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2.

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Quälend langsam verstrichen die Stunden.

Längst hatte sich die Sonne über der grünen Weite Irlands erhoben, und in Galway war der bleigraue Morgendunst einem strahlenden frühen Tageslicht gewichen. Die Stadt erwachte zum Leben, Menschen erfüllten die Gassen mit Geschäftigkeit, und der Sonnenschein verlieh ihnen an diesem Tag besondere Schaffenskraft.

Bis in den Kerker der Burkes drang das Sonnenlicht nicht vor. Nur eine trübe Helligkeit hatte das bisherige Halbdunkel verdrängt. Philip Hasard Killigrew, seine Söhne und die Männer hatten sich auf die Pritschen niedergelassen und dösten vor sich hin. Jeder einzelne hing seinen Gedanken nach, die alles andere als von Sonnenschein beflügelt waren.

Die Gefangenen in den Nachbarzellen verhielten sich noch schweigsam, obwohl sich einige von ihnen bereits aufgerichtet hatten und mit unverhohlener Neugier herüberstarrten. Doch sie schienen zu spüren, daß es keine gewöhnlichen Galgenstricke waren, die man da neu einquartiert hatte. Nein, von diesen Männern strahlte trotz ihrer schmählichen Lage eine Härte aus, die auf unerklärliche Weise Respekt einflößte und zur Zurückhaltung mahnte.

Unvermittelt wurden die Seewölfe aus ihrem Dämmerzustand aufgeschreckt.

Schritte näherten sich weit hallend aus dem Gewölbegang. Im nächsten Moment wurde die Verbindungstür geöffnet.

Hasard richtete sich halb auf und blickte in den Vorraum, wo unnötigerweise noch immer die Fackel brannte.

Norman Stephens trat vor die Zelle der Seewölfe, verharrte breitbeinig und stemmte die Fäuste in die Hüften. Vier Uniformierte waren bei ihm, einer von ihnen entriegelte auf einen Wink von Stephens die Zellentür. Ein anderer löschte die Fackel.

„Mister Killigrew“, sagte Stephens mit jener unglaubwürdigen Höflichkeit, mit der Soldaten ihre Kriegsgefangenen zu behandeln pflegten. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen …“

Der Seewolf richtete sich auf. Die, Ketten an seinen Gelenken klirrten.

„Sir Hasard heißt das!“ knurrte Matt Davies und verschaffte seinen Gefühlen damit Luft. „Wenn es schon so geschraubt klingen muß, dann gefälligst richtig! Philip Hasard Killigrew wurde von der königlichen Lissy zum Ritter geschlagen, und er ist von ihr durch einen Kaperbrief beauftragt …“

Der Seewolf unterbrach Matt mit einer unwilligen Handbewegung.

Norman Stephens hatte die Augenbrauen hochgezogen.

„Ist das wahr?“ fragte er staunend. „Es tut mir leid, aber das habe ich nicht gewußt. Selbstverständlich ist ein von der englischen Königin verliehener Titel zu respektieren, Sir Hasard. Ich bitte um Verzeihung.“

Die Männer starrten sich gegenseitig an und blinzelten. Matt Davies, dem der Wind aus den Segeln genommen war, sperrte den Mund auf und kriegte ihn nicht wieder zu.

„Ich lege keinen Wert auf Titel“, sagte der Seewolf, „halten Sie es damit, wie es Ihnen gefällt, Mister Stephens. Was wollen Sie von mir?“

„Die Frage ist erlaubt“, sagte Stephens und lächelte. „Aber keine Sorge. Es handelt sich nur um eine Unterredung. Folgen Sie mir jetzt bitte, Sir Hasard.“

„Shane!“ Hasard wandte sich im Hinausgehen nur kurz um. „Du übernimmst das Kommando, solange ich weg bin.“

„Aye, aye, Sir.“ Der graubärtige Riese war aufgesprungen und grinste über die ganze wilde Gesichtslandschaft.

Nachdem die Zellentür verriegelt worden war, führten Stephens und seine Begleiter den Seewolf durch den Gewölbegang in eine Kammer, die offenbar den Wachhabenden als Aufenthaltsraum diente. Jetzt war die Kammer allerdings zweckentfremdet.

Der Mann, der hinter einem rohgezimmerten Tisch saß und den Kopf hob, sah nicht danach aus, daß er es nötig hatte, Wache zu schieben oder andere niedere Dienste auszuführen.

Norman Stephens und Philip Hasard Killigrew traten ein. Einer der Söldner schloß die Tür von draußen. Hasard wußte auf Anhieb, wen er vor sich hatte. Den Mann, von dem alle Macht in Galway ausging, hatte Dan O’Flynn ihm ausführlich beschrieben.

George Darren Burke war sechsundvierzig Jahre alt und ein Klotz von einem Kerl – schwergewichtig und untersetzt, dabei aber nicht unbedingt fett zu nennen. Sein kostbares seidenes Wams war fraglos von spanischen Schneidern angefertigt worden. Die edelsteinbesetzten goldenen Ringe an seinen fleischigen Fingern mußten ein Vermögen wert sein. Burke trug das dunkelblonde Haar schulterlang, sein Spitzbart war nach dem Vorbild spanischer Edelleute gestutzt.

„Setzen Sie sich, Gentlemen“, sagte Burke, und seine Stimme klang so, als fühle er sich zu diesem Gespräch eher gezwungen als freiwillig veranlaßt.

Stephens schob dem Seewolf einen Schemel hin und setzte sich selbst auf eine Bank neben der Tür.

Burke sah sein Gegenüber eine Weile prüfend an. Dann räusperte er sich und hüstelte, wobei er die rechte Faust zum Mund hob. Der Seewolf wich dem Blick des Magistratsvorsitzenden keine Sekunde lang aus.

„Ich habe Sie hergebeten, Killigrew …“ begann Burke gedehnt, und es klang, als suche er noch nach Worten.

„Verzeihung, Sir!“ mischte sich Norman Stephens aus dem Hintergrund ein.

„Ja?“ Burke blickte an der Schulter Hasards vorbei.

„Es handelt sich um folgendes, Sir: Ich habe soeben erfahren, daß dieser Mann von Königin Elisabeth zum Ritter geschlagen worden ist. Sein Titel lautet demzufolge ‚Sir Hasard‘.“

„Sieh an.“ Burke rieb sich den Spitzbart mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand und wandte seinen Blick wieder dem Gefangenen zu. „Nicht im entferntesten habe ich geahnt, daß wir einen so prominenten Gast in unseren Mauern haben. Ich hoffe, Sie fühlen sich angemessen behandelt, Sir Hasard – den Umständen entsprechend.“

„Dazu habe ich nichts zu bemerken“, entgegnete der Seewolf kalt. „Im übrigen habe ich schon Mister Stephens erklärt, daß ich auf die besondere Anrede keinen Wert lege.“

George Darren Burke schüttelte den Kopf und lächelte süffisant.

„Da bin ich anderer Meinung, Sir Hasard. Anerkennung, wem Anerkennung gebührt. Nun, ich denke, wir sollten uns dem eigentlichen Thema zuwenden.“

„Ich bitte darum. Meine Männer fühlen sich unbehaglich, weil sie nicht wissen, was ihnen bevorsteht.“

„Das zu ändern, liegt ganz bei Ihnen.“ Burke lächelte wieder, breiter diesmal.

„Wie soll ich das verstehen?“

„Hören Sie gut zu. Vorweg müssen Sie wissen, daß dieses Gespräch auf eine Anregung von Norman Stephens zurückzuführen ist. Er hat mir seine Beobachtungen bei den verschiedenen – hm, sagen wir – Auseinandersetzungen geschildert. Daraus entnehme ich, daß mein Freund Stephens Ihnen mehr und mehr Anerkennung zollt. Sie sind ein Mann, so sagte er, den er gern auf seiner Seite wüßte.“

„Das ist wahr“, sagte Norman Stephens, und es klang ein wenig verlegen.

Der Seewolf wandte sich nur kurz um und las die Ehrlichkeit im Gesicht des Söldnerkommandanten. Schon oft hatte er erlebt, daß Gegner seiner Fairneß Respekt zollten, ja, sogar zu Freunden wurden. Was sich in diesem Fall dabei ergeben sollte, erschien im Moment noch äußerst rätselhaft.

„Zur Sache also“, sagte George Darren Burke mit einem erneuten Räuspern. „Sie haben vielleicht ein wenig über die Lebensumstände in unserer schönen Stadt erfahren, Sir Hasard. Dann werden Sie vielleicht die besonders mißliche Lage verstehen, in der wir Bürger von Galway uns befinden. Wir sind von Feinden umgeben. Immer wieder werden wir von den verdammten irischen Rebellen zu Auseinandersetzungen gezwungen. Wenn es nach uns ginge, könnten wir durchaus in friedlichem Nebeneinander leben. Aber dieses Rebellenpack gibt nicht eher Ruhe, bis wir auf die Knochen ausgeplündert worden sind. Natürlich wird ihnen das nie gelingen. Dafür haben meine Familie und die anderen maßgeblichen Bürgerfamilien dieser Stadt Vorkehrungen getroffen. Ich selbst habe es in meiner Eigenschaft als Magistratsvorsitzender übernommen, die Abwehrmaßnahmen gegen die Rebellen federführend zu koordinieren. Deshalb unterhalte ich die Einsatztruppe unter dem Kommando von Mister Stephens, deshalb gibt es auf meinem Anwesen auch diese – hm, Unterbringungsmöglichkeit für gewisse gefährliche Personen.“ Burke legte eine Pause ein.

„Ich verstehe noch nicht ganz“, sagte Hasard, obwohl er sehr genau begriff, auf was sein Gegenüber hinauswollte.

„Das ist ganz einfach.“ George Darren Burke preßte die Fingerkuppen gegeneinander und legte sie einen Moment lang an die Lippen, bis er weitersprach. „Wegen dieser dauernden Auseinandersetzungen bin ich ständig auf die Verstärkung meiner Truppe angewiesen. Ich unterbreite Ihnen deshalb ein Angebot, Sir Hasard, das für Sie und Ihre gesamte Mannschaft gilt. Sie haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Die schlechtere zuerst: Wegen der Verbrechen, die Ihnen vorzuwerfen sind, werden Sie zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet. Die zweite und bessere Möglichkeit, wie ich meine: Sie verpflichten sich freiwillig zum Dienst in meiner Truppe und stellen sich unter das Kommando von Norman Stephens, in dem Sie einen guten Kameraden finden werden.“ Burke lehnte sich zurück. „Ehrlich gesagt, ich an Ihrer Stelle würde mit der Antwort überhaupt nicht zögern. Für mich wäre klar, wie ich mich entscheide. Ein großzügigeres Angebot können Sie doch gar nicht erwarten.“

Diesmal war es der Seewolf, der lächelte.

„Eines würde ich vorher gern wissen, Mister Burke. Welche ach so schwerwiegenden Verbrechen sind es denn, wegen denen man meine Männer und mich gleich zum Tode verurteilen muß?“

Steile Falten des Unwillens entstanden auf Burkes Stirn.

„Das fragen Sie noch? Wir waren in Galway schon immer gezwungen, besonders hart durchzugreifen, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Davon kann und darf es keine Ausnahme geben. In Ihrem Fall geht es um nicht weniger als Ehebruch, begangen durch den jungen Mann namens Dan O’Flynn. Außerdem um Widerstand gegen die Obrigkeit in mindestens zwei Fällen und um Befreiung eines Gefangenen. Jeder andere, dem wir all das zur Last zu legen hätten, würde ohne viel Gerede einen Kopf kürzer gemacht werden. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Klar genug“, entgegnete der Seewolf, „und trotzdem unverständlich. Wie wäre es, wenn Sie die Dinge einmal so sehen, wie sie sich wirklich abgespielt haben? Nicht Dan O’Flynn hat mit Kathryn Stephens angebändelt. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Haben Sie entsprechende Vernehmungen durchführen lassen?“

„Unsinn!“ Bruke wischte ärgerlich mit der flachen Hand durch die Luft. „Mein Freund Stephens ist in der Sache befangen, und die Aussage einer Frau, in diesem Fall der Betroffenen, gilt nichts. Ich muß mich auf die Zeugen verlassen, und die sprechen eindeutig gegen O’Flynn. Und was die sonstigen Vorwürfe betrifft – nun, die wollen Sie ja wohl nicht abstreiten.“

Hasard gab es auf. Es hatte keinen Sinn. Burke würde niemals davon zu überzeugen sein, daß sie zu Unrecht gefangengenommen worden waren.

„Eine andere Frage“, sagte der Seewolf deshalb, „wie lange würde denn der Dienst in Ihrer Truppe dauern?“

Die Unmutsfalten wichen aus dem Gesicht des Magistratsvorsitzenden.

„Ich sehe, wir verstehen uns allmählich wieder besser. Nun, ich möchte es so ausdrücken: Bei guter Führung ist eine vorzeitige Entlassung durchaus möglich. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich die Lage im Kampf gegen die irischen Rebellen entspannt hat.“

Hasard nickte. Diese Antwort konnte alles und auch nichts bedeuten.

„Ich muß darüber nachdenken“, sagte er. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß Burke aus einem noch unbekannten Grund auf seine Dienste angewiesen war. „Ohne meine Männer gehört zu haben, kann ich sowieso keine Entscheidung treffen. Sind Sie mit einer Bedenkzeit von vierundzwanzig Stunden einverstanden?“

Einen Moment sah es aus, als wollte Burke aufbrausen. Aber er wechselte einen Blick mit Norman Stephens und blieb ruhig.

„Also gut“, sagte er widerstrebend, „meinetwegen. Aber nach der Frist verlange ich die Entscheidung. Unwiderruflich.“

Deutliche Erleichterung war in den Gesichtern der Männer und der beiden Jungen zu erkennen, als Hasard in die Zelle zurückgebracht wurde.

„Himmel, Arsch und Kabeljau“, platzte Matt Davies heraus, „wir haben alle schon geglaubt, wir würden dich nie wiedersehen, Sir.“

Der Seewolf winkte ab und ließ sich auf eine der Pritschen sinken. Ein vielfältiges Kettenklirren setzte ein, als sich seine Männer und seine Söhne im Halbkreis um ihn scharten. Stephens und seine Begleitmannschaft hatten sich sofort zurückgezogen, nachdem die Zellentür verriegelt worden war.

„Galeeren habe ich in diesem verdammten Hafen nicht gesehen“, sagte Gary Andrews, „da bleibt uns wohl erspart, daß sie uns auf irgendwelche lausigen Ruderbänke ketten.“

„Ha!“ rief Batuti. „Du bist ein – ein …“

„Optimist“, half ihm Hasard mit versonnenem Lächeln auf die Sprünge.

„Richtig“, sagte der schwarze Herkules aus Gambia und blickte in die Runde. „Bilden wir uns doch nichts ein! Die verkürzen uns um einen Kopf, ist doch klar.“

„Heraus damit, Hasard“, drängte Big Old Shane, „du hast doch bestimmt erfahren, was jetzt mit uns werden soll.“

„Ja, spann uns nicht länger auf die Folter“, bekräftigte Dan O’Flynn, „dazu ist die Sache bestimmt viel zu ernst.“

Die anfängliche Erleichterung der Männer war jetzt wachsender Spannung gewichen, auch die Blicke der Zwillinge klebten an den Lippen ihres Vaters.

„Es freut mich, daß ihr mich endlich auch mal sprechen laßt“, sagte der Seewolf, wurde aber sofort wieder ernst. „Leider hat Batuti mit seiner Vermutung ganz und gar nicht unrecht. Es gibt aber noch eine andere Seite der Geschichte.“ In knappen Zügen, aber doch ausführlich genug, schilderte Hasard das Gespräch mit George Darren Burke.

Als er geendet hatte, verharrten die Männer in atemlosem Schweigen. Burkes selbstherrliche Grausamkeit hatte ihnen buchstäblich die Sprache verschlagen.

Unvermittelt war ein Räuspern zu hören, bevor einer von ihnen etwas sagen konnte. Erstaunt wandten sie sich um.

In der Nachbarzelle zur Linken hatte sich einer der Gefangenen an die Gitterstäbe geschlichen. Anzunehmen, daß er die ganze Zeit zugehört hatte. Er war ein kleiner, krummbeiniger Kerl in zerlumpten Kleidern. Sein zerzaustes Haar leuchtete feuerrot über einem füchsischen Gesicht.

„Gestatten Sie, daß ich mich einmische, Gentlemen?“ Seine Stimme klang krächzend. „Mein Name ist Seamus Muldeen, und ich denke, ich kann Ihnen zu der Geschichte ein paar wichtige Hinweise geben.“ Er sah den Seewolf an und winkte mit knochigem Zeigefinger. „Rücken Sie etwas näher, Sir. Die anderen Galgenstricke“, er deutete mit einer Kopfbewegung nach hinten, wo die übrigen Gefangenen stumm und lauernd auf ihren Pritschen ausharrten, „brauchen nicht jedes Wort mitzukriegen.“

Stirnrunzelnd stand Hasard auf. Vielleicht war der Mann ein Wichtigtuer. Aber andererseits ging es um ihrer aller Schicksal, und da konnte jeder Hinweis wichtig sein, auch wenn er noch so lächerlich erschien.

Er ging zum Zellen-Trenngitter hinüber und sah dem rothaarigen kleinen Fuchsgesicht forschend in die Augen.

„In Ordnung, Mister Muldeen, dann laß mal hören, was du so Wichtiges auf Lager hast.“

Der Ire kicherte und wischte sich mit dem Handrücken über die Bartstoppeln, die seinen schmallippigen Mund umgaben.

„He, du denkst, ich bin ein Aufschneider, Sir Hasard?“ So, wie er die Anrede betonte, war herauszuhören, daß er den Titel des Seewolfs eher belustigend fand.

„Nein, das denke ich nicht“, entgegnete Hasard ruhig. „Wir sind fremd in dieser Stadt und in eine verdammt miserable Lage geraten. Da müssen wir jedem dankbar sein, der uns ein bißchen auf die Sprünge hilft.“

„Mhm.“ Muldeen nickte zufrieden. „Ehrlich gesagt, ich hab gleich gesehen, daß ihr Kerls in Ordnung seid. Keine Halunken und Halsabschneider von der Sorte, wie man sie sonst in diesen hübschen Gemächern antrifft.“

Er schien sich selbst für etwas sehr viel Besseres zu halten. Dan O’Flynn, Big Old Shane und die anderen Männer mußten sich ein Grinsen verkneifen, um den Iren nicht zu beleidigen.

„Was denkt ihr“, fuhr Muldeen fort, „weshalb Burke euch als billiges Kanonenfutter haben will? Daß ihr Sold oder so was kriegt, glaubt ihr ja wohl nicht. Ihr könnt froh sein, wenn ihr von seinem Söldnerfraß nicht verhungert. Also, was denkt ihr?“

Der Seewolf ging bereitwillig auf das Frage- und Antwortspiel ein.

„Sieht so aus“, begann er gedehnt, „als ob Burke mit den Rebellen eine Menge Ärger hat. Da kann ihm jede Verstärkung nur recht sein. Möglich auch, daß er einen Rachefeldzug plant.“

Der krummbeinige Ire kicherte wieder.

„Rache?“ fragte er dann. „Du meinst, wegen seines lächerlichen Geldtransports?“

„So lächerlich kann der nicht gewesen sein“, widersprach der Seewolf, „was wir gehört haben, ist, daß die Rebellen vor ein paar Monaten diesen Transport zur See überfallen haben. Sie raubten das Geld, töteten die gesamte Besatzung und versenkten das Schiff. Wenn das eine Kleinigkeit ist, weiß ich es nicht.“

„Sehr richtig“, sagte Muldeen, „du hast keine Ahnung, mein lieber Sir Hasard. Dieser Transport war für Burke ein kleiner Fisch, und er könnte das wahrhaftig verschmerzen. Deshalb legt er sich nicht dauernd mit den Rebellen an. Und im Interesse der Stadt Galway und ihrer ehrenwerten Bürger führt er seinen Kleinkrieg schon gar nicht. Soll ich dir sagen, um was es wirklich geht?“

„Da bin ich mal gespannt“, entgegnete Hasard, und das war ehrlich gemeint.

Seamus Muldeen nickte abermals und winkte den hünenhaften Engländer noch näher zu sich heran. Der Ire senkte seine Stimme zum Flüsterton.

„Hast du mal was von dem Goldschatz gehört?“

„Von dem der Spanier?“

„Haargenau, Mister – äh – Sir Hasard. Ich sage dir, es ist was wahr an der Geschichte, die man sich in jeder Hafenkeipe erzählt. Das war 1580, glaube ich, als die Spanier mit 600 Mann in Smerwick gelandet sind, um die Rebellen gegen die Engländer zu unterstützen. Aber die Dons haben dann ja mächtigen Schiffbruch erlitten. Nur ein Dutzend von ihnen soll überlebt haben. Es heißt, daß sie ihren Goldschatz in Sicherheit gebracht haben – irgendwo im Rebellenland.“

Hasards Augen verengten sich.

„Du meinst, Burke ist hinter dem Goldschatz her?“

„Das meinte ich nicht nur“, sagte Muldeen auftrumpfend, „es ist so.“

„Gibt es einen Beweis dafür?“

„Niemand erzählt Geschichten ohne irgendeinen Grund. Es ist immer was Wahres dran. Und wenn der Goldschatz nicht bei den Rebellen wäre, ja, dann hätten ihn doch die Engländer beim Sieg von Smerwick erbeuten müssen. Oder?“

Hasard rieb sich das Kinn.

„Das klingt logisch“, sagte er und nickte. „Es könnte etwas dran sein an dem, was du sagst, Seamus Muldeen.“

„Glaube mir, Sir Hasard, ich habe recht. Denk noch mal gut über alles nach. Natürlich wäre es unklug, wenn ihr Burke den Hals hinhaltet, damit er euch die Rübe abhackt. Aber es ist genauso unklug, für ihn die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Das schafft ihr nämlich nie im Leben. Gegen die Übermacht der Rebellen richtet ihr nichts aus, und wenn ihr hundert Mann von Norman Stephens’ Leuten dabeihabt. Wenn ich euch einen Rat geben darf: Nutzt die erstbeste Gelegenheit, um abzuhauen. Ich sage dir das nur, weil ich gemerkt habe, daß ihr anständige Kerle seid.“

Philip Hasard Killigrew lächelte und reichte dem Iren die kettenbewehrte Hand. Dann wandte er sich ab. Kein Wort drang über seine Lippen. In Gedanken vertieft ließ er sich auf seine Pritsche sinken. Und keiner seiner Männer stellte eine Frage.

Sie kannten ihn gut genug, um zu wissen, daß er in diesem Augenblick seine Entscheidung getroffen hatte.

Jeder einzelne von ihnen stand hinter dieser Entscheidung.

Sie hatten genug von dem mitgehört, was der fuchsgesichtige Muldeen berichtet hatte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 276

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