Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 476 - Burt Frederick - Страница 7

2.

Оглавление

Schweigend hatten Jean Ribault und Roger Lutz beobachtet, wie der sehr ehrenwerte Señor Gouverneur gleich nach dem Erwachen erneut zu dem Felsensims hochgestiegen war und sich unter dem Wasserfall an der Steilwand entlanggetastet hatte.

Nur noch das Rauschen der herabstürzenden Fluten war zu hören.

„Scheint so, als ob er ruhiger geworden sei“, sagte Jean Ribault. „Aber ganz richtig im Kopf ist er garantiert nicht mehr.“ Der sonderbare Schrei, den de Escobedo beim Erwachen ausgestoßen hatte, war nicht zu überhören gewesen.

„Der denkt, er sei nicht mehr ganz allein“, entgegnete Roger Lutz mit leisem Lachen. „Jetzt sieht er wahrscheinlich nach, ob in der Nacht jemand was geklaut hat.“

„Oder er will im Gold wühlen“, sagte Ribault lächelnd und wußte nicht, wie recht er hatte.

„Auf jeden Fall ist er immer noch komplett verrückt“, erwiderte Roger Lutz.

„Das würde bedeuten, daß er unberechenbar ist.“ Jean Ribault zog nachdenklich die Stirn kraus, während er unablässig den Wasserfall mit seinen wie aus unergründlicher Tiefe emporsteigenden Gischtschwaden beobachtete.

Roger Lutz bewegte den Kopf bedächtig von einer Seite zur anderen.

„Was er tut, wird er schon wissen. Selbst die verdrehtesten Kerle wissen genau, welcher Kurs richtig ist, wenn es um Zaster geht.“

„Dem kann ich nicht widersprechen“, sagte Jean Ribault. „Aber wie auch immer, wir müssen erst einmal abwarten, wie der Hundesohn sich weiter verhält.“

„Das ist mir schon jetzt völlig klar“, erklärte Roger Lutz. „Der Bursche haut in den Sack. Das kann er sich jetzt leisten.“

„Und wie wird er das deiner Meinung nach anstellen?“

„Ganz einfach. Er wird versuchen, sich in Batabanó ein Schiff zu besorgen. Wenn er das geschafft hat, läßt er den gesamten Schatz dorthin verladen und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Auf den Gouverneursposten kann er mit seinem neuen Reichtum pfeifen.“

„Die Sache hat nur einen Haken“, entgegnete Jean Ribault. „De Quintanilla hat seine Schätze mit Maultierzügen hierherbringen lassen. Man kann sich also ungefähr vorstellen, was für einen Umfang dieses Vermögen hat. De Escobedo müßte ebenfalls Maultierzüge nach Batabanó organisieren, wenn er alles auf die Seite schaffen will. Damit hätte er aber schon wieder Mitwisser am Hals.“

Roger Lutz winkte ab.

„Kein Problem für ihn, wenn er mit denen umgeht wie mit dem Fuhrunternehmer.“

Jean Ribault nickte und lachte leise. Es hatte wenig Sinn, über de Escobedos weiteres Verhalten Mutmaßungen anzustellen. Wahrscheinlich war er wegen seines umnebelten Hirns tatsächlich unzurechnungsfähig.

Die beiden Männer frühstückten von den mitgebrachten Vorräten und warteten ab.

Etwa eine Viertelstunde verging, bis der Kerl hinter dem Wasservorhang wieder auftauchte. Über der Schulter trug er zwei dickbauchige Ledersäcke.

„Der hat es nicht lassen können“, flüsterte Roger Lutz. „Der mußte einfach schon mal zulangen.“

„Vielleicht ist er doch nicht so wirr im Kopf, wie wir denken“, entgegnete Jean Ribault ebenso leise. „Das, was er sich da geholt hat, könnte sein Betriebskapital sein.“

„Für was?“

„Glaubst du, Maultiere und Treiber kriegt er umsonst?“

Roger Lutz bedachte seine eigene Begriffsstutzigkeit mit einem Kopfschütteln.

Alonzo de Escobedo verhielt sich jetzt äußerst zielstrebig, was dem vermeintlichen Nebel im Hirn deutlich widersprach. Nachdem er etwas gegessen hatte, sattelte er sein Pferd, hängte die beiden Ledersäcke über die Kruppe und versteckte sie unter einer Decke. Sorgfältig verwischte er anschließend die Spuren an seinem Lagerplatz, stieg in den Sattel und ritt ostwärts am Fluß entlang.

Die beiden Männer vom Bund der Korsaren folgten ihm geräuschlos und mit dem gebührenden Abstand.

Als de Escobedo jene Stelle erreichte, wo der Fluß nach Süden in Richtung Batabanó abbog, wandte er sich nicht nach rechts, wie es die Verfolger erwarteten. Er lenkte sein Pferd nordwärts auf den Pfad, der nach Havanna führte.

Die beiden Männer verharrten hinter einem mächtigen Mangrovenstamm. Roger Lutz wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Morgensonne hatte bereits sengende Kraft. Und de Escobedo hatte ein beträchtliches Tempo vorgelegt. Er schien es eilig zu haben, an seinen Amtssitz zurückzukehren.

„Das habe ich nicht erwartet“, gab Roger Lutz zu. „Warum ist er nicht nach Batabanó geritten? Dort könnte er sofort alles in die Wege leiten, den Schatz bergen lassen und dann verschwinden.“

„Ich weiß es nicht“, entgegnete Jean Ribault. „Auf jeden Fall können wir beruhigt sein. Seinen Ritt nach Batabanó hätten wir nämlich verhindern müssen.“

„Klar“, sagte Roger Lutz und nickte. „So ein Schatz darf dem Bund der Korsaren nicht durch die Lappen gehen. Dafür werden wir schon sorgen. Das sind wir allein unserem hochverehrten Fettsack de Quintanilla schuldig. Schließlich können wir nicht zulassen, daß er von seinem Nachfolger übers Ohr gehauen wird. Oder?“

Jean Ribault versetzte ihm einen freundschaftlichen Hieb in die Seite.

„Spuck nicht so große Töne. Noch ist gar nichts in Ordnung. Verschaffen wir uns erst mal einen Überblick.“

Sie warteten, bis die Hufgeräusche verklungen waren. Dann wandten sie sich um und marschierten zurück in Richtung Flußtal. Für den Weg brauchten sie eine knappe Stunde. Dann drangen sie bis an das westliche Ende des Tales vor, wo die Wassermassen mit Getöse von der Steilwand stürzten.

Selbst aus allernächster Nähe war der Eingang zum Schatzversteck nicht zu erkennen. Ohne Zeit zu verlieren, stiegen die beiden Männer vom Bund der Korsaren zum Felsensims hinauf. Fast staunten sie darüber, wie einfach es war, hier den Wasserfall zu unterqueren. Lediglich dünne Fahnen von Wasserstaub erreichten sie. Es war einfacher, die Höhle zu erreichen, als sie gedacht hatten.

Dann, als sie den Felsengang betraten, stellten sie sehr bald fest, daß es sich nicht einfach nur um eine Höhle handelte. Der Gang erweiterte sich zu einem regelrechten Höhlensystem.

Staunend erforschten die beiden Männer das Gewirr von Gängen und Kavernen, das an ein Labyrinth erinnerte. Auf jeden Fall konnte niemand etwas Derartiges hinter dem Wasserfall vermuten.

Doch endgültig verschlug es Jean Ribault und Roger Lutz die Sprache, als sie sahen, was in den Höhlen und Gängen gestapelt und aneinandergereiht war.

Kisten, Fässer und Truhen in geradezu unüberschaubarer Menge. Hätte man alle Behälter zählen wollen, wäre zweifellos der Vormittag dabei draufgegangen. Doch die beiden Männer verzichteten darauf, auch noch in den letzten Ecken und Winkeln nachzusehen, wo sich überall Behälter befanden.

Sie verharrten in einer größeren Höhle, in der Kisten und Truhen zu einer schräg ansteigenden Halde aufgeschichtet waren, die mehr als Mannshöhe erreichte.

Roger Lutz deutete auf eine Truhe, die ganz vorn stand. Das Wachstuch war aufgeschlitzt.

„Hier muß er sich bedient haben, unser verehrter Freund, der Gouverneur.“ Er schlug das Wachstuch auseinander und öffnete den Truhendeckel.

Noch zu etwa drei Vierteln war die Truhe mit golden schimmernder Pracht gefüllt. Kein Zweifel, daß de Escobedo seine Ledersäcke mit Münzen aus dieser Truhe vollgestopft hatte.

Jean Ribault nahm ein paar der geprägten Goldstücke in die Hand und warf sie dann wieder zurück. Wie unvorstellbar viele Menschen mochten ihr Leben gelassen haben, damit diese äußeren Anzeichen spanischen Reichtums entstehen konnten? Seit den Erlebnissen in und um Potosi wußten die Männer vom Bund der Korsaren nur zu gut, wie sich die Indianer in den Gold- und Silberminen der Spanier buchstäblich zu Tode schufteten – wie sie hungerten, wie sie an Krankheiten zugrunde gingen, die sie nie gekannt hatten, wie sie als einst freie Menschen zu Sklaven verkümmerten.

Der schlanke Franzose betrachtete die gestapelten Behälter, die samt und sonders in Wachstuchleinwand eingeschlagen waren, damit der Inhalt trocken gehalten wurde. Don Antonio de Quintanilla hatte sorgfältig darauf geachtet, daß die Lagerfähigkeit seiner gehäuften Schätze praktisch unbegrenzt war.

Er schüttelte stumm und fassungslos den Kopf.

„Ungeheuerlich“, murmelte er.

Roger Lutz sah ihn forschend an.

„Was meinst du – wie die Dons die Ureinwohner ausbeuten?“

Jean Ribault atmete tief durch.

„Auch das. Aber es ist nicht zu fassen, was de Quintanilla hier angehäuft hat.“

Roger Lutz tippte sich an die Stirn.

„Der Dicke hat sowieso nicht alle beisammen. Wenn du mich fragst, dürfte sein Leben nicht ausreichen, um den ganzen Klunkerkram zu verbrauchen. Ganz abgesehen davon, daß er bei seiner Verfressenheit sowieso kein langes Leben zu erwarten hat.“

Jean Ribault nickte nachdenklich.

„Eine krankhafte Raffgier“, sagte er gedehnt, „eine regelrechte Manie.“ Er deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die Gänge, die zu den Nebenhöhlen führten. „Schon ein Bruchteil von diesen Schätzen würde genügen, ihn als steinreichen Mann leben zu lassen.“

„Und ich wette“, sagte Roger Lutz, „er könnte leben wie Gott in Frankreich und würde es doch nicht schaffen, alles zu verbrauchen.“

Jean Ribault lächelte. Es war in der Tat ein gigantischer Reichtum, den Don Antonio de Quintanilla im Laufe seiner Amtsjahre als Gouverneur von Kuba in dieses versteckte Flußtal hatte transportieren lassen. Geradezu unvorstellbar groß mußte die Zahl seiner weitverzweigten Einnahmequellen gewesen sein. Und vermutlich wußte nicht einmal de Quintanilla selbst, wie viele Menschenleben seine Raffgier gekostet hatte.

„Nehmen wir ein paar Stichproben“, sagte Jean Ribault schließlich. „Unser Bericht wäre sonst später unvollständig.“

Sie zogen ihre Entermesser und begannen mit der Arbeit. Dabei gingen sie so unauffällig wie möglich zu Werke. Die Behälter, die sie überprüften, stellten sie mit der aufgeschlitzten Seite des Wachstuches so, daß man den zertrennten Teil nicht sehen konnte. Man konnte nicht wissen, wann Alonzo de Escobedo oder seine Handlanger hier wieder auftauchten.

Es stellte sich heraus, daß die Helfer de Quintanillas überaus sorgfältige Arbeit geleistet hatten, als sie die einzelnen Bestandteile des immer größer werdenden Gouverneurs-Schatzes in dem Höhlensystem einlagerten.

In der Kaverne, in der sich de Escobedo aus der Truhe bedient hatte, befanden sich ausschließlich Goldmünzen in den verschiedenartigsten Behältern. Eine weitere Höhle war Silbermünzen vorbehalten. Weiter im Inneren des Felsens befand sich eine Kaverne, die annähernd die Größe eines Tanzsaales hatte. Hier lagerten unermeßliche Vorräte von Gold- und Silberbarren, allesamt säuberlich in Kisten aufgeschichtet und außer der gewachsten Kistenumhüllung auch noch einzeln in Wachspapier eingeschlagen.

Don Antonios Schatzlager beschränkte sich jedoch nicht nur auf Edelmetalle. In weiteren Kavernen waren Truhen mit Edelsteinen und Halbedelsteinen untergebracht. Perlen von ausgesuchter Qualität lagerten zentnerweise in Fässern. Getrennt in einer Höhle waren außerdem die sichtbaren Zeichen der Ausbeutung und Plünderung der neuen Welt untergebracht – indianische Kult- und Schmuckgegenstände waren so sorgfältig in Kisten verpackt, daß selbst bei einer stürmischen Überfahrt nach Spanien nichts zerbrochen wäre.

Doch zu einer solchen Überfahrt würde es wohl kaum noch kommen.

Zum Abschluß ihrer Stichproben stießen Jean Ribault und Roger Lutz auch noch auf eine Kiste, die feinstes chinesisches Porzellan enthielt. Der Teufel mochte wissen, auf welchen verschlungenen Pfaden er an diese besonderen Stücke in seiner Sammlung gelangt war.

Die beiden Männer rückten schließlich auch diese Kiste genau wieder an ihren Platz.

„Mann, Mann!“ sagte Roger Lutz, als sie wieder die vorderste Höhle erreichten. „Das wird in Arbeit ausarten, wenn wir tatsächlich eines Tages den ganzen Krempel bergen.“

Jean Ribault überzeugte sich mit wenigen Blicken, daß sie keine Spuren hinterlassen hatten.

„Nicht eines Tages“, sagte er grinsend, „sondern so bald wie möglich. Wie ich Hasard kenne, wird er nicht zögern, hier reinen Tisch zu machen.“

Die beiden Männer waren wie erschlagen. Kein Mensch konnte auf Anhieb begreifen, wie es dem feisten de Quintanilla gelungen war, auf unverfängliche Weise diesen gigantischen Reichtum anzusammeln. Wie, in aller Welt, mochte er seine Mitwisser zum Schweigen gebracht haben? Selbst der einfältigste Maultiertreiber konnte zwei und zwei zusammenzählen. Und im Verlauf des Marsches von Havanna bis in das paradiesische Flußtal mußte selbst einem simplen Gemüt so allerlei durch den Kopf gehen. Hatte nicht vielleicht sogar der eine oder andere auch heimlich eine „Stichprobe“ vorgenommen?

Doch es würde wohl nie alles ans Tageslicht dringen, was sich im Zusammenhang mit de Quintanillas Mammutschatz abgespielt hatte.

Ribault und Lutz stellten eine kurze Überschlagsrechnung an und gelangten zu der Feststellung, daß die Laderäume von „Eiliger Drache“ und der „Isabella“ oder der „Caribian Queen“ knapp ausreichen würden, um die gesamten Schatzgüter aufzunehmen.

Auf keinen Fall durften de Escobedo oder sein dicker Amtsvorgänger Nutznießer des gehäuften Reichtums werden. Sie mußten alles daransetzen, die Freunde vom Bund der Korsaren so rasch wie möglich zu verständigen. Dann konnte das Erforderliche in die Wege geleitet werden.

Die beiden Franzosen verließen das Höhlensystem, unterquerten den Wasserfall auf dem Felsensims und begannen, auch die Umgebung zu erkunden. Schweißtreibende Fußmärsche waren erforderlich, um die Erkenntnisse zu sammeln, die für ein Gelingen der geplanten Aktion erforderlich waren.

Am geeignetsten erschien den beiden Männern eine geräumige Bucht, die sich fast genau südlich des Wasserfalls an der Küste befand. Diese Bucht, in der die Schiffe des Bundes zum Ausräumen der Kavernen vor Anker gehen konnten, lag westlich von Batabanó und bot somit die besten Voraussetzungen, bei der Aktion unbemerkt zu bleiben.

Nach der Erkundung kehrten sie noch einmal in das paradiesische Flußtal zurück. Die Kleidung klebte ihnen am Körper, und das Rauschen des Wasserfalls hatte sie geradezu magisch angezogen.

Unterhalb der herabstürzenden Fluten, einen Steinwurf weit entfernt von den weißschäumend aufsteigenden Gischtschwaden, hatte sich ein kleiner See gebildet, ein Anhängsel des Flusses, das mit seiner nahezu glatten Oberfläche dennoch eigenständig war. In dem kristallklaren Wasser war der Grund aus Geröll und Felsen deutlich zu erkennen.

Die Männer entledigten sich ihrer verstaubten und verschwitzten Kleidung und stürzten sich kopfüber in die Fluten. Das Wasser war eisig kalt. Mit kraftvollen Schwimmzügen durchmaßen sie den See, um ihre erhitzten Körper dem Temperaturunterschied anzugleichen. Es war eine Erfrischung, wie sie angenehmer kaum vorstellbar war.

Sie wuschen ihre Kleidung in dem frischen Wasser, wrangen alle Stücke sorgfältig aus und hängten sie zum Trocknen ins Gebüsch. Die Sonne trocknete den Stoff in weniger als einer halben Stunde. Nach einem letzten Sprung in die Fluten kleideten sie sich an und marschierten mit zügigen Schritten zurück in Richtung Havanna, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß sie keine Spuren hinterlassen hatten.

Ohnehin stand fest, daß ein „Unbefugter“ das Schatzversteck hinter dem Wasserfall nur aus purem Zufall finden konnte. Abgesehen davon verirrte sich sowieso kaum jemals eine Menschenseele in das abgelegene Flußtal.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 476

Подняться наверх