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2.

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Die Öllampen streuten ihr blakendes Licht in das Kontor. Das trübe Tageslicht, durch die Fenstervorhänge noch gedämpft, reichte nicht aus, um den Raum auch nur annähernd zu erhellen.

Jörgen Bruhn, der schlanke Hamburger von der „Wappen von Kolberg“, wandte sich am Stehpult um, als sein „Dienstherr“ eintrat. Jörgen schob den Federkiel ins Tintenfaß und schien sichtlich erfreut über die kleine Unterbrechung.

„Ehrlich gesagt, Arne, es wäre eine Strafe, wenn ich wirklich in meinen alten Beruf zurück müßte.“

Von Manteuffel drückte die schwere Eichentür hinter sich zu. Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch.

„Das überrascht mich. Seit wir hier in Havanna sind, habe ich den Eindruck, daß du richtig auflebst. Als Schreiber und Faktorei-Gehilfe gibst du wirklich eine prächtige Figur ab.“ In der Tat hatte Jörgen Bruhn diese Schein-Aufgabe von Anfang an zur vollsten Zufriedenheit Arnes erledigt – was nicht verwunderlich war, denn Jörgen hatte als Jüngling in der Hansestadt an der Elbe eine Ausbildung als Kaufmannslehrling absolviert. Danach hatte er aber beschlossen, sich den Seewind um die Ohren wehen zu lassen.

Jörgen grinste breit.

„Du weißt, von was ich rede. Was Havanna erträglich macht, ist das Nachtleben. Und die Aussicht, daß unsere Aufgabe irgendwann einmal beendet ist. Hoffentlich bald, sonst werde ich noch kurzsichtig von der Kontorfuchserei. Sieh dir diese Funzelei an.“ Er beschrieb eine ausladende Handbewegung. „Wenn das gut für die Augen ist, lasse ich mich teeren und federn.“

„Letzteres wird dir erspart bleiben“, sagte Arne und nickte. „Du hast nämlich recht. Aber vorläufig werden wir unsere Mission aufrechterhalten.“

„Daran gibt’s wohl nichts zu rütteln“, entgegnete Jörgen und seufzte. „Alles in allem waren wir ja auch viel zu erfolgreich damit, stimmt’s?“

Arne lächelte. Es hatte sich wirklich gelohnt, die Faktorei als Tarnung für ihre eigentliche Aufgabe in Havanna einzurichten. Dem Bund der Korsaren waren mittlerweile einige beachtliche Raids gelungen, die nur auf die Nachrichtenverbindung zwischen Jussufs Taubenschlägen in Havanna und auf der Schlangen-Insel zurückzuführen waren. Solange es irgend möglich war, sollte dieses gut funktionierende System bestehen bleiben.

Arne trat an eins der Fenster und schob den Vorhang beiseite. Der Monat Mai verabschiedete sich auf unfreundliche Weise. Es war einer dieser Tage, an denen man den Abend möglichst rasch herbeiwünschte. Im Hafen herrschte die gewohnte Betriebsamkeit, wenn auch die Menschen ihre Arbeit mit eher mürrischen Mienen verrichteten. Unter der enormen Luftfeuchtigkeit hatten alle zu leiden, auch die jüngeren.

„Mit welchen Geschäften befassen wir uns heute?“ fragte Arne und wollte den Vorhang zufallen lassen.

„Wir übernehmen die Partie Tabakballen, die uns letzte Woche avisiert wurde“, antwortete Jörgen Bruhn. „Das gibt einen schönen Geruch im Haus, wenn wir die Dinger einlagern und …“

Arne unterbrach ihn mit einer Handbewegung, ohne sich umzudrehen. Es war ein Sinnesimpuls, der ihn veranlaßt hatte, den Vorhang doch noch offenzuhalten. Wie gebannt spähte er hinaus, und jetzt sah er überdeutlich, was ihm ins Auge gestochen war.

„Kaum zu glauben“, flüsterte er und winkte Jörgen herbei.

Der Hamburger beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten. Denn jede Abwechslung in der Monotonie des Kontorlebens war ihm mehr als willkommen. An der Seite von Manteuffels starrte er durch die Fensterscheiben.

Von einer der nahen Piers bogen die drei Männer auf die Kaistraße ein. Beim Näherkommen stellte sich heraus, daß einer der drei noch sehr jung war, dem Kindesalter eben entwachsen. Der Ältere neben ihm konnte dem Gesichtsschnitt nach sein Vater sein: die Murenas! Die beiden waren jedoch nur Begleiter, das zeigte sich daran, daß sie dem anderen mit einem respektvollen Schritt Abstand folgten.

„Don Juan de Alcazar!“ stieß Jörgen entgeistert hervor. „Himmel, der sieht elender aus, als ich gedacht habe.“

Arne nickte nur. Zwar hatte er schon lange damit gerechnet, daß der Sonderbevollmächtigte wieder in Havanna auftauchen würde. Aber es war dennoch eine Überraschung, ihn jetzt so unverhofft zu erblicken. Vor allem lag das sicherlich an dem bemitleidenswerten Zustand Don Juans.

Mit Hilfe eines Stockes bewegte er sich humpelnd vorwärts, seine gesamte Statur wirkte erschreckend zusammengesunken. Vielleicht wurde dieser Eindruck aber auch nur durch sein eingefallenes Gesicht und die dunklen Ränder unter den Augen hervorgerufen.

Arne schloß den Vorhang und wandte sich Jörgen zu.

„Wir wissen natürlich von nichts“, sagte von Manteuffel. „Schärfe dir das ein, Jörgen. Wir haben de Alcazar zuletzt gesehen, als er mit der ‚Pax et Justitia‘ Havanna verließ.“

„Stimmt ja auch“, entgegnete der Hamburger grinsend.

„Du weißt genau, was ich meine“, sagte Arne knurrend.

Jörgens Grinsen schwand.

„Klar doch. Ich bin der ahnungsloseste Engel, den man sich vorstellen kann.“

„Hoffentlich. Ich bin sicher, daß Don Juan bei uns hereinschauen wird. Wenn ich dich dann hinausschicke, verständigst du Jussuf. Er darf auf keinen Fall unversehens hereinplatzen. Es könnte sein, daß er sich verplappert.“

„Aye, aye, Sir.“

Arne von Manteuffel wußte, daß er sich auf seinen Mitarbeiter verlassen konnte. Das galt auch für Jussuf. Zu dritt waren sie eine verschworene Gemeinschaft. Jeder von ihnen war sich darüber im klaren, daß ihr Geheimnis unter keinen Umständen gelüftet werden durfte.

Don Juan konnte nicht ahnen, daß der blonde Deutsche über alles informiert war, was sich seit der Versenkung der Karavelle „Pax et Justitia“ abgespielt hatte. Ermöglicht hatte dies die Nachrichtenverbindung durch Jussufs Brieftauben. Und weder Don Juan noch irgendein anderer Spanier in Havanna durften jemals erfahren, was es mit der Taubenzüchterei des Türken in der deutschen Faktorei wirklich auf sich hatte.

Minuten später erwies sich Arnes Vermutung als richtig.

Schritte näherten sich dem Eingang der Faktorei. Dann hallten die Schläge des Türklopfers durch das Haus.

Arne begab sich in sein Besprechungszimmer auf der anderen Seite des Korridors, und Jörgen ging nach vorn, um die Besucher hereinzulassen. Im nächsten Moment war die überraschte Stimme des Hamburgers zu hören. Arne, der ein Geschäftsjournal vor sich auf dem Tisch aufgeschlagen hatte, mußte lächeln. Jörgen spielte seine Rolle wirklich überzeugend.

Don Juans unbeholfene Schritte dröhnten durch den Korridor, und nach Jörgens Klopfen betraten die Besucher den holzgetäfelten Raum mit dem anheimelnden Lampenlicht.

Arne sprang von seinem Sessel auf, als er den Kopf gehoben hatte.

„Nein!“ rief er und schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich kann es nicht glauben. Don Juan de Alcazar! Himmel, keiner von uns hat damit gerechnet, Sie jemals wiederzusehen.“

„Weshalb nicht?“ entgegnete de Alcazar mit kratzender Stimme.

Lag da aufkeimendes Mißtrauen in seiner Stimme?

Arne bewahrte bei seiner Antwort dennoch Gelassenheit und Gleichmut.

„Wissen Sie, wie lange Sie abwesend waren? Warten Sie, lassen Sie mich nachrechnen …“

Don Juan winkte mit einer fast schroffen Handbewegung ab.

„Schon gut. Sie haben recht, Arne. Ich hätte selbst fast nicht mehr daran geglaubt, Havanna wiederzusehen. Dabei hat diese Stadt für mich nicht einmal sehr viel Reizvolles.“ Der hochgewachsene Spanier brachte ein Lächeln zustande.

„Ich kann es Ihnen nachempfinden“, antwortete Arne und lachte. Dann wurde er wieder ernst. „Sie müssen Schlimmes durchgestanden haben. Man sieht es Ihnen an. Wie fühlen Sie sich?“ Es fiel Arne nicht schwer, trotz seines Bemühens, den Überraschten glaubhaft darzustellen, gleichzeitig auch Herzlichkeit an den Tag zu legen. Denn Don Juan und er hatten gemeinsam etliche Gefahren gemeistert. Es waren gewisse kameradschaftliche Bande zwischen ihnen entstanden, die sich nicht mehr wegwischen ließen.

Aus der Nähe betrachtet, sah Don Juan noch viel schlechter aus als beim ersten Blick durch das Kontorfenster. Sein Gesicht war nicht nur eingefallen, sondern auch erschreckend bleich. Und an der linken Kopfseite war deutlich die noch nicht vollends verheilte Narbe eines Streifschusses zu erkennen.

„Es geht schon recht gut“, erwiderte der Spanier, wandte sich halb zur Seite und deutete auf seine beiden Begleiter. „Wenn ich nicht so aufopfernde Helfer gehabt hätte wie diese beiden, wäre es mir wesentlich schlechter ergangen.“ Arne kannte Pedro Murena und seinen Sohn Luis und nickte ihnen lächelnd zu. Die beiden verneigten sich respektvoll vor dem vermeintlichen deutschen Kaufherrn.

Arne wußte zwar, daß Don Juan ihn keineswegs nur deshalb besuchte, um von seinen Erlebnissen zu berichten. Aber das offene Gespräch fürchtete Arne dennoch nicht. Eben dies lag letztlich auch daran, daß er auf alles vorbereitet war – dank der Nachrichtenübermittlung durch Jussufs Brieftauben und seines Gesprächs mit Hasard.

„Señores“, sagte Arne, indem er die Handflächen gegeneinanderschlug und erst Don Juan und dann die beiden Portugiesen ansah. „Es ist klar, daß Sie anstrengende Tage und Nächte hinter sich haben. Ich lade Sie deshalb zu einem kräftigen Frühstück ein. Einverstanden?“

Die Augen der Murenas leuchteten. Don Juan indessen nagte zaudernd auf seiner Unterlippe.

„Keine Widerrede“, sagte Arne kurz entschlossen. „Diese Einladung dürfen Sie mir nicht abschlagen.“ Er deutete auf die Stühle, die rings um den Besprechungstisch gruppiert waren. Dann wandte er sich an Jörgen. „Geh Jussuf in der Küche zur Hand. Bringt etwas Kräftiges, was selbst einen scheintoten Seemann wieder in die Stiefel hebt.“

„Wird erledigt“, sagte Jörgen dienstbeflissen und ließ die Männer allein.

Während er sich zu Don Juan und seinen Begleitern an den Tisch setzte, atmete Arne insgeheim auf. Die erste Unwägbarkeit war überwunden. Jussuf war vorgewarnt. Es würde keinen unliebsamen Zwischenfall geben.

„Nun?“ begann Arne gedehnt, indem er de Alcazar mit freundlichem Lächeln anblickte. „Hatten Sie Erfolg mit Ihrer Suche nach dem Schlupfwinkel der englischen Piraten?“

Dem blonden Deutschen entging nicht, daß die beiden Portugiesen ihn fortwährend musterten. Dabei war die Verwunderung in ihren Gesichtszügen nicht zu übersehen. Und Don Juan sah ihn einen Moment lang stumm und forschend an, ehe er antwortete.

„Einen Erfolg kann man es nicht nennen“, erwiderte der Spanier mit spürbarem Zögern. Es fiel ihm sichtlich schwer, über die Dinge zu berichten, die sich für ihn so unrühmlich entwickelt hatten. Er atmete tief durch, ehe er fortfuhr. „Es gab zunächst einen vielversprechenden Hinweis auf die ungefähre Lage des Piratenschlupfwinkels. Wie Sie wissen, habe ich mich daraufhin auf der ‚Pax et Justitia‘ eingeschifft, um die Suche aufzunehmen. Schon kurze Zeit später begegneten wir allerdings dem Schiff des Engländers Killigrew. Ein Zufall, der mir willkommen gewesen wäre, wenn ich über ein ausreichend armiertes Schiff verfügt hätte.“

Arne spielte wachsendes Interesse. Wenn de Alcazar gewußt hätte, daß seine Begegnung mit der „Isabella IX.“ alles andere als ein Zufall gewesen war, dann wäre die friedliche Gesprächsrunde mit Sicherheit vorbeigewesen, ehe sie richtig begonnen hätte. Aber der Spanier ahnte natürlich nicht im entferntesten, daß eine Brieftaube die Nachricht vom Auslaufen der „Pax et Justitia“ zur Schlangen-Insel gebracht hatte.

„Aus Ihrer Bemerkung schließe ich“, sagte Arne, „daß Ihr Zusammentreffen mit Killigrew nicht den gewünschten Erfolg hatte?“

Don Juan musterte ihn aus schmalen Augen.

„So ist es. Die Karavelle wurde versenkt. Ich konnte mich aber auf die Insel Lobos Cay retten. Dort stand ich Killigrew Auge in Auge gegenüber. Eine endgültige Entscheidung wurde aber dann durch eine Piratenhorde vereitelt, die uns gefangennahm.“

„Eine Verquickung unglücklicher Umstände“, folgerte Arne.

Abermals traf ihn ein prüfender Blick, bevor der Spanier fortfuhr.

„Killigrew und ich konnten fliehen, wurden aber von den Piraten verfolgt. Beim Kampf erlitt ich die Verletzungen, die mir jetzt noch zusetzen. Killigrew war es, der den Kampf gegen die Piraten weiterführte, nachdem er mich Pedro Murena und seinem Sohn übergeben hatte.“

Die beiden Portugiesen nickten bekräftigend, und ihre Gesichter strahlten dabei vor Begeisterung.

Don Juan de Alcazar wurde jedoch unvermittelt nachdenklich. Erneut, intensiver jetzt, tastete er seinen deutschen Gesprächspartner mit Blicken ab.

Arne ahnte, ja, er wußte sogar, daß de Alcazar sehr damit beschäftigt war, über seine Ähnlichkeit mit Philip Hasard Killigrew nachzudenken. Letzten Endes hatte er Gelegenheit gehabt, Hasard äußerst genau kennenzulernen. Arne wußte also, was ihn erwartete. Innerlich richtete er sich darauf ein.

„Es ist unmöglich“, entfuhr es de Alcazar unvermittelt, „völlig ausgeschlossen.“

Arne runzelte die Stirn.

„Von was reden Sie?“ fragte er und tat erstaunt.

Don Juan beugte sich vor und verschränkte die Arme auf dem Tisch.

„Ich will es Ihnen sagen, Arne. Es kann einfach nicht sein, daß sich zwei Menschen aus einer reinen Laune der Natur oder nur aus Zufall derart ähnlich sehen.“

„Damit wären wir also wieder beim alten Thema“, sagte Arne und lächelte voller Gelassenheit. Innerlich jedoch war er in Alarmstimmung. De Alcazar wollte es jetzt wissen. Mit den tiefschürfenden Überlegungen, die ihn schon seit langem plagten, hielt er nun nicht mehr hinter dem Berg.

Don Juan schüttelte den Kopf.

„Das Thema ist nicht mehr das alte“, widersprach er. „Zuvor hatte ich nur ein Ölbildchen zum Vergleich. Jetzt habe ich den Mann in Person kennengelernt. Seitdem weiß ich, daß es eine Menge weiterer Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und Killigrew gibt. Ihre Bewegungen, Ihr Lachen, der Ausdruck Ihrer Augen – all das ist völlig identisch mit der Wesensart des Engländers.“

„Sie haben ihn tatsächlich zum Lachen gebracht?“ versuchte Arne das Gespräch in eine humorvolle Bahn zu lenken. Es gelang ihm nicht.

„Nicht ich“, sagte Don Juan ungerührt. „Ich war lange genug mit ihm zusammen, so daß sich alle nur erdenklichen Situationen zwangsläufig und von selbst ergeben haben.“

Einen kleinen Aufschub gab es, als Jörgen Bruhn und Jussuf eintraten und das Frühstück brachten. Jussuf hatte Tee aufgebrüht, den die beiden Männer in großen Bechern servierten. Dazu gab es frisch gebackenes Brot und gebratenen Speck mit Eiern. Vorübergehend versiegte der Wortwechsel, als die Besucher es sich voller Heißhunger schmecken ließen.

Don Juan de Alcazar hielt aber nicht inne, den angeblichen deutschen Kaufherrn prüfend zu mustern.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 388

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