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2.

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Hasard blickte durch den handbreiten Zwischenraum zwischen zwei Zaunplanken. Ein Weg von etwa einem Yard Breite trennte ihn von dem angrenzenden Geviert. Zwischen allen eingezäunten Bereichen gab es diese Kontrollwege, keiner grenzte direkt an den anderen.

Hasard brauchte nicht herumzurätseln, um den Grund herauszufinden. Auf diese Weise hatte man mögliche Revolten der Geknechteten schnell im Griff. Ein paar Tromblons, durch die Planken geschoben, genügten schon. Mit weit gestreutem, gehacktem Blei machten diese Waffen im Handumdrehen eine ganze Gruppe von Gefangenen kampfunfähig.

Capitán Carraldo hatte seine Erfahrung im Umgang mit Wehrlosen.

Der Seewolf bemerkte ein mattes Augenpaar im Halbdunkel auf der anderen Seite des Weges. Die Augen, zwischen zwei Planken, betrachteten das, was die Zaunbretter von ihm sehen ließen.

„Sprichst du Spanisch?“ fragte Hasard halblaut.

„Si, Señor. Aber – ich verstehe nicht. Die Aufseher sagten, es wäre eine Gruppe von Engländern eingeliefert worden. Sie aber sprechen die Sprache unserer Unterdrücker, als ob …“

„Als ob ich einer von ihnen wäre?“

„Si, Señor.“

„Nun, es ist in der Alten Welt nichts Besonderes, die Sprachen anderer Völker zu lernen. Und Spanisch ist so einfach, daß man keine großen Schwierigkeiten damit hat.“ Er sagte es, um dem bronzehäutigen Mann einen Gefallen zu tun.

Ein Lächeln entstand in dem staubverschmierten, müden Gesicht auf der anderen Seite des Kontrollweges.

„Señor, ich muß Ihnen recht geben. Auch mir fiel es leicht, die Sprache dieser Bastarde zu lernen.“

„Sie sind ein gebildeter Mann“, sagte der Seewolf stirnrunzelnd. „Wie sind Sie ausgerechnet hierher geraten?“

„Die gleichen Worte könnte ich an Sie richten, Señor. Aber ich muß Sie um Verzeihung bitten, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Oztoma. Ich bin der Häuptling in dem Dorf gewesen, aus dem die Männer hier stammen. Das Dorf existiert nicht mehr. Man hat uns alles genommen. Unsere Familien, unsere Häuser und unser Land.“

„Was ist mit den Familien geschehen?“ fragte Hasard, und seine Stimme klang belegt.

„Ist das so schwer zu erraten?“ entgegnete Oztoma voller Bitterkeit. „Die Alten und die Kinder wurden erschlagen, erstochen oder erschossen. Unsere Frauen wurden geschändet und anschließend verschleppt. Wir werden wohl niemals erfahren, was mit ihnen geschehen ist.“

Der Seewolf konnte nicht sofort antworten. Eine selten erlebte Art von ohnmächtiger Wut versiegelte ihm die Stimmbänder.

„Vielleicht ist es besser so“, sagte er schließlich, und er meinte jedes Wort so, wie er es sagte.

Denn niemals würde er dem Mann verraten, was er über Indianerinnen in Spanien wußte. In hochherrschaftlichen Häusern wurden sie wie exotische Wundertiere gehalten, von den Señores zu allen nur erdenklichen Vergnügungen mißbraucht und anschließend, wenn sie ihrer überdrüssig waren, an jene Menschenhändler verkauft, die die Spelunken in den Hafenstädten belieferten.

„Sie haben recht“, erwiderte Oztoma leise und mit schwerfällig klingender Stimme. „Etwas nicht zu wissen, ermöglicht gute Erinnerungen. Es hat ohnehin keinen Sinn, in der Vergangenheit zu leben, selbst dann nicht, wenn man keine Zukunft mehr hat – wie wir.“

„Ist der Glaube an die Zukunft nicht auch eine Willensfrage?“ Hasard hätte sich gewünscht, mit diesem Mann ein Gespräch unter angenehmeren Bedingungen zu führen. Allein hier unter diesen entwürdigenden Umständen, vermittelte der Wortwechsel mit Oztoma das Gefühl, daß man voneinander lernen konnte – Erkenntnisse, die man auf keiner Schulbank lernte.

Aus Oztoma sprach die Weisheit eines Volkes von hoher Kultur. Es hieß, daß die Azteken den Spaniern weit voraus gewesen seien. Nur eben den rechten Glauben, den christlichen, hatten sie nicht. Hernán Cortés, der große Eroberer, habe deshalb die Dinge rasch ins Lot gebracht, indem er die Azteken mit List und Tücke besiegte und unterjochte.

Der Häuptling lachte leise. Hinter ihm und überall in den Gattergehegen waren die bronzehäutigen Männer zu Boden gesunken und auf der Stelle eingeschlafen.

„Früher hätte ich Ihnen recht gegeben, Señor. Aber seit wir in diese Hölle geraten sind, weiß ich, daß die Willenskraft eines Menschen restlos zerstört werden kann. Ich habe mit ansehen müssen, wie Männer den Tod herbeiflehten – Männer, die noch vor wenigen Monden voller Tapferkeit und Stolz waren. Die Spanier wollen uns vernichten. Sie werden erst dann zufrieden sein, wenn unsere Völker aus ihrem geliebten Land vertrieben sind. Ich habe gelernt, warum die Spanier das tun. Sie stehen unter der Macht eines grausamen Gottes. Es ist ein anmaßender Gott, der nichts anderes neben sich duldet. Die Spanier haben uns seine Botschaft überbracht: Entweder man glaubt an ihn und nur an ihn, oder man hat sein Leben verwirkt.“

Hasard schluckte trocken hinunter. Dies war die Wirklichkeit, wie sie sich aus der Sicht der Ureinwohner dieses Landes darstellte. Ob sich jemals ein Spanier die Mühe bereitet hatte, sich in die Gedankenwelt derer zu versetzen, die er für unwürdige Heiden hielt?

„Euer Denken ist von Bitterkeit bestimmt“, sagte der Seewolf. „Die Wahrheit findet man auf diese Weise nicht. Auch Ihre Vorfahren haben Fehler begangen, Oztoma. Sie sind den Eroberern wie einfältige Kinder begegnet.“

„Ich weiß“, erwiderte der Häuptling. „Und wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit noch immer nicht gelernt. Wird Ihr Volk uns die Erlösung bringen, wenn es nicht schon zu spät ist?“

„Darauf weiß ich keine Antwort“, sagte Hasard dumpf. „Meine Freunde und ich haben uns auch von unserem Land abgewandt. Unsere Landsleute haben ebenso viele Fehler wie die Spanier. Jemand, der in der Alten Welt in Freiheit leben will, findet keinen Frieden.“

„Erzählen Sie mir mehr darüber“, bat der bronzehäutige Mann, der seine Müdigkeit überwunden hatte, um mit dem hochgewachsenen Engländer reden zu können.

Hasard sagte ihm, wer er war. Er berichtete über den Bund der Korsaren, ohne Einzelheiten zu nennen. Und er erklärte, daß der Bund sich zum Ziel gesetzt habe, den Spaniern zu schaden, wo es nur möglich war. Hasard spürte, daß er Oztoma vertrauen konnte. Selbst wenn die Spanier ihn folterten, würde nicht ein Wort über seine Lippen kommen.

Immerhin schien Carraldo nicht die leiseste Ahnung zu haben, wen er da gefangen hatte. Vielleicht lag es daran, daß er kein Seeoffizier war. Möglich, daß er deshalb noch nichts von dem Seewolf und seiner angeblichen Piratenbande gehört hatte.

„Wir sind auf dem Weg nach China“, fügte Hasard hinzu. „Dort gibt es Feuerwaffen, mit denen wir uns gegen die Spanier durchsetzen können.“

„Das Land jenseits des großen Wassers“, sagte Oztoma versonnen. „Ich habe davon gehört. Es soll ein großes Land sein, mit gelbhäutigen Menschen, die geschlitzte Augen haben.“

„Das ist wahr“, erwiderte der Seewolf. „Aber erzählen Sie mir, wie es hier zugeht. Ich möchte wissen, womit wir zu rechnen haben.“

„Mit dem schlimmsten, Señor Killigrew. Anfangs hat bestimmt jeder hier noch geglaubt, daß er irgendwann fliehen könnte. Aber die Hoffnung verfliegt schnell. Man nimmt uns die Kraft des Körpers und die Kraft der Seele. Das reicht, um uns bis zu unserem Ende niederzuhalten. Wir arbeiten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Wer durch Krankheit oder Entkräftung umfällt, bleibt einfach liegen. Niemand kümmert sich um ihn, und niemand von uns darf ihm helfen. Fast täglich verringert sich unsere Zahl, wenn wir abends ins Lager zurückkehren. Manche Männer wachen aber auch aus dem Schlaf nicht wieder auf. Das Sterben ist für uns mehr gegenwärtig als das Leben. Denn unser Leben ist kein Leben mehr.“

„Versucht denn niemand, zu fliehen?“

„O doch, obwohl es aussichtslos ist. Sie haben die Wachen gesehen, Señor Killigrew. Wie sollen erschöpfte Männer, noch dazu in Ketten, aus einem solchen Lager ausbrechen? Trotzdem geschieht es immer wieder. Wahrscheinlich werden die Männer von der Verzweiflung dazu getrieben. Ebensogut könnten sie sich vorher selbst umbringen.“

Hasard wollte erwidern, daß mit derart düsteren Gedanken noch niemand etwas erreicht hätte. Aber es war, als hätten die Worte des Häuptlings genau das heraufbeschworen, wovon eben die Rede gewesen war.

Gebrüll ertönte plötzlich auf den Sicherungswällen. Im Fackelschein waren hastende Posten mit ihren blinkenden Brustpanzern und Helmen zu sehen. Alles konzentrierte sich auf einen Punkt im südwestlichen Bereich des Lagers.

Kein Schuß fiel.

Kurz entschlossen stieg Hasard auf das Gatter, um einen besseren Überblick zu haben.

„Tun Sie das nicht!“ rief Oztoma erschrocken. „Man wird denken, Sie wollen auch fliehen!“

„Die Gelegenheit wäre in der Tat günstig“, entgegnete der Seewolf grinsend. „Aber dazu kenne ich die Örtlichkeiten noch nicht genau genug.“

Oztoma sah ihn nur noch mit geweiteten Augen an. Es schien, als erkannte der Indianer in diesem Moment, aus welchem harten Holz dieser Mann aus dem fernen England geschnitzt war.

Im Südwestwinkel des Lagers, wo die Wälle rechtwinklig aufeinander zuführten, erschienen drei Gestalten im Fackellicht. Wie sie die Steigung erklommen, mit den Ketten an ihren Gelenken, wirkten sie bestürzend langsam. Eine vierte Gestalt tauchte auf, ausgemergelt und verdreckt wie die anderen.

Der Seewolf hielt den Atem an.

Es war ein widerwärtiges Schauspiel.

Die Posten standen oben auf dem Wall bereit, sechs Mann an der Zahl bereits. Von rechts eilte die nächste Doppelstreife herbei. Alle hatten ihre Pistolen gezogen, doch sie hielten sie am Lauf, um die schweren, eisenbeschlagenen Griffstücke zum Zuschlagen zu verwenden.

Grinsend nahmen sie die Indianer in Empfang. Der Fluchtversuch wirkte auf schmerzliche Weise absurd.

Nur kurz und abgehackt waren die Schreie der Gefangenen, als sie niedergeschlagen wurden.

Hasard ließ sich vom Gatter auf den Erdboden hinunter. Seine Ketten klirrten. Überall im Lager war es wieder still.

„Warum hat man die Männer nicht getötet, Oztoma?“ fragte er.

Der Häuptling stieß erbittert die Luft durch die Nase.

„So gnädig ist der Capitán nicht. Sie werden ihn kennenlernen. Noch in dieser Nacht. Er wird uns allen zeigen, was für ein Mensch er ist.“

Der Seewolf wandte sich ab. Die Schwellung über seinem rechten Ohr, wo ihn beim Angriff der Spanier ein Abpraller getroffen hatte, war zum Stillstand gelangt. Er erkundigte sich, wie es mit seinen Gefährten aussah.

Will Thorne schlief fest. Sein Fieber hatte sich noch nicht gesenkt. Nach Ansicht des Kutschers würde der morgige Tag für Will entscheidend sein. Er hatte die Konstitution, um die Krankheit zu besiegen. Wenn er aber gezwungen wurde, zu arbeiten wie die gesunden Männer, dann hatte er vermutlich keine Chance.

Al Conroy und Bob Grey winkten ab, als Hasard nach ihren Wunden fragte. Die Kratzer, so behaupteten sie, waren schon so gut wie verheilt. Der Seewolf lächelte. Es klang, als ob sie es für eine Beleidigung hielten, wenn man sie überhaupt als Verwundete bezeichnete.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 520

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