatte die Trumpfkarte: Sie bekam sein Kind. Und sie würde schon dafür sorgen, dass sich ihr Traum erfüllte. Der Traum von einer Familie, bestehend aus ihr, dem Baby - und Steve.

Steve war gereizt. Lindas Anwesenheit störte ihn mehr, als er es hätte in Worte fassen können. Er hatte an diesem Wochenende das Alleinsein genießen und in Ruhe nachdenken wollen. Nun war sie hier und wich kaum von seiner Seite. Er bemühte sich nicht, seinen Ärger darüber vor ihr zu verbergen, war kurz angebunden und schweigsam.

Als der Nachmittag zu Ende ging, den sie am Pool verbracht hatten, fragte Linda: „Gehen wir später irgendwo etwas essen?“

Er schüttelte den Kopf. „Josefine steht schon seit einer ganzen Weile in der Küche. Wir essen hier.“

Die Haushälterhexe kocht? dachte Linda unbehaglich. Die kann mich nicht ausstehen. Hoffentlich hat sie mir kein Rizinusöl ins Essen gemixt.

Die untergehende Sonne schien nicht mehr so strahlend hell wie noch vor wenigen Stunden, ein milchiger Schleier hatte sich am Himmel gebildet, Wolken kamen auf und brachten etwas Wind mit, den Steve als angenehm empfand.

Wie jeden Tag um diese Zeit erschien sein Gärtner und begann, die Pflanzen und Blumen im Garten mit Wasser zu versorgen.

Sie gingen bald darauf ins Haus um sich umzuziehen und zu essen. Josefine hatte Rinderfiletsteaks gebraten, dazu gab es Salat, Sauce und ihr berühmtes Süßkartoffelpüree. Steve hatte nicht viel Hunger, doch es schmeckte ihm so gut, dass er mehr aß, als er eigentlich wollte. Anders verhielt es sich mit dem kühlen Weißwein. Davon trank er viel, weil er es so wollte. Er wollte nicht nüchtern sein, denn ohne Zweifel ging Linda davon aus, dass sie auch die kommende Nacht sein Bett teilen würde. Und er bildete sich ein, ihre Anwesenheit leichter ertragen zu können, wenn er getrunken hatte.

Es kam dann auch so, wie er befürchtet hatte. Mit einer Selbstverständlichkeit, die er als anmaßend empfand, folgte sie ihm in sein Schlafzimmer, zog sich aus und legte sich erwartungsvoll in sein Bett.

Er betrachtete sie. Ihr schwarzes Haar hatte sich wie ein Fächer auf dem Kissen ausgebreitet. Ihre Brüste waren durch die Schwangerschaft etwas größer geworden und fielen leicht zur Seite. Sie hatte ihre Beine angezogen und die Arme erwartungsvoll ausgebreitet. Er kam nicht umhin, zugeben zu müssen, dass sie eine wirklich schöne Frau war. Auch ohne den Wein hätte sich bei diesem Anblick vermutlich Verlangen bei ihm eingestellt.

Sie rekelte sich. „Du darfst ruhig näher kommen. Anfassen ist erlaubt“, sagte sie leise und lächelte.

Er entledigte sich seiner kurzen Hose und des Polohemdes und legte sich neben sie.

Sie schlang die Arme um ihn als er sich über sie beugte und sie küsste. Am liebsten hätte sie mit ihren Fingernägeln Kratzspuren in seinen Rücken geschlagen, Hinweise für das kleine Miststück Jasmin Tyler, dass sie nicht die einzige war, mit der Steve Conelly das Bett teilte.

Jacksonville, Florida

Jasmin hatte sich schließlich mit Bens Hochzeitsplänen einverstanden erklärt unter der Bedingung, dass er die gesamte Organisation übernahm. Und er gab sich wirklich Mühe.

Zunächst überredete er Jasmins Eltern, sie zu begleiten und buchte die Flüge für alle sowie zwei Hotelzimmer. Er suchte die notwendigen Papiere zusammen und packte die Taschen für die Übernachtung. Dann sagte er im Theater Bescheid, damit an diesem Abend die Zweitbesetzung seine Rolle übernahm.

Jasmin würde am Morgen nach der Hochzeit direkt nach Los Angeles weiterreisen, daher buchte er für sie einen entsprechenden Flug.

Schließlich rief er bei mehreren Fernsehsendern und Zeitungen an und informierte sie über die bevorstehende Hochzeit. Fünf von den Sendern und zwei Zeitungen wollten Reporter nach Jacksonville schicken und über die Eheschließung berichten.

Als sie am frühen Nachmittag in Florida ankamen setzte er alle Hebel in Bewegung, um die erforderlichen Papiere im Rathaus zu bekommen, was an einem Samstag nicht einfach war. Doch mit einer Durchsetzungskraft, die Jasmin bis dahin gar nicht von ihm kannte, gelang ihm auch das.

Außerdem organisierte er Ringe und einen Friedensrichter, während Jasmin mit ihrer Mutter loszog, um ein passendes Kleid zu besorgen.

Sie fanden ein schlichtes Modell aus cremefarbener Seide, passende Schuhe und eine gleichfarbige Handtasche. Während die Verkäuferin die Sachen einpackte fragte Anne leise: „Hältst du das wirklich für eine gute Idee, Schatz? Ich meine, diese überstürzte Hochzeit.“

Jasmin zuckte die Achseln. „Wir wollten doch sowieso heiraten. Dann können wir es auch jetzt tun.“

Annes Lächeln war schmerzlich. „Ich hatte mich eigentlich auf eine richtige Hochzeit gefreut. Du weißt schon, in einer Kirche, mit einem märchenhaften Brautkleid, und darauf, dass dein Vater dich zum Altar bringt. Dein Bruder ist auch nicht dabei.“

Jasmin legte den Arm um Annes Schultern. „Ich weiß, Mom. Und es tut mir leid, dass es jetzt so völlig anders abläuft. Aber im Hinblick auf die Presse und diese Berichte über -“

„Ja, ich weiß“, lenkte ihre Mutter ein und drückte Jasmins Arm. „Es ist schon in Ordnung, Kind. Ich wünsche euch beiden viel Glück. Im Grunde ist es egal, wie man heiratet, die Hauptsache ist, dass ihr euch liebt und vertraut. Und dass ihr eine gute Ehe führt.“

„Danke, Mom. Es wird schon gut gehen.“

Anne entging nicht der Blick, mit dem Jasmin das sagte, sah die Zweifel in ihren Augen.

„Noch kannst du es dir überlegen, Engel. Ich sehe doch, dass du dir nicht hundertprozentig sicher bist.“

Jasmin sah sie an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

Ben stand in ihrem Hotelzimmer und zog sich für die Zeremonie um. Jasmin war im Zimmer ihrer Eltern und kleidete sich dort an. Der Friedensrichter war für 18.00 Uhr bestellt, die Hochzeit würde in der kleinen Kapelle des Hotels stattfinden. Alles war vorbereitet.

Er hatte weiche Knie vor Aufregung. Er wollte Jasmin heiraten, weil er sie liebte und weil er fest davon überzeugt war, dass er als Ehemann erwachsener sein würde. Keine durchzechten Nächte mehr, keine Saufgelage und kein Drogenrausch. Und keine unbekannten Frauen, die morgens in seinem Bett aufwachten.

Er atmete tief durch. Er wollte Jasmin verdammt noch mal ein guter Ehemann sein.

Die Berichterstattung über ihre angebliche Affäre mit diesem Regisseur ging ihm den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Er glaubte Jasmin, und trotzdem nagte ein Stachel von Misstrauen in ihm. Dieser Regisseur war ein ziemlich gut aussehender Mann, und er war die ganze Woche über mit Jasmin zusammen. Ben mochte seiner Braut vertrauen, doch diesem Kerl traute er absolut nicht. Vielleicht ließ er seine Finger von ihr, wenn er sah, dass sie einen Ehering trug.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste. In zehn Minuten würde er heiraten. Er stand vor dem Spiegel und band sich lächelnd eine hellblaue Krawatte um. Gleich würde Jasmin seine Frau sein. Und nach Abschluss der Dreharbeiten könnten sie daran arbeiten, ein Baby zu bekommen. Ben wünschte sich eine richtige Familie. Schon deshalb, weil er zu keinem Zeitpunkt in seinem bisherigen Leben eine gehabt hatte.

Seine richtigen Eltern hatte er nie kennen gelernt. Die ersten drei Jahre seines Lebens hatte er in einem Waisenhaus in Brooklyn gelebt, bis ihn schließlich ein Hausmeister-Ehepaar aus der Nachbarschaft adoptiert hatte. Nach einigen Monaten erlitt sein Adoptivvater jedoch einen Unfall und war von da an arbeitsunfähig. Das Geld wurde noch knapper, als es ohnehin schon war. Zu der Zeit fing sein Adoptivvater an zu trinken.

Als die Behörden mitbekamen, dass Ben zunehmend verwahrloste und obendrein noch geschlagen wurde, kam er wieder zurück ins Waisenhaus, wo er blieb, bis er mit siebzehn Jahren in ein Wohnheim zog. Dort sollte er mit anderen Jugendlichen lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.

Während die anderen mit Alkohol und Drogen experimentierten und kleinere Straftaten begingen, nahm Ben sich fest vor, etwas aus sich zu machen. Durch Zufall landete er beim Theater, wo er als Platzanweiser begann und sich hocharbeitete, bis er schließlich selbst auf der Bühne stehen durfte. Die Arbeit im Theater wurde sein Lebensinhalt, die Theaterangestellten und die Schauspieler seine Familie. Doch auch in dieser Familie wurde oft getrunken und gefeiert, man animierte ihn, mitzumachen. Manchmal war er sogar auf der Bühne nicht nüchtern.

Die Bekanntschaft mit Jasmin hatte verhindert, dass seine Alkoholeskapaden ihn irgendwann zugrunde richteten. Doch wenn Jasmin wegen Dreharbeiten fort war, kam es hin und wieder vor, dass er in seine alten Gewohnheiten rutschte und zu viel trank, Drogen nahm und Mädchen abschleppte. Das würde jetzt ein Ende haben!

Er sah sich im Spiegel an und war zufrieden. Dann nahm er die Papiere und verließ das Zimmer.

Die Zeremonie war einfach und nicht sehr romantisch. Doch Jasmin sah in dem neuen Kleid bezaubernd aus und die goldenen Ringe, die Ben besorgt hatte, waren von einer geschmackvollen Schlichtheit. Jasmins Eltern und die Reporter waren die einzigen Zuschauer.

Anne tupfte ständig mit einem Taschentuch an ihren Augen herum. Ob sie vor Freude weinte oder vor Kummer, war nicht auszumachen. Leon drückte ihre Hand und lächelte ihr aufmunternd zu, die Blitzlichter der Fotoapparate und das Surren der Kameras ignorierend.

Der Friedensrichter war ein freundlicher Schwarzer von mindestens sechzig Jahren, der sich Mühe gab, damit die Trauung feierlich und würdevoll ablief.

Und als er sagte: „…erkläre ich Sie hiermit kraft meines Amtes zu Mann und Frau“, war Jasmin glücklich. Sie lächelte Ben zu und drückte seine Hand. Er strahlte ebenso viel Zuversicht aus wie sie. Es würde alles gut werden. Ganz sicher.

Puppenspiel mit Dame

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