Читать книгу Es war einmal ein kleines Mädchen ... - Brooke Shields - Страница 9

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Da ich meine Eltern nie wirklich als Liebespaar erlebt habe, blieben mir Gefühle der Schuld und des Verlusts in Bezug auf ihre Scheidung erspart. Ich wuchs heran und kannte sie – zumindest gab ich mir Mühe – beide unabhängig voneinander. Vom Tag meiner Geburt an – egal, ob sie nun ein Paar waren oder nicht – stellte meine Mom sicher, dass mein Dad mich regelmäßig zu Gesicht bekam.

Es war augenscheinlich, dass meine Mutter wollte, dass mein Vater eine Beziehung zu mir aufbaute. Auch wenn sie selbst nicht mit ihm zusammensein konnte, war es ihr ein Anliegen, dass ich ein Teil seines Lebens war. Sie ließ sich Wege einfallen, durch die mein Vater gezwungen war, mich zu sehen. Manchmal, wenn ich ihn eine Weile nicht gesehen hatte, zog mir Mom ein hübsches Kleidchen oder einen Strampelanzug an. Außerdem setzte sie mir noch ein Bonnet-Häubchen auf oder gab mir eine Schleife ins Haar. An den Füßen trug ich Spangenschuhe. Dann brachte sie mich zu dem Gebäude, in dem mein Vater arbeitete. Sie tat dies am Ende seines Arbeitstages. Mom wartete mit mir hinter einer Hausecke, von der aus man jedoch einen guten Blick auf den Eingang des Gebäudes hatte, bis mein Dad schließlich auftauchte. Als er auf die Straße trat, schob sie mich an und sagte: „Geh, geh zu Daddy!“ Sie erzählte mir, dass sie sich außer Sichtweite duckte und ich zu ihm rüber watschelte. Ein wenig überrascht und um meine Sicherheit besorgt, hob er mich dann hoch in seine Arme und suchte nach meiner Mom. Wenn sie sich dann zeigte, sagte er mit seiner ihm eigenen dröhnenden Stimme: „Jesus Christus, Teri, was zum Teufel machst du bloß?“

Nachdem wir ihm so aufgelauert hatten, bin ich mir nicht sicher, ob wir im Anschluss Zeit miteinander verbrachten oder ob sie nur ein wenig auf der Straße plauderten. Ich bin überzeugt, dass mein Dad in der Regel irgendwohin musste, aber Mom war schon zufrieden damit, zu wissen, dass sie ihn dazu gebracht hatte, sein Töchterchen zu sehen. Für mich bestand nie ein Zweifel, dass ich einen Dad hatte.

Ich habe sogar Fotos von Mom und Dad, wie sie mit mir die Fifth Avenue während der Osterparade entlangflanierten. Auf diesen Fotos bin ich etwa zwei oder drei Jahre alt und wir sehen wie eine völlig intakte, glückliche Familie aus. Mom ist sehr schick angezogen und trägt eine kurze, schwarz-weiß-karierte Jacke und einen weißen Pillbox-Hut. Dad sieht in Anzug und Krawatte wie immer adrett aus. Ich bin in einen zweireihigen Wollmantel gehüllt und trage außerdem noch einen weißen Hut. Meine weißen Strumpfhosen waren ein wenig verdreht oder zu groß und ein wenig dreckig auf den Knien, aber dafür glänzten meine schwarzen Spangenschuhe aus Lackleder. Zusammen waren sie ein umwerfendes Paar, nach dem sich die Leute immer umdrehten. Sie sahen nicht aus, als wären sie geschieden.


Aber auch wenn uns diese Fotos wie eine gewöhnliche Familie aussehen ließen, die Wahrheit sah anders aus. Von der Scheidung meiner Eltern an war mein Leben mit meiner Mom absolut einzigartig. Überraschenderweise gestaltete sich das Leben als alleinerziehende Mutter in New York City bequemer, als man denken mochte. Gelegentlich passten Babysitter auf mich auf und auch meine Patentante tat dies oft. Aber meistens war ich ein mobiles und erwünschtes Accessoire, das sich gut zu den innovativen Outfits meiner Mutter machte. Sporadisch besuchten wir mit dem Bus ihre Mom und ihre Geschwister in Paterson und Newark, aber zumeist blieben wir im guten, alten Manhattan. Mom nahm mich etwa auf Partys ihrer zahlreichen Freunde aus dem Modebusiness mit. Wir gingen in Dinner-Clubs oder ins Kino, sogar ins Theater, wo ich entweder schlief oder spielte, was mir offenbar lieber war, als bei irgendeinem Babysitter zu bleiben. Am liebsten war es mir, mich in der Nähe meiner Mutter aufzuhalten.

Obwohl es meiner Mutter gelang, mit den meisten Freunden, die sie während ihrer Zeit mit meinem Vater kennengelernt hatte, in Kontakt zu bleiben, hielt sie auch Freundschaften, die abseits seiner vornehmen Zirkel entstanden waren, aufrecht. Auch gewann sie weiterhin Freunde hinzu, von denen viele der Modebranche oder irgendeiner Form des Entertainments zuzurechnen waren. Sie freundete sich mit Fotografen und Stylisten, Designern und Künstlern an. Sie entwickelte einen sehr bunten Freundeskreis bestehend aus talentierten Menschen aus verschiedenen Bereichen des Lebens. Jede Woche besuchten wir irgendein riesiges Herrenhaus draußen in den Hamptons und besuchten in der City Jazzclubs, Kunst-Performances oder Fotoausstellungen. Sie frequentierte alle möglichen Szenen – zuerst mit mir auf dem Arm und später auf ihrer Hüfte. Es schien so, als würde Mom ihren eigenen neuen Weg beschreiten.


Ich war eines jener Babys, die man spätabends in Restaurants sieht, wie sie herumgereicht werden, um gekost zu werden, oder zur Toilette getragen werden, wo man ihnen neben dem Waschbecken die Windeln wechselt. Ich schlief tief und fest, eingelullt vom Klangteppich aus Stimmengewirr und klirrendem Geschirr. Jeder schrieb „Vergiss nicht, das Baby mitzubringen“ auf ihre Einladungen zu Dinnerpartys oder Cocktail-Abenden. Ich zeigte nur sehr wenig Scheu vor neuen Leuten und obwohl die Verbindung zu meiner Mom am stärksten war, lächelte ich auch bereitwillig Fremde an. Manche Dinge ändern sich einfach nie …

Mom zog mich immer wie ein Püppchen an. Ich trug gesmokte Kleider und gepresste Cotton-Bloomer-Outfits mit dazu passenden Hauben. Ich war stets blitzsauber und wie aus dem Ei gepellt. Mom investierte großen Aufwand, mich wie ein Mädchen aussehen zu lassen, da ich keine Haare hatte und sie die Leute immer wieder fragten: „Oh, wie heißt er denn?“ Mom klebte mir kleine, selbst gebastelte Schleifchen an meinen Kopf, damit die Leute wussten, dass ich ein Mädchen war. Aber selbst das half zumeist nicht viel. Einmal blaffte eine Frau im Aufzug meine Mutter an: „Warum tun Sie denn das? Warum kleben Sie pinke Schleifen an den Kopf eines kleinen Jungen?“

Mom erzählte Geschichten über meine Babyzeit genau so, wie sie das auch in Bezug auf ihr eigenes Leben tat. Ein Teil entsprach der Wahrheit, ein anderer war etwas ausgestaltet. Ein Beispiel dafür ereignete sich, als wir in der Fifty-Second Street lebten. Mom ließ mich, bevor ich zu gehen lernte, über den Gehsteig krabbeln. Offenbar passierten wir eines Tages auf einem dieser Ausflüge das Apartmentgebäude, in dem Greta Garbo lebte. Die Garbo befand sich gerade selbst auf dem Gehsteig und, so erzählt man sich, blieb stehen und sah zuerst mich und dann meine Mutter an. Sie nickte mit dem Kopf und ging dann weiter. Für Mom war dies eine offizielle Geste der Anerkennung vonseiten einer Legende. Sie glaubte, dass ich somit förmlich gutgeheißen und abgesegnet wäre als jemand, der der Welt seinen Stempel aufdrücken würde. Ich glaube, dass die Garbo sich einfach auf einem Spaziergang befand, als sie womöglich dieses krabbelnde Kind auf dem Bürgersteig bemerkte und irgendeine Geste in meine Richtung machte. Was das nun wirklich zu bedeuten hatte, kann unterschiedlich gedeutet werden. Nach allem, was ich weiß, könnte die königliche Garbo dieser sorglosen Mutter, die ihrem Baby erlaubte, sich auf dem Zement seine weichen Knie aufzuscheuern, auch einfach nur einen missbilligenden Blick zugeworfen habe. Oder schaute sie etwa tatsächlich in die ZukunMom und ich waren kaum einmal voneinander getrennt und ich tat alles, um sie glücklich zu machen und ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Als ich so um die vier Jahre alt war, nahm sie mich in eine Piano-Bar mit und fragte mich, ob ich alleine zur Toilette gehen könne. Die Toilette war ein beengtes Örtchen, das sich in einer Mauernische befand. Als ich nicht umgehend wieder zurückkehrte, stand meine Mom auf und machte sich auf die Suche nach mir. Plötzlich hörte sie meine Stimme über die Soundanlage. Sie blickte hinüber zum Klavier und ich saß darauf, die Beine gekreuzt, und sang a cappella. Ich weiß nicht, ob der Klavierspieler mich begleitete oder nicht, aber laut meiner Mom konnte man meine Stimme im ganzen Lokal hören. Ich wusste, dass „Embraceable You“ und „My Funny Valentine“ die zwei Lieblingsstücke meiner Mutter waren. Sie sang sie mir oft vor, weshalb ich auch die Texte zu beiden kannte. Mir wurde das Mikrofon angeboten, ich entschied mich für „Embraceable You“ und brachte ihr ein Ständchen dar. Dieser spezielle Club sollte später das La Cage aux Folles werden und wir sollten zu den gerngesehensten Gästen zählen, doch sang ich nie wieder auf diesem Klavier.

Noch bevor ich sprechen (oder singen) konnte, sprachen Leute meine Mutter oft auf mein außergewöhnliches Äußeres an. Mein Mom prahlte gerne damit, dass Leute, als ich noch ein Kleinkind war, uns aufhielten, um zu kommentieren, wie „schön“ ich doch wäre. Selbstverständlich hielt Mom ihr Kind für das schönste auf der Welt, aber tut das nicht jede Mutter?

Eines Tages, als wir gerade in einem New Yorker Taxi fuhren, wurde ihr eine Idee eingepflanzt, die ihr vorher vielleicht schon gekommen sein mochte – oder eben auch nicht. Es ging um das Aussehen ihres Babys und die Möglichkeit, Kapital daraus zu schlagen. In der Geschichte, die sie erzählte, wurde sie mit ihrem zehn Monate alten Baby an einem Frühlingstag im Jahr 1966 von einem typischen New Yorker Taxifahrer nach Uptown gefahren. Der Fahrer blickte ein paar Mal in seinen Rückspiegel und verkündete dann mit seinem breiten New Yorker Akzent: „Wissen Sie, Ihr kleines Kind? Sie könnte modeln!“

Offenbar hatte er selbst eine zwei Jahre alte Nichte, die bereits als Model aktiv war. „Jetzt verdient die Kleine in der Stunde mehr als ich. Stellen Sie sich das vor!“

Mom dankte dem Taxifahrer für das Kompliment und den Vorschlag, gab ihm ein gutes Trinkgeld und stieg schließlich aus. Aber die Idee ließ sie nicht los – und wie es das Schicksal so wollte, rief sie ein paar Wochen später einer der Fotografen, mit denen sie befreundet war, an. Er war in Panik: „Wir brauchen ein Baby, das küssen kann!“ Er fotografierte gerade eine Werbeanzeige für Ivory, einen Seifenhersteller, und hatte unzählige Babys für die Kampagne unter die Lupe genommen. Der Klient war aber nicht glücklich mit seiner Wahl. Keines der Hunderte von Babys, die er sich angesehen hatte, erschien ihm geeignet. Sie sahen entweder dem Model, das als Mutter gecastet worden war, nicht ähnlich genug, waren in ihrer Niedlichkeit nicht einzigartig genug, konnten nicht küssen, oder schrien einfach die ganze Zeit wie am Spieß. Das Baby musste wissen, wie man küsste, doch war das anscheinend das Allerletzte, was diese Kinder in diesem Moment machen wollten. Es herrschte Chaos. Die Kinder schrien und der Klient war bereits den Tränen nah.

Der Fotograf bettelte nun meine Mutter an, mich doch bitte in sein Studio zu bringen. Ich bilde mir ein, mich vage daran zu erinnern, wie ich durch das Durcheinander und das Geschrei getragen wurde. Es kann aber auch sein, dass mir diese Geschichte so oft erzählt wurde, dass es mir einfach nur so vorkommt, als würde ich mich erinnern. Anscheinend fand das Shooting am mittleren Nachmittag statt und ich hatte bereits mein Mittagsschläfchen gehalten, weshalb ich bester Laune war. Da ich mich – wie sonst auch – wohl unter Erwachsenen fühlte, also mich nicht erst an sie gewöhnen musste, lächelte und küsste ich die ganze Zeit über und war sehr neugierig. Ich wurde also vom Fleck weg engagiert und wurde mit einem Stück Seife, auf dem „mother“ stand, fotografiert – letzten Endes war Küssen dann aber doch kein Teil des Jobs. Während der Session saß ich auf dem Boden eines gerade erst weiß gestrichenen Sets und öffnete nacheinander 24 Schachteln mit Ivory-Seife, in denen jeweils wiederum zwölf Stück Handseife enthalten waren. Der Klient war begeistert und auch sonst war jeder glücklich. Der erleichterte Fotograf hob mich auf seinen Arm und umarmte Mom dafür, dass sie den Tag gerettet hatte. Die Welt kannte diesen bereits berühmten Fotografen als Francesco Scavullo – aber für mich war er einfach nur „Onkel Frankie“.

Meine Karriere als Model hatte somit begonnen. Ich hatte also im reifen Alter von elf Monaten schon eine bedeutende, landesweite Werbeanzeige auf der Habenseite zu verbuchen. Mom begriff, dass sich ihr eine Chance eröffnete beziehungsweise sie nun nicht locker lassen sollte. Ich war bei keiner Agentur, weshalb ich niemandem einen Prozentanteil abgeben musste, und so blieb das Geld für diesen ersten Job zur Gänze bei meiner Mutter und bei mir. Mom hatte immer wieder mal teilzeitlich im Buchladen Brentano’s gearbeitet, aber der Lohn dafür war zu gering, um alle Ausgaben für mich beziehungsweise unsere Lebensunterhaltskosten abzudecken. Obwohl es nicht von ihm verlangt wurde, half Dad bei der Miete aus, aber die Möglichkeit eines zusätzlichen Einkommens, die sich uns bot, war absolut verlockend.

Mom fand eine Managerin namens Barbara Jarrett, obwohl ich danach länger keinen großen Modeljob mehr machte. Als ich jedoch dann zwei oder drei Jahre alt war, bekam ich Angebote für Kataloge und wurde die nächsten paar Jahre lang sowohl von Mom als auch von Barbara gemanagt. Ich finde es interessant, dass meine Mom und auch ich schon sehr jung zu arbeiten begonnen haben. Häuser sauber zu machen und zu modeln unterscheiden sich sehr voneinander, aber ein gewisser Arbeitsethos wurde uns bereits früh eingeimpft. Mom war fantasievoll und couragiert als Kind und später war sie eine unverblümte und kreative Mutter. Und nun ergriff sie die Gelegenheit beim Schopf.

Ich hatte immer noch fast keine Haare, weshalb ich die ersten beiden Jahre in erster Linie als Junge besetzt wurde. Einmal, kurz bevor wir uns auf den Weg zu einem Shooting vor Ort in Jamaika machten, nahm Barbara Mom beiseite und sagte: „Nimm ihr um Himmels Willen bloß nicht den Badeanzug vor irgendjemandem ab, sie denken nämlich, sie ist ein Junge.“

Als Kindermodel wurden wir dafür bezahlt, Aktivitäten nachzugehen, die wir uns unter anderen Umständen manchmal gar nicht leisten hätten können. Die Reisen waren jedes Mal ein Heidenspaß. Die Moms und die Kinder fanden sich sehr zeitig am Morgen an einer Straßenecke ein und bestiegen dort einen großen Campingbus. Man wurde verköstigt und die Fahrten waren immer lustig und verrückt. Die Kinder spielten und sangen Lieder. Ich liebte es, an diversen Locations zu sein oder in zahlreichen tropischen Ressorts abzusteigen. Dort konnte man Eidechsen jagen und in der Sonne sein. In der Regel verreiste immer dieselbe Gruppe von Kindern, unter denen sich mit der Zeit langjährige Freundschaften entwickeln sollten. Das sind ein paar der frühesten und schönsten Erinnerungen daran, ein Model zu sein.

Ich dachte, meine Mom wäre unfehlbar. Ich glaubte, dass sie sogar das Wetter beeinflussen könnte. Eines Tages, als ich ungefähr vier Jahre alt war, kaufte sie mir einen roten Regenmantel aus Lackleder sowie einen dazu passenden Regenhut. Es war ein sonniger Tag, aber ich wollte dennoch meinen neuen Mantel und den Hut tragen. Meine Mom bestand darauf, wie unwahrscheinlich es sei, dass es regnen würde. Sie meinte, dass das Ding heiß und ungemütlich sei. So wie meine Mom die Geschichte erzählte, lief ich aus dem Apartment hinaus und blickte über meine Schulter hinweg zu ihr und erklärte: „Keine Sorge, Mama, du wirst es schon regnen lassen.“ Und als wir schließlich auf die Straße traten – so sagte sie mir –, öffneten sich die Himmelsschleusen und es begann, wie in Strömen zu regnen.

Als ich so etwa neun Jahre alt war, zogen meine Mutter und ich in ein Apartment in der Seventy-Third, zwischen der First und Second Avenue. Es befand sich im sechsten Stock eines weißen Backsteingebäudes namens Morad Diplomat. Ich war meinem Dad nahe, doch mit meiner Mutter fühlte ich mich unglaublich verbunden. Sie war alles für mich. Als wir einzogen, hatten wir nur sehr wenige Möbel. Unsere erste Nacht verbrachten wir auf einer Queen-Size-Matratze, die auf dem Boden an einer Wand lag. Wir hatten Bettbezüge, ein Daunenkissen und eine große, bunte Häkeldecke, die meine Mom von einem Besuch in der Wohnung ihrer Mutter in Newark mitgebracht hatte.

Mom schlief mit dem Rücken zur Wand und ich war das „kleine Löffelchen“. Ich werde mich immer daran erinnern, dass ich friedlich und geborgen einschlief. Es war eine der besten Nächte meines Lebens.

Für mich war es immer das schnellst wirkende Schlafmittel, wenn mich jemand auf diese Weise „löffelte“. Diese Nähe zu meiner Mom gab mir das Gefühl allergrößter Geborgenheit und Sicherheit. Auf gewisse Weise war es so, als wäre ich wieder an die Brust meiner Mutter geschnallt, nur dass wir nun nebeneinander lagen. Ich glaube, dass wir beide annahmen, wir würden für immer in dieser Dynamik existieren. Ich liebte es, wie das Bett an der Wand angrenzte, ich mit meiner Mutter Löffelchen machte und dabei die Tür im Auge behielt. Ich befand mich in einem warmen Kokon und hatte keine einzige Sorge auf der Welt. Wir waren miteinander verbunden und zufrieden.

An einem dieser ersten Abende sagte ich: „Umarme mich!“ Meine Mom packte mich dann ein und legte ihren linken Arm um mich. Sie fragte mich immer, ob ihr Arm zu schwer sei. Das war er nie, aber auch wenn er es gewesen wäre, hätte ich mich zu sehr davor gefürchtet, dass sie ihn weggenommen hätte, wenn ich Ja gesagt hätte. Stattdessen sagte ich immer, dass alles in Ordnung sei. Ich bin nicht sicher, ob Mom das ganze Gewicht auf mir lasten ließ, bevor sie überzeugt davon war, dass ich eingeschlafen war.

Ich war so eng mit meiner Mutter verbunden, dass es sich fast schon auf meine Geschmacksnerven auszuwirken schien. Mir schmeckten Küchlein namens Yodels, bis meine Mutter eines Tages einen kostete und sagte, dass er „wachsartig“ schmecke. Nach dem nächsten Bissen stimmte ich ihr zu und aß fortan nie wieder einen Yodel. Eigentlich weiß ich gar nicht, ob ihr Yodels nicht doch schmeckten. Vielleicht wollte sie nur, dass ich aufhörte, Müll zu essen. Aber egal, wie es tatsächlich war, ihre Meinungen waren ausgeprägt genug, um mich dahingehend zu beeinflussen, wie mir mein Essen schmeckte.

Ich weiß, dass sie auch damals schon trank, aber die Auswirkungen waren für mich in so jungem Alter noch nicht so offenkundig. Wenn überhaupt, dann schien es sie nur lustiger und kreativer zu machen. Meine Mutter war immer so eine tolle Künstlerin und kreative Bastlerin. Jedes Halloween stellte sie ausgeklügelte Kostüme für mich her. Ab meinem dritten Lebensjahr kam sie aber jahrelang recht billig davon, da ich mich immer als Charlie Chaplin verkleidete. Ich gewann oft den ersten Preis für dieses Kostüm und dafür, dass ich den berühmten Watschelgang imitieren konnte und gleichzeitig den Gehstock kreisen ließ. Aber als ich heranwuchs, begann ich, zunehmend feminine Verkleidungen zu bevorzugen. Einmal verwandelte sie mich etwa in eine riesige, blühende Rose. Mein Kopf lugte dabei aus der Mitte vieler Schichten Rosenblütenblätter aus Krepp heraus. Meinen Körper hüllte sie in ein grünes Kostüm und grüne Strumpfhosen, die den Stiel der Rose darstellten, und an jeder Hand brachte sie grüne Blätter aus Krepppapier an. Die Strumpfhosen trug ich über meinen Pennyloafers und am Ende des Abends hatte ich sie durchgescheuert. In einem anderen Jahr fertigte meine Mutter mir eine perfekte Kopie einer Tube der Zahnpastafirma Crest her. Sie übertrug das Design der Tube auf Karton und bastelte mir sogar eine Verschlusskappe. Ich war begeistert von der Präzision ihrer Arbeit, aber es war sehr anstrengend, in diesem Kostüm zu gehen. Ich musste mich in kleinen Schritten fortbewegen, wie eine Geisha, und die Kanten des Kartons schnitten mir von vorne in die Knöchel. Die Schmerzen machten mir aber nichts aus, weil es ein so kreatives Kostüm war und ich so stolz darauf war, dass es meine Mom selbst angefertigt hatte.

Mom investierte so viel Zeit in die Verkleidungen, dass ich anfing, mir zu erwarten, den Kostümwettbewerb in der Turnhalle, wo wir jedes Jahr Halloween feierten, Sokol Hall, zu gewinnen. Da wir in einem Apartmentgebäude wohnten, war es einfach, bei den Nachbarn Süßigkeiten einzusammeln, und ich durfte mich alleine mit einer Freundin auf den Weg machen.



Ich lud eine Mitschülerin ein und wir starteten unsere Runde im obersten Stockwerk beim Penthouse und arbeiteten uns nach unten durch. Das dauerte Stunden und unsere wie Kürbisse geformten Eimerchen quollen bereits über vor Süßigkeiten, wenn wir die Apartments im Erdgeschoss erreicht hatten. Das war die Blütezeit der Panik um Rasierklingen in Liebesäpfeln, weshalb es mir nicht erlaubt war, irgendetwas von meiner Beute zu essen, bevor Mom sie nicht einer gründlichen Prüfung unterzogen hatte. Es war immer alles in Ordnung, weil wir jeden Bewohner des Gebäudes persönlich kannten. Und eigentlich aß ich nie den ganzen Süßkram, den ich geschenkt bekommen hatte. Bevor ich auch nur den halben Eimer fertig gegessen hatte, waren die Sachen darin schlecht geworden.

Eine andere Geschichte, die mir sehr gut gefällt, handelt von meiner Puppe Blabby. Blabby ähnelte den Puppen von Baby Tender Love aus den Siebzigern, die ich auch liebte, aber Blabby war ein wenig einzigartiger. Wenn man ihren Bauch drückte, gab sie Babylaute von sich. Ich nahm sie so oft mit in die Badewanne, dass das Geräusch allerdings irgendwann einem Bellen glich. Später schnitt ich ihr mit meiner Kinderschere fast alle Haare ab. Sie sah dann eigentlich ziemlich punkig aus und war somit ihrer Zeit voraus, aber schon bald fielen die Haare wegen der vielen Bäder und dem Bürsten ganz aus.

Blabby begleitete mich überall hin. Wenn wir mit dem Flugzeug flogen, schnallte sie Mom gemeinsam mit mir auf meinem Sitz fest. Der Sicherheitsgurt umschloss uns beide und wurde erst dann fixiert, wenn Blabby „signalisierte“, dass er eng genug saß.


Als ich circa sechs Jahre alt war, mussten Mom und ich auf einem Flug zurück nach New York in irgendeiner Stadt umsteigen. Während wir warteten, hatte ich Blabby im Terminal zurückgelassen, nachdem ich mich dort mit irgendeinem Computerspiel in der Art von Pac-Man beschäftigt hatte. Uns fiel das erst auf, als Mom mich auf meinem Platz festschnallte und realisierte, dass Blabby nicht auf meinem Schoß saß. Das Flugzeug hatte sich bereits auf dem Rollfeld in Bewegung gesetzt, als meine Mutter auf einmal wie wild nach der Flugbegleiterin verlangte. Sie befahl mir, kein Wort zu sagen. Sie sah der Stewardess in die Augen und sagte ruhig, aber doch emotional und todernst: „Wir müssen aus diesem Flugzeug aussteigen! Es geht um Leben und Tod.“

Das war lange vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und die Sicherheitsbestimmungen waren noch viel weniger streng. Auch muss die Flugbegleiterin ausreichend alarmiert gewesen sein, denn sie begab sich ins Cockpit, und das Flugzeug rollte zurück zum Gate, um uns beide aussteigen zu lassen. Mom und ich verließen ohne ein weiteres Wort den Flieger und begaben uns schnurstracks zu dem Spiel, das ich gespielt hatte, bevor wir in das Flugzeug eingestiegen waren. Blabby war nicht dort, also versuchten wir es beim Fundbüro. Wir gaben eine Beschreibung von Blabbys Aussehen ab und hatten bereits über eine Stunde gewartet, als wir plötzlich von Weitem Vertreter der Fluglinie auf uns zukommen sahen. Er versteckte die Puppe mit einem Anflug von Verlegenheit hinter seinem Rücken und war zweifellos erleichtert, als er sie mir zurückgab. Nun, er konnte nicht erleichterter gewesen sein, als ich es war. Ich hatte gewusst, dass meine Mom die Sache in Ordnung bringen würde.

Ich habe Blabby heute noch. Aber da sie kahlköpfig ist und mittlerweile ein großer Spalt ihren Kopf durchzieht, finden sie meine Freundinnen unheimlich. Da muss ich ihnen widersprechen. Ich habe vorher und nachher nie eine Puppe gesehen, die an sie herankam. Mom hatte sie mir geschenkt und nachdem sie gestorben war, hängte ich Blabby ihre Halskette um. Unheimlich oder nicht, sie sitzt in meinem Schlafzimmer und erinnert mich an das eine Mal, als Mom eine 747 auf dem Rollfeld anhielt, um mir meine Babypuppe zu holen.

Mom gefiel die Vorstellung, dass sie solch eine Macht ausspielen konnte, vermutlich sehr. Sie sagte immer, dass solange man in Bezug auf seine Meinungen und die Art, wie man sie vorbrachte, unnachgiebig blieb – auch wenn man dabei nicht ganz die Wahrheit sagte oder sich nicht gänzlich klar ausdrückte –, man sich auf Überraschungen bereit machen müsse, wie weit man damit käme.

Mom war schon ihr ganzes Leben lang eine unkonventionelle Person gewesen und auch der Umstand, dass sie nun Mutter war, konnte nichts daran ändern. Sie nahm mich auch, als ich nun etwas älter wurde, weiterhin in Bars mit. Ich weiß noch, wie sie mir zeigte, wie man mit einem Billardqueue hinter dem Rücken einen Stoß ausführen konnte. Da war ich sicher nicht älter als acht – und ich lernte schnell. Als ich aufgeregt meinen Vater anrief, um ihm mitzuteilen, was ich gerade gelernt hatte, fragte er mich bloß: „Wo bist du?“

„In einer Bar“, antwortete ich.

„Um Himmels Willen.“

Ich bin mir sicher, dass Dad davon nicht begeistert war, aber ich war ja in Sicherheit, hatte Spaß und meine Mutter schien die Situation unter Kontrolle zu haben. Da konnte man nur schwer dagegen argumentieren.

Das nützlichste Bartalent, das ich mir aneignete (bevor ich lernte, wie man mit der Zunge einen Knoten in einen Kirschenstiel macht), war, zwölf Zuckerwürfel zwischen meinem Daumen und meinem kleinen Finger festzuhalten. Es war jene Fähigkeit, die ich dazu benützen sollte, um ein Gespräch mit der einzigartigen Jackie Onassis zu beginnen.

Mom und ich befanden uns gerade in ihrer langjährigen Lieblingsbar, P. J. Clarke’s, als Mom Jackie und Aristoteles Onassis bei einem winzigen Fenster in der menschenleeren Mittelsektion der Bar sitzen sah. Es war ihr Tisch! Mom sagte: „Brookie, das ist die Mutter des Jungen, den du heiraten wirst, wenn du groß bist.“ Ohne um Erlaubnis zu fragen, sprang ich auf und ging zu ihrem Tisch hinüber, um mich höflich vorzustellen.

Anscheinend sagte ich ohne Umschweife: „Hi, wenn ich erwachsen bin, werde ich Ihren Sohn heiraten.“ Jackie sagte: „Oooh …“, so als ob der Gedanke an ihren erwachsenen Sohn zu viel für sie wäre. Ich demonstrierte ihr daraufhin, wie sie möglichst viele Zuckerwürfel zwischen zwei Fingern halten könne. Ich zeigte ihr einfach, wie man diesen Trick durchführte, und begab mich anschließend zurück zu meinem Tisch. Meine Mom gab zwar an, peinlich berührt gewesen zu sein, doch es war eine großartige Anekdote und sie liebte es, sie zum Besten zu geben.

Die Vorstellung meiner Mom von Disziplin war eher ungewöhnlich. Ihre Bestrafungen waren kreativ. Einmal wollte ich Devil Dogs, eine Art Cremeschnitte, zum Abendessen. Ich schrie, ich bettelte, flippte komplett aus und wollte nichts anderes als diese cremige, künstlich erzeugte Süßspeise essen. Mom gab schließlich nach, sagte aber, dass ich zumindest zwölf Devil Dogs essen müsse, wenn ich sie wirklich zum Abendessen haben wollte. Mir kam es so vor, als hätte ich den Junkfood-Jackpot geknackt – bis ich mir schließlich den dritten Devil Dog in den Mund zu schieben versuchte. Mir wurde langsam schlecht und letzten Endes übergab ich mich quer über das ganze Badezimmer hinweg. Mom fragte mich schließlich, ob ich jemals wieder Devil Dogs zum Abendessen haben wolle. Ich glaube, dass ich seither nie wieder einen gegessen habe. Bereits der zweite süße Snack, den ich von meiner Liste streichen konnte.

Sie hatte keine Angst davor, sich lächerlich zu machen, falls es die Situation erforderte, um ihren Standpunkt zu demonstrieren. Einmal nahm sie meinen Cousin Johnny mit, um Godzilla – er nannte ihn Godzillabones – im Kino zu sehen. Er drehte aus irgendeinem Grund komplett durch, als sie beide das Kino wieder verließen. Sie warf sich sofort auf den Boden und zog ihren eigenen Wutanfall durch, um Johnny zu schockieren und zu zeigen, wie kreativ – und effektiv – ihre Disziplinierungsmaßnahmen waren.

Einige der Einlagen, die Mom für witzig hielt, konnten mitunter auch unheimlich sein. Sie war richtig gut darin, Leute nachzumachen, was mir üblicherweise sehr gut gefiel, weil es mich zum Lachen brachte. Allerdings mochte ich es nicht, wenn es die Hexe aus Schneewittchen war. In diesem Zeichentrickfilm hatte die Hexe dieses entsetzliche und erschreckende Kichern, das meine Mom eins zu eins nachmachen konnte. Sie tat das dann völlig willkürlich und es verängstigte mich nach Strich und Faden. Ich flehte sie an, damit aufzuhören. Sie kicherte allerdings noch ein wenig weiter – länger jedenfalls, als mir lieb war. Ich liebte ihre Fähigkeit, jemanden nachzuahmen, und ich sehe mein eigenes diesbezügliches Talent als ein Geschenk von ihr an, doch sobald sie mit dieser Stimme loslegte, begann ich zu schreien: „Du bist meine Mutter, du bist meine Mutter!“ Sie tat einfach das, wonach ihr gerade war – und sie liebte die Aufmerksamkeit. Ich glaube nicht, dass Mom je begriff, dass ich mich tatsächlich und ehrlich fürchtete. Später erzählte sie davon und betonte voller Stolz, dass ich immer wieder gerufen hätte, dass sie meine Mutter sei.

Während dieser Jahre kam meine Modelkarriere so richtig in Schwung. Mom war meine Managerin, allerdings war sie kaum das, was man eine typische „Bühnenmutter“ nennen würde. Sie fragte mich, ob ich an einem Engagement interessiert sei, und ließ mich dann einfach mein Ding machen. Sie nahm mich nie ins Kreuzverhör, wie es hinter verschlossenen Türen gelaufen war, sondern wartete ab, bis ich freiwillig mit Informationen herausrückte. Ich bin mir sicher, dass sie liebend gerne Rückmeldungen bekommen hätte, doch kann ich mich nicht daran erinnern, dass sie mich je dazu gedrängt hätte. Wenn ich einen Job nicht bekam, diskutierten wir einfach, was wir nun stattdessen mit der freien Zeit anfangen würden.

Es kam sehr oft vor, dass wir durch die Tür des Aufzugs hindurch hören konnten, wie Eltern ihre Kinder anschrien oder sogar schlugen. Wir hörten oft das Weinen und wie es immer schwächer wurde, als sich der Lift von uns weg und in Richtung Erdgeschoss entfernte. Ich verstand nie, warum Moms ihren Kindern Sachen wie Fahrräder versprachen, wenn sie einwilligten, zu solchen Terminen zu gehen.

Wenn ein Kind kein Model sein wollte, dann sollte es das auch nicht sein müssen. Meine Mutter bestach oder zwang mich nie, zu einem Vorsprechen zu gehen oder zu arbeiten, wenn mir nicht danach war. Natürlich, ich war ziemlich jung und stellte mich kaum einmal gegen meine Mom, aber ich erinnere mich nicht daran, unter Druck gesetzt worden zu sein, etwas zu tun, wozu ich keine Lust hatte. Mom gab mir das Gefühl, dass die Entscheidung ganz bei mir läge. Sie sagte, dass ich jederzeit aufhören könnte. Ich wollte selbstverständlich nichts anderes, als sie glücklich zu machen, weshalb ich mich fast nie weigerte, etwas zu machen. Egal, was für ein Tag es war, wenn ich gesagt hätte, dass ich einen Job doch nicht machen wollte, hätte Mom den Stromstecker des Telefons gezogen oder wäre mit mir in den Central Park geflüchtet. Das erzürnte die Klienten und Agenturen, aber machte mich ironischerweise nur begehrter. Nein ist schon ein mächtiges Wort.

Seltsamerweise erhielt ich nur wenig Jobs in der Werbung. So warb ich zwar für Heftpflaster der Firma Johnson and Johnson sowie für die Puppe Holly Hobbie, doch schon bald schien es, als wäre mein Aussehen nicht „amerikanisch“ genug. Ich wurde oft mit der Begründung abgewiesen, dass ich zu „europäisch“ wirken würde. Wann immer ich aber einen Job bekam, wusste ich, dass ich – egal, was kommen würde – meinen Spaß haben würde, und sich auch meine Mutter freuen würde. Es war als eine Win-win-Situation.

Ich lernte schon früh: Je netter ich zu den Erwachsenen war, desto liebenswürdiger verhielten sie sich mir gegenüber. Es war alles nur so zum Vergnügen während dieser Jahre – oder zumindest kam es mir so vor.

Ich ging zur Grundschule in Manhattan, während ich arbeitete, und verpasste kaum einmal einen Tag, um zu modeln. Bei manchen der größeren Trips verpasste ich vielleicht einen Freitag. Sogar als ich ein wenig älter wurde, behielt Mom diese Regel bei. Wenn die Agentur anrief und sagte, dass wir ein Shooting um zehn Uhr vormittags an einem Donnerstag hätten, antwortete Mom, dass das toll wäre und wir um 15 Uhr erscheinen würden. Wenn sie dann Druck auszuüben versuchten, erklärte sie, dass es okay wäre, ein anderes Kind zu engagieren, wenn sie mich nicht haben wollten. Aber ich wäre eben nicht verfügbar, bevor die Schule nicht um 14 Uhr 40 aus wäre. Während die anderen Kinder Sport betrieben und sich zum Spielen verabredeten, wurde ich für unterschiedliche Kataloge fotografiert. Ich kann nicht sagen, dass es mir etwas ausmachte, mich nicht mit Sport zu beschäftigen beziehungsweise nicht dazu gezwungen zu werden, meine Zeit getrennt von meiner Mutter zu verbringen.

Ich habe viele tolle Erinnerungen an diese frühen Jahre. Einmal wurde ich für eine Werbung als Jean Shrimptons Tochter gecastet. Mom sagte immer, dass ich ihr ähnlicher sähe als jedes andere Model und jede andere Schauspielerin. Mom fand sie wunderschön und hielt ihr Gesicht für perfekt symmetrisch.

In den nächsten Jahren modelte ich für Werbungen und Kataloge von Firmen wie Macy’s, Sears and Roebuck, Bloomingdale’s, Alexander’s, McCall’s und Butterick. Jedes Mal, wenn ich einen Vorstellungstermin hatte, hielt sich Mom im Hintergrund. Auf dem Set war meine Mutter keine, die ihre Anwesenheit zu sehr betonte. Sie umschwirrte nie das Kreativteam oder gab mir ungefragt Ratschläge. Zwar entging ihr nichts und sie hatte zu jedem eine Meinung, doch damals war sie eher subtil und teilte ihre Einschätzungen nicht mit mir.

Unser Leben war aktiv und lustig. Wir verfolgten im Grunde genommen beide eine richtige Karriere. Ich modelte und Mom managte. Als ich zehn wurde, wurde es allerdings unumgänglich, dass ich mir eine breiter aufgestellte und glaubwürdigere Vertretung suchte. Mom sah sich bei zahlreichen verfügbaren Modelagenturen um und war offenbar nicht einverstanden mit dem, was sie vorfand. Sogar damals schon hatte sie hohe Ansprüche und wollte sich mit nichts zufrieden geben, was in ihren Augen gewöhnlich oder pöbelhaft wirkte.

Da sie auch privat in vielen Fotostudios und Künstlerateliers verkehrte beziehungsweise Freunde in der Kosmetik- und Haarpflegebranche hatte, kannte sie die Besten im Geschäft. Jene Models, die ihr gefielen, schienen allesamt von der Ford Modeling Agency vertreten zu werden, und sie wusste, dass sich alle angesehenen Werbefirmen dort nach Models erkundigten. Ford war eine Agentur, die über ein solches Prestige und solchen Einfluss verfügte, dass Mom entschied, es wäre die einzige geeignete Vertretung für ihr kleines Mädchen.

1974 betreute Ford Models noch keine Kinder und hatte auch gar nicht vor, diesen Bereich in den bereits florierenden Betrieb einzugliedern. Allerdings hatten wir ein Ass im Ärmel. Eileen und Jerry Ford, die die Agentur gegründet hatten, kannten meinen Vater aus diversen gesellschaftlichen Kreisen. Außerdem stellten sie Models für Aufträge von Revlon zur Verfügung und ebendort arbeitete mein Vater mittlerweile als Verkaufsleiter.

Ich erinnere mich, dass meine Mutter Eileen und Jerry Ford schon viele Male getroffen hatte. Sie pflegten einen freundschaftlichen Umgang miteinander und so entschloss sich Mom, persönlich an Eileen heranzutreten. Sie liebte es, mir die Geschichte zu erzählen, wie sie die Türe öffnete und die drei Treppen hinauf zu Eileens geräumigen und hellen Büro marschierte. Mom sagte, dass sie vor Eileens Arbeitstisch stand, beide Hände in die Hüften stützte und ihr erklärte: „Diese Agentur hat keine Abteilung, die sich um Kinder kümmert. Sollte sie aber! Brooke wird euer erstes Kindermodel.“

Eileen war anfangs dagegen, weil sie keine Kinder vertreten wollte. Sie gab Mom einen Korb. Ich bin mir sicher, dass meiner Mom diese Zurückweisung nicht gefiel, sie hätte aber nie zugegeben, dass es so abgelaufen war. Stattdessen behauptete Mom lieber, dass sie an diesem schicksalhaften Tag sowohl meine Zukunft verändert als auch ihren Anteil zum Erfolg von Ford beigetragen hätte. Ford startete schließlich doch eine Vertretung für Kinder, die auch heute noch besteht. Ich war aber nicht das erste Kindermodel in ihren Reihen, wie mir vorgemacht worden war. Mom schrieb sich stets auf ihre Fahnen, diejenige gewesen zu sein, die Eileen Ford davon überzeugt hätte, Kindermodels zu vertreten. Aber hat sie nicht zumindest den Stein ins Rollen gebracht?

Im Laufe der Zeit fing ich an, Moms Trinkerei doch irgendwie als problematisch zu empfinden. Wir waren so beschäftigt, dass es leicht zu übersehen war, aber rückblickend wird mir klar, dass meine Mutter eine hochgradig funktionierende Alkoholikerin war – obwohl mir damals noch das Vokabular fehlte, um dies in Worte zu fassen.

Sie hielt das jahrelang geheim, aber die Anzeichen waren alle da, auch wenn ich zu jung war, um diese zu bemerken. Unlängst traf ich bei einem Begräbnis einen Mann, der in einem Apartment in der East Seventy-Ninth Street gewohnt hatte. Als ich zwei oder drei war, hatten wir eine Zeitlang ein Stockwerk über ihm gelebt. Er hatte sie gemeinsam mit meinem Vater kennengelernt und sich mit ihr angefreundet. Er erzählte mir, dass meine Mom gelegentlich an seine Tür klopfte und sagte: „Ich gehe schnell was trinken. Hier, nimm sie für eine Weile.“

Sie ließ mich dort zurück und wir verbrachten Zeit miteinander. Das war so gegen 22 oder 23 Uhr. Er und ich gingen dann zu Bett und schliefen einfach ein. Er sagte, dass er nie gewusst habe, wie spät es werden würde, aber irgendwann sei meine Mom dann zurückgekommen, um mich wieder abzuholen. Es ist schon ein wenig traurig, wenn ich darüber nachdenke, dass sie mich einfach ablieferte, nur damit sie einen heben gehen konnte, aber zumindest schleifte sie mich nicht die ganze Nacht mit.

Trotz allem bedeutete Mom die Welt für mich – sowohl zuhause als auch bei der Arbeit. Und wir hatten wunderbare Zeiten miteinander.

Der Alkohol spielte jedoch eine immer größere Rolle. Es gelang ihr, unser Leben jahrelang in der Spur zu halten, bevor es zu einem offensichtlicheren und hinderlicheren Problem wurde und die negativen Auswirkungen sich nicht mehr von der Hand weisen ließen. Auch ist es ziemlich überraschend, wie amüsant die Resultate ihrer Trinkerei anfangs gewesen sind.

Mom ging jeden Sonntag in die Kirche, egal, wo sie gerade war. Ich wurde katholisch erzogen und besuchte den Erstkommunionsunterricht, um zum ersten Mal die Kommunion empfangen zu dürfen, und wurde später auch noch gefirmt. Jeden Sonntag begleitete ich sie in diese kleine Kirche an der Ecke Seventy-First Street und Second Avenue.

Dort sang ich zum ersten Mal auf einer Bühne und zwar am Konzert anlässlich des St. Patrick’s Days. Ich sang „When Irish Eyes Are Smiling“ und war so nervös. Ich drehte den Saum meines grünen Samtkleids zu so einem großen Knoten, dass die ganze Kirchengemeinde meine weißen Unterhosen sehen konnte. Ich gewann zwar einen Preis, aber ich werde nie ganz sicher sein, ob das für meinen Song oder diesen frühen Versuch eines Stripteases war.

Mom und ich waren einmal zusammen in der Messe, wobei mir nicht bewusst war, dass sie verkatert war. Ich war immer noch ziemlich naiv in Bezug auf solche Dinge. Ihrer Trinkerei ging sie wohl hauptsächlich nach, wenn ich schon schlief. Mom döste während der Predigt ein und ich bekam das nicht einmal mit, bis zu dem Augenblick, als die Kirchengemeinde sich erhob. Wir standen alle auf, auch meine Mom, allerdings fing sie an, energisch zu klatschen. Sie muss gedacht haben, dass sie sich im Theater befand, und überspielte das Ganze dann, indem sie vorgab, sich Staub von ihrer Kleidung zu klopfen. Es war wie eine Szene aus einem Lucille-Ball-Sketch und wir sollten diese Anekdote noch jahrzehntelang erzählen. Damals schien so etwas einfach nur witzig zu sein.

Aber irgendwann hörte ihre Trinkerei auf, lustig zu sein. Eines Tages, als ich die dritte Klasse der Grundschule besuchte, begleitete mich Mom auf meinem Weg zur Schule und wir unterhielten uns. Ich erinnere mich daran, gedacht zu haben, wie schön es wäre, wenn ich meine Mutter nur am Morgen kennen würde. Vielleicht war sie ja verkatert, aber ich bekam das nie mit. Ich merkte nur, dass sie vor der Schule nie betrunken war. Wenn ich aber um 15 Uhr zuhause war, fand ich sie in einem anderen Zustand vor. Es wurde unvermeidbar, dass sie einen glasigen Ausdruck in ihren Augen hatte, wenn sie mich abholte. Ich musste nur ihre trockenen Lippen sehen, um zu wissen, dass sie getrunken hatte.

Eines Abends, kurz nachdem mir dieses Muster aufgefallen war, platzte es aus mir heraus, wie ich mich fühlte. Ich kann mich nicht mehr an ihre Reaktion erinnern. Aber auch nachdem ich wütend erklärt hatte, dass ich sie am liebsten nur am Morgen kennen würde, änderte sich ihr Verhalten nicht. Ich kann mir keine Abhängigkeit vorstellen, die so stark ist, dass eine Bemerkung wie diese von einem Kind mich ungerührt ließe.

Wenn Mom aus irgendeinem Grund nicht zuhause war, wenn ich nach einem Besuch bei einer Freundin heimkam, wusste ich, wo ich sie finden konnte. Es gab da eine Bar an der Ecke Seventy-Third Street und First Avenue namens Finnegan’s Wake. Entweder war sie dort oder in der Third Avenue, in einem italienischen Restaurant namens Piccolo Mondo. Es war jedes Mal eine solch körperlich spürbare Erleichterung für mich, sie zu sehen, dass ich darüber hinwegsah, dass sie dabei war betrunken zu werden – wenn sie das nicht ohnehin schon war. Üblicherweise überredete ich sie entweder, mit mir mitzukommen, oder wir aßen noch etwas, bevor wir nachhause gingen, um ein bisschen fernzusehen. Mom war nicht gewalttätig und es wäre vielleicht einfacher für mich gewesen, mir ihre Krankheit einzugestehen, wenn ich jemals körperlich misshandelt worden wäre.


Jedoch wurde ich auf viel subtilere Art misshandelt, was einen länger nachwirkenden Effekt nach sich zog. Jedes Mal, wenn Mom trank, ließ sie mich im Stich. Ich war erst Jahre später in der Lage, das zu artikulieren – und auch dann erst nach viel Nachdenken und Therapie. Ich fühlte mich verlassen von ihr, wenn sie trank, aber solange mir körperlich nichts fehlte und sie auch wohlauf war, konnte ich vor mir rechtfertigen, dass alles in Ordnung wäre. Da ich nie wirklich wusste, was mich zuhause erwarten würde, entwickelte ich eine unterschwellige Unruhe. Ich blieb aber unrealistisch optimistisch, dass es eines Tag anders sein könnte. Mom würde ihr Versprechen halten und sich an diesem einen Geburtstag oder zu irgendeinem anderen Anlass nicht betrinken.

Mehr und mehr begann ich, die Hintergründe der Trinkerei meiner Mutter auf einer tieferen Ebene zu begreifen. Ich erinnere mich daran, dass ich nicht wusste, wie ich mich darüber beklagen sollte. Ich fühlte mich immer gut versorgt und sehr geliebt. Auch war sie noch nicht so verbal ausfallend, wie das in den kommenden Jahren der Fall sein würde. Ich versuchte Wege zu finden, um ihr mitzuteilen, dass ihr Alkoholkonsum zu einem Problem werden würde. Es fing ganz unauffällig an: Ich schlug Mom etwa vor, dass sie doch zum Abendessen mit mir ein Ginger Ale trinken könnte. Oder ich sagte: „Hey, Mama, vielleicht trinkst du heute mal nichts und wir schauen zusammen einen Film.“ Sie versicherte mir, dass alles in bester Ordnung wäre, und tat dann einfach das, worauf sie Lust hatte. Manchmal war sie clever genug, um sich eine Zeitlang einzuschränken, um dann sobald ich mich scheinbar ein wenig beruhigt hatte, umso heftiger wieder loszulegen.

Mom war nie jemand, der gerne den Weihnachtsbaum schmückte. An einem Weihnachtsabend kamen wir, nachdem wir die Messe und ein lokales Diner, in dem Alkohol ausgeschenkt wurde, besucht hatten, zurück in die Wohnung. Ich musste noch den Baum fertig dekorieren und während ich mich darauf konzentrierte, muss Mom wohl eingeschlafen sein. Als ich mich zu ihr umdrehte, um sie zu fragen, was sie vom geschmückten Baum hielt, bekam ich als Antwort nur ein Schnarchen. Sie hatte im Grunde auf der Couch das Bewusstsein verloren. In diesem Moment fiel mir sofort ein, wie ich ihr vor Augen führen könnte, dass sie ein Problem hatte. Ich beschloss, sie nicht aufzuwecken. Es bestand dabei ein Risiko, auf das ich mich einlassen musste. Es ging einfach darum, sie irgendwie so festzunageln, damit ich ihrer Trinkerei die Schuld für meine Unzufriedenheit geben konnte. In den Jahren zuvor hätte ich sie einfach aufgeweckt und so getan, als wäre einerseits der Typ mit dem Bart und dem roten Outfit eine reale Person und andererseits ihr Alkoholkonsum gar kein Problem.

Wenn Mom von selbst aufwachen würde und irgendwie die Geschenke noch unter den Baum legen würde, wäre das der Beweis – so redete ich mir ein –, dass Santa Claus existierte sowie die Trinkerei meiner Mutter tatsächlich nicht so schlimm wäre. Falls sie allerdings durchschlafen würde und sich nicht aufraffen könnte, Santa zu spielen, könnte ich ihr vorwerfen, dass sie ohnmächtig geworden war und Weihnachten ruiniert hatte. In diesem Fall könnte ich sagen: „Siehst du, es gibt gar keinen Weihnachtsmann, und weil du betrunken warst, weiß ich das jetzt und bin am Boden zerstört. Ich hasse dich und deine Sauferei.“

Dies war das Jahr, in dem mich die Realität einholte – und das gleich dreifach. Mom war betrunken, es gab keinen Santa Claus und Moms Trinkerei hatte Weihnachten kaputtgemacht – und auf gewisse Weise sogar alles andere auch.

Es war einmal ein kleines Mädchen ...

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