Читать книгу Hanne und der Hoteldieb - Britta Munk - Страница 3

Erstes Kapitel Ein Morgen im Hotel Hanne

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„Wart mal, Tante!“

Tante Alice war gerade dabei, die Tür hinter sich zu schließen. Da hielt sie inne und fragte:

„Was ist denn, Hanne?“

„Ach, da ist eigentlich weiter nichts.“

„Na, sag’s doch schon!“

Hanne zögerte einen Augenblick, dann lachte sie: „Nein, ich möchte es dir doch jetzt lieber nicht erzählen!“

„Bist du deiner Sache auch sicher, Kind?“

„Ganz sicher“, sagte Hanne. „Ich werde es dir schon mal anvertrauen.“

„Na, gut. Aber zieh dich jetzt an und komm ’runter, frühstücken! Was hast du heute vor?“

„Kannst du mich brauchen?“

„Nein“, sagte ihre Tante, „jetzt nicht.“

„Dann kann es gut sein, daß ich einen kleinen Abstecher nach Monte Carlo mache.“

„Das solltest du tun. Ich koche gleich den Kaffee.“

Die Tür schloß sich hinter ihr, und Hanne war allein in ihrem Zimmer. Sie erhob sich vom Bett, auf dem sie in ihrem Bademantel gesessen hatte, während sie mit der Tante plauderte. Jetzt flog der Bademantel auf einen Stuhl. Draußen schien die Sonne. Sie schien beinahe immer in Beaulieu-sur-Mer, der kleinen Stadt an der französischen Riviera, zwischen Nizza und Monte Carlo. Hanne öffnete ihre Balkontüren weit und begann sich anzuziehen. Während sie das tat, dachte sie daran, ob sie es ihrer Tante nicht doch hätte sagen sollen. Vor einer Viertelstunde, als sie in der Badewanne lag, war ihr nämlich etwas eingefallen. Sie hatte sich plötzlich daran erinnert, daß sie in vierzehn Tagen Geburtstag hatte, noch dazu ihren sechzehnten Geburtstag.

Ihr erster Gedanke war gewesen, es der Tante zu erzählen. Hanne besaß keine anderen Verwandten auf der ganzen Welt — jedenfalls niemanden, der sich dafür interessieren würde, ob gerade ihr Geburtstag war oder nicht. Und das hätte sie eben beinahe ausgeplaudert, als ihr noch einfiel, daß sie es lieber für sich behalten sollte.

Sie wollte erst darüber nachdenken. Würde es nicht so aussehen, als wollte sie um Geschenke bitten? Doch, sicherlich. Sie dachte daran, wie großzügig ihre Tante bis jetzt schon gewesen war. Erst vor kurzem hatte sie Hanne einen teuren, roten Kajak geschenkt. Und die Tante hatte selbst nicht viel Geld, denn vorläufig gingen noch alle Einnahmen vom Hotelbetrieb auf das große Schuldenkonto, das abbezahlt werden mußte. Dennoch hatte Hanne allein im Laufe des letzten Monats zwei funkelnagelneue Kleider bekommen. Sie hatte sie zwar sehr nötig gebraucht, aber sie hätten doch nicht so teuer sein müssen. Tante Alice war allzu großzügig. Sie sah nie darauf, was eine Sache kostete. Dafür mußte sie dann selbst manchmal Dinge entbehren, die sie notwendig gebraucht hätte.

Wenn Hanne also jetzt etwas von ihrem Geburtstag sagte, würde die Tante sofort wieder zu viel Geld ausgeben. Deshalb war es vielleicht besser, nichts davon zu erwähnen.

Und es bestand wohl wenig Hoffnung darauf, daß jemand von selbst das Datum entdecken würde. Hanne wußte, daß ihre Tante es irgendwo notiert hatte, denn zu Hause in Dänemark hatte sie verschiedene Male Geburtstagsbriefe von ihr bekommen.

Aber wahrscheinlich erinnerte sie sich jetzt nicht mehr an den Tag. Sie hatte ihn mit keinem Wort erwähnt. Vielleicht hat sie den Kalender, auf dem das Datum stand, weggeworfen, dachte Hanne. Im übrigen hatte sie selbst den Tag ja vergessen. Vor einem Augenblick, als sie im Bad saß, war er ihr erst eingefallen. Es kam ihr doch recht traurig vor, den Geburtstag verheimlichen zu sollen. Es ging ihr ja gar nicht um die Geschenke, aber daß man den Tag überhaupt nicht feiern sollte... Sie hatte sich darauf gefreut, sechzehn zu werden. Jetzt wurde sie es, und es gab keinen Menschen in der Welt, der es wußte — abgesehen von ihr selbst!

Sie war fertig angezogen. Einen Augenblick blieb sie am Fenster stehen und sah hinaus. Die Berge lagen ganz golden in der Morgensonne. Um die höchsten von ihnen breitete sich noch der Nebel, ganz oben um die Gipfel, wie Rauchringe. Auf der anderen Seite lag das Meer, silberglänzend und still. Weit draußen entdeckte sie einige Segeljachten. Wie herrlich das alles doch war! Wozu sich diese törichten Sorgen machen! Schließlich war sie ja kein Kind mehr!

Sie lief schnell die Treppe hinunter. Es duftete nach Mandarinen. Sie hatte selbst dafür gesorgt, daß unten in der Halle auf dem kleinen Tisch vor dem Spiegel immer eine große Schale mit diesen Früchten stand. Man bekam sie fast umsonst, und doch sahen sie hübsch aus und erfüllten Halle und Treppe mit ihrem herrlichen Duft. Der Mandarinen- und Blumenduft war das erste, was den Gästen des Hotels Hanne entgegenkam, wenn sie die Tür öffneten.

Sie frühstückte zusammen mit ihrer Tante und der Wirtschafterin, Madame Boldini. Als sie fertig war, sah sie auf die Uhr. Bis zur Abfahrt des Zuges blieb noch eine halbe Stunde Zeit, deshalb beschloß sie, noch etwas im Hotel zu bleiben. Sie wollte nachsehen, ob in allen Vasen frische Blumen waren, ob die Bilder gerade hingen usw. Sie hatte keine eigentlichen Pflichten im Hotel. Auf eine Art konnte man behaupten, sie hatte immer Ferien. Und doch würde keiner von denen dieses Wort gebraucht haben, die aus mehr oder weniger großer Entfernung den Todeskampf des Hotels verfolgt und gesehen hatten, wie es dank Hannes Ideen, ihres unverwüstlichen Humors und ihrer Fähigkeit, alles zu verwalten, wieder zu Kräften gekommen war. Sie hatte Ferien, und hatte doch in dieser Freizeit schon mehr geleistet, als die meisten Erwachsenen in mehreren Jahren schaffen. Es war nicht unberechtigt, wenn das Hotel jetzt Hannes Namen trug. Sie selbst dachte jedoch niemals über diese Dinge nach. Sie amüsierte sich großartig, — ob sie nun arbeitete oder frei war. Ihre Arbeit betrachtete sie als ein herrliches und spannendes Spiel. Seitdem jetzt wirklich allmählich Gäste in das Hotel kamen, gab es genug zu tun. Man mußte kleine Verbesserungen finden und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man die Gäste am besten zufriedenstellen konnte. In die eigentliche, tägliche Arbeit teilten sich nur Hannes Tante, Madame Boldini, der Mann-für-alles Maurice und zwei Hotelmädchen, so daß Hanne die Zeit ganz zu ihrer eigenen Verfügung hatte.

Sie ging in den Speisesaal. Er war um diese Tageszeit leer. Die meisten Gäste waren jetzt zwar wach, doch sie ließen sich fast alle ihr Frühstück aufs Zimmer bringen. Es geschah selten, daß jemand in den Speisesaal herunterkam, um zu frühstücken. Hanne warf einen Blick über den kleinen Saal. Auf allen Tischen standen Blumen, die Tischdecken waren blütenweiß. Sie wurden sofort gewechselt, sobald auch nur ein einziger Fleck darauf war. An den Wänden hingen Reproduktionen von Kunstwerken der großen französischen Maler. Hier und dort standen Schalen mit duftenden Mandarinen. Die Gäste konnten sich selbst damit bedienen. Hanne sorgte schon dafür, daß die Schalen immer mit Früchten gefüllt waren. Die durch die Mandarinen verursachte Ausgabe würde schon wieder hereinkommen, indem die Gäste das Hotel ihren Bekannten empfahlen. Und das alles waren Hannes Ideen, Kleinigkeiten vielleicht, aber dafür Dinge, woran die Gäste nicht gewöhnt sind, jedenfalls nicht in den kleinen, billigen Hotels, und worauf sie großen Wert legen.

Sie ging in den Aufenthaltsraum, wo kleine Rauchtische und tiefe, behagliche Sessel standen. Auch ein Regal mit einer Menge Bücher war da, auf englisch, französisch, deutsch, italienisch, spanisch und schwedisch. An den Wänden hingen Bilder, und in allen Vasen waren Blumen. Auch ein neues Radio war angeschafft worden. Es war überhaupt alles getan worden, um den Raum so gemütlich wie möglich zu machen. Hanne grüßte freundlich zu den drei Gästen hinüber, die dort saßen. Es waren eine alte, reiche Amerikanerin, Miß Kenmare, und ihr Kammermädchen, die junge Negerin Sophy (Miß Kenmare nannte sie immer Topsy), und ein Herr aus England, den Hanne nicht ausstehen konnte. Sie hatte ihn niemals lächeln sehen. Er sah sehr heilig aus und war immer schwarz gekleidet, selbst an den heißesten Tagen. Sein Mund war ein dünner Strich, das Gesicht streng und herrschsüchtig. Seine Stimme war salbungsvoll und gekünstelt. Er mußte so um die fünfzig sein. Ihn konnte Hanne als einzigen Gast nicht leiden. Er beantwortete ihr freundliches Lächeln höchstens mit einem sauren Zucken in den Mundwinkeln. In der Regel tat er so, als sähe er sie nicht.

Auch jetzt erwiderte er den Gruß nicht. Miß Kenmare und ihr Mädchen dagegen grüßten freundlich Guten-Morgen, und das alte Fräulein rief (sie war nämlich stocktaub und brüllte deshalb immer):

„Oh, übrigens, Miß — — eeh?“

„Holm“, lächelte Hanne.

„Richtig, Holm. Miß Holm, Sie sind nicht Französin, was?“

„Nein, ich bin Dänin.“

„Gut, und — — ach, gehen Sie jetzt?“

Das letzte war an den Engländer gerichtet, der sich erhoben hatte und seine Zeitung zusammenlegte.

„Ja“, sagte er kurz und ging nach dem Ausgang. In der Tür wandte er sich jedoch um und sagte:

„Ich möchte zu Ihrem Besten wünschen, Sie würden sich zu Herzen nehmen, was ich so eindringlich versucht habe, Ihnen klarzumachen!“

Damit verließ er das Zimmer und ging langsam die Treppe hinauf.

„Unsinniges Gewäsch!“ flüsterte Miß Kenmare hinter ihm her. Doch wenn Miß Kenmare flüsterte, konnte man es im ganzen Hotel hören.

Sie wandte sich wieder Hanne zu, die Mühe hatte, das Lachen zu verbeißen.

„Sie lächeln, Miß Holm“, sagte sie. „Aber er ist auch tatsächlich eine lächerliche Figur. Wenn man fromm ist, braucht man doch wohl nicht gleich so auszusehen. Ich bin selbst, wenn ich so sagen darf, aufrichtig religiös, aber ich sehe doch wie alle anderen aus.“

Wieder mußte sich Hanne auf die Lippen beißen. Denn die dünne Amerikanerin glich in keiner Weise gewöhnlichen Menschen. Ihr Gesicht war einem Pferd am ähnlichsten, einem freundlichen Pferd. In ihrer Haltung lag etwas Sonderbares, und ihr Gang veranlaßte die Leute, sich auf der Straße nach ihr umzudrehen. Dazu kam, daß sie taub war und so laut brüllte. Sie war schrecklich häßlich, aber freundlich und sehr nett. Die meisten Hotelgäste betrachteten sie als ein wenig närrisch. Und das war sie vielleicht auch, doch auf eine behagliche Weise. Sie fuhr fort:

„Ist Ihre Tante auch Dänin?“

„Ja, Madame“, sagte Hanne. Sie hatte sich vollständig daran gewöhnt, die französischen Bezeichnungen zu gebrauchen, Madame, M’sieur und Mademoiselle. Und zu einer Dame in den Sechzigern sagt man — gleichgültig, ob sie Fräulein ist oder Frau — Madame.

„Gut! Dann ist es also blanker Unsinn, was er sagte. Er riet mir davon ab, meinen Schmuck in den Tresor des Hotels zu legen. Er sagte, der Schmuck wäre in meinem Zimmer sicher aufgehoben. Diesen Franzosen sollte man um Gottes willen nichts anvertrauen. Sie sind also gar keine Franzosen, weder Sie noch ihre Tante?“

Hanne konnte nicht anders, sie mußte lachen.

„Nein, Madame, und selbst wenn wir es wären, hätten Sie sich trotzdem auf uns verlassen können. Die meisten Franzosen sind sicher ebenso ehrlich wie wir.“

„Drüben in Nizza in den Geschäften bin ich jedenfalls ganz nett betrogen worden“, rief Miß Kenmare, „ — — aber das werde ich übrigens auch zu Hause in den Staaten“, fügte sie hinzu.

„Sie möchten also Ihren Schmuck aufbewahrt haben?“ fragte Hanne.

„Ach ja, richtig! Ich war ganz davon abgekommen. Haben Sie von den Schmuckdiebstählen drüben im Hotel Splendide gehört? Es wäre mir höchst unangenehm, wenn mir diese Sachen hier gestohlen würden.“

Sie wühlte in ihrer Tasche herum und zog dann eine Brillantbrosche und ein Perlenkollier hervor. Sie grub noch einmal nach, und einen Augenblick später lagen vier Ringe und ein Armband neben den anderen Schmuckstücken auf dem Tisch.

„Würden Sie vielleicht dafür sorgen, daß diese Schmuckstücke für mich in den Tresor gelegt werden?“

„Ja, Madame“, sagte Hanne, „Sie bekommen sofort eine Quittung.“

„Danke. Es ist mir besonders der Brosche wegen. Sie ist einige tausend Dollars wert“, rief die taube Dame.

„Sie können ganz beruhigt sein, Madame, — in unserem Tresor sind die Sachen sicher untergebracht.“

„Ausgezeichnet, Miß — — eh?“

„Holm“, sagte Hanne. „Ich werde gleich meine Tante holen, dann kann sie die Sache in Ordnung bringen.“

„Holm, ja. Recht schönen Dank, Miß Holm.“

Kurz darauf stand Hanne neben ihrer Tante und legte den Schmuck in den Geldschrank des Hotels. Sie hielt einen Augenblick die Brosche in der Hand und bewunderte sie. Sie war mächtig schwer, an den Rändern mit kleinen Brillanten besetzt, und hatte einen Stern von größeren, die von der Mitte ausgingen, wo der größte und schönste Diamant saß. Hanne hielt die Brosche an ihr Kleid. Die Tante lächelte.

„Du darfst sicher schnell einmal ausprobieren, wie sie sich macht.“

Hanne heftete die Brosche fest und lief zu dem großen Spiegel hinüber. Wie herrlich schön der Schmuck war! Sie drehte sich ein wenig hin und her, so daß das Licht in den Steinen glitzern konnte.

Sie hatte niemand über die weichen Teppiche in der Halle kommen hören, doch als sie sich umwandte, entdeckte sie Mr. Peabody, den heiligen Engländer, der sie mit einem spöttischen Lächeln betrachtete.

Hanne und der Hoteldieb

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