Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 579 - Burt Frederick - Страница 7
2.
ОглавлениеOreste Modugno schloß seinen Laden an diesem Abend eine halbe Stunde früher als gewöhnlich. Mit Kundschaft war ohnehin nicht mehr zu rechnen, und er wollte die Zeit nutzen, um bereits mit den ersten Aufräumungsarbeiten zu beginnen.
Guilielmo, sein Sohn, war mit dem einzigen Gehilfen, den sie noch beschäftigten, im Hafen unterwegs, um Ware auszuliefern.
Wenn die Umsätze weiter zurückgingen, überlegte der Schiffsausrüster niedergeschlagen, würden sie auch den letzten Gehilfen bald entlassen müssen. Dann würde das einst blühende kleine Unternehmen wieder ein armseliger Familienbetrieb sein, der sich noch eine Weile über Wasser halten konnte, bis Don Vito Borsini ihn sich einverleibte.
Im Halbdunkel des Ladens schaufelte er das zerbrochene Steingut in eine Kiste. Es war eine Arbeit, die ihm wehtat. Andererseits konnte er von Glück reden. Die Kerle hatten noch nicht begonnen, die Einrichtung zu zerstören.
Wenn das geschah, war ein Geschäftsinhaber so tief in jenem Teufelskreis aus fälligen „Schutzgebühren“ und sinkenden Umsätzen, daß es keinen Ausweg mehr gab.
Modugno brachte die Kiste mit den Scherben hinaus auf den Hinterhof. Es begann zu dunkeln. Guilielmo mußte jeden Moment eintreffen. Der rundliche Mann beschloß, es gut sein zu lassen und die Arbeit für diesen Tag einzustellen. Er ging noch einmal in den Laden und löschte alle Lampen. Er würde Guilielmo auf dem Hof erwarten.
Gedankenverloren verriegelte er die Hintertür des Ladens.
Gaukelte er sich nicht, selbst etwas vor?
Borsinis Halunken wären nicht etwa aus eigenem Entschluß abgezogen. Nur durch das beherzte Eingreifen der beiden Engländer hatten sie ihr Zerstörungswerk abbrechen müssen. Wie mochte ihr Auftrag gelautet haben? Hatten sie vielleicht doch die gesamte Einrichtung zerschlagen sollen?
Oreste Modugno erschauerte bei der Erinnerung an das Geschehen. Er trat auf den Hinterhof hinaus. Der Wagenschuppen, das Lagerhaus und der Pferdestall bildeten einen schützenden rechten Winkel, der zur Seitengasse hin von einem Zaun und einem Tor aus mannshohen Planken begrenzt wurde.
Es gab kein Gerümpel auf diesem Hinterhof, keine Spur von Unordnung. Sogar die einachsigen Pferdekarren standen sauber ausgerichtet unter dem Schuppendach.
Guilielmo war ein guter Junge. Kein Mann konnte sich einen besseren Sohn wünschen. Gemeinsam mit ihm bewältigte Oreste nicht nur das Geschäft, sondern auch den Haushalt in dem kleinen Stadthaus, das ihnen gehörte.
Seit seine Frau, Guilielmos Mutter, vor drei Jahren an unerklärlicher Magersucht gestorben war, hatten sie gemeinsam nur noch fester zugepackt. Sie hatten bewiesen, daß sie es schaffen konnten.
Borsinis Halunken hatten einen Toten mitnehmen müssen.
Der Gedanke durchzuckte Modugno, als würde es ihm jetzt erst bewußt. Warum, in aller Welt, blieb er so ruhig? Glaubte er etwa allen Ernstes, Don Vito Borsini würde es mit einem Achselzucken hinnehmen, daß man einen seiner Männer getötet hatte? Und es war in seinem, Oreste Modugnos, Laden geschehen!
Borsinis Handlanger würden ihm vorhalten, er habe die Engländer mit voller Absicht zu seinem Schutz herbestellt. Wie sollte er das Gegenteil beweisen? Er hatte keine Chance. Sie würden ihm sowieso nicht glauben.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Sterne funkelten am Himmel, als hätte jemand ein samtenes Tuch mit daraufgestickten Diamanten über Messina gespannt. Ein Tuch, das sich rasch in ein immer dunkleres Blau verfärbte.
Aus der Ferne war ein leises, dumpfes Grollen zu hören. Es drang tief aus dem Bauch der Erde und schien doch von allem Irdischen losgelöst zu sein, indem es im Nichts schwebte, hervorgerufen durch Umstände, die mit dem menschlichen Verstand nicht zu erklären waren.
Der Ätna ließ sich nun schon seit Tagen in immer kürzeren Abständen vernehmen.
Oreste Modugno sah seine Zukunft in den düstersten Farben. Farben, die der Dunkelheit dieses Abends und der beginnenden Nacht entsprachen und eines Tages von der alles verzehrenden Glut eines Vulkanausbruchs überdeckt werden würden.
Ja, es sah schlimm aus um diese Zukunft. Alle Vorzeichen waren gegen ihn gerichtet. Er mußte mit Guilielmo darüber reden. Der Junge war von jugendlichem Tatendrang erfüllt, und seine Wut gegen Borsini und seine Schergen schwelte schon lange.
Oft hatte Guilielmo unvernünftige Pläne gehabt. Aber vielleicht konnte er zusammen mit den Engländern …
Er brachte den Gedanken nicht zu Ende.
Ein Scharren, das im Wagenschuppen entstand, ließ ihn zusammenzucken. Für eine Reaktion war es zu spät.
Gestalten schnellten aus der Dunkelheit hervor. Eisenharte Fäuste packten den Schiffsausrüster. Er wollte schreien und Guilielmo zu Hilfe rufen, da er bestimmt schon in der Nähe war. Aber eine rauhe Handfläche legte sich auf sein Gesicht, versiegelte ihm die Stimme und nahm ihm die Atemluft.
Sie schleiften ihn weg.
Noch ehe er darüber nachdenken konnte, was sie vorhatten, traf ein Hieb seinen Kopf. Der Schmerz war wie der Explosionsblitz einer großen Schwarzpulverladung. Und dann gab es nur noch endlose, abgrundtiefe Schwärze. Weder von seelischem noch von körperlichem Schmerz befreit, war die Bewußtlosigkeit keine Erlösung für ihn.
Guilielmo Modugno beschleunigte seine Schritte. Er wußte, daß sein Vater ihn bestimmt schon vor einer halben Stunde zurückerwartet hatte. Federico, der Gehilfe, hatte den Einspänner bei sich zu Hause untergestellt, weil er am nächsten Morgen in aller Frühe eine Lieferung Weinkrüge bei einer Töpferei in der Nähe von Messina abholen sollte.
In dem Moment, in dem er in die Seitengasse einbiegen wollte, prallte Guilielmo zurück.
Wie von selbst, war sein Blick als erstes auf das Tor des väterlichen Schiffsausrüsterbetriebes gefallen.
Es schwang auf.
Geistesgegenwärtig huschte Guilielmo in einen Hauseingang, um zu beobachten, was sich dort drüben, zwanzig Yards entfernt, abspielte. Sein Vater hatte nicht das zweite Gesicht, um seine, Guilielmos, Rückkehr zu ahnen, bevor er überhaupt in Sicht war.
Eine schattenhafte Gestalt erschien in dem offenen Torwinkel, spähte sichernd nach beiden Seiten und winkte dann zum Hof hin. Nacheinander huschten sie nun in die Seitengasse. Guilielmo zählte insgesamt sieben Kerle. Der letzte zog das Tor zu.
In der Dunkelheit waren selbst scharfe Konturen kaum zu erkennen. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte der stämmig gebaute junge Mann, daß zwei der Kerle offenbar einen dritten in die Mitte genommen hatten. Sie hielten ihn unter den Achselhöhlen und schleiften ihn mit sich.
Guilielmo erschrak.
Dieser hilflose, anscheinend bewußtlose Mann hatte die Statur seines Vaters.
Sie bewegten sich auf leisen Sohlen. Deshalb war deutlich zu hören, wie die Kappen seiner einfachen Schnallenschuhe über das Steinpflaster schleiften.
Die Kerle schlichen stadteinwärts davon.
Guilielmos Erschrecken wuchs zur Panik. Etwas wie ein glühender Klumpen füllte seinen Magen aus.
Jeden Tag hatten sie damit gerechnet, daß Don Vito seine Schergen schicken würde. Guilielmo preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Ausgerechnet jetzt, als sein Vater allein gewesen war, hatte es geschehen müssen!
Kurz entschlossen löste er sich aus dem Hauseingang und folgte den Kerlen mit lautlosen Schritten. Die Dunkelheit schützte ihn. Sie würden ihn nicht entdecken. Er kannte sich mindestens genausogut aus wie sie, wenn nicht besser. Dies war das Hafengebiet, sein zweites Zuhause. Hier konnte ihm niemand ein Schnippchen schlagen. Er kannte alle verborgenen Wege, jeden geheimen Winkel, jede Abkürzung.
Mit einem Abstand von dreißig bis vierzig Schritten blieb er hinter den Kerlen, von denen er überzeugt war, daß es Borsinis Handlanger waren. Sie schleiften seinen Vater noch immer. Neues Entsetzen durchzuckte ihn.
Hatten sie ihn womöglich getötet?
Nein, ausgeschlossen, unmöglich. Das konnten sie nicht tun. So weit waren sie noch niemals gegangen. Gewiß, sie hatten ihre Opfer verprügelt, sie blutig geschlagen – in den schlimmsten Fällen. Aber vor eiskaltem Mord waren sie bisher immer noch zurückgeschreckt.
Niemand begegnete den Kerlen, als sie nach wenigen Minuten in einen anderen Hinterhof schlüpften. Es handelte sich um die Faktorei eines spanischen Handelsmannes, den Guilielmo gut kannte. Der Spanier lebte in einem Stadthaus wie die Modugnos. Um diese Zeit würde in der Faktorei also niemand mehr anwesend sein.
Guilielmo verlangsamte seine Schritte. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Die Angst hämmerte in seinem Brustkorb. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er konnte nicht so verrückt sein, zu versuchen, es mit sieben Gegnern aufzunehmen.
Es lief darauf hinaus, daß er nichts tun konnte, um seinem Vater zu helfen. Eine Tatsache, die ihn fast um den Verstand brachte.
Der Hof der Faktorei war mit einer Steinmauer eingefriedet. Guilielmo schob sich an der Fassade des Haupthauses vorbei und stieg vorsichtig auf den Sockel der Umfassungsmauer.
Indem er sich an den Rundsteinen der Mauerkrone festhielt, zog er sich so weit hoch, daß er einen vorsichtigen Blick riskieren konnte. Zum Glück gab es in der Nähe keine Laterne, deren Licht ihn verraten hätte.
Eine Klinge blitzte.
Ein Dolch.
Mit knapper Mühe konnte Guilielmo verhindern, daß er aufschrie. Im nächsten Moment war alles an ihm wie gelähmt – seine Muskeln, seine Stimmbänder.
Sie hatten seinen Vater auf den Boden gelegt. Einer stach auf ihn ein, immer wieder.
Oreste Modugno bäumte sich nur kurz auf, erwachte aber nicht wieder aus seiner Bewußtlosigkeit.
Tränen rannen über Guilielmos Wangen. Er haßte sich dafür, daß er nichts tat – dafür, daß er zusah, wie sein Vater getötet wurde und dafür, daß er es als einen völlig normalen Vorgang hinnahm. Himmel, er stand einfach da, lugte über die Mauer und sah seinen Vater sterben!
Er begriff in diesem Moment nicht, daß es ein Rest von Vernunft war, der ihn davon abhielt, sich ins Verderben zu stürzen. Ein Instinkt bewahrte ihn vor dem sicheren Tod. Dieser Instinkt war es auch, der sich nach und nach durchsetzte und ihn die Lage überblicken ließ.
Er hätte den Tod seines Vaters unter keinen Umständen verhindern können. Dazu war die Übermacht zu groß. Ihm blieb nur, Rache zu üben. Um das tun zu können, durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das Geschäft galt nichts mehr. Sein künftiges Leben würde auf die Rache ausgerichtet sein.
Er würde nur noch dafür leben, Don Vito Borsini zu vernichten.
Das schwor er sich in diesem Augenblick, während er beobachtete, was sie taten.
Aus einer Remise holten sie einen zweiachsigen Frachtwagen. Andere führten gleichzeitig ein Pferd aus dem Stall ins Freie, dirigierten es in die Gabel und schirrten es an. Dann packten alle mit an, um den langen Steintrog auszuleeren, der als Tränke gedient hatte.
Einer öffnete die Heckklappe des Wagens, und dann wuchteten sie den schweren Trog auf die Ladefläche.
Sie zogen Ketten unter dem Trog hindurch.
Guilielmo Modugno begriff, noch bevor sie seinen toten Vater auf den Wagen hoben. Der Steintrog sollte sein Sarg werden. Sie senkten ihn hinein und spannten die Ketten über seinen leblosen Körper, indem sie Kettenglieder ineinanderschoben und mit Stahlsplinten sicherten.
Ohnmächtiger Zorn schnürte Guilielmos Kehle zu. Er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Welche Art von Grab hatten sie für seinen armen Vater vorgesehen?
Es gehörte keine große Phantasie dazu, sich das auszumalen.
Die Kerle legten eine Persenning über den Trog mit dem Toten. Zwei Mann stiegen auf den Kutschbock, und der Rest folgte dem Wagen zu Fuß. Sie hatten sich im Hof der Faktorei mit der größten Selbstverständlichkeit bedient.
Mit ebensolcher Selbstverständlichkeit fuhren sie durch die abendlichen Straßen. Kein Stadtgardist wäre eingeschritten, wenn er das Geschehen auf dem Grundstück der Faktorei beobachtet hätte. Und kein Stadtgardist hätte gewagt, Borsinis Schergen mit ihrer Todesfracht unterwegs anzuhalten.
Der spanische Handelsmann, dem die Faktorei gehörte, steckte nicht etwa mit Don Vito unter einer Decke. Nein, der Spanier wurde genauso unterdrückt wie Oreste Modugno und die vielen anderen.
Die wenigen Menschen, die dem Frachtwagen auf seinem Weg zum Hafen begegneten, wichen rechtzeitig aus, denn sie erkannten von weitem, um welche Sorte Kerle es sich handelte. Niemand riskierte, sich unnötig der Willkür dieser Halunken auszusetzen.
Guilielmo hielt sicheren Abstand, und er verstand es, rechtzeitig in Torwege und Hauseingänge zu schlüpfen. Bisweilen drehten sich die Kerle am Schluß der Kolonne um, obwohl sie doch nichts und niemanden in der Stadt zu fürchten hatten.
Guilielmo wunderte sich ein wenig über dieses Verhalten, denn normalerweise führten sie sich selbstherrlich auf – voller Verachtung allen Schwächeren gegenüber.
Auf ihrem jetzigen Weg zum Hafen aber schienen sie zu befürchten, verfolgt zu werden.
Von wem?
Guilielmo Modugno dachte nicht weiter darüber nach, als sie durch ein Gewirr von Gassen eins der abseits gelegenen Hafenbecken erreichten. Eine menschenleere Gegend. Nur Lagerhäuser säumten die Kais. Bei den vertäut liegenden Wasserfahrzeugen handelte es sich ausnahmslos um Lastkähne, die für Zubringerdienste verwendet wurden. Bewacht wurden diese Kähne nicht, da sie praktisch nur aus einem einzigen großen Laderaum bestanden und nichts Wertvolles an Bord hatten.
Es gab keine Laternen an den Kais. Doch Guilielmos Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, begünstigt durch das blasse Licht von Mond und Sternen.
Der Frachtwagen hielt unmittelbar am Kai. Guilielmo prägte sich das Äußere des Mannes ein, der die Befehle gab. Er hatte auf dem Kutschbock gesessen. Ein hagerer Kerl, dessen linkes Auge geschlossen war. Wahrscheinlich fehlte ihm das Auge ganz. Auf dem Kopf trug er eine runde, schirmlose Ledermütze.
Sie ließen den Steintrog mittels Seilen in einen Lastkahn hinunter. Über eine in die Kaimauer eingelassene Steintreppe enterten sechs Kerle, bis auf den Anführer, anschließend ab. Guilielmo sah sie wenig später weit draußen im Hafenbecken. Zwei Boote. In dem einen hockten die Kerle und pullten. Auf die Duchten des anderen hatten sie den Trog geschoben.
Draußen brachten sie das zweite Boot kurzerhand zum Kentern, und der steinerne Sarg versank im düsteren Wasser.
Tränen traten in Guilielmos Augen. Er ballte die Hände zu Fäusten, und er brauchte lange Zeit, um das Zittern zu bezwingen, das ihn überfiel.
Eins stand schon jetzt fest: Niemals würde er seinen Vater dort draußen in diesem unwürdigen Grab belassen. Er sollte seine letzte Ruhe dort finden, wo er es sich immer gewünscht hatte – in dem kleinen Familiengrab auf dem Friedhof oberhalb der Stadt, dort, wo seine Frau ruhte und man einen herrlichen Blick über Messina und den Hafen hatte.
Guilielmo würde dieses Grab besuchen, so oft er nur konnte, und er würde stellvertretend für seine Eltern auf den Hafen blicken, von dem sie gelebt und den sie geliebt hatten.
Er wartete, bis die Mörder seines Vaters mit dem Wagen verschwunden waren. Dann erst begab er sich langsam auf den Heimweg. In der Nähe seines Elternhauses betrat er eine Osteria und ließ sich einen Krug Wein, ein Stück Käse und einen Kanten frischgebackenen Brotes bringen.
Hier hatte er nach harten Arbeitstagen oftmals gemeinsam mit seinem Vater gesessen. Guilielmo beantwortete keine Frage, und er reagierte auf keinen Versuch der Männer, die ein Gespräch mit ihm anfangen wollten. Sie gaben es bald auf, denn sie bemerkten seinen starren Blick und die Tränen in seinen Augen.
In der Stadt die von Don Vito Borsini und seinesgleichen beherrscht wurde, waren Antworten auf gewisse Fragen beinahe überflüssig.