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2.

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Bis in die Tiefe des Kerkers war es zu hören – das Toben und Brüllen des Sturms, die gellenden Schreie der Sterbenden und Verletzten, das Krachen der einstürzenden Gebäude. Ja, selbst durch das verschachtelte System der Gänge und Treppenschächte drang der Luftzug bis tief unten zu den Zellen vor und ließ die Flammen der Fackeln blaken, die in eisernen Ringen an den Wänden befestigt waren.

„Ein Geschenk des Himmels“, flüsterte Mardengo seinen Männern zu. „Etwas Besseres als diesen Hurrikan können wir uns nicht wünschen.“

Sie starrten ihn entgeistert an. Angsterfüllt kauerten sie im Halbdunkel der Zelle beieinander, instinktiv waren sie zusammengerückt. Es gab ihnen das Gefühl, sich gegenseitig Schutz zu spenden.

Und ihr Anführer redete so unverfroren daher! Sie konnten es nicht fassen. Doch das Grinsen, das die blutrote Narbe vom linken Ohr bis zum Kinn dehnte, bestätigte seine Worte. Er meinte es wirklich so, wie er es sagte. Seine schwarzen Augen glitzerten tückisch, während er sich mit einer heftigen Handbewegung durch das dunkle Kraushaar fuhr.

„Wir können froh sein“, entgegnete einer der Männer gepreßt, „wenn wir nicht verschüttet und lebendig begraben werden.“

Mardengo verzog verächtlich das Gesicht.

„Habt ihr die Hosen voll, ihr Feiglinge? Ihr tut so, als hättet ihr noch nie einen Hurrikan erlebt.“

„Mehr als genug“, entgegnete der andere. „Und wir haben Kerle sterben sehen, die Tod und Teufel nicht fürchteten.“

„Aber da gab es auch keinen sicheren Keller, in den ihr euch verkriechen konntet. Also reißt euch gefälligst zusammen und …“ Er verstummte. Schritte und gedämpfte Stimmen näherten sich. Mardengo senkte seine Stimme abermals zum Flüsterton, als er weitersprach. „Haltet jetzt das Maul. Laßt mich die Sache erledigen. Vielleicht ist das schon unsere Chance.“ Er deutete zum Vorraum, der sich vor den Gittertüren der Zellen entlangzog und von Fackeln erhellt war.

Langsam richtete sich der Anführer der Piraten auf und trat an das schmiedeeiserne Gitter.

Noch immer waren das Toben der Naturgewalten und die markerschütternden Schreie zu hören. Der Hurrikan würde noch geraume Zeit andauern, ehe er abflaute und über dem Feld seiner Verwüstungen Stille einkehren ließ.

Ein Zischlaut ertönte aus der Nachbarzelle zur Linken. Okachobee, Mardengos Mutter, war dort mit dem Rest der Horde eingesperrt.

Die Schritte näherten sich rasch und waren bereits im letzten Treppengang vor den Kerkerzellen.

„Was ist?“ rief Mardengo halblaut.

„Wirst du es versuchen?“ erwiderte Oka Mama. Alle nannten die Mutter des Piratenführers so, da sie ihren richtigen Namen kaum aussprechen konnten.

„Und ob“, antwortete Mardengo voller Vorfreude. „Wenn es jetzt nicht klappt, klappt es nie.“ Er grinste in die Richtung, in der er seine Mutter wußte, obwohl er sie nicht sehen konnte.

„Dann ist es gut“, sagte Oka Mama leise, „vielleicht kann ich dir ein bißchen helfen.“

Mardengo schwieg, denn die Schritte erreichten den Vorraum.

„… sind wir nur noch hier unten sicher“, war eine Männerstimme in spanischer Sprache zu vernehmen.

„Auf die Gesellschaft dieser verdammten Galgenstricke würde ich gern verzichten“, sagte eine zweite Stimme. „Aber es ist wohl das kleinere Übel, das wir in Kauf nehmen müssen.“

Mardengo war versucht, eine Verwünschung hinauszubrüllen. Aber er bezwang sich. Eine vorzeitige Auseinandersetzung mußte er vermeiden.

Ihre Brustpanzer schoben sich schimmernd ins Fackellicht. Sie trugen noch ihre Helme, vermutlich hatten sie sich damit in den oberen Stockwerken gegen Steinschlag geschützt. Normalerweise konnten sie innerhalb der Diensträume auf den unbequemen Eisenhut verzichten.

Zufrieden registrierte Mardengo, daß es sich lediglich um zwei Soldaten handelte. Beide waren mit Pistolen und Säbeln bewaffnet. Er konnte nur hoffen, daß sein Vorhaben gelang, ehe weitere von ihnen auftauchten.

„Hola, Señores“, sagte er mit falscher Freundlichkeit, „was treibt euch in diese niederen Regionen?“ Er wußte, daß sie sich normalerweise in ihrem Wachraum aufhielten, der sich unmittelbar oberhalb des ersten Treppenaufgangs befand.

Die beiden Spanier blieben stehen und wandten sich ihm mit mißbilligenden Blicken zu. Der eine war noch sehr jung, ein Milchgesicht mit dünnem Bartflaum auf der Oberlippe. Der andere trug einen Spitzbart, mit dem er offenbar die geschniegelte Eleganz der Offiziere nachzuahmen versuchte.

„Rede nicht so scheinheilig“, sagte der Spitzbärtige, „du Hundesohn weißt ganz genau, was los ist. Die Hölle mit allen tausend Teufeln nämlich.“

„Das ist leider nicht zu überhören“, sagte Mardengo, mit einem tiefen Seufzer. „Aber glaubt nur nicht, daß ihr hier unten besser aufgehoben seid.“ Er verzog das Gesicht zu einem zerknirschten Ausdruck des Zweifels.

„Was soll das heißen?“ knurrte der ältere Soldat.

Mardengo deutete mit dem Daumen über seine Schulter. Seine Kumpane waren nur schattenhaft zu erkennen, wie sie im Halbdunkel nahe beieinander kauerten.

„Denen ist das Herz samt und sonders bereits in die Hose gerutscht. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich zusammenreißen, aber sie haben kein rechtes Vertrauen zu der Baukunst von euch Spaniern. Seit ihnen der Mörtel und ein paar Steinchen auf die Köpfe gefallen sind, jammern sie mir vor, daß wir alle verschüttet würden.“

Die beiden Soldaten wechselten einen betroffenen Blick.

„Das gleiche wie oben im Wachraum“, flüsterte der jüngere erschrocken. „Wenn das hier unten auch schon anfängt …“ Er sprach seine Befürchtung nicht aus.

„Wo war das?“ fragte der Spitzbärtige entschlossen. Er nahm eine Fackel aus der Halterung und ging auf die Gittertür von Mardengos Zelle zu.

„Ungefähr in der Mitte“, erwiderte der Piratenführer. „Wenn du die Fackel ein Stück hereinhältst, müßtest du die Stelle sehen.“

Innerlich frohlockte er, als der Soldat tatsächlich an die Gittertür trat und die Fackel durch die Stäbe steckte.

Im selben Moment ertönte Oka Mamas Stimme, mit unechter Besorgnis und einem gekonnt gespielten Zittern.

„Hier drüben bei uns ist das genauso, Señor. Sehen Sie sich nur einmal an, was für ein Loch in der Decke entstanden ist.“

Für Mardengo genügte der kurze Moment, in dem der Soldat den Kopf irritiert zur Seite wandte.

Wie eine angreifende Schlange zuckte die Linke des kraushaarigen Kreolen blitzschnell durch die Gitterstäbe. Er erwischte den Soldaten in der Hüftgegend, packte zu und zog ihn mit einem kraftvollen Ruck zu sich heran.

Der Soldat stieß einen erschrockenen Laut aus, hatte aber keine Chance, rasch genug zu reagieren. Mit dem Kopf krachte er gegen das Eisengitter. Benommenheit überfiel ihn, die Fackel entglitt seiner Hand.

Mardengo kümmerte sich nicht um den brennenden Schmerz, als die Flamme im Fallen seinen rechten Oberarm streifte.

Bevor sich der jüngere Soldat von seiner Überraschung erholte, hatte Mardengo dem Spitzbärtigen die Pistole aus dem Gurt gezogen und den Hahn gespannt.

Mit schreckensweiten Augen stierte der junge Spanier in die Mündung der Waffe, die ihm groß und schwarz erschien. Er überwand seine Panik und griff zur eigenen Waffe. Doch zu spät.

Im selben Moment krümmte sich der Zeigefinger des Kreolen. Der Flint schlug auf den Reibstahl, das Zündkraut puffte und ließ eine kleine graue Wolke aufsteigen.

Der jüngere Soldat schaffte es noch, seine Pistole hochzureißen.

Ein grellroter Blitz raste auf ihn zu, und ein dumpfer Schlag traf seine Brust. Das Krachen des Schusses hörte er schon nicht mehr. Sein Lebensfaden war abgeschnitten, noch bevor er in sich zusammensank und auf die feuchten Quadersteine schlug.

Der ältere Soldat versuchte verzweifelt, sich aus dem eisenharten Griff zu befreien. Doch schon waren Mardengos Kumpane zur Stelle. Zwei von ihnen packten zu. Die anderen verharrten lauernd und sprungbereit.

„Haltet ihn fest!“ brüllte der Kreole. Mit einem Ruck zog er den Säbel des Spaniers aus der Scheide.

Nur einen Schritt wich er zurück. Dann stieß er gnadenlos zu.

Der Soldat starb, ohne noch einen Laut von sich zu geben.

Eilends durchwühlte Mardengo die Hosentaschen des Toten, den seine Männer noch aufrecht hielten. Triumphierend hob er den Schlüsselbund hoch. Er hatte sich nicht getäuscht. Natürlich war es der Dienstältere, der die Zellenschlüssel bei sich trug.

„Weg mit ihm“, befahl Mardengo mit einer Handbewegung, mit der man unter anderen Umständen ein lästiges Insekt zu verscheuchen pflegt.

Die beiden Piraten ließen los. Der Tote stürzte der Länge nach auf den Steinboden.

Mit fliegenden Fingern begann der Kreole, die Schlüssel durchzuprobieren. Beim vierten Versuch hatte er Glück. Knirschend bewegte sich der Riegel des Schlosses, und die Zellentür schwang auf.

Die Männer stimmten ein triumphierendes Gebrüll an.

Mardengo wirbelte herum.

„Ruhe!“ fauchte er. „Wollt ihr den ganzen Bau alarmieren?“

Sie verstummten sofort, bissen sich auf die Lippen und beobachteten ihren Anführer, der aufmerksam horchte.

Aber immer noch war da nur das Tosen des Hurrikans zu hören. Die Schreie der Sterbenden und Verletzten waren weniger geworden. Ein Zeichen, daß sich die Anzahl der Überlebenden verringert hatte? Die Piraten kümmerte es nicht. Ihr Interesse galt ausschließlich ihrem eigenen Schicksal, um das es zur Zeit recht günstig zu stehen schien.

Aus dem Gebäude selbst waren keine Geräusche zu vernehmen.

Mardengo wandte sich nach links und schloß die Tür der Nebenzelle auf. Wortlos umarmte Oka Mama ihren Sohn. Die übrigen Männer liefen in den Vorraum und klopften ihren Gefährten auf die Schultern. Insgesamt fünfzehn waren es, die gemeinsam mit Mardengo und seiner Mutter in Gefangenschaft geraten waren.

Der Kreole schob seine Mutter von sich. Okachobee war eine hagere und knochige Frau. Ihr Adlergesicht bestätigte, daß sie eine reinblütige Indianerin vom Stamm der Seminolen war. Das farbenprächtige europäische Frauenkleid mit glitzernder Seidenstickerei stammte von einem der Beutezüge ihres Sohnes. Auch trug sie noch den breitkrempigen Hut aus Flechtwerk, unter dem ihre Zöpfe hervorbaumelten.

„Wir müssen uns beeilen“, sagte Mardengo, „wer weiß, was uns in diesem verdammten Bau noch alles erwartet.“

Er warf die abgefeuerte Pistole einem seiner Männer zu und befahl ihm, sie nachzuladen und sich mit Pulverflasche, Zündkrautfläschchen und Kugelbeutel auszurüsten. Zwei weiteren Kumpanen gab er Order, die Säbel der toten Soldaten an sich zu nehmen. Er selbst versorgte sich mit der Pistole und der Munition des jüngeren Soldaten.

Oka Mama hatte sich unterdessen bereits in die Nähe des Treppenaufgangs begeben und nach oben gelauscht. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr listiges Adlergesicht.

„Die Luft ist rein!“ rief sie ihrem Sohn zu. „Abgesehen von dem bißchen Wind scheint sich da oben nichts abzuspielen.“

Mardengo antwortete mit einem heiseren Lachen. Das war seine Mutter, wie er sie kannte und schätzte. Sie war es auch, die die wilde Meute auf Pirates Cove in seiner Abwesenheit stets unter Kontrolle gehalten hatte. An ihrer Autorität wagte keiner der Kerle zu zweifeln.

Bei dem Gedanken an seinen alten Schlupfwinkel Pirates Cove fühlte Mardengo erneut die Flamme des Hasses in sich aufsteigen. Alle Verluste und die schlimmsten Niederlagen seines Lebens verdankte er diesem schwarzhaarigen Bastard von Engländer, den die Spanier den Seewolf nannten. Geradezu respektvoll klang es, wie die Dons von diesem Burschen sprachen. Er, Mardengo, konnte darüber nur lachen. Auch der angeblich so gefährliche Seewolf war nicht unbesiegbar.

Es war ein erhabenes Gefühl, das Mardengo in diesem Augenblick der Befreiung erfüllte, der Beginn des Triumphes. Er war auf dem besten Weg, seine Rache zu verwirklichen. Dieser Hundesohn von einem Engländer hatte ihm alles genommen. Wenn er gemeinsam mit Oka Mama und den anderen den Spaniern in die Hände gefallen war, dann verdankte er das letztlich dem Seewolf.

Gato war im Kampf gefallen – sein engster Vertrauter und sein einziger wirklicher Freund. Allein diese Tatsache hätte dem Kreolen genügt, um blutige Rache zu üben. Aber dieser verfluchte Britenbastard hatte es schon von Anfang an darauf angelegt, ihm Schaden zuzufügen. Beim Kampf um Fort St. Augustine hatte der Engländer kurzerhand mitgemischt, sich quasi ins gemachte Nest gesetzt und den Goldschatz erbeutet, den die Spanier für die Verschiffung nach Europa gehortet hatten.

Dann, im Schlupfwinkel von Pirates Cove, hatte dieser Hurensohn allem die Krone aufgesetzt, indem er auch noch Mardengos eigenen Schatz an sich gerissen hatte. Alle diese Reichtümer befanden sich jetzt im Bauch der Galeone, die sie „Isabella“ nannten.

Nun, dabei sollte es nicht mehr lange bleiben. Zusätzliche Freude befiel den Kreolen bei dem Gedanken, daß er sich nicht nur die Goldschätze zurückholen würde. Nein, auch die „Isabella“ würde sein eigen werden. Ein solches Schiff war genau das Richtige für ihn, dem Rang angemessen, den er in Florida und im Golf von Mexico hatte.

Mardengo riß sich aus seinen Überlegungen los. Es wurde Zeit, daß sie diesen gastlichen Ort namens Pensacola verließen. Den Spaniern war zu wünschen, daß der Hurrikan ihre Ansiedlung vom Erdboden tilgte. Das verdienten sie wahrhaftig, diese blasierten Señores aus Europa, die so täten, als hätten sie alle Herrschaftsansprüche in diesem Land für sich gepachtet.

Er gab seinen Männern das Zeichen. Den Schlüsselbund, den er dem Soldaten abgenommen hatte, versenkte er in seine Hosentasche.

„Bewegt euch so leise wie möglich“, sagte er warnend, „werdet nicht übermütig, weil draußen der Sturm tobt. Vergeßt nicht, daß wir uns im Hauptquartier des Stützpunkts befinden. An jeder Ecke kann uns einer von den Dons über den Weg laufen.“

Die rauhen Burschen grinsten und nickten. Einer fuhr sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger vor der Kehle entlang, womit er ohne Worte ausdrückte, welche Behandlung er einem plötzlich auftauchenden Spanier zudachte.

Mardengo setzte sich an die Spitze seiner Gefährten und bedeutete Oka Mama mit einem Wink, unmittelbar hinter ihm zu bleiben.

Vorsichtig, doch zügig, stiegen sie die Steinstufen der Treppe hoch, die in den Wachraum hinaufführte. Dort fanden sie vier Musketen und vier weitere Pistolen in einer Wandhalterung. Auch die erforderliche Munition entdeckten die Piraten in einer Truhe. Mardengo brummte zufrieden, während seine Männer die Waffen klarierten. Sie waren jetzt schon erheblich besser ausgerüstet und konnten auch einer ernsteren Auseinandersetzung gelassen entgegensehen.

Die Steintreppe schraubte sich in engen Windungen aus dem Wachraum nach oben. Mardengo wußte, daß dies ein unmittelbarer Zugang zum Erdgeschoß des Hauptgebäudes war.

Natürlich hatte man beim Bau des Hauptquartiers wohlweislich daran gedacht, den Kerker von den übrigen Kellerräumen abzugrenzen. Eine direkte Verbindung zwischen Kerker und Keller gab es nicht, denn das hätte zusätzliche Fluchtmöglichkeiten bei etwaigen Ausbruchsversuchen geboten.

In unserem Fall bedeutet das zusätzliche Sicherheit, dachte Mardengo amüsiert, und er war sicher, daß wohl keiner der Baumeister an eine solche Möglichkeit gedacht hatte.

Je höher sie auf den Treppenstufen vordrangen, desto mehr verstärkte sich das Toben und Brüllen des Hurrikans. Für den wildverwegenen Haufen des Kreolen war es nichts Ungewöhnliches, obwohl sie die Gefahren einer solchen Naturkatastrophe keineswegs unterschätzten. Aber sie waren mit den Eigenheiten der Natur in diesem Teil der Erde besser vertraut als jeder Eindringling aus dem fernen Europa.

Unbehelligt erreichten sie das Erdgeschoß. Fauchende Luftstöße drangen in den Vorraum, der durch eine große Gittertür vom angrenzenden Korridor abgetrennt war. Mardengo vermutete, daß das Dach des zweistöckigen Gebäudes nicht mehr vorhanden war. Die Sturmböen pfiffen also durch eine Menge Öffnungen, die sie sich freigelegt hatten.

Er nahm den Schlüsselbund aus der Hosentasche und fand nach kurzem Probieren den passenden Schlüssel. Mit leuchtenden Augen sah er sich um, als die Tür aufschwang. In den grinsenden Gesichtern seiner Männer las er, was ihnen allen die wiedergewonnene Freiheit bedeutete.

Wieder übernahm Mardengo die Führung, als sie durch den Korridor vordrangen. Die Pistole hatte er schußbereit in der Rechten, und auch jene Piraten, die mit Musketen, Pistolen und Säbeln ausgestattet waren, hielten ihre Waffen im Anschlag.

Den Aufenthaltsraum der Wachmannschaften fanden sie leer. Dann, in der danebenliegenden Waffenkammer, die gleichfalls vom Sturm unversehrt war, stießen sie auf alles, was sie brauchten, um sich in eine waffenstarrende Truppe zu verwandeln. Egal, wer ihnen jetzt noch über den Weg lief, er würde es mit dem Leben bezahlen.

Mardengo und die anderen, die schon bewaffnet waren, sicherten an den Türen, während die übrigen Kumpane Musketen, Pistolen, Säbel, Dolche, Pulverflaschen und Kugeln an sich rissen.

Mardengo nickte zustimmend, als ihm einer der Männer eine doppelläufige Offizierspistole mit ziselierten Läufen brachte. Es war eine Waffe, wie sie ihm dem Rang nach zustand. Er schob die einschüssige Pistole unter den Hosengurt und lud die Doppelläufige.

Aus dem infernalischen Lärm, den der Hurrikan immer noch verursachte, konnten sie schließen, daß die Sturmböen weniger Widerstand fanden als zu Beginn. Der Hurrikan hatte folglich reiche Ernte gehalten, Pensacola mußte zum größten Teil zerstört sein, und wahrscheinlich hatte eine beträchtliche Zahl der Einwohner dabei das Zeitliche gesegnet.

Mardengo und seine Männer empfanden kein Mitleid. Sie bedauerten nur, daß ihnen nicht die Zeit blieb, die ganze Stadt zu durchkommen und zu plündern. Erkleckliche Reichtümer lagen hier vermutlich brach und herrenlos. Aber sie mußten sich auf das Hauptgebäude des Stützpunkts beschränken und mit dem vorlieb nehmen, was sie mit ihren Händen tragen konnten. Denn wahrscheinlich fanden sie kein geeignetes Transportmittel, um eine größere Beute fortzuschaffen.

Bislang war ihnen keine Menschenseele im Erdgeschoß über den Weg gelaufen. Mardengo rechnete damit, daß es auch so bleiben würde, denn das feige spanische Offiziersgesindel hatte sich garantiert samt und sonders in die schützenden Kellergewölbe verkrochen.

Sie durchstöberten die Wohnräume eben jener Offiziere und hohen Beamten. Keiner der Señores hatte sich die Zeit genommen, Wertgegenstände und Geld ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Das nackte Leben war ihnen wichtig genug gewesen, um allen Mammon zu vergessen.

Oka Mama geriet in Verzückung, als sie eine besonders prunkvoll eingerichtete Offizierswohnung durchstöberten. Vor den offenen Laden einer großen Kommode gingen Mardengos Mutter fast die Augen über. Begeistert winkte sie ihren Sohn heran.

„Sieh dir das an, mein Junge! Sieh dir das nur an!“ Sie zog eine doppelreihige Perlenkette hervor, an der jede einzelne Perle in kostbares Feingold gefaßt war. Sie legte sich die Kette um den Hals. „Einen Spiegel, Mardengo, los, los, hol mir einen Spiegel!“

Er grinste breit und lachte.

„Den Gefallen tue ich dir nicht, Mutterherz. Pack von mir aus den ganzen Plunder ein. Hier …“ Er griff in eine der unteren Laden und nahm einen Leinenbeutel heraus. „Bewundern kannst du dich dann später, so lange du willst, wenn wir erst einmal in Sicherheit sind.“ Er winkte einen der Piraten herbei, damit er seiner Mutter beim Einsacken des Goldschmucks half.

Oka Mama verzog enttäuscht das faltige Gesicht. Aber sie beugte sich der Entscheidung ihres Sohnes. Sein Wort galt. In Situationen dieser Art führte nur er das Kommando, da redete sie ihm nicht hinein. Denn die Kerle brauchten eine starke Hand. Und wenn es jemals Uneinigkeit in der Führung gab, würden sie das sofort wittern und wie hungrige Wölfe ihren Nutzen daraus ziehen.

Kurze Zeit später setzten sie ihren Weg durch die verwaisten Räume des Erdgeschosses fort. Längst waren ihre Hosentaschen prall gefüllt mit Gold- und Silbermünzen, mit Edelsteinen und Schmuckstücken. Einige der Männer hatten sich zusätzlich Beutel an den Gurt gebunden, um die Beute fortschaffen zu können.

Mardengo trieb sie zur Eile an. Unnötig lange durften sie sich in dem Gebäude nicht mehr aufhalten. Es galt, einen Weg zu finden, der sie endgültig in die Freiheit führte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 350

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