Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 295 - Burt Frederick - Страница 5
2.
ОглавлениеYves Grammont schnappte sich das Tromblon, das der Mann neben ihm in fliegender Hast geladen hatte. Mit einem federnden Satz schnellte der Anführer der Piraten hinter der Deckung hervor. Hakenschlagend hetzte er auf den Trümmerhaufen zu, der von dem Brunnen übriggeblieben war.
Schüsse peitschten hinter den umgestürzten Wagen, die Grammonts Kumpanen als Barrikaden dienten. Der Feuerschutz erwies sich als wirksam. Nur kläglich erwiderten die Stadtgardisten und Soldaten das Feuer von den Burgmauern herab.
Unbehelligt erreichte Yves Grammont die Brunnenreste. Bevor er sich in Deckung warf, verharrte er einen Atemzug lang, brachte das Tromblon in Anschlag und zog durch. Die Steinschloßwaffe zischte und entlud sich im nächsten Moment mit einem Brüllen. Gehacktes Blei sirrte weitgestreut über den Burghof.
Der kleine Haufen von Soldaten, der sich beim Eingang zum Wachturm drängte, war nicht schnell genug in Sicherheit. Einen oder zwei von ihnen erwischte es. Yves Grammont konnte es nicht genau feststellen, aber er registrierte die Schreie grinsend und mit Genugtuung. Hinter einem der Mauerbrocken fand er Deckung, während seine Kumpane weiterhin die Burgzinnen beharkten.
Atemzüge später verzerrte sich Grammonts bärtiges Gesicht voller Wut. Für seine beiden Männer, die halb von Gesteinstrümmern zugedeckt waren, gab es keine Hilfe mehr. Es war indes keine Trauer, die Yves Grammont empfand. Es war der ohnmächtige Zorn über die zusammenschmelzende Kampfkraft seines Haufens. Aber so schnell gab er sich nicht geschlagen, o nein, so schnell nicht!
Mit einem Handzeichen verklarte er seinen Kumpanen, daß er zu ihnen zurückzukehren gedachte. Augenblicklich verstärkte sich deren Feuer. Grammont sprang auf und hastete von dem Brunnen weg. Auch diesmal schaffte es keiner der Uniformierten oben auf den Burgmauern, ihn mit einem gezielten Schuß zu erwischen. Grammont wußte, daß er sich auf seine eigene Schnelligkeit verlassen konnte. Für so ein bewegtes Ziel brauchte es schon einen Meisterschützen, um ins Schwarze zu treffen.
Mit einem letzten Satz warf sich Grammont hinter den umgestürzten Wagen. Er keuchte. Seine Wunden behinderten ihn immer noch, doch das änderte nichts an seiner eisernen Entschlossenheit, es mit der Übermacht aufzunehmen.
Grammont warf seinem Nebenmann, der für ihn die Waffen zu laden hatte, das Tromblon zu. Durch die Wagenradspeichen spähte der Piratenführer auf den Burghof. Er rückte seine Augenbinde zurecht. Zusammen mit dem dunklen Vollbart verlieh sie ihm ein wildverwegenes Aussehen.
Sein Nachbar, der eine fertiggeladene doppelläufige Pistole für ihn bereithielt, musterte ihn mit einem Seitenblick, in dem Bewunderung zu erkennen war. Ja, dieser Yves Grammont war ein Klotz von einem Kerl. Mit seiner athletischen Statur lehrte er jeden Gegner das Fürchten. Das offene weiße Hemd ließ seine dicht behaarte Brust erkennen, und das Kopftuch bestärkte jenes Bild, das man gemeinhin von einem furchterregenden Piraten hatte.
Nur noch vereinzelt blafften jetzt Schüsse von den Burgmauern herab. Grammont zog fluchend den Kopf ein, als eine der großkalibrigen Musketenkugeln haarscharf vor seiner Nase Splitter aus den Seitenplanken des Wagens riß. Er knirschte wütend mit den Zähnen. Oh, diese Himmelhunde hatten ein leichtes Spiel, solange sie keinen offenen Angriff riskierten. Oben auf ihrer Mauer waren sie sicher wie auf dem Schießstand und brauchten nur genau genug zu zielen, sobald sie eine Nasenspitze hinter den Wagen-Barrikaden zu sehen kriegten.
Einer der anderen, die hinter dem zweiten Wagen kauerten, huschte zu Yves Grammont herüber, ein blonder, wieselflinker Mann mit schulterlangem Haar. Die Uniformierten reagierten nicht schnell genug auf seinen Ausbruch. Bleikugeln schlugen sich auf der freien Fläche zwischen den beiden Wagen platt, als der Blonde längst mit einem federnden Satz neben Grammont in Deckung tauchte.
„Was gibt es, Maurice?“ knurrte der Anführer der Piraten.
„Wir haben den Durchgang aufgebrochen, Yves. Nur ein paar Schritte von unserer Deckung entfernt. Diese Land-Kakerlaken haben’s nicht mal mitgekriegt.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zu den Burgzinnen hinauf.
„Und?“ Grammont starrte den Blonden mit funkelnden Augen an. „Denkst du, ich blase zum Rückzug? Glaubst du, ich verkrieche mich wie eine lausige Bilgenratte?“
„Das nicht. Aber es könnte ja sein, daß …“
„Dummes Zeug!“ schnaubte Grammont. „Sieh sie dir doch an, diese armseligen Figuren. Sie haben mehr als fünfzig Mann und schaffen es trotzdem nicht, gegen uns anzustinken. Was für ein erbärmlicher Haufen ist das doch! Ich würde mir selbst in den Hintern treten, wenn ich das Pech hätte, solche Schwachköpfe zu befehligen.“
Maurice, der neben seinem Entermesser zwei schwere Pistolen im Gurt trug, grinste breit.
„Mir würde es nicht anders ergehen. Aber man muß die Dinge auch sehen, wie sie sind. Wenn wir den Seitenbau erreichen, können wir die Kerle besser unter Kontrolle halten. Hier im Hof können wir ihnen zwar zeigen, daß wir zehnmal besser sind als sie. Aber wenn sie’s richtig anstellen, schießen die uns derart zusammen, daß uns Hören und Sehen …“
Was er sonst noch sagen wollte, wurde dem blonden Piraten buchstäblich von den Lippen gerissen.
Ein mörderisches Stakkato von Schüssen setzte so plötzlich ein, so daß selbst Yves Grammont stark zusammenzuckte. Von allen Seiten stachen jetzt die grellroten Mündungsblitze der Musketen herab, und ein konzentrierter Kugelhagel prasselte auf die Deckung der Piraten. Grammont und seinen Kumpanen blieb im Augenblick nichts anderes, als zusammengekrümmt zu verharren.
Der Piratenführer schlug mit der Faust gegen die Wagenbretter. Sein Gebrüll konnten nur die Männer in unmittelbarer Nähe verstehen. Im Krachen der Schüsse ging jeder andere Laut unter.
„Ihr gottverdammten, lausigen Uniformärsche! Ich werde euch den Hintern aufreißen, verlaßt euch drauf! Eure lächerliche Festung legen wir in Schutt und Asche! Und das ganze stinkende Kaff dazu, wenn es sein muß!“
„Rückzug!“ schrie Maurice, der Blonde, seinem Anführer ins Ohr. „Noch haben wir eine Chance!“
Yves Grammont gab ihm mit einem unwilligen Handzeichen zu verstehen, daß er einverstanden war.
Unvermittelt ließ der Feuerzauber nach. Die Phase des Nachladens hatte begonnen. Auch die Soldaten und die Stadtgardisten kochten nur mit Wasser.
Jäh schnellte Grammont hoch und stieß die doppelläufige Pistole über das zersplitterte Wagenholz hinweg. Zweimal kurz hintereinander brüllte die schwere Waffe, und von den nahen Burgzinnen gellte ein Schrei. Eine dunkle Silhouette schraubte sich vor dem düsteren Nachthimmel hoch und kippte langsam vornüber. Der Schrei endete mit einem klatschenden Aufschlag.
Grammonts Horde stimmte ein Triumphgeheul an. Doch es war nur von kurzer Dauer. Keiner von ihnen vermochte später zu sagen, wie es sich genau abgespielt hatte. Möglich, daß sie in der Freude über den glänzenden Schuß ihres Anführers etwas zu unvorsichtig geworden waren. Möglich aber auch, daß sie in der Wuhling ihres beginnenden Rückzugs nicht sorgfältig genug auf Dekkung achteten.
Schlagartig setzte das massierte Musketenfeuer der Uniformierten wieder ein. Sie waren mit dem Nachladen schneller fertiggeworden als Yves Grammont vermutet hatte.
Der Schreck packte ihn, als sein Nebenmann, der für ihn geladen hatte, plötzlich ohne einen Laut zusammensank. Grammont stieß die leergeschossene Doppelläufige unter seinen Gurt und riß dem Sterbenden das Tromblon aus den Händen, das wieder schußbereit war. Der Mann hatte kein Gesicht mehr, die Musketenkugel hatte Furchtbares angerichtet.
Grammont bezwang seine ohnmächtige Wut. Gemeinsam mit Maurice deckte er den Rückzug der anderen. Das Tromblon taugte nicht viel für die größere Distanz. Immer noch prasselten die Musketenkugeln gegen die umgestürzten Wagen.
Grammont schnappte sich die Pistole des Toten, dann auch dessen Pulverflasche und den Kugelbeutel und lud in fliegender Hast die Doppelläufige und die Einschüssige nach. Er gab seinem blonden Kumpan ein Handzeichen.
Maurice nickte.
Federnd schnellte Grammont hoch und lief geduckt zu dem zweiten Wagen hinüber. Maurice feuerte nacheinander zwei Schüsse ab. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß die Kugeln seinem Anführer wie ein wütender Hornissenschwarm folgten. Mit häßlichen Lauten schlug sich das großkalibrige Blei auf dem Kopfsteinpflaster platt.
Grammont erreichte die Deckung unbeschadet, doch im selben Moment gellte ein markerschütternder Schrei. Einen Atemzug lang glaubte er, es hätte Maurice erwischt. Doch dieser war bereits damit beschäftigt, seine Waffen nachzuladen.
Yves Grammont wandte sich um. Einer seiner Männer, die den Durchgang zum Seitenbau schon erreicht hatten, kippte mit hochgerissenen Armen hintenüber. Sein Schrei versiegte, als er hart auf das Steinpflaster schlug.
Grammont brüllte eine Verwünschung zu den Burgmauern hinauf, doch im Höllenlärm der Schüsse ging seine Stimme unter. Nur noch sechs Männer hatte er jetzt. Aber verdammt, deshalb gab er sich nicht geschlagen. Noch lange nicht.
Zähneknirschend brachte er die Doppelläufige in Anschlag, um auch Maurice den Rückzug zu ermöglichen. Der Blonde schaffte es fast mühelos. Nachdem sie nachgeladen hatten, wichen Grammont und sein Kumpan feuernd zurück.
Sie erreichten den schützenden Mauervorsprung in der Nähe des Durchgangs zum Seitenbau. Nur noch drei, vier Schritte brauchten sie jetzt, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Rückzug, den Yves Grammont eben noch weit von sich gewiesen hatte, erwies sich jetzt als einzig rettender Ausweg.
Ein Stöhnen war unvermittelt zu hören, ganz nahe. Grammont stieß mit dem Fuß gegen etwas Weiches. Zu sehen war nichts. Der Schein der wenigen Fakkeln reichte nicht bis hierher.
„Was, zum Teufel, ist das?“ fauchte Grammont.
„Der Gefangene“, antwortete Maurice, der sich neben ihn gedrängt hatte. „Lassen wir ihn zurück! Wir brauchen ihn nicht mehr.“
Grammont war kurz davor, erneut aufzubrausen. Aber er bezwang sich. Die anderen hatten ebenso eigenmächtig entschieden, als sie kurzerhand darauf verzichtet hatten, den Kerl mitzunehmen.
„Doch!“ zischte Grammont. „Schnapp ihn dir, Maurice, los, los!“
Der Blonde gehorchte schweigend. Sie nutzten eine kurze Feuerpause, die die Soldaten und Stadtgardisten einlegten, da sie kein erkennbares Ziel mehr vor Augen hatten. Maurice schleifte den Gefesselten mit sich. Unbehelligt erreichten Grammont und er den Durchgang, in dessen Beginn zwei ihrer Kumpane ausharrten, bereit, ihnen Feuerschutz zu geben.
„Weg hier!“ befahl der Anführer der Piraten. Maurice und er hasteten weiter, während die beiden anderen die schwere Bohlentür zuzogen. Der Innenriegel funktionierte noch, lediglich das äußere Schloß hatten sie aufgebrochen.
Den Seitenbau erreichten sie durch einen Gewölbekeller und über mehrere Steintreppen. Es handelte sich um eins der ehemaligen Gesindehäuser, im nordwestlichen Teil der Festung gelegen. Während sich seine Männer verschanzten, überzeugte sich Yves Grammont von den Vorzügen dieses Gebäudeteils.
Maurice hatte recht gehabt. Hier standen ihre Chancen wesentlich besser. Die Nordseite des Traktes grenzte unmittelbar an freies Gelände, das zur Atlantikküste hin abfiel. Östlich lag Concarneau, und nach Süden und Westen schloß sich die Festungsanlage an.
Es störte keinen der Piraten, daß die Sturmböen durch die leeren Fensterhöhlen pfiffen. Auf Gemütlichkeit waren sie nicht bedacht. Sie wußten ohnehin, daß ihnen nur noch wenige Minuten Ruhe blieben, bis ihnen die Leute des Stadtkommandanten und des Hafenkapitäns erneut auf den Pelz rückten.
Während seine Kumpane die Waffen klarierten, zog sich Grammont mit dem Gefangenen in einen windgeschützten Winkel des leeren Raumes zurück. Der Kerl war zerlumpt gekleidet. Grammont hatte ihn als einzigen aus der Meute der bretonischen Küstenhaie überleben lassen. Denen Anführer, Le Marocain, hatte Grammont eigenhändig ins Jenseits befördert. Er packte den Zerlumpten am Kragen und stieß ihn angewidert gegen die Mauer.
„Rede! Was ist hier passiert? Sag es mir schnell, wenn du ein bißchen an deinem Leben hängst.“
Der Mann zitterte. Nur stockend brachte er die ersten Worte heraus. Dann, mehr und mehr, beflügelte ihn die Hoffnung, daß der Bärtige ihn vielleicht doch am Leben ließ, wenn er nur bereitwillig genug berichtete.
Yves Grammont hörte ruhig zu. Der Wortschwall des Marodeurs ließ sich in einem höchst niederschmetternden Umstand zusammenfassen: Nur um Haaresbreite war ihm, Grammont, der Seewolf entwischt. Dieser britische Hurensohn war zwar vom Regen in die Traufe geraten, aber das änderte nichts daran, daß die Dinge für ihn ungleich besser standen.
Die Soldaten hängten ihn nicht an die nächstbeste Rahnock. Nein, die brachten ihn zu ihrem Stützpunkt, wo dann die höheren Chargen zu entscheiden hatten, was mit dem verdammten Engländer und seiner Mannschaft zu geschehen hatte. Und bis dahin war es ein weiter Weg.
Vieles konnte auf diesem Weg geschehen.
Grammont fragte sich, wo sein Freund Saint-Jacques mit der „Louise II“ blieb. Aber wenn er sich die Dinge richtig zusammenreimte, dann gab es eigentlich nur eine Möglichkeit: Saint-Jacques mußte die Verfolgung des Seewolfs aufgenommen haben.
Easton Terry würgte seine Übelkeit herunter. Hölle und Teufel, er mußte seinen ganzen Widerstandswillen aufbieten, damit er ihm nicht hochkam. Das lag nicht etwa daran, daß ihm das Herz oder wer weiß noch was in die Hose gerutscht war. Für einen, dem keine Seebeine gewachsen waren, gab es dazu allerdings Anlaß genug.
Das Brüllen des Sturm hörte sich in der engen Vorpiek schlimmer an als es in Wirklichkeit sein mochte. Brecher krachten immer wieder auf das Vordeck, und eine ängstliche Natur mochte dabei das Gefühl haben, jeden Moment lebendig begraben zu werden. Und dann, gefesselt und hilflos eingeklemmt zwischen geborstenen Planken, hinabzurauschen in das nasse Grab.
Nein, Easton Terry, der breitschultrige, muskelbepackte Korsar, war kein Mann, der sich von Stimmungen dieser Art deprimieren ließ. Seine Lage war miserabel und so gut wie hoffnungslos, na gut. Und es hätte ihm gewiß besser gefallen, jetzt mit beiden Füßen auf den Decksplanken zu stehen und den Böen und Brechern zu trotzen. Aber das alles – die Fesseln und die Enge der stockfinsteren Vorpiek – war noch lange kein Grund, sich in ein winselndes Häufchen Elend voller Selbstmitleid zu verwandeln.
Nein, es war der Gestank, der Terrys Übelkeit hervorrief.
Seit der Sturm begonnen hatte, spuckte sich einer der beiden Franzosen die Seele aus dem Hals. Oder waren es alle beide?
Terry vermochte nicht mehr genau zu unterscheiden, ob das fortwährende Stöhnen, Keuchen und Husten nur von einem seiner Mitgefangenen oder von beiden herrührte. In einer Ecke der Vorpiek, nach Backbord hin, hatte er Halt zwischen den Zurrings eines Fasses gefunden.
Die Franzosen waren da wesentlich ungeschickter. Jedesmal, wenn das Schiff hart nach Backbord krängte, kriegte er etwas ab – einen Stiefel, der sich in seine Magengrube drückte, einen Ellenbogen, der sich in seinen Brustkasten bohrte, oder ein Knie, das sich wesentlich unangenehmere Körperteile aussuchte.
Jedesmal überschüttete Easton Terry die beiden Kerle mit Flüchen und Beschimpfungen. Aber es half alles nichts. Wer auch immer es war, er setzte seine Speierei ununterbrochen fort, und auch sonst gab es von den beiden keine Reaktion.
„Seid ihr total blöd, Frenchies?“ schrie Terry, als es für einen Moment ruhiger wurde. Der Sturm schien eine Atempause einzulegen. „Statt hier die Bude vollzukotzen und wie Hampelmänner durch die Gegend zu purzeln, solltet ihr lieber euren Grips anstrengen!“
Er horchte in die Finsternis. Keine Antwort. Nur dieses Würgen. Immer noch. Der Teufel mochte wissen, was der Kerl alles aus seinem Magen herausholte. Vielleicht versuchte er, ihn von innen nach außen zu stülpen.
„Wenn ihr meine Sprache nicht versteht, dann müßt ihr es sagen!“ Terry hatte die beiden Soldaten kaum richtig zu sehen gekriegt. Nur zu dem Zeitpunkt, als der Bastard Killigrew sie zusammen mit ihm in die Vorpiek geworfen hatte. Und dann noch ein paarmal, wenn der Fraß aus der Kombüse gebracht worden war.
Meist hatten das die Söhne des Seewolfs besorgt, diese beiden kleinen Strolche, die Philip Hasard Killigrew wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Eine Chance, sie zu überrumpeln, hatte es trotzdem nicht gegeben. Immer hatte einer von den anderen draußen vor dem offenen Schott gestanden. Meist Carberry, dieses Urvieh von einem Profos, mit dessen Fäusten Terry nicht unbedingt näher bekannt werden wollte.
Einmal hatte der Wikinger, dieser behelmte Affe, die Zwillinge beaufsichtigt. Nein, für die Crew des Seewolfs und alle anderen, die mit ihm verbündet waren, hatte Easton Terry kein einziges gutes Wort mehr.
Auch die Erinnerung an den gemeinsamen Auftrag, mit dem Philip Hasard Killigrew und er den Hafen von Plymouth verlassen hatten, war verblaßt. Killigrew hatte sich als ein Kerl erwiesen, der zuviel von seinem verdammten Ehrgefühl hielt. Terry wünschte sich, dem verhaßten Gegner noch einmal gegenüberzustehen. Nur ein einziges Mal noch. Eine zweite Niederlage würde es nicht geben. Verdammt noch mal, nein, ein zweites Mal sollte ihn der Bastard Killigrew nicht kleinkriegen.
Terry ertappte sich dabei, daß seine haßerfüllten Gedanken abgewandert waren.
Die Frenchmen spuckten alles mögliche aus, nur keine Antwort.
Terry kramte seine Sprachkenntnisse zusammen.
„Vous comprenez – äh – English? Anglais?“ knurrte er. „Versteht ihr Englisch?“ Und noch ein Wort fügte er hinzu, das, wie er von gelegentlichen Begegnungen mit Franzosen wußte, bei jeder Gelegenheit zu passen schien: „Merde!“
Wieder blieb es still, bis auf die übelkeitserregenden Geräusche, die Terry hinlänglich kannte.
„Zum Teufel“, stöhnte er, „kapiert ihr denn überhaupt nichts? Wir sitzen in einem Boot, versteht ihr? Und wenn ihr euch endlich mal zusammenreißen würdet und mit eurer dämlichen. Spuckerei aufhört, dann würdet ihr vielleicht erkennen, daß wir uns in einer sehr günstigen Situation befinden.“ Er hielt inne. Himmel, mußte er ihnen das jetzt noch alles übersetzen?
„Habt ihr verstanden?“ brüllte er. Außerhalb des Schotts hörte ihn garantiert keiner. Der Sturm übertönte alles andere. „Die gesamte Mannschaft ist im Einsatz. Die haben keine Hand frei. Wenn wir jetzt einen Ausbruchsversuch unternehmen, steht es günstig für uns. Aber, verdammt, wir können uns nur gemeinsam von den Fesseln befreien! Geht das endlich in eure hirnrissigen französischen Schädel?“
Wieder schien es keine Reaktion zu geben. Terry war im Begriff, endgültig zu resignieren, als unvermittelt ein Räuspern aus der Dunkelheit erklang. Dann eine Stimme, akzentbeladen, doch in gut verständlichem Englisch.
„Wir begreifen sehr gut, was Sie sagen, Monsieur. Wir wünschen aber keine Unterhaltung mit Ihnen. Da wir Soldaten sind, haben wir den Status von Kriegsgefangenen. Es läßt sich nicht mit unserer Soldatenehre vereinbaren, mit einem britischen Korsaren gemeinsame Sache zu machen. Mehr wünschen wir nicht zu sagen. Richten Sie sich bitte danach, Monsieur.“
Eine Sekunde lang hatte Easton Terry das Gefühl, er müsse sich an dem verschlucken, was er soeben gehört hatte. Dann schlug seine Verblüffung in Wut um.
„Ihr Drecksäcke!“ schrie er. „Ihr elenden Drecksäcke, was bildet ihr euch ein? Woher nehmt ihr Jammerlappen die Unverschämtheit, solche Töne anzuschlagen?“
Eine Antwort blieb diesmal zwangsläufig aus, denn der Sturm holte zu einem neuen Schlag gegen die „Hornet“ aus. Die Galeone krängte hart nach Backbord, und Easton Terry spürte einen der Franzosen als schweres Bündel über sich.
Terry zog die Knie mehrmals ruckartig an. Wohin er den Franzosen traf, konnte er nicht feststellen, aber der Mann rutschte schreiend von ihm weg, als sich das Schiff stabilisierte.
Easton Terry grinste in die Dunkelheit hinein. Wenigstens für den Augenblick hatte er ein kleines Gefühl von Genugtuung.