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2.

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Fackeln näherten sich mit züngelndem Feuerschein.

Der Mann, der an der Spitze von zwanzig seiner Decksleute den Dorfplatz von Serrara erreichte, war groß und blond und blauäugig – ein Hüne von Statur, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Sein Oberlippenbärtchen war kaum sichtbar. Mit kostbarem Lederwams und schenkelhohen Stulpenstiefeln aus butterweichem Leder, sah er aus wie einer jener nordischen Riesen, von denen die Südländer meist nur durch Legenden hörten.

Lord Henry gab das Zeichen zum Halten. Seine Männer formten einen Halbkreis, und ihre Fackeln erhellten den Brunnen.

Dort hatten sich Dark Joe und zwei seiner ursprünglichen Begleiter mühevoll aufgerappelt. Deutlich waren die Blessuren zu erkennen, die sie bei dem Überfall davongetragen hatten. Thad und zwei weitere Männer, die Dark Joe losgeschickt hatte, um Lord Henry zu benachrichtigen, waren auf der „Cruel Jane“ geblieben.

Lord Henry stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte Dark Joe an wie einen Wurm, den er zu zertreten gedachte.

„Ihr verdammten Schwachköpfe!“ brüllte der Kapitän der Piraten. „Ihr habt verdient, daß ich euch kielholen lasse! Und, verdammt noch mal, ich sehe keinen Grund, warum ich das nicht tun soll!“

Dark Joe hob die Rechte zu einer beschwichtigenden Geste. Sein Arm brannte noch immer wie Feuer von dem Schlag, und auf seinem Hinterkopf prangte eine mächtige Beule, die sein lockiges Schwarzhaar wölbte.

„Jetzt hör erst mal zu“, sagte er vorsichtig. „So dämlich, wie du denkst, haben wir uns nämlich nicht angestellt.“

„Soso“, knurrte Lord Henry. „Was ist es anderes als Dämlichkeit, wenn man sich seinen Beutel mit Silbermünzen und Perlen klauen läßt – und außerdem noch sämtliche Waffen?“

Die Männer im Halbkreis konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihre Züge glätteten sich aber sofort wieder, als sie Dark Joes giftigen Blick spürten. Ihn fürchteten sie wie die Pest, auch wenn er im Moment ziemlich klein und häßlich aussah.

„Diese Säcke aus dem Dorf hätten uns niemals überfallen“, verteidigte sich Dark Joe. „Was wir nicht wissen konnten, war, daß hier irgendwo in der Nähe eine Bande von Wegelagerern kampiert haben muß. Dieser Schweinehund von einem Wirt hat sie benachrichtigen lassen, ohne daß wir es mitkriegen konnten. Und dann konnten die Halunken in aller Ruhe anrücken. Thad und mich haben sie im Hinterhof überfallen und die anderen draußen beim Brunnen. Als wir wieder wach geworden sind, haben wir keinen von den Kakerlaken mehr zu sehen gekriegt. Nur noch Frauen und Kinder und alte Leute sind im Dorf. Die Kerle haben vermutlich ein Versteck irgendwo in den Bergen. Da hocken sie jetzt mit den Strauchdieben und teilen sich wahrscheinlich feixend die Beute.“

„So wird es sein“, sagte Lord Henry und nickte grimmig. „Was du hier heute an Silber und Perlen verplempert hast, Joe, werden wir dir und den anderen natürlich vom Anteil an der Beute abziehen.“ Er wandte sich zu den Männern im Halbkreis um. „Durchsucht das ganze verdammte Nest! Und wenn ihr keine von den Bilgenratten findet, dann bringt mir eins von den Weibsbildern. Notfalls werden wir es aus ihr herausprügeln, wo sich die Kerle versteckt halten.“

Die Piraten von der „Cruel Jane“ hasteten los. Der Schein der Fackeln verteilte sich auf die wenigen Häuser des Dorfes. Sehr bald wurden zeternde Frauenstimmen laut, begleitet vom wilden Grölen der Lord-Henry-Crew.

Der Kapitän der Piraten trat an den Brunnen heran, wo Dark Joe und die beiden anderen mit niedergeschmetterten Mienen ausharrten. Von allen Seiten war das Gebrüll der Männer zu hören, wie sie die Häuser durchstöberten und die Frauen in Schrecken versetzten.

Keiner von ihnen würde es indessen wagen, sich an einer der Frauen zu vergreifen, denn Lord Henrys Befehl war unmißverständlich gewesen. Zeitverlust durch Spielereien am Rande konnten sie sich nicht leisten.

Lord Henry pikte dem schwarzen Joe mit dem Zeigefinger gegen die Brust.

„Ich will dir mal was sagen, mein Lieber. Ist dir überhaupt klar, was ihr angerichtet habt?“

„Natürlich.“ Joes Stimme klang kleinlaut, und er senkte den Kopf. „Ich würde mir ja am liebsten selbst in den Hintern treten, wenn’s dadurch ungeschehen würde.“

„Das ist es nicht allein“, knurrte Lord Henry. Er wandte sich ab und ging fünf Schritte auf und ab, wobei seine Bewegungen die Gereiztheit eines gefangenen Tigers hatten. Abrupt blieb er vor Dark Joe stehen. „Es ist unser Ruf, der hier versaut wird. Jeder verdammte Idiot zwischen Neapel und Salerno wird bald wissen, daß man Lord Henrys Leuten nur ein bißchen auf die Rübe zu klopfen braucht und sie dann mit Leichtigkeit ausplündern kann. Mann, das kommt dann noch so weit, daß diese süditalienischen Bastarde sich totlachen, wenn sie uns bloß zu sehen kriegen.“

„Das würde ich keinem raten“, erwiderte Dark Joe mit neu erwachender Selbstsicherheit. „Dann veranstalten wir eben mal einen richtigen Tanz, und unser guter Ruf ist wieder da.“

„Trotzdem“, sagte Lord Henry. Er preßte die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. „Es ist eine Schande, was in diesem Kaff passiert ist. Verdammt noch mal, das können wir nicht auf uns sitzenlassen. Wenn ich’s mir richtig überlege, sollten wir diese Bruchbuden anstecken und in Flammen aufgehen lassen.“

„Gute Idee“, sagte Dark Joe und nickte begeistert. Im nächsten Atemzug verzog er schmerzerfüllt das Gesicht, denn durch die heftige Bewegung hatte er ein wüstes Feuerwerk in seinem Schädel entfacht.

Lord Henry brachte seine Überlegungen nicht mehr zu Ende, was die Wiederherstellung seines guten Rufs betraf.

Wildes Geschrei, das das bisherige Stimmengewirr übertönte, drang plötzlich aus einem der Häuser am Dorfplatz. In die Schreie der Frauen mischte sich eine gellende männliche Stimme in höchster Not. Lord Henry, Dark Joe und die anderen fuhren herum.

Vier Piraten waren es, die aus dem Haus auftauchten. Zwei von ihnen drängten die Frauen zurück, die ihnen zeternd nachzusetzen suchten. Die beiden anderen schleiften einen jungen Burschen auf den Brunnen zu. Er wehrte sich verzweifelt, doch ohne Erfolg. Dem stählernen Griff der beiden bulligen Männer von der „Cruel Jane“ war er nicht gewachsen.

Sie zerrten ihn vor Lord Henry hin, und der eine, ein untersetzter Schwarzbart, hieb dem jungen Burschen die Faust in die Seite, daß er seinen Widerstand endgültig aufgab und mit einem wilden Schmerzensschrei aufrecht stehen blieb.

„Der hatte sich auf dem Dachboden versteckt“, sagte der Schwarzbärtige grimmig. „Wenn du mich fragst, Lord Henry, war es sein Job, uns zu beobachten. Wahrscheinlich sollte er als Kurier dienen für den Fall, daß wir den hinterlistigen Kakerlaken in die Berge folgen.“

Lord Henry zog die Augenbrauen mit gespieltem Staunen hoch und hörte mit versonnenem Nicken zu. Betont langsam trat er zwei Schritte auf den jungen Burschen zu und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Der Gefangene war schlank und drahtig. Er trug eine helle Leinenhose und ein ebensolches Hemd. Seine Fußbekleidung bestand aus dünnen Ledersandalen.

Dark Joe trat von der Seite auf ihn zu und riß ihm das Messer aus der Scheide am Gürtel. Er hob die schmale Klinge und betrachtete sie grinsend im Fackelschein.

„Suche einstellen!“ brüllte Lord Henry mit Stentorstimme zu den Häusern hin. Dann wandte er sich wieder dem Gefangenen zu. Dessen Gesicht war blaß, die Augen waren groß und furchtsam auf den blonden Riesen gerichtet.

„Jetzt hat er die Hosen voll“, sagte Dark Joe und strich mit dem Daumen prüfend über die rasiermesserscharfe Klinge. „Ich wette, er gehört zu den Strauchdieben. Sieh dir seine Hände an, Henry. Der hat noch nie auf einem Bauernhof gearbeitet. Der verdient sein Geld dadurch, daß er in fremde Taschen greift.“

Der Kapitän der Piraten nickte gedankenverloren. Von allen Seiten tauchten jetzt wieder die Männer mit ihren Fackeln auf, die die Häuser durchsucht hatten. Unvermittelt gab sich Lord Henry einen Ruck, als er zu einem Entschluß gelangte.

„Wie heißt du?“ fragte er. In der italienischen Sprache kannte er sich so weit aus, daß er sich verständigen konnte.

„Fahr zur Hölle!“ zischte der junge Bursche haßerfüllt.

Lord Henry war mit einem blitzschnellen Schritt bei ihm. Seine Faust zuckte ohne erkennbaren Ansatz vor. Der Gefangene klappte zusammen. Er brüllte vor Schmerz. Welche ungeheure Muskelkraft dieser blonde Riese hatte, wurde ihm erst jetzt klar.

Und jäh wuchs in ihm die Furcht davor, noch einmal diese Faust spüren zu müssen. Der Schwarzbärtige griff in sein Haar und zog brutal seinen Kopf in den Nacken, so daß er gezwungen war, den Kapitän der „Cruel Jane“ wieder anzusehen.

„Wir können die Behandlung beliebig fortsetzen“, sagte Lord Henry mit spöttischem Grinsen. „Es sei denn, du entschließt dich, doch meine Fragen zu beantworten. Also noch einmal: Wie heißt du?“

„Giuseppe Cantaro“, ächzte der Gefangene schmerzerfüllt. Unverändert hielt der Schwarzbart seinen Haarschopf gepackt.

„Fein, Giuseppe.“ Lord Henry nickte zufrieden. „Als nächstes wirst du uns sagen, woher du stammst. Doch nicht etwa von dieser hübschen Insel?“

„Nein, Signore. Ich bin aus Neapel.“

„Ah, sieh mal an! Dann bist du ein – Guappo, nicht wahr? So nennt man doch bei euch die Halunken, die anderen Leuten ihr rechtmäßiges Eigentum wegnehmen?“

Giuseppe Cantaro preßte die Lippen aufeinander.

„Fahren wir also fort“, sagte Lord Henry genüßlich.

Dark Joe stand noch immer mit dem Messer neben ihm, und die übrigen Männer von der „Cruel Jane“ verfolgten das Verhör schweigend. Lord Henry lächelte wieder. Jene, die ihn kannten, wußten, daß dieses Lächeln nichts Gutes verhieß.

„Nun brauchen wir von dir nur noch zu wissen, wo sich der Schlupfwinkel eurer Bande befindet und wer euer Anführer ist. Du wirst verstehen, mein lieber Giuseppe, daß wir uns unser Eigentum gern zurückholen möchten. Nun?“ Lord Henry legte die Hände auf den Rükken, wippte auf den Zehenspitzen und beugte sich mit höhnischer Freundlichkeit vor.

„Niemals!“ knurrte Cantaro, der sich von seinen Schmerzen zu erholen begann. „Niemals verrate ich die anderen.“

Lord Henry nickte nur. Dann bedachte er Dark Joe mit einer auffordernden Kopfbewegung. Dark Joes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

Er hob das Messer und trat auf den Gefangenen zu. Langsam schob er die Klinge vor Cantaros Oberkörper hoch, bis die nadelscharfe Spitze unter sein Kinn drückte und eine kleine Delle in der Haut hervorrief.

Giuseppe Cantaro wagte kaum noch zu atmen. Seine Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen. Dark Joe trat einen halben Schritt zur Seite, damit Lord Henry den Gefangenen ansehen konnte. Die Haltung des Messers veränderte er nicht um den Bruchteil eines Inch.

„Du willst doch nicht etwa, daß wir deiner Redefreudigkeit nachhelfen?“ sagte der Kapitän der Piraten salbungsvoll. „Willst du es wirklich auf die Spitze treiben, mein lieber Giuseppe?“

Cantaro blinzelte verzweifelt, wagte aber nicht, den Kopf zu bewegen, geschweige denn, den Mund zu öffnen.

„Nimm das Messer weg, Joe“, sagte Lord Henry in seiner Muttersprache. „So kriegt er doch kein Wort heraus.“

Dark Joe nickte und trat zurück. Die Männer aus der Crew lachten, verstummten aber sofort wieder, als Lord Henry sie mit einer energischen Handbewegung dazu aufforderte.

„Jetzt noch mal von vorn, Giuseppe. Ich denke, meine Frage hast du nicht vergessen.“

„In – in Neapel“, flüsterte der Gefangene.

„Das habe ich mir fast gedacht.“ Lord Henry lächelte. „Weiter!“

„Eine Hafenkneipe – sie heißt ‚Lo Spirito Santo‘. Das ist unser Treffpunkt. Einen richtigen Schlupfwinkel haben wir nicht.“

„Lo Spirito Santo“, wiederholte Lord Henry. „Wie sinnig: Der Heilige Geist. So, nun haben wir’s gleich geschafft, Giuseppe. Nur noch den Namen deines Anführers, dann ist für dich Schluß mit der lästigen Fragerei.“

Cantaro zögerte einen Moment. Dann jedoch, als Dark Joe deutlich sichtbar das Messer hob, entschloß er sich zu einer raschen Antwort.

„Gennaro Masaniello. Er ist unser Chef. Fragt im Spirito Santo nach ihm.“

„Fein, fein. Das wollen wir gern tun.“ Lord Henry nickte zufrieden. „Dann brauchen wir uns nicht länger hier aufzuhalten.“

„Und was tun wir mit dem Knilch?“ fragte Dark Joe.

Lord Henry winkte ab. Gleichgültig.

„Den überlasse ich dir. Wir sehen zu, daß wir unser Trinkwasser und den Proviant kriegen, und dann geht’s zurück zur Küste.“ Der Piratenkapitän drehte sich um, um die Männer einzuteilen, die Wasserfässer und Eselskarren besorgen sollten.

Dark Joe sah den Gefangenen schweigend an, scheinbar sinnierend.

„Was ist jetzt?“ fragte der Schwarzbärtige. „Sollen wir uns die Beine in den Bauch stehen?“

„Ach was.“ Dark Joe schüttelte geringschätzig den Kopf. „Laßt ihn los. Er ist sowieso nichts mehr wert für uns.“

Die beiden Männer taten, was er gesagt hatte, und gingen zu den anderen hinüber. Minutenlang stand der Gefangene regungslos da und begriff nicht, was er mit seiner unverhofften Bewegungsfreiheit anfangen sollte. Dark Joe tat, als interessiere er sich nicht mehr für ihn, als wolle er sich ebenfalls abwenden.

Giuseppe Cantaro sah einen Hoffnungsschimmer, den es nicht gab. Aus einem jähen Entschluß heraus warf er sich herum und rannte mit langen Sätzen los.

Dark Joe gewährte ihm fünf oder sechs Schritte. Dann hob er das Messer und schleuderte es mit einem kraftvollen Ruck.

Cantaro überschlug sich fast im Laufen. Seine Bewegungen waren wie abgeschnitten. Noch bevor er lang zu Boden stürzte, war alles Leben aus ihm gewichen. Dark Joe verstand es, auch ein fremdes Messer so präzise zu werfen, wie es kein Pistolenschütze besser zustande brachte.

Lord Henry, der seine Befehle gegeben hatte, quittierte es mit einem zustimmenden Nicken.

„In Ordnung, Joe. Wir können es uns sparen, die Bruchbuden anzustecken.“ Er deutete auf den Toten. „Das wird den Strolchen den nötigen Respekt vor uns einjagen.“

Dark Joe lächelte schweigend. Auch sein persönlicher guter Ruf war wiederhergestellt.

Eine halbe Stunde später verließen die Piraten das Dorf Serrara mit drei Eselskarren, voll beladen mit Wasserfässern und Proviant. Der Fakkelzug war noch lange zu sehen, wie er sich in der Dunkelheit den Serpentinenweg hinunterwand.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 239

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