Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 402 - Burt Frederick - Страница 5

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Die Umrisse der Kriegsschiffe waren in der Dunkelheit mehr zu ahnen, als wirklich zu erkennen. Mächtige, drohende Schatten waren es, die der Nordostwind über das Karibische Meer trieb – unaufhaltsam und wie von einem Eigenleben beseelt, das nur den einen unerschütterlichen Willen kannte: Kurs auf die Schlangen-Insel. Tod den blutrünstigen Piraten unter dem Engländer Philip Hasard Killigrew!

Ja, mit ihren schattenhaften Silhouetten wirkten jene Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen wie urwelthafte Wesen, deren ruhiges Dahinrauschen ein trügerisches Bild vermittelte. Von den Schaluppen wie von bissigen Wachhunden abgeschirmt, würden sie sich in Minutenschnelle in Feuer und Eisen speiende Ungeheuer verwandeln. Eine geballte, tödliche Vernichtungskraft würde sich dabei entwickeln, gegen die nur ein fast übermenschliches Maß an Entschlossenheit und Tapferkeit zur Verteidigung ausreichen mochte.

Don Juan de Alcazar war kein Mann, der sich von düsteren Stimmungen in einen Gedankenwinkel treiben ließ, in dem es keine Klarheit mehr gab. Auch unter den widrigsten Umständen war er ein Mann der Tatkraft und der nüchternen Überlegtheit. Der Seewolf und seine Gefährten hatten dies erkannt, als er noch im feindlichen Lager gestanden hatte. Jetzt aber, da er sich auf die Seite des Bundes der Korsaren geschlagen hatte, war er bereit, die Ziele seiner neugewonnenen Freunde mit aller Kraft zu verfolgen.

An diesem Abend des 22. Juli Anno 1594 vermochte Don Juan indessen einen Hauch von Unbehagen nicht zu unterdrücken. Sicherlich lag das mehr an der Vorstellung dessen, was den Verteidigern der Schlangen-Insel bevorstand. Würde den Männern um Philip Hasard Killigrew überhaupt genügend Zeit bleiben, um sich auf den unvermeidlichen Großangriff vorzubereiten?

Und wie sah es mit ihren Chancen aus, im Kampf gegen Capitán Cubera zu bestehen? Don Juan kannte den Verbandsführer. Ein erfahrener Seeoffizier, an dem sich schon mancher Gegner die Zähne ausgebissen hatte. Cubera hatte das Seekriegshandwerk in jenen großen Kämpfen erlernt, die sicher noch in den Geschichtsbüchern späterer Jahrhunderte Erwähnung finden würden. Zweifellos war dieser Mann dem Seewolf ebenbürtig.

Die Überlegenheit des in Havanna zusammengestellten und später ergänzten Kampfverbandes beruhte jedoch neben seiner Feuerkraft auch auf der Zahl der an Bord befindlichen Seesoldaten und Seeleute. Insgesamt zweitausend Mann mußten es jetzt wieder sein, gegen die der Bund der Korsaren rein zahlenmäßig wie ein Zwerg wirkte. Nur durch Klugheit und geschickte Taktik konnten Killigrew und seine Freunde gegen diese Übermacht vielleicht bestehen.

Die Ungewißheit war es, die Don Juan in verschiedener Hinsicht plagte. Neben dem Schicksal des Bundes der Korsaren ging es vor allem um die Frage, ob er durch seine Störangriffe auf den Verband für genügend Aufschub gesorgt hatte.

Und jetzt, da er vom Achterdeck der Schebecke aus in die Dunkelheit spähte, stand im Vordergrund die Frage, ob der Verband den hartnäckigen Fühlungshalter gesichtet hatte. Mit seinem schwarzen Rumpf, dem roten Schanzkleid und den rotweiß gestreiften Lateinersegeln war der Dreimaster zweifellos nur auf geringe Entfernung zu erkennen. Dennoch konnte man nach den jüngsten Ereignissen nicht mehr ganz sicher sein. Cubera war gewarnt und hatte sich auf die Bedrohung aus dem Dunkel eingerichtet.

Erst in den Nachmittagsstunden dieses zur Neige gehenden Tages hatte Don Juan das Auslaufen des Kampfverbandes aus Remedios beobachtet. Zumindest zu jenem Zeitpunkt konnte er von den Ausgucks des spanischen Verbandes auf keinen Fall bemerkt worden sein. Ankerplatz der Schebecke war die Bucht einer dem Hafenort vorgelagerten Insel gewesen. Dieses Eiland, das zur Gruppe der Cayo-Fragoso-Inseln gehörte, hatte ausgezeichnete Versteckmöglichkeiten geboten.

Als unschätzbarer Vorteil hatten sich überdies die kurzen Pfahlmasten der Schebecke erwiesen. Unter den überhängenden Zweigen des Uferdickichts war der Dreimaster nahezu unsichtbar gewesen. Auch die Möglichkeit des Riemenantriebs erwies sich in solchen Situationen immer wieder als günstig, denn die Schebecke konnte dadurch in problematischen Gewässern rasch und mühelos verholen.

Nach den vorangegangenen Ereignissen hatten Don Juan, Ramón Vigil und die anderen voller Spannung darauf gewartet, welche Entscheidungen Cubera treffen würde.

Noch gemeinsam mit Arne von Manteuffel hatten Don Juan und seine Männer einen weiteren nächtlichen Angriff auf den Verband gefahren, wobei die Ruderanlagen der beiden in Schlußposition segelnden Karavellen beschädigt worden waren. Ausgerechnet hatte es dabei die „Gaviota“ ein zweites Mal getroffen. Dieses Mal allerdings so erheblich, daß die Karavelle – mit einem Notruder versehen – nach Remedios schleichen mußte. Die andere Karavelle hatte es weniger schlimm erwischt. Ihr Ruder war mit Bordmitteln repariert worden.

Wenn er sich vorstellte, wie Capitán Cubera und seine Offiziere angesichts der rätselhaften Angriffe in Wut geraten waren, konnte sich Don Juan auch jetzt noch eines Lächelns nicht erwehren.

Er hatte Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn in dem Hafenort La Isabela, nördlich von Sagua la Grande gelegen, abgesetzt. Der Vetter des Seewolfs mußte unbedingt seine Tarnrolle als deutscher Kaufherr in Havanna wieder aufnehmen. In diesem Punkt waren, sich Arne und Don Juan nach kurzer Besprechung einig gewesen.

Die Schebecke war anschließend der „Gaviota“ nach Remedios gefolgt. Zwei Galeonen, vom Kapitän der Karavelle als Unterstützung für den Kampfverband in Marsch gesetzt, hatten unliebsame Bekanntschaft mit der Feuerkraft und der Wendigkeit des algerischen Dreimasters schließen müssen.

Don Juan und seine Männer hatten ihnen die Ruderanlagen zerschossen, und die Galeonen hatten sich beim Rammstoß hoffnungslos ineinander verkeilt. Nachdem der herannahende Kampfverband Hilfe geleistet hatte, war Cubera kurze Zeit später offenbar in Remedios an Land gegangen, um seine weiteren Maßnahmen zu treffen.

Das Ergebnis hatte Don Juan in den Nachmittagsstunden aus sicherem Versteck heraus beobachtet. Nach dem Auslaufen aus Remedios hatte der Verband wieder seine alte Marschformation eingenommen. Vorn in der Mitte segelte das Flaggschiff „San José“, und ihm folgten zu beiden Seiten in Kiellinie je vier Kriegsschiffe. An den beiden Außenflanken der Galeonen und Karavellen segelten wiederum jeweils drei Schaluppen.

Die letztere Beobachtung gefiel Don Juan ganz und gar nicht. Der Verband war also in Remedios mit einer Karavelle und sechs Schaluppen aufgefüllt worden. Insbesondere die Schaluppen spielten dabei eine Rolle, die zu Don Juans Unbehagen beitrug. Eindeutig dienten sie als Aufklärer und würden überdies den Verband vor weiteren Überraschungsangriffen abschirmen.

Es war indessen zu erwarten gewesen, daß Cubera aus den nächtlichen Aktionen des geheimnisvollen Gegners seine Lehre ziehen würde. Das war nun geschehen. Zwar bestand der Verband letzten Endes – trotz der Ergänzung durch die Karavelle – nicht mehr aus zehn, sondern nur noch aus neun Schiffen. Doch diese Verringerung der Kampfkraft wurde durch die Schaluppen zweifellos ausgeglichen.

Bei Wind aus Nordost war der Verband auf die freie See hinausgekreuzt und dann außerhalb der Cayo-Fragoso-Inseln auf Südostkurs gegangen.

Mit ausreichendem Sicherheitsabstand hatte Don Juan die Verfolgung aufgenommen. Er hatte zunächst weit nach Luv ausgeholt und dann nach Einbruch der Dunkelheit die beabsichtigte Position eingenommen. Über Steuerbordbug segelnd, stand die Schebecke vorlich und in Luv des Verbandes auf Parallelkurs, rauschte also an seiner vorderen Backbordflanke dahin.

Ständig rechnete Don Juan damit, daß die drei Schaluppen an eben jener Flanke plötzlich wenden und nach Norden hochstoßen würden. Erst bei einer solchen Reaktion konnte er sicher sein, daß man den Fühlungshalter bemerkt hatte. So aber blieb er weiter im Ungewissen. Denn vor dem schwachen Schimmer der Schiffslaternen waren die schattenhaften Umrisse der Schaluppen zu erkennen, wie sie unbeirrbar den Kurs des Verbandes einhielten.

Nichtsdestoweniger war sich Don Juan darüber im klaren, daß er auf jeden Fall zuerst mit den Schaluppen aneinandergeraten würde.

Er wandte sich für einen Moment ab und ließ seinen Blick über die völlig verdunkelten Decks der Schebecke gleiten. Als bewegungslose Silhouetten harrten die elf Männer seiner Crew auf der Kuhl aus. Während des Nachmittags hatten sie die Geschütze und Handfeuerwaffen überprüft und gereinigt, und die Munitionsvorräte waren gesichtet und geordnet worden. Jetzt waren sämtliche Drehbassen geladen. Der Dreimaster war bereit, dem Verband erneut einen spürbaren Biß in die verwundbare Ferse zu verpassen.

Don Juan ging auf Ramón Vigil zu, der mit unerschütterlicher Ruhe am Ruder stand, und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Wir werden nicht mehr lange warten, Ramón. Aber diesmal wird es eine härtere Nuß, fürchte ich.“

Der Bootsmann wandte den Kopf und lachte verhalten. Seine Zähne blitzten in der Dunkelheit.

„Keine Sorge“, sagte er voller Zuversicht, „wenn dieser Fettsack von Gouverneur jemals die Schlangen-Insel erreichen sollte, wird er vorher tausend Tode gestorben sein.“

Don Juan mußte grinsen.

„Woher willst du wissen, daß er ein ängstlicher Mensch ist?“

„Ist doch klar.“ Ramón Vigil blies verächtlich die Luft durch die Nase. „Nach allem, was Sie mir von dem Kerl erzählt haben, kann er nur ein feiger Hund sein. Ich frage mich nur, warum er sich an Bord des Flaggschiffs begeben hat.“

„Du meinst, er sollte eigentlich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen lassen?“

„So ungefähr.“

„Nun“, entgegnete Don Juan lächelnd. „Dann würde er aber Gefahr laufen, daß diese anderen mit den heißen Kastanien verschwinden, bevor er sie überhaupt zu sehen kriegt.“ Er klopfte dem Bootsmann abermals auf die Schulter und trat wieder an das Steuerbordschanzkleid des Achterdecks.

Soviel war inzwischen sicher: Dem sehr ehrenwerten Don Antonio de Quintanilla ging es nur in zweiter Linie darum, den angeblich schlimmsten Feind der spanischen Krone, Philip Hasard Killigrew, zu besiegen. An erster Stelle der Überlegungen stand für den geldgierigen Gouverneur die Tatsache, daß auf der Schlangen-Insel offenbar immense Schatzvorräte lagerten. Mit seinen Wurstfingern wollte er tief hineingreifen und sich zu unermeßlichem Reichtum verhelfen.

Don Juan wandte seine Gedanken den vordergründigen Zielen zu, während er abermals zu den Schiffen des Kampfverbandes spähte. Fest stand, daß die Gefahr, um ein Vielfaches höher war, wenn er in dieser Nacht einen erneuten Angriff unternahm. Und die bisherigen Angriffe? Hatten sie trotz aller Erfolge ihren Zweck erfüllt?

Man mußte daran zweifeln.

Seine und die Absicht Arne von Manteuffels war es gewesen, den Verband durch eine hohe Zahl von Ausfällen und Schäden zur Umkehr zu zwingen und dadurch ein sinnloses Blutvergießen zu vermeiden. Don Juan mußte sich eingestehen, daß er mit seinen nächtlichen Aktionen diesem Ziel um nichts näher gerückt war. Statt dessen hielt dieser Schurke von einem Gouverneur mit verbissener Sturheit seinen Kurs, der ihn zur Schlangen-Insel und dem dort erhofften Reichtum führen sollte.

Von den wahren Gründen für diese vermeintliche Sturheit ahnte Don Juan allerdings nichts. So war es nicht etwa der Gouverneur, der die Befehle an Bord der „San José“ gab. Seit dem Mordversuch an Capitán Cubera und seit dem Fluchtversuch in Remedios befand sich Don Antonio de Quintanilla in verschärftem Arrest in einer der Achterdeckskammern; des Flaggschiffs. Bereits zuvor war es Cubera gewesen, der sich aus militärischen Erwägungen heraus entschlossen hatte, das Unternehmen auf jeden Fall durchzuführen.

Wären Don Juan de Alcazar die Zusammenhänge bekannt gewesen, hätte er eine völlig andere Entscheidung getroffen. Als Generalkapitän, ausgestattet mit Sondervollmachten der spanischen Krone, wäre er berechtigt gewesen, Cubera Befehle zu erteilen und ihn zurückzupfeifen. Während Don Juans Flucht in Havanna hatte sich zwar der Gouverneur die Sondervollmachten unter den Nagel gerissen, doch es wäre sicherlich auch ohne dieses Dokument möglich gewesen, die Weisungsbefugnisse durchzusetzen. Aber nach dem Stand der Dinge ließ sich der verhängnisvolle Lauf des Geschehens nicht mehr abwenden.

Das Gefühl, unter zunehmendem Zeitdruck zu stehen, hatte sich für Don Juan in den letzten Stunden immer mehr verstärkt. Noch gemeinsam mit Arne hatte er berechnet, wann die Schiffe des Bundes der Korsaren in See gehen konnten, um dem Feind entgegenzusegeln. Voraussetzung dafür war der Erhalt der Brieftaubennachricht gewesen, die den Seewolf und seine Gefährten über das Auslaufen des Verbandes aus Havanna unterrichtete. Wenn die Berechnungen stimmten, mußten die Schiffe des Bundes am Nachmittag des 19. Juli ankerauf gegangen sein und sich seither auf Westkurs befinden.

Der Wind aus Nordosten war günstig. Nach Don Juans. Berechnung der Marschgeschwindigkeit mußte sich der Verband des Seewolfs bereits dem Alten Bahama-Kanal genähert oder ihn erreicht haben. Im günstigsten Fall stand der Verband mittlerweile auf der Höhe von Lobos Cay, wo Don Juan seine erste Begegnung mit Philip Hasard Killigrew gehabt hatte.

Die Erinnerung daran drängte sich machtvoll in sein Bewußtsein und ließ sich nicht auf Anhieb wegwischen. Seinerzeit hatte er dem Mann Auge in Auge gegenübergestanden, der nach dem Willen der spanischen Krone eigentlich sein Todfeind sein sollte. Doch aus dem Duell heraus war er gemeinsam mit Killigrew in eine tödliche Bedrohung durch blutrünstige Marodeure geraten.

Kurz darauf hatte Don Juan erleben müssen, wie ihm der Engländer zum ersten Male das Leben rettete. Und es war nicht bei diesem einen Mal geblieben. Wie auch sein Vetter Arne von Manteuffel, hatte sich Philip Hasard Killigrew als ein fairer Gegner erwiesen – als das, was die Briten einen vollendeten Gentleman nannten.

Mehr und mehr hatte Don Juan erkennen müssen, daß er aus einem ähnlichen Holz geschnitzt war wie jener angebliche gefährliche Pirat. Und die jüngsten Ereignisse in Havanna hatten ihn dazu veranlaßt, sich nach der Offenbarung durch Arne auf die Seite des Bundes der Korsaren zu schlagen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 402

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