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September 1597.

Dieses Hafenstädtchen an der Küste des Tschernoye More war vom Klima begnadet. Subtropische Pracht entfaltete sich an dieser Küste, an den Rändern der Stadt beginnend. So weit das Auge reichte, nach Norden und nach Süden, erstreckten sich Palmenhaine und Plantagen von Zitronenbäumen. Außerdem gab es jene kleinwüchsigen Orangen, die man Mandarinen nannte. Auch Tee wurde angebaut.

Dabei waren Hasard und seine Begleiter sicher, daß diese Fruchtbarkeit des Landes und die Milde des Klimas nur ein Teil jenes Reichtums waren, der den Wohlstand Georgiens insgesamt bedeutete.

Philip Hasard Killigrew, Dan O’Flynn und Don Juan de Alcazar verließen den kleinen Hafen, den die Bürger von Otschamtschire in einer gut geschützten Bucht gebaut hatten. Zurück blieb das farbenfrohe Bild der überwiegend einmastigen Fischerboote und Frachtsegler.

Über eine ausgetretene Steintreppe erstiegen die drei Männer die höhergelegene nördliche Landzunge. Üppig wucherndes Pflanzenwerk ließ den Eindruck einer grünen Wand entstehen, die den Hafen begrenzte. Ein gepflasterter Spazierweg führte einerseits bis zur seewärtigen Spitze der Landzunge und andererseits bis in die Stadt.

Unwillkürlich blieben Hasard und seine Begleiter stehen. Die Menschen in diesem paradiesisch anmutenden Land schienen begriffen zu haben, welche Vorzüge sie genossen. Der Pflasterweg auf der Landzunge erfüllte keinen praktischen Zweck, außer jenem, daß man sich von hier aus an der Schönheit der Umgebung satt sehen konnte.

Da war das Meer, dessen blauschwarze Fluten im strahlenden Sonnenschein unter wolkenlosem Himmel nahezu unbewegt waren. Nur in der Ferne, vor der westlichen Kimm, zeigten sich feine Linien von Schaumkronen.

Die laue Brise, die über der Küste spielte, vermochte das Uferwasser nur in träge Bewegung zu versetzen. Sachte umspielte es jene in Jahrtausenden plattgeschliffenen grauschwarzen Steine, die den breiten Küstenstreifen anstelle von Sand bedeckten. Es war ein Bild von eigentümlichem Reiz, es hatte etwas Düsteres und zugleich Heiteres.

Jenseits der Palmenhaine und Zitronenplantagen erhob sich landeinwärts das mächtige Massiv des Kaukasus – noch von morgendlichem Dunst umhüllt und scheinbar zum Greifen nahe.

Die Stadt Otschamtschire übertraf an Farbenpracht noch die Boote im Hafen. Häuser aus Holz, aber auch aus Stein gemauert, gruppierten sich an den Hängen und in den Senken der hügeligen Küstenregion. Fassaden und Giebel waren in heiteren Farben gestrichen, Palmen und Plantagen überschatteten die großzügig angelegten Straßen und Gassen mit ihren Blätterdächern.

„Hier könnte man in Versuchung geraten“, sagte Don Juan beeindruckt.

Hasard und Dan sahen ihn an.

„In Versuchung, hierzubleiben?“ fragte der Seewolf.

Der Spanier nickte.

„Denke an deine ehelichen Pflichten“, mahnte Dan lächelnd. „Solche Gedanken darfst du dir nicht erlauben – geschweige denn äußern.“

„Mit ‚man‘ habe ich natürlich nicht mich selbst gemeint“, sagte Don Juan. „Ich kann mir nur vorstellen, wie andere in diesem herrlichen Land empfinden.“

Hasard klopfte ihm auf die Schulter. Sie lachten und setzten ihren eben begonnenen Erkundungsgang in die Stadt fort.

In der Nähe des Hafens und auch in den weiter stadteinwärts gelegenen Straßen waren die Läden bereits geöffnet. Handwerker begannen mit ihrer Arbeit. Auffallend war die große Zahl älterer Menschen, die in der Geschäftigkeit des Morgens ruhende Punkte waren. In heiteren Wortwechsel vertieft, standen sie in kleinen Gruppen beieinander oder hatten sich auf hölzernen Sitzbänken vor den Wohnhäusern niedergelassen.

Viele freundliche Grüße galten den Männern, die mit dem russischen Zweimaster eingetroffen waren. Ihre Ankunft mußte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben. Nahezu jeder in der kleinen Stadt schien bereits von ihnen gehört zu haben.

Die Männer betrachteten die kunstvoll geschwungenen Schriftzeichen über den Eingängen der Läden. Die Buchstaben waren ihnen ebenso unbekannt wie die Sprache, die sie schon am Vorabend gehört hatten.

„Georgisch“, erklärte Dan O’Flynn, während sie die Schriftzeichen einer Bäckerei betrachteten. „Dieses Land hat immer seine Eigenständigkeit bewahrt, obwohl es im Laufe der Jahrhunderte von den unterschiedlichsten Invasoren heimgesucht wurde.“ Er deutete zu den Zwiebeltürmen einer Kirche am Ende der Straße. „Übrigens gilt diese Eigenständigkeit auch für die Kirche des Landes. Seit dem vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung sind die Georgier Christen. Sie haben ihre eigene georgischorthodoxe Kirche.“

Hasard und Don Juan stießen anerkennende Pfiffe aus. Dan bewies wieder einmal, wie oft und gründlich er seine Nase in jene Folianten gesteckt hatte, die bei ihren Beutezügen gegen die Spanier ganz am Rande mit eingesackt worden waren. Mit eben dieser Gründlichkeit hatte Dan auch seine Kenntnisse als Navigator bereits auf der „Isabella“ immer weiter vervollständigt.

Auf dem Platz bei der Kirche begegneten sie einem schwarzgekleideten Geistlichen mit wallendem Bart. Es zeigte sich, daß der Kirchenmann ein wenig Englisch sprach.

„Wir suchen einen Händler, der in der Lage ist, unser Schiff neu auszurüsten“, sagte Hasard. „Gibt es jemanden, den Sie uns empfehlen können?“

„Aber ja!“ rief der Geistliche, und seine Augen blitzten vor Freude. „Wenden Sie sich an Dato Laseischwili. Er ist der größte Kaufherr am Ort und hat es am allerwenigsten nötig, jemanden zu übervorteilen. Natürlich sind auch alle anderen Handelsleute in Otschamtschire ehrlich und korrekt. Aber bei Laseischwili können Sie absolut sicher sein.“ Der Schwarzgekleidete beschrieb ihnen den Weg durch die Straßen und Gassen.

Kontorhaus und Lagerei des Kaufmanns Laseischwili befanden sich im südlichen Teil der Stadt, nicht einmal weit vom Hafen entfernt. Das Handelshaus mit seinen verschiedenen Gebäuden und Innenhöfen nahm die gesamte Südseite des Straßenzuges ein.

Auf der anderen Seite der gepflasterten Straße standen einfache zweigeschossige Wohnhäuser, die sich nur durch ihre Fassadenfarben unterschieden. Zweifellos hatte Laseischwili hier seine Schreiber, die Lagerhalter und die Transportarbeiter mit ihren Familien untergebracht. In der Tat ein Handelsmann, der sich ein kleines Imperium aufgebaut hatte.

Hasard und seine Begleiter betraten die Eingangshalle des großen Kontorhauses, das dreigeschossig aus lehmfarbenen Ziegelsteinen gebaut war. Schlichtheit und Zweckmäßigkeit bestimmten das Äußere des Gebäudes. Da gab es keine überflüssigen Schnörkel und Verzierungen.

Don Juan betätigte einen Glockenzug aus schwerem Messing, und irgendwo in der Tiefe eines Korridors läutete es. Keine Minute verging. Ein Bediensteter erschien im Eilschritt und hieß die Besucher mit einer knappen Verbeugung willkommen.

Der Mann war schlank, mittelgroß und schwarzhaarig wie die meisten Leute, die sie in der Stadt gesehen hatten. Seine Kleidung war der täglichen Kontorarbeit angepaßt und aus robustem grauem Leinen. Die hemdartige, geknöpfte Jacke war mit einem Ledergürtel in der Hüfte gerafft.

Hasard erklärte sein Anliegen auf Englisch. Der Bedienstete schüttelte bedauernd den Kopf. Hasard versuchte es noch einmal auf Spanisch und schließlich auf Französisch. Es nutzte nichts. Der Georgier erwiderte etwas in seiner Heimatsprache und dann auf Russisch.

Diesmal waren es Hasard und seine Gefährten, die durch ein Achselzucken zu erkennen geben mußten, daß sie nichts verstanden. Der Bedienstete gab mit Gesten zu verstehen, daß sie warten sollten, bis er jemanden benachrichtigt hatte, der sich mit ihnen verständigen konnte.

Der Jemand, so zeigte sich wenig später, war nicht irgendwer. Es war der Hausherr persönlich, der sich in die Halle begab, um seine Gäste zu begrüßen. Dato Laseischwili hätte sich im Grunde nicht einmal vorzustellen brauchen.

Noch während er im Korridor mit erstaunlicher Behendigkeit herbeieilte, schlossen die Männer von der Dubas aus seinem Auftreten und seiner Haltung, daß er niemand anders als der Kopf des Unternehmens sein konnte – und das, obwohl seine Kleidung so einfach war wie die seines Bediensteten, der ihm mit zwei Schritten Abstand folgte, ein Notizbrett mit auf geklemmtem Papier, Feder und zugekorktem Tintenfaß waagerecht vor sich her tragend.

Dato Laseischwili strahlte vor Freude. Als er noch fünf, sechs Yards entfernt war, breitete er die Arme zum Willkommenszeichen aus. Er war nur mittelgroß. Sein fülliger Körper ließ ihn, kleiner wirken, als er war. Eine leuchtende Halbglatze über schwarzem Haarkranz krönte seinen runden Kopf. In dem bartlosen, etwas glänzenden Gesicht sprühten die dunklen Augen Heiterkeit und Lebensfreude.

„Seien Sie mir gegrüßt, Gentlemen!“ rief der Handelsherr in fast akzentfreiem Englisch. Er ergriff die Rechte des Seewolfs mit beiden Händen, schüttelte sie und begrüßte auf die gleiche Weise auch Dan O’Flynn und Don Juan de Alcazar. Nichts an dieser Herzlichkeit wirkte aufgesetzt oder übertrieben.

Laseischwili legte die Hände zusammen und trat einen Schritt zurück. „Ich bin Dato Laseischwili, und ich bin beglückt, Ihnen zu sagen, welches große Vergnügen Sie mir mit Ihrem Besuch bereiten. Ich wäre unaufrichtig, wenn ich behaupten würde, von Ihrer Anwesenheit in Otschamtschire noch nicht gehört zu haben. Und – offen gestanden – ich habe ein wenig darauf gehofft, Sie als meine Gäste empfangen zu dürfen. Eben dann, als mein Mitarbeiter um sprachliche Hilfe bat, wußte ich, daß der Moment gekommen ist.“ Abermals breitete er die Arme aus. „Seien Sie meine Gäste – Sie und Ihre gesamte Schiffsmannschaft!“

„Aber“, sagte der Seewolf verdutzt blinzelnd, „das können wir doch nicht annehmen, Mister Laseischwili. Wir haben lediglich vor, ein paar Ausrüstungsgegenstände und Proviant bei Ihnen einzukaufen.“

Der georgische Kaufmann lachte volltönend. „Sie meinen, das würde den Aufwand meinerseits nicht rechtfertigen? Irrtum! Sie befinden sich in Georgien. Ich betrachte mich Ihnen gegenüber als Repräsentant dieses großartigen Landes, und ich halte es für meine Pflicht, Ihnen einen nachhaltigen Eindruck von meiner Heimat zu verschaffen. Wenn also einer von Ihnen freundlicherweise den Rest der Crew verständigen würde, wäre ich dankbar.“

Don Juan erklärte sich bereit, zu gehen. Hasard und Dan blieben bei ihrem Gastgeber, dem ihre Bewirtung wichtiger zu sein schien als alles Geschäftliche. Laseischwili diktierte seinem Schreiber eine lange Liste von Vorbereitungen, die getroffen werden sollten, dann eine Liste der Speisen und Getränke, die aufzutischen waren, und schließlich die längste Liste von allen – jene der einzuladenden Verwandten, Freunden und Nachbarn.

„Die Georgier sind für ihre Gastfreundschaft berühmt“, flüsterte Dan O’Flynn dem Seewolf zu. „Daß es allerdings eine so gewaltige Gastfreundschaft ist, hätte ich auch nicht gedacht.“

Hasard lächelte. Er konnte nicht antworten, denn Laseischwili war mit seinem Diktat fertig und wandte sich ihm zu. Der Schreiber eilte davon, seine Schritte hallten durch den Korridor.

„Unser kleines Fest zu Ihren Ehren“, sagte der Kaufmann, „wird im Freien stattfinden. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden. Unser mildes Klima läßt es auch nachts nie so kalt werden, daß man das Gefühl haben müßte, sich in den Schutz von geschlossenen Wänden zurückziehen zu müssen.“

„Nachts?“ sagte Hasard unwillkürlich. „Heißt das …“ Er biß sich auf die Zunge. Natürlich hieß es das. Wenn sie erst einmal ein richtiges Gelage begonnen hatten, würden Laseischwili und seine Landsleute es nicht schon am frühen Abend abbrechen.

„Oh, lassen Sie sich überraschen!“ rief der Handelsherr und klatschte fröhlich in die Hände. „Die georgischen Nächte sind noch viel schöner als die Tage. Sie werden begeistert sein, Gentlemen, glauben Sie mir.“ Er faltete die Hände vor dem Bauch und lächelte einen Moment. „Wenn Sie einverstanden sind, können wir das Geschäftliche während der Vorbereitungen für unsere kleine Mahlzeit regeln. Wir brauchen uns dann später nicht mehr damit zu belasten.“

Hasard und Dan wechselten einen Blick und nickten dann. Sie folgten dem Georgier in dessen Privatkontor, einen holzgetäfelten Raum mit wuchtigen Aktenschränken, einem Schreibtisch und Sesseln, die mit Rinder- oder Büffelhaut bespannt waren.

Laseischwili trat an eins der großen Fenster und zeigte hinaus. „Sehen Sie, es wird alles getan, um Sie als Gäste des Hauses zufriedenzustellen.“

Hasard und Dan glaubten ihren Augen nicht zu trauen. Auf dem riesigen Innenhof, der von Lagerhäusern, schmalbrüstigen Speichern und offenen Wagenschuppen umsäumt war, herrschte Betriebsamkeit wie in einem Ameisenhaufen. An die hundert Menschen mochten es sein, die da hin und her liefen, schleppten und aufbauten.

Zwei Festtafeln von jeweils fünfzig Yards Länge entstanden aus Holzböcken und gehobelten Brettern. Hausgehilfinnen brachten stapelweise weiße Leinentücher, das Geschirr wurde jeweils zu zweit in große Tragekisten herbeigeschafft.

„Sagen Sie, Mister Laseischwili“, sagte Hasard entgeistert, „haben Sie etwa alle Ihre Leute eingespannt – nur unseretwegen?“

„Aber natürlich“, erwiderte der Handelsherr lachend. „Seien Sie um Himmels willen nicht zu bescheiden. Ihnen als Gaste gebühren alle nur erdenklichen Rechte. Sämtliche Mitarbeiter meines Hauses werden selbstverständlich eingespannt, damit wir so wenig Zeit wie möglich verlieren. Übrigens: jene, die in der Küche tätig sind, müssen Sie noch hinzurechnen.“

Hasard fragte aus Höflichkeit nicht nach der Zahl der Leute. Er konnte sich mittlerweile vorstellen, daß auch in der Küche noch ein halbes Regiment von Köchinnen und Köchen im Einsatz war.

„Ich hoffe, daß wir bereits in den Mittagsstunden so weit sind“, sagte Dato Laseischwili. „Sobald Ihre Crew eintrifft, werden wir sie mit einem erfrischenden Trunk bewirten. Das gewissermaßen als Einstimmung auf die Gaumenfreuden, die die georgische Küche zu bieten hat.“

Hasard und Dan konnten sich allmählich vorstellen, wie das Fest zu ihren Ehren aussehen würde. So waren sie froh, daß ihr Gastgeber tatsächlich bereit war, ihre Orderliste für die Ausrüstung des Zweimasters vorab zu Buch zu nehmen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 557

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