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2.

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Es waren beinahe düstere Gedanken, die den bulligen Profos auf seinem Rückzug in Richtung Heckbalustrade bewegten. Er spürte, wie sie insgeheim über ihn kicherten. Verdammt, immer dann, wenn er ihnen nicht die Hammelbeine langziehen konnte, amüsierten sie sich über ihn. Immer dann, wenn er gezwungen war, den Mund zu halten.

Und immer war es das verfluchte Federvieh, das es richtig darauf anzulegen schien, ihn herauszufordern. Oder es waren die beiden Lausebengels, die Söhne des Seewolfs, die ihm mit ihrem scheinheiligen Geplapper schon mehr als einmal heiße Ohren verschafft hatten. Aber glücklicherweise hatte es eine Weile Ruhe vor den kleinen Strolchen gegeben. Rechtzeitig vor den Kämpfen mit den Dons hatte Hasard seine Sprößlinge in die Obhut von Doc Freemont gegeben.

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Edwin Carberry über das Hafenbecken. Die Menge, die zu seiner Linken noch immer vor Begeisterung tobte, beachtete er nicht. O ja, sobald hier an Bord wieder normale Verhältnisse herrschten, würde er ihnen allen mächtig Dampf unter dem Hintern machen. Wenn sie dann nicht spurten, diese Himmelhunde, dann würde er ihnen die Haut in Streifen von ihren …

Ed biß sich auf die Lippen und zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken.

Plötzlich war da etwas, das ihn zu einem Blinzeln veranlaßte. Etwas, was erst jetzt in sein Bewußtsein drang. Immerhin war es verzeihlich, daß er es nicht sofort bemerkt hatte. Schließlich hatte er in seinem Leben Hunderte von Häfen gesehen, und irgendwie sahen sie alle gleich aus mit ihren Piers, ihren Speichern, ihren Werften, ihren Docks …

Mit jäh erwachtem Interesse beugte er sich vor.

Da war so ein Dock gleich nebenan, unmittelbar achteraus von der „Isabella“. Und der Kahn, den sie dort aufgeslippt hatten, sah für den Profos so wohlvertraut aus, daß er selbst im Schlaf jede Planke und jeden Fetzen Tuch hätte beschreiben können.

Hölle und Verdammnis, das war …

„Die ‚Revenge‘“, murmelte Ed Carberry entgeistert. Er blinzelte noch einmal und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch es war kein Trugbild. Es war die pure, unglaubliche Wirklichkeit.

Was sich da unter dem grauen Himmel Südenglands ins Baudock verkrochen hatte, war kein geringeres Schiff als die „Revenge“. Das Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Sir Francis Drake in der Schlacht gegen die spanische Armada.

Carberrys Verblüffung wich einem belustigten Grinsen, als er sah, woran die Werftarbeiter und Crewmitglieder des stolzen Flaggschiffes eifrig arbeiteten. Es war ein neues Ruderblatt, das sie der „Revenge“ maßgerecht verpaßten.

Im Augenblick allerdings hatten die Männer ihre Hämmer und Sägen beiseitegelegt, denn der Lärm und das Gewühl am Kai waren Grund genug, ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Vor allem der Anblick der „Isabella“ mußte den Revenge-Leuten jetzt wie ein knüppeldicker Dorn im Auge erscheinen.

Das Grinsen des Profos wurde noch breiter, als er einige der Männer aus Admiral Drakes Crew auf dem Achterkastell des Flaggschiffes erkannte. Er konnte sogar ihre Gesichter beobachten, denn die Entfernung betrug kaum mehr als einen Steinwurf. Und es waren verdammt lange Gesichter, die der Empfangstrubel zu Ehren der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ bei ihnen hervorrief.

Die offenkundige Mißstimmung unter Drakes Getreuen gab dem Profos keinerlei Rätsel auf.

Denn für die Ruderblatt-Reparatur war kein anderer als Hasard verantwortlich, der zielsicher der „Revenge“ die Ruderanlage zerschossen und den sehr ehrenwerten, aber auch sehr beutegierigen Admiral Drake damit zur Manövrierunfähigkeit verdammt hatte. Das war in der Nordsee passiert, nachdem die Schlacht gegen die Armada längst entschieden gewesen war.

Sir Francis Drake hatte sich nicht gescheut, die zum Wrack geschossene spanische Kriegsgaleone „San Mateo“ wie ein ausgehungerter Geier zu verfolgen, um sie auszuplündern und das Massaker an den längst wehrlosen Spaniern fortzusetzen.

Hasard und Jean Ribault hatten diese menschenunwürdige Verfolgungsjagd verhindert und der „San Mateo“ und ihrer zusammengeschmolzenen Besatzung die Flucht mit Kurs auf Norwegen ermöglicht – indem sie den Geier Drake am Zupakken hinderten und die hilflosen Spanier mit Wasser und Proviant versorgten. Fassungslosigkeit hatte dieser Akt der Menschlichkeit auf beiden Seiten hervorgerufen. Sowohl bei Drake, der einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle erlitt, als auch bei den Spaniern, die soviel Fairneß und Ritterlichkeit von einem Gegner zuvor nicht erlebt hatten.

Edwin Carberry winkte seine Gefährten herbei, und ausnahmsweise verwendete er dazu keinen einzigen seiner poltrigen Sprüche. Ein Fingerzeig des Profos genügte. Die Seewölfe brauchten keine Erklärungen, um zu begreifen, was sich hier, im heimatlichen Hafen Plymouth anbahnte.

Denn die wuterfüllten Blicke der Revenge-Leute sprachen Bände. Hätten diese Blicke Bleikugeln getragen, dann wären sämtliche Mitglieder der Isabella-Crew zersiebt zu Boden gesunken.

„Verdammter Mist“, knurrte Robert Parsons, erster Offizier an Bord des Flaggschiffes „Revenge“. Es storte ihn nicht im geringsten, daß diese höchst unfeine Ausdrucksweise einigen Männern aus der Crew zu Gehör gelangte, die sich in seiner Nähe auf dem Achterdeck befanden.

In dieser Angelegenheit, die den gottverdammten Killigrew und dessen Hundesöhne betraf, waren sie ohnehin eine verschworene Gemeinschaft – vom hochverehrten Admiral Drake bis zum Schiffsjungen. Denn darin, daß sie Killigrew, Ribault und Konsorten bis in den finstersten Schlund der Hölle wünschten, waren sie sich alle einig.

Wieder einmal schienen es die elenden Kerle geradezu darauf angelegt zu haben, im höchst unpassenden Moment auf der Bildfläche zu erscheinen.

Robert Parsons kniff die Lippen zusammen, daß sie einen dünnen Strich bildeten. Die feixenden Visagen dort drüben brachten seine Wut zum Kochen. Er witterte geradezu, daß diese dreimal verdammten Strolche ihnen, den tapferen Männern des ruhmreichen Admirals, wieder alles kaputtmachen würden.

Aber diesmal sollte es ihnen nicht gelingen!

Parsons dachte beinahe wehmutig an die eigene Ankunft in Plymouth Auch die „Revenge“, ihr Kapitän und die gesamte Crew waren nicht minder stürmisch gefeiert worden als diese Bastarde, die das Schwarze unter den Nägeln nicht verdienten.

Letzten Endes war für Sir Francis Drake und seine Crew ein solchermaßen triumphaler Empfang mehr als angebracht gewesen. Daß der Admiral und seine Offiziere den Kampf gegen die Armada so geschildert hatten, wie er eigentlich hätte verlaufen sollen, war nach Parsons’ Meinung durchaus legitim. Diese Stubenhokker an Land begriffen sowieso nicht, welche Bedeutung die Einzelheiten einer Seeschlacht hatten. Also mußte man ihnen die Einzelheiten so erläutern, daß sie es auch verstehen konnten.

Deshalb hatten Drake und seine Getreuen den ehrfürchtig staunenden Bürgern von Plymouth jene Geschichte aufgetischt, von der auch Robert Parsons überzeugt war, daß sie sich in dieser Weise mit Sicherheit hätte zutragen können.

Mitten im härtesten Gefecht so hatte Drake gestenreich berichtet, habe ihnen ein vorwitziger Spanier das Ruder weggeschossen. Und das just in dem Moment, als die „Revenge“ bereits mit Enterkurs auf die „San Martin“ losgegangen sei, das Flaggschiff der Armada. Natürlich hätten er, Drake, und seine Mannen zu diesem Zeitpunkt bereits wesentlich zum Sieg der englischen Flotte beigetragen. Doch ohne das Mißgeschick mit dem Ruder wäre das Schicksal der „San Martin“ besiegelt und damit die Schlacht endgültig entschieden gewesen.

Natürlich hatten auch die Bürger von Plymouth schon von, Killigrews wahnwitzigem Branderangriff vor Calais gehört. Deshalb jetzt auch dieser Zirkus bei der Ankunft der „Isabella“ und der „Le Vengeur“. Aber Admiral Drake hatte nur lächelnd abgewinkt, als der Lord Mayor die Sprache auf diesen angeblich entscheidenden Branderangriff brachte. Das sei eine zwingende Maßnahme gewesen, die von jedem anderen Kapitän der königlichen englischen Flotte mit der gleichen Schlagkraft ausgeführt worden wäre.

Schließlich, so sagte Parsons zu sich selbst, hatten sich die Bastarde unter Killigrew und Ribault ohnehin eine unglaubliche Frechheit herausgenommen, als sie den Angriff der „Revenge“ auf die „San Mateo“ verhinderten. Ein ehrenhafter englischer Seefahrer mußte sich schämen, daß es solche Disziplinlosigkeiten innerhalb der eigenen Flotte überhaupt gab.

Je länger Parsons darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß Admiral Drake völlig korrekt gehandelt hatte. Es war sogar seine Pflicht gewesen, den Vorfall in der Nordsee zu verschweigen. Denn diese Dreistigkeit, die auf Killigrews Konto ging, war ganz einfach eine Schande für die gesamte Navy.

Ja, im Grunde konnte Killigrew froh sein, wenn niemand erfuhr, was er sich geleistet hatte. Der Mistkerl mußte sogar dankbar sein, daß Admiral Drake sich so generös verhielt und die Unverschämtheit eines Emporkömmlings nicht ans Tageslicht brachte. Immerhin hatte die Sache in der Nordsee allem die Krone aufgesetzt, was Killigrew sich vorher schon geleistet hatte.

Robert Parsons’ Gedankengänge führten so weit, daß er nach einer Weile fest an das glaubte, was er sich selbst einredete.

Aber natürlich würden diese Bastarde sich selbst wieder ins beste Licht rücken. Diese Hundesöhne, die sich selbst in maßloser Übertreibung als Seewölfe bezeichneten.

Moses Bill blickte mit leuchtenden Augen zu seinem Kapitän auf, als dieser ihm einen ledernen Geldbeutel in die Hand drückte.

„Ich verlasse mich auf dich, mein Junge“, sagte Philip Hasard Killigrew ernst. „Du wirst dir ein gutes Pferd nehmen und zu Doc Freemonts Landsitz am River Tavy reiten. Du übergibst ihm diese Botschaft.“ Hasard reichte dem Schiffsjungen einen zusammengerollten und versiegelten Brief. „Darin steht, daß ich den Doctor mit meinen Söhnen hier in Plymouth erwarte. Erledige deinen Auftrag gut, Bill.“

„Ja, Sir.“ Strahlend verstaute Bill den Brief und den Lederbeutel unter seinem Hemd, das er sorgsam wieder zuknöpfte. Dann blickte er noch einmal in die Runde, voller Stolz.

Die Augen der Männer spiegelten väterliches Wohlwollen, Freundschaftlichkeit und Güte. Sie alle ersetzten ihm, dem aufgeweckten schwarzhaarigen Jungen, den Vater. Sie wußten, welcher Vertrauensbeweis es war, daß Hasard ihn damit beauftragte, die Zwillinge zurück an Bord zu holen. Die Gedanken, die die Männer der „Isabella“ in diesem Moment bewegten, gerieten ins Melancholische. Bill verkörperte für sie ein Stück eigene Vergangenheit, und wenn sie auch oftmals fluchten und wetterten und ihre Wut an ihm ausließen, so wußten sie doch nur zu gut, wie schwer er es an Bord hatte. Sie alle hatten einmal auf diese oder ähnliche Weise angefangen, ein Seefahrer zu werden. Und Bill war fest entschlossen, sich an Bord von Philip Hasard Killigrews Schiff zu bewähren. Daß er jetzt diesen Auftrag erhalten hatte, bewies ihm, daß er auf dem richtigen Weg war. Seinen Traum, auch einmal ein richtiger Seewolf zu werden, träumte er seit damals. Seit die Männer ihn auf Jamaica aufgelesen hatten. Dort hatte er seinen Vater verloren, mit dem er zusammen auf dem englischen Schiff „Sea-Eagle“ gefahren war, bevor sie beide in spanische Gefangenschaft gerieten.

Bill wandte sich mit einem entschlossenen Ruck ab, eilte mit langen Schritten über den Landgangsteg zum Kai und war kurz darauf in der Menschenmenge verschwunden, die dort noch immer ausharrte und das berühmte Schiff der nicht weniger berühmten Seewölfe bestaunte.

Die Männer an Bord der „Isabella“ blickten dem Schiffsjungen noch minutenlang schweigend nach. Mit dem Auftrag, den er auszuführen hatte, würde sich eine bedeutsame Wende im Leben ihres Kapitäns vollziehen.

Hasard hatte eine endgültige Entscheidung getroffen.

Seine Söhne, die Zwillinge Philip und Hasard, sollten jetzt für immer bei ihm an Bord bleiben. Sie, die ihre Mutter durch ein tragisches Unglück verloren hatten, hatten für sich selbst ohnehin längst entschieden, daß sie keine Landratten werden wollten. Ihr Vater erfüllte nun ihnen und sich selbst den Wunsch, der ihnen als das einzig Vernünftige erschien. An Bord der „Isabella“ sollten sie die Seefahrt von Grund auf kennenlernen, sollten sich bewähren und ihr Handwerkszeug meisterlich beherrschen lernen. Daß sie die Fähigkeit dazu hatten, wußte Hasard schon lange. Kurze Zeit nachdem er sie in Tanger wiedergefunden hatte, hatten sie auf der Galeone bereits bewiesen, welcher Tatendrang und welche Zähigkeit in ihnen schlummerten – trotz ihres noch kindlichen Alters. Für die Dauer der Schlacht gegen die Armada hatte Hasard die Zwillinge wohlweislich in Doc Freemonts sichere Obhut gegeben.

Nun, wenn sie ganze Kerle waren, würden sie es zum Kapitän bringen, wie ihr Vater.

Hasard verscheuchte die Gedanken und wandte sich zu seinen Männern um.

„Ben!“

„Sir?“ Der erste Offizier der „Isabella“ trat einen Schritt vor.

„Du wirst die Bordwache übernehmen. Zusammen mit Old O’Flynn und Will Thorne.“

„Aye, aye, Sir.“

Die Gesichter der übrigen Männer begannen zu leuchten. Dann stimmten sie ein begeistertes Gebrüll an, daß die Decksplanken zu erzittern schienen. Sie hatten gewußt, daß Hasard wieder einmal Verständnis zeigen würde. Denn auch sie wollten den Sieg feiern, für den sie selbst von den Stadtbewohnern gefeiert wurden. Für die Seewölfe war es indessen mehr die Tatsache, daß sie seit dem Monat Juli ununterbrochen im Einsatz gewesen waren. Strapazen und Entbehrungen waren Anlaß genug, jetzt endlich einmal wieder die Puppen tanzen zu lassen.

In dem Gejohle winkte Hasard den Profos zu sich heran und zog ihn beiseite.

„Hör zu, Ed. Ich erwarte von dir, daß du die Männer zur Ordnung rufst, wenn es sein muß.“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Carberry grinsend.

„Ich will nicht, daß ihr wieder unnötiges Aufsehen erregt.“

„Aye, Sir.“

„Es ist noch nicht lange her, daß ihr Plymsons ‚Bloody Mary‘ zu Kleinholz zerlegt habt. Das soll nicht noch einmal passieren. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

„Aye, Sir. Wenn diese Stinte nicht spuren, ziehe ich ihnen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen. Darauf kannst du dich verlassen.“ Der Profos sagte es mit einem treuherzigen Augenaufschlag.

Hasard mußte sich abwenden, denn er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Die Seewölfe gerieten in Bewegung. Eile war geboten. Denn bis zum Einbruch der Dämmerung hatten sie gerade noch genug Zeit, um sich landfein zu machen. Und dann – hol’s der Teufel, dann würde es rundgehen. Allerdings würde die Einrichtung der „Bloody Mary“ besonders liebevoll und schonend behandelt werden. Das nahmen sie sich alle fest vor.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 162

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