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2.

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Luke Morgan und Roger Brighton legten in ihrem gemächlichen Rundgang über das Hauptdeck eine Pause ein. Wie auf ein nicht ausgesprochenes Kommando schoben beide ihre Unterarme auf die Backbord-Verschanzung und blickten über die Themse.

Die Schebecke lag nach wie vor an der Towerpier, und die Männer der nächtlichen Deckswachen waren längst mit dem Bild vertraut, das die Stadt bei Dunkelheit bot.

Auf dem schwarzen Wasser des Flusses erzeugten die Lampen der Tower Bridge Reflexe, die wie tanzende kleine Irrlichter aussahen. Die Häuser Londons waren kantige Schatten, die sich vor der Helligkeit weniger Lampen und Fackeln in Stangenkörben nur verschwommen abzeichneten.

„Nach allem, was man so gesehen hat“, murmelte Luke nach einer Weile, „ist es eher schlechter geworden.“

„Von was redest du?“ fragte Roger, der Bruder des Ersten Offiziers.

„Von London. Oder besser: vom Leben in London.“

„Wie sollte es besser werden? Immer mehr Leute verlassen die ländlichen Gebiete, weil sie von den Lords doch nur geknechtet werden und nicht genug zu beißen haben. Was bleibt ihnen? Sie suchen Zuflucht in London, weil irgendein Schwachkopf ihnen erzählt hat, es gäbe hier Arbeit und Brot. Und wenn sie nach fürchterlichen Strapazen dann endlich hier sind, müssen sie feststellen, daß es ihnen noch verdammt viel schlechter als unter der Tyrannei ihres Landlords geht. Es gibt keine Arbeit, und in den Unterkünften werden sie für teures Geld zusammengepfercht wie Vieh.“

„Stimmt.“ Luke, der einst aus der englischen Armee desertiert war, nickte. „Es brauchen dann nur noch Seuchen auszubrechen, und sie sterben wie die Fliegen. Aber weißt du, was ich glaube?“

„Was?“ Roger sah den kleinen dunkelblonden Mann an.

„Ich glaube, die meisten, die herkommen, leben von der Hoffnung. Zum Beispiel von der, daß sie eine Passage in die Neue Welt ergattern. Daß man dazu aber eine Menge Geld zusammenkratzen muß, ist wohl den wenigsten bewußt.“

Roger Brighton brummte zustimmend. „Ganz zu schweigen von den Kapitänen, die den armen Seelen das Fell über die Ohren ziehen. Ich kann mir vorstellen, daß manche drüben anlangen und an Hunger krepieren.“

„Wenn es sie nicht schon während der Überfahrt erwischt hat“, sagte Luke. „Hast du mal davon gehört, wie es auf diesen Kähnen aussieht, wenn sie mit ihrer menschlichen Ladung über den Atlantik klüsen?“

Roger wollte etwas entgegnen, aber ein Geräusch hielt ihn davon ab. Es hallte in den Gassen nach. Die beiden Männer drehten sich um. Erst bei näherem Hinhören war festzustellen, daß es sich um Schritte handelte, sehr schnelle Schritte.

Luke und Roger liefen zur Backbordseite. Noch während sie die Verschanzung erreichten, sahen sie den hastenden Schatten. Er huschte durch den Lichtkreis eines Pechfeuers, das in einem doppelt mannshohen Stangenkorb an der Landseite der Pier brannte. Gleich darauf dröhnten weitere Schritte aus den nahen Gassen. Eine ganze Meute von Verfolgern schien dem Kerl im Nacken zu sitzen.

Im nächsten Moment glaubten die beiden Deckswachen, ihren Augen nicht mehr trauen zu dürfen.

Der Fliehende rannte haargenau auf sie zu. Noch bevor sie ihre Verblüffung überwunden hatten, war er bei ihnen an Bord. Sie schafften es eben noch, ihn an den Oberarmen zu packen und daran zu hindern, sich irgendwo an Deck zu verkriechen.

Der Fremde ruckte und zerrte verzweifelt. Aber gegen den eisenharten Griff der Arwenacks konnte er nichts ausrichten.

Bevor sie eine Frage stellen konnten, polterten die Verfolger mit harten Stiefelsohlen über die Planken der Pier.

„Nein!“ kreischte der Zappelnde in panischem Entsetzen. „Laßt mich los! Laßt sie nicht an Bord! Sie schlagen mich! Sie bringen mich um! Sie zerstückeln mich mit ihren Messern!“

Luke und Roger dachten nicht daran, den Kerl freizugeben. An Bord der Schebecke hatte er nichts verloren. Schließlich war der Dreimaster kein Zufluchtsort für alle möglichen Londoner Halunken, die sich in irgendeine Auseinandersetzung verstrickt hatten.

Andererseits verbot das Gerechtigkeitsempfinden den beiden Männern, den Kreischenden einfach auf die Pier zurückzustoßen und ihn den Verfolgern auszuliefern. Es war immerhin nicht auszuschließen, daß man damit einem Verbrechen den Weg bereitete. Wer konnte wissen, ob dieser Bursche etwas ausgefressen hatte oder nicht?

Auf der Pier gelangte der Pulk der Verfolger zum Stehen. Ungefähr zwanzig Männer waren es, die sich dem bläßlich aussehenden Kerl an die Fersen geheftet hatten. Ihr Anführer war ein riesenhafter Mann, ebenso ordentlich gekleidet wie alle anderen. Wie Galgenstricke sahen sie wahrhaftig nicht aus.

„Ich bin Gregory Mulhollen“, sagte der Riese. „Wir verfolgen diesen Strolch, weil er eine Tracht Prügel verdient hat.“ In kurzen Sätzen schilderte er, was sich in der Schenke „Red Dragon“ zugetragen hatte.

Luke Morgan und Roger Brighton nickten im Schein der Bordlaterne. Sie drehten Davenport zur Pier hin um, so daß er gezwungen war, Mulhollen und die anderen anzusehen. Er zitterte spürbar und stemmte sich gegen den harten Griff der beiden Männer. Aber gegen ihre Muskelkraft hatte er keine Chance.

„Stimmt es, was Mister Mulhollen sagt?“ herrschte Luke ihn an.

„Wenn es so ist, sollten wir ihn tatsächlich von Bord scheuchen“, sagte Roger Brighton zu seinem Gefährten.

Davenport straffte seine Haltung und warf den Kopf in den Nacken.

„Ich bin nicht ohne Grund auf dieses Schiff geflohen“, schnarrte er mit neu erwachendem Dünkel. „Ich bin Passagier dieses Schiffes. Durch Order der Königin!“

Die Männer auf der Pier waren ebenso verblüfft wie Luke und Roger.

„Fein“, sagte Luke schließlich. „Spielen wir ruhig weiter Märchenstunde. Ich bin der Kaiser von China. Wenn die Königin von England einen Passagier auf meinem Schiff unterbringen möchte, muß sie mich erst mal um eine Audienz bitten.“

Mulhollen und die anderen lachten. Auch Roger Brighton grinste.

„Ich habe nicht nötig, mit einfachem Decksvolk zu diskutieren“, sagte Davenport von oben herab. „Ich verlange, den Kapitän zu sprechen. Und zwar sofort. Als Passagier seines Schiffes genieße ich mindestens die Rechte eines Offiziers.“

„Weißt du, was du genießt?“ brüllte Mulhollen. „Das Recht auf einen Tritt in den Hintern!“

„Du sprichst mir aus der Seele, Mister Mulhollen“, sagte Luke Morgan.

Roger Brighton zeigte Anstalten, mit dem linken Fuß auszuholen und tatsächlich zuzutreten.

Davenport zuckte zusammen und bog sich in der Körpermitte entsetzt vor, um dem Tritt auszuweichen. Die Männer auf der Pier grölten Beifall. Roger trat jedoch nicht zu.

„Ich verbitte mir solche Unverschämtheiten“, zischte der Hochwohlgeborene. „Ich verlange, losgelassen zu werden und den Kapitän zu sprechen. Auf der Stelle! Eure Strafe wird empfindlich ausfallen, wenn ihr nicht gehorcht.“

Luke und Roger wechselten einen Blick und konnten nur ungläubig den Kopf schütteln. Sie hatten ja nun schon einige Erfahrung mit jener Sorte Adliger, die sich durch besonders hirnrissige Blasiertheit auszeichnete. Aber dieser Bursche schien wirklich allem die Krone aufzusetzen.

„Laßt euch nicht von diesem Drecksack einwickeln“, warnte Gregory Mulhollen. „Wahrscheinlich will er sich nur davor drücken, uns das Geld zurückzuzahlen, das er uns schuldet. Bestimmt denkt er, wir geben auf, wenn er die Geschichte nur genug in die Länge zieht.“

„Unverschämtes Pack!“ schnaubte Davenport. Abermals wurde seine Stimme schrill. „Wenn ich jetzt nicht sofort zum Kapitän gebracht werde …“

„Was dann?“ unterbrach ihn eine eisige Stimme vom Achterdeck her.

Wieder schien es, als hätte Davenport einen Hieb erhalten. Er zog den Kopf ein Stück ein und drehte sich furchtsam um. Luke und Roger grinsten erleichtert. Mulhollen und die anderen blickten gespannt herauf. Wieder gewann Davenport seine Selbstherrlichkeit zurück.

„Sind Sie der Kapitän?“ schnarrte er.

„Allerdings“, erwiderte Philip Hasard Killigrew und trat an die Verschanzung, so daß er auch die Männer auf der Pier sehen konnte. Mit einem einzigen Blick erfaßte er, daß es sich ausnahmslos um Kerle handelte, die das Herz auf dem rechten Fleck hatten. Offenheit und Ehrlichkeit in ihren Gesichtern waren zweifelsfrei zu erkennen.

„Höchste Zeit, daß Sie erscheinen“, sagte Davenport in einem Ton, als spräche er mit einem Dienstboten. „Ich bin Ihr Passagier, Kapitän. Killigrew, nicht wahr?“

„Für Sie Sir Hasard“, entgegnete der Seewolf trocken.

Davenport schluckte. Ihm war klar, daß er sich normalerweise als kleines Licht betrachten mußte. Verglichen mit dem Rang dieses hochgewachsenen breitschultrigen Mannes hatte er weder besondere Titel noch irgendwelche Auszeichnungen vorzuweisen.

Nichtsdestoweniger kam es aber darauf an, als was man sich fühlte. In dieser Beziehung stand er natürlich haushoch über allen anderen. Je länger man sich etwas einredete, desto mehr war man schließlich davon überzeugt.

Dieser Grundsatz hatte ihn stets weitergebracht. Dabei würde es auch bleiben. Man mußte seiner Umgebung nur durch ein geeignetes eigenes Verhaltensmuster vor Augen führen, wie tief sie unter einem stand.

„Selbstverständlich, wie Sie wünschen, Sir Hasard“, sagte er steif. „Ich bin gern bereit, die Situation aufzuklären. Wenn Sie zunächst freundlicherweise veranlassen wollen, daß diese Schiffsknechte mich endlich loslassen …“

„Mister Morgan und Mister Brighton sind gleichberechtigte Mitglieder der Crew“, unterbrach ihn der Seewolf unverändert kühl. „Eine Rangordnung gibt es an Bord dieses Schiffes nur für den Zweck, einen reibungslosen und disziplinierten Betrieb zu ermöglichen. Mister Morgan und Mister Brighton werden Sie dann loslassen, wenn ich es für richtig halte. Zunächst sind Sie nichts weiter als ein Eindringling, der sich unerlaubt Zutritt verschafft hat.“

Davenport blinzelte. Sein Adamsapfel bewegte sich ruckend auf und ab.

„Nun gut“, sagte er gepreßt, „dann werde ich den Sachverhalt schildern.“

„Nicht Sie“, sagte der Seewolf. Er wandte sich zur Pier. „Mister Mulhollen, das Wesentliche Ihrer Geschichte habe ich bereits mitgehört. Wieviel Geld schuldet Ihnen dieser Mann?“ Er deutete mit einer Handbewegung auf Davenport, der die Nase schon wieder ein Stück höher hielt.

Der Zimmermann nickte, denn er begriff, auf was Hasard hinauswollte.

„Einen Augenblick, Sir!“ Er drehte sich zu seinen Gefährten um und befragte sie. Dann, nach kurzem Zusammenzählen, wandte er sich wieder dem Seewolf zu. „Insgesamt sechs Pfund, Sir.“

„Gut“, erwiderte Hasard. „Würden Sie sich zufriedengeben, wenn Mister Davenport Ihnen das Geld zurückzahlt? Jetzt, sofort?“

Der Hochwohlgeborene wurde weiß wie ein Laken.

Mulhollen beratschlagte abermals mit den anderen Männern. Dann stimmte er zu. „Ich fürchte allerdings, Sir, daß wir die Sache lediglich verlagern. Wenn er Geld bei sich hat, dann nur solches, das er sich woanders geborgt hat.“

„Das ist dann sein Problem“, erwiderte Hasard grinsend. Er gab Luke und Roger einen Wink. „Durchsuchen!“

„Mit Vergnügen“, antwortete Roger.

Davenport schrie voller Empörung, als sie ihm kurzerhand die Arme auf den Rücken drehten. Roger hielt ihn fest, während Luke seine Taschen durchwühlte. Es klimperte vernehmlich. Luke brachte eine Handvoll Silbermünzen zum Vorschein. Mulhollen hatte unterdessen die Schuldscheine eingesammelt, trat an die Verschanzung und reichte sie herauf. Hasard warf einen kurzen Blick auf die zerknitterten Papierfetzen. Die errechnete Summe stimmte.

„Sechs Pfund“, sagte der Seewolf. „Und ein Pfund zusätzlich als Entschädigung für den Musikanten.“

Die Männer auf der Pier johlten Beifall.

„Also sieben Pfund!“ rief Luke Morgan und zählte mit erhobenen Händen sieben Münzen ab. Den Rest steckte er wieder in Davenports Tasche, dazu die Schuldscheine, die Hasard ihm übergab. Luke händigte dem Zimmermann die Münzen aus.

„Was die Behauptung dieses sehr ehrenwerten Gentleman betrifft“, sagte Hasard, „werden wir morgen überprüfen, was daran stimmt. Wenn er wirklich Passagier sein sollte, muß er das ja beweisen können. Solange wird er wegen unbefugten Betretens unseres Schiffes in die Vorpiek gesperrt.“

Mulhollen und die anderen taten erneut lauthals ihren Beifall kund.

Davenport schrie voller Empörung. „Dazu haben Sie kein Recht, Killigrew! Das dürfen Sie nicht! Ich werde Sie vor Gericht bringen! Sie werden …“

Hasard war nahe vor ihn hingetreten. Sein Blick aus eisigen Augen ließ den Zeternden verstummen. „Hatte ich Ihnen etwas über die richtige Anrede gesagt?“

Davenport preßte wütend die Lippen aufeinander.

„Ich bin Passagier“, fauchte er. „Ob es Ihnen nun paßt oder nicht. Sie werden sich noch wundern, sehr geehrter Sir Hasard. Was Sie gerade tun, ist die Ungeheuerlichkeit, eine Order der Königin zu mißachten.“

„Haben Sie ein Dokument, das diese Order belegt?“ entgegnete der Seewolf ungerührt.

„So etwas brauche ich nicht. In meinen Kreisen genügt das Wort.“

„Ihres reicht mir nicht. Sperrt ihn ein!“

Erneut fing Davenport an zu schreien.

Luke Morgan packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich heran. „Ich warne dich, Freundchen. Die Männer hier an Bord haben ihren Schlaf verdient. Wenn du weiter vorhast, sie zu wecken, stopfte ich dir das Maul. Klar?“

Frank Davenport schrie nicht mehr. Stumm ließ er sich zur Vorpiek führen. Gregory Mulhollen und seine Gefährten zogen zufrieden ab. Es würde eine lange und heitere Nacht werden – im „Red Dragon“.

Hasard klopfte den Deckswachen auf die Schulter, nachdem sie Vollzug seines Befehls gemeldet hatten. Als er sich in seine Kammer zurückzog, hatte ihn trotz allem ein merkwürdiges Gefühl beschlichen.

Dieser Davenport war ein arroganter und menschenverachtender Lümmel, ohne jede Frage. Aber es sah nicht so aus, als ob er die Schebecke rein zufällig als Zufluchtsort ausgewählt und seine Passagiergeschichte aufgetischt hatte.

Im Londoner Hafen lagen genügend Schiffe, die Auswahl war wirklich groß genug. Irgend etwas mußte dahinterstecken. Etwas, das für die Arwenacks keinen Grund zu großer Freude geben würde.

Dennoch würde Hasard seine Entscheidung vertreten können, den adligen Strolch in die Vorpiek gesperrt zu haben. An Bord seines Schiffes hatte er allein das Recht, solche Entscheidungen zu treffen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 607

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