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2.

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„Da wird doch der Hering in der Pfanne verrückt!“

Edwin Carberrys dröhnendes Organ war bis in den letzten Deckswinkel der „Isabella“ zu hören. Die Männer auf der Kuhl und auf der Back wandten die Köpfe und erblickten ihren Profos in völliger Fassungslosigkeit. Auch Hasard und Ben Brighton spähten vom Achterdeck herüber.

Ed Carberry hatte sich vorgebeugt, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete ungläubig blinzelnd die Szene, die sich unmittelbar von dem offenen Kombüsenschott abspielte.

Plymmie, die Bordhündin, stand mit hängenden Ohren vor der Muck, die ihr der Kutscher als Freßnapf zur Verfügung gestellt hatte. Lustlos schnupperte Plymmie an dem Inhalt der Muck, einem stattlichen Haufen Fleischbrocken, vermengt mit Resten der Bohnensuppe vom Vortag. Im nächsten Moment wandte sich die Wolfshündin demonstrativ ab und ließ sich vor den Zwillingen auf den Planken nieder. Nach einem herzhaften Gähnen legte sie den Kopf zwischen die Vorderbeine, schloß das linke Auge und linste mit dem rechten zu Ed Carberry hoch.

„Das schlägt dem Faß den Boden aus.“ Der Profos schüttelte entnervt den Kopf, hielt aber sofort inne. Denn er besann sich der Pelzmütze, die er trotz der schon annehmbaren Temperaturen auf dem Kopf trug. Bei allzu heftiger Bewegung eben dieses Körperteils konnte es passieren, daß die Mütze herunterfiel und eine Blöße preisgab. Seit der verlorenen Wette um Luke Morgans Pelzkenntnisse in Wiborg lief Ed mit einer feinen Glatze herum. Damit nur keiner auf seine vorsichtige Kopfhaltung anspielen konnte, fuhr er grollend fort: „Erst ist sich das Vieh zu fein für das gute Fressen, und dann grinst es mich auch noch an!“

„Verzeihung, Sir“, sagte Hasard junior vorsichtig, „Plymmie grinst ganz bestimmt nicht.“

„Ein Hund kann überhaupt nicht grinsen“, fügte sein Bruder Philip hinzu.

Ed Carberrys Rammkinn klappte nach unten. Sein Blick heftete sich auf die Jungen – zornfunkelnd.

„Besten Dank für die Belehrung, ihr Rübenschweine. Wenn ich sage, das Vieh grinst mich an, dann grinst es mich an. Ist das klar?“

Die beiden Jungen schluckten trocken hinunter. Äußerlich ähnelten sie sich wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt, in ihren jugendlichen Jahren, ließen sie erkennen, daß sie als erwachsene Männer einmal alle überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten ihres Vaters haben würden.

Daß sie in diesem Augenblick aussahen, als seien sie zutiefst beleidigt worden, beeindruckte den Profos nicht. Die gesamte Crew wußte, welche verteufelte Portion Temperament und Starrsinn die beiden im Nacken hatten. Welche Scherereien sie ihrem Vater und seinen Männern schon bereitet hatten – nun, daran mochten sie nicht unbedingt erinnert werden. Schließlich fühlten sie sich auch nicht mehr als kleine Kinder, denn bei den Aufgaben, die sie an Bord zu erledigen hatten, standen sie ihren Mann.

So manches Mal hatte man die Junioren aus verzwickten Situationen herauspauken müssen. Immer dann nämlich, wenn sie sich wieder einmal einen unerlaubten Alleingang geleistet hatten. Indes mußte auch Ed Carberry ihnen zugute halten, daß sie mittlerweile gewitzt genug waren, um sich auch einmal allein zu helfen. Hasard junior hatte das zuletzt in Abo bewiesen, wo er sich aus der Gewalt von Entführern befreit hatte.

In Abo hatten die Zwillinge auch Plymmie an Bord gebracht, das erbarmungswürdige halbverhungerte Etwas, das sie aus der Hand von jugendlichen Tierquälern befreit hatten.

„Vielleicht darf ich auch mal was zu dem Fall sagen“, meldete sich der Kutscher zu Wort, der gemeinsam mit Mac Peelew aus dem offenen Kombüsenschott blickte.

„Was dabei herauskommt, kann ich mir schon denken“, entgegnete Ed Carberry knurrend, „die lieben Kleinen und ihr liebes Tierchen muß man natürlich in Schutz nehmen.“

„Mister Carberry“, sagte Mac Pellew grämlich, „ich weiß nicht, was du immer noch an Plymmie herumzumäkeln hast. Wenn sie nun mal keinen Hunger hat, dann läßt man sie eben in Frieden.“

„Das ist es nicht, du Suppenschwenker. Das Vieh frißt sonst jeden Tag um diese Zeit. Aber langsam wird die Lady zu vornehm. Und das geht zu weit. Punktum. Hier wird gefressen, was man vorgesetzt kriegt. Wohin führt denn das, was, wie? Demnächst verlangt der Köter einen goldenen Teller – nur noch mit den besten Leckerbissen, versteht sich!“

Der Kutscher räusperte sich.

„Ich möchte dazu nur eins bemerken“, sagte er in seiner etwas geschraubten Art, „es handelt sich in diesem Fall um Pökelfleisch. Eine sehr salzige Angelegenheit also. Nun ist in der Medizin bekannt, daß Gewürze, wie sie Menschen genießen, nicht unbedingt auch für Tiere geeignet sind. Wenn Plymmie das Pökelfleisch verweigert, dürfte es sich um eine völlig natürliche Abwehrreaktion handeln.“

„Himmel!“ Ed Carberry verdrehte die Augen. „Jetzt erzähl mir bloß noch, daß dein Lehrmeister Doc Freemont auch Hundeviecher behandelt hat!“

„Keineswegs“, entgegnete der Kutscher spitz, „solche Dinge gehören für einen Humanmediziner gewissermaßen zur Allgemeinbildung.“ Die wilde Narbenlandschaft im Gesicht des Profos verzog sich zu einem breiten Grinsen.

„Meine Allgemeinbildung sagt mir nur eins, mein lieber Freund und Kombüsenkutscher: Ein guter Hund frißt alles, und damit basta.“

„Aber Pökelfleisch haben wir ihr doch heute zum ersten Mal vorgesetzt!“ rief Hasard junior protestierend.

„Da kann man doch nicht verlangen …“ setzte sein Bruder an.

Ein langgezogener Ruf aus dem Großmars brach den Disput um Plymmies Freßgewohnheiten ab.

„Deck!“ brüllte Luke Morgan, der den Posten des Ausgucks übernommen hatte. „Signal von der Galeone voraus!“

Ben Brighton reagierte sofort.

„Nils!“

Nils Larsen, der neben Englisch und seiner dänischen Muttersprache auch Schwedisch und Deutsch beherrschte, kreiselte auf der Kuhl herum.

„Sir?“

„Auf die Back! Sieht so aus, als ob wir angepreit werden.“

„Aye, aye, Sir.“ Nils lief los, grinste, als er Plymmie und den verschmähten Freßnapf passierte und enterte, mit zwei federnden Sätzen über den Steuerbordniedergang zur Back auf.

Arne von Manteuffel und Renke Eggens standen an der reichverzierten Heckbalustrade der ehemals polnischen Galeone.

„Ich bitte meinen Vetter zu einer dringenden Besprechung an Bord!“ rief von Manteuffel.

„Verstanden, Sir!“ Nils Larsen gab ein Handzeichen, wandte sich ab und eilte zum Quarterdeck, um die Nachricht für Hasard und Ben Brighton zu übersetzen.

Arne von Manteuffels Galeone drehte bereits bei, und jede Hand an Bord wurde gebraucht, um die Segel ins Gei zu hängen. Nach der Versenkung der „Wappen von Kolberg“ bestand die Crew noch aus dreizehn Mann.

Der Seewolf gab Order, dem Beispiel seines deutschen Vetters zu folgen und die kleine Jolle abzufieren – Gelegenheit für Ed Carberry, seinem Ärger über das vermaledeite Hundevieh Luft zu verschaffen. Obwohl die Männer selbstverständlich bereits im Höllentempo in den Wanten aufenterten, ließ er seine Stentorstimme donnern.

„Bewegt euch gefälligst, ihr lahmen Säcke! Hat einer was gesagt, daß ihr jetzt schon einschlafen sollt, was, wie? Ein bißchen hurtiger, ihr Schnecken, oder ich stopf euch ’ne Ladung Pfeffer ins Achterteil! Was meint ihr, was ihr dann am Wetzen seid?“

Den Männern war es eine vertraute Begleitmusik, wie das Salz in der Suppe ihrer tausendfach geübten Handgriffe. Keiner mochte das Gedröhn des Profos missen. Jedem an Bord der „Isabella“ hätte etwas gefehlt, wenn Edwin Carberry plötzlich auf den Gedanken verfallen wäre, seinen Dienst ohne die gewohnte Lautstärke zu versehen.

Hasard übergab das Kommando an Ben Brighton, seinen Ersten Offizier. Gemeinsam mit Nils Larsen enterte er in die Jolle ab. Mit kräftigen Schlägen pullten sie zu der kleineren Galeone hinüber. Sorgfältig vertäute Nils das Boot, ehe er dem Seewolf über die Jakobsleiter an Bord folgte.

Arne von Manteuffel empfing seinen Vetter auf dem Achterdeck. Nils Larsen, seit Wisby als Dolmetscher bewährt, begrüßte er mit einem freundlichen Händedruck. Wie sie es nun schon von zahlreichen Gelegenheiten gewohnt waren, übersetzte Nils so fließend, daß kaum Gesprächspausen entstanden. In dieser Beziehung stand er Stenmark, der für Übersetzungen in den schwedisch-sprachigen Ostseegebieten zuständig war, in nichts nach.

„Es sieht so aus, als ob wir unser Vorhaben ändern müssen“, sagte Arne von Manteuffel. In knappen Worten begann er seinen Bericht.

Hasard hörte aufmerksam zu. Einige der Worte aus der deutschen Sprache verstand er bereits, doch um die Muttersprache seines Vetters selbst zu beherrschen, hätte es doch noch einiger Übung bedurft.

Sie hatten geplant, zunächst Rügenwalde, die Heimatstadt der Freiin von Lankwitz anzulaufen. Arne wollte seine Verlobte so schnell wie möglich zu ihren Eltern bringen, die in höchstem Maße um ihre Tochter besorgt waren. Zweite Station hatte dann Kolberg sein sollen, Arne von Manteuffels Heimathafen.

„Deshalb meine ich“, schloß er seinen Bericht, „wir sollten zunächst Hapsal ansteuern. Vorausgesetzt natürlich, du bist einverstanden.“

Der Seewolf überlegte nicht lange.

„Selbstverständlich. Ich glaube, in einem Punkt sind wir einer Meinung: Die Methoden, mit denen der sehr ehrenwerte schwedisch-polnische König das Bernsteinregal an sich zu reißen versucht, sind verabscheuungswürdig.“

Arne von Manteuffel lächelte.

„Ich weiß, daß ich dir diese Meinung nicht eingeredet habe.“

„Nein, das war auch nicht nötig. Wenn ich mir die Halunken ansehe, die im Auftrag von König Sigismund handeln, dann läuft mir die Galle über. Angefangen mit unserem speziellen Freund Juan de Gravina, kann man sie praktisch alle in eine Reihe stellen. Dieser von Saxingen, der deine Verlobte entführte, folgt gleich an zweiter Stelle. Und der Generalkapitän Witold Woyda ist auch nicht viel besser.“

„Galgenstricke aus der Oberklasse“, sagte Arne mit einem grimmigen Nikken, „hätten sie nicht Rang und Namen, hätte man ihnen längst das Handwerk gelegt.“

„Was Woyda betrifft, so wird er nicht nur wegen der Bernsteinladung und seines verlorenen Flaggschiffs in Rage geraten sein. Auf die ‚Isabella‘ dürfte er immer noch scharf sein. Ich kann mir vorstellen, wie liebend gern er unsere stolze Lady nach Reval eingebracht hätte, wenn er nur eine Handhabe gehabt hätte.“

„Du meinst also, er könnte eventuell versuchen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen? Sich die Bernsteinkisten und die Galeone zurückholen und außerdem noch die ‚Isabella‘ kapern?“

„Warum nicht?“ Hasard zog die Schultern noch. „Er wird sich seine Chancen ausrechnen, und er hat Zeit genug, einiges auf die Beine zu stellen.“

„In Hapsal? Da bin ich nicht ganz sicher. Woyda kann ja nicht genau wissen, ob ich das Runenzeichen der Tyndalls kenne.“

„Trotzdem müssen wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.“ Hasard sah seinen Vetter einen Moment nachdenklich an. „Etwas anderes geht mir durch den Kopf: Unser gemeinsamer Freund von Saxingen hat zwar behauptet, die Freiin von Lankwitz heiraten zu wollen. Aber könnte es nicht sein, daß er sie eher für eine Erpressung benutzen wollte?“

Arne von Manteuffel furchte die Stirn.

„Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie so etwas hätte ablaufen sollen.“

„Ganz einfach. Du hast das von König Sigismund beanspruchte Bernsteinregal mit Mißachtung gestraft. Vor diesem Hintergrund wäre doch die Freiin ein hervorragendes Pfandobjekt gewesen, um dich unter Druck zu setzen.“

Arne blies die Luft durch die Nase.

„Ich denke, von Saxingen hat mich noch nicht richtig kennengelernt. Sonst wäre er gar nicht auf so eine Idee verfallen. Vorausgesetzt, daß er die Idee überhaupt hatte.“

„Ich würde das nicht von der Hand weisen, Arne. Er hätte dich nicht nur zwingen können, den geheimen Bernsteinhandel aufzugeben. Er hätte dich außerdem dazu bringen können, der polnischen Krone deine Geschäftsbeziehungen und deine Bernsteinquellen preiszugeben. Der feine Graf hätte sich dadurch bei König Sigismund in ein hervorragendes Licht rücken können.“

Arne verzog das Gesicht.

„Wenn ich darüber nachdenke, fange ich an zu kochen, obwohl es so schlimm gottlob nicht geworden ist.“

„Wie auch immer.“ Hasard schnitt mit der flachen Hand durch die Luft. „Ich halte es für richtig, daß wir den Kerl erst einmal gründlich aushorchen. Da wir sowieso beigedreht haben, könnten wir die Gelegenheit gleich jetzt nutzen. Vielleicht ließe sich sogar in Erfahrung bringen, welche Maßnahmen von der polnischen Krone noch zu erwarten sind.“

Arne von Manteuffel schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

„Himmel! Wir hätten längst daran denken sollen, von Saxingen zu verhören. Aber wahrscheinlich liegt es an der Entdeckung der Bernsteinkisten, daß ich den Knilch vorübergehend aus meinem Bewußtsein gestrichen habe.“

Graf Hugo von Saxingen hatte die erste Phase, wie er sie für sich bezeichnete, überstanden. Diese erste Phase war grenzenlose Wut gewesen – Wut in all ihren Erscheinungsformen. Er hatte getobt, gebrüllt, mit den Fäusten gegen das Schott der Vorpiek gehämmert. Und er war in die Ecke gekrochen, hatte gezittert vor Zorn und fortwährend versucht, seine vibrierenden Nerven zur Ruhe zu bringen.

Als ihm dies endlich gelungen war, stand für ihn fest, daß die zweite Phase begonnen hatte. Letztere wurde bestimmt von kühler, sachlicher Überlegung. Ja, er empfand sogar Stolz darüber, dazu fähig zu sein.

Wichtig war vor allem, daß er sich von den äußeren Umständen nicht länger unterkriegen ließ. Was bedeutete es schon, in dieser verdammten Vorpiek eingesperrt zu sein? Was bedeutete es, in einem finsteren, muffig riechenden Loch ohne einen einzigen Lichtstrahl zu hocken?

Von Saxingen lachte in die Stille hinein. Es bedeutete vor allem eins: Daß er noch am Leben war und seine fünf Sinne funktionierten. Solange das der Fall war, mußte er imstande sein, eine Lage in den Griff zu kriegen, mochte sie auch noch so hoffnungslos aussehen.

Immerhin war er ein Mann von Rang und Namen, kein tumber Nirgendwer. Vor sich selbst hatte er die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das unter Beweis zu stellen. Und er durfte sich nicht mehr in Selbstvorwürfen darüber ergehen, daß es ausgerechnet dem elenden von Manteuffel gelungen war, ihn zu überrumpeln.

Da gab es trotz alledem einige Pluspunkte, die er, Graf Hugo von Saxingen, auf sein Konto verbuchen konnte. Erstens hatte er keine Verletzungen davongetragen, abgesehen von ein paar Schrammen und Beulen. Zweitens hatte man ihm die Fesseln abgenommen, nachdem er in die Vorpiek von Witold Woydas Flaggschiff gesperrt worden war. Ganz und gar hilflos war er also nicht.

Aber allein gegen eine Übermacht.

Von Saxingen grinste. Dieser Nachteil war nicht zu hoch zu bewerten. Er hatte die Fähigkeit, sich gegen ganze Heerscharen von einfältigen Untertanen durchzusetzen. Man mußte nur die richtigen Tricks kennen, um sie im Griff zu behalten. Das größere Problem war in diesem Fall schon eher das verriegelte Schott. Er hatte keine Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien. Das war der ganze Haken der Geschichte.

Also konnte es nur mit einer List funktionieren.

Er horchte auf, als eine plötzliche Veränderung in den Geräuschen des Schiffes vor sich ging. Das gleichmäßige Rauschen der Fluten um den Bug ließ nach, und das Knarren und Ächzen der Verbände verfiel in einen langsameren und unregelmäßigen Rhythmus. Angestrengt versuchte von Saxingen, sein Zeitgefühl wachzurufen. War es möglich, daß sie bereits einen Hafen anliefen?

Schritte waren von den Decksplanken zu hören, das Geräusch pflanzte sich fort, da der Bauch des Schiffes wie ein Resonanzkörper wirkte. Dann vernahm von Saxingen das Dröhnen einer Trosse, die gelöst wurde. Ein Anker rauschte in die Tiefe, unverkennbar.

Also kein Hafen. Nein, natürlich nicht. Es fehlten die üblichen Laute – Stimmengewirr von den Kaianlagen, rollende Fuhrwerke, Hämmern und Sägen von den Werften und Docks. Graf Hugo von Saxingen gelangte zu dem Schluß, daß zumindest die polnische Galeone unter dem Kommando des dreimal verfluchten Arne von Manteuffel auf See beigedreht hatte. Warum, zum Teufel? Der Graf konnte sich des bedrückenden Gefühls nicht erwehren, daß er von dieser neuen Situation betroffen sein würde.

Er zwang sich mit aller Willensstärke, dieses Gefühl zu unterdrükken. Wenigstens in seinen Gedanken mußte er überlegen sein und einen klaren Kopf bewahren.

Neue Geräusche waren zu hören. Das Getrappel der Füße an Deck hatte nachgelassen. Jetzt schlug etwas dumpf gegen die Bordwand der Galeone. Ein Boot? Graf Hugo von Saxingen begann, seine Ahnungen zusammenzureimen. Er würde gerüstet sein für das, was ihm drohte.

Nach einer kurzen Weile, es mochten nur Minuten gewesen sein, wurden erneut Schritte laut. Angestrengt horchte von Saxingen am feuchten Holz des Schotts. Wenig später hatte er Gewißheit. Die Schritte hallten durch die unteren Decksräume und näherten sich ihm, dem Gefangenen in der Vorpiek.

Sein Herz vollführte einen Hüpfer, als er heraushörte, daß es sich nur um einen einzelnen Mann handelte.

Doch im nächsten Moment verwarf er seine überschwenglichen Gedanken. Dies waren nicht die Zeit und die Gelegenheit, voreilig zu sein. Was nützte es ihm, wenn er den Kerl jetzt überwältigte? Dann stand ihm anschließend eine fast zwanzigfache Übermacht gegenüber, gegen die er praktisch nichts in der Hand hatte. Von Manteuffel, dieser Lumpenhund, wußte das nur zu gut. Deshalb demütigte er ihn, Graf Hugo von Saxingen, damit, nur einen Burschen als Abholkommando zu schicken. Denn um nichts anderes konnte es sich handeln.

Während die Schritte bereits unmittelbar draußen vor dem Schott waren, zog von Saxingen sich lautlos in den gegenüberliegenden Winkel der Vorpiek zurück. Dort kauerte er sich auf den Boden, scheinbar niedergeschmettert und dumpf vor sich hin brütend.

Es gab ein knirschendes Geräusch, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Knarrend schwang das Schott auf. Das hereinflutende Licht einer Öllampe war blakend und matt. Doch für von Saxingen war es gleißende Helligkeit, die ihn blendete. Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie nur langsam wieder.

Was er sah, war die reine Freude.

Mattschimmernder Waffenstahl. Die großkalibrige Mündung eines achtkantigen Pistolenlaufs. Der Mann, der die Waffe auf ihn richtete, war stämmig und strohblond, einer der Decksleute von Manteuffels.

„Aufstehen, von Saxingen“, sagte der Mann ruhig, „der Kapitän will mit dir reden. Eine falsche Bewegung, und ich blase dir eine Kugel durch den Wanst. Verstanden?“

Graf Hugo von Saxingen tat erschrocken.

„Muß ich mir das bieten lassen? Welch ein Ton! Auch als Gefangener habe ich Anspruch darauf, meinem Stand entsprechend behandelt zu werden.“

Der Decksmann lachte.

„Du kannst einen deinem Stand entsprechenden Tritt in den Hintern kriegen, Freundchen. Beweg dich!“

Von Saxingen rappelte sich seufzend auf und schüttelte mißbilligend den Kopf.

„Ich werde mich bei deinem Kapitän beschweren. Er ist von Adel und wird wissen, wovon ich rede.“

„Beschwere dich nur“, sagte der Decksmann, „Kapitän von Manteuffel hört solche Töne besonders gern.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 320

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