Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 371 - Burt Frederick - Страница 5

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Es war Ruhe eingekehrt. Das schnatternde Geschwader kubanischer Putzteufel, das zwei Tage lang alle Räume des Hauses bevölkert hatte, gehörte der Vergangenheit an. Geblieben war ein Geruch von Frische, vom Keller bis unter das Dach. Die drallen Habaneras hatten mit viel Temperament und Eifer ihre Schrubber und Wischlappen geschwungen, um dem so verteufelt gutaussehenden Señor aus dem fernen Alemania zu zeigen, was sie von Ordnung und Sauberkeit verstanden.

Arne von Manteuffel hatte ihnen einen sehr guten Lohn gezahlt. Denn als Inhaber eines deutschen Handelshauses in Havanna mußte er sich einen guten Ruf verschaffen. Und als die redseligen kubanischen Dragoner mit ihren Putzwerkzeugen davongezogen waren, da hatten sie bereits begonnen, in höchsten Tönen von ihm zu schwärmen.

Über blitzblanke Fußbodendielen und Treppenstufen verließ der hochgewachsene Mann seinen privaten Bereich im oberen Stockwerk und betrat das Kontor. Vorhänge dämpften das helle Morgenlicht, das durch die Fenster zu ebener Erde fiel. Hier, wie überall, liebten es Kaufleute nicht, sich in die Bücher schauen zu lassen. Arne mußte sich an die Gepflogenheiten halten, obwohl ihm der freie Blick durch klares Fensterglas lieber gewesen wäre.

Jörgen Bruhn blickte vom Pult auf, begrüßte Arne freundlich und fuhr dann fort, den Federkiel kratzend über die aufgeschlagene Seite eines Folianten zu bewegen. Arne spähte lächelnd über die Schulter des dunkelblonden Mannes aus Hamburg.

Das Datum, 10. März anno 1594, stand in kunstvollen Ziffern und Lettern über der neuen Seite des Journals. Sorgfältig und doch schwungvoll reihte Jörgen die Buchstaben aneinander. Es handelte sich um die Partie Mahagoniholz, die am Vortag auf die „Wappen von Kolberg“ verladen worden war. Alles mußte seine Richtigkeit haben, auch der buchhalterische Teil. Bis zum i-Tüpfelchen mußte die Faktorei von Manteuffel beweisen können, daß sie eine solide Firma war. Welche Rolle der blonde Deutsche in Havanna wirklich spielte, durfte niemals ans Tageslicht dringen – selbst dann nicht, wenn der Gouverneur oder ein anderer hochwohlgeborener Don durch widrige Umstände auf die Idee verfallen sollte, das neuerworbene Haus des Kaufherrn aus Kolberg auf den Kopf zu stellen.

„Ich nehme an, Jussuf wünscht seinen Lieblingen einen guten Morgen“, sagte Arne, während er ans Fenster trat und den Vorhang mit dem Zeigefinger ein Stück beiseite schob.

„Wie sollte es anders sein“, entgegnete Jörgen Bruhn, ohne von seinem Wälzer aufzublicken. „Es würde mich nicht wundern, wenn er auch noch sein Nachtquartier im Taubenschlag einrichtet.“

Arne von Manteuffel lachte leise. Der Hingabe, mit der sich Jussuf seinen gefiederten Prachtstücken widmete, verdankten sie schon eine Menge. Das Nachrichtensystem zwischen Havanna und der Schlangen-Insel hatte gleich beim ersten Versuch reibungslos funktioniert.

Wie erwartet, war die Brieftaube „Achmed“ Ende Februar zur Futterkrippe auf dem Hinterhof der Faktorei zurückgekehrt. In einem Federkielröhrchen, unter der mittleren Schwanzfeder befestigt, hatte der stramme Täuberich eine Meldung von Philip Hasard Killigrew und den Männern auf der Schlangen-Insel mitgebracht. Der Raid auf die Perlen-Galeone „Santa Clara“ war von Hasard und seiner Crew erfolgreich durchgeführt worden.

Arne blickte, durch den Vorhangspalt auf das nahe Hafengebiet. Schwerbeladene Fuhrwerke rollten zu den Piers, wo die Segler auf Fracht und Ausrüstung warteten. Menschen bevölkerten den Kai in geschäftiger Eile – Seeleute, Soldaten, Geschäftsleute, Handwerker, Arbeiter, Marktweiber und auch etliche von den herumlungernden Gestalten, wie sie in jedem Hafen dieser Welt anzutreffen waren. Die Masten der Schiffe reckten sich in ihrer bizarren Vielfalt der Morgensonne entgegen.

In diesem Gewirr dort draußen lag auch die „Wappen von Kolberg“, fertig zur Abreise. Für die Partie Mahagoniholz waren die Ladedokumente offiziell auf den Bestimmungshafen Kolberg ausgestellt. In Wahrheit würde die Galeone unter dem Kommando von Oliver O’Brien aber zur Schlangen-Insel segeln. Dort wartete Hesekiel Ramsgate sehnsüchtig auf das Bauholz, das er für seinen Werftbetrieb so dringend brauchte.

Ungewollt wanderten Arnes Gedanken zu der Heimatstadt an der Ostsee, und er wandte den Kopf, um die noch schmucklosen Wände des Kontors zu betrachten. Ein großes Ölbild mit einer Hafenansicht von Kolberg hätte als angemessene Zierde besonders gut in diesen Raum gepaßt, ganz dem Sinn eines traditionsbewußten Handelshauses entsprechend.

Aber woher sollte er ein solches Gemälde nehmen? Er konnte wohl kaum einen Maler beauftragen, den Heimathafen aus seiner Erinnerung auf einer Leinwand zu verewigen. Einem Künstler in diesen sonnigen Breiten fehlte sicherlich die Vorstellungskraft, die rauhe Atmosphäre der Ostseeküste vor seinem geistigen Auge entstehen zu lassen.

Dennoch – hatte er nicht erst vor wenigen Tagen ein kleines Ölbild gesehen, das auf eben diese Art und Weise entstanden war? Ein spanischer Kunstmaler hatte nach den Angaben verschiedener Menschen ein Porträt angefertigt, das vollkommene Ähnlichkeit aufwies.

Das Porträt des Seewolfs.

Abermals wandte sich Arne dem Fenster zu und schob den Vorhang ein Stückchen beiseite. Im selben Moment kniff er die Augen zusammen. Es war ein Impuls, der ihn dazu veranlaßte, deutlicher und klarer als das Funkeln eines Lichtreflexes auf dem Wasser.

Das Dunkelblau eines gutsitzenden Wamses stach ins Auge, obwohl man es nicht einmal als auffällig bezeichnen konnte. Vielleicht lag es daran, daß der Mann an sich eine bemerkenswerte Erscheinung war und sich dementsprechend vom Menschengewühl abhob.

Der Mann, der das Ölbildnis des Seewolfs besaß.

Don Juan de Alcazar.

Arne wischte sich mit dem Handrücken über die Lider und blinzelte. Es war keine Sinnestäuschung. Der Spanier schritt zielstrebig auf die Faktorei zu, und in seiner Begleitung befand sich ein Mann, der ebenfalls kein Unbekannter war.

Manchmal gibt es verrückte Zufälle, dachte Manteuffel. Old Donegal Daniel O’Flynn, der alte Hellseher, hätte seine helle Freude an dieser „Gedankenübertragung“ gehabt und sogleich eine ganze Latte von Schauergeschichten vom Stapel gelassen.

De Alcazar mochte um die dreißig Jahre alt sein. Schlank und knapp sechs Fuß groß, war er allein durch sein Äußeres in der Lage, weibliche Blicke auf sich zu lenken und Frauenherzen schneller schlagen zu lassen. So gepflegt wie sein gesamtes Äußeres war auch sein schwarzes Haar. Die schiefergrauen Augen hatten einen harten Glanz und unterstrichen die kühne, schmale Nase und die energischen Kinnlinien seines scharfgeschnittenen Gesichts.

Der Beauftragte der spanischen Krone wurde begleitet von einem Mann, der Mühe hatte, de Alcazars eiliges Schrittempo mitzuhalten. Beim Bankett des Gouverneurs hatte Don Gabriel Romero Tintillan, der Kapitän der „Santa Clara“, ein überaus klägliches Bild abgegeben. Und im Vollrausch hatte er Arne die Information über die Perlenladung gegeben, die letztlich zum erfolgreichen Fischzug Hasards und seiner Männer geführt hatte.

Während die beiden Spanier schon die Eingangstür des Kontorhauses erreichten, wurde Arne schlagartig bewußt, was das Auftauchen des Kapitäns gemeinsam mit de Alcazar bedeutete. Don Gabriel mußte den Seewolf gesehen haben und …

Ein energisches Klopfen dröhnte durch den Korridor und unterbrach die Gedanken von Manteuffels.

Jörgen Bruhn wandte sich an seinem Pult um.

„Besuch?“ fragte er erstaunt. „Erwarten wir denn jemanden?“

„Nein“, erwiderte Arne mit einem harten Lächeln. „Dieser Besuch dürfte eine gelungene Überraschung sein.“ Im Hinausgehen erklärte er seinem Schreiber, wer dort draußen an die Tür hämmerte. Jörgen würde seine Arbeit fortsetzen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, das wußte Arne. Und er selbst war entschlossen, die Rolle zu spielen, die diese Situation ihm abverlangte.

Das Klopfen endete, als seine Schritte durch den Korridor klangen. Er löste die Riegel und öffnete. Im selben Moment spielte er den Entgeisterten. Dabei gelang es ihm, das rechte Maß zu finden und nicht zu übertreiben. Denn er wußte, daß de Alcazar ein scharfer und unbestechlicher Beobachter war. Arne sperrte den Mund weit auf und starrte die beiden Männer mit großen, verblüfft blinzelnden Augen an.

„Nein!“ rief er erstaunt und gedehnt. „Kann ich meinen Augen trauen? Sie hier? Beide? Sind Sie denn nicht …“

De Alcazar unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewegung und wandte sich dem Kapitän zu.

„Nun, Don Gabriel? Sehen Sie sich diesen Mann genau an. Und dann beantworten Sie meine Frage: Hat der englische Piratenkapitän so ausgesehen wie Señor de Manteuffel?“

Arne mußte seine ganze Beherrschung aufbieten, um sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Don Juans Miene war eisig, und jede Bemerkung, die nichts mit der von ihm verfolgten Sache zu tun hatte, würde an ihm abprallen. Soviel stand fest. Doch Arne verlor die Rolle des grenzenlos Überraschten keinen Augenblick. Stirnrunzelnd und scheinbar begriffsstutzig erwiderte er den forschenden Blick des Kapitäns, der seinen Knebelbart zwischen Daumen und Zeigefinger drehte.

„Ich sehe Señor de Manteuffel ja nicht zum ersten Mal“, sagte Tintillan. „Wir sind uns doch schon beim Bankett des Gouverneurs begegnet.“

„Danach habe ich nicht gefragt“, sagte de Alcazar, und es klang wie ein zischender Peitschenhieb.

Der Kapitän der „Santa Clara“ zuckte zusammen.

Arne tat, als hätte er seine Überraschung wenigstens teilweise überwunden.

„Señores“, sagte er beschwichtigend und mit einer einladenden Handbewegung. „Wir sollten uns nicht zwischen Tür und Angel unterhalten. Und wenn Sie so schwerwiegende Fragen haben, Don Juan, dann werden Sie die vielen unerwünschten Ohren auch nicht gerade schätzen.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Menschen auf dem Kai.

Der Anflug von Spott in seiner Stimme war de Alcazar nicht entgangen, das zeigte sich an einem kaum merklichen Glimmen in den schiefergrauen Augen.

Mit einem grimmigen Nicken stimmte der Agent des spanischen Königshauses zu. Arne führte die beiden Männer in sein Besprechungszimmer, das sich auf der anderen Seite des Korridors befand, dem Kontor gegenüber. Er wußte, daß er auf dem richtigen Weg war. Wenn es ihm gelang, de Alcazars bohrende Fragen mit einer gehörigen Portion Humor auf die leichte Schulter zu nehmen, dann brachte er den Mann damit am ehesten aus dem Konzept. Er forderte die Besucher auf, in den behaglichen Sesseln Platz zu nehmen.

„Noch einmal“, bedrängte Don Juan den Kapitän. „Können Sie eine Ähnlichkeit feststellen?“

„Natürlich“, erwiderte Tintillan pikiert. „Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Don Juan: Ich habe nicht von ungefähr erwähnt, daß ich Señor de Manteuffel beim Gouverneur kennenlernte. Denn als diese englischen Piraten mein Schiff enterten, da hat mich vor. Überraschung fast der Schlag getroffen. Würde Señor de Manteuffel eine schwarze Perücke tragen, dann sähe er haargenau so aus wie dieser englische Piratenkapitän.“

„Aha“, sagte de Alcazar und preßte die Lippen aufeinander. Aus schmalen, blitzenden Augen betrachtete er sein Gegenüber.

Arne erkannte überdeutlich, was in dem Mann vor sich ging. Zweifellos empfand er Triumph darüber, daß er nun zumindest einen Augenzeugenbericht über den gesuchten Feind der spanischen Kröne erhalten hatte. Der Kapitän und die Besatzung der „Santa Clara“ hatten den Seewolf gesehen. Der Engländer, auf den Don Juan de Alcazar angesetzt worden war, hielt sich folglich in der Karibik auf. Vielleicht hatte er sogar seinen Schlupfwinkel in der Nähe der Bahamas, wo er zugeschlagen hatte.

Doch der Triumph de Alcazars wurde geschmälert von seiner Wut. Das Muskelzucken in seinem Gesicht verriet es. Er hatte die Gelegenheit verpaßt, dem Seewolf persönlich zu begegnen. Unbekannte Strolche hatten ihn überfallen, bewußtlos geschlagen und gefesselt, und somit war die „Santa Clara“ ohne ihn ausgelaufen.

Arne mußte sich zwingen, bei diesem Gedanken nicht zu grinsen. Da er letzten Endes den Überfall durch die „unbekannten Strolche“ inszeniert hatte, konnte er sich Don Juans augenblickliche Gefühle sehr gut vorstellen. Aber er mußte seine Rolle als völlig Unbeteiligter und Ahnungsloser weiterspielen.

„Da Don Gabriel Ihre Frage nunmehr beantwortet hat“, sagte er kühl und abermals mit einem Hauch von Spott in der Stimme, „wäre ich dankbar, wenn Sie mich über den Grund Ihrer Anwesenheit aufklären würden, Señor de Alcazar. Immerhin mußte ich nach dem letzten Stand der Dinge annehmen, daß Sie sich in der Gegend von Florida befinden, und daß die ‚Santa Clara‘ auf der Rückreise nach Europa ist.“

„Wie Sie sehen, ist beides nicht der Fall“, entgegnete Don Juan frostig. „Und daß es so ist, verdanken wir Ihrem Doppelgänger, der als englischer Pirat sein Unwesen treibt.“

„Langsam entwickle ich Respekt vor diesem Burschen.“ Arne lächelte und blies die Luft durch die Nase. „Eines Tages wird er mich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen, fürchte ich. Ich spüre, daß Sie mir diese zufällige Ähnlichkeit schon jetzt zur Last legen, wenn Sie es auch nicht offen aussprechen.“

„Ihre Ähnlichkeit mit Killigrew ist zumindest frappierend. Welche Rückschlüsse man daraus zieht, ist im Moment noch unerheblich. Denken Sie also, was Sie wollen. Vorrangig geht es darum, daß wir den Mann fassen. Dann sehen wir weiter.“

„Das klingt bedrohlich“, sagte Arne und tat, als erschauerte er. „Ich frage mich nur, wie der Kerl Sie daran gehindert hat, sich an Bord der ‚Santa Clara‘ zu begeben.“

„Unsinn“, fauchte de Alcazar. „Davon war nicht die Rede.“

„Ach, nein? Sie sagten, daß Sie Ihre augenblickliche Lage meinem Doppelgänger verdanken.“

„Das bezog sich auf den Verlust der ‚Santa Clara‘. Ich selbst wurde von geldgierigen Halunken in eine Falle gelockt. Deshalb war ich beim Auslaufen der Galeone nicht zur Stelle.“

Arne erlebte ein neues Beispiel für das Bemerkenswerte an diesem Mann. Bei aller Verbissenheit, mit der er sein Ziel verfolgte, blieb er doch ehrlich gegenüber sich selbst und anderen. Dafür sprach die Tatsache, daß er die erlittene Schlappe unverhohlen zugab. Don Juans Fähigkeit, Schwächen einzugestehen, machte ihn um so gefährlicher.

Er war kein Mann, der mit Haken und Ösen, mit Winkelzügen und Hinterhältigkeiten arbeitete. Ein Gegner also, auf den man sich einstellen konnte. Doch eben das konnte wiederum auch zum Leichtsinn führen. War man zu sehr überzeugt, de Alcazars Reaktionen richtig vorausberechnet zu haben, dann war es für ihn um so einfacher, einen mit einem unerwarteten Schachzug zu überrumpeln.

„Da scheinen Sie ja großes Pech gehabt zu haben“, sagte Arne. „Vermute ich richtig, daß Sie eine günstige Gelegenheit verpaßt haben, Ihrem Erzfeind Auge in Auge gegenüberzutreten?“

„Sie verdrehen die Tatsachen, Señor de Manteuffel. Killigrew ist nicht mein Erzfeind. Ich habe den Auftrag, ihn zu verfolgen und gefangenzunehmen. Den Mann selbst kenne ich noch nicht. Weshalb sollte ich also Haßgefühle oder ähnliche Regungen entwickeln? So etwas trübt nur den klaren Blick und verleitet zu Fehlern. Killigrew hat der spanischen Krone unermeßlichen Schaden zugefügt. Das ist für mich ein ausreichender Grund, ihn zur Strecke zu bringen. Im übrigen hätte mir die Begegnung mit ihm an Bord der ‚Santa Clara‘ wenig genutzt. Unter den gegebenen Umständen hätte ich wohl kaum eine Chance gehabt, ihn festzunehmen.“

Wieder diese entwaffnende Offenheit. Arne begann, ein gewisses Maß an Achtung vor diesem Mann zu empfinden. Es schien zu Don Juan de Alcazars ehernen Grundsätzen zu gehören, nichts zu beschönigen. Auch dann nicht, wenn er sich dadurch selbst in ein ungünstiges Licht rückte.

Von Manteuffel zog die Schultern hoch.

„Allmählich ahne ich den Grund für Don Gabriels Anwesenheit.“ Er blickte den Mann mit dem Knebelbart an, und im selben Moment durchfuhr ihn ein bestürzender Gedanke: Wenn sich der Kapitän jetzt daran erinnerte, daß er ihm die Einzelheiten über die Perlenladung und den Kurs der „Santa Clara“ im Vollrausch verraten hatte? Würde er mit Don Juan darüber gesprochen haben?

Falls es so sein sollte, fehlte dem Agenten der Krone aber immer noch das letzte Glied in der Kette der Mußmaßungen. Denn niemand konnte von der Nachrichtenübermittlung per Brieftaube auch nur das geringste ahnen. Aber Arne brauchte Gewißheit. Er beschloß, den trinkfreudigen Kapitän auf die Probe zu stellen. „Übrigens können wir es meinetwegen gern bei der Gewohnheit belassen, Don Gabriel. Nennen Sie mich getrost weiter ‚Alfredo‘, wie Sie es beim Bankett des Gouverneurs taten.“

Tintillan lief rot an und erntete einen erstaunten Seitenblick de Alcazars.

„Habe ich das getan?“ entgegnete Don Gabriel verlegen. „Dann muß ich nachträglich um Verzeihung bitten. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Es muß wohl daran gelegen haben, daß – daß die Zeit schon ziemlich fortgeschritten war.“

Arne atmete innerlich auf, ohne es sich anmerken zu lassen. Tintillans Gedächtnis schien tatsächlich vom Alkohol umnebelt gewesen zu sein. Keine Gefahr also, daß er sich an unliebsame Gesprächsdetails erinnerte.

„Scherze nehme ich niemandem übel“, sagte Arne. Er winkte ab und lehnte sich zurück. „Hauptsache ist doch, daß Sie wohlbehalten nach Havanna zurückgekehrt sind. Wenn ich die Ungereimtheiten richtig verstanden habe, müssen Sie sich in großer Gefahr befunden haben.“

Don Gabriel war sichtlich froh, daß von Manteuffel das Thema wechselte. Entsprechend bereitwillig folgte der Wortschwall des Kapitäns.

„Diese Teufelskerle haben uns im Nordausgang der Florida-Straße erwischt, vor Groß-Bahama. Erst haben sie uns mit ihrer portugiesischen Flagge überrumpelt, und dann ging alles so schnell, daß wir kaum noch zur Besinnung gelangten. Jedenfalls haben die Piraten meine Crew und mich bei Jupiter an Land gesetzt. Mit einigen Mühen ist es uns gelungen, Jupiter zu erreichen. Dort haben wir uns eine Schaluppe verschafft, mit der wir nach Havanna segeln konnten. Gestern sind wir hier eingetroffen.“

Während Tintillan sprach, hatte de Alcazar die linke Augenbraue hochgezogen. Und der Blick, mit dem er den Kapitän von der Seite her maß, zeigte unverhohlenes Mißfallen. Warum er sich so verhielt, vermochte Arne indessen noch nicht festzustellen.

„Wenn ich versuche, mir die Lage an Bord der ‚Santa Clara‘ vorzustellen“, sagte er nachdenklich, „dann überrascht mich eines: Dieser angeblich so gefährliche englische Pirat scheint ein sehr höflicher Mensch zu sein. Nach dem Kapern einer spanischen Handels-Galeone hätten andere an seiner Stelle wahrscheinlich die gesamte Besatzung massakriert, statt dafür zu sorgen, daß sie wohlbehalten die Küste erreicht.“

Bei diesen Worten begann das Gesicht Tintillans zu strahlen.

„Oh, Sie haben recht, Señor de Manteuffel!“ rief er, und es klang geradezu begeistert. „Dieser Pirat Killigrew hat mich in der Tat wie ein Kavalier behandelt. Die Engländer würden ihn einen ‚Gentleman‘ nennen, glaube ich. Ja, das ist er im wahrsten Sinne des Wortes. Beim Angriff auf unser Schiff hatte ich das Schlimmste befürchtet. Aber dann wurde ich angenehm überrascht. Es war beinahe eine Ehre, diesem Mann den Degen zu überreichen.“

„Geraten Sie nur weiter ins Schwärmen, Don Gabriel“, sagte de Alcazar gereizt. „Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie von einem berüchtigten Piraten sprechen? Von dem zur Zeit vermutlich schlimmsten Feind der spanischen Krone?“

Arne begriff jetzt, was in Don Juan vor sich ging. Und es erfüllte ihn mit geheimem Vergnügen, daß die Worte Tintillans dem Agenten völlig gegen den Strich gingen. Diese „Schwärmerei“ paßte nicht zu dem Feindbild, das er sich zurechtgelegt hatte. Wenn er auch keinen persönlichen Haß auf den Mann empfand, den er jagen sollte, so brauchte er doch die Gewißheit, daß er es mit einem Piraten im landläufigen Sinne zu tun hatte. Und ein solcher Pirat mordete und brandschatzte, sorgte aber nicht dafür, daß seine Gefangenen wohlbehalten an Land gebracht wurden.

„Ich weiß durchaus, von was ich rede“, sagte Don Gabriel aufbegehrend. „Die Piraten haben mein Schiff geentert und in ihre Gewalt gebracht. Das ändert aber nichts daran, daß sie sich verdammt anständig benommen haben. Diese Aussage werde ich jederzeit wiederholen und auch beschwören. Recht muß Recht bleiben.“

Don Juan de Alcazar preßte unwillig die Lippen aufeinander. Die Furchen seiner Stirn ließen vermuten, daß er zumindest irritiert war. Wenn er keinen zweiten Versuch unternahm, Tintillan vom Gegenteil zu überzeugen, dann mußte dies zumindest bedeuten, daß er ein wenig über den Seewolf nachzudenken begann. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung wandte er sich Arne zu.

„Das ganze Gerede lenkt nur vom Kern der Sache ab, Señor de Manteuffel. Die Aussage von Capitán Tintillan bestätigt klipp und klar, daß es aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Ihnen und Killigrew einen Zusammenhang geben muß.“

Arne lachte leise.

„Ich weiß, daß das Ihr Lieblingsthema ist, Don Juan. Aber Sie können darauf herumreiten solange Sie wollen, es wird Ihnen doch nichts einbringen.“ Das Lächeln schwand aus seinem Gesicht, und sein Tonfall wurde eisig. „Ich wiederhole mich nicht gern, aber ich habe es Ihnen bereits erklärt: Ich bin Deutscher. Meine Familie und ich haben keinerlei Beziehungen zu England. Nicht einmal unser Handelshaus pflegt Kontakte mit England. Jagen Sie meinetwegen Ihrer fixen Idee nach. Aber verschonen Sie mich damit. Ich habe nämlich keine Lust, ständig mit ihrem Señor Killigrew verglichen zu werden. Im übrigen bitte ich um Verständnis, daß meine Zeit knapp bemessen ist. Ich muß mich nämlich um mein Schiff kümmern, das heute noch auslaufen soll.“ Er erhob sich aus seinem Sessel, und Don Juan hätte schon ein Einfaltspinsel sein müssen, um diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht zu verstehen.

„Nun, ich werde Ihre wertvolle Zeit nicht über Gebühr beanspruchen“, antwortete de Alcazar sarkastisch. „Aber ich bin nicht sicher, ob wir uns nicht doch noch einmal über dieses Thema unterhalten werden.“ Er stand auf, und Tintillan folgte seinem Beispiel.

Don Juan de Alcazar verabschiedete sich mit einem knappen Nicken. Und Arne von Manteuffel bemühte sich nicht, die entstandene frostige Atmosphäre durch einen höflicheren Abschiedsgruß zu mildern.

Durch den rückwärtigen Hauseingang erschien Jussuf auf der Bildfläche, kaum daß die beiden Spanier gegangen waren. Mit besorgter Miene eilte er durch das Halbdunkel des Korridors auf von Manteuffel zu.

„Ich habe gewartet, bis die Luft rein ist“, sagte der Türke. Er zwirbelte seinen Schnauzbart und spähte forschend in die Gesichtszüge des hochgewachsenen Deutschen, mit dem er sich in gewohnter Weise auf Spanisch unterhielt. Ihnen beiden brachte das den Vorteil, sich auch sprachlich der Umgebung in Havanna anzupassen. „Wollte durch mein Auftauchen nicht noch mehr Verdruß bringen.“

Arne klopfte dem stämmigen Mann mit den wie poliert aussehenden schwarzen Augen auf die Schulter.

„Woher willst du wissen, daß es Verdruß gegeben hat?“

„Nun, die Stimmen klangen nicht gerade freundlich. Und da habe ich gedacht, vielleicht stellen diese Señores nur noch mehr unangenehme Fragen, wenn sie mich sehen.“

„Schon gut, Jussuf. Aber grundsätzlich gilt, daß wir nichts zu verbergen haben. Wenn wir uns wie Heimlichtuer aufführen, dann wird man uns das sehr bald anmerken.“

Jussuf grinste, daß sich die Enden seines Sichelbarts anhoben. Und er nickte eifrig, denn er hatte sehr wohl begriffen, wie gut es der „deutsche Kaufherr von Manteuffel“ verstand, sich in Havanna einen einwandfreien Ruf zu verschaffen.

Arne schob seinen Hausmeister und treuen Diener ins Kontor. Jörgen Bruhn war deutlich anzusehen, daß ihm die Fragen buchstäblich auf den Lippen brannten. Mit knappen Worten erklärte Arne die beiden Männer über das Gespräch mit Don Juan de Alcazar und Kapitän Tintillan auf.

„Ich ziehe mich für eine Weile zurück“, sagte er schließlich. „Sorgt bitte dafür, daß ich nicht gestört werde.“

Er wußte, daß er sich in diesem Punkt auf seine beiden Helfer absolut verlassen konnte. Doch es war kaum zu erwarten, daß an diesem Vormittag noch weitere aufdringliche Besucher auftauchen würden.

Arne stieg die Treppe hinauf und begab sich in seine Privaträume. Er verriegelte die Tür, ehe er sich an das kleine Schreibpult setzte. Die Zeilen, die er zu Papier bringen wollte, mußten unbedingter Geheimhaltung unterliegen. Er strich das Papier glatt, öffnete das Tintenfaß und tauchte den Federkiel ein. Es fiel ihm nicht schwer, die passenden Worte zu finden, denn es handelte sich um eine Vielzahl von Informationen, die es weiterzugeben galt.

Arne schrieb die Zeilen in seiner deutschen Muttersprache – eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme. Nils Larsen würde auf der Schlangen-Insel für die Übersetzung sorgen.

Mein lieber Vetter!

Bisher hast Du nur aus unserer geglückten Nachrichtenverbindung durch die Brieftauben schließen können, daß sich die Dinge hier in Havanna erwartungsgemäß gut entwickelt haben. Aus verschiedenen Gründen ist es aber an der Zeit, daß ich Dir auf diesem Weg einen ausführlichen Bericht erstatte:

Doch zunächst zum Grundsätzlichen: Es ist mir fast auf Anhieb gelungen, ein geeignetes Kontorgebäude in Hafennähe zu erwerben. Meine treuen Helfer Jörgen Bruhn, Jussuf und ich verfügen hier über alle erforderlichen Räumlichkeiten, um eine ordnungsgemäße Faktorei zu betreiben.

Das Gebäude konnte ich dank guter Kontakte zum Gouverneur, Don Antonio de Quintanilla, für 100 Goldtaler kaufen. Im übrigen ist dieser de Quintanilla so bestechlich wie ein Mann nur sein kann. Ich habe diese Tatsache natürlich ausgenutzt. Bei allem Imponiergehabe dieses feinen Gouverneurs ist mir jedoch klar, daß er ein ausgekochter Halunke und Intrigant ist. Seine Gefährlichkeit darf man also keineswegs unterschätzen.

Der wesentliche Grund meines Briefes ist jedoch dieser: Ich bin hier einem Mann begegnet, über den Du unbedingt genau Bescheid wissen mußt. Unser erstes Zusammentreffen ereignete sich schon auf der Reise der „Wappen von Kolberg“ nach Havanna. Es war am 19. Februar, als wir südwestlich der Cay Sal Banks auf eine spanische Galeone stießen, die von neun Piraten-Schaluppen angegriffen wurde. Ich hielt es für einen passenden Beginn meiner Mission in Havanna, den Spaniern Hilfe zu leisten. Wir schlugen die Piraten in die Flucht, und ich lernte an Bord des Spaniers neben dem Kapitän und den Offizieren einen gewissen Don Juan de Alcazar kennen.

Kurze Zeit später erfuhr ich dann vom Gouverneur, daß de Alcazar ein Sonderbeauftragter der spanischen Krone ist. Noch bevor ich weitere Einzelheiten herausfand, gelang es Renke Eggens und mir, diesen Mann abends nach einem Kartenspiel zu retten, als er von vier Galgenstricken überfallen wurde. Das hat zu einem gewissen Vertrauensverhältnis mit de Alcazar geführt, obwohl er mir gegenüber aus einem anderen Grund noch immer ein gewisses Mißtrauen hegt.

Dieser Grund liegt in der Natur seines Sonderauftrags. Er zeigte mir ein ölgemaltes Bildchen, das Dein Porträt zeigt und nach dem Gedächtnis verschiedener Personen angefertigt wurde. Natürlich war und ist de Alcazar über unsere Ähnlichkeit verblüfft. Es ist mir bisher aber gelungen, etwaige Beziehungen zwischen uns weit von mir zu weisen.

Jedenfalls hat de Alcazar den Auftrag, Dich zu jagen und gefangenzunehmen. Ursprünglich hatte er vor, mit der „Santa Clara“ zur Küste von Florida zu reisen, um dort nach Dir zu suchen. Meine Männer und ich haben mit knapper Not verhindern können, daß sich de Alcazar an Bord der „Santa Clara“ begab. Nichtsdestoweniger ist aber der Kapitän der Galeone gemeinsam mit de Alcazar hier aufgetaucht. Der Kapitän war beeindruckt von Deinem ritterlichen Verhalten, was meines Erachtens auch auf de Alcazar nicht ohne Wirkung geblieben ist.

All das ändert aber nichts daran, daß dieser Sonderbeauftragte jetzt eine Spur wittert. Der Überfall auf die „Santa Clara“ hat bei Groß-Bahama stattgefunden, und dort wird de Alcazar ohne Zweifel mit seiner weiteren Suche beginnen. Zwar ist er ein Mann mit anerkennenswerten Grundsätzen und vor allem ein ritterlicher Gegner, aber gerade das wird die ganze Angelegenheit vermutlich nur komplizieren.

Ich denke, Du verstehst, lieber Vetter, daß ich allen Grund habe, Dich zu warnen. Dabei fürchte ich, daß ich selbst nicht allzuviel tun kann. Ich kann versuchen, de Alcazar vom Bereich der Caicos-Inseln fernzuhalten, indem ich beispielsweise falsche Spuren lege. Solle es diesem Mann aber jemals gelingen, das Geheimnis der Schlangen-Insel als Stützpunkt des Bundes der Korsaren zu lüften, dann ist das Ende abzusehen! Denn dann wird de Alcazar aufgrund seiner Vollmachten in der Lage sein, eine gewaltige Flotte gegen die Schlangen-Insel in Marsch zu setzen.

Ich schicke diesen Brief mit der „Wappen von Kolberg“, die Euch eine Ladung Mahagoniholz bringt und natürlich offiziell nach Kolberg unterwegs ist. Das heißt, die „Wappen“ dürfte frühestens nach vier Monaten wieder in Havanna auftauchen, wenn man für die Entfernung Havanna–Kolberg eine Reisedauer von jeweils zwei Monaten zugrunde legt.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich Dir allerdings vorschlagen, daß wir weitere kaufmännische Aktivitäten vortäuschen. Das könnte auf die Art und Weise geschehen, daß Du mir in etwa einem Monat die „Santa Clara“ nach Havanna schickst – natürlich getarnt als deutsches Handelsschiff aus Kolberg. Ich könnte die Galeone dann wiederum mit Waren beladen lassen, die auf der Schlangen-Insel dringend gebraucht werden.

Weiter schlage ich vor, daß Jerry Reeves und seine Mannschaft für diesen Zweck die „Santa Clara“ übernehmen, die äußerlich entsprechend verändert werden müßte. Ich denke vor allem an einen deutschen Schiffsnamen (den sich Renke Eggens überlegen könnte), an eine andere Galionsfigur sowie an andere Bemalung und vor allem andere Bewaffnung.

Alle weiteren Nachrichten, die entsprechend kürzer ausfallen werden, bringe ich in bewährter Weise durch Brieftauben auf den Weg.

Es grüßt Dich und alle Freunde und Gefährten

Dein Vetter Arne.

Er las den Text noch einmal sorgfältig durch, faltete das Papier dann und verschloß es mit einer gehörigen Portion Siegellack, in den er das altvertraute Familienwappen seines Stammhauses in Kolberg drückte. Behutsam verstaute er den Brief unter seinem Wams. Anschließend unterrichtete er Jörgen Bruhn und Jussuf und begab sich auf den Weg zum Liegeplatz der „Wappen von Kolberg“.

Die Vorbereitungen zum Ankeraufgehen waren inzwischen nahezu abgeschlossen. Über die Stelling folgte Arne einem der Stauer, die die letzten mit Trinkwasser gefüllten Fässer an Bord mannten. Die Männer, die sich auf der Kuhl und auf der Back aufhielten, begrüßten von Manteuffel mit freudigem Hallo. Er winkte ihnen zu und erblickte Oliver O’Brien und Renke Eggens auf dem Achterdeck. Auf sein Handzeichen hin begaben sie sich gemeinsam mit ihm in die Kapitänskammer.

Arne wartete, bis Renke das Schott geschlossen hatte.

„Es sind noch Fremde an Bord“, sagte er. „Einen anderen Grund hat meine Vorsicht nicht.“ Dann zog er den Brief unter seinem Wams hervor und berichtete ausführlich über den Inhalt.

Die beiden Männer hörten aufmerksam zu. Für Oliver O’Brien, den grauäugigen Mann mit dem kantigen Gesicht, gab es seit langem keine Verständigungsschwierigkeiten mehr, da er als Sohn einer deutschen Mutter und eines irischen Vaters zweisprachig aufgewachsen war.

Renke Eggens, der Fischerssohn auf Rügen, ließ deutliche Besorgnis in seinem schmalen Gesicht erkennen. Er brauchte keine zusätzlichen Erklärungen, um zu begreifen, welche Schwierigkeiten sich möglicherweise für den Bund der Korsaren und insbesondere für den Seewolf abzeichneten.

„Ihr müßt über alle diese Punkte informiert sein“, schloß Arne, „denn notfalls müßt ihr auch in der Lage sein, den Bericht mündlich an Hasard weiterzugeben.“

Oliver O’Brien nahm den Brief entgegen.

„Ich verstehe“, sagte er und nickte. „Sollte die ‚Wappen‘ vor Erreichen der Schlangen-Insel aufgebracht werden, muß dieses Papier vernichtet werden.“

„Richtig“, sagte Arne. „Wir wollen nicht hoffen, daß so etwas passiert. Aber bei einem Zwischenfall müßt ihr den Brief in jedem Fall vernichten, einerlei, mit wem ihr aneinandergeratet.“

„Einer von uns beiden wird dafür sorgen“, sagte Renke Eggens mit einem harten Lächeln. „Darauf kannst du dich verlassen.“

Oliver O’Brien verstaute den versiegelten Brief im Geheimfach des Kapitänsschapps, in dem sich auch das Logbuch und andere wichtige Dokumente befanden.

Kurze Zeit später, als sie sich wieder an Deck begaben, war die „Wappen von Kolberg“ klar zum Auslaufen. Arne von Manteuffel verabschiedete sich von den Männern und verließ das Schiff über die Stelling, die gleich darauf eingezogen wurde.

Auf der Pier blieb er stehen und beobachtete das Ablegemanöver der stattlichen Galeone. Er konnte einen Hauch von Wehmut nicht unterdrücken. Die Männer an Deck hatten jetzt alle Hände voll zu tun, aber dennoch gab es hier und da ein Winken. Sie wußten, daß seine guten Wünsche sie begleiteten, und sie wußten auch, was es für den einsamen Mann auf der Pier bedeutete, an Land zurückbleiben zu müssen.

Aber bei Oliver O’Brien und den anderen war das Schiff in besten Händen, und jeder einzelne von ihnen würde sein Leben dafür einsetzen, daß es sicher und wohlbehalten sein Ziel erreichte.

Arne blickte der „Wappen“ noch nach, als sie bereits mit prallen Segeln durch die schlauchartige Hafeneinfahrt zwischen den Forts Castillo del Morro und Castillo de la Punta rauschte. Zunächst würde O’Brien Kurs auf die Florida-Straße nehmen. Dann aber würde er den Kurs nach Osten in Richtung Caicos-Inseln ändern, sobald sich die Gelegenheit dafür bot. Das hieß, Havanna mußte außer Sicht sein, und es durfte sich auch kein anderes Schiff in Sichtweite befinden, das diesen Kurswechsel beobachten konnte.

Der hochgewachsene Deutsche verließ die Pier. Jussuf und Jörgen Bruhn warteten in der Faktorei auf ihn. Es galt, sich den vordringlichen Aufgaben zu widmen.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 371

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