Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 598 - Burt Frederick - Страница 8
2.
Оглавление„Mein Freund, ich danke dir“, sagte der Schotte, indem er den Kopf in beide Hände stützte und sein Gegenüber aus halbgeschlossenen Augen ansah.
„Ich will keinen Dank“, entgegnete Stenmark. „Eine Erklärung wäre mir lieber. Übrigens haben wir einander noch nicht vorgestellt.“ Er nannte seinen Namen und fügte hinzu, daß er zur Crew des Kapitäns Killigrew gehöre, dessen Schebecke an der Towerpier liege.
„Bist kein Englishman, was?“ sagte der Schotte. Er zog die Brauen hoch, ohne den schweren Kopf aus den Händen zu nehmen. „Das macht dich noch sympathischer. Bist ein richtiger Nordmann, stimmt’s?“
Stenmark nickte. „Und du?“
„Oh, entschuldige!“ Betroffenheit spiegelte sich in der Miene des Rotblonden. Er ließ die blutverkrusteten Hände auf die Tischplatte fallen und hob den Kopf. „Ich heiße Rufus Halpine.“
„Nicht MacHalpine?“
„Auf den Arm nehmen kann ich mich selber.“
„Glaube ich. Wer ist Esther?“
„Ein Engel in Menschengestalt, wenn du mich fragst. Aber …“ Er unterbrach sich und zögerte.
„Aber was?“
„Es gibt eine Menge Leute, die sie eher für eine Hexe halten.“
Stenmark runzelte die Stirn. „Ich halte dir zugute, daß du noch nicht ganz an Deck bist. Sonst würdest du nicht solange in Rätseln sprechen.“
Halpine grinste schief und verlegen. „Nimm’s nicht krumm, Mister Stenmark. Habe meine vier Sinne nicht ganz beisammen. Oder wieviel gibt’s davon?“
„Schon möglich, daß dir einer fehlt.“
Der Schotte schlug auf den Tisch, daß es krachte. Er wollte lachen, verzog aber im selben Moment schmerzerfüllt das Gesicht und hielt sich die schmerzende Faust. „Du bist richtig, Nordmann, goldrichtig.“ Er schnaufte wie nach einer unendlichen Mühe. „Ich kann dir sagen, wenn du nicht aufgekreuzt wärst, säße ich jetzt in irgendeinem stinkenden Loch, hinter einer verriegelten Tür, und würde nur noch jammern. Die Schweinehunde hätten mich garantiert halb totgeschlagen, ehe sie mich verschleppt hätten.“
Stenmark nickte. Er sah ein, daß sein Gegenüber keine zusammenhängende Schilderung zustande brachte. Er würde abwarten müssen, bis die Frau zurückkehrte. Vielleicht erfuhr er dann, warum vier ausgewachsene Kerle auf einen wehrlosen Betrunkenen losgegangen waren. Sie hatten zweifellos nicht vorgehabt, ihn auszurauben. Denn nach einem lohnenden Objekt sah er nun wahrhaftig nicht aus.
Stenmark ging zur Pumpe, die sich neben einem steinernen Trog befand. Er füllte zwei Mucks mit Wasser und trug sie zum Tisch.
„Wie wäre es, wenn du dich ein bißchen säubern würdest?“ sagte er. „Könnte ja sein, daß es deinen Wunden guttut, nicht wahr?“
Rufus Halpine trank einen Schluck Wasser, verzog angewidert das Gesicht und schob den Becher von sich.
„Das erledigen die lieben Engel“, sagte er und verdrehte die Augen. Es sollte schwärmerisch aussehen, ließ jedoch eher befürchten, daß er in eine Ohnmacht wegkippen würde.
Stenmark schüttelte den Kopf und schenkte es sich, weitere Fragen zu stellen. Er brauchte jedoch nicht mehr lange zu warten.
Schon am Klang der leichtfüßigen Schritte hörte er, daß es nicht die Frau war, die sie in die Küche geführt hatte.
Im nächsten Moment glaubte er, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.
Die Tür wurde behutsam geöffnet – geradeso, als befürchteten die Eintretenden, jemanden durch allzu forsches Verhalten zu erschrecken.
Zwei junge Frauen waren es – sehr jung und ungewöhnlich hübsch.
Stenmark ertappte sich nach langen Sekunden dabei, daß er den Mund nicht wieder zugekriegt hatte. Doch er konnte den Blick nicht von ihnen wenden: Beide trugen einfache Umhänge, die so aussahen, als wären sie aus Sackleinen geschneidert. Die triste Kleidung erniedrigte sie dennoch nicht zu grauen Mäusen.
„Los, kommt schon!“ sagte die eine energisch. „Ihr müßt hier weg!“ Sie war schwarzhaarig und so rassig, wie man sich eine Spanierin oder eine Italienerin vorstellte.
Stenmark glaubte, Atemzüge lang die Glut ihres Blickes zu spüren. Doch ihr Interesse für ihn mochte Einbildung sein, Wunschdenken vielleicht.
Rufus Halpine erhob sich willig und tappte wie ein honigtrunkener Bär auf die Frauen zu. Die andere, die ihm beim Arm nahm, hatte mittelblondes Haar und braune Augen. Auch sie war auf ihre Weise eine Schönheit, wirkte allerdings etwas kühler als ihre Gefährtin.
„Und du?“ herrschte die Schwarzhaarige den Schweden an. „Brauchst du eine Extra-Einladung?“
Schon in der Tür, wandte sich Halpine um und grinste bis zu den Ohrläppchen. „Mann, auf was wartest du, Mac? Wir kriegen ein trockenes Quartier für die Nacht, sie versorgen deine Schrammen und Beulen, und morgen gibt’s ein Frühstück – ein Frühstück, sage ich dir! Ein Frühstück …“
Brabbelnd schwärmte er noch im Korridor von der Morgenmahlzeit, während ihn die Braunäugige schon energisch hinausschob.
Stenmark wollte erklären, daß er eine trockene Unterkunft und alle anderen Vorzüge an Bord der Schebecke habe. Daß er keine mildtätige Hilfe brauchte. Daß er kein Säufer sei und nicht mit Rufus Halpine über einen Kamm geschoren werden wollte.
Aber er sagte doch nichts davon. Seine Neugier war stärker. Er wollte nun endlich herausfinden, was es mit diesem merkwürdigen Geschehen auf sich hatte.
Mit einem Lächeln reagierte er auf den Befehlston der Schwarzhaarigen. Und erneut mußte er staunen, als er sah, wie die Selbstsicherheit in ihrer Miene zerbröckelte.
„Eine besondere Einladung von Ihnen würde mir sehr gut gefallen“, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung. „Aber in Anbetracht der Umstände verzichte ich diesmal noch darauf, Madam. Mein Name ist übrigens Stenmark. Es freut mich, Sie begleiten zu dürfen.“
Die Reihe war an ihr, verdattert zu sein.
„Ich bin Samantha Hogan“, erwiderte sie wie ungewollt und blinzelte verwirrt.
Stenmark nickte ihr zu und ging an ihr vorbei. Er sah Halpine und die andere junge Frau am Ende des Korridors, zur jenseitigen Straße hin. Allem Anschein nach legten die beiden Helferinnen Wert darauf, daß die Frau, die die Männer in ihrem Haus aufgenommen hatte, nicht mit der Hilfsaktion in Verbindung gebracht werden konnte. Weder jene resolute Frau noch ihr Sohn, von dem sie gesprochen hatte, ließen sich blicken.
Samantha Hogan und ihre Gefährtin führten die beiden Männer durch ein Labyrinth engster Gassen. Nicht einmal Pferdefuhrwerke hätten Platz gehabt. Stenmark erkannte, daß sie mit voller Absicht diese unauffällige Marschroute wählten. Sie wollten um keinen Preis auffallen.
Es dauerte kaum mehr als zehn Minuten, dann erreichten sie eine breitere Gasse. Stenmark konnte das Straßenschild entziffern, da es von einer Laterne erhellt wurde. Exeter Lane. Er prägte es sich ein.
Samantha und ihre Gefährtin blieben mit den beiden Männern auf der dunklen Seite der Gasse. Eine Vorsichtsmaßnahme, die überflüssig zu sein schien. Denn keine andere Menschenseele war zu sehen. Nichtsdestoweniger mußten die Frauen handfeste Gründe für ihr Verhalten haben. Davon war Stenmark überzeugt.
Weder Samantha Hogan noch die Braunäugige erweckten den Eindruck, daß sie sich über die Bedeutung jedes ihrer Schritte nicht vollständig im klaren waren. Samanthas Gefährtin stützte Rufus Halpine, indem sie seinen Arm hielt. Er hatte nicht das geringste dagegen einzuwenden, obwohl er längst ernüchtert und keineswegs mehr unsicher auf den Beinen sein mußte.
Nach ungefähr dreißig Yards gab es eine große Lücke in der Reihe der sonst schmalgiebligen Häuser, die auch am Exeter Lane dicht an dicht standen. Die Lücke maß gut und gerne fünfzig Yards. Bäume und Sträucher, deren Zweige noch kahl waren, säumten die Straßenseite des Grundstücks und formten einen Eingang, der wie einer dieser italienischen Gärten aussah, die derzeit in den noblen Londoner Kreisen große Mode waren.
Durch das Gewirr der dürren Zweige schimmerte Licht. Beim Näherkommen sah Stenmark, daß es sich um Laternen handelte, die eine hellgraue, fast weiße Gebäudefassade beleuchteten. Es war ein hochherrschaftliches Bauwerk, aus edelstem Sandstein errichtet und dadurch aus der Masse des Tudor-Fachwerks herausragend.
Sie überquerten die Gasse und betraten den Garten, der im Sommer vermutlich kaum noch etwas von dem Haus sehen ließ. Stenmark spürte die Erleichterung der beiden Frauen. Ihre Haltung war weniger angespannt.
Samantha Hogan musterte ihn von der Seite. Er wandte den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich. In der schwachen Helligkeit der Laternen sah Stenmark ihr Erröten. Rasch blickte sie wieder nach vorn – wie ein kleines Mädchen, das bei einem Streich ertappt worden war.
Er brach das Schweigen. „Sind Sie Engländerin, Madam?“
Aus ihrem erneuten Seitenblick schloß er, daß sie froh darüber war, wie er ihr über den für sie peinlichen Moment hinweghalf.
„Ja“, antwortete sie leise und gar nicht mehr so energisch wie im ersten Augenblick ihrer Begegnung. „Warum fragen Sie?“
„Sie sehen hinreißend aus. Wie eine Spanierin. Oder eine Italienerin.“
„Süßholzraspler!“ Sie lachte und errötete diesmal nicht.
„Nein, ich meine es ernst.“
Samantha sah ihn aus leuchtenden Augen an. „Grisina ist Italienerin, meine Freundin.“ Sie deutete mit einer Handbewegung auf die Braunäugige, die bereits den Hauseingang erreichte und Halpine hinter sich herzog. „Grisina Musante. Sie ist waschechte Italienerin, obwohl sie nun wirklich nicht so aussieht. Sie ist die Tochter eines italienischen Kaufmanns, dem bis vor kurzem eine Handelsagentur in London unterstand. Grisina hat sich schon vor zwei Jahren von ihrer Familie losgesagt. So lange arbeiten wir beide bereits für Esther Ransom. Jetzt, als ihre Eltern und Geschwister nach Mailand zurückgingen, blieb Grisina allein in London. Es ist ihr nicht leichtgefallen, aber bei Esther haben wir alle ein neues Zuhause gefunden.“
„Warum erklären Sie das einem Trunkenbold?“
„Wie bitte? Wie – wie können Sie so etwas sagen?“
„Aber Sie halten mich doch für einen Säufer. Oder etwa nicht?“
„Das war nur zu Anfang. Jetzt weiß ich es besser.“ Samantha blieb unter dem schmalen Säulenvordach stehen. Sie lächelte auf einmal, als sie den blonden Mann ansah. „Jetzt habe ich das Gefühl, daß Sie sich ein bißchen einschleichen wollen, Mister Stenmark.“
„Warum schicken Sie mich dann nicht weg?“
Ihr Blick bemächtigte sich des seinen und ließ ihn nicht mehr los. Ein zarter Schleier schien sich über ihre dunklen Augen zu senken, und doch verlor ihr Blick nichts an Intensität. „Würden Sie sich denn einfach wegschicken lassen, Mister Stenmark?“
„Nein“, erwiderte er mit belegter Stimme. „Und lassen Sie um Himmels willen den Mister weg. Das Sie halte ich auch für überflüssig. Seeleute haben keine Zeit für so überflüssiges Wortgestelze.“
„Verzeihung. Im Umgang mit Trunkenbolden haben wir es uns angewöhnt, vorsichtig zu sein.“ Samantha sagte es verschmitzt und augenzwinkernd. „Manchmal weiß man nicht, wie diese Kerle reagieren. In ihrem Zustand sind sie oft die reinsten Mimosen. Und entsprechend gefährlich.“
Die Stimme der Italienerin erklang aus der Eingangshalle des großen Hauses. „Samantha, wo bleibst du denn?“
Die Schwarzhaarige reagierte nicht. Sie blickte unverwandt zu Stenmark auf und sagte leise: „Nun, ich möchte auch das Wort Madam nicht mehr hören. Und was das Sie betrifft …“
„Wir sollten Grisina und dieses wandelnde Whiskyfaß nicht warten lassen“, entgegnete Stenmark ebenso gedämpft. „Ich bin sicher, ich werde gleich erfahren, was es mit der rätselhaften Esther auf sich hat.“
Samantha nickte. Kurz entschlossen nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich. Stenmark spürte eine kribbelnde Wärme, die von ihrer zarten Hand ausging, in seinem Arm hochstieg und bald seinen ganzen Körper erfüllte.
Hölle und Teufel, er hatte Mühe, sich überhaupt auf seine Umgebung zu konzentrieren. Wenn ihn nicht alles täuschte, verdankte er es diesem schottischen Saufbold, daß er in einen Zauber verfallen war, wie er ihn noch nie erlebt hatte.
Dieser Zauber hatte die Gestalt einer südländischen Schönheit, war jedoch Engländerin und hieß Samantha Hogan.
Er blickte auf ihre schmale, aber kräftige Hand, die ihn so zielstrebig führte. Samantha war es gewohnt, Männer zu lenken. Männer wie Rufus Halpine jedoch. Stenmark empfand es nicht als Gängelei. Diese zauberhafte junge Lady erweckte den Eindruck, daß sie stolz war, ihr Reich vorzeigen zu können.
„He, Nordmann!“ rief Halpine grunzend und sah ihn blinzelnd, mit vorgerecktem Klotzkopf an. „Willst doch wohl keine vertraulichen Gespräche führen, was? Daß du mir nicht anfängst, mit unserem Engel Samantha herumzuturteln! Die Ladys sind für alle da, verstanden?“ Er hob gespielt tadelnd den Zeigefinger der freien Hand.
„Entweder bist du zu nüchtern“, entgegnete Stenmark grinsend, „oder du siehst schon wieder Gespenster – jene die aus dem Wasser des Lebens entspringen.“
„Uisge Beatha!“ rief Halpine schwärmerisch und mit einer ausladenden Handbewegung. „Uisge Beatha, mein Freund, weißt du, was das heißt? Uisge Beatha ist Keltisch und heißt …“
„Wasser des Lebens“, sagte Grisina Musante energisch und zog ihn weiter. „Wenn du sonst nichts weißt – das weißt du. Brauchst uns nicht zu erzählen, daß von Uisge Beatha das englische Wort Whisky abstammt. Und alle Völker dieser Erde beanspruchen anscheinend für den Fusel, den sie brennen, daß er das Wasser des Lebens sei. Es ist das Gebräu des Todes, Rufus Halpine!“ Ihre energische Stimme hallte von den holzgetäfelten Wänden wider. „Eines Tages wirst du das begreifen, wenn du röchelnd daliegst und dein erbärmliches Leben im Suff aushauchst!“
Halpine zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern und drehte sich verstohlen zu Stenmark um. Aber der Schwede war vollauf damit beschäftigt, Samanthas tiefen Blick zu erwidern, und so blieb dem bulligen rotblonden Mann nichts anderes, als willig an Grisinas Seite dahinzutrotten. Die Schritte der Italienerin verursachten ein rhythmisches Pochen voller Entschlußkraft.
Aus der Eingangshalle führte je ein Korridor nach links und nach rechts, außerdem eine breite, geschwungene Treppe ins Obergeschoß. Es fehlte der Luxus, der früher in diesem Bürgerhaus vorgeherrscht haben mußte. Der Fußboden bestand aus einfachen dunklen Steinplatten, nur noch die Holztäfelung der Wände erinnerte an den mutmaßlichen Glanz früherer Zeiten.
Statt kristallener Kronleuchter und kostbaren Messinglampen gab es lediglich einfache gußeiserne Lampengehäuse, die an den Wänden befestigt waren. An den Türen der vielen Zimmer waren Ziffern aus hellem Holz festgeleimt. Stenmark meinte, aus einigen dieser Zimmer heisere, lallende Stimmen zu hören. Wegen der Schrittgeräusche war er jedoch nicht sicher.
Grisina strebte in dem Korridor zur Linken voran. Rufus Halpine erinnerte mehr denn je an einen großen, dahintappenden Bären.
Stenmark fühlte sich wie trunken von jener Wärme, die unablässig aus der schmalen Hand Samanthas in seinen Körper überging. Die Glut ihrer Augen tat ein übriges, um seinen Verstand in einen unbedeutenden Winkel seines Bewußtseins zu schieben.
In Samanthas Nähe verlor so manches an Bedeutung, was ihm eben noch wichtig erschienen war. Warum interessierte er sich überhaupt noch für diese Esther Ransom und ihr offenbar wohltätiges Wirken? Was ging ihn dieses Haus an, das allem Anschein nach einem völlig anderen Zweck diente als dem, für den es einmal gebaut worden war? Hölle und Teufel, er würde für Samantha da sein, für niemanden sonst.
Ein Funke war übergesprungen, wie vom Flint auf das Zündpulver, und die jäh entstandene Glut fraß sich rasch voran. Der Zeitpunkt, an dem es zur Explosion der Gefühle kommen würde, schien unaufhaltsam und immer schneller zu nahen. Etwas war mit ihm geschehen, und es hatte sie beide aus heiterem Himmel getroffen.