Читать книгу Kinderärztin Dr. Martens Staffel 6 – Arztroman - Britta Frey - Страница 9

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»So beeil dich doch, und klüngle nicht so lange mit dem Essen herum, Wiebke«, fuhr Klara Sosna das kleine Mädchen an, das unlustig in dem Essen auf seinem Teller herumstocherte.

»Schmeckt nicht, Tante Klara, Wiebke möchte keinen Spinat«, erwiderte die Kleine und schob den Teller von sich.

»Der Teller wird leergegessen und damit basta, hast du mich verstanden? Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt, und du stehst auch nicht eher auf.«

»Ja, Tante Klara«, kam es nun leise über die Lippen des Mädchens, und seine Augen bekamen einen ängstlichen Ausdruck.

Klara Sosna war eine hagere fünf­zig­jährige Frau mit graumeliertem, zu einem straffen Knoten frisierten Haar. Seit vor vier Jahren Wiebkes Mutter bei der Geburt des Kindes gestorben war, lebte sie in dem kleinen Häuschen des Neffen in Wintorf und versorgte ihn und sein Kind. Klara Sosna aber war eine harte, gefühlsarme Frau, der es nur darum ging, das Kind zu versorgen und zu kleiden, den Neffen und dessen Haushalt zu betreuen und für diese Dienstleistungen, wie sie es nannte, auch noch gut bezahlt zu werden.

Heiko Recker selbst kümmerte sich nicht um sein Kind, ein niedliches Pummelchen mit blonden Ringel­locken. Er lehnte die Kleine völlig ab, richtete es auch nach vier Jahren immer so ein, daß er sie so wenig wie möglich zu sehen bekam.

Mit dem Tag, an dem seine über alles geliebte Frau Rosemarie bei Wiebkes Geburt gestorben war, war für ihn eine Welt zerbrochen. Der Kleinen gab er in seinem Schmerz die Schuld an dem herben Verlust der geliebten Frau, dem Kind gegenüber war er ungerecht. Heiko Recker hatte es vor vier Jahren nicht viel Mühe gekostet, die Tante zu überreden, in sein kleines Haus zu kommen, um sein Kind zu betreuen. Für ihn war es wichtig, daß er sich nicht um sie kümmern mußte, und daß er das Kind auch nicht jeden Tag sah. Da Klara Sosna selbst nie verheiratet gewesen war und auch keine eigenen Kinder hatte, konnte oder wollte sie es nicht sehen, daß da ein Kind war, das Liebe und Zärtlichkeit brauchte, daß sich ein kleines Herz nach Zuneigung sehnte.

So waren vier Jahre vergangen, und nichts hatte sich geändert. Im Gegenteil, es war eher noch schlimmer geworden. Wenn Heiko das kleine Mädchen einmal sah, gab es ihm einen Stich ins Herz, denn die Ähnlichkeit mit Rosemarie wurde immer deutlicher. Die Wunde schmerzte noch genauso wie am ersten Tag. In seiner Ablehnung und Gleichgültigkeit bemerkte Heiko Recker nicht, wie kalt und ohne jedes Gefühl die Tante Wiebke behandelte und versorgte. Es war inzwischen sogar so, daß Wiebke für Klara Sosna ein lästiges Anhängsel war.

An diesem Tag wurde es besonders deutlich, denn fast eine ganze Stunde ließ Klara Sosna die Vierjährige in der Küche vor ihrem Teller sitzen. Als sie dann sah, daß nichts half, daß Wiebke nicht aß, sondern nur stumm auf ihren Teller starrte, riß ihr endgültig der Geduldsfaden, und sie schickte Wiebke hinauf ins Kinderzimmer.

Böse sagte sie: »Du gehst jetzt in dein Zimmer und bleibst so lange oben, bis du vernünftig geworden bist. Da macht man sich so viel Arbeit mit dir, und du weißt das überhaupt nicht zu schätzen. Geh jetzt, ich will dich nicht mehr sehen.«

Ohne die Kleine weiter zu beachten, räumte sie den Tisch ab und begann mit dem Abwasch. Sie kümmerte sich nicht darum, daß das kleine Mädchen mit gesenktem Kopf aus der Küche schlich und schon auf dem Weg nach oben zu weinen begann. Ein vierjähriges Kind, das sich in der Welt nicht mehr auskannte. Immer war die Tante Klara böse zu ihr. Die Tante hatte sie überhaupt nicht lieb. Und der Vati auch nicht.

Ganz traurig wurde das kleine Mädchen, und noch mehr Tränen kullerten über die runden Wangen. Vor lauter Weinen schlief Wiebke schließlich ein.

Als sie später wieder wach wurde, dunkelte es bereits. Sie hörte von unten die Stimmen Tante Klaras und die ihres Vatis.

Hastig eilte Wiebke zur Tür. Sie wollte hinunter zu ihrem Vati. Die Türklinke schon in der Hand, zuckte sie erschrocken zurück.

Sie durfte ja nicht hinunter. Sie mußte oben im Kinderzimmer bleiben, bis Tante Klara es ihr erlaubte, das Zimmer wieder zu verlassen. Wiebke hatte große Angst davor, daß die Tante wieder böse wurde.

Unten im Wohnzimmer unterhielt sich Heiko Recker mit seiner Tante. Das Haushaltsgeld für den neuen Monat war fällig, und außerdem mußten einige Anschaffungen für Wiebke besprochen werden. Nach einer Weile fragte er so ganz nebenbei: »Wo steckt das Mädchen überhaupt?«

»Wiebke spielt oben im Kinderzimmer, Heiko. Soll ich sie herunterholen? Es wird sowieso Zeit für das Abendbrot für sie.«

»Nein, ich muß noch einmal fort, Tante Klara, ich habe keine Zeit für das Kind. Du machst das schon.«

»Du machst dir alles sehr einfach, Heiko. Wiebke ist schließlich dein Kind. Meinst du nicht, daß es langsam Zeit wird, sich mehr um sie zu kümmern? Du machst das schon, damit allein ist es auch nicht getan. Du kannst nicht immerzu den Kopf in den Sand stecken.«

»Laß mich damit in Ruhe, Tante Klara. Ich will sie nun mal nicht sehen. Sie erinnert mich zu sehr an Rosemarie. Ich kann nicht dagegen an. Wenn es dir mit dem Kind zuviel wird, dann mußt du es mir sagen, dann muß ich eben noch eine zusätzliche Kraft einstellen.«

»So war es nicht gemeint, Heiko. Es wird mir schon nicht zuviel. Ich werde doch ganz gut mit Wiebke fertig, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich sie zu einem ordentlichen Menschen erziehe.«

»Eben, darum frage ich mich was das soll, wenn du mich damit nervst, ich müßte mich mehr um sie kümmern. Ich habe nun mal keine tiefere Beziehung zu Wiebke. Durch sie habe ich alles verloren, was mir Glück bedeutet hat. Reden wir nicht mehr davon. Ich muß jetzt auch los. Es kann spät werden. Warte also nicht auf mich.«

»Und wenn das Kind nach dir fragt? Es geschieht schließlich recht häufig.«

»Ich habe keine Zeit.«

Einen Moment später hatte Heiko Recker das Haus verlassen.

*

Oben im Kinderzimmer stand ein kleines Mädchen am Fenster, dem Tränen über die Wangen kullerten. Es hatte gerade gehört, daß der Vati fortgefahren war, und das kleine Herz war noch trauriger geworden. Sie hatte ihm noch nicht einmal guten Tag sagen können, dabei hatte sie ihn doch so lieb.

Erschrocken fuhr Wiebke herum, als hinter ihrem Rücken die Tür aufgestoßen wurde. Es war Tante Klara, die ins Zimmer kam.

Für einen Moment kamen so etwas wie Schuldgefühle in der hageren Frau hoch, als sie sah, daß der Kleinen Tränen über die Wangen rollten. Vielleicht war sie zu hart gewesen, das Kind über Stunden allein oben im Kinderzimmer zu lassen. Doch die weiche Regung dauerte nur einen Moment. Als ob sie sich des weichen Gefühls schämte, fuhr sie das Kind heftiger als gewollt an.

»Warum weinst du eigentlich, Wiebke? Du bist eine richtige Heulsuse geworden. Du weißt doch, daß ich das überhaupt nicht mag. Also, nimm dich gefälligst zusammen und hör auf. Du kommst jetzt mit mir hinunter, und ich mache dir etwas zum Abendessen.«

»Muß ich denn wieder Spinat essen?« Ängstlich sah Wiebke zu ihrer Tante hoch.

»Nein, heute nicht mehr. Möchtest du vielleicht eine Milchsuppe?«

»Ja, Tante Klara, gern«, schniefte die Kleine.

»Gut, aber nur, wenn du jetzt mit dem Weinen aufhörst. Wenn dir etwas weh tut, sag es mir.«

»Mir tut nichts weh, Tante Klara. Bin doch nur traurig, weil der Vati schon wieder fortgefahren ist. Warum hat der Vati seine Wiebke denn nicht lieb?«

»Ach was, sicher hat dich dein Vati lieb. Dein Vati hat nur keine Zeit für dich, weil er so viel arbeiten muß. Aber du verstehst das noch nicht, dafür bist du noch zu klein. Jetzt komm endlich, damit ich nicht noch mehr Zeit vertrödele.«

Eingeschüchtert durch die schrille Stimme der Tante schlich Wiebke förmlich hinter ihr die Treppe nach unten.

Mit Heißhunger aß Wiebke wenig später die Milchsuppe und dazu eine Scheibe Weißbrot, danach war sie gesättigt.

»So, und nun wird es Zeit für dich zum Schlafengehen«, sagte Klara Sosna nach dem Essen.

»Bitte, bitte, Tante Klara, ich möchte noch nicht schlafen gehen. Will noch warten bis Vati kommt.«

»Du kannst heute nicht auf den Vati warten. Er kommt heute erst ganz spät zurück. Ich helfe dir jetzt rasch, und danach wird geschlafen. Du mußt doch morgen früh wieder in den Kindergarten.«

Das kleine Mädchen wagte nicht, zu widersprechen. Aber als es dann in seinem Bett lag und Klara Sosna schon an der Tür war, fragte es zaghaft: »Warum habe ich keine Mutti, Tante Klara? Alle Kinder im Kindergarten haben eine Mutti und einen Vati. Nur ich nicht. Warum, Tante Klara?«

»Weil deine Mutti schon sehr lange oben im Himmel ist, Wiebke. Ich habe dir doch schon gesagt, daß der liebe Gott deine Mutti zu sich geholt hat, weil sie sehr krank war.«

»Und warum hat sie mich nicht mitgenommen?«

»Sei still, Kind, und stell nicht so dumme Fragen. Es ist nun mal so. Jetzt wird aber geschlafen. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Tante Klara.«

Klara Sosna löschte das Licht und zog von außen die Tür zu.

Langsam wurde es ihr lästig, immer die gleichen Fragen der Kleinen zu beantworten. Wiebke war zwar erst vier Jahre alt, aber sie war ein aufgewecktes intelligentes Kind. Ihrer Meinung nach tat sie doch alles Nötige für das Kind. Sie sorgte dafür, daß es gut zu essen hatte und immer sauber und adrett gekleidet war. Sollte sie Gefühle heucheln, die nicht vorhanden waren? Nein, Klara Sosnas Herz war kalt und gefühllos. Sie begriff einfach nicht, daß Wiebke ein Kind war, das Liebe und zärtliche Zuwendung brauchte.

*

Einige Tage lief im Häuschen von Heiko Recker alles im alten Stil weiter. Dann aber, es war an einem Mittwoch, trat ein Ereignis ein, das vieles verändern sollte.

Da Wiebke an diesem Tag nicht in den Kindergarten konnte, eine Betreuerin war plötzlich erkrankt, ließ Klara Sosna die Kleine länger schlafen. Nach dem Frühstück, es war schon zehn Uhr vorbei, fiel Klara ein, daß sie noch ein paar Besorgungen im Ort erledigen mußte.

»So, Wiebke, ich muß noch rasch einmal fort. Du bleibst brav im Haus und spielst so lange, hast du gehört?«

»Warum darf ich denn nicht mit, Tante Klara? Ich brauche doch heute nicht in den Kindergarten.«

»Ich weiß, aber ich kann dich nicht mitnehmen, ich habe es eilig. Du störst bei meinem Einkauf nur. Außerdem hast du genug Spielsachen, mit denen du dich beschäftigen kannst, bis ich zurückkomme.«

»Ich will aber nicht allein hierbleiben. Will mit.« Trotzig sah das niedliche Persönchen Klara an, die nur den Kopf schüttelte und streng sagte: »Kleine Kinder haben nichts zu wollen, verstanden?«

»Ich will aber! Immer läßt du mich allein, Tante Klara. Du bist ganz böse, ganz böse bist du.«

»Und du bist ein kleines ungezogenes Mädchen. Spiel jetzt, ich bin bald wieder zurück. Wenn du mir versprichst, ganz brav zu sein, dann bringe ich dir auch leckere Bonbons mit.«

»Ganz viele, Tante Klara?«

»Ja, ganz viele. Ich gehe dann. Du weißt ja Bescheid.«

Da es draußen schon herbstlich kühl war, zog sich Klara rasch einen Mantel über, nahm ihre Einkaufstasche und verließ das Haus.

Eine Weile spielte Wiebke mit ihrer Puppe, dann wurde es ihr wohl zu langweilig. Dem kleinen Mädchen fiel plötzlich wieder ein, daß die Tante ihr versprochen hatte, Bonbons mitzubringen. Es dachte aber auch daran, daß die Tante immer welche in ihrem Zimmer hatte. Vielleicht waren ja noch welche da. Die Gedanken an die heißgeliebten Süßigkeiten ließen die Kleine nicht mehr los. Sie ging in das große Zimmer der Tante, das neben dem Wohnzimmer lag. Heftig klopfte das Kinderherz, als sie auf dem kleinen Sekretär neben einer kleinen Schachtel rote, runde Kügelchen entdeckte. Neugierig, mit glänzenden Augen, ging Wiebke auf die verlockenden roten Kügelchen zu, und zu ihrer Freude stand dort neben den roten auch noch ein Gläschen, in dem rosarote und kleine weiße Bonbons waren. Es waren so viele, daß Tante Klara es bestimmt nicht merken würde, wenn sie einige davon naschte. Zuerst steckte die Kleine nur zwei der roten Kügelchen in den Mund. Sie schmeckten so süß wie Zucker und rasch schluckte sie sie hinunter. Es war so verlockend, daß sie auch von den anderen Farben ein paar schluckte. Als sie eines durchbiß, mußte sie sich schütteln, so bitter war es. Rasch schob sie noch zwei der roten Kügelchen in den Mund.

Als sie plötzlich jemanden an der Haustür hörte, erschrak die Kleine so heftig, daß sie sich fast verschluckte. Ihre Kinderhand umschloß noch ein paar der verlockenden rosaroten Bonbons, als sie rasch aus Tante Klaras Zimmer lief und die Tür hinter sich zuzog. Sie war gerade wieder an der Küchentür, als die Haustür aufgeschoben wurde. Es war Tante Klara, die vom Einkauf zurück war.

»Nun, Wiebke, hast du inzwischen schön gespielt?«

»Ja, ich war auch brav, ganz ehrlich, Tante Klara.«

»Fein, das freut mich. Komm mit, du darfst mir beim Auspacken zuschauen. Bonbons habe ich dir auch mitgebracht. Du bekommst sie aber erst nach dem Mittagessen. Vor dem Essen sind zu viele Süßigkeiten nicht gesund. Und bis wir zu Mittag essen, ist es auch nicht mehr lang.«

Wiebke schwieg, und einen Moment wunderte sich Klara, daß von dem Mädchen wegen der Bonbons kein Protest kam.

Mit gesenktem Kopf stand Wiebke kurz darauf neben Klara. Was bei der Kleinen Schuldbewußtsein war, etwas Verbotenes getan zu haben, war für Klara Trotz und Bockigkeit, und sie kümmerte sich einfach nicht weiter um Wiebke. Sie räumte die Einkäufe weg und begann, das Mittagessen vorzubereiten. Wiebke saß auch schon wieder in ihrer Spielecke und spielte mit ihren Puppen.

Erstaunt horchte Klara auf, als auf einmal die Haustür aufgeschlossen wurde. Nanu, dachte sie überrascht. Heiko, um diese ungewöhnliche Zeit? Einen Augenblick später betrat er die Küche.

»Du, Heiko? Wo kommst du denn her? Dich habe ich um diese Zeit am allerwenigsten erwartet. Du kommst aber gerade rechtzeitig. Noch zehn Minuten, dann ist das Mittagessen fertig.«

»Vati, Vati, Wiebke ist auch da«, kam die helle Kinderstimme aus der Spielecke. Polternd stürzte der Kinderstuhl um, so heftig sprang die Kleine hoch und taumelte ganz eigenartig auf Heiko zu. Ihm fiel sofort auf, daß mit dem Kind etwas nicht in Ordnung war. Wie eine Betrunkene taumelte die Kleine auf ihn zu. Die Augen waren unnatürlich weit geöffnet und glänzten eigenartig.

»Was ist denn mit Wiebke los, Tante Klara?« entfuhr es ihm, und er konnte die Kleine gerade noch auffangen.

»Sie war doch gerade noch ganz in Ordnung, Heiko. Ich weiß auch nicht, was auf einmal in sie gefahren ist. Es ist mir unverständlich.«

Heiko wollte gerade antworten, als sich seine Augen weiteten. Für einen Moment bekam er es mit der Angst zu tun. Er sah nämlich, daß sich Wiebkes Hand geöffnet hatte und eine rosafarbene Pille auf den Fußboden rollte.

»Was ist denn das?« entfuhr es Heiko fassungslos.

Klaras Gesicht wurde weiß wie ein Laken. Jeder Tropfen Blut wich aus ihrem Gesicht, als sie die Tablette sah.

»Oh Gott«, kam es ächzend über ihre Lippen. »Das sind ja meine Herztabletten. Wie kommt Wiebke denn daran?«

»Darüber reden wir später, Tante Klara. Hoffentlich hat sie nicht zu viele davon geschluckt. Weißt du, wie die Pillen heißen?«

»Natürlich, ich habe sie immer in meinem Zimmer.«

»Hol mir die Schachtel und eine Wolldecke. Wiebke muß sofort in eine Kinderklinik. Du ahnst ja nicht, wie gefährlich Herztabletten für Kinder sind.«

Während Klara davoneilte, um die von Heiko geforderte Wolldecke und die Tablettenschachtel zu holen, versuchte er, Wiebke, die inzwischen ohne Bewußtsein war, wieder zurückzuholen. Aber es war vergebliche Mühe.

Da kam die Tante auch schon zurück. Sie reichte ihm die Decke, in die er Wiebke sofort einwickelte, und sagte stockend: »Wiebke muß in meinem Zimmer gewesen sein, während ich zum Einkaufen war. Es fehlen auch einige von meinen anderen Herztabletten. Sie lagen alle auf meinem Sekretär. Hier, stecke alles ein, damit die Ärzte in der Kinderklinik sofort Bescheid wissen, um was für Medikamente es sich handelt.«

»Ja, ja, schon gut, aber ich muß jetzt los.«

»Schon fast an seinem Wagen, rief er ihr noch zu: »Rufe bitte sofort in der Kinderklinik an und sage Bescheid, damit man dort schon Vorbereitungen treffen kann.«

Im nächsten Augenblick hatte er die Kleine in seinem Wagen untergebracht, setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr los.

Klara suchte in fieberhafter Eile die Telefonnummer der Kinderklinik Birkenhain heraus, um dort Bescheid zu sagen, was passiert war.

*

Als Heiko Recker mit dem Wagen vor der Notaufnahme hielt, waren schon ein Pfleger und eine Schwester mit einer fahrbaren Trage zur Stelle. In aller Eile wurde das kleine Mädchen auf die Trage gebettet und im Laufschritt ins Innere des Gebäudes gebracht. Danach ging alles sehr schnell, denn auch Kay Martens befand sich nun in der Notfallaufnahme.

Kay und auch Hanna Martens wußten, daß es auf jede Sekunde ankam, denn die tiefe Bewußtlosigkeit machte ihnen beiden die größten Sorgen. Während sie die ersten Gegenmaßnahmen einleiteten, reichte Schwester Dorte ein Tablettenröhrchen und eine Schachtel.

»Der Vater der Kleinen hat sie mir gegeben, Frau Doktor. Es sind die Medikamente, die das Kind genommen hat.«

»Danke, Schwester Dorte.«

»Was ist es, Hanna?« wollte Kay wissen, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.

»Einmal das Herzmittel Nifidipin, und das andere Mittel ist ein Beruhigungsmittel, nämlich Cliradon. Keine gute Mischung für das Kind.«

»Weiß Gott nicht«, erwiderte Kay. »Aber wenigstens wissen wir schon mal, um was für Medikamente es sich handelt. Machen wir weiter. Es ist noch einiges zu tun.«

»Wird die Kleine es schaffen, Kay?«

»Wenn ja, dann haben wir das Leben des Kindes in letzter Sekunde retten können. Es kommt jetzt darauf an, wieviel die Kleine von den Tabletten geschluckt hat, und welche Mengen der Medikamente schon vom Körper absorbiert worden sind. Zunächst ist auch eine ständige EKG-Kontrolle nötig. Weitere Schritte können wir erst unternehmen, wenn die Untersuchungsergebnisse des Mageninhaltes vorliegen.«

Es dauerte noch einige Zeit, bis es soweit war, daß man das Kind in die Intensivabteilung bringen konnte.

*

Heiko Recker ging im Wartezimmer nervös auf und ab. Er war innerlich zornig und aufgebracht, aber nicht auf sich selbst, sondern auf seine Tante. Er begriff nicht, wie sie es hatte soweit kommen lassen. Sie war doch schließlich ein erwachsener Mensch und mußte wissen, daß man seine Medikamente vor Kindern verschließen mußte. Daß sie ihre Tabletten in ihrem Zimmer aufbewahrte, war für ihn keine Entschuldigung. Ein vierjähriges Kind war neugierig, wenn es im Haus alleingelassen wurde. Aber es war auch in diesem Augenblick noch kein wärmeres Gefühl für sein kleines Töchterchen in ihm. Noch war er nicht soweit, daß er auch nur eine Sekunde daran dachte, sich selbst einen Teil der Schuld zuzuweisen.

Mitten in seine Gedankengänge hinein betrat ein schlanker, hochgewachsener Mann das Wartezimmer.

»Ich bin Dr. Martens, der Chefarzt der Kinderklinik. Ich nehme doch an, daß Sie der Vater der kleinen Patientin sind, nicht wahr?«

»Ja, mein Name ist Recker, und das kleine Mädchen ist meine Tochter Wiebke, vier Jahre alt. Wie geht es Wiebke? Wird das Mädel diese dumme Geschichte überstehen?«

»Dumme Geschichte sagen Sie, Herr Recker? Ich will Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen, daß ich es unverantwortlich finde, Medikamente für Kinder zugänglich aufzubewahren.«

»Der Meinung bin ich auch, Herr Dr. Martens. Aber in diesem Fall fühle ich mich keineswegs angegriffen. Nicht ich habe die Medikamente unverschlossen aufbewahrt, sondern meine Tante. Sie bewahrte ihre Tabletten in ihrem Zimmer auf, welches meine Tochter unerlaubt betreten hatte.«

»Was besagt das eigentlich, wenn ein kleines Kind angeblich ein Zimmer unerlaubt betritt? Eine Vierjährige hat doch noch nicht den Verstand, es als großes Unrecht zu empfinden, wenn es im Elternhaus ein Zimmer betritt. Sie als Vater müßten Ihr Kind eigentlich kennen. Man sollte es wenigstens annehmen.«

»Ich sorge für dieses Kind, aber ich kenne es nicht, Herr Doktor«, erwiderte Heiko. Als er die erstaunten, fast fassungslosen Blicke des Arztes gewahrte, wurde sein Gesicht kühl und abweisend.

Es dauerte nur Sekunden, bis sich Kay wieder gefaßt hatte.

»Sie kennen Ihr Kind nicht? Wie soll ich das verstehen? Ein Vater kennt doch sein Kind. Er liebt es doch! Hat es denn keine Mutter mehr?«

»Nein, durch seine Schuld habe ich meine über alles geliebte Frau verloren. Meine Frau starb bei Wiebkes Geburt. Ich werde es dem Kind niemals verzeihen. Aber im Augenblick ist es nicht so wichtig. Ich wollte von Ihnen nur wissen, ob das Kind es schafft. Tun Sie alles dafür, ich komme selbstverständlich für alle Kosten auf, soweit sie nicht von der Krankenkasse getragen werden. Brauchen Sie mich noch, oder kann ich jetzt gehen?«

»Im Augenblick brauche ich Sie nicht mehr«, entgegnete Kay, der sichtlich schockiert war.

Erst nachdem Heiko Recker den Warteraum verlassen hatte, konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen. Was er da aus all den Worten des jungen Mannes herausgehört hatte, das kam auch nicht alle Tage vor. Er konnte ja verstehen, daß der Verlust eines geliebten Menschen dem allein zurückbleibenden Partner großen Schmerz zufügte, aber da mußten doch auch andere Dinge wichtig sein. Wenn ein kleines Wesen schon die Mutter verliert, so braucht es doch wenigstens die Liebe und die ganze Zärtlichkeit eines Vaters. Aber es war unsinnig, jetzt weiter darüber nachzudenken. Kay konnte sich einfach nicht vorstellen, daß die Äußerungen des Vaters der kleinen Patientin bewußt ausgesprochen worden waren. Es wurde für ihn jetzt auch wieder Zeit, sich um das Kind zu bemühen.

Erst als er vor der Tür der Intensivabteilung stand, wurde ihm bewußt, daß dieser Heiko Recker nicht ein einziges Mal den Wunsch geäußert hatte, sein Kind sehen zu dürfen. Es war schon recht seltsam.

Dr. Küsters war gerade dabei, der kleinen Patientin erneut Blut für die Laboruntersuchung zu entnehmen, als Kay die Intensivabteilung betrat.

»Wie sieht es aus?« wollte er nun von seinem Assistenzarzt wissen.

»Die Atmung ist konstanter geworden, ansonsten ist alles noch unverändert, Herr Dr. Martens.«

»Gut, wir verfahren weiter wie besprochen. Erst wenn die letzten La­bor­ergebnisse vorliegen, werden wir weitere Maßnahmen durchführen. Achten Sie inzwischen besonders auf die Flüssigkeitszufuhr für die Diurese. Um sechzehn Uhr wird meine Schwester Sie hier in der Intensiv ablösen.«

»Ich bleibe gern länger, Herr Dr. Martens.«

»Das glaube ich Ihnen. Da wir aber nicht wissen, was noch alles auf uns zukommt, möchte ich, daß nach Möglichkeit der bestehende Dienstplan eingehalten wird. Sie verstehen?«

»Selbstverständlich, es war auch nur ein Vorschlag von mir, die Chefin und Sie etwas zu entlasten. Es ist schon in Ordnung so.«

Ein kurzes, freundschaftliches Nicken und Kay Martens ließ seinen Mitarbeiter allein, um ins Labor zu gehen.

Nina Dirschel, seit einigen Monaten als Laborassistentin in der Kinderklinik Birkenhain tätig, stieg das Blut bis in die Haarwurzeln, als sie den von ihr heimlich verehrten Chef sah. Freundlich grüßte er und fragte etwas anzüglich: »Wie lange muß ich noch auf die letzten Befunde warten, Frau Dirschel? Ich bringe schon wieder Nachschub von der gleichen Patientin. Wenn Sie beide, meine Damen, etwas schneller arbeiten würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.« Seine letzten Worte richtete Kay auch an die zweite Hilfe, an Inken Dören. Die nun erwiderte: »Noch zehn Minuten, Herr Dr. Martens. Schneller ging es leider nicht, denn Sie fordern ja auch genaue Fakten.«

»So ist es, Frau Dören. Es war ja auch nicht als Vorwurf gedacht. Es ist nur so, daß ich die Befunde eher gestern als heute benötige. Im Klartext, es ist sehr eilig und wichtig. Schicken Sie mir dann alles hinauf in mein Sprechzimmer.«

Kaum hatte sich die Tür hinter Kay geschlossen, sagte Inken lachend zu ihrer Kollegin: »He, Nina, komm wieder zu dir. Wenn du dich jetzt selbst sehen könntest! Du stehst da wie ein Ölgötze.«

»Was hast du gesagt, Inken?« erschrocken fuhr Nina bei Inkens hellem perlenden Lachen zusammen.

»Schon gut, Nina. Ich wollte dir auch nur klarmachen, daß du dich etwas mehr zusammennehmen mußt, wenn der Chef auftaucht. Willst du, daß er merkt, wie du ihn immer anhimmelst?«

Verlegen sah Nina die Kollegin und Freundin an und wollte leise wissen: »Du willst damit doch wohl nicht sagen, daß man mir etwas ansieht, Inken? Das wäre ja…«

»Na klar sieht man es dir an. Hast ein Gesicht wie eine reife Tomate. Ich verstehe dich ja. Der Chef ist ja auch was zum Anbeißen. Du darfst es ihm nur nicht so offen zeigen. Nun schau mich nicht so entsetzt an. Vielleicht habe ich auch nur etwas übertrieben.«

»Hoffentlich. Ich könnte ihm ja nicht mehr unter die Augen treten, wenn er etwas gemerkt hätte. Er hat ganz bestimmt nur an unsere Ergebnisse gedacht. Beeilen wir uns lieber, damit wir es bald hinter uns haben. Du bist ja nachher so lieb und bringst alles in sein Sprechzimmer, nicht wahr?«

»Klar doch, kannst dich darauf verlassen, Nina.«

In den nächsten Minuten schwiegen beide, und nur das leise Surren der Zentrifuge und das Klirren der Röhrchen war noch zu hören.

*

Für Hanna wurde es spät, ehe sie an diesem Tag zum zweiten Mal ins Doktorhaus hinüber ging. Immerhin war es ungefähr einundzwanzig Uhr. Obwohl sie sich ziemlich abgespannt fühlte, war sie doch auf der anderen Seite sehr erleichtert, denn für die am Mittag eingelieferte kleine Patientin bestand keine unmittelbare Lebensgefahr mehr. Natürlich wußten Hanna und ihr Bruder Kay, daß sie noch nicht über dem Berg war und daß es wohl noch einige Zeit dauern würde, bis sie völlig hergestellt sein würde. Aber wenigstens war das Schlimmste überstanden.

Bea Martens, die Mutter der Geschwister, saß im Wohnzimmer mit einer Handarbeit beschäftigt, als Hanna eintrat.

»Hallo, Mädel, endlich Feierabend? Du siehst müde aus. Komm, setz dich zu mir und mach es dir ein wenig gemütlich. Wenn du möchtest, mach ich dir rasch einen kleinen Imbiß zurecht, du wirst Hunger haben. Du weißt ja, daß die Füchsin heute abend nach Celle gefahren ist, um ihre Freunde zu besuchen.«

»Ja, Mutti, aber du brauchst dich nicht bemühen. Ich habe vor zwei Stunden noch eine Kleinigkeit gegessen. Es reicht mir für heute. Ich hole mir nur rasch eine Erfrischung aus der Küche, danach leiste ich dir noch ein wenig Gesellschaft.«

»Bist du denn nicht müde, Hanna? Es war doch bestimmt wieder ein sehr harter Tag für dich.«

»Ich bin zwar ziemlich abgespannt, aber nicht müde. Unsere Tage drüben in der Klinik sind nie leicht. Aber einen Augenblick, ich gehe in die Küche, und danach können wir uns unterhalten.«

»Gut, Hanna, ich warte.«

»Tut das gut, endlich die Beine ausstrecken zu können«, sagte Hanna lächelnd und machte es sich auf der Couch bequem.

»Ich kann mich gut in dich hineinversetzen. Nach einem arbeitsreichen Tag muß man sich entspannen können. Was macht denn das kleine Mädchen, von dem du mir heute nachmittag erzählt hast?«

»Das Schlimmste hat die Kleine überstanden. Allerdings können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob irgendwelche Schäden zurückbleiben werden. Es ist noch zu früh. Aber du weißt ja, mir gehen im Zusammenhang mit der Kleinen ganz andere Dinge durch den Kopf. Kay hat mir von seinem Gespräch mit dem Vater des Kindes berichtet, und ich muß immerzu daran denken.«

»Warum, Hanna, gibt es da irgendwelche Unklarheiten?«

»Wie man es nimmt, Mutti. Kannst du dir vorstellen, daß ein Vater sagt, er kenne sein Kind nicht. Sein Kind, mit dem er doch unter einem Dach lebt. Ein kleines Kind, dem er die Schuld daran gibt, daß er bei der Geburt seiner Tochter seine Frau verloren hat. Und wenn, es sind doch inzwischen schon vier Jahre vergangen. Ich verstehe so etwas nicht.«

»Es gibt vieles im Leben, was wir nicht verstehen. Vielleicht hat Kay da auch etwas mißverstanden, Hanna.«

»Das glaube ich nicht. Kay besitzt gute Menschenkenntnisse, und du kennst ja seinen wachen Verstand.«

»Und wenn es wirklich stimmt, sollte man diesen jungen Mann trotzdem nicht voreilig verurteilen. Vielleicht hat gerade dieses Unglück sein Herz wachgerüttelt. Es ist doch heute erst der erste Tag. Warte ab, wie sich die ganze Angelegenheit entwickelt. Ich weiß, es ist nicht immer leicht für dich, weil du in jedem Fall mit deinem ganzen Herzen, mit deinem Gefühl bei der Sache bist.«

»Ich kann nicht anders, und daran wird sich wohl niemals etwas ändern. Für mich kommt es nicht nur darauf an, die organischen Leiden zu heilen. Körper und Seele eines Menschen gehören für mich untrennbar zusammen, können aber nur eine Einheit sein, wenn beide gesund sind. Ver­stehst du, was ich damit sagen will?«

»Ich wäre nicht deine Mutter, wenn ich das nicht verstehen würde, Hanna. Es gab schon Zeiten, in denen ich glaubte, du würdest für diesen Beruf vielleicht zu weichherzig sein. Ich habe mich aber geirrt. Du bist für den Beruf einer Ärztin genau die Richtige. Ich bin stolz auf dich. Auf dich und Kay. Aber ich denke, für heute haben wir genug geredet. Ich will dich auf keinen Fall um deinen wohlverdienten Schlaf bringen. Für mich wird es auch langsam Zeit, in die Federn zu kommen.«

»Du bringst mich nicht um meinen Schlaf, Mutti. Es ist sehr schön, mit dir zusammenzusitzen und gemütlich zu plaudern. Es kommt uns ja oft genug etwas dazwischen. Schön ist es für mich und Kay, dich so nahe bei uns zu haben. Du wirst sehen, hier bei uns in der Heide ist auch der Winter sehr schön. Es wird nicht mehr lange dauern, bis es soweit ist. Ich liebe die langen Spaziergänge durch eine tiefverschneite Heidelandschaft. Du wirst es auch mögen. So, und nun geh ich wirklich schlafen. Ich wünsche nur, daß es eine ruhige Nacht bleibt. Wenn du jetzt auch hinaufgehst, lösche ich das Licht.«

»Gute Nacht, Hanna.«

»Gute Nacht, Mutti, und träum schön.«

Es dauerte nicht mehr lange, und oben in Hannas Schlafzimmer verlosch das letzte Licht, es kehrte Ru­he ein.

*

In den folgenden Tagen wunderten sich vor allen Dingen Hanna und Kay Martens sehr, daß sich niemand um die kleine Wiebke kümmerte, sie in der Klinik besuchen kam.

Es war schon recht merkwürdig. Dabei begann sich das kleine Mädchen unter der Fürsorge der Ärzte und Schwestern langsam von den Folgen der Tablettenvergiftung zu erholen.

Am Mittwoch war Wiebke in die Kinderklinik eingewiesen worden, und am Freitag nach der Mittagszeit hatte Hanna die Anweisung gegeben, die Kleine am nächsten Morgen auf die Krankenstation zu verlegen, da eine Intensivbehandlung nicht mehr erforderlich war.

»Du bist aber ein niedliches Persönchen«, entfuhr es Schwester Laurie, als Schwester Dorte Wiebke auf die Station in eines der hübschen Krankenzimmer gebracht hatte.

»Schon, Laurie, aber auch ein sehr einsames Kind, um das sich bis jetzt noch niemand gekümmert hat. Dabei ist das Schätzchen so geduldig und tapfer.«

»Wieso, was willst du damit sagen, daß sich bis jetzt noch niemand um die Kleine gekümmert hat? Sie hat doch schließlich Eltern, die ihr Kind lieben.«

»Soweit ich weiß, hat der Vater das Kind gebracht. Aber seit dem Tag ist auch völlige Funkstille.«

»Das gibt es doch nicht, Dorte. So ein niedliches Persönchen muß man einfach liebhaben. Wenn sich niemand um dieses Kind kümmert, dann müssen wir das eben hier im doppelten Umfang tun. Reagiert es schon wieder völlig normal, wenn es wach ist?«

»Soweit ist alles normal. Ich will damit sagen, den Umständen entsprechend. Du wirst es ja selbst sehen. So, nun muß ich wieder hinunter. Keine Zeit für lange Unterhaltungen. Wann machst du heute Mittag? Wir können ja zusammen in der Kantine essen. Du weißt ja, daß ich im Augenblick nur noch Frühdienst habe.«

»Ich gehe um Zwölf, wenn das Mittagessen für die Kinder ausgeteilt worden ist.«

»Fein, wenn ich es einrichten kann, komme ich um die gleiche Zeit in die Kantine. Bis dahin, mach’s gut. Und achte gut auf unser kleines Sorgenkind. Neue Anweisungen für die Behandlung bringt die Chefin später persönlich rauf.«

»Alles klar, Dorte, dann wollen wir mal.«

*

»Hat sich noch immer niemand wegen der kleinen Wiebke gemeldet, Schwester Elli?« wollte Hanna wissen, als sie nach ihrer Mittagspause das Schwesternzimmer auf der Krankenstation betrat.

»Leider noch nicht, Frau Dr. Martens. Es ist eine Schande, wenn man darüber nachdenkt. Wie kann man so ein kleines Würmchen einfach in einer fremden Umgebung sich selbst überlassen?«

»Man kann, wir erleben es ja gerade. Wie sieht es mit der Kleinen aus?«

»Ich habe vor ein paar Minuten nach ihr gesehen, da schlief sie fest. Wir kümmern uns sehr um sie. Unsere Schwestern haben sie schon in ihr Herz geschlossen, obwohl sie erst wenige Stunden auf der Station ist.«

»Fein, ich werde jetzt auch nach dem Kind sehen. Vielleicht ist Wiebke inzwischen wach und ich kann ein wenig mit ihr reden. Im Anschluß daran komme ich noch einmal zu Ihnen.«

Leise betrat Hanna kurz darauf das Krankenzimmer. Als sie sich über die Kleine beugte, sah sie, daß Wiebke wach war, Augen von einem so intensiven Blau, wie sie sie noch nie bei einem Kind gesehen hatte, schauten Hanna an.

»Hallo, Spatz, du bist ja wach«, sagte Hanna liebevoll und fuhr sanft über die hellblonden Ringellocken.

»Wer bist du denn?« kam es leise, mit stockender Stimme über die Kinderlippen.

»Ich bin die Tante Doktor, Wiebke. Du bist hier in einer Klinik, in der ganz viele kranke Kinder sind. Weißt du, Spatz, du warst sehr, sehr krank, und wir machen dich wieder gesund. Dein Vati hat dich zu uns gebracht.«

»Ich bin nicht krank, nur müde. Hat Vati mich ganz ehrlich gebracht? Vati hat doch keine Zeit für mich. Und Tante Klara ist immer böse. Sie wird wieder ganz doll mit mir schimpfen, weil ich doch von den Bonbons genascht habe.«

»Es waren keine Bonbons, Spatz. Es war eine Medizin, die der Doktor deiner Tante verschrieben hat. Kleine Kinder dürfen so etwas nicht schlucken. Du bist davon sehr krank geworden. Du mußt auch keine Angst haben, deine Tante Klara ist bestimmt deswegen nicht böse auf dich. Weil du so krank warst, haben sie sich große Sorgen um dich gemacht.«

»Ist gar nicht wahr, Tante Klara hat mich nicht lieb. Sie ist böse. Ich will jetzt wieder schlafen.«

»Ja, Spatz, schlaf du ruhig wieder, um so schneller bist du wieder gesund. Du bist ein liebes Mädchen.«

Hannas letzte Worte hörte Wiebke schon nicht mehr. Sie war ohne Übergang wieder eingeschlafen.

*

Erst am Sonntag nach dem Mittag­essen entschloß sich Klara Sosna dazu, in die Kinderklinik Birkenhain zu fahren, um nach Wiebke zu sehen. Es war nicht so, daß sie sich sonderlich nach dem Kind sehnte. Nein, dazu hatte sie nicht die innere Beziehung zu Wiebke. Der einzige Grund war, daß sie sich schon Heikos wegen, der noch ein bis zwei Tage fortbleiben würde, um Wiebke kümmern mußte. Außerdem mußte sie doch wohl Wäsche und Nachtzeug in die Klinik bringen. Wenn sie dafür nicht sorgte, würde man ihr das am Ende noch zum Vorwurf machen, würde denken, sie würde nicht gut für Wiebke sorgen. Sie packte also eine Tasche mit den in der Kinderklinik benötigten Dingen und legte obenauf noch eine von Wiebkes Puppen. Ganz wohl fühlte sie sich nicht in ihrer Haut. Mußte sie doch damit rechnen, daß man ihr wegen der Tabletten Vorhaltungen machen würde. Schließlich gab sie sich doch einen inneren Ruck, verließ das Haus und stieg in den Kleinwagen, den ihr Heiko schon vor drei Jahren zur Verfügung gestellt hatte, um alle Einkäufe und sonstigen Besorgungen erledigen zu können. In zügiger Fahrt fuhr sie zur Kinderklinik Birkenhain.

Als Klara Sosna mit zögernden Schritten die Kinderklinik betrat, begann ihr Herz auf einmal heftig zu pochen. Es war für sie ein ganz neues, ungewohntes Gefühl. Aber Gefühle konnte sie sich nicht leisten. Das war nichts für sie, denn seitdem sie in jungen Jahren eine sehr große Enttäuschung erlebt hatte, an der sie fast zerbrochen wäre, war sie hart geworden. Um nichts in der Welt wollte sie noch einmal durch solch eine Hölle gehen müssen. Sie würde niemals mehr Gefühle investieren, weil sie nie wieder verlieren wollte. Die hagere Frau war so von dieser Ansicht überzeugt, daß sie anderen Meinungen überhaupt keine Chance ließ. So war dieses ungewohnte Gefühl auch sehr schnell wieder verflogen. Sie war wieder die harte, gefühllose Frau, die sie immer war. Mit festen Schritten ging sie zur Aufnahme, in der eine junge Schwester saß, die an diesem Sonntagnachmittag für Martin Schriewers übernommen hatte.

»Kann ich Ihnen helfen?« fragte die Schwester freundlich.

»Ja, Schwester, mein Name ist Sosna, Klara Sosna. Ich möchte gern zu meiner Großnichte, Wiebke Recker. Können Sie mir vielleicht sagen, in welchem Zimmer das Kind untergebracht ist?«

»Einen Moment, ich sehe nach.« Rasch schlug die junge Schwester das Aufnahmebuch auf und fuhr mit dem Finger die Reihen entlang.

»Zimmer sieben, Wiebke Recker«, sagte sie dann freundlich. »Die Treppe hinauf, dann sind Sie schon da.«

»Danke, Schwester«, entgegnete Klara Sosna mit kühler Stimme und ging zur Treppe, die hinauf auf die Krankenstation führte.

Schwester Elli kam gerade aus dem Schwesternzimmer.

»Zu wem möchten Sie bitte?« fragte auch sie freundlich.

»Zimmer sieben, Wiebke Recker. Das Kind ist meine Großnichte.«

»Da vorn, gleich die zweite Tür links, Frau Sosna. Wiebke wird sich bestimmt sehr freuen.«

Na so was, schoß es Elli durch den Sinn. Es geschehen tatsächlich noch Wunder. Kümmert sich doch endlich jemand um das niedliche Persönchen.

Mit leichtem Kopfschütteln sah sie der grauhaarigen hageren Frau nach, die in diesem Augenblick das Krankenzimmer betrat. Mit eiligen Schritten ging Elli ins Schwesternzimmer, um ihren Kolleginnen Tina und Karin diese überraschende Neuigkeit zu berichten.

»Was macht diese Frau denn für einen Eindruck auf dich, Elli? Ist sie nett und freundlich?«

»Wenn du mich so direkt fragst: Kalt wie eine Hundeschnauze. Eine unfreundliche Person.«

»Aber Elli, du stellst vielleicht Vergleiche. Ganz so schlimm wird es schon nicht sein.«

»Du wolltest meine Meinung hören, Karin. Du kannst dir diese Dame ja selbst einmal ansehen.«

»Worauf ihr euch verlassen könnt. Wenn sie wirklich so ist, wie du sie geschildert hast, sollten wir gut auf das Schätzchen aufpassen. Ich bringe ihr jetzt ein Glas Milch und schaue mir diese Frau genau an. Klara Sosna heißt sie?«

»Genau, so hat sie sich vorgestellt. Wiebke ist ihre Großnichte, hat sie gesagt.«

»Na ja, wir werden sehen.« Schwester Karin ließ ihre Kolleginnen allein, ging in die Teeküche hinüber und füllte ein Glas mit frischer Milch, um es der kleinen Patientin zu bringen. Die Hand schon an der Türklinke, hörte sie eine kalte, herrische Frauenstimme sagen: »Es wird dir hoffentlich eine Lehre sein, du ungezogenes Kind. Man geht nicht einfach an fremde Sachen. Du hast ja wohl gemerkt, was dabei herausgekommen ist.«

Empörung stieg in Karin hoch. So sprach man doch nicht mit einem vierjährigen kranken Kind. War diese Frau denn von allen guten Geistern verlassen? Sie hörte eine verängstigte Kinderstimme antworten: »Warum bist du wieder so böse mit mir, Tante Klara? Ich dachte doch, daß es Bonbons sind. Mein Vati soll kommen. Du bist böse, geh weg. Du hast mich ja nicht lieb.«

Nun glaubte Karin es doch an der Zeit, das Zimmer zu betreten, um der Kleinen zu helfen. Sie klopfte kurz an und betrat sofort das Krankenzimmer.

Eine hagere Frau, die Karin wegen ihrer grauen Haare älter als fünfzig schätzte, fuhr bei ihrem Eintreten herum. Ein strenges, beherrschtes Gesicht mit kalten graublauen Augen. Aber Karin hatte keine Zeit, länger in dieses Gesicht zu sehen, denn in den Kissen lag Wiebke, der dicke Tränen über die Wangen kullerten.

»Was geht hier vor, Frau Sosna? Warum weint das Kind?«

»Was geht Sie das an? Sie sind hier nur eine Schwester«, antwortete Klara Sosna mit herrischer Stimme, und Karin war bestürzt, als sie die Gefühlskälte dieser Frau erkannte. So höflich, wie es ihr in diesem Augenblick möglich war, sagte sie: »Das geht mich sogar sehr viel an, Frau Sosna. Ich bin zwar, wie Sie so treffend sagten, nur eine Schwester, aber ich trage für dieses kleine Kind die Verantwortung. Es ist unverantwortlich, das Kind derart aufzuregen.« Klara Sosna nicht weiter beachtend, beugte sie sich zu Wiebke und sagte liebevoll, indem sie ihr die Tränen von den Wangen tupfte: »Es ist ja gut, nicht mehr weinen, Schätzchen. Ich bin bei dir. Du trinkst jetzt brav deine Milch und danach schläfst du noch ein bißchen.«

»Sie ist böse, ich mag die Tante Klara nicht. Der Vati soll kommen«, schluchzte die Kleine, trank aber gehorsam ihre Milch.

»Ich muß Sie bitten, ihren Besuch zu beenden, Frau Sosna, oder ich muß Frau Dr. Martens informieren.«

»Überschreiten Sie damit nicht Ihre Kompetenzen, Schwester? Dürfte ich vielleicht Ihren Namen wissen?«

»Selbstverständlich, ich bin Schwester Karin. Aber ich hätte da auch noch eine Frage, Frau Sosna. Warum kommen die Eltern des Kindes nicht zu Besuch? Ihnen müßte das Wohl ihrer kleinen Tochter doch wohl am meisten am Herzen liegen, oder?«

»Pah, das Wohl am Herzen liegen, wenn ich das schon höre. Eine Mutter hat Wiebke nicht mehr. Die starb bei Wiebkes Geburt. Ich habe das Kind bis jetzt großgezogen. Der Vater will doch überhaupt nichts von dem Kind wissen, lehnt es völlig ab.« Die letzten Worte waren unbeabsichtigt gesagt, und sie biß sich nun doch erschrocken auf die Lippen.

Hoffentlich hat die Kleine nichts von diesen Äußerungen gehört, dachte Karin bestürzt und warf einen schnellen Seitenblick auf Wiebke. Die Kleine lag mit geschlossenen Augen in den Kissen, und es sah so aus, als wäre sie eingeschlafen.

»Bitte, Frau Sosna, lassen wir Wiebke schlafen. Es wird das Beste für den Augenblick sein.«

»Ich wollte sowieso gehen, da Sie mich ja dazu aufgefordert haben. Ich wünsche noch einen guten Tag.« Den Kopf in den Nacken werfend, rauschte Klara Sosna an der jungen Schwester vorbei aus dem Zimmer.

Karin überzeugte sich noch einmal davon, daß Wiebke wirklich eingeschlafen war, danach ging sie zu ihren Kolleginnen ins Schwesternzimmer zurück.

»Was war los, Karin? Die Madam ist ja eben wie ein Dragoner den Gang hinuntergerauscht.«

»Sie war eingeschnappt und ziemlich aufgebracht. Ich habe sie nämlich gebeten, ihren Besuch bei Wiebke abzubrechen.«

»Du hast was getan?« Konsterniert sahen Tina und Elli Karin an.

»Genau das, was ich gerade gesagt habe. Sie hat Wiebke durch ihre Gefühllosigkeit aufgeregt und zum Weinen gebracht. Konnte ich das etwa so ohne weiteres zulassen?«

»Und wenn du dadurch Ärger mit Frau Dr. Martens bekommst?«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn es trotzdem soweit kommen sollte, kann ich es auch nicht ändern. Uns wird doch immer wieder gesagt, daß das Wohl unserer kleinen Patienten immer und zu jeder Zeit an erster Stelle stehen muß. Und genau daran habe ich gedacht, als ich Frau Sosna bat, ihren Besuch für heute zu beenden. Ich werde die Gründe dazu jederzeit vertreten können.

Aber nun Schluß damit, es gibt auch noch andere Dinge, über die wir uns unterhalten können. Ich kann euch gar nicht sagen, wie leid mir das Mädchen tut. Und natürlich werde ich Frau Dr. Martens von dem Vorfall berichten, sobald ich sie sehe. Ich würde sagen, wir kontrollieren jetzt die anderen Zimmer. Es werden nicht alle Patienten Besuch haben, und wir haben ja jetzt etwas Zeit und können uns mit ihnen beschäftigen. Wenigstens zwei von uns.«

»Genau, Karin. Wenn es so ruhig bleibt, können wir uns über den heutigen Tag nicht beklagen. Also, gehen wir es wieder an«, stimmte Tina zu und verließ als erste das Schwesternzimmer.

*

Es war schon sechzehn Uhr vorbei, als Dr. Hanna Martens auf die Krankenstation kam. Sie hatte unten kurz mit dem diensthabenden Arzt, Dr. Alex Herbst gesprochen, der ihr gesagt hatte, daß es bis zu diesem Zeitpunkt sehr ruhig gelaufen war. Sie wollte eigentlich sofort wieder ins Doktorhaus zurück, hatte es sich dann doch anders überlegt und war hinaufgegangen.

Schwester Tina kam gerade mit dem Getränkewagen aus der Teeküche, als Hanna den Gang entlang kam und freundlich fragte: »Können Sie mir sagen, ob unser Sorgenkind von Zimmer sieben heute schon Besuch hatte, Schwester Tina?«

»Ja, es war gegen vierzehn Uhr jemand hier, Frau Doktor. Schwester Karin kann Ihnen mehr darüber sagen. Sie hat mit der Dame gesprochen. Es war keine erfreuliche Angelegenheit. Soll ich Schwester Karin holen? Sie ist hinten in zwölf. Sie möchte Sie über die Angelegenheit informieren.«

»Eine unerfreuliche Sache, sagen Sie? Selbstverständlich möchte ich umgehend mit Ihrer Kollegin darüber sprechen. Sagen Sie ihr, daß ich vorn im Ärztezimmer auf sie warte. Ansonsten war ja alles ruhig, wie mir Herr Dr. Herbst gerade sagte.«

»Ja, wir hatten keine Probleme. Nur die anfallenden Behandlungen. Es war wirklich ungewöhnlich ruhig.«

»Fein, dann kann man nur wünschen, daß es auch so bleibt.«

Ein freundliches Nicken und Hanna ging ins Ärztezimmer. Es dauerte auch nur ein paar Minuten, bis es an der Tür klopfte.

Da bin ich aber gespannt, dachte Hanna und rief freundlich: »Ja, bitte, kommen Sie nur herein.«

Mit leicht geröteten Wangen kam Schwester Karin ins Zimmer. »Guten Tag, Frau Doktor.«

»Guten Tag, Schwester Karin. Wie mir Ihre Kollegin Tina sagte, möchten Sie mich über eine bestimmte Angelegenheit in Kenntnis setzen. Bitte, nehmen Sie doch Platz und erzählen Sie mir alles. Mich interessiert alles, was unsere Patienten betrifft.«

»Es geht um die kleine Wiebke, Frau Dr. Martens.«

»Ich weiß, Tina hat da schon eine Andeutung gemacht.«

»Wiebke hatte Besuch. Eine Frau Sosna war da.« Mit ruhiger Stimme berichtete die junge Schwester nun über den Vorfall in Wiebkes Krankenzimmer.

»Es stimmt ja, was diese unangenehme Frau sagte. Ich habe wirklich meine Kompetenzen überschritten, aber ich konnte doch nicht anders und würde immer wieder so handeln.« Hanna antwortete mit einen beruhigenden Lächeln: »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie haben richtig reagiert. Ich hätte mit Frau Sosna vielleicht noch ganz anders gesprochen. Ist sie wirklich so schlimm?«

»Ja, eine Frau ohne Gefühl. Die kleine Wiebke kann einem schon leid tun. Wie ich das mitbekommen habe, ist sie ein bedauernswertes Kind. Ich kann nur nicht begreifen, daß so etwas möglich sein kann. Aber es steht mir nicht zu, mir ein Urteil anzumaßen. Gibt es denn keine Möglichkeit, die Kleine wenigstens hier in der Klinik zu schützen? Sie kann sich doch gegen so viel Herzlosigkeit überhaupt nicht wehren.«

»Wir werden es versuchen, Karin. Ich werde dafür Sorge tragen, daß die Kleine keinen Besuch erhält, mit dem ich nicht vorher gesprochen habe. Sie haben ein sehr weiches, mitfühlendes Herz, und darüber freue ich mich. Ich bin damit einverstanden, wenn unsere Schwestern in kritischen Situationen, wenn es um das Wohl der kleinen Patienten geht, handeln und nicht gleich kneifen. Nur weiter so.«

»Die Kleine ist so ein liebes Schätzchen. Ich möchte mich in meiner Freizeit um das Kind kümmern, solange es bei uns bleiben muß. Erlauben Sie es mir, Frau Doktor?«

»Warum nicht, Schwester Karin? Sie dürfen nur nicht übertreiben, denn es kommt der Tag, an dem das Kind wieder aus unserer Obhut entlassen wird.«

»Ich werde es nicht vergessen, Sie können sich darauf verlassen.«

»Gut, ich schaue noch kurz nach Wiebke, dann bin ich auch schon wieder weg.«

Bevor Hanna jedoch mit Schwester Karin das Ärztezimmer verlassen konnte, klingelte das Telefon. Während die Schwester hinausging, nahm Hanna den Hörer ab. »Dr. Martens«, meldete sie sich.

»Hier ist die Aufnahme, Schwester Regine, Frau Dr. Martens. Hier ist ein Ehepaar Wesseling, das Sie dringend zu sprechen wünscht.«

»Danke, Schwester Regine, ich bin in wenigen Minuten unten.«

Endlich, dachte Hanna erleichtert, denn sie hatte nicht mehr daran geglaubt, daß sie heute noch etwas von den Eltern der kleinen Irmgard Wesseling hören würde. Immerhin war es schon nach sechzehn Uhr. Kay hatte schon angedeutet, daß die notwendige Operation erneut verschoben werden mußte. Es kam jetzt nur darauf an, daß beide Elternteile einverstanden waren. Hanna selbst rechnete sehr stark damit, denn wie sie die Mutter der jungen Patientin kennengelernt hatte, liebte diese ihre Tochter über alles.

So hielt sich Hanna nicht mehr länger oben auf der Krankenabteilung auf, sondern ging mit eiligen Schritten hinunter in die Eingangshalle. Sie war noch nicht ganz unten, da sah sie, daß sich in der Besucherecke zwei Menschen erhoben. Frau Wesseling, die sie ja schon sehr gut kannte, und ein dunkelhaariger Mann. Beide kamen ihr mit raschen Schritten entgegen.

»Guten Tag, Frau Dr. Martens. Entschuldigen Sie bitte, daß wir erst jetzt kommen. Mein Mann ist erst vor zwei Stunden von seiner Reise zurückgekommen.«

»Die Hauptsache ist wohl, daß Sie beide hier sind«, antwortete Hanna herzlich, nachdem sie auch Herrn Wesseling begrüßt hatte und beide zu sich ins Sprechzimmer bat.

Kaum hatte Hanna die Tür hinter sich zugezogen, als Bert Wesseling mit ernster Stimme fragte: »Ist es mit unserer Tochter wirklich so ernst, Frau Dr. Martens? Meine Frau sagte mir, daß man bei Irmgard einen Nierentumor festgestellt hat. Gibt es wirklich keinen Zweifel? Muß eine Operation durchgeführt werden? Es muß doch auch Behandlungen mit Medikamenten oder Bestrahlungen geben. Warum gleich operieren?«

»Es tut mir leid, aber die einzige Möglichkeit, das Leben Ihres Kindes zu retten, ist eine Operation. Es ist dazu inzwischen schon fast zu spät. Sie können gern auch noch mit meinem Bruder darüber reden. Nur, er wird Ihnen keine andere Auskunft geben können. Die Operation ist schon für morgen früh angesetzt. Uns fehlt nur noch Ihr Einverständnis. Ich bitte Sie um Ihres Kindes willen, zögern Sie Ihre Entscheidung nicht hinaus.«

»Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, werde ich mich auf keinen Fall dagegen stellen. Genau wie meine Frau, liebe ich unsere Einzige über alles. Mein Kind muß weiterleben. Tun Sie alles, was dazu nötig ist. Was immer es auch kosten sollte, es spielt keine Rolle. Bitte, sagen Sie das auch Ihrem Bruder. Dürfen wir jetzt zu unserer Tochter?«

»Natürlich, gehen Sie nur. Irmgard war gestern sehr traurig, weil niemand sie besuchte. Sie wird bestimmt überglücklich sein, Sie beide zu sehen.«

»Danke, Frau Dr. Martens, doch bevor wir gehen, möchte ich mein Einverständnis unterschreiben, bevor es womöglich später vergessen wird.«

Hanna reichte ihm das vorbereitete Formular, und ein paar Minuten später war sie allein. Sie ging nun noch kurz auf die Intensivabteilung und sprach mit der Oberschwester. Danach wurde es für sie Zeit, hinüber ins Doktorhaus zu gehen. Sie mußte unbedingt mit Kay sprechen, ihm berichten, daß der Vater Irmgards mit der Operation einverstanden war. Er würde bestimmt genauso erleichtert sein wie sie selbst. Die Operation konnte also am kommenden Tag durchgeführt werden.

*

Bis zur Abendbrotzeit für die Patienten hielt Schwester Karin sich, so oft es ihr möglich war, bei der kleinen Wiebke im Krankenzimmer auf. Ein paar Mal fiel ihr auf, wie sehnsüchtig die Augen des Kindes in die Richtung der Tür blickten, wenn draußen auf dem Gang Schritte zu hören waren, und wie traurig der Ausdruck wurde, wenn die Schritte vorbeigingen. Ihr fielen die Äußerungen von Frau Sosna ein, und sie kam zu der Erkenntnis, daß wirklich alles stimmen mußte, was diese Frau gesagt hatte.

Es war schon schlimm, daß dieses niedliche Persönchen, das schon auf die Mutter verzichten mußte, auch keine Liebe und Zuwendung von seinem Vater bekam. Zorn gegen ihn stieg in Karin auf und eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Mädchen.

Tina steckte den Kopf zur Tür herein und sagte: »Komm jetzt, Karin, es wird Zeit. Elli holt schon den Wagen mit dem Essen aus der Küche.«

Karin fuhr Wiebke übers Haar und sagte weich: »So, Schätzchen, gleich bekommst du ein leckeres Abendbrot.«

»Ich will aber nicht essen, du sollst nicht weggehen. Sollst hier bei mir bleiben.«

»Ich muß dich aber jetzt alleinlassen. Weißt du, hier sind noch ganz viele kranke Kinder. Sie möchten alle ihr Abendbrot haben. Wenn du brav alles aufißt, komme ich nachher auch noch einmal zu dir. Du verstehst das doch, nicht wahr?«

»Du bist so lieb, Tante Karin. Kannst du nicht meinem Vati sagen, er soll kommen? Ich möchte es doch so gern. Bin schon so lange ganz allein.«

»Wenn dein Vati Zeit hat, kommt er ganz bestimmt zu seiner Wiebke. Er muß sicher viel arbeiten«, entgegnete Karin weich und streichelte sanft über Wiebkes Wange.

»Vati hat nie Zeit«, entgegnete die Kleine und drehte den Kopf zur Seite.

Voller Mitleid sah Karin auf das Kind hinunter und ging dann rasch aus dem Zimmer. Was sollte sie, was konnte sie da noch sagen? Es war nicht mit anzusehen, wie einsam dieses Kind war.

»Es wird schon werden, Schätzchen. Jetzt hol ich dir erst mal dein Essen.« Leichtfüßig eilte Karin aus dem Zimmer.

Nachdem alle kleinen Patienten versorgt waren, auch die, denen man helfen mußte, ging Karin noch einmal zu Wiebke.

»Du hast ja wie ein kleiner Spatz gegessen. Schmeckt es dir nicht?« Mit leichtem Kopfschütteln sah Karin das Mädchen an, das nur eine Kleinigkeit gegessen hatte.

»Habe keinen Hunger, Tante Karin.«

»Du mußt aber essen, Schätzchen. Willst du denn nicht wieder gesund werden?«

»Nein, will ich nicht. Hier ist es viel schöner als zu Hause bei Tante Klara.«

Innerlich war Karin zutiefst betroffen über die Worte der Kleinen. Es konnte doch nicht sein, daß ein kleines Mädchen keine Sehnsucht nach seinem Zuhause hatte. Ihr fehlten die Worte. Sie wechselte das Thema und fragte: »Willst du nicht doch noch etwas essen? Ich helfe dir dabei. Wenn ich danach das Geschirr fortgebracht habe, erzähle ich dir auch eine Geschichte. Nun komm, sei lieb.«

»Nein, mag nicht, habe keinen Hunger.«

Es blieb Karin trotz des guten Zuredens nichts anderes übrig, als alles fortzuräumen.

»Erzählst du jetzt keine Geschichte, Tante Karin?« kam es leise über Wiebkes Lippen, und erwartungsvoll sah sie hoch.

»Natürlich erzähle ich dir trotzdem eine Geschichte. Es wird nur ein kleines Weilchen dauern, bis ich fertig bin. Du kannst ja so lange mit deiner Puppe spielen. Ich beeile mich aber.«

»Ganz ehrlich?«

»Ganz ehrlich, Schätzchen.«

»Dann ist es ja gut.« Beruhigt kuschelte sich Wiebke in die Kissen. Es dauerte dann doch noch über eine halbe Stunde, bis Karin soweit war und zu Wiebke gehen konnte. »So, jetzt habe ich etwas Zeit für dich und kann dir, bis du schlafen mußt, eine hübsche Geschichte erzählen. Welche Märchen kennst du denn schon?«

»Im Kindergarten, die Tante Greta hat uns von den sieben Geißlein und Schneewittchen erzählt. Das war ganz fein.«

»Und deine Tante Klara, hat sie dir denn keine Märchen und Gutenachtgeschichten erzählt?«

»Nein, die Tante Klara hat doch keine Zeit. Die schimpft immer nur und ist ganz böse.«

»Dann erzähle ich dir jetzt das Märchen von der Frau Holle. Es ist wirklich hübsch und wird dir sehr gefallen.«

Mit groß aufgeschlagenen Augen lauschte die Vierjährige der weichen Stimme Karins. Diese schloß mit den Worten: »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.« Da bettelte die Kleine: »Noch eins, bitte, bitte.«

»Für heute ist es genug, Schätzchen. Ein anderes Mal, wenn ich Zeit habe. Jetzt wird das Abendgebet gesprochen, und danach mußt du schön schlafen. Ich habe dir doch gesagt, daß hier noch andere kranke Kinder sind, um die ich mich kümmern muß.«

»Darf ich denn noch etwas trinken?«

»Soviel du nur möchtest. Warte, ich hole dir noch rasch ein Glas Tee.«

Als Karin ein paar Minuten später mit dem Tee ins Zimmer zurückkam, hörte sie das kleine Mädchen ganz vertieft beten: »Lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm. Und bitte, bitte, schick mir doch eine liebe Mutti und meinen Vati.«

Es lag soviel kindliche Sehnsucht in diesen Worten, daß die junge Schwester vor Rührung schlucken mußte und in ihr der Wunsch aufkeimte, diesem kleinen ungeliebten Kind zu helfen, seinen Wunsch wenigstens zum Teil erfüllt zu bekommen. Wenn es schon auf die Mutter verzichten mußte, so sollte wenigstens der Vater aufgerüttelt werden. Er mußte sich darauf besinnen, daß da ein kleines Mädchen war, das ihn dringend brauchte.

»So, Schätzchen, hier ist dein Tee«, sagte sie weich und reichte Wiebke das Glas, das diese sofort halb leer trank.

Danach beugte sie sich hinab, streichelte der Kleinen sanft über die Wange und sagte: »Gute Nacht, Schätzchen, schlaf nun recht schön.«

Wiebke schlang die Arme um ihren Hals und sagte leise: »Du bist so lieb, Tante Karin.« Dann legte sie sich zurück und kuschelte sich in die Kissen.

Karin ließ nur die Nachtbeleuchtung an und zog leise die Tür von außen zu. Wie dankbar dieses Kind doch für etwas Zuwendung war. Es zeigte, wie sehr es nach Liebe und Zärtlichkeit hungerte.

Als Karin an diesem Tag die Klinik verließ, stand für sie fest, daß sie am nächsten Tag noch einmal mit Frau Dr. Martens über Wiebke sprechen würde.

*

Nach ihrem Gespräch mit dem Ehepaar Wesseling hatte Hanna es eilig, ins Doktorhaus zu kommen.

»Schön, daß du da bist, Hanna. Wie wäre es mit einem Spaziergang?« sagte Bea Martens, als Hanna das Wohnzimmer betrat.

»Später, Mutti, ich möchte zuerst mit Kay sprechen. Aber wie ich sehe, bist du allein. Wo steckt die Füchsin?«

»Sie ist für ein Stündchen zu den Schriewers gefahren. Du weißt ja, wie vernarrt sie in die kleine Annika ist.«

»Stimmt, Mutti, jetzt fällt es mir auch wieder ein. Sie hat gestern davon gesprochen, daß sie heute zu Martin und Marike wollte. Ich geh rasch zu Kay hinüber, danach gehen wir ein wenig an die frische Luft. Ich denke, es ist gut, einen Regenschirm mitzunehmen. Der Himmel ist heute grau in grau.«

»Macht dir das Wetter etwas aus?«

»Auf keinen Fall.«

»Dann ist es ja gut, mir nämlich auch nicht. Laß dich nicht aufhalten und geh rüber.«

Hanna mußte ein paar Mal klingeln, bevor Kay die Tür öffnete.

»Du sitzt wohl auf den Ohren, Bruderherz«, sagte sie scherzend.

»Das nicht gerade, aber ich hatte mich etwas hingelegt und war doch tatsächlich eingeschlafen. Gibt es drüben Probleme?«

»Nein, ich wollte dir nur eine gute Nachricht bringen. Ich war gerade drüben in der Klinik, als das Ehepaar Wesseling kam. Ich hatte mit beiden ein längeres Gespräch und kann dir mitteilen, daß alles in Ordnung ist. Herr Wesseling hat die Einverständ­nis­erklärung schon unterschrieben.

Du kannst, wie vorgesehen, morgen operieren. Schwester Elli weiß Bescheid und wird die letzten Vorbereitungen für die Patientin treffen lassen.«

»Na, Gott sei Dank. Ich hatte schon befürchtet, daß es morgen wieder nichts damit wird. Dabei drängt die Zeit wirklich schon sehr. Warum kommst du nicht herein? Wir könnten noch einiges durchsprechen.«

»Es ist doch soweit alles abgeklärt, Kay. Außerdem habe ich Mutti versprochen, mit ihr noch einen Spaziergang zu machen. Wenn du Lust hast, komm doch einfach mit.«

»Bei diesem Wetter? Nein, danke, da mach ich es mir lieber in meinen vier Wänden gemütlich. Es sieht doch nach Regen aus.«

»Wenn schon. Du bist ja nicht aus Zucker, der bei ein paar Tropfen Wasser wegschmilzt. Aber ich will dich gewiß nicht bedrängen. Mach es dir ruhig bequem. Morgen vormittag liegt ein schönes Stück Arbeit vor dir. Also, mach’s gut, ich möchte Mutti nicht zu lange warten lassen.«

»Du bist also nicht ungehalten, wenn ich nicht mitkomme?«

»Warum sollte ich? Es war nur ein Vorschlag. Ich gehe dann. Du kannst ja, wenn du magst, heute abend noch auf ein Stündchen herüberkommen.«

Bea Martens wartete schon auf ihre Tochter, und gemeinsam verließen sie das Haus. Während sie langsam durch die Heide spazierten, die auch um diese Jahreszeit noch sehr schön war, unterhielten sie sich über alle möglichen Themen. So natürlich auch über die vierjährige Wiebke.

»Kannst du dir vorstellen, Mutti, daß sich der Vater noch immer nicht um die Kleine gekümmert hat?«

»Sag bloß, es war noch niemand in der Klinik?«

»Doch, die Großtante.« Hanna erzählte, was sie durch Schwester Karin über diesen Besuch erfahren hatte.

»Da hat eure Schwester Karin ja eine Menge Mut bewiesen. Alle Achtung, Hanna. Du wirst es ihr doch wohl nicht übelnehmen? Sie hat das Herz auf dem richtigen Fleck.«

»Übelnehmen, Mutti? Nein, und ich habe es ihr auch schon zu verstehen gegeben. Ich bin sehr dafür, daß die jungen Schwestern auch in solchen Situationen Selbständigkeit beweisen. Bei Schwester Karin kommt noch etwas hinzu. Obwohl sie allen Kindern gegenüber sehr liebevoll handelt, ist in diesem Fall da das gewisse Etwas, was Menschen zueinander hinzieht. Normalerweise ist sie als Operationsschwester selten auf der Krankenstation. War es Zufall oder Schicksal, daß sie gerade heute für eine andere Schwester eingesprungen ist? Sie hat mich nämlich gebeten, sich auch in ihrer Freizeit um die Kleine kümmern zu dürfen. Ich habe es natürlich erlaubt. Wenn sie nur auf der Krankenstation arbeiten würde, bestünde die Gefahr, daß sie die Kleine vielleicht den anderen Patienten vorziehen würde, aber so kann man es ausschließen.«

»Warte ab, wie sich alles weiter entwickelt. Du solltest der ganzen Sache nicht allzuviel Gewicht beimessen. Ich werde mich auch etwas um die Kleine kümmern, solange sie keinen Besuch vom Vater bekommt. Wie läuft sonst alles in der Klinik?«

»Nichts Außergewöhnliches. Du warst ja auch gerade mal zwei Tage nicht auf der Krankenstation. In diesen Tagen hatten wir keine Neuzugänge. Aber du weißt ja, wie rasch sich das manchmal ändern kann.«

»Eben, darum habe ich ja auch gefragt.«

»Habe ich dir eigentlich schon erzählt, daß ich vielleicht zum nächsten Wochenende wegfahre, Mutti?«

»Du fährst weg? Nein, davon hast du mir bis jetzt noch nichts gesagt. Wohin denn?« Bea Martens war überrascht stehengeblieben und sah Hanna nun fragend an.

»Du erinnerst dich doch bestimmt noch an Cora Stolte. Ich habe sie ja ein paar Mal mit heimgebracht, während meiner Studienzeit.«

»Cora Stolte? War das nicht die zierliche Schwarzhaarige, die du immer Floh genannt hast? War ein reizendes Mädchen.«

»Genau die meine ich, Mutti. Ich hatte sie völlig aus den Augen verloren, bis vorgestern nachmittag ihr Anruf kam. Du kannst dir sicher vorstellen, wie überrascht ich war, nach so langer Zeit von Cora zu hören.«

»Kann ich mir durchaus vorstellen. Aber ist es denn nicht schön, wenn sich Freunde aus der Vergangenheit melden?«

»Ich habe mich auch sehr gefreut. Der Beruf läßt mir nicht allzuviel Zeit, alte Freundschaften zu pflegen. Also, um es kurz zu machen, Cora hat mich eingeladen, sie an einem Wochenende in Düren zu besuchen.«

»Was macht sie denn jetzt, ich meine, beruflich?«

»Ich nehme doch an, daß sie, genau wie ich, Ärztin ist. Ich hatte nicht die Zeit, sie danach zu fragen, da ich von einem kleinen Patienten gebraucht wurde. Wenn nichts dazwischen kommt, werde ich aber dann am Wochenende fahren. Es lag da nämlich etwas in ihrer Stimme, was mich ein wenig stutzig gemacht hat. Stutzig und neugierig.«

»Wieso, was meinst du damit?«

»Ich kann es nicht genau erklären, Mutti. Es war Sorge, vielleicht auch Angst oder Traurigkeit. Kann sein, von allem etwas.«

»Dann solltest du hinfahren und versuchen, es herauszufinden, Hanna.«

»Wenn nichts dazwischen kommt, denn damit muß man ja immer rechnen, werde ich es auch tun.« Hanna warf einen Blick auf ihre Uhr und meinte: »Wir sollten langsam an den Rückweg denken, es wird sonst für dich zu anstrengend. Ich bin froh, daß wir unsere Schirme bis jetzt nicht gebraucht haben. Ich hätte nicht gedacht, daß sich das Wetter hält.«

»Zu anstrengend wird es für mich zwar nicht, aber trotzdem stimme ich dir zu, den Rückweg anzutreten. Die Füchsin ist sicher auch schon zurück.«

*

Kurz vor der Frühbesprechung ging Hanna am nächsten Morgen noch einmal hinauf auf die Krankenstation, um die Berichte der Nachtschwestern durchzusehen.

Außerdem wollte sie natürlich ­wissen, ob Irmgard Wesseling, die ja an diesem Morgen operiert werden sollte, eine ruhige Nacht hinter sich hatte.

Schwester Elli, die ihren Dienst schon aufgenommen und die Schwestern für die verschiedenen Arbeiten eingeteilt hatte, wartete schon mit dem Bericht.

Freundlich begrüßte Hanna die Schwester und fragte lächelnd: »Was sagt der Bericht, Schwester Elli? Ist die vergangene Nacht ruhig verlaufen, oder gab es Probleme?«

»Bitte, sehen Sie selbst, Frau Doktor, kaum etwas, was Anlaß zur Sorge hätte geben können. Die kleine Wesseling hat dank der Beruhigungstablette die ganze Nacht durchgeschlafen. Nur Wiebke war ein paar Mal wach und hat Tränen vergossen. Jetzt schläft sie. Frau Wesseling ist übrigens auch schon seit zehn Minuten hier. Sie möchte bei Irmgard bleiben, bis diese für die Operation abgeholt wird. Sie sagte, daß Sie es gestern erlaubt hätten.«

»Hab ich, da sie auf ihre Tochter eine sehr beruhigende Wirkung ausübt. Bis zum Beginn des Eingriffs dauert es ja noch eine Stunde.«

Hanna überflog den Bericht und fragte dann im Hinausgehen: »Hat Schwester Jenny Ihnen gegenüber schon etwas verlauten lassen? Ich meine damit, ob sie bei ihrer Schwester etwas erreicht hat?«

»Nein, das hat sie nicht. Mir ist nur aufgefallen, daß sie etwas bedrückt wirkt. Aber ich wollte nicht neugierig sein und habe sie mit Fragen verschont.«

»Ich würde sagen, wir lassen es zunächst auch dabei bewenden. Wenn die Operation vorbei ist, habe ich bestimmt ein paar Minuten Zeit, um mich mit ihr zu unterhalten. Bevor ich jetzt wieder hinunter gehe, schaue ich noch kurz zu der kleinen Wesseling hinein.«

Als Hanna das Zimmer betrat, wollte sich Irmgards Mutter, die neben dem Bett saß und die Hand ihrer Tochter hielt, erheben.

»Guten Morgen, Frau Wesseling, bleiben Sie nur sitzen. Ich wollte mich nur davon überzeugen, daß alles in Ordnung ist. Wie fühlst du dich, Irmgard?« Aufmunternd lächelnd trat Hanna ans Fußende des Bettes.

»Ich weiß nicht, Frau Doktor, ich habe Angst.«

»Brauchst du aber nicht, Mädel. Ich habe dir doch ganz genau erklärt, daß du überhaupt nichts spüren wirst. Wenn du später wieder wach wirst, ist alles vorbei. Deine Mutti wird dann an deinem Bett sitzen.«

»Ganz bestimmt, und es tut wirklich nicht weh?«

»Großes Ehrenwort, Irmgard, denn du bekommst gleich eine Medizin, damit es nicht weh tun kann. Vielleicht wird dir von der Narkose ein wenig übel, mehr nicht. Hat dir das Frau Dr. Wilde nicht auch gesagt?«

»Schon, sie hat es gesagt.«

»Na, siehst du. Du brauchst dich also nicht vor der Operation zu fürchten. Du bist ja auch schon ein großes und vernünftige Mädchen und weißt, daß du danach wieder gesund wirst und dir nichts mehr weh tut. Und ich bin ja auch bei dir. Gleich kommt Schwester Laurie und bringt dir noch eine Tablette und ein anderes Nachthemdchen von uns. Bleib schön brav, wir sehen uns ja nachher noch, wenn dich Schwester Laurie hinunterbringt.«

»Ich kann also wirklich so lange hierbleiben, bis Irmgard zurückgebracht wird?« vergewisserte sich Frau Wesseling noch einmal.

»Natürlich, so, wie wir es besprochen haben. Wir sehen uns später noch, ich muß jetzt nach unten.«

Ein freundliches Nicken und Hanna ließ Mutter und Tochter allein.

Eine halbe Stunde später war es dann soweit. Das Team, die Operationsschwestern Barbara und Karin und eine weitere Schwester standen bereit. Hanna und Kay traten als letzte an den Operationstisch, auf dem die Patientin lag.

Draußen vor der Tür zum Operationsraum leuchtete die rote Lampe auf, die allen Unbefugten den Eintritt untersagte.

Über zwei Stunden höchster Konzentration lag hinter dem Operationsteam, als endlich die letzte Naht gelegt wurde und Kay erleichtert aufatmend vom OP-Tisch zurücktrat.

Was nun noch zu tun war, bis man die kleine Patientin wieder in ihr Zimmer zurückbringen konnte, war reine Routine und wurde von Dr. Michael Küsters übernommen.

»Ich bin wirklich froh, daß wir die Operation ohne Komplikationen geschafft haben. Ich nehme doch an, daß sich die Patientin sehr bald von diesem Eingriff erholen wird.«

»Ja, du hast recht, Hanna. Es sieht sehr gut aus. Genau aus diesem Grund können wir auch davon absehen, das Mädel auf die Intensivabteilung zu bringen.«

»Darüber werden die Eltern sicher überglücklich sein. Um ehrlich zu sein, ich hatte vor dem Eingriff Schlimmeres befürchtet. Es hat uns gezeigt, daß man erst völlig sicher sein kann, wenn man geöffnet hat.«

»Eben, so ist es, Hanna.«

Gerade als Hanna hinter Kay die Operationsabteilung verlassen wollte, kam Schwester Karin hinter Hanna angelaufen.

»Entschuldigen Sie, Frau Dr. Martens, haben Sie einen Moment Zeit?«

Hanna wandte sich um und fragte erstaunt: »Ja, was gibt es denn, Schwester Karin? Gibt es Probleme mit der kleinen Wesseling?«

»Nein, die Patientin ist schon fortgebracht worden. Ich wollte nur fragen, ob Sie vielleicht später ein paar Minuten Zeit für mich haben. Ich möchte gern mit Ihnen über Wiebke Recker sprechen. Ich brauche dringend einen Rat von Ihnen. Es wäre für mich sehr wichtig.«

»Gut, wenn es für Sie so wichtig ist, sehen wir uns, wenn ich aus der Mittagspause zurückkomme. Ich warte dann in meinem Sprechzimmer auf Sie. Bis dahin hat es doch sicher noch Zeit, nicht wahr?«

»Natürlich, Frau Doktor. Vielen Dank auch.«

»Ich erwarte Sie dann gegen vierzehn Uhr.«

Während Hanna ihrem Bruder folgte, ging die junge Schwester zurück in den Operationsraum. Scherzend fragte ihre Kollegin Barbara, die schon begonnen hatte, alles wieder in Ordnung zu bringen: »Was war denn, Karin? Warum bist du der Chefin nachgelaufen? Ich dachte schon, daß du dich drücken willst.«

»Du spinnst, Babs. Seit wann drücke ich mich vor der Arbeit? Es ging nur darum, daß ich heute noch unbedingt mit der Chefin sprechen muß.«

»Ist schon okay, es war ja auch nur ein Scherz. Übrigens, was ist mit dir los? Du bist heute irgendwie anders.«

»Wieso, kannst du dich über meine Arbeit beklagen?«

»Quatsch, damit hat es nichts zu tun. Du arbeitest korrekt wie immer. Aber sonst scheinst du mit deinen Gedanken ganz woanders zu sein. Woran denkst du so intensiv? Darf man es wissen, oder ist es ein Geheimnis?«

»Ach, weißt du, Babs, es hängt mit meinem Dienst gestern zusammen. Da ist so ein kleines vierjähriges Mädchen, an das ich denken muß. Laß uns jetzt aber lieber weitermachen, ich bin im Augenblick nicht in der Stimmung, darüber zu reden. Vielleicht erzähle ich dir alles, wenn wir später Mittagspause machen. Einverstanden?«

»Ist gut, wir haben ja jetzt auch noch genug zu tun.«

*

Als Hanna die Eingangshalle betrat, um auf die Krankenabteilung hinaufzugehen, kam ihr durch die Tür zum Klinikpark ihre Mutter entgegen.

»Guten Morgen, Mutti, du kommst heute schon sehr früh in die Klinik.«

»Weißt du, die Geschichte von der Kleinen hat mir einfach keine Ruhe gelassen. Da eure Schwestern aber am Vormittag wohl ziemlich ausgelastet sind, habe ich mir gedacht, kümmere dich ein wenig um sie. Hier, ich habe ihr sogar eine meiner Stoffelpuppen mitgebracht. Ich störe doch wohl nicht, oder?«

»Du hast vielleicht Sorgen, Mutti. Warum solltest du stören? Muntere das kleine Mädchen ruhig etwas auf. Es hat nicht gerade eine ruhige Nacht hinter sich. Wirst sehen, die Kleine ist ein lieber Schatz. Komm, gehen wir gemeinsam nach oben.«

Auf der Station ging Bea Martens zu Wiebke ins Zimmer, und Hanna betrat das Krankenzimmer, in dem Irmgard Wesseling lag.

Wie auch schon am frühen Morgen saß die Mutter am Bett ihrer Tochter, die noch nicht aus der Narkose erwacht war, und hielt ihre Hand. Als sie Hanna sah, fragte sie leise: »Ist bei meinem Mädel alles gutgegangen, Frau Dr. Martens?«

»Keine Sorge, Frau Wesseling. Ihre Tochter wird wieder ganz gesund. Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß der Nierentumor ganz entfernt werden konnte, und, soweit wir es feststellten, nicht bösartig war. Was Irmgard jetzt braucht, ist viel Ruhe, gesunde Kost und Geduld. In spätestens drei Wochen kann sie wieder wie alle Kinder in ihrem Alter herumtollen.«

»Ist das wirklich wahr?«

»Wenn ich es doch sage. Im anderen Fall läge sie jetzt nicht hier im Zimmer, sondern sie würde sich auf der Intensivabteilung befinden. Ich werde noch rasch die Infusionsflaschen überprüfen, danach lasse ich Sie wieder allein. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Irmgard erwacht.«

»Und wie lange kann ich bleiben?«

»So lange es Ihre Zeit erlaubt. Ich muß dazu nur sagen, daß Irmgard heute noch sehr viel schlafen wird. Sie brauchen also nicht die ganze Zeit an ihrem Bett zu verbringen. Sie wissen ja, daß wir hier in der Klinik eine Kantine haben, die Sie jederzeit aufsuchen können. Ein Kaffee zur Aufmunterung, eine kleine Mahlzeit, es ist alles vorhanden. Ich weiß ja, daß das stundenlange Sitzen sehr aufreibend sein kann.«

»Ich danke Ihnen für das freundliche Angebot, aber im Augenblick möchte ich nur hier bei meinem Mädel sitzen.«

»Es bleibt Ihnen überlassen. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen. Falls Sie einen Wunsch haben oder eine Schwester brauchen, dort am Kopfende ist die Klingel.«

Hanna nickte Irmgards Mutter noch einmal freundlich zu und ging hinaus. Einen Moment blieb sie zögernd stehen und sah auf die Uhr.

Da ich schon mal hier oben bin, könnte ich eigentlich gleich mit Schwester Jenny reden, dachte sie.

Als sie sich zum Schwesternzimmer umwandte, kam ihr Schwester Laurie entgegen.

»Wo ist Ihre Kollegin Jenny, Schwester Laurie?«

»Sie ist in der Teeküche. Soll ich sie holen, Frau Dr. Martens?«

»Nein, ist nicht nötig. Ich kann genausogut in die Teeküche gehen. Was macht die kleine Wiebke?«

»Im Augenblick ist sie noch durch Ihre Mutter abgelenkt. Aber sonst ist heute nicht sehr viel mit ihr los. Die Tränen sitzen reichlich locker. Wir tun aber alles, damit sie so wenig wie möglich allein ist. Es ist nur so, daß Wiebke ständig nach ihrer Tante Karin verlangt. Wen meint sie damit?«

»Das kann ich klären. Wiebke meint damit unsere OP-Schwester Karin, die gestern den Sonntagsdienst hier auf der Station gemacht hat.«

»Ach, so ist das. Was kann man da denn machen?«

»Wir werden sehen, was da zu tun ist. Ich möchte jetzt zunächst mit Schwester Jenny sprechen.«

Einen Augenblick später betrat Hanna die Teeküche der Station, in der Jenny gerade damit beschäftigt war, ein paar Kannen Tee für die Patienten aufzubrühen.

Freundlich begrüßte Hanna sie und fragte: »Wie ist es gestern gelaufen? Haben Sie mit Ihrer Schwester und Ihrem Schwager über meinen Vorschlag reden können?«

»Ja, das habe ich, Frau Doktor. Darum bin ich ja nach Lüneburg gefahren. Sie sind beide damit einverstanden, denn es ist in der vergangenen Woche schon wieder passiert. Meine Schwester und mein Schwager bringen Dominik morgen hierher zur Beobachtung, denn so kann es einfach nicht mehr weitergehen. Meine Schwester lebt in ständiger Angst, daß durch diese seltsamen Ausfälle einmal etwas ganz Schlimmes passieren könnte.«

»Ich kann sie gut verstehen, aber noch nichts dazu sagen, solange ich den Jungen nicht gesehen habe und wir ihn noch nicht untersucht haben. Wann genau kommen Ihre Verwandten mit dem Jungen?«

»Morgen vormittag, Frau Doktor.«

»Gut, dann sorgen Sie dafür, daß ein Zimmer vorbereitet wird. Ich werde nachher noch mit der Oberschwester reden. Das war es wohl für den Augenblick?«

Bevor Hanna in die Mittagspause ging, hatte sie noch Gelegenheit, sich kurz mit ihrem Bruder über den zu erwartenden Neuzugang zu besprechen.

»Was hältst du davon?« wollte sie wissen, nachdem sie ihm das wenige, was sie durch Schwester Jenny wußte, berichtet hatte.

»Schwer zu sagen, Hanna. Vermutungen auszusprechen wäre im Moment fehl am Platz. Wir müssen schon warten, bis wir den Jungen hier haben. Es gibt da nämlich verschiedene Möglichkeiten.«

»Da hast du wohl recht, Kay, obwohl mir dazu auch so einiges durch den Kopf geht. Wird gar nicht einfach werden, da eine genaue Diagnose stellen zu können. Lassen wir es also dabei und warten wir ab. Bis wir den Jungen hier haben, ist es ja nur ein Tag. Was machst du jetzt? Gehst du mit ins Doktorhaus hinüber? Soviel ich weiß, ist deine Perle montags immer drüben.«

»So ist es, aber ich gehe erst in einer Stunde hinüber.«

»Dann will ich mal. Ich gehe nur noch auf die Station hinauf und hole Mutti ab.«

»Mutti ist nicht mehr hier. Ich habe vor genau zehn Minuten mit ihr gesprochen, da wollte sie gerade hinüber gehen.«

»Gut, dann beeile ich mich lieber, damit man drüben nicht auf mich warten muß. Komm wenigstens heute abend auf ein Stündchen zu uns, denn ich möchte gern etwas mit dir besprechen. Alles läßt sich nun mal nicht so zwischen Tür und Angel klären.«

»In Ordnung, ich komme dann so gegen zwanzig Uhr. Ist dir diese Zeit recht?«

»Natürlich, wir warten dann auf dich.« Im nächsten Moment verließ Hanna die Klinik.

*

Es war kurz nach vierzehn Uhr, Hanna befand sich schon einige Minuten in ihrem Sprechzimmer und wartete auf Schwester Karin. Sie war gespannt, worüber die junge Schwester so dringend mit ihr sprechen wollte. Was die kleine Wiebke anging, war doch im Augenblick alles unverändert.

Gerade als Hanna zum Telefon greifen wollte, um nach der Schwester zu fragen, klopfte es an der Tür.

»Herein, bitte«, forderte Hanna freundlich, und einen Moment später betrat Schwester Karin den Raum.

»Da sind Sie ja, ich warte schon ein Weilchen.«

»Entschuldigen Sie meine Verspätung, Frau Dr. Martens. Ich habe meine Mittagspause bei der kleinen Wiebke verbracht, die immerzu nach mir gefragt hatte.«

»Ich weiß, meine Mutter hat mir schon gesagt, daß die Kleine ständig nach Ihnen fragt. Ich glaube fast, daß Sie das Herz des Kindes im Sturm erobert haben. Aber, und das ist der Punkt, auf den es ankommt, wie soll das Ganze weitergehen?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich Wiebke helfen muß.«

»Das kann ich verstehen. Kommen wir jedoch zunächst zu dem Grund, weswegen Sie mich unbedingt sprechen wollten. Bitte, setzen Sie sich, es läßt sich dann bedeutend besser reden.«

Hanna wartete, bis sich die junge Schwester hingesetzt hatte, und forderte sie dann lächelnd auf: »Bitte, reden Sie. Wo liegt das Problem?«

»Es geht noch immer um Wiebke, Frau Doktor. Ich habe das Kind gestern abend beten gehört. Die verzweifelte Sehnsucht eines so kleinen Kindes nach dem Vater und einer Mutti – es gab mir einen schmerzlichen Stich, und zugleich kam in mir kalter Zorn auf den Vater hoch. Ich werde ihn aufsuchen, ihn wachrütteln. Einer muß das tun, wenn das Kind nicht zugrunde gehen soll. Ich bin fest entschlossen, wollte aber nichts unternehmen, bevor ich nicht mit Ihnen darüber gesprochen habe. Ist das, was ich da vorhabe, anmaßend von mir? Sind Sie damit vielleicht nicht einverstanden? Bitte, Frau Doktor, geben Sie mir einen Rat?«

»Mit dem, was Sie da vorhaben, mischen Sie sich in Angelegenheiten, die Sie eigentlich nichts angehen dürften. Ich sage mit Absicht dürften. Aber ich verstehe Ihre Beweggründe. Und wenn es um das Wohl eines Kindes geht, kann ich daran nichts Anmaßendes finden, denn ich habe schon sehr oft genauso gehandelt. Ich werde Sie nicht davon abhalten. Aber es muß Ihnen klar sein, daß Sie ein Risiko eingehen, wenn Sie in die Höhle des Löwen, wie man so schön sagt, gehen. Dazu gehören schon starke Nerven. Trauen Sie sich diesen Schritt wirklich zu?«

»Wenn es darauf ankommt, habe ich starke Nerven. Und wenn Sie nicht dagegen sind, es geht dabei immerhin um eine Patientin Ihrer Klinik, und ich bin nur eine Krankenschwester.«

»Eine tüchtige Schwester. Aber tun Sie, was Sie glauben, tun zu müssen. Ich bin ganz auf Ihrer Seite. Nur etwas müssen Sie mir versprechen. Wenn es nicht gelingt, den Vater Wiebkes aufzurütteln, dürfen Sie nicht allzu enttäuscht sein. Alles klar?«

»Alles klar, Frau Doktor, und ich danke Ihnen für Ihr Verständnis. Sie sind uns Schwestern eine ganz tolle Chefin. Ihr Bruder ist auch sehr liebenswürdig, ich hätte mich jedoch nicht getraut, mit ihm wie mit Ihnen über diese Angelegenheit zu reden. Er hätte es bestimmt nicht so verstanden wie Sie.«

»Männer sind nun mal so, sie sehen die Dinge realistischer, halten ihre Gefühle außen vor. Mein Bruder hat jedoch mehr Verständnis, als Sie jetzt glauben. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall, daß Sie mit Ihrem Vorhaben Erfolge erzielen können.«

»Noch einmal vielen Dank, und ich möchte Ihre Zeit jetzt nicht länger in Anspruch nehmen.«

»Es ist schon in Ordnung, Schwester Karin, und viel Glück.«

Nachdenklich sah Hanna auf die Tür, die sich hinter Schwester Karin geschlossen hatte. Diese junge Schwester besaß wirklich viel Mut. Sie selbst hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, ein ernsthaftes Wort mit Wiebkes Vater zu reden. Daß Schwester Karin es tun wollte, konnte ihr also nur recht sein. Es zeigte ihr noch etwas. Dieses fremde Kind mußte der Schwester schon sehr viel bedeuten. Das war nicht nur Sorge um eine kleine kranke Patientin, das war schon mehr. Das war aber bei so einem niedlichen Persönchen auch kein Wunder. Man mußte es einfach liebhaben. Genau das waren auch die Worte, die ihre Mutter gegen Mittag ausgesprochen hatte, fiel es Hanna ein. Doch wie auch immer, für sie wurde es jetzt Zeit, wieder an ihre Pflichten zu denken.

Sie war gerade auf dem Gang, als der Europieper in ihrer Kitteltasche anschlug. Eilig lief sie zurück in ihr Zimmer und meldete sich am Telefon.

»Hier ist Schwester Elli, Frau Doktor. Stellen Sie sich vor, die kleine Wiebke wollte uns stiftengehen. Wir haben sie noch in letzter Sekunde auf der Treppe erwischt. Was sollen wir nur mit der Kleinen machen?«

»Ich komme sofort hinauf, Schwester Elli. Vielleicht kann ich etwas ausrichten, wenn ich mit ihr rede. Sorgen Sie nur dafür, daß die Kleine nicht ohne Aufsicht bleibt.«

»Alles klar, Frau Dr. Martens.«

Rasch eilte Hanna auf die Krankenstation, und schon wenige Minuten später betrat sie das Krankenzimmer, in dem Wiebke untergebracht war. Die Kleine weinte leise vor sich hin und ließ sich auch durch Schwester Lauries liebevolle Worte nicht trösten.

Als Hanna ans Bett trat, schüttelte Laurie den Kopf und machte für die Ärztin Platz. Hanna setzte sich auf die Bettkante und sagte weich: »Was ist denn nur, Wiebke? Du darfst doch nicht einfach fortlaufen. Dazu bist du viel zu klein und auch noch nicht gesund genug. Wir machen uns doch Sorgen um dich.«

»Ich wollte ja überhaupt nicht fortlaufen, ich wollte doch nur…« Das kleine Mädchen brach ab und weinte heftiger.

»Komm, weine nicht mehr und sage mir, was du wolltest. Gefällt es dir bei uns nicht mehr?«

»Ich wollte doch nur die Tante Karin suchen.«

»Du hast die Tante Karin wohl sehr lieb?«

Als die Kleine nur heftig nickte, nahm Hanna sie liebevoll in die Arme und sagte: »Du bist ein kleines Dumm­chen, Wiebke. Tante Karin war doch heute schon bei dir. Sie kann nicht den ganzen Tag bei dir sein, sie muß arbeiten. Sie kommt bestimmt noch einmal zu dir, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig ist. Du warst bis jetzt ein so braves Mädchen. Ein paar Tage mußt du aber noch in deinem Bett liegen bleiben. Du weißt ja, daß du ganz schlimm krank warst. Wir haben dich alle lieb und möchten nur, daß du ganz schnell wieder gesund wirst. Versprichst du mir, daß du nicht mehr aufstehst und fortläufst?«

Erneut nickte das Mädchen, und nun versiegten auch langsam die Tränen.

Hanna ließ Wiebke in die Kissen zurücksinken, fuhr ihr noch einmal sanft über den blonden Lockenkopf und erhob sich. Sie sagte: »Wenn du brav in deinem Bett liegen bleibst, darfst du morgen in unser Spielzimmer. Da haben wir ganz tolle Sachen zum Spielen, und andere Kinder sind auch da. Jetzt spielst du noch ein wenig mit deinem Püppchen, denn ich muß mich noch um die anderen kranken Kinder kümmern.«

Hanna gab Schwester Laurie einen Wink, ihr hinaus auf den Gang zu folgen. Dort sagte sie: »Was machen wir nur mit der Kleinen? Ich würde sagen, daß wir Wiebke mit einer anderen Patientin zusammenlegen. Sie würde dadurch vielleicht von ihrem Kummer ein wenig abgelenkt. Wer käme da im Augenblick denn in Frage?«

»Mit dem Zusammenlegen, das ist eine ausgezeichnete Idee, Frau Doktor. Wenn ich so überlege, kommt dafür eigentlich nur die Traudel von Zimmer vier in Frage. Das Mädchen kann erstens das Bett jetzt nach der Blinddarmoperation schon wieder verlassen und paßt mit seinen sieben Jahren schon des Alters wegen zu Wiebke. Dazu kommt noch, daß da ja auch nur die Oma jeden Tag kommt. Es bestünde nicht die Gefahr, daß Wiebke noch trauriger wird, wenn vielleicht jeden Tag die Mutter des anderen Kindes käme.«

»Das wäre in der Tat das beste, Schwester Laurie. So machen wir es. Ich werde gleich Schwester Elli informieren, damit die Verlegung sofort vorgenommen wird.«

Erleichtert darüber, daß man einen kleinen Ausweg gefunden hatte, verließ Hanna die Station, nachdem sie noch ein kurzes Gespräch mit der Oberschwester geführt hatte.

*

Da Heiko Recker bei der Einlieferung Wiebkes in die Kinderklinik seine Anschrift und Telefonnummer hinterlassen hatte, ging Schwester Karin nach Dienstende erst zu Martin Schriewers in die Aufnahme.

»Könnten Sie mir vielleicht die Telefonnummer von Herrn Recker heraussuchen, Herr Schriewers? Es ist wichtig, und ich habe von Frau Dr. Martens die Erlaubnis, mich mit dem Vater der kleinen Patientin in Verbindung zu setzen.«

»Einen Augenblick, das werden wir gleich haben, Schwester Karin.«

Martin Schriewers schlug das Aufnahmebuch auf, und einen Moment später notierte er ihr die Telefonnummer auf einen Zettel, den er ihr zuschob.

»Das ist die Nummer. Möchten Sie von hier aus telefonieren?«

»Wenn ich kann, gern.«

»Bitte schön, kommen Sie herein.«

Ein bißchen Herzklopfen hatte Karin schon, als sie die Privatnummer von Wiebkes Vater wählte und wartete. Einen Augenblick später wurde am anderen Ende der Leitung der Hörer abgenommen. Aber es war keine Männerstimme, die sich meldete, sondern die unangenehme Stimme Klara Sosnas, die die junge Krankenschwester nur zu deutlich in Erinnerung hatte.

»Hier bei Recker.«

»Hier ist Schwester Karin, Kinderklinik Birkenhain. Ich möchte gern Herrn Recker sprechen. Wann ist er im Haus?«

»Tut mir leid, aber Herr Recker kommt erst morgen früh von seiner Reise zurück. Kann ich vielleicht etwas ausrichten?«

»Danke, Frau Sosna, ich muß Herrn Recker persönlich sprechen. Ich melde mich wieder.«

Also noch einen Tag warten, ging es Karin durch den Kopf, als sie den Hörer wieder aufgelegt hatte und sich bei Martin Schriewers für das Gespräch bedankte.

»Vielleicht klappt es morgen, Schwester Karin!« rief ihr Martin nach, während sie langsam nach oben ging. Sie wollte jetzt zunächst zu Wiebke. Einen erneuten Versuch, ihn telefonisch zu erreichen, würde Karin nicht unternehmen. Für sie stand fest, daß sie am nächsten Nachmittag geradewegs nach Wintorf fahren würde, um persönlich mit Wiebkes Vater zu reden. Sie wußte ja durch den Anruf, daß er am nächsten Tag zu Hause sein würde.

Als sie Wiebkes Zimmer betrat, leuchteten deren Augen auf.

»Tante Karin, Tante Karin, da bist du ja endlich wieder. Ich wollte dich schon suchen.«

»Du wolltest was, Schätzchen?«

»Ich wollte dich suchen, aber sie haben mich nicht gelassen. Ich bin doch nur die Treppe…«

»Aber, aber, so etwas darf man doch nicht machen, wenn man so krank war wie du. Das tust du aber nicht noch einmal, hast du gehört?«

»Ja, Tante Karin. Aber du darfst mich auch nicht immer so lange allein lassen.«

»Ich komme immer zu dir, wenn ich Zeit habe.«

»Ich habe dich lieb, ganz doll lieb.« Weiche Kinderarme schlangen sich um Karins Hals, und eine Wange schmiegte sich an ihr Gesicht.

Gerührt drückte Karin das kleine Persönchen an sich und sagte: »Ich habe dich auch sehr lieb, Schätzchen. Was machen wir jetzt? Spielen wir mit deinem Püppchen, oder soll ich dir ein Märchen erzählen?«

»Erzählen, Tante Karin. Ich bleibe auch brav liegen.«

Gleich darauf hörte Wiebke andächtig der weichen Stimme zu.

Eine halbe Stunde später klopfte es, und Schwester Laurie kam ins Zimmer. Mit fröhlicher Stimme rief sie Wiebke zu: »Hallo, Wiebke, jetzt bekommst du Gesellschaft. Stell dir vor, da ist noch ein kleines Mädchen, und es ist sehr allein. Dein Bett rücken wir ein Stück zur Seite, damit wir das andere Bett ins Zimmer schieben können. Ist das nicht etwas Feines, daß du jetzt nicht mehr allein bist?«

»Ein anderes Mädchen?«

»Ja, sie heißt Traudel und war auch sehr krank. Jetzt darf sie schon wieder aufstehen, und ihr könnt zusammen spielen.«

»Kann ich helfen, Laurie?« fragte Karin die Kollegin und erhob sich.

»Nicht nötig, Karin. Regine ist auch noch da und ist schon damit beschäftigt, Traudels Sachen zusammenzupacken. Es ist ja keine schwere Arbeit. Kümmere du dich ruhig weiter um Wiebke.«

Ein paar Minuten später rollten Laurie und Regine ein weiteres Bett ins Zimmer, in dem ein siebenjähriges Mädchen mit einer lustig wippenden Pferdeschwanzfrisur saß, über das ganze Gesicht strahlte und mit neugierigen Blicken zu Wiebke und Schwester Karin sah.

»Das ist die Traudel, Wiebke, sie ist sehr lieb und sie wird mit dir spielen, wenn du möchtest. Du weißt ja, wenn Tante Karin arbeiten muß, kann sie nicht bei dir sein.«

»Ich spiele schon gern mit der Wiebke, Schwester Laurie. Am liebsten mit meinen Puppen«, meldete sich Traudel mit heller Stimme.

»So, gefällt dir Wiebke?«

»Na klar, die Wiebke ist doch sehr nett. Ich habe daheim auch so eine kleine Schwester. Sie heißt Kati und ist erst drei Jahre alt. Die Kati ist unsere Ulkige. Darum kann meine Mutti auch nicht kommen. Kati kann nämlich nicht allein laufen. Und mein Vati ist ganz weit weg und muß da arbeiten. Jetzt habe ich aber Hunger. Wann gibt es denn endlich Abendbrot?«

Die letzten Worte kamen so drollig von Traudels Lippen, daß die beiden Schwestern in ein fröhliches Lachen ausbrachen. Aber dadurch war auch zwischen Wiebke und Traudel das Eis gebrochen. Schwester Laurie und Karin registrierten es mit großer Erleichterung. Und Laurie dachte: Warum ist uns das noch nicht früher eingefallen?

*

Das ist also Wiebkes Zuhause, dachte Karin am nächsten Nachmittag und stieg zögernd aus ihrem Wagen aus. Das Haus war nicht groß, sah aber sehr hübsch und gepflegt aus. Vor dem Haus befand sich ein kleiner Vorgarten, und auf einer Seite war eine Wiese mit herbstlich gefärbten Büschen. Auf der anderen Seite des Weges, der zum Haus führte, waren Blumenrabatten, auf denen weiße und fliederfarbene Herbstastern blühten. Wie schon am Tag zuvor, als sie mit Frau Sosna telefonierte, begann auch jetzt ihr Herz heftiger zu pochen, als sie langsam auf die Haustür zuging und klingelte.

Sie wappnete sich innerlich für den Fall, daß Wiebkes Vater ihr persönlich die Tür öffnen würde.

Es war jedoch Klara Sosna, die Augenblicke später die Tür öffnete und sie überrascht anstarrte, um dann pikiert hervorzustoßen: »Sie?«

»Guten Tag, Frau Sosna, ja, ich bin es, Schwester Karin. Ich habe auch gestern mit Ihnen telefoniert. Ist Herr Recker heute da? Ich möchte ihn gern sprechen.«

Warum ist sie auf einmal so komisch und starrt mich so eigenartig an? ging es Karin durch den Kopf, denn in den Augen der hageren Frau lag ein fassungsloser Ausdruck.

»Ist Herr Recker da, Frau Sosna?« wiederholte Karin ihre Frage, und erst in diesem Moment zuckte Klara Sosna leicht zusammen und antwortete: »Ja, mein Neffe ist da. Kommen Sie bitte ins Haus.«

Rasch wandte sie sich ab, und Karin entging, daß in ihrem Gesicht auf einmal ein hämisches Lächeln erschien. Karin konnte ja nicht ahnen, daß Klara in diesem Moment an ein anderes Gesicht dachte und wußte, daß es im nächsten Augenblick für Heiko bestimmt eine große Überraschung geben würde.

Sie schob eine Tür auf und sagte: »Hier ist jemand aus der Kinderklinik, der dich unbedingt sprechen möchte, Heiko.«

Karin sah, daß Klara sie in das Wohnzimmer führte, in dem ein Mann vor dem Fernsehapparat saß, der ihr aber den Rücken zudrehte.

In diesem Moment erhob er sich aus seinem Sessel und wandte sich ihr zu. Er fuhr kreidebleich werdend zurück und starrte sie ein paar Sekunden wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an.

Dann murmelte er tonlos, sich mit einer Hand über die Stirn fahrend: »Rosemarie?«

»Entschuldigen Sie, Herr Recker, aber mein Name ist nicht Rosemarie, sondern Karin Lützorn. Ich bin Krankenschwester in der Kinderklinik Birkenhain. Könnte ich Sie wohl unter vier Augen sprechen?« stellte Karin den Irrtum richtig.

»Es kann ja auch nicht sein. Aber diese Ähnlichkeit«, murmelte er, noch immer völlig fassungslos.

Es dauerte noch einen Moment, bis er seine Fassung einigermaßen wiedergefunden hatte. Mit belegter Stimme sagte er: »Meine Reaktion kommt Ihnen sicher seltsam vor. Aber Ihr Anblick hat mir völlig die Fassung geraubt. Es war wie ein Schock für mich. Es ist so, daß sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit meiner verstorbenen Frau haben. Ich muß mich entschuldigen. Sie kommen also von der Kinderklinik und möchten mich sprechen. Gibt es Probleme mit meiner Kleinen?«

»Ich möchte Sie unter vier Augen sprechen, und es geht tatsächlich um Ihre Tochter Wiebke.«

»Bitte, Tante Klara, laß uns ein paar Minuten allein. Sei so nett, mach uns inzwischen einen Kaffee. Ich darf Ihnen doch etwas anbieten, nicht wahr, Schwester Karin?«

»Danke, ich möchte nichts, Herr Recker.«

»Aber für mich, Tante Klara«, sagte Heiko zu seiner Tante, die ihn und Karin mit lauernden Blicken beobachtete. Sie warf den Kopf in den Nacken, und zog für Karins Begriffe etwas zu heftig die Wohnzimmertür von außen zu.

Innerlich noch immer betroffen von Karins großer Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau Rosemarie sah er die Schwester an und sagte: »So, jetzt sind wir allein. Was kann ich also für Sie tun? Sagten Sie nicht, daß es um Wiebke geht?«

»Für mich können Sie nichts tun, Herr Recker«, entgegnete Karin und war auf einmal ganz ruhig. Zorn kam in ihr hoch. Da saß er seelenruhig vor dem Fernsehapparat, während sich in der Klinik ein kleines Kinderherz vor Sehnsucht verzehrte.

»Nun, Schwester Karin?«

»Wie ich schon sagte, es geht um Wiebke. Wissen Sie eigentlich, was Sie Ihrem Kind antun? Da liegt das Mädchen eine Woche in der Kinderklinik, und kein Mensch kümmert sich darum. Menschen, die dazu fähig sind, sind für mich verantwortungslos und herzlos.«

»Wie bitte, wie kommen Sie dazu, in diesem Ton, und dazu noch in meinem eigenen Haus, mit mir zu reden? Was geht Sie das eigentlich an? Ich verbitte mir das.«

»Es tut mir leid, wenn Sie sich durch meine Worte verletzt fühlen, Herr Recker. Aber einer muß Ihnen einmal sagen, wie sehr Sie sich an Ihrem eigenen Kind versündigen. Haben Sie völlig vergessen, daß da ein vierjähriges Kind ist, das Liebe und Zuwendung zum Leben und Atmen braucht? Was sind Sie nur für ein Rabenvater. Ich nehme nach Ihrer Reaktion von vorhin an, daß Sie ihre Frau sehr geliebt haben. Ist Wiebke nicht das Vermächtnis dieser Frau, das Sie behüten und beschützen und vor allen Dingen lieben müßten? Von Ihrer Tante bekommt Wiebke das alles nicht, denn vor dieser Frau fürchtet sich das Kind.«

»Das ist nicht wahr. Wie können Sie so etwas Ungeheuerliches behaupten? Meine Tante versorgt mein Mädel vorbildlich, so wie es sich gehört. Aber ich habe es nicht nötig, mich in meinem eigenen Haus beleidigen zu lassen. Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten über Sie beschweren. Es ist besser, Sie verlassen jetzt mein Haus.« Heiko Reckers Stimme klang entrüstet, und doch war da in einem Winkel seines Herzens eine leise, mahnende Stimme zu hören, die fragte:

Hat diese Schwester nicht die Wahrheit gesagt? Hast du nicht völlig bei deinem Kind versagt?

Karin aber erwiderte mutig: »Ich bin auch schon fertig, Herr Recker. Und ob Sie es glauben oder nicht, jetzt fühle ich mich wohler. Einer mußte Sie doch aufrütteln. Ich habe es für Wiebke getan, weil es mir jedes Mal einen Stich ins Herz gibt, wenn sie zu Gott betet, ihr ihren Vati und eine Mutti zu schicken. Es lag mir fern, Sie zu beleidigen. Wenn ich zu weit gegangen bin, bitte ich um Entschuldigung, aber ich würde es immer wieder genauso machen. So, das wollte ich Ihnen zum Schluß noch sagen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Schwester Karin mit erhobenem Kopf Heiko Beckers Haus.

Erst als sie wieder in ihrem Wagen saß, merkte sie plötzlich, daß ihre Hände zitterten und ihr Herz erneut heftig zu pochen begann.

War sie vielleicht doch zu weit gegangen, dem Vater einer Patientin so krasse und deutliche Worte zu sagen? Immerhin war sie nur eine Krankenschwester. Als vor ihrem inneren Auge ein rundliches Kindergesicht mit traurigen Augen erschien, holte sie tief Luft und nickte vor sich hin. Ja, und nochmals ja, es war richtig gewesen, sie hatte überhaupt nicht anders handeln können. Mehr, als ihre Arbeit in der Kinderklinik zu verlieren, konnte ihr nicht passieren. Wenn es Wiebke helfen würde, war es das wert gewesen. Mit sich zufrieden, fuhr Karin nach Celle, wo sie ein kleines möbliertes Zimmer bewohnte.

*

Kaum hatte die Besucherin das Haus verlassen, betrat Klara Sosna das Wohnzimmer.

Heiko schien es so, als habe sie schon hinter der Tür gestanden und gewartet. Mit schriller Stimme fuhr sie ihren Neffen an: »Warum hast du dir das bieten lassen und diese impertinente Person nicht sofort aus dem Haus geworfen? Bist du denn noch bei Trost? Mir gegenüber hat sie sich am Sonntag auch schon so anmaßend benommen. Es ist unerhört, was sich diese jungen Dinger heutzutage alles herausnehmen. Du mußt dich in der Kinderklinik beim Chefarzt über sie beschweren.«

»Sei schon endlich still, Tante Klara. Die Ohren tun einem ja weh bei deinem Gekeife. Was ich zu tun und zu lassen habe, das ist ganz allein meine Angelegenheit. Wenn du so gut zugehört hast, dann hast du ja wohl mitbekommen, daß einiges auch dich betraf. Darüber müssen wir uns auch noch unterhalten. Vor allen Dingen, daß sich Wiebke vor dir fürchtet. Ich werde schon herausfinden, ob das wirklich stimmt. Jetzt laß mich bitte allein.«

»Lenk nicht ab, Heiko. Du willst das alles, was diese Person von sich gegeben hat, doch wohl nicht durchgehen lassen, oder wie sehe ich das?«

»Ich habe dich gebeten, mich jetzt allein zu lassen. Ich muß über einiges nachdenken.«

»Du hast dich ja bloß von ihrer Ähnlichkeit mit Rosemarie einlullen lassen. Das bringt dich auch nicht weiter.«

»Ich habe gesagt, du sollst mich allein lassen. So geh schon endlich«, fuhr Heiko seine Tante nun unbeherrscht an. »Ich will jetzt kein Wort mehr hören. Du bist weder meine Mutter noch meine Frau, sondern nur meine Angestellte, hast du mich verstanden?«

Mit einer Bewegung, die auf Heiko schon komisch wirkte, warf seine Tante den Kopf in den Nacken und hastete aus dem Zimmer. Heiko erhob sich und ging erregt im Wohnzimmer hin und her. Er trat an seine kleine Hausbar und goß sich ein Glas Weinbrand ein, das er in einem Zug leerte. Zuerst war er noch sehr wütend auf diese junge Schwester, die ihn wie einen kleinen dummen Jungen abgekanzelt hatte. Doch der Zorn legte sich, sank wie ein Häufchen Asche in sich zusammen, und er wurde auf sich selbst wütend. Sie hatte ja recht gehabt mit dem, was sie ihm vorgeworfen hatte. Es stimmte alles. Er hatte doch Wiebke, so lange sie schon auf der Welt war, abgelehnt, hatte sie mehr als nur vernachlässigt. Was für Gründe ihn auch immer bewogen hatten, er hatte als Vater und als Mensch kläglich versagt. Was diese junge Schwester, die Rosemarie so ähnlich sah, beabsichtigt hatte, war ihr gründlich gelungen. Sie hatte ihn aus seiner Abwehr, seiner Gleichgültigkeit aufgerüttelt. Er begann nachzudenken und zwar über sich und seine Beziehung zu seiner Tochter. Heiko mußte erkennen, daß er keinerlei Beziehung zu der Kleinen hatte. Er erkannte, was zuerst unsinnige, aus seinem Schmerz entstandene irreale Schuldzuweisungen waren, war später so etwas wie eine Flucht vor seinen eigenen Gefühlen gewesen. Oder war es nur die Angst, noch einmal tiefe Gefühle für einen Menschen zu entwickeln, um dann womöglich noch einmal durch eine Hölle von Trauer und Schmerz gehen zu müssen? Aber rechtfertigte das alles sein Verhalten wirklich?

Wie hatte sich diese Schwester ausgedrückt, wie hatte sie ihn genannt? Hatte sie ihn nicht als Rabenvater bezeichnet?

Die Dunkelheit brach schon herein, und noch immer wanderte er von Selbstvorwürfen gequält im Wohnzimmer auf und ab.

Als die Tür heftig geöffnet wurde, zuckte er zusammen. »Wie lange willst du eigentlich noch hin- und herrennen, Heiko? Es ist schon zwanzig Uhr, und ich habe das Abendessen fertig.«

»Laß mich bitte mit deinem Abendessen in Ruhe, Tante Klara, mir ist nicht danach.«

»Ganz wie du willst. Falls du es dir überlegen solltest, ich stelle das Essen dann zum Warmhalten in den Backofen«, entgegnete Klara Sosna pikiert und wollte das Wohnzimmer wieder verlassen.

»Einen Moment noch, Tante Klara«, hielt Heiko sie zurück.

»Ja, bitte, was möchtest du?«

»Ich möchte von dir wissen, wieso diese Schwester in der Kinderklinik dir gegenüber so anmaßend geworden ist. Bisher hast du mir nur gesagt, daß du Wiebke in der Klinik besucht hast, und daß es ihr gut geht. Bitte, ich möchte es etwas genauer wissen.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe am Sonntag Wäsche und Nachtzeug für Wiebke in die Klinik gebracht. Es war doch wohl mein gutes Recht, Wiebke zu sagen, daß sie das nicht hätte tun dürfen und wohl ihre Lehre daraus gezogen hätte. Wie immer bei jeder Kleinigkeit fing die Heulsuse an zu weinen. Da hat mich diese Person doch aufgefordert, meinen Besuch bei Wiebke abzubrechen. War das etwa nicht anmaßend?«

»Du hast was, Tante Klara? Du hast einem vierjährigen schwerkranken Kind solche Vorhaltungen gemacht? Was hast du dir bloß dabei gedacht?«

»Hab dich mal nicht so. Du hast dich doch noch nie um dein Kind gekümmert. Einer muß ja wohl dafür Sorge tragen, daß aus Wiebke etwas Vernünftiges wird. Nur mit Härte und Strenge kann man das bewirken. Du bist ja wohl nicht der Meinung, daß man ein Kind verhätscheln und ihm alles durchgehen lassen soll. Ich habe mir auf jeden Fall nichts vorzuwerfen. So, war das alles, oder willst du noch mehr von mir wissen?«

»Was bist du nur für ein Mensch, Tante Klara? Und dir habe ich mein Kind anvertraut? Was bin ich doch für ein Idiot gewesen. Ich werde herausfinden, ob Wiebke wirklich Angst vor dir hat. Wenn das stimmt, wird sich hier einiges ändern. Für dich ist dann in meinem Haus kein Platz mehr.«

»Und das alles wegen dieser Person? Das kann doch nicht dein Ernst sein! Was dein Kind angeht, solltest du dir lieber zuerst an deine eigene Nase fassen.«

»Da gebe ich dir sogar recht, Tante Klara. Ich habe endlich erkannt, wie sträflich ich mein Kind vernachlässigt habe. Ich bin dieser Person, wie du Schwester Karin nennst, dankbar dafür, daß sie mich endlich wachgerüttelt hat. Für uns beide ist es wohl besser, wenn sich unsere Wege trennen. Ich kann niemanden um mich haben, vor dem sich meine Tochter fürchtet.«

»Du wirfst mich also nach allem, was ich für dich und deine kleine Göre getan habe, einfach aus dem Haus?« kam es nun mit schriller Stimme über Klaras Lippen, die ihre Felle davonschwimmen sah.

»Ich werfe dich nicht hinaus, ich bitte dich nur zu gehen. Ich lasse dir sogar noch Zeit, bis Wiebke aus der Kinderklinik entlassen wird.«

»Das kannst du doch nicht machen! Wo soll ich denn hin?«

»Ich habe dich immer gut bezahlt, und außerdem hast du von deinem Vater ein kleines Vermögen geerbt. Dazu kannst du den Wagen behalten. Mehr für dich zu tun, bin ich nicht bereit.«

»Ist das dein letztes Wort? Nur weil du einer fremden Person mehr glaubst als mir?«

»Nein, Tante Klara. Weil du menschlich genau so versagt hast wie ich. Nur mit dem Unterschied, daß sich Wiebke noch nicht vor mir fürchtet. Und du kannst sicher sein, daß ich alles tun werde, damit das niemals geschieht. Ich hoffe nur von ganzem Herzen, daß es für mich dazu noch nicht zu spät ist. Und jetzt geh bitte und laß mich allein.«

»Ja, ja, ich gehe schon. Sieh doch zu, wie du mit allem allein fertig wirst«, giftete die hagere Frau schrill, und im nächsten Augenblick schlug sie heftig die Tür von außen zu.

Kopfschüttelnd sah Heiko auf die geschlossene Tür. War das wirklich Tante Klara? Die keifende, schrille Stimme, die die letzten Worte so voller Haß hervorgestoßen hatte?

War er wirklich so blind gewesen, daß er nie erkannt hatte, wie herzlos und ohne jedes Gefühl sie in Wirklichkeit war? Er sank in einen Sessel und preßte die geballten Hände vor die Augen. Tonlos murmelte er: »Verzeih mir, Rosemarie, ich werde versuchen, alles wieder gut zu machen.«

Es war sehr spät an diesem Abend, als Heiko endlich sein Schlafzimmer aufsuchte und in einen unruhigen Schlaf fiel.

*

In der Kinderklinik war der Dienstagvormittag normal und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Kurz vor elf Uhr fuhr dann ein Wagen vor der Klinik vor, aus dem ein Ehepaar mit einem Jungen ausstieg.

Martin Schriewers saß in der Aufnahme und telefonierte, als die drei Personen die große helle Eingangshalle betraten.

Rasch beendete er sein Gespräch und trat an den Aufnahmeschalter. Höflich fragte er: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ja, mein Name ist Kolbers, und das hier sind meine Frau und mein Sohn Dominik. Wir möchten zu Frau Dr. Martens. Ich glaube, wir werden schon erwartet.«

»Ich werde sofort nachfragen, Herr Kolbers. Bitte, nehmen Sie inzwischen drüben in der Besucherecke Platz. Es dauert bestimmt nur ein paar Minuten.«

Hanna befand sich gerade mit ihrem Bruder in dessen Sprechzimmer, als Martin Schriewers’ Durchruf kam. Sie griff sofort zum Telefon.

»Martens. Was gibt es, Martin?«

»Hier ist ein Ehepaar Kolbers mit seinem Sohn eingetroffen. Herr Kolbers sagte, daß er von Ihnen erwartet wird.«

Hanna wußte sofort, daß es sich nur um Jennys Schwester und Schwager handeln konnte. Freundlich entgegnete sie: »Ja, es stimmt, Martin. Ich bin schon unterwegs. Vielen Dank für den Anruf.«

»Was gibt es, Hanna?« fragte Kay, als Hanna den Hörer wieder aufgelegt hatte.

»Das war Martin. Er hat mir Bescheid gesagt, daß die Verwandten von Schwester Jenny angekommen sind. Ich habe dir ja davon erzählt. Sie bringen ihren Sohn zu uns, damit wir ihn beobachten und gründlich untersuchen können. Hast du nicht gesagt, daß dich dieser Fall sehr interessiert?«

»Stimmt, Hanna, denn was wir beide bis jetzt wissen, ist ja sehr dürftig.«

»Genau, also warte hier auf mich, ich hole das Ehepaar und den Jungen her.«

Mit eiligen Schritten ging Hanna in die Eingangshalle, wo sich bei ihrem Erscheinen eine junge Frau und ein dunkelhaariger Mann in der Besucherecke erhoben.

»Herr Kolbers, Frau Kolbers, guten Tag. Ich bin Dr. Hanna Martens. Ich freue mich, daß Sie uns Ihren Sohn anvertrauen wollen.«

»Guten Tag, Frau Dr. Martens. Wir hoffen, daß wir nicht zu ungelegener Zeit hier auftauchen.«

»Auf keinen Fall kommen Sie ungelegen, Herr Kolbers. Schließlich hat Ihre Schwägerin Sie für heute vormittag angemeldet. Kommen Sie bitte mit. Mein Bruder wartet in seinem Sprechzimmer auf uns. Und du bist wohl der Dominik?« wandte sich Hanna an den dunkelhaarigen Jungen, der sich scheu hinter seiner Mutter versteckt hatte.

»Willst du mir nicht deine Hand reichen und guten Tag sagen?«

»Guten Tag, Frau Doktor.« Vorsichtig streckte der kleine, nicht gerade robust aussehende Junge Hanna seine Hand entgegen und sah sie ängstlich an. Mit warmer Stimme sagte sie, indem sie dem Jungen freundlich über das Haar fuhr: »Du hast doch wohl keine Angst vor mir, Dominik? Ich möchte dir nur helfen. Außerdem ist ja auch deine Tante Jenny hier bei uns. Und jetzt gehen wir mit deiner Mutti und deinem Vati zu einem anderen Doktor. Er ist mein Bruder und er wird dich auch untersuchen. Er ist sehr nett und wird dir gefallen.«

Hanna brachte die Besucher nun zu Kay, der sie ebenfalls sehr herzlich begrüßte. Sie sah die Unruhe in den Augen des Jungen und sagte deshalb mit fröhlicher Stimme: »Weißt du was, Dominik, wir beide gehen jetzt erst einmal hinauf auf die Krankenstation zu deiner Tante Jenny, die dir zeigen wird, in welchem Zimmer du in der nächsten Zeit schlafen wirst. Deine Sachen bringen dir deine Eltern später hinauf. Weißt du, der Doktor und ich, wir müssen uns noch mit deinen Eltern unterhalten, danach kommen sie beide zu dir hinauf. Komm, ich bringe dich nach oben.«.

Unsicher sah Dominik zu seinem Vater hoch.

»Geh nur, Dominik, wir kommen ganz bestimmt nachher zu dir hinauf. Ich habe dir doch daheim gesagt, daß ich mir heute den ganzen Tag freigenommen habe. Wir haben also noch Zeit, um eine Weile bei dir zu bleiben. Jetzt zeig, daß du schon ein großer und vernünftiger Junge bist.«

»Ja, Vati.« Gehorsam ging Dominik nun mit Hanna mit. Auf der Krankenstation kam ihnen auf dem Gang schon Schwester Tina entgegen.

»Wo ist Schwester Jenny?« fragte Hanna freundlich.

»Sie ist hinten in der Wäschekammer. Soll ich sie holen?«

»Nein, das ist nicht nötig, ich werde selbst…«

»Tante Jenny, Tante Jenny, hier bin ich!« rief in diesem Moment der Junge an Hannas Seite aus und lief los. Hanna drehte sich um und sah den Jungen auf Schwester Jenny zulaufen, die gerade auf den Gang trat.

Sie folgte dem Neunjährigen mit einem verständnisvollen Lächeln.

»Hier bringe ich Ihnen Ihren Neffen, Schwester Jenny. Zeigen Sie ihm sein Zimmer und kümmern Sie sich ein Weilchen um ihn. Ich muß wieder hinunter, weil mein Bruder und ich noch mit den Eltern reden müssen. Wenn das Essen für die Patienten gleich kommt, kann der Junge ja zusehen. Er sieht dann, wie es hier auf der Station zugeht. Bis später, Dominik«, sagte Hanna zu dem Jungen und lächelte ihm aufmunternd zu.

Nun hatte sie es aber eilig, wieder ins Erdgeschoß zu ihrem Bruder zu kommen.

Erst als sie ebenfalls Platz genommen hatte, bat Kay Lars Kolbers, ihnen ausführlich die Beschwerden des Jungen zu schildern.

»Es ist unterschiedlich, Herr Dr. Martens. Wie meine Schwägerin Jenny Ihrer Schwester schon sagte, Dominik hat zwischendurch eigenartige Ausfälle. Es ist, als ob er aus heiterem Himmel plötzlich einschläft. Ohne, daß er müde ist und ohne Übergang. Es sind Ausfälle von ein, zwei Minuten bis zu einer Viertelstunde. Wenn er dann wieder klar ist, ist es so, als sei nichts gewesen. Das alles ist doch nicht normal. Bitte, finden Sie heraus, was ihm fehlt, und helfen Sie unserem Jungen.«

»Wir werden selbstverständlich helfen. Ich denke da auch schon an etwas Bestimmtes, möchte mich dazu aber noch nicht näher äußern. Ich möchte den Jungen erst gründlich untersuchen. Machen Sie sich bitte keine allzugroßen Sorgen. Es kann durchaus sein, daß nur eine kleine Störung vorliegt. So machte der Junge ja einen ziemlich munteren Eindruck. Ich schließe daraus, daß er sich bisher bei seinen Ausfällen noch nicht weh getan hat. Ich würde sagen, wir sprechen uns in einigen Tagen wieder hier bei mir. Einverstanden?«

»Wir sind einverstanden«, sagte nun Carsta Kolbers. »Wir wissen unseren Jungen bei Ihnen gut aufgehoben.«

»So sehe ich es auch«, pflichtete Hanna ihr bei. »Zumal Ihre Schwester sich auch um den Jungen kümmern kann. Jetzt gehen Sie zu ihm, er wird sicher schon ungeduldig warten. Oder hast du noch Fragen, Kay?«

»Nein, im Augenblick nicht. Ich sage einer unserer Schwestern Bescheid, die Sie nach oben auf die Krankenstation bringen kann.«

Kay ließ Schwester Dorte kommen, und kaum fünf Minuten später war er mit Hanna allein.

»Hör mal, Kay, mir ist da auch ein bestimmter Gedanke gekommen. Was wir bis jetzt wissen, weist doch auf eine Narkolepsie hin, nicht wahr?«

»Genau daran habe ich auch gedacht, Hanna. Aber wir sollten noch keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir haben ja die Zeit, die wir brauchen, um über alles Klarheit zu erlangen.«

»Wann wirst du mit den Untersuchungen beginnen? Heute doch wohl nicht mehr, oder?«

»Nein, erst morgen früh, nach der Visite.«

»Gut, dann gehe ich jetzt in die Mittagspause. Kommst du mit?«

»Ich habe keine Zeit, ich habe noch eine Besprechung mit Dr. Mennen.«

»Dann gehe ich jetzt hinüber. Du weißt ja, heute nachmittag komme ich nicht mehr zurück. Ich mache nach der Mittagspause noch ein paar Hausbesuche und anschließend fahre ich in die Stadt, um ein paar persönliche Besorgungen zu erledigen. Ich übernehme dann ab neunzehn Uhr den Spätdienst.«

»Das ist ja was ganz Neues, Schwesterherz. Der Dienstplan sagt da was anderes.«

»Ich weiß, aber ich habe mit Wenke Andergast den Dienst getauscht. Ich war nur so beschäftigt, daß ich nicht mehr daran gedacht habe, mit dir darüber zu reden. Hast du etwa Einwände?«

»Warum sollte ich? Es ist deine Entscheidung. Ich wünsche dir einen schönen Nachmittag.«

*

Kurz vor neunzehn Uhr betrat Hanna für den Spätdienst erneut die Klinik. An der Aufnahme war ebenfalls schon gewechselt worden, und eine Schwester hatte für Martin Schriewers übernommen.

»Alles klar, Schwester Regine?« fragte Hanna freundlich.

»Es ist alles ruhig, keine Probleme. Herr Dr. Küsters ist noch im Ärztezimmer. Er wollte warten, bis Sie im Haus sind, und dann Feierabend machen. Soll ich eben durchrufen?«

»Nein, ich muß noch kurz mit Dr. Küsters sprechen, ich gehe gleich nach hinten durch.« Noch ein freundliches Nicken und Hanna ging in den Behandlungstrakt, in dem sich das Ärztezimmer befand, das den Ärzten in ihren Pausen auch als Bereitschaftsraum diente.

Als Hanna den Raum betrat, erhob sich Michael Küsters.

»Wie sieht es oben auf der Station aus, Dr. Küsters? Ist für die Abendstunden etwas besonders zu beachten?«

»Es ist ziemlich ruhig, Frau Doktor. Von den Kleinen schlafen schon ein paar. Ich möchte lediglich auf die kleine Recker hinweisen. Sie will nicht eher schlafen, bis ihre Tante Karin dagewesen ist. Obwohl das Kind jetzt Gesellschaft im Zimmer hat, läßt es sich nicht ablenken. Ich habe Schwester Tina schon die Anweisung gegeben, des öfteren in das Zimmer zu sehen.«

»Ich bin ja die nächsten Stunden im Haus und werde mich darum kümmern, Herr Doktor, denn Schwester Karin wird heute auf keinen Fall mehr zur Kinderklinik zurückkommen. Da wird sich die kleine Wiebke wohl bis morgen gedulden müssen. Mit einem leichten Schlaftrunk werde ich sie schon zur Ruhe bringen. Es geht ja wirklich nicht, daß rund um die Uhr jemand bei ihr ist. Ich habe ein gutes Gefühl, daß sich da in den kommenden Tagen für die Kleine etwas ändern wird. Das heißt, wenn Schwester Karin bei ihrem heutigen Vorhaben etwas bewirken konnte. Beenden Sie jetzt Ihren Dienst, denn ich bin sicher, daß Sie von Ihrer Familie schon ungeduldig erwartet werden.«

»Wie immer, Chefin.«

»Dann grüßen Sie vor allen Dingen Ihre Frau recht herzlich, und sie soll sich ruhig noch ein paar Tage erholen, bevor sie ihren Dienst wieder aufnimmt.«

»Danke, Chefin, ich werde es Christine bestellen. Sie fühlt sich schon wieder fit nach ihrer Grippe. Außerdem arbeitet sie ja sowieso nur noch dreimal die Woche.«

»Wir können eben noch nicht ganz auf sie verzichten, Doktor.« Mit einem herzlichen Händedruck verabschiedete sich Dr. Michael Küsters, und nur wenige Augenblicke später war Hanna allein.

Nachdem sie in ihrem Sprechzimmer noch einige Krankenunterlagen durchgesehen hatte, ging sie hinauf zur Krankenstation. Aus dem Schwesternzimmer drang fröhliches Kichern auf den Gang hinaus.

»Hier geht es ja recht lustig zu«, sagte Hanna und blieb in der offenen Tür stehen.

Es war Schwester Jenny, die sich mit ihrer Kollegin Elli unterhielt und beim Anblick ihrer Vorgesetzten plötzlich verstummte.

»Was tun Sie denn noch hier, Schwester Jenny? Sie haben doch schon seit zwei Stunden Feierabend?«

»Ich war noch eine Weile bei meinem Neffen, Frau Doktor. Es ist sein erster Tag heute, und da habe ich ihm etwas Gesellschaft geleistet. Ich habe mir gedacht, daheim sitze ich auch nur in meinen vier Wänden herum, da kann ich genausogut noch etwas länger in der Klinik bleiben. Dominik schläft aber jetzt.«

»Es sollte auch kein Vorwurf sein. In Ihrer Freizeit ist es Ihnen überlassen, was Sie tun. Ich finde es sogar gut, wenn Sie sich Ihres Neffen annehmen. Aber ich denke, jetzt wird es langsam Zeit für Ihren Heimweg. Morgen früh um sieben müssen Sie schließlich frisch und ausgeruht hier antreten. Und Sie, Schwester Elli, ist in den Zimmern alles in Ordnung?«

»Tina macht gerade die Runde mit den Getränken für die Nacht. Ich selbst wollte noch die Eintragungen in die Fieberkurven beenden und danach noch einmal zu Wiebke hineinschauen. Sie ist heute abend ein unruhiger Geist.«

»Ich weiß, ich habe es schon von Dr. Küsters gehört. Verträgt Wiebke sich denn nicht mit ihrer neuen Zimmerkameradin?«

»Traudel und Wiebke vertragen sich sehr gut und haben heute nachmittag sehr schön miteinander gespielt, jedoch nur kurze Zeit. Wiebke befindet sich eigentlich immer in einer Art Wartestellung.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, wie ich es sagte, Frau Doktor. Wiebke scheint auf etwas zu warten. Je länger es dauert, um so trauriger wird sie. Man kann sie immer nur kurz ablenken. Wiebke ist ein so niedliches Persönchen. Wie kann man ihr nur helfen?«

»Vielleicht ist sie inzwischen eingeschlafen. Ich werde mich gleich darum kümmern.«

»Auf Wiedersehen, Frau Dr. Martens, ich fahre jetzt nach Hause«, sagte Schwester Jenny und verließ, ihrer Kollegin noch einmal zuwinkend, das Schwesternzimmer.

Hanna folgte ihr. Während die junge Schwester zur Treppe ging, betrat Hanna das Krankenzimmer von Wiebke und Traudel.

Traudel setzte sich auf und rieb sich die Augen, als Hanna zu ihr ans Bett trat.

»Bist du noch nicht müde, Mädel? Du solltest doch schon längst schlafen«, sagte Hanna und setzte sich zu Traudel auf die Bettkante.

»Ich kann noch nicht schlafen, Frau Doktor. Die Wiebke weint ja immer. Sie sagt mir aber nicht, warum sie so traurig ist. Kannst du sie nicht einmal fragen?«

Hanna fuhr Traudel über das Haar und entgegnete weich: »Weißt du, die Wiebke hat Sehnsucht nach ihrem Vati, der noch nicht kommen konnte. Wiebke ist noch klein, sie versteht es nicht richtig. Sie ist erst vier Jahre alt. Du bist ja schon ein großes, vernünftiges Mädchen und schon sieben Jahre alt. Du mußt ganz lieb zu ihr sein.«

»Ich bin doch lieb. Da, hör nur, sie weint ja schon wieder.«

»Ich bin traurig, weil doch die Tante Karin heute nicht mehr wiedergekommen ist.«

»War denn die Oma Bea heute nachmittag nicht bei dir? Ist die Oma Bea denn nicht lieb?«

»Doch, die Oma Bea ist lieb, sie war auch hier. Aber die Tante Karin, die soll auch kommen.«

»Du wirst jetzt brav schlafen, und morgen, wenn die Tante Karin Zeit hat, kommt sie zu dir. Sie hatte heute nachmittag etwas sehr Wichtiges zu erledigen. Ich hole dir jetzt noch ein paar Tropfen, danach schläfst du ganz schnell ein.«

Während Hanna ein leichtes Schlafmittel holte, mußte sie daran denken, daß Wiebke nicht ein einziges Mal nach ihrem Vati gefragt hatte. Hatte die Kleine Angst zu fragen, oder hatte sie ganz einfach aufgegeben? Beides schien der jungen Ärztin kein gutes Zeichen zu sein. Vielleicht war es doch nicht das richtige gewesen, Schwester Karin mit dem Vater reden zu lassen. Aber wenn es nicht klappte, konnte sie ja selbst immer noch eingreifen. Als Hanna das Zimmer erneut betrat und Wiebke das Schlafmittel geben wollte, war diese inzwischen eingeschlafen. Auch Traudel schlief, und Hanna zog sich leise zurück.

Für die Stunden ihres Spätdienstes blieb zu Hannas Zufriedenheit alles auf der Station ruhig. Es gab nicht einen Fall, bei dem sie hätte eingreifen müssen. Beruhigt konnte sie um Mitternacht an Dr. Olegra übergeben.

*

Wie an jedem anderen Tag, kam Hanna am nächsten Morgen um kurz vor halb sieben zum Frühstück hinunter.

Erstaunt fragte Jolande: »Hast du dich nicht vertan, Hanna? Ich denke, da du gestern den Spätdienst drüben in der Klinik übernommen hattest, kannst du etwas länger in den Federn liegen bleiben?«

»Können schon, Füchsin, aber ich bin munter und ausgeschlafen. Die paar Stunden Spätdienst, dazu kam noch, daß kaum etwas zu tun war, werfen mich nicht gleich um. Um ehrlich zu sein, zieht mich heute ein besonderer Grund nach drüben. Ich bin neugierig, ob unsere Schwester Karin beim Vater unseres Sorgenkindes etwas hat erreichen können. Ich habe dir ja gestern mittag davon erzählt. Es wäre schon gut, wenn ja, denn die Kleine gefällt mir gar nicht. Nichts, was die Tablettenvergiftung betrifft. Davon hat sie sich glänzend erholt. Es geht um die kleine Kinderseele. Die ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Ich warte noch ein, zwei Tage ab, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als unserer Kinderpsychologin die Behandlung der Kleinen anzuvertrauen.«

»Du hast bis jetzt noch immer helfen können. Ich bin sicher, daß dir das auch bei diesem Kind gelingen wird. Der Kaffee ist durch, soll ich dir eingießen?«

»Gern, Füchsin, aber mit viel Milch.«

Hanna trank ihren Kaffee, dazu aß sie eine Scheibe Vollkornbrot und ein weichgekochtes Ei. Mit einem Blick auf die Uhr sagte sie dann zu Jolande: »Ich gehe jetzt hinüber. Ob ich zum Mittagessen kommen kann, weiß ich noch nicht. Ich sage dir rechtzeitig Bescheid. Wünsch meiner Mutter von mir einen guten Morgen, wenn sie nachher aufsteht.«

»Alles klar, Hanna«, erwiderte Jolande, und Hanna verließ mit leichten Schritten das Doktorhaus, um hinüber in die Klinik zu gehen.

An der Aufnahme blieb sie stehen und begrüßte Martin Schriewers, der seinen Dienst schon begonnen hatte.

»Hör mal, Martin, hast du zufällig gesehen, ob Schwester Karin schon im Haus ist?«

»Habe ich, Hanna. Ich habe sogar mit ihr gesprochen. Sie ist so blaß und nervös, da habe ich sie gefragt, ob sie krank sei. Natürlich hat sie abgewinkt und gemeint, sie hätte in der vergangenen Nacht nur schlecht geschlafen.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Hinten in der Operationsabteilung.«

»Danke, Martin, ich werde sofort zu ihr gehen. Ich kann mir schon denken, was mit ihr los ist. Wir sprechen uns später noch.«

Hanna nickte Martin freundlich zu und ging nun mit eiligen Schritten durch die hohe Glastür in den Behandlungstrakt, der zur Operationsabteilung führte.

Schwester Karin war gerade dabei, Instrumente in den Sterilisator zu legen, als Hanna eintrat.

»Guten Morgen, Schwester Karin.« Es fiel auch Hanna sofort auf, daß Martin recht hatte. Karin wirkte ziemlich abgespannt und war sehr blaß.

»Guten Morgen, Frau Dr. Martens. Ich habe Sie gar nicht kommen gehört. Sie möchten sicher wissen, ob ich gestern Wiebkes Vater aufgesucht habe, nicht wahr?«

»Natürlich, es geht schließlich um das Kind.«

»Ich war bei Herrn Recker im Haus und ich habe mit ihm gesprochen. Ich habe ihm sehr deutlich meine Meinung gesagt, so daß er mich quasi aus dem Haus geworfen hat. Ich fühle mich, um es ganz ehrlich zu sagen, heute nicht recht wohl in meiner Haut. Ich habe Angst davor, das Gegenteil von dem erreicht zu haben, was ich eigentlich erreichen wollte.«

»Sie dürfen nicht zu schwarz sehen, Karin. Alles braucht seine Zeit. Denken Sie nicht mehr daran, wir müssen halt abwarten. Wenn Sie nichts erreicht haben sollten, werde ich mich persönlich darum kümmern. Die Kleine war gestern übrigens sehr traurig. Sie hat jedoch nicht nach ihrem Vati, sondern nach Ihnen, nach ihrer Tante Karin gefragt. Ein, zwei Tage noch, und Schwester Christine wird wieder arbeiten. Zwar sind es nur drei Tage in der Woche, aber ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie diese Tage Urlaub nehmen und sich dadurch mehr um Wiebke kümmern könnten. Warten wir es ab. Sie können es sich ja überlegen.«

»Da gibt es für mich nichts zu überlegen, Frau Doktor.«

»Gut, ich will Sie dann jetzt nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten, und zudem habe ich jetzt auch zu tun.«

Die Vormittagsstunden vergingen für Hanna mit den üblichen Aufgaben Und Pflichten. Bei der Visite sah Hanna, daß Traudel und Wiebke friedlich miteinander spielten. Es waren ungleiche Mädchen. Die Siebenjährige war sehr fröhlich, und die Vierjährige war zu ernst und verschlossen. Ein Gesicht mit großen traurigen Augen.

»Die Kleine gefällt mir überhaupt nicht, Hanna«, sagte Kay, nachdem sie das Zimmer wieder verlassen hatten. »Du solltest mit Frau Dr. Andergast über Wiebke sprechen.«

»Wir warten noch ab, Kay. Schwester Karin war gestern bei Herrn Recker. Wenn er ein Herz hat, wird er sein Kind bald besuchen. Ich bin fest davon überzeugt.«

»Und wenn nicht?«

»Dann ist immer noch Zeit, etwas zu unternehmen. Komm, machen wir weiter. Du wolltest doch heute mit den Untersuchungen bei Dominik Kolbers beginnen.«

»Wo du recht hast, hast du recht, Schwesterherz. Also, machen wir mit der Visite weiter, sehen wir, was Irmgard Wesseling heute macht.«

An diesem Tag war die Mutter der zwölfjährigen Patientin noch nicht um diese frühe Stunde in der Kinderklinik. Irmgard Wesseling las in einem Buch, als Kay, Hanna und die Oberschwester das Zimmer betraten.

»Guten Morgen, Irmgard, wie fühlst du dich heute?« fragte Hanna freundlich. »Hast du Schmerzen, oder ist alles in Ordnung?«

»Mir tut überhaupt nichts weh, es juckt nur so komisch an meinem Bauch.«

»Das ist doch prima, Irmgard«, kam es fröhlich von Kays Lippen. »Das ist ein Zeichen dafür, daß die Operationsnarbe anfängt zu heilen. Ich schaue mir die Sache gleich einmal an. Wir müssen sowieso nachher den Verband wechseln. Das wird dann Schwester Elli machen.«

Vorsichtig löste Kay die dicke Mullkompresse über dem Operationsgebiet, und ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

»Na, was sagst du, Hanna?«

»Sieht sehr gut aus, Kay. Ich würde auch sagen, wir können in jeder Hinsicht zufrieden sein«, stimmte sie zu.

»Darf ich denn bald wieder aufstehen, Frau Doktor?«

»Ja, du darfst das Bett schon verlassen, Irmgard, aber zunächst nur für den Gang zur Toilette. Aber aufpassen, ganz langsam gehen. Wenn es weiter so gut verheilt, darfst du jeden Tag ein paar Minuten länger aufbleiben.«

»Das ist schön, Frau Doktor, da wird sich meine Mutti aber freuen, wenn ich ihr das heute nachmittag erzähle.«

»Das soll sie auch, Irmgard. Jetzt bleibst du brav so liegen, bis Schwester Elli gleich kommt und dich neu verbindet. Bist ein liebes Mädchen.«

»Wenn nur immer alles so gut laufen würde«, sagte Kay, als sie draußen auf dem Gang waren. »Wen haben wir noch auf unserer Liste?«

»Nur noch Zimmer vierzehn, Dominik Kolbers, dann sind wir durch, Herr Doktor.« Schwester Elli ging ein paar Schritte weiter und öffnete die nächste Tür.

*

Heiko Recker hatte eine unruhige Nacht hinter sich, in der er kaum geschlafen hatte. Im Haus war alles ruhig. Als er nachsah, entdeckte er, daß seine Tante inzwischen das Haus verlassen hatte. Still und heimlich, ohne irgend etwas für ihn zu hinterlassen, war sie gegangen.

Er überlegte, ob er nicht zu hart reagiert hatte, als er Tante Klara aus seinem Haus gewiesen hatte. Daß sie es aber so schnell in die Tat umsetzte, damit hatte er nicht gerechnet. Vielleicht war es so das beste. Der nächste Schritt war nun, zu seiner Firma zu fahren, um sofort seinen Jahresurlaub anzutreten. Rasch brühte er sich einen starken Kaffee auf und verließ danach das Haus.

Nachdem er seinem Chef seine Lage in groben Zügen erklärt hatte, wurde ihm der Urlaub sofort bewilligt. Er fuhr nun nicht erst nach Wintorf zurück, sondern geradewegs nach Ögela, zur Kinderklinik Birkenhain.

Auf einmal konnte es ihm nicht schnell genug gehen, endlich sein Kind zu besuchen.

Erst als er die Klinik vor sich auftauchen sah, drosselte er das Tempo des Wagens. Sein Herz begann heftig zu pochen. Würde man ihn überhaupt so ohne weiteres zu Wiebke lassen, nachdem er sich in den letzten Tagen nicht um sie gekümmert hatte? Vor seinem inneren Auge tauchte ein junges Gesicht mit klaren Zügen auf. Die Konturen verwischten sich, klärten sich wieder, und es war mit einem Mal Rosemaries Gesicht, das ihn mit mahnenden Augen ansah und verschwand. Nein, er durfte nicht zögern, es gab für ihn nur noch das eine. Er mußte an seinem Kind versuchen gutzumachen, was er in den vergangenen vier Jahren versäumt hatte. Sein Weg lag klar vor ihm, und nur wenige Minuten später fuhr er vor der Kinderklinik vor und stieg aus seinem Wagen.

Martin Schriewers sah den jungen Mann die Eingangshalle der Klinik betreten. Suchend sah er sich um und kam dann an die Aufnahme.

»Guten Tag, mein Name ist Recker. Ich möchte meine Tochter Wiebke besuchen. Können Sie mir sagen, in welchem Zimmer mein Kind liegt?«

Martin Schriewers gab die gewünschte Auskunft und fragte: »Möchten Sie mit Frau Dr. Martens sprechen, bevor Sie zu Ihrer Kleinen gehen?«

»Nein, zuerst möchte ich mein Kind sehen. Mit Frau Dr. Martens spreche ich nachher.«

»Wie Sie wünschen, Herr Recker. Ich werde Frau Dr. Martens informieren, daß Sie gekommen sind.«

Heiko nickte nur, wandte sich ab und ging mit langen Schritten die Treppe hinauf zur Krankenstation.

Vor der Zimmertür, hinter der Wiebke liegen sollte, blieb er zögernd stehen. Er hatte auf einmal Angst davor, wie Wiebke reagieren würde, wenn er so unverhofft ins Zimmer kam. Für einen Moment kam ihm der Gedanke, daß es vielleicht besser gewesen wäre, doch zuerst mit der behandelnden Ärztin zu reden.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?« hörte er hinter sich eine Stimme fragen. Heiko zuckte zusammen und wandte sich um. Hinter ihm stand eine junge Krankenschwester, die ihn fragend ansah.

»Ich möchte zu meiner Tochter Wiebke, Schwester. Das ist doch hier das richtige Zimmer, nicht wahr?«

»Ja? Sie sind richtig, Herr Recker. Da wird sich Ihre kleine Tochter aber freuen, Sie endlich zu sehen. Gehen Sie ruhig hinein. Ich bin im übrigen Schwester Laurie. Wenn etwas sein sollte, ich bin im Schwesternzimmer.« Mit einem freundlichen Lächeln ging Laurie davon.

Heiko Recker straffte seine Gestalt, drückte die Klinke hinunter und schob leise die Tür auf.

Zwei kleine Mädchen waren in dem Zimmer, seine Tochter und ein etwas älteres Mädchen, das auf Wiebkes Bett saß und mit ihr spielte.

In dem Moment, in dem er die Tür aufschob, sah Wiebke hoch und erkannte ihn. Ein paar Sekunden starrte ihn das Kind an, als könnte es nicht glauben, daß er es war. Doch dann leuchtete es in ihren Augen auf.

»Vati, Vati, mein Vati, du bist endlich gekommen.« Wie ein Sturzbach rollten plötzlich die Tränen über die Wangen der Kleinen.

Während Traudel rasch in ihr eigenes Bett schlüpfte, hielt es Heiko Recker nicht mehr an seinem Platz. Mit wenigen Schritten war er an Wiebkes Bett und zog das weinende Kind in seine Arme.

Plötzlich erfüllte ihn ein so überwältigendes Gefühl, daß es ihm selbst die Tränen in die Augen trieb. Es war mit einem Mal nichts mehr von der harten Kruste vorhanden, die sein Herz in den vergangenen Jahren umgeben hatte.

»Nicht weinen, mein kleines Mädchen, bitte, nicht mehr weinen, Vati läßt dich jetzt nie mehr allein«, sagte er zärtlich und hauchte einen sanften Kuß auf die Kinderstirn.

Langsam beruhigte sich Wiebke wieder, während er sie sanft in den Armen wiegte. Mit erschreckender Klarheit wurde ihm bewußt, wie sehr er sich an seinem eigenen Fleisch und Blut versündigt hatte. Wie hatte das alles nur geschehen können? Warum hatte der Herrgott das zugelassen?

»Du weinst ja, Vati? Tut dir auch was weh?« kam es da leise über die Lippen der Kleinen.

»Vati ist nur so glücklich, sein kleines Mädchen endlich zu sehen.«

»Ich habe dich ganz, ganz doll lieb, Vati. Ich war so lange allein.«

»Vati hat dich auch sehr lieb. Du darfst bestimmt bald wieder nach Hause. Wir werden es uns dann ganz schön machen.«

Sofort, als er von zu Hause sprach, versteifte sich Wiebkes Körper in seinen Armen. Heiko wußte nicht, was er davon halten sollte und fragte weich: »Möchtest du denn nicht zu Vati nach Hause, mein kleiner Liebling?«

»Ich habe Angst, Vati. Die Tante Klara, sie ist immer nur böse mit mir. Kannst du sie nicht einfach wegschicken?«

»Du hast also Angst vor Tante Klara?«

»Ja, Vati.«

»Das brauchst du nicht mehr, ich habe Tante Klara schon fortgeschickt. Sie wohnt jetzt nicht mehr bei uns und kommt auch nicht mehr zurück.«

»Ganz ehrlich, Vati?« Wiebkes blaue Augen sahen Heiko so ernsthaft an, als wollten sie bis auf den Grund seiner Seele sehen.

Ihre Wange streichelnd, antwortete Heiko: »Ganz großes Ehrenwort, Wiebke.«

Es folgte ein tiefer Seufzer des Kindes. »Dann ist es ja gut, Vati. Dann will ich auch nach Hause zu dir. Aber ich kann die Tante Karin dann nicht mehr sehen?«

»Tante Karin?«

»Ja, Vati, Tante Karin kommt jeden Tag zu mir. Sie ist auch ganz doll lieb. Sie ist lieb wie eine Mutti. Ich zeige sie dir nachher, wenn sie kommt.«

Die letzten Worte des Kindes brachten Heiko plötzlich wieder zu Bewußtsein, wem er es zu verdanken hatte, daß er in diesen Minuten sein Kind in den Armen halten durfte. Daß er endlich erkannt hatte, was er diesem Kind schuldig war. Daß er auch erkannt hatte, wie sehr er dieses Persönchen liebte.

»Weißt du, mein Mädchen, Vati läßt dich jetzt ein paar Minuten allein. Ich möchte zuerst mit Frau Dr. Martens sprechen. Ich muß doch wissen, wann du wieder ganz gesund bist.«

»Aber bitte, bitte, Vati, wiederkommen.«

»Natürlich komme ich wieder zu dir zurück. Ich habe dir doch Versprochen, daß ich dich niemals mehr allein lassen werde. Du kannst ja in der Zwischenzeit mit deiner Zimmerkameradin spielen.«

»Das ist doch die Traudel, Vati.«

»Nun, dann spielst du mit der Traudel, bis ich zurückkomme.«

Schon an der Tür, hörte Heiko seine Tochter sagen: »Siehst du, Traudel, jetzt ist mein Vati doch endlich gekommen. Glaubst du jetzt, daß ich einen Vati habe?«

Die Antwort der kleinen Traudel hörte er nicht mehr.

*

Nachdem Heiko Recker hinter der Tür zu Wiebkes Krankenzimmer verschwunden war, ging Schwester Laurie eilig ins Schwesternzimmer.

»Hoppla, nicht so eilig, Schwester Laurie«, sagte die Oberschwester, mit der Laurie fast zusammengestoßen wäre.

»Ich habe eine große Neuigkeit, Schwester Elli. Stellen Sie sich vor, es geschehen noch Wunder. Raten Sie mal, wer gerade zu uns in die Kinderklinik gekommen ist?«

»Im Raten bin ich nicht gerade gut, Schwester Laurie. Sie müssen mir Genaueres sagen.«

»Sie würden auch nicht darauf kommen. Es ist Wiebkes Vater, der gerade zu ihr gegangen ist.«

»Ist das wahr?«

»Ja, Schwester Elli, und ob Sie es glauben oder nicht, ich bin darüber richtig glücklich. Er scheint sich endlich auf sein Kind besonnen zu haben. Sollten wir nicht Frau Dr. Martens informieren?«

»Immer langsam mit den jungen Pferden, Schwester Laurie. Ich könnte mir vorstellen, daß die Frau Doktor schon Bescheid weiß und sicher gleich zu uns auf die Station kommen wird. Ich finde es jedoch auch schön, daß der Vater der Kleinen endlich den Weg zu uns in die Klinik gefunden hat. Wenn es ihm gelingt, die traurigen Augen der Kleinen wieder glücklich aufstrahlen zu lassen, sei ihm von meiner Seite sein langes Fernbleiben verziehen. Wir sollten dieses erste Wiedersehen nicht stören, bis er von allein das Zimmer verläßt. Und wir machen inzwischen unsere Arbeit weiter.«

Knapp zehn Minuten später kam Hanna mit eiligen Schritten auf die Krankenstation. Sie war von Martin Schriewers über das Kommen von Wiebkes Vater informiert worden. Als sie zu Schwester Elli ins Schwesternzimmer trat, fragte diese lächelnd: »Sie wissen es also schon, Frau Dr. Martens?«

»Ja, und ich bin sehr überrascht. Ich habe es erwartet, aber nicht damit gerechnet, daß Herr Recker so bald kommt. Alle Achtung, was unsere Schwester Karin da bewirkt hat.«

»Schwester Karin? Ich verstehe nicht ganz.«

Hanna erzählte nun der erstaunt lauschenden Oberschwester von dem Schritt, den die junge Schwester unternommen hatte, um einem einsamen Kind zu helfen.

»Ich hatte ja keine Ahnung, Frau Doktor. Mir ist nur aufgefallen, daß sich zwischen Schwester Karin und dem Kind eine besondere Beziehung entwickelt hat. Aber daß sie so mutig einen solchen Schritt wagt, hätte ich weiß Gott nicht gedacht. Ich finde es schön, ganz großartig. Ich persönlich könnte es nicht, obwohl ich nun wirklich keine ängstliche Person bin.«

»Ich weiß nicht, aber ich glaube, wenn es darauf ankommt, findet jeder den Mut zu einem solchen Schritt. Ich gehe nun nach hinten ins Ärztezimmer. Falls Herr Recker mit mir sprechen möchte, was ich ja hoffe, schicken Sie ihn doch bitte zu mir.«

»Sie können sich darauf verlassen, Frau Doktor. Ich für meinen Teil bin gespannt darauf, diesen Herrn, der sein Kind so lange allein gelassen hat, zu sehen. Aber wie gesagt, auch für mich ist das Wohlbefinden und das Glück dieses Mädchens das Wichtigste.«

»So ist es, also dann bis später.«

Nachdenklich ging Hanna ins Ärztezimmer. Wie überrascht sie wirklich über den Besuch von Wiebkes Vater gewesen war, hatte sie sich weder vor Martin noch vor der Oberschwester anmerken lassen. Was Schwester Karin ihr da von dem Ausgang ihres Gespräches mit Herrn Recker berichtet hatte, war eigentlich völlig offen geblieben. Möglich, daß die Vorhaltungen, die die junge Schwester ihm gemacht hatte, doch noch harter, krasser gewesen waren, als diese vor ihr zugegeben hatte. Nun, wie auch immer, es hatte etwas gebracht, und das war für das kleine Mädchen schließlich das Wichtigste.

In Gedanken noch immer mit Wiebke beschäftigt, überhörte Hanna fast das Klopfen an der Tür.

Erst als es energischer klopfte, schrak sie aus ihren Gedanken hoch und forderte mit klarer Stimme zum Eintreten auf.

Es war ein sehr verlegener junger Mann, der einen Moment später den Raum betrat.

»Guten Tag, Herr Recker, ich freue mich, daß Sie endlich den Weg zu uns gefunden haben.« Mit einem herzlichen Lächeln streckte Hanna ihm ihre Rechte entgegen.

Er nahm sie und sagte mit belegter Stimme: »Guten Tag, Frau Dr. Martens. Ich weiß, es ist unentschuldbar, daß ich erst heute komme. Es ist für mich gewiß nicht leicht, Ihnen einzugestehen, daß ich klar erkannt habe, wie sehr ich mich an meinem eigenen Kind versündigt, wie sehr ich es, seit es geboren wurde, vernachlässigt habe. Ich war nur kurz bei Wiebke, aber dort ist mir in diesen Minuten klar geworden, wie sehr sich mein kleines Mädchen nach mir gesehnt haben muß. Und das alles verdanke ich jemandem, der mich zur rechten Zeit aufgerüttelt hat. Ich meine damit Schwester Karin. Dabei war ich noch so ein Narr, daß ich sehr wütend auf sie gewesen bin und sie aus meinem Haus gewiesen habe. Ich werde mich bei ihr für mein Benehmen von gestern nachmittag entschuldigen. Ist das eigentlich die gleiche Schwester, von der Wiebke so schwärmt?«

»Ja, bei uns gibt es nur eine Schwester Karin. Wir alle mögen sie sehr. Und über Wiebkes Verhalten wundern wir uns alle. In den letzten zwei Tagen hat Wiebke nur nach ihrer Tante Karin gejammert. Zwischen Wiebke und ihr hat sich eine sehr liebevolle Beziehung aufgebaut. Die beiden haben ein sehr inniges Verhältnis. Eigentlich recht seltsam, nicht wahr?«

»In der Tat, Frau Dr. Martens. Dazu möchte ich auch noch etwas sagen. Ich weiß nicht, ob Schwester Karin mit Ihnen darüber gesprochen hat. Aber als sie plötzlich in meinem Haus vor mir stand, traf es mich wie ein Schlag. Ich habe sie für einen Augenblick mit meiner verstorbenen Frau verwechselt. Wie mir in diesem Moment zumute war, können Sie sich sicher vorstellen. Vielleicht war das sogar der Auslöser, der mich aufgerüttelt hat. Vier Jahre habe ich in dem Wahn gelebt, Wiebke sei schuld am Tod ihrer Mutter. Ich kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen, aber ich werde versuchen, alles wieder gut zu machen. Ich muß Ihnen danken, daß Sie mir zugehört haben, denn ich bin sonst nicht der Mensch, der seine geheimsten Gedanken vor anderen ausbreitet. Ich möchte jetzt zu einem Punkt kommen, der sehr wichtig für mich ist. Wie weit hat meine Tochter die Vergiftung überstanden? Muß ich mir wegen ihrer Gesundheit noch Sorgen machen? Bleibt davon ein Schaden zurück?«

»Nein, nach menschlichem Ermessen nicht. Es dauert zwar alles seine Zeit, aber wenn wir Wiebke entlassen, hat sie das alles überwunden.«

»Schön, das zu hören, Frau Doktor. Eine letzte Frage. Wie lange kann ich bei Wiebke in der Klinik bleiben?«

»So lange es Ihre Zeit erlaubt, Herr Recker. Nur wenn die kleinen Patienten schlafen müssen, sollten die Besucher nach Möglichkeit gehen.«

»Ich werde mich danach richten, Zeit habe ich ab heute reichlich, da ich meinen Jahresurlaub genommen ha­be. Noch einmal vielen Dank. Ich gehe dann wieder zu Wiebke zurück. Ich möchte sie nicht zu lange allein lassen.«

»Ja, ich glaube, Sie haben viel nachzuholen. Ich denke, wir haben uns nicht zum letzten Mal gesehen.«

Mit einem herzlichen Händedruck verabschiedete sich Heiko von Hanna und ging zu Wiebke zurück.

*

Hanna blieb noch im Ärztezimmer. Die verschiedensten Gedanken gingen ihr durch den Kopf.

Es war schön zu wissen, daß sich für Wiebke endlich alles zum Guten wenden würde.

Nach einer Weile verließ sie das Zimmer und trat auf den Gang. Vom Aufzug her kamen Schwester Laurie und ihre Kollegin Tina. Sie rollten das Bett mit Dominik Kolbers über den Gang.

Kay war also mit seinen ersten Untersuchungen fertig. Da mußte sie doch sofort hinunter und hören, ob er schon etwas herausgefunden hatte.

Sie fand Kay im Untersuchungszimmer, wo er damit beschäftigt war, einige Ergebnisse auszuwerten.

»Hallo, Schwesterherz, du kommst gerade richtig.«

»Ich kann es mir denken, Kay. Ich habe gesehen, daß der Junge wieder auf die Station zurückgebracht wurde. Da wurde ich natürlich neugierig. Kannst du wirklich schon etwas Konkretes sagen?«

»Nein, etwas Konkretes noch nicht. Aber wie es aussieht, liegen wir mit unserer Vermutung richtig. Natürlich sind noch Untersuchungen und Tests notwendig, aber ich glaube, wir haben es tatsächlich mit Narkolepsie zu tun. Wenn wir auch noch nicht oft mit dieser Erkrankung konfrontiert waren, so tritt sie doch relativ häufig auf. Was mir große Sorgen macht, ist die Tatsache, daß man noch nicht viel gegen diese Schlummerkrankheit unternehmen kann. Leider, kann ich da nur sagen. Ich Werde mir heute alle einschlägige Literatur, die ich auftreiben kann, ins Doktorhaus mitnehmen und mich damit beschäftigen. Was hast du oben auf der Station gemacht?«

»Ich hatte ein langes und sehr aufschlußreiches Gespräch mit Herrn Recker.«

»Mit dem Vater der kleinen Wiebke? Sag bloß, er hat sich endlich auf seine Vaterpflichten besonnen?«

»Ja, unsere Schwester Karin scheint ihm ordentlich eingeheizt zu haben. Aber lassen wir das erst einmal beiseite. Sag mir lieber, wann bei Schwester Jennys Neffen die nächsten ­Untersuchungen durchgeführt werden.«

»Morgen oder übermorgen. Ich möchte nichts überstürzen. Warum fragst du?«

»Nun, du weißt ja, daß ich das kommende Wochenende nicht hier bin. Du hast es ja wohl nicht vergessen, oder?«

»Natürlich nicht. Wann fährst du zu deiner Freundin Cora, und wann kommst du zurück?«

»Ich fahre, wie wir es besprochen haben, Freitag mittag. Am Montag werde ich spätestens wieder zu Hause sein. Ich bin selbst gespannt, ob es nur eine ganz normale Einladung ist, oder ob mehr dahintersteckt. Es ist immerhin schon etliche Jahre her, seit wir das letzte Mal zusammengetroffen sind. Ich glaube, es sind so ungefähr sechs Jahre. Manchmal ist es richtig schade, daß man sich aus den Augen verliert.«

»Du sagst es, Hanna. Ich kann mich noch genau an Cora erinnern. Du hast ja sehr oft mit ihr zusammengesteckt. Durch wen mag sie wohl erfahren haben, daß du hier in der Lüneburger Heide lebst?«

»Da bin ich leider überfragt. Ich werde es aber bestimmt erfahren. So ein Wochenende mit einer alten Freundin, Erinnerungen auffrischen, das stell ich mir in diesen Herbsttagen sehr angenehm vor. Jetzt laß ich dich wieder allein, ich muß noch zu Marike in die Küche hinunter, bevor ich zum Essen ins Doktorhaus gehe.«

Die Besprechung mit Marike, die in der Klinikküche das Zepter schwang, dauerte nur knappe zehn Minuten, denn gerade um diese Zeit war sie sehr beschäftigt.

Als Hanna anschließend die Eingangshalle betrat, um sich auszutragen, bevor sie hinüber ins Doktorhaus ging, kam ihr Schwester Karin entgegen, die ihre Pause wieder zu einem Besuch bei Wiebke nutzen wollte.

Lächelnd blieb Hanna stehen und sagte: »Voll ins Schwarze getroffen, Schwester Karin.«

»Ins Schwarze getroffen, Frau Doktor?« Verständnislos sah die junge Schwester Hanna an.

»Ja, ich meine damit Ihren gestrigen Besuch. Stellen Sie sich vor, Herr Recker ist schon eine ganze Weile oben bei der kleinen Wiebke.«

»Er ist oben auf der Station?«, entfuhr es Karin erschrocken. »Da bleibe ich wohl besser weg. Ich möchte nicht, daß die Kleine unnötig aufgeregt wird.«

»Sie werden doch nicht auf einmal Ihren Mut verloren haben?« fragte Hanna scherzend.

»Ich weiß nicht recht. Wenn ich an gestern nachmittag denke, fühle ich mich nicht ganz wohl in meiner Haut, Frau Dr. Martens.«

»Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen darüber machen. Ich weiß von Herrn Recker, daß er sich bei Ihnen für sein gestriges Verhalten entschuldigen möchte. Nun sehen Sie mich nicht so fassungslos an, es stimmt, was ich gerade gesagt habe. Er ist im übrigen ein sehr netter junger Mann, der seine Fehler einsieht. Gehen Sie ruhig zu Wiebke. Sie wollen das Kind doch wohl jetzt nicht enttäuschen?«

»Ich soll wirklich, trotz allem was gestern vorgefallen ist, zu Wiebke gehen?«

»Natürlich, warten Sie nicht, denn Ihre Pause ist sowieso viel zu rasch vorbei.«

*

Karins Herz pochte doch heftig, als sie oben auf der Station zögernd Wiebkes Krankenzimmer zustrebte. Die Chefin hatte gut reden. Sie war ja auch am vergangenen Nachmittag nicht mit heftigen Worten von Wiebkes Vater aus dem Haus gewiesen worden. Die Hand schon auf der Klinke, zögerte sie immer noch. Erst als sie hinter sich auf dem Gang Schritte hörte, gab sie sich einen inneren Ruck, klopfte kurz an und betrat das Zimmer.

»Tante Karin, Tante Karin, sieh doch nur, wer hier ist. Das ist mein Vati. Endlich ist er zu seiner Wiebke gekommen«, rief ihr eine jubelnde Kinderstimme entgegen. Und bevor die junge Schwester etwas darauf erwidern konnte, sprudelte es weiter über die Kinderlippen, dieses Mal an den Vati gewandt. »Das ist meine Tante Karin, Vati. Sie ist ganz lieb. Du magst sie sicher auch gern.«

»Aber Schätzchen, so etwas sagt man doch nicht«, entgegnete Karin mahnend, und eine verlegene Röte stieg ihr bis unter den Haaransatz. Sie nahm die Hand, die ihr Heiko Recker entgegenstreckte, und sagte mit belegter Stimme: »Guten Tag, Herr Recker. Was Wiebke da sagt, sollten Sie nicht ernst nehmen. Sie ist ja noch ein Kind.«

»Guten Tag, Schwester Karin. Kinder sollte man immer ernst nehmen, ich habe es inzwischen begriffen. Ich freue mich, Sie so rasch wiederzusehen. Ich muß mich für mein Benehmen gestern bei Ihnen entschuldigen. Es kam für mich alles so überraschend, da bin ich eben ausgerastet. Es tut mir leid.«

»Nein, nein«, wehrte Karin hastig ab. »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Ich…«

»Vati, Tante Karin, ihr sollt nicht miteinander böse sein«, unterbrach Wiebke den kleinen Disput der Erwachsenen.

»Wir sind nicht böse miteinander, Wiebke. Erwachsene reden manchmal so miteinander. Wir sind auch schon fertig und haben jetzt beide Zeit für dich. Was möchtest du denn am liebsten spielen?«

Die Vierjährige spannte die beiden Erwachsenen so ein, daß für Karin die Mittagspause viel zu rasch vorüberging. Sie mußte an ihre Arbeit zurück. Wiebke wurde sofort wieder ein wenig traurig, als Karin sich liebevoll von ihr verabschiedete. Bettelnd sahen Wiebkes blaue Augen sie an, und leise fragte das Kind: »Du kommst doch wieder, Tante Karin? Bitte, bitte.«

»Natürlich komme ich wieder, Schätzchen, wenn dein Vati nichts dagegen hat. Vielleicht möchte er lieber mit seinem kleinen Mädchen allein sein. Aber zuerst muß ich mit meiner Arbeit fertig sein.«

»Ich möchte es so gern, Vati. Tante Karin soll wiederkommen.«

»Ich habe ganz bestimmt nichts dagegen, Wiebke. Du mußt aber ein braves Mädel sein und darfst deine Tante Karin nicht zu sehr bedrängen. Sie muß ja auch einmal nach Hause, wenn sie schon den ganzen Tag hier in der Klinik arbeiten muß.«

»Es geht schon in Ordnung, Herr Recker. Ich bin sehr gern bei Wiebke. Außerdem wartet auf mich in Celle nur ein kleines möbliertes Zimmer.«

»Sind Sie ganz allein? Und Ihre Eltern, Geschwister?«

»Meine Eltern leben im Ruhrgebiet, in Recklinghausen. Geschwister habe ich nicht. Bitte, entschuldigen Sie mich jetzt, für mich wird es wirklich Zeit. Ich möchte meine Pause nicht überziehen und dadurch meine Vorgesetzten verärgern.«

»Und wann ist Ihr Dienst beendet?«

»Wenn alles normal läuft, um sechzehn Uhr. Ich trinke danach nur rasch in der Kantine einen Kaffee, bevor ich wieder zu Wiebke auf die Krankenstation komme.« Sie strich Wiebke sanft über den blonden Lockenkopf und sagte mit veränderter, weicher Stimme: »Bis heute nachmittag, Schätzchen, und schön brav bleiben, hörst du?«

»Bin doch immer brav, Tante Karin, weißt du doch.«

Heiko betrachtete Karin mit eigenartig prüfenden Blicken. Sie spürte diese Blicke, die sie verlegen und befangen machten. Ein wenig zu hastig eilte sie aus dem Krankenzimmer, um diesen intensiven Blicken zu entkommen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich mit einem Mal unsicher und gehemmt. Wie ein kleines dummes Mädchen, das sich plötzlich vor etwas fürchtet, so kam sie sich vor. Du bist eine dumme Pute, Karin, sagte eine innere Stimme, während sie wieder zu ihrer Arbeit zurückging. Doch es war schon recht eigenartig. Bis sie Feierabend hatte, ging ihr das offene, männliche Gesicht des Mannes, der ihr auf Anhieb so sympathisch war, nicht mehr aus dem Kopf. Einmal war sie sogar so abwesend, daß ihre Kollegin Barbara scherzend fragte: »Du träumst wohl, Karin? Sag, an welchen hübschen jungen Mann denkst du gerade?«

»An gar keinen, Barbara. Ich war nur mit meinen Gedanken einen Augenblick nicht ganz bei der Sache. Darf ich das nicht auch einmal sein?«

»Reg dich nicht gleich auf, es war doch nur ein Scherz. Mir ist es völlig egal, wenn du mal abwesend bist. Es darf dir nur nicht in Gegenwart der Chefin oder unseres Chefs passieren. Noch zehn Minuten, dann ist für heute sowieso Feierabend. Fährst du sofort nach Hause, oder gehst du noch hinauf zur Krankenstation und besuchst die kleine Wiebke?«

»Ich gehe zuerst noch zu Wiebke. Aber stell dir vor, heute war zum ersten Mal der Vater von Wiebke da. Ich habe dir doch heute morgen erzählt, daß ich ihn gestern nachmittag privat aufgesucht und ihm ein paar unangenehme Wahrheiten an den Kopf geworfen habe, nicht wahr?«

»Klar, hast du. Mensch, Karin, sag schon, wie hat er reagiert, als er dich heute bei seiner Tochter gesehen hat? War er noch sehr böse auf dich?«

»Nein, überhaupt nicht. Er hat sich sogar bei mir entschuldigt. Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wie glücklich das Kind war. So habe ich es in den ganzen Tagen nicht ein einziges Mal erlebt.«

»Finde ich wunderbar, Karin. Wie ist er denn so mit seinem Kind? Es wurde doch in den vergangenen Tagen gemunkelt, daß Wiebke einen Rabenvater hätte.«

»Das ist aber nicht wahr, Er hat sich wohl nur nicht um sie gekümmert. Er ist sehr liebevoll zu der Kleinen. Er ist ein sehr netter Mann. Er hat erkannt, wie sehr er im Grunde seines Herzens sein Kind liebt. Du kannst es mir ruhig glauben, ich weiß genau, was ich sage.«

»Er gefällt dir wohl, Karin, du kannst es ruhig zugeben.« Lachend stupste Barbara Karin in die Seite.

»Ich müßte lügen, würde ich es abstreiten. Aber bitte, behalte es für dich.«

»Keine Bange, ich bin doch kein altes Tratschweib. Komm jetzt, sehen wir zu, daß wir mit unserer Arbeit fertig werden. Ich muß nur noch die Instrumente einordnen. Hast du den Wäscheschrank aufgefüllt?«

»Ich bin mit meiner Arbeit fertig. Meinetwegen können wir jetzt gehen.«

»Karin ahnte nicht, daß sich Heiko Recker oben auf der Krankenstation in seinen Gedanken auch mit ihr beschäftigte. Es war nicht allein die Ähnlichkeit mit Wiebkes verstorbener Mutter, es war noch etwas anderes, was ihn auf so eigene Weise zu ihr hinzog. Es war ihr liebevolles Wesen, ihre ganze Art, wie sie mit seinem Kind umzugehen wußte. Es war für ihn so, wie es ihm die Ärztin gesagt hatte. Zwischen dieser reizenden Krankenschwester, die ihm in seinem Haus mit so viel Selbstsicherheit entgegengetreten war, und seiner Wiebke, hatte sich ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt. Sie hatte seinem Kind zärtliche Zuwendung gegeben, wo er jämmerlich als Vater versagt hatte. So war es ganz natürlich, daß sie in seinen Gedanken schon etwas Besonderes war. Er wünschte es sich schon in diesen ersten Stunden, daß er die Zeit bekommen würde, sie richtig und näher kennenzulernen.

»Vati, wann kommt Tante Karin denn endlich?«

Heiko sah auf die Uhr. Es war ungefähr sechzehn Uhr. Ihm fiel ein, daß sie um sechzehn Uhr in die Kantine gehen wollte, um einen Kaffee zu trinken. Es war eigentlich die Gelegenheit, ein paar Worte mit ihr allein zu reden.

»Nun sag doch schon, Vati«, drängelte Wiebkes helle Stimme. Er hauchte einen sanften Kuß auf die Kinderstirn und erwiderte liebevoll: »Ich werde nachschauen, Schätzchen. Ich gehe aber noch in die Kantine und trinke eine Tasse Kaffee.«

»Wenn du Durst hast, kannst du dir Tee aus der Küche holen, Vati. Da brauchste doch nicht in die Kantine.«

»Vati möchte aber einen Kaffee. Ich bringe deine Tante Karin danach gleich mit.«

»Na, gut, Vati, dann darfst du gehen.«

Ein zärtliches Lächeln auf den Lippen, ging Heiko einen Moment später aus dem Zimmer und in die Klinikkantine hinunter. Er sah die junge Schwester sofort, die sich gerade mit einer Tasse Kaffee an einen kleinen Ecktisch setzte. Er holte sich ebenfalls einen Kaffee, trat an ihren Tisch und fragte: »Darf ich mich zu Ihnen setzen, Schwester Karin?«

»Bitte, Herr Recker.« Karin wies auf den freien Stuhl, und er nahm ihr gegenüber Platz.

»Wiebke fragte schon eine ganze Weile nach Ihnen. Ich möchte Ihnen danken, daß Sie sich so liebevoll um mein kleines Mädchen kümmern. Sie opfern dafür ja Ihre ganze Freizeit.«

»Es ist für mich kein Opfer, Herr Recker. Wiebke ist ein Kind, das man einfach liebhaben muß. Aber ich möchte noch einmal die Gelegenheit wahrnehmen und mich für gestern entschuldigen. Wir sind ja heute mittag durch Wiebke unterbrochen worden.«

»Sie brauchen sich nicht entschuldigen, denn Sie waren im Recht, mich aufzurütteln. Im Gegenteil, ich bin Ihnen dafür im Nachhinein sehr dankbar. Erstens habe ich durch Sie erkannt, wo jetzt und in Zukunft mein Platz ist, und zweitens hätte ich Sie wohl kaum ohne Ihr Eingreifen kennengelernt. Ich werde mein ganzes Leben brauchen, um an meinem Kind gutzumachen. Wissen Sie, Schwester Karin, ich habe bei Ihnen das Gefühl, Sie schon eine Ewigkeit zu kennen. Ich bin darüber sehr froh. Halten Sie meine Worte bitte nicht für aufdringlich, es ist die Wahrheit.«

»Sollten wir jetzt nicht zu Wiebke hinaufgehen?« wechselte Karin verlegen das Thema.

»Ja, aber nur, wenn Sie mir versprechen, daß ich Sie heute abend nach Hause bringen darf.«

»Das wird nicht gehen, denn ich bin mit meinem eigenen Wagen da. Ich muß außerdem morgen früh wieder pünktlich zum Dienst erscheinen.«

»Ihren Wagen lassen Sie hier auf dem Parkplatz stehen, denn ich würde Sie selbstverständlich morgen früh abholen und zur Klinik fahren.«

»Sie sollten sich mir in keiner Weise verpflichtet fühlen, Herr Recker.«

»Das tu ich auch nicht. Mein Wunsch ist es, Sie näher kennenzulernen.«

»Vielleicht, Herr Recker. Jetzt möchte ich hinauf zu Wiebke.«

Kurze Zeit später waren sie beide bei Wiebke im Krankenzimmer, und sie verlebten noch ein paar vergnügte Stunden mit dem Kind. Karin gab schließlich sogar nach, ließ sich von Heiko nach Hause fahren und am nächsten Morgen von ihm abholen und zur Kinderklinik bringen.

*

Am nächsten Vormittag, kurz nach der Visite, Hanna war schon wieder unten in ihrem Sprechzimmer – kam Schwester Jenny, um sie zu sprechen.

»Gibt es was Besonderes, Schwester Jenny?« fragte Hanna freundlich.

»Meine Schwester und mein Schwager sind gerade gekommen und möchten gern mit Ihnen oder Ihrem Bruder über Dominik sprechen, Frau Dr. Martens.«

»Ich sage meinem Bruder Bescheid, denn er hat die Untersuchungen bis jetzt durchgeführt. Er kann Ihren Leuten besser Auskunft geben als ich. Warten Sie einen Moment, ich frage rasch nach, wann er Zeit hat.«

Hanna wußte, daß sich Kay nebenan in seinem Sprechzimmer befand, und ging zu ihm. Als sie zurückkam, sagte sie lachend: »Bitte sagen Sie Ihrem Schwager und Ihrer Schwester, daß mein Bruder sie in einer Viertelstunde in seinem Sprechzimmer erwartet.«

»Danke, Frau Doktor, ich werde es sofort weitergeben.«

»War sonst noch etwas?«

»Nein, das war es schon.«

Eine Viertelstunde später klopfte es an Kays Sprechzimmertür, und kurz darauf betraten Carsta und Lars Kolbers den Raum. Höflich bot Kay dem Ehepaar einen Platz an und setzte sich ihnen gegenüber.

Carsta Kolbers war es, die nicht mehr länger an sich halten konnte und mit belegter Stimme fragte: »Was ist nun mit unserem Jungen, Herr Dr. Martens? Haben Sie schon etwas herausfinden können?«

»Bitte, Herr Doktor«, drängte nun auch Lars Kolbers. »Meine Frau kann in den Nächten schon nicht mehr richtig schlafen vor lauter Sorge um Dominik.«

Kay lächelte den beiden beruhigend zu und sagte: »Bevor ich Endgültiges sagen kann, sind noch einige Untersuchungen und Tests notwendig. Es deutet allerdings alles darauf hin, daß ihr Junge an einer Narkolepsie erkrankt ist. Wie gesagt, es deutet nur darauf hin. Mit Bestimmtheit kann ich es nicht sagen.«

»Narkolepsie? Dieses Wort habe ich noch nie gehört. Ist das eine gefährliche Krankheit?« fragte Carsta entsetzt.

»Nein, auf keinen Fall. Ich will versuchen, ihnen zu erklären, was es mit einer Narkolepsie auf sich hat. Hören Sie mir bitte zu. Narkolepsie ist ein zwanghaftes Schlafbedürfnis, das bei den betroffenen Personen anfallartig zu jeder Tageszeit, vor allem aber am Nachmittag auftreten kann. Ein großer Teil der Betroffenen kann dabei gleichzeitig an Lähmungserscheinungen der Muskeln leiden.

Ein typisches Symptom für die ­Erkrankung ist ein unwiderstehliches Schlafbedürfnis, das während einer normalen Tätigkeit auftritt. Wenn sich der Patient in einem Erregungszustand befindet, wirkt es sich wie eine Ohnmacht aus. Die Schlafanfälle, wie wir es nennen, dauern in den meisten Fällen nur wenige Minuten, können jedoch auch bis zu zwei Stunden andauern.«

»Und wie lange dauert diese Krankheit? Kann man sie überhaupt heilen?«

»Schwer zu sagen, denn man konnte es noch nicht genau belegen. Ursachen können Störungen in dem Bereich des Gehirns sein, der den Schlaf reguliert. Dieser Bereich befindet sich im Zwischenhirn. Mit einem normalen Schlafbedürfnis haben diese Schlafanfälle jedoch nichts zu tun.«

»Und was kann man dagegen machen? Was können wir tun? Kann es da auch zu Komplikationen kommen?« fragte nun Lars mit rauher Stimme.

»Komplikationen sind keinesfalls zu befürchten, und Sie selbst können da nicht viel tun. Ich kann, wenn sich meine Diagnose bestätigen sollte, für Ihren Jungen nur anregende Stimulanzen verschreiben, die ihn über Tag wachhalten.«

»Und es bestehen keine Heilungsaussichten?«

»Wie gesagt, darüber liegen keine Erkenntnisse vor. Bei der Narkolepsie handelt es sich um einen leichten Nervenschaden, der zwar hinderlich, aber sonst harmlos ist. Wie ich Ihnen beiden jedoch zu Beginn dieses Gespräches sagte, steht es noch lange nicht fest, ob es sich bei Ihrem Sohn um diese Erkrankung handelt. Es besteht lediglich die Möglichkeit. Es könnte sich, was ich hoffe, genausogut nur um eine vorübergehende Störung handeln.«

Als Kay schwieg, sah sich das Ehepaar Kolbers nur betroffen an. Erst nach ein paar Minuten fragte Lars Kolbers angespannt: »Wie lange wird es denn noch dauern, bis die endgültige Diagnose feststeht, Herr Dr. Martens?«

»Wie ich schon sagte, stehen noch einige Untersuchungen und Tests aus. Ich möchte den Jungen auf jeden Fall wenigstens noch vierzehn Tage zur Beobachtung hierbehalten. Er muß das Bett nicht hüten, kann sich auf der Station frei bewegen und in Ihrer oder Schwester Jennys Begleitung auch zu einem Spaziergang in unseren Klinikpark gehen. Dazu haben wir auf der Station ein Spiel- und Fernsehzimmer. Für Abwechslung ist also gesorgt. Mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht dazu sagen. Und Kopf hoch, machen Sie sich jetzt noch keine unnötigen Sorgen. Es kann alles ganz harmlos sein.«

»Wir danken Ihnen trotzdem für dieses für uns sehr aufschlußreiche Gespräch, Herr Dr. Martens. Nicht jeder Arzt ist so offen. Die meisten Ärzte reden nur um eine Krankheit herum. Können wir jetzt wieder zu unserem Jungen gehen?«

»Selbstverständlich. Und wenn Sie noch Fragen haben sollten, stehen meine Schwester und ich Ihnen gern jederzeit zur Verfügung. Wir sind immer für eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern unserer Patienten.«

Das Ehepaar Kolbers verabschiedete sich von Kay und ging auf die Krankenstation zurück. Kay war nur wenige Minuten allein, als Hanna zu ihm kam.

»Nun, wie ist es gelaufen, Bruderherz?«

»Völlig normal, Hanna. Ich habe Ihnen genau erklärt, was es mit einer Narkolepsie auf sich hat, und daß es noch nicht feststeht, ob ihr Junge daran erkrankt ist. Ich habe da nur ein wenig vorgearbeitet für den Fall, daß es doch so sein sollte. Ein sehr vernünftiges Ehepaar.«

»Dann können wir ja zufrieden sein. Ich hatte inzwischen auch ein Telefongespräch. Die Mutter der kleinen Traudel hat nachgefragt, wann das Mädel entlassen werden könnte. Ich habe ihr zugesagt, daß man Traudel schon am Samstag abholen kann, da soweit alles in Ordnung sei. Es ist doch bestimmt auch in deinem Sinn, nicht wahr? Da ich morgen mittag schon wegfahre, machst du bitte die Entlassungspapiere rechtzeitig fertig. Traudel wird so gegen zehn Uhr von Ihrem Vater und Ihrer Oma abgeholt.«

»Alles klar, Hanna. Ich möchte in diesem Zusammenhang gleich auf die kleine Recker zurückkommen. Die Wandlung des Kindes ist schon erstaunlich, findest du nicht auch? Von einem Sorgenkind kann bei der Kleinen nun wirklich nicht mehr die Rede sein. Ich bin dafür, daß wir sie ebenfalls bald entlassen. Sagen wir, im Laufe der kommenden Woche.«

»Der Meinung bin ich auch, obwohl es da einen Aspekt gibt, der mir ein wenig Sorge bereitet.«

»Wie das, Hanna? Ich verstehe nicht ganz. Man sieht doch, wie sehr sich der Vater, der auf mich einen sehr guten Eindruck macht, um sein Kind bemüht.«

»Es geht mir dabei nicht um den Vater. Ich denke dabei an unsere Schwester Karin. Wir wissen doch inzwischen alle, wie sehr dieses kleine Persönchen ihr Herz an Schwester Karin gehängt hat. Da könnten also noch gewisse Schwierigkeiten auftreten.«

»Könnten, aber müssen nicht. Wo bleibt denn hier dein berühmtes Gefühl, was bestimmte Beziehungen betrifft, Hanna? Du hörst doch sonst immer die Flöhe husten«, sagte Kay mit einem versteckten Lächeln.

»Wieso, was meinst du?«

»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß Herr Recker Schwester Karin heute morgen, kurz vor sieben Uhr, zur Klinik gebracht hat. Für mich sagt das schon eine ganze Menge aus.«

»Sieh einer an, du bemerkst diese Dinge auch? Es wäre in diesem Fall die beste Lösung. Du weißt, wie ungern ich eine gute Schwester verliere, doch in diesem Fall geht es wieder einmal mehr um das Glück eines lange vernachlässigten Kindes. Und das steht, wie du weißt, für mich immer an erster Stelle.«

»Eben, Hanna, es ist hier bei uns wirklich bald für unsere Schwestern der reinste Heiratsmarkt. Man könnte neidisch werden. Doch Scherz beiseite, ich muß jetzt wieder an meine Arbeit. Wir werden ja sehen, wie sich alles noch weiterentwickelt.«

»Genau, Kay, also, gehen wir es wieder an.«

*

Die Tage vergingen. Während Dr. Hanna Martens am Freitag nach dem Mittagessen ihre Wochenendreise antrat, verbrachte Heiko Recker auch weiterhin jede freie Minute in der Kinderklinik. Soweit es Schwester Karins freie Zeit betraf, war diese immer im Zimmer Wiebkes anzutreffen. Es blieb sogar dabei, daß Heiko Karin jeden Abend nach Hause brachte und sie jeden Morgen in Celle abholte, um sie zur Kinderklinik zu bringen. Nachdem am Samstagmorgen Traudel von ihren Angehörigen abgeholt worden war, war Wiebke wieder allein im Zimmer. Das kleine Mädchen war darüber jedoch nicht allzu traurig, denn fast den ganzen Tag war der geliebte Vati da. Am Sonntag hatte Schwester Karin ihren freien Tag. Es war für sie eine Selbstverständlichkeit, diesen Tag mit Heiko Recker und Wiebke zu verbringen. Am Abend zuvor waren sie und Heiko noch zum Essen ausgewesen. Es war für Karin ein sehr schöner Abend gewesen, an dem sie und Heiko sich noch ein Stückchen nähergekommen waren. Karin fühlte, daß sie für ihn schon mehr war als nur eine gute Freundin. Schon allein der Gedanke daran machte sie überglücklich, ließ ihr Herz schneller schlagen. Als sie nach dem gemeinsamen Abend mit Heiko allein in ihrem kleinen Zimmer war, war ihr klar geworden, daß sie sich in ihn verliebt hatte. Nein, mehr noch, daß sie ihn liebte. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Herzens. Sie konnte kaum die Zeit erwarten, zu der er sie am frühen Sonntagmorgen wieder abholen würde. So kam es, daß sie schon lange vor der verabredeten Zeit fertig war und immer wieder zum Fenster eilte, um nach ihm Ausschau zu halten. Pünktlich um halb neun fuhr dann Heikos Wagen vor dem Haus vor, in dem sie ihr kleines Zimmer bewohnte.

»Sind Sie fertig, Karin, können wir?« fragte er lächelnd, als sie aus dem Haus trat, und in seinen graublauen Augen erschien ein zärtlicher Schein, vor dem sie rasch den Blick senkte, um ihm ihre eigenen Gefühle nicht zu verraten. Leise entgegnete sie: »Ich bin fertig, Heiko, wir können sofort fahren.«

Als sie im Wagen saßen und losfuhren, sagte Heiko: »Es ist noch etwas zu früh für die Klinik, Karin. Wie wäre es vorher noch mit einem Spaziergang durch die Heide? Sind Sie einverstanden?«

»Gern, Heiko, aber nur eine Stunde. Wir dürfen Wiebke nicht warten lassen.«

Sie fuhren bis in die Nähe der Klinik und ließen den Wagen dann stehen. Langsam schlenderten sie durch die Heidelandschaft. Plötzlich blieb Heiko stehen, faßte nach Karins Schultern und drehte sie mit sanfter Gewalt zu sich. Mit werbender Stimme sagte er, ihr dabei tief in die Augen sehend: »Ich kann es nicht mehr länger für mich behalten, Karin. Ich liebe dich und ich fühle, daß auch ich dir nicht ganz gleichgültig bin. Habe ich recht? Bitte, sag jetzt nicht nein.«

»Ja, Heiko, ich liebe dich auch. Schon als wir uns in deinem Haus zum ersten Mal sahen, wußte ich, daß du der Mann meiner Träume bist. Laß dir und mir noch etwas Zeit. Vielleicht täuscht dich dein Gefühl, und du siehst in mir mehr die Frau, die du einmal über alles geliebt hast, weil ich ihr ähnlich bin.«

»Nein, Karin, du bist ihr nicht ähnlich. Ganz und gar nicht. Du siehst ihr zwar ähnlich, aber das spielt für mich keine Rolle. Ich liebe dich, dein sanftes, liebevolles Wesen, dich als Menschen. Ich weiß schon jetzt, daß ich ohne dich nicht mehr leben will und kann. Wir beide und Wiebke, wir werden eine glückliche Familie sein.«

»Und mein Beruf, Heiko?«

»Ich weiß, er füllt dich aus. Aber ist ein kleines, nach der Liebe einer Mutter hungerndes Mädelchen es nicht wert, den Beruf aufzugeben? Ihm dafür später vielleicht noch ein Brüderchen oder ein Schwesterchen zu schenken?«

»Und wenn Wiebke mich gar nicht als Mutti will?«

»Karin, Liebes, ist das dein Ernst? Hast du daran wirklich noch Zweifel?«

»Nein, nicht wirklich, Heiko.«

»Dann lassen wir Wiebke entscheiden. Es ändert aber nichts an meiner Liebe zu dir.« Zärtlich zog Heiko die schmale Gestalt an sich, und zum ersten Mal fanden sich ihre Lippen zu einem sanften Kuß. In sich versunken lagen sie sich in den Armen, bis sich Karin als erste an das kleine Mädchen in der Klinik erinnerte und leise sagte: »Wir müssen jetzt zu Wiebke in die Kinderklinik. Sie wird sicher schon voller Ungeduld auf uns warten.«

Heiko stimmte zu, und sie schlugen den Rückweg ein.

Wie immer war es sehr schön, bei dem niedlichen Pummelchen zu sein, das überglücklich war. Die Zeit verging viel zu schnell. Bevor für Wiebke das Mittagessen gebracht wurde, machte Karin den Vorschlag, für sich und Heiko eine Mahlzeit aus der Kantine zu holen, damit man gemeinsam essen konnte. Der Vorschlag wurde begeistert angenommen, und Karin eilte hinunter in die Kantine.

Allein mit seiner kleinen Tochter, fragte Heiko liebevoll: »Freust du dich denn schon darauf, daß du nun bald nach Hause darfst? Du weißt ja, daß Tante Klara für immer fort ist.«

»Doch, Vati, aber kannst du Tante Karin nicht fragen, ob sie mit uns mitkommt?«

»Das möchtest du wohl gern, nicht war, mein Schätzchen?«

»Ja, Vati, ich habe Tante Karin doch so lieb. Sie ist so lieb wie eine Mutti.«

»Dann fragen wir sie doch einfach, ob sie nicht deine Mutti sein möchte. Ich habe die Tante Karin nämlich auch sehr lieb. Nun, was meinst du, fragen wir sie?«

»Oh, Vati, ja. Du bist der liebste Vati auf der ganzen Welt.« Ehe sich Heiko versah, schlangen sich zwei weiche Kinderarme um seinen Nacken, und sein Gesicht wurde von unzähligen, feuchten Küßchen übersät.

»Halt, halt, nicht so stürmisch, kleine Dame«, wehrte Heiko den Ansturm gerührt ab und zog die Kleine zärtlich in seine Arme.

Es schien so, als würde das Glück noch einmal zu ihm zurückkehren. Er würde es mit beiden Händen für immer festhalten.

Schwester Regine brachte gerade das Essen für Wiebke ins Zimmer, als Karin aus der Kantine zurückkam.

»Tante Karin, Tante Karin, will dich was fragen!« rief Wiebke ihr da mit strahlenden Augen entgegen. Heiko blockte jedoch sofort ab und sagte, leicht den Kopf schüttelnd: »Zuerst wird gegessen, du kleine Ungeduld, sonst wird das schöne Essen kalt.«

Doch kaum waren die Teller geleert, wurde die Kleine ganz unruhig. »Darf ich jetzt, Vati?«

Als Heiko lächelnd nickte, fragte Karin weich: »Was möchtest du mich denn fragen, Schätzchen?«

»Vati und ich wollen, daß du meine Mutti bist. Bitte, bitte. Ich möchte es doch so gern.« Es lag soviel Sehnsucht in den Augen des Kindes, daß Karin nicht anders konnte. Ganz fest nahm sie das kleine Persönchen in ihre Arme und sagte über seinen Kopf hinweg zu Heiko: »Ja, ich will es, ich will deine Mutti sein, denn ich habe dich sehr lieb.«

»Vati, hast du es gehört? Jetzt habe ich auch eine Mutti. Meine Mutti, ich hab dich ganz doll lieb.« Ein fast überirdisches Leuchten lag bei diesen Worten in den Augen des Kindes, und Karin und Heiko wußten, sie hatten sich richtig entschieden.

*

Erst am Montagnachmittag, als Hanna von Ihrer kurzen Reise zurückkam, erfuhr sie die wunderschöne Neuigkeit. Obwohl das für die Kinderklinik bedeutete, wieder eine gute Schwester zu verlieren, war Hanna zufrieden. Es war ein schönes Gefühl, daß wieder einmal in der Kinderklinik dazu beigetragen worden war, daß aus einem ungeliebten Kind ein über alles geliebtes, glückliches Pummelchen geworden war, das ein paar Tage später von seinem Vater und von seiner neuen Mutti, der Hanna freigegeben hatte, aus der Kinderklinik in eine glückliche Zukunft geholt wurde.

Kinderärztin Dr. Martens Staffel 6 – Arztroman

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