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ОглавлениеI. Einleitung
1. Begriff und Problem des Hellenismus
Als Zeitalter des Hellenismus bezeichnet man die Epoche der griechischen Geschichte vom Tod Alexanders des Großen bis zum Ende des letzten selbständigen griechisch geprägten Großreiches, des Ptolemäerreiches (323–30 v. Chr.). Erheblicher Wandel kennzeichnet diese Epoche in sich und gegenüber der sogenannten klassischen Zeit: Charakterisieren das klassische Griechenland die kleinen Poleis, Bundesstaaten und Kleinterritorien sowie schließlich die militärische Vorherrschaft Alexanders des Großen, der das persische Achämenidenreich eroberte und große Teile des Orients griechischer Kultur, Sprache und Herrschaft unterwarf, so bestimmt die hellenistische Zeit ein sich wandelndes, politisch buntes Tableau: die großen monarchisch regierten Territorien, mittelgroße Monarchien, Bundesstaaten, Staatenbünde und Großpoleis, aber weiterhin auch die vielen für das antike Griechenland so typischen kleinen Staaten, deren außenpolitische Selbständigkeit nun jedoch engeren Schranken unterliegt.
Die großen monarchisch regierten Flächenstaaten erweisen sich im ersten Drittel der hellenistischen Zeit als politische und kulturelle Aktivitätszentren: Im Laufe des 3. Jahrhunderts erstrecken sie sich über große Teile Griechenlands, ganz Kleinasien, Syrien, Palästina, Ägypten sowie Teile des Schwarzmeergebietes und bilden bis nach Indien hin eine Fläche griechischer beziehungsweise griechisch geprägter Staatswesen. Im zweiten Drittel bilden sie ein als Ganzes relativ stabiles System der Mächte, dessen Teile im Einzelnen jedoch auch erhebliche Krisen und Erschütterungen erleben, insbesondere Makedonien und das Seleukidenreich. Das letzte Drittel der hellenistischen Epoche markiert dann die Aufrichtung der römischen Herrschaft über den Ostmittelmeerraum, die mit der Eroberung Ägyptens 30 v. Chr. unter Octavian ihren Abschluss findet. In seiner Hochzeit war der Hellenismus eine Blütephase griechischer Kultur in Kunst, Musik, Sprache und Dichtung, sowie in Technik und Wissenschaft.
In der hellenistischen Zeit veränderte sich die griechische Lebensordnung also nachhaltig: politisch, wirtschaftlich, rechtlich und kulturell. Drei Hauptproblemkreise bestimmten diese neue Welt: Sie war durch Eroberung erheblich vergrößert, die Rechte der herrschenden Elite an Grund und Boden diversifizierten und verkomplizierten sich daher, und neben Kauf und Erbe wurde das Erobererrecht wichtig. In dieser vergrößerten griechischen Welt lebten und herrschten aber Griechen und Makedonen neben und über nichtgriechische Völkerschaften; Kulturkontakte, Kontraste, Anpassungen, Kultur- und Identitätswandel waren die Folge. In dieser neuen Welt war mit dem Königtum eine im mutterländischen Griechenland randständige politische Ordnung zu einer bestimmenden geworden; Charakter und Legitimität der Königsherrschaft wurden darum zu einem bestimmenden Problem der hellenistischen Literatur und politischen Theorie.
Hellenismus und Multikulturalität
Dass die Epoche zwischen Alexander dem Großen und Augustus als Hellenismus bezeichnet wird, verdankt sie dem Werk Johann Gustav Droysens. Hellenizein heißt Reden und Schreiben wie ein Grieche; es bedeutet aber auch jemanden beziehungsweise etwas zum Griechen machen. Das diesen Prozess bezeichnende Substantiv ist hellenismós. Hellenismus hat also zu tun mit dem Verhältnis zwischen Griechen und Nichtgriechen: Wo Griechen und Nichtgriechen sich austauschen, müssen wir mit Kulturkontakt und hellenismós, dem Griechisch-Werden, rechnen, wie gegebenenfalls auch mit dem Gegenteil, dem barbarismós. Aus griechischer Sicht war hellenismós die Norm: die Tatsache, dass Nichtgriechen Griechisch lernen und so eine notwendige Voraussetzung ihrer politisch-sozialen Integration erfüllen. Das Gegenteil, die Bilingualität von Griechen, blieb dagegen eine Ausnahme. Während die griechisch geprägten Führungsschichten der hellenistischen Staaten so den hellenismós von Nichtgriechen erwarteten, avancierte hellenismós zu einem Hochwertbegriff (Philoxenos, frr. 288–289; Zenon von Kition bei Diog. Laert. VII 59; zur sprachlichen Akkulturation vgl. Strab., XIV 2,28).
Hellenisierung – Orientalisierung
Neben der Hellenisierung von Nichtgriechen war auch mit dem umgekehrten Vorgang zu rechnen: der Integration von Griechen in die Sprachund Lebensgemeinschaften des Orients. Hellenisten nennt die Apostelgeschichte (Act. Ap. 6,1; 9,29; vgl. Julian Apost., Epist. 84) solche Mitglieder der frühen Christengemeinden, die nicht unter den Juden, sondern den Griechen gewonnen wurden, und die sich mit ihren sozialen Fürsorgeansprüchen gegenüber denen der Hebräisch sprechenden Mehrheit zurückgesetzt fühlten. Hellenismos bezeichnet hier das Verhalten der ehemals kulturell und sozial dominanten Minderheit, die von der Mehrheit benachteiligt wird.
Aus der dem Christentum und orientalischen Erlösungsreligionen gegenüber skeptischen Perspektive J. G. Droysens erschien die Epoche zwischen Alexander dem Großen und dem römischen Prinzipat als ein Zeitalter, in dem die griechische Kultur mit der orientalischen verschmolz, beziehungsweise Griechen in einem größer gewordenen Kulturraum marginalisiert oder orientalisiert worden seien. Hellenismus nannte Droysen diese Epoche einer vermeintlichen Amalgamierung orientalischer und griechischer Kulturen, die dem Christentum den Boden bereitet habe (Geschichte des Hellenismus, 3 Bde.: I–III, 1836–1843, Gotha 21877–1878, ND München 1980).
R. Laqueur, Hellenismus. Akademische Rede zur Jahresfeier der Hessischen Ludwigs-Universität, Gießen (1925) machte die Verbreitung von Hellenisten als Sprechern einer gemeingriechischen Verkehrssprache im Ostmittelmeerraum zum Kennzeichen dieser Epoche. Auch Eduard Meyer war geprägt von der Vorstellung zweier konträrer historischer Prinzipien, eines abendländischen und eines orientalischen. Sich ausprägen und wirksam werden konnten die Idee dieser historischen Dichotomie und die Auffassung von der Epoche des Hellenismus als einer Verbindung zweier historischer Opposita, weil in dieser Vorstellung die hegelsche Konzeption eines dialektischen Widerstreites zwischen orientalischer und abendländischer Welt mit dem Christentum in Kaiserzeit und Spätantike als einer Synthese aufscheint. Am Beispiel des Hellenismusbegriffes zeigen sich Verwicklungen des Verhältnisses zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie; Droysens missverständlicher kulturgeschichtlicher Hellenismusbegriff ist daher durch die Forschung relativiert und auf einen Epochenbegriff reduziert worden (vgl.: Reinhold Bichler, Hellenismus. Geschichte und Problematik eines Epochenbegriffs, Darmstadt 1983; Luciano Canfora, Ellenismo, Roma, Bari 1987).
Gleichwohl charakterisiert auch die moderne Forschung die damit gemeinte Epoche als Zeit einer Teilhabe weiter Kreise an griechischer Bildung und städtischer Lebensform; Phänomene des interkulturellen Austausches, der Akkulturation und des Kulturtransfers gehören zu den bevorzugten Studienobjekten der Erforschung des hellenistischen Zeitalters.
Je detaillierter die Forschung einzelne Räume und Epochen differenziert, eine umso größere Skepsis gegenüber der Vorstellung einer amalgamierten Einheitskultur der hellenistischen Welt hat sie entwickelt. Schon in politischer Hinsicht war diese Welt ja uneinheitlich strukturiert, nicht nur aufgrund der Antagonismen ihrer großen Mächte, denn ganz unterschiedliche Protagonisten traten auf der politischen Bühne des Hellenismus auf: neben flächigen Erbmonarchien (dunasteiai) homogenere Stammes-Staaten und Bundesorganisationen (éthne) sowie Stadtstaaten (póleis) (Polyb. IX 1,4–5). Schrieb der Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts den in so diversen Staaten lebenden Griechen eine, wenn auch nie realisierte Tendenz zu politischer oder zumindest kultureller Einheit als Nation zu (vgl. Karl Julius Beloch, Griechische Geschichte III 1–IV 2, Berlin, Leipzig 21922ff. ND Berlin 1967), hat die nachnationalistische Geschichtsschreibung im Hellenismus sogar Muster für die Gestaltung eines politisch nur locker verbundenen, kulturell vielgestaltigen, durch ökonomische Bande und Austauschbindungen geeinten europäischen Großraumes gesehen (vgl. J. Kaerst, Geschichte des Hellenismus, Berlin 31927, ND Darmstadt 1968; Michael Rostovtzeff, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt, Darmstadt 1955–56 ND 1984).
2. Die zeitliche Ausdehnung der Darstellung
Wollte man die Regentschaft Alexanders des Großen in eine Darstellung der hellenistischen Epoche mit einschließen, weil Alexanders Wirken die Entstehung der hellenistischen Monarchien erst ermöglichte und er den hellenistischen Königen das Vorbild gab, dann wäre konsequenterweise auch die Zeit Philipps II. mit zu behandeln, denn Philipp einte die Griechen im Korinthischen Bund zum Krieg gegen das Achämenidenreich, gab also der Entwicklung für mehr als eine Generation die Richtung vor. Um einen solchen Regress abzuschneiden, soll die Darstellung hier daher erst mit dem Tod Alexanders einsetzen und ihr Ende mit dem Ende des letzten der großen Reiche, des Ptolemäerreiches, finden (30 v. Chr.).