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MAXIMILIAN I. UND DIE HOFMUSIK DES 15. JAHRHUNDERTS - CELTIS ODERDIE VORWEGNAHME DER BAROCKOPER - DAS JESUITENTHEATER IM SCHOLARENHAUS - DER REICHSTAG FERDINANDS III. ALS MUSIKALISCHES GROSSEREIGNIS (1653)
Das glänzende Vorbild höfischer Musikpraxis gibt gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Hofkapelle Kaiser Maximilians (1459-1519), dessen diverse Hoflager in Innsbruck, Augsburg, Konstanz und Wien ohne Musikkapelle geradezu undenkbar war. Der von Albrecht Dürer verewigte Triumphzug beweist nachhaltig, wie sehr die Künstler geehrt und anerkannt wurden (1). So spielt beispielsweise der Salzburger Paul Hofhaimer, den sogar ein Paracelsus bewunderte, auf einem fahrenden Wagen die Orgel. Darunter stehen die Verse: "... Aufs allerpest nach Maisterschafft / Wie dann der Kaiser hat geschafft". - Maximilians Geheimschreiber berichtet im so genannten >Weisskunig< (1512) bereits über den Herrscher: "Dan hat er aufgericht ain söliche cantarey mit ainem sölichen gesang von der menschen stym, wunderlich zu hören, und sölich libliche harpfen von newen werken und mit suessem saytenspil, dass er alle kunig ubertraf" - (Dann hat er eine selige Kantorei errichtet mit einem seligen Gesang von der Menschen Stimme, und selig lieblichen Harfen von neuen Werken und mit seligen Saitenspiel, so dass er alle Könige übertraf). - Eines der wichtigsten musikhistorischen Zeugnisse dieser Zeit bleibt das 1544 erschienene >Liederbuch< Wolfgang Schmelzls (1500-1557), eines Schulmeisters bei den Schotten in Wien, der sich bereits den modernen italienischen Kompositionen annäherte - einem Stil, der allmählich über die Gregorianischen Choralwerke triumphieren sollte.
Dienten Kantorei und Kapelle dem Kaiser zunächst noch vorwiegend zum Lob Gottes sowie der christlichen Kirche (2), war der vorerwähnte, berühmte Paul Hofhaimer (1426-1497), als Maximilian gemeinsam mit dem Land Tirol 1490 die Innsbrucker Hofkapelle aus der Hand Erzherzog Sigismunds (1426-1497) übernahm, schon sein erster Hoforganist. Noch mitten in der Renaissancezeit gründete Maximilian daraufhin 1498 in Wien mit seiner Hofkapelle, welcher der slowenische Humanist und spätere Fürstbischof Wiens, Georg von Slatkonia (1456-1522) vorstand, das erste weltliche Musikorchester von europäischem Rang, zugleich "eine der kostbarsten und lebendigsten Gaben des Humanismus" (c Witeschnik). - Damit schlug sozusagen bereits die Geburtsstunde der späteren Wiener Opernkunst, die sich später aus einem runden Dutzend Sängerknaben und einigen Musikern, die zunächst nur in der Burgkapelle musizierten, fortentwickelte. Die allerbesten Tonsetzer jener Zeit wirken daran mit - so der geniale Komponist Josquin des Prés (1436-1521), einer der ausgezeichneten Meister der niederländischen Schule, der in seinen Messen und Motetten zu vier und fünf Stimmen, Kanons, Psalmen usw. die Fertigkeit des Kontrapunkts zu einem ästhetischen Höhepunkt führt, und auch erst als Kapellmeister Maximilians I. stirbt; der Satzkünstler und Meister der Vokalpolyphonie Pierre de la Rue (1460-1518); Paul Hofhaimer als >Organistenmaister<, wie Maximilian ihn persönlich im Entwurf zu seinem Triumphzug nennt; der als >Lautenschlagermaister< bezeichnete Artusi (1540-1613); Heinrich Finck (1445-1527); Hans Judenkunig (ca. 1450-1526) sowie Erasmus Lapicida (†1547), die alle in kaiserlichen Diensten stehen. Der Flame Heinrich Isaac (1450-1517), bereits ein gewaltiger Kontrapunktiker, wird zum ersten Hofkomponisten und bekleidet damit die begehrte Musikmeisterstelle (symphonista regius). Später, als er Gesandter in Venedig wird, rückt sein Schüler, der >liederreiche< Ludwig Senfl (1485-1555), ein gebürtiger Niederländer, dessen Kunst Martin Luther vielfach belobte, zu seinem Nachfolger auf. Ähnlich wesentlich erweist sich das Auftreten des Kirchenkomponisten Johann Stadlmayer (1560-1648), der die Verbindung zum volkstümlichen Lied herzustellen sucht, denn von nun an beginnt die bisher vorwiegend dem kirchlichen Dienst verpflichtete Musik ihren Sprung auf die Bühne, indem sie sich mit der Wortkunst verbindet (3). Konrad Celtis (1459-1508), der erste deutsche Dichter, der über Protektion des Kurfürsten Friedrich von Sachsen schon durch Kaiser Friedrich III. zum >Poeta laureatus< gekrönt und mit dem Doktorhut ausgezeichnet wurde, gibt bereits regelmäßige Vorstellungen in der Wiener Hochschulaula.
Anfangs noch klotzige antike Dramen, nähern sie sich in Umrissen rasch der Wiener Musikkomödie, der die Zukunft gehört. Die >Lizenza< (Verbeugung vor dem regierenden Haus), die volkstümlich-derbe Komik, Musik, Tanz, Chor sowie Einzelgesang sind bereits die kompletten Ingredienzien der späteren Wiener Barockoper. Die Leichtblütigkeit der Stadt macht sich besonders in den volkstümlichen Liedeinlagen bemerkbar: Celtis' >Rhapsodia, laudes et victoria Maximiliani de Boemannis< (1504), von einer Studentengruppe vor dem Kaiser gegeben, kann mithin schon als die erste kunstvolle Vorwegnahme der späteren Musikdramen angesehen werden.
Unter Kaiser Karl V. (1500-1558) wetteifern mit der Wiener Kapelle die Hofkapellen in Madrid und Brüssel, und schon als König von Ungarn und Böhmen holt Kaiser Ferdinand I. (1503-1564) einen der vortrefflichsten Kontrapunktisten seiner Zeit, den niederländischen Komponisten Arnold von Bruck (ca. 1500-1554), an seinen Hof, wo er die von Maximilian I. gegründete Hofkapelle auf 50 Mitglieder erweitert. Am Augsburger Reichstag (1548) erregt somit nicht nur die musikalische Leistung seiner Hofkapelle allergrößtes Aufsehen, sondern auch die enorme Summe von 20. 000 Gulden, die ihm dieses musikalische Vergnügen persönlich kostet.
Dem Sohn Karls V., König Philipp II. von Spanien (1527-1598), der unter anderem ein leidenschaftlicher Sammler von Musikinstrumenten ist, gefällt speziell die flandrische Musik so vortrefflich, dass er diese nach einer Habsburger-Zusammenkunft im Winter 1550/51, anlässlich der er auch seine deutschen Verwandten kennenlernt, sogar bei sich im Lande einführt.
Im Jahrhundert zwischen dem Beginn der Reformation und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges bewirkt die Strahlkraft der Renaissance einen ungeheuren Aufschwung der Musik, der ihresgleichen erst in späteren Zeiten wieder findet. Eine nochmalige Steigerung erfolgt durch die hitzige Ausbreitung des Notendrucks. Nach venezianischem Vorbild entsteht 1512 das erste gedruckte deutsche Liederbuch. Die Fürsten sind ständig bestrebt, in ihren Hofkapellen die besten Sänger und Instrumentalisten zu vereinen, um sich möglichst gegenseitig zu übertrumpfen. Kaiser Maximilian II. (1527-1576) zieht mit seiner Kapelle, die er bereits auf 83 Mitglieder aufgestockt hat, 1566 zum Augsburger Reichstag - 1575 begegnen seine Hofmusiker und Sänger der berühmten Hofkapelle des Herzogs Albrecht von Bayern beim selben Anlass in Regensburg. Das repräsentativste Musiksammelwerk des 16. Jahrhunderts >Thesaurus musicus< (1568), das Maximilian II. und seinen Brüdern gewidmet ist, weist aus, dass nahezu alle der insgesamt 250 darin enthaltenen Motetten von Musikern stammen, die sich um diese Zeit in habsburgischen Diensten befinden. Kaiser Matthias (1557-1619) bringt 1612 seine Kantorei zur Frankfurter Krönung mit; die Musikerfamilie um Lambert de Sayve (ca. 1549-1614) ist darin führend, der einheimische Christoph Strauß (ca. 1575-1631), ein Kammerorganist, hält die Hofkapellmeisterstelle.
Im Jahr 1618 lässt Kaiser Matthias trotz der düsteren „äußeren politischen Verhältnisse im Rahmen der so genannten >Wirthschaften<, die das kaiserliche Paar für seine Gäste nach dem Vorbild rustikaler ländlicher Feste veranstaltet, große Wagen mit ganzen Bühnen auf den inneren Burghof bringen, auf denen Venus und die neun Musen, der Olymp und der Parnass dargestellt sind - ein opulentes Spektakel, das mit seinen Huldigungschören sowie einem Diskantisten, der die höchste Tonlage hält, geradewegs der barocken Opernidee entnommen sein könnte.
Die Münchener Hofkapelle, die schon 1526 nach dem Vorbild Kaiser Maximilians I. von Ludwig Senfl umgestaltet wird, erlebt ihre Glanzzeit ab 1556 mit der Berufung des >Belgischen Orpheus< Orlando di Lasso (1532-1594), der sich am Münchener Hof die Stellung eines so genannten >princeps musicae< erwarb. Seine beherrschende Persönlichkeit geht in ihrem Wirken über Bayern, wo er die spezifische Renaissancekultur entscheidend mitprägte aber weit hinaus; neben seiner Verbindung mit dem französischen Hof steht er auch in Beziehung zum kunstsinnigen Ferdinand I. in Innsbruck und wirkt um die Herausarbeitung der musikalischen Form >Oper< mit solch unschätzbaren Verdiensten, dass man ihn als kulturelle Zentralgestalt seiner Epoche schlechthin ansehen darf (4). Bei den Hochzeitssolennitäten für Erzherzog Karl II. von Innerösterreich mit Maria von Bayern (1571) in Wien und Graz, wo sich die beinahe programmatische Habsburger-Formel "Bella gerant alii, tu felix Austria nube" einmal mehr erfüllt, ist Orlando di Lasso ebenfalls mit dabei. Die prunkvolle Ausstattung besorgt der Brautvater, Albrecht V. (1528-1579), dessen Neigung zu großartigen Festlichkeiten allgemein bekannt war - gleichsam im Nebeneffekt, zielte die enorme Prachtentfaltung darauf ab, die religiös gespaltenen Erbländer mit entsprechendem Pomp zu beeindrucken. Während der Wiener Trauungszeremonie wird ein festliches >Te Deum< gegeben, an der feierlichen Tafel selbst spielt man >diversi concerti<. Auch der große Ball danach war selbstverständlich von einer Reihe musikalischer Darbietungen umrahmt, so dass man sicherlich nicht fehlgeht, sich die hochzeitlichen Musikaufführungen vom prunkvollen mehrchörigen Kirchenstil und die noch madrigaleske Tafelmusik bis zum Ballett und zur Comedia dell'arte hin vorstellen zu dürfen. Daneben trat, nach überaus intensiven Vorbereitungen, die auch eine große Anzahl von Handwerkern beschäftigten, welche Luxusgüter und Ziergegenstände, Schmuck und kostbare Harnische herzustellen hatten gewissermaßen als früher Vorbote dieser Literaturgattung das wohl allererste, uns bekannte Jesuitendrama auf den Plan. Nach dem biblischen Stoff von Samson und Delilah wurde darin die unbedingte Heiligkeit der Ehe ebenso angesprochen wie die "Unzulässigkeit einer Verbindung mit Andersgläubigen, also konkret mit den Protestanten" (5).
Unter den vielen ausländischen Gästen blieben die italienischen Fürstenhäuser allerdings in der Minderzahl - Albrecht V. hatte sie nur deshalb eingeschränkt eingeladen, da er die Vergleiche solcher Adelsträger von "großer herrlichkeit vnnd pracht" mit seiner Hofhaltung scheute und aller eigenen Renaissanceherrlichkeit zum Trotz deren kulturelle Überlegenheit befürchtete.
Vermutlich hatte Orlando di Lasso anlässlich dieser Hochzeitsfeier, die - als prunkvolles Fest gesehen - ebenfalls eine Art bedeutungsvolles Repräsentationstheater war (6), eine eigene Messe komponiert; neben einer Reihe weiterer Musiker wurde nach der Summe des in den höfischen Zahlbüchern ausgewiesenen Geldgeschenks aber nur noch der Italiener Annibale Padovano ebenso hoch eingeschätzt und bezahlt.
Um 1527 geboren, war Padovano zuerst Organist in San Marco gewesen, bis er 1566 als Komponist, Organist und Lautenist zur Grazer Hofkapelle übersiedelte, die als Erbe Ferdinands I. galt. Padovano verdrängte dort schon nach vier Jahren den niederländischen Komponisten Johann de Cleve (1529-1582) - womit faktisch eine musikhistorische Epoche beginnt, die in Hinkunft völlig von den Italienern beherrscht werden sollte (7), deren Reservoir an musikalisch-künstlerischen Kräften wahrhaft ungeheuerlich anmutet. Als Padovano 1575 in Graz verstarb, wurde sein Nachfolger als Kapellmeister der italienische Posaunist und Komödiendichter Simon Gatto (1535-1591), der schon seit 1568 in München wirkte und bereits den mehrchörigen, akkordischen Prunkstil einsetzte; seine Messe >Hodie Christus natus est< enthält im letzten Agnus Dei vier Hexameter, die sich eindeutig auf die vorgenannte Hochzeit von 1571 beziehen: "Vive Maria, diu, Boiorum gloria stirpis-Carolus Austriace vivat, dux inclytus ore."
Bei der Wiederherstellung der Grazer Hofkapelle (1596), die sich gleichzeitig mit der Erbhuldigung Ferdinands II. in Graz vollzog, waren die Italiener demgemäß bereits in der Überzahl. Die nunmehr bereits fix besoldete Kapelle bestand aus 18 Sängern, 3 Organisten sowie 24 Instrumentalisten und galt fortan als kaiserliche Hofmusik, an deren Spitze Philipp de Monte aus Mecheln (1521-1603) stand, der 500 Gulden jährlich bezog. Unter Ferdinand III. war die Hofkapelle bereits auf 27 Sänger, 4 Organisten, 21 Instrumentalisten, 10 Trompeter, einen Pauker, 2 Notenschreiber und Kalkanten, einen Instrumentendiener sowie einen Instrumentenbauer angewachsen. Kaiser Rudolf II. (1552-1612), der auf dem Prager Hradschin residierte, öffnete dessen Pforten nicht nur wunderlichen, angeblich Gold fabrizierenden Alchemisten und mystischen Sterndeutern, denen die Vorliebe des geheimnisvollen Regenten galt, sondern besaß zudem - obschon seine Zeit kaum epochale Komponisten, wohl aber die epochemachende Ausübung der frühen Oper aufbot - eine Hofkapelle von immerhin 87 Mann, deren Spitze gleich vier Hofkapellmeister angehörten, deren ältester, Jakob Regnard (1531-1599) bereits aus den Diensten Maximilians II. kam und nach dessen Tod von Rudolf II. nach Prag berufen wurde. Von Regnard hat sich eine größere Anzahl an Messen, Motetten, Kanzonen und deutschen Liedern nach italienischem Vorbild erhalten. Hans Leo Hassler aus Nürnberg, vorher Organist beim Grafen Fugger, blieb von 1601 bis 1608 in der gleichen Eigenschaft (und, wie er sich selbst spöttelnd bezeichnete) als "kaiserlicher Hofdiener" in Prag. Ebenso kam Jacobus Gallus (eigentlich Jakob Handl, 1550-1591) den man als den >deutschen Palestrina< bezeichnete, ein hochrangiger Musiker der deutschen Schule, auf die Prager Burg. Ihm setzte Henrikus Goetling 1593 den Nekrolog: "... Wem soll nun seine Musik gut / Erweichen nit beid Hertz und Muth / Er müst fürwahr ganz steinern sein". Dazu gesellten sich 1600 noch Alessandro Orologio, ebenfalls ein Virtuose von großem Ruf, sowie Tiburzio Massaino aus Cremona, ein Augustinermönch und „äußerst fruchtbarer Kirchenkomponist“ hinzu.
Neben den beiden Organisten Karl Leyton und Alessandro Milleville ragt besonders Francesco Turini, ein hochgelehrter Kontrapunktist und Kanonist hervor, den Kaiser Rudolf zuvor nach Rom und Venedig zu Studien schickte; an seiner Seite wirkt aber auch der Vater, Gregorio Turini, ein kunstvoller Sänger und Zinkenbläser aus Brescia (8) mit. In Zukunft blieb die Vorherrschaft in der Musik damit durchwegs italienischen Kräften vorbehalten, die vor allem bald nach Wien drängten, wo sie unter den Habsburgerkaisern bald eine dominierende Stellung erreichten, die bis weit ins 18. Jahrhundert hinein anhielt. Sogar noch die Symphonien des kaiserlichen Hofkompositeurs und Domkapellmeisters Johann Georg Reutter, der Haydn als achtjährigen Chorsänger ins Kapellhaus von Sankt Stephan holte, waren gänzlich dem >Servizio di Tavola< bestimmt (9).
Die Frage, ob Musikalität erblich ist oder nicht, hat bekanntlich immer wieder zu grundverschiedenen Antworten geführt. Ein klassisches Beispiel ihrer Bejahung bleibt das Musikergeschlecht der >Bache< mit der Zentralfigur Johann Sebastian Bachs (1685-1750), dessen erbmäßige musikalische Anlagen sich innerhalb seiner Familie bis um 1550 zurückverfolgen lassen und dessen überragende Bedeutung gleichwohl alle seine Vorfahren wie Nachkommen überstrahlt. An der Kompositionstechnik Carl Philipp Emanuels (1714-1788), des so genannten Hamburger oder Berliner Bachs, orientieren sich zwar noch Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven, die wie Mozart, der sich am Beispiel des Mailänder oder Londoner Johann Christian Bach (1735-1782) bildet, sozusagen deren Erbe als musikalische Meistergeneration zur viel zitierten Wiener Klassik empor führen werden, doch das Talent von Bachs Lieblingssohn Wilhelm Friedemann (1710-1784) trägt, trotz seines gefühlvollen Stils, nicht mehr die vom Vater erhofften Früchte.
Schon W.A. Mozarts Vater, Leopold (1719-1787), besitzt als Violinist, Komponist und Musikpädagoge einen hervorragenden Namen, Beethoven wird als zweiten Sohn eines Bonner Hoftenoristen ebenso die Musikalität gewissermaßen schon in die Wiege gelegt; Brahms ist seinerseits der Sohn eines Kontrabassisten, die Dynastie der wienerischen Walzerkönige Strauß lässt erbliche Zusammenhänge überdeutlich erkennen. In ebensolchem erblichen Zusammenhang stehen die Namen Alessandro Scarlatti - von dem noch berichtet wird - und dessen Sohn Domenico (1685-1757), genannt Mimo, aber auch die große Komponistenfamilie um Jean Baptiste Lully, der als Sohn eines italienischen Müllers zum Schöpfer der französischen Nationaloper aufsteigt, sowie die Namen der beiden Brüder Joseph und Michael Haydn.
Auf die komponierenden Habsburger selbst trifft wohl der Regelfall zu, dass das musikalische Talent innerhalb eines Familienstammbaums in einer Einzelperson kulminiert, die neben Ferdinand III. doch zweifelsfrei Leopold I. zu sein scheint, obgleich auch dessen noch in der Jugendzeit verstorbenem Sohn Josef I. durchaus eine größere Musikbegabung zugeschrieben wird. Freilich bleibt sie nicht verifizierbar, und weder Leopolds Vorfahren noch seine Nachkommen besitzen auch nur annähernd seine musikalische Kapazität.
Die Lust am Musikalischen vererbte sich zwar von Maximilian dem letzten Ritter über Karl V. bis weit zu Karl VI. und dessen Nachfolgern hinaus, äußert sich aber in all diesen Nachfahren bloß als reproduktive Ausübung, die späterhin völlig erlischt. Karl V., sowohl in den Niederlanden wie in Madrid residierend, unterhielt gleich zwei Hofkapellen, die mit jener des Erzherzogs Ferdinand und späteren Kaisers in Wien konkurrierten, so dass zeitweilig faktisch drei (!) Hofmusikkapellen indirekt nebeneinander bestanden, worin beispielsweise so berühmte Komponisten wie Francesco Guerrero aus Sevilla (1528-1599) oder Mattheo Flecchia, welcher eine eigene Theorie des Kontrapunkts verfasste, neben 44 weiteren Musikern wirkten, die als >Zierde des Madrider Hofs< galten.
Ferdinand II. (1578-1637) und Ferdinand III. (1608-1657), Leopolds Vater und Großvater, stehen völlig unter dem Einfluss der Jesuiten, die sich um die Mitte des 16.Jahrhunderts von den drei Zentren Ingolstadt, München und Augsburg, die ihnen als Filialanstalten dienen, rasch in Prag, Brünn, Graz, Tirol sowie in Ungarn ausbreiten. Im nachfolgenden Dreißigjährigen Krieg werden die Jesuiten als treibende Kraft zur Seele der Liga berufen sein, den unabänderlichen katholischen Glaubensanspruch, der gleichzeitig unversöhnlichen Protestantenhass abverlangt, vom so genannten >Professhaus<, dem Jesuitenkolleg Am Hof, aus zu verkünden. Dort und zuweilen sogar auf dem Friedhof schlagen sie - zunächst noch unter freiem Himmel - ihre Spielbuden auf.
Damit entsteht in kürzester Zeit aus den gelehrten Schuldramen der Humanisten ein völlig dem Massenpublikum entsprechendes, sich sozusagen dem Volkstheater annäherndes, furioses Bühnenspektakel. 1620 errichten die Jesuiten, die die strengen Fesseln des Ordens längst abschütteln, um der Schaulust und Theaterfreudigkeit der Wiener ihre szenischen Künste vorzuführen, die erste wirkliche Bühne. Im Jesuitentheater, späterhin als >Jesuitenoper< bezeichnet, das für alle Nichtlateiner frühe Balletteinlagen, Nebenhandlungen und erste opernhafte Zwischenspiele bot, entfaltet sich damit bereits auf höchst wienerische Weise die barocke Dramatik - zunächst noch als Schulbühne gedacht, auf welcher ein geeigneter Nachwuchs im Reden und Deklamieren geübt werden soll, wurden die Stücke bald mit publikumswirksamen Chören, melodramatischen Einlagen, Couplets im Tonfall der eifervollen Stegreifprediger Marco d' Aviano und Abraham a Sancta Clara sowie mit deutschen Liedern versehen, während die Musik dazu so namhafte Komponisten wie Johann Caspar Kerll, dessen >Missa Non sine quare< Kennern der Kirchenmusik noch bis heute geläufig ist, sowie Ferdinand Tobias Richter lieferten. Der jesuitische Geist verkehrt die Tendenz zum >Inhalt<, die pompöse Ausstattung im Verein mit >Gottes Wort< aber zur beliebten Attraktion, die damit schon dicht an die künftige Barockoper heranführt.
Der Stoffkreis des Jesuitentheaters, der sich vorwiegend mythologischer Themen bediente, aber das römische und griechische Altertum ebenso beanspruchte wie etwa die frühchristliche Märtyrerzeit, war zwar mit allegorischen Maßlosigkeiten überladen, doch in der Blütezeit dieser religiösen Bühnengestaltung besucht sogar der Kaiser persönlich die Exposition des Heiligen Grabes, während die großen Festspiele der Jesuitenklassiker Nicolo Avancinus (1612-1686) und Jakob Bidermanns (1578-1639) gewissermaßen ganz Wien in die, um den Roten Turm angelegten Lustgärten, locken (10). Im religiösen Streitspiel von der >Sigreichen Frömmigkeit<, einem absoluten Höhepunkt der Wiener Jesuitenoper, erschien Phaeton selbst auf seinem Feuerwagen daherfahrend, während Frömmigkeit und Gottlosigkeit einander bekriegend, auf Adler und Drachen einher ritten - zweifellos Theatereffekte, welche in ähnlicher Form in den späteren großen Repräsentationsopern vielfach wiederkehrten. Avancinus, der Verfasser, wurde nach seinem Tod von Kaiser Leopold I. sogar mit einen lateinischen Carmen bedacht. Die Wirkung der Jesuitenoper, in der bisweilen auch die Zeitgeschichte in Form eines grausigen Dramas mit Henkersgehilfen, Köpferollen und Giftmorden auftrat, war tatsächlich gewaltig; ihr Geist durchsetzte die gesamte Epoche und durchdrang sogar noch das nachfolgende Jahrhundert. Die äußerst derbe Komik, Hosenrollen, delikate Verwechslungen und gewagten Liebesszenen erfreuten sich vornehmlich der Gunst der Volksmassen; man scheute sich nicht einmal, selbst blutrünstige Tierkämpfe als Konkurrenz des noch bis in Mozarts Zeit weiter bestehenden Wiener >Hetztheaters<, einer viel besuchten Tierarena, auf die Bühne zu bringen, worauf es wenig verwundert, wenn das schaulustige Publikum sich scharenweise zu derlei Darbietungen drängte. 1622 brach bei einer solchen Vorstellung Am Hof sogar eine der Tribünen unter dem Gewicht des Publikums zusammen, wobei es Tote und etliche Verletzte gab.
Das Wiener Jesuitenkolleg besaß 1650 einen Theatersaal in der heutigen Bäckerstraße, der nach zeitgenössischen Angaben 3000 (?) Personen aufgenommen haben soll und damit sozusagen als ältestes Wiener Opernhaus gelten kann. Noch unter Maria Theresia, die 1754 schon das gesamte Theaterinventar für 2500 fl. erworben hatte, fanden dort Aufführungen statt, bis unter den Säkularisierungsmaßnahmen ihres Sohnes Josefs II. diese Tradition ihr endgültiges Ende fand.
Während des Barockzeitalters bestimmt die Architektur das Verhältnis des Menschen zur Umwelt, der alles gestaltet wissen will (11); das Theater verstand sich somit als mögliche künstliche Durchdringung seiner Lebensräume, dessen gigantische technische Effekte auf die Schaffung eines Gesamtkunstwerks abzielten - die geistige Dimension des Zeitalters ist in dem Ansatz zu sehen, die normalmenschliche Natur möglichst hinter ihre Grenzen zurückzudrängen und damit weitgehend >verbessern< zu können. Religiosität und Frömmelei, die sich äußerlich kaum unterschieden, wurden somit zu den eigentlichen Vehikeln der Jesuitenoper, die Kunst selbst diente nur dem Überbau. Ferdinand II., der in Loretto das fanatische Gelübde abgelegt hatte, den Katholizismus um jeden Preis wieder zur alleinherrschenden Religion der Erbländer zu machen und mit diesem beharrlichen Bestreben schlussendlich den Dreißigjährigen Krieg auslöste, wobei ihm als Feldpriester seiner Armee der radikale Karmeliterpater Dominicus a Jesu Maria († 1630) zur Seite steht, der auf den Kaiser entscheidenden Einfluss ausübt, soll sich aber verschiedenen Hinweisen zufolge schon 1625 einer ersten Opernaufführung am Wiener Hof erfreut haben, welche ihm anlässlich des Geburtstages von seiner Gemahlin Eleonore von Mantua (1598-1655) gewidmet wurde. Der Titel dieses >musikalischen Lustspiels< sowie die Namen der Autoren sind jedoch nicht erhalten geblieben. Laut anderen Quellen (wie Köchel) hat das allererste bekannt gewordene Opernereignis aber erst 1629 aus Anlass des so genannten >Beilagers< der Fürstin von Eggenburg mit dem böhmischen Hofkanzler Wilhelm Graf von Slawata, d. h. also im Zuge deren Hochzeitsfeierlichkeiten, stattgefunden. Die Hofzahlbücher errechneten für den Aufbau einer förmlichen >Theater-Pynnen< (Bühne) mit den erforderlichen Szenen und Dekorationen dazu aber lediglich den geringen Betrag von 150 fl. Auch ein Sänger (Falsett oder Kastrat) aus Genua, sowie fünf italienische Komödianten aus Mantua werden buchhalterisch genau erwähnt, wodurch zweifelsfrei feststeht, dass es sich um eine gesungene Vorstellung handelte. Merkwürdig scheint hierbei die in den Hofakten angeführte Mitwirkung des Kapellmeisters von Sankt Stephan, Christoph Strauß (1575-1631) und seiner Gruppe, woraus manche Musikhistoriker den naheliegenden Schluss gezogen haben, dass die Hofkapelle nicht imstande gewesen wäre, diese Vorstellung aufgrund der geringen Anzahl ihrer Instrumentalisten allein auszuführen. Sicher bleibt jedenfalls, dass allerdings schon 1624 in Prag zu Ehren des Kaiserpaares "eine kleine Pastoral-comödie mit sehr lieblichen und hell klingenden Stimmen, und Alles singend, mit eingeschlagenen Instrumenten und anmuthigen Saitenspillen, nach dem ordentlichen Musicaltact in toskanischer Sprach gehalten, da unter anderm dem Jovi die vier Element ihre Dienst präsentirt. Die Actores sind Manns- und Weibspersonen, hat gewähret bis neun Uhr in der Nacht" (12).
Der musikbegeisterte Kaiser Ferdinand II. veranlasste seinen dritten Sohn Ferdinand, der nach dem Tod zweier älterer Brüder zum Thronfolger wurde, sich schon frühzeitig mit Musik zu beschäftigen, wobei dessen künstlerische Veranlagung den Bestrebungen des Vaters auch noch entgegenkam. Trotz der düsteren Zeit der Religionskriege wurde er ein fleißiger Tonsetzer; bei seinen eigenen Hochzeitssolennitäten mit Maria Anna von Spanien (1606-1646) fand 1631 auf dem inneren Burgplatz vor den Fenstern des Kaiserpaares eine groß angelegte >Comödi der Musici< statt, die ein glanzvoll ausgestatteter Triumphzug begleitete, dessen Wagen von Fabelwesen, Hirschen und Schimmeln gezogen wurden, die Neptun mit zwanzig gewaltigen Walfischen unter lieblichen Schalmeienklängen anführte, während Venus in einem Garten von Blumen und Springbrunnen den prächtigen Abschluss bildete. Eine der Haupteinlagen bildete jedoch ein so genanntes >Rossballett<, bei dem die tänzelnden Pferdereihen schließlich die Namenszüge des Herrscherpaares wiedergaben. In dem darauf folgenden Melodram >Allegrezze del Mondo< tanzte Erzherzogin Claudia (1604-1648) persönlich den Mond, und ihre Hofdamen stellten die Planeten dar. Ein großer Teil der Hochzeitsfeierlichkeiten fand aber in dem großen Ballhaus statt, das bereits Kaiserin Eleonore ungefähr auf dem Platz der heutigen Redoutensäle errichten hatte lassen; am selben Ort wurde mit >Il Sidonio< (1633) von Urbano Giorgi auch die erste, uns überlieferte Oper uraufgeführt, die Ludovico Bartolaia vertont hatte. Auch das Textbuch davon ist erhalten geblieben - nicht weniger als achtzehn Solisten traten darin auf, fünf Chöre erhoben auf dem Prospekt ihre Stimmen, in einem allegorischen Schlussbild huldigte der Friede den beiden Majestäten, und Gott Pan tanzte, von Schäfern und Nymphen umgeben, dazu den einzigartigen Schlussreigen.
In seinem viel beachteten Werk >Misurgia universalis<, das 1650 in Rom erschienen war, begrüßte der Jesuitenpater Athanasius Kircher die kompositorischen Leistungen Kaiser Ferdinands III. im ihm gewidmeten, viel zitierten >Dramma musicum< (1649), einer für die damalige Zeit insofern denkwürdigen Bühnenkomposition, als es eines der ersten Kunstwerke sei, welches im Stil der neu entstandenen italienischen Oper auf deutschem Boden geschaffen wurde (13). Die Urschrift ist noch in der Münchener Hofbibliothek erhalten. Nach Auffassung Köchels waren Ferdinands Werke den Kompositionen seines Sohnes Leopolds I. an "innerem Werte" sogar noch überlegen, wenngleich jener freilich der fruchtbarere Tonkünstler blieb.
1653 wurde der berühmte Architekt und Bühnenmeister Giovanni Burnacini vom Kaiser beauftragt, in Regensburg ein provisorisches Theatergebäude mit dem gigantischen Kostenaufwand von 13. 568 fl. zu errichten, da der Herrscher auf die imperiale Repräsentation durch die Oper im Bereich der für den Reichstag angesetzten Festlichkeiten nicht verzichten mochte. Obwohl dieser erste Reichstag nach dem Westfälischen Frieden erst für den 10. Mai 1653 vorgesehen war, zog das kaiserliche Gefolge jedoch bereits am 12. Dezember 1652 (!) in Regensburg ein. Während Ferdinand allen Reichsfürsten hinsichtlich der Mitbringung ihrer Hofstaaten äußerste Beschränkungen auferlegt hatte, bestand sein eigenes Hofwesen aus nicht weniger als rund 3000 Köpfen, darunter 60 Musikanten, drei Hofnarren und sogar drei Zwergen - ein Einzug, mit dem der Kaiser wohl solcherart seine angestammten Rechte als Landesfürst in den Erbländern betonen wollte, nachdem er zur Absicherung des Friedens zuvor weitgehende Zugeständnisse an Frankreich, Schweden sowie an die Reichsfürsten selbst hatte machen müssen.
Damit nicht genug, transportierten eigene Schiffe, die von Knechten und Pferden gezogen wurden, ein komplett zerlegtes Theater mit sämtlichen Kostümen, Requisiten und Dekorationen nach Regensburg, das dort zusammengebaut wurde, damit vor dem versammelten Reichstag die glanzvolle dreiaktige Oper >L'inganno d'amore<, als so genanntes >Dramma per musica con Balli<, nach einem Text von Benedetto Ferrari und der Musik von Ferdinands Hofkomponisten Antonio Bertali, mit allergrößter Prunkentfaltung aufgeführt werden konnte - das damit bemerkenswerteste Musikereignis des gesamten Reichtags überhaupt, für welches sämtliche nur verfügbaren Kräfte des Kaiserhauses aufgeboten worden waren. Unter Mithilfe seines Sohnes Ludovico brachte Vater Burnacini es nahezu mühelos fertig, in Regensburg ein sechzig Logen und zwei Galerien umfassendes Gebäude nach venezianischem Vorbild zu installieren - "Das Gantze Theatrum war von eitel Brettern aufgerichtet, in der Größe und Höch eines ziemlichen Kirchen-Gebäus", berichtet bewundernd ein Zeitgenosse. Es bot "etliche(n) tausend Personen umb zuzusehen einen bequemen Sitz und stund gleich neben dem Capuzziner-Closter".
Der geniale Burnacini betreute aber nicht nur die Inszenierung, sondern hatte dafür auch noch das Bühnenbild sowie sämtliche Bühnenmaschinen entworfen; erhaltene Szenenansichten weisen aus, wie sehr auch der Sohn Ludovico Ottavio (1636-1707) in ebenso genialer Weise späterhin den Vorbildern seines Vaters folgte. Die Vorstellung ging im Februar 1653 vor den versammelten Fürstlichkeiten und ihrem Gefolge in Szene - der Theaterexperte Kindermann meinte, dass damit schon weit in die barocke Welt der sprechenden und mitspielenden Dekorationen vorgedrungen wurde. Angesichts des erstaunten Publikums veränderte sich wie von Geisterhand gleich achtfach die Bühne, ohne dass es dazu auch nur eines einzigen Vorhangs bedurft hätte, wobei Balletteinlagen und pompöse Aufzüge jeweils die glanzvollen Aktschlüsse bildeten. Nach dem Ende des Reichstags wurde das Holztheater wieder abgebrochen, per Schiff auf der Donau nach Wien gebracht und im hiesigen Arsenal aufbewahrt. Weil man unter Josef I. aber bereits zwei Theater - eines für die große Oper, das andere für die Commedia dell' arte-Aufführungen benötigte, baute man es hinterher auf dem >Thummelplatz< (heute Josefsplatz) vor der kaiserlichen Reitschule abermals auf.
Von 1652 stammt das erste in Wien gedruckte, mit Kupferstichen versehene, erhaltene Textbuch >La Gara< (Der Wettstreit), einer Oper, die zur Geburt der Infantin Margarita von Spanien gegeben wurde; im Fasching desselben Jahres kam es außerdem zur Aufführung der Oper >Daphne<, die wiederum durch die raffinierten Bühnenmaschinerien Burnacinis beeindruckte - Merkurius segelte darin hurtig durch die Lüfte, zwölf Hofdamen schienen, "jedere aus einem Baum und also gleichsam aus der Erde" hervor zu wachsen. Abgesehen von derart verblüffenden, technischen Darbietungen, war die kaiserliche Hofkapelle zu dieser Zeit sicherlich bereits eines der bemerkenswertesten und führenden Orchester in ganz Europa geworden; neben den Instrumentalisten weisen die Rechnungsbücher schon ab 1637 auch mehrere eigene Kammersängerinnen aus. Namentlich bekannt geblieben sind Margareth Catanea, >Kammer-Musicin< mit 833 fl. für fünf Monate, Lucia Rubini mit monatlich 50 fl. , Maria Bertalin mit 30 fl., Katharina Straßoldin auf sechs Monate mit 570 fl., sowie drei Choristinnen, welche monatlich nur 8 bis 16 fl. verdienten.
Noch während des Dreißigjährigen Krieges war zum Geburtstag der Kaiserin (1641) eine eigene Komposition Ferdinands III. mit dem Titel >Ariadne< aufgeführt worden, die Musik dazu ging jedoch leider verloren. Crescimbeni erläutert aber in seinen Kommentaren zur italienischen Poesie, dass die - in italienischer Sprache - abgefassten Verse Ferdinands III. alle "graziös, lebhaft und leicht singbar" wären. Seitens Quadrio (14) wurde sogar behauptet, dass ein Einzelband mit kaiserlichen Versen (die vielleicht dem revueartigen Moralitätenstück >Speculum vitae humanae< des Erzherzogs Ferdinand von Tirol (1529-1595) nacheiferten), unter dem Titel >Accademia Occupato< erschienen sein soll. Der Kaiser hatte nämlich im letzten Jahr seiner Regierung nach italienischem Muster noch eine literarische Akademie mit Sitz in Wien gegründet, deren regelmäßige Zusammenkünfte in der Hofburg abgehalten wurden. Laut Ludwig Ritter von Köchel fanden zwischen 1637 und 1700 in nur sieben Venezianischen Theatern zwar nicht weniger als 357 Opernaufführungen statt, doch ungeachtet der schweren Kriegswirren trachtete Ferdinand III. unablässig danach, dass Wien seinen vorzüglichen Platz als erste Musikstadt behielt, ohne freilich mit der italienischen Entwicklung wirklich Schritthalten zu können. Der Hof versuchte sogar Beziehungen zu dem gefeierten Claudio Monteverdi anzuknüpfen, der einige Werke den Habsburgern widmete, aber an eigener Stelle Francesco Cavalli (1602-1676), seinen Schüler, der in Venedig höchste Honorare empfing, nach Wien sandte, wo Cavalli eigens die Opern >Egisto< (1642) und später >Jason< (1650) komponierte. Seine beiden Werke hinterließen hier aber offenbar keinerlei wesentlichen Eindruck. Ähnliches widerfuhr dem Publikumsmagneten Cavalli aber auch mit seinem dekorativen Werk >Ercole amante< (1662), das er für die großangelegten Vermählungsfeierlichkeiten König Ludwigs XIV. in Paris geschaffen hatte.
Die schon 1684 erschienen 36 Klaviervariationen von Wolfgang Ebner (1610-1665) über eine Arie Ferdinands III. gedruckt in Prag - einen vierstimmigen Madrigal mit beziffertem Bass >Melothesia Caesarea<, der sich vorwiegend in Betrachtungen über die Hinfälligkeit des menschlichen Daseins ergeht, gibt Kircher (15) im ersten Teil seiner >Masurgia universalis< wieder. Neben einem einfachen vierstimmigen Chorgesang über den Psalm >Miserere< (Erbarme dich) hat sich des weiteren noch seine Sammlung kirchlichen Werke in der vorgenannten >Distinta Specificatione dell' Archivio musicale per il servizio della Capella e Camera Cesarea Prima della compositioni per chiesa e camera della Sacra Ces. Real Maest di Leopoldo Aug. Imperatore< erhalten. Darunter befinden sich eine fünfstimmige Messe, vier Motetten, zehn Hymnen, ein >Popule meus< sowie noch ein >Stabat mater<. Guido Adler hat jedoch bereits nachgewiesen, dass dieses Verzeichnis nicht vollständig ausgeführt ist, da ein im Benediktinerstift Kremsmünster aufbewahrter Kodex des P. J. Lechler beispielsweise noch zwei weitere kaiserliche Kompositionen - nämlich eine vierstimmige Lauretanische Litanei sowie eine achtstimmige Messe mit Violinbegleitung - enthält. Auch das verhältnismäßig am weitesten verbreitete >Miserere<, in dem die musikalischen Anlagen Ferdinands besonders augenfällig hervortreten, ist in der erwähnten Sammlung nicht ausgewiesen. Wie schon in seinem >Dramma musicum<, worin er die Fabel des Herkules religiösen Zwecken entsprechend adaptiert hatte, zeigt der kaiserliche Komponist sich im Tasten nach neuen Formen, im ständigen Suchen nach bewegtem Ausdruck (16), wenngleich die eigentliche kontrapunktorische Kunst hier wohl ausbleibt. Musikalisch noch am ausgeglichensten fällt dabei der Hymnus >De Nativate Domini< mit der Begleitung von drei Flöten und drei Trompeten aus, am unruhigsten dagegen die Modulation im Madrigal >Chi volgene la mente<.
Die Uraufführung von Ferdinands allegorischer Szenenfolge >Dramma musicum<, das sein Vorbild der Jesuitenoper entlehnte, erfolgte 1649 in Wien. Erzherzog Leopold Wilhelm (1614-1662), sein jüngerer Bruder und Statthalter der Niederlande, selber ein kunstsinniger Geist, der unter dem Pseudonym Crescente in der Akademie ebenfalls eine Sammlung italienischer Verse mit dem Titel >Diporti del Crescente< herausgab, meinte neidlos dazu, Ferdinand III. "stütze sein Zepter auf Leier und Schwert."
Trotz der Epoche der Religionskriege war es dem Kaiser dazwischen gelungen, vorzügliche musikalische Nachwuchskräfte heranzubilden und um sich zu sammeln. Die talentvollen jungen, vielversprechenden Künstler Johann Jacob Froberger (1616-1667) sowie Johann Caspar Kerll (1627-1693) werden auf seinen Wunsch nach Italien geschickt und bereiteten damit die heranwachsende Bedeutung der Orgel und Instrumentalkunst in unseren Breiten vor. 1655 ernennt Ferdinand III. Froberger, der bei Frescobaldi studiert hatte, demgemäß auch zu seinem Hoforganisten. Auf einer weiteren Reise nach England wird der Künstler jedoch völlig ausgeplündert und verdankt es letztlich nur seiner Virtuosität, sich aus der prekären Lage retten zu können. Johann Pachelbel (1653-1706) aus Nürnberg, dessen Vorbilder J. C. von Kerll und Froberger sind, avanciert unter Ferdinand zum Organisten-Gehilfen, bleibt aber gleichzeitig Domorganist von Sankt Stephan. Der hoch qualifizierte Wolfgang Ebner (1612-1665), der sogar eine grundlegende Schrift über die Generalbasslehre (1653) verfasste, wurde ebenso Hoforganist.
Gleichzeitig sorgt Ferdinand aber auch für die gedeihliche Organisation und den inneren Aufbau der Musikerkollegien, worüber seine zahlreichen Artikelbriefe ein ausführliches Zeugnis ablegen, in denen er sogar sittliche Vorschriften über das Verhalten der Hofmusiker untereinander erteilt, deren Lehr- und Gesellenzeiten vom Kaiser nunmehr genau festgelegt und mit Rücksicht auf die gehobenen Anforderungen erweitert werden. So genannte >Bettlerinstrumente< wie Sackpfeifen, Schafsbock, Leier (Organistrum) und Triangel schied der Regent persönlich aus dem Bereich der Kunst aus, wie er auch das Absingen von diversen Schand- und Zotenliedern streng untersagte, um damit den ernsten Tonkünstlern erstmals zu einem gerechteren Ansehen zu verhelfen und "Unwürdigen" den Eintritt in die Musikersocietäten überhaupt gänzlich zu verwehren.
Von Antonio Bertali (1605-1669), auf den wir noch zurückkommen wollen, entsteht als österreichischer Komponist italienischer Abstammung neben einer großen Anzahl von Opern, Oratorien, Messen und kirchenmusikalischen Werken inzwischen auch das theoretische Werk >Instructio musicalis<. Für seine Zeit von wesentlicher Bedeutung, die vor allem die Haltung des Kaisers beeinflusste, versuchten dessen Grundlagen den Machtanspruch des Herrscherhauses auch auf den musikalischen Bereich auszudehnen und nach außen hin wirksam zu repräsentieren.
Sozusagen als Nebeneffekt der Kunstmusik bildete sich bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts die österreichische Militärmusik heraus, an deren Anfang ein selbstkomponierter Marsch des Pandurenführers Franz Freiherr von der Trenck steht; akustische Signale mit Blasinstrumenten und Hörnern galten damals freilich längst als feststehende militärische Einrichtung, wobei nach den folgenden Türkenkriegen der Einsatz von >exotischen< Blasinstrumenten, Becken, Triangeln, großen Trommeln und Schellenbäumen noch schier unübersehbar zunahm. Schon 1741 lässt sich bei den >Hoch- und Teutschmeistern< in Mailand bereits eine so genannte >Türkische Musik< nachweisen, deren grelle Signale eine abschreckende, kriegerische Wirkung verbreiten sollten. Zunehmend übertrugen Fürsten und Feldherrn ihren Militärmusikanten auch schon zivile Funktionen, die später von eigenen Hausmusikkapellen erfüllt wurden, deren >Hautboisten< die militärischen Tamboure und Trompeter ablösten. Die als äußerst sparsam bekannte Maria Theresia verfügte jedoch ihrerseits, dass es Regimentsinhabern nur erlaubt wäre Musiker mitzuführen, wenn dem Staatssäckel dadurch keinerlei Unkosten entstünden. 1766 gebot ein weiteres kaiserliches Zirkular, dieselben gegebenenfalls gleich aus den Regimentern zu rekrutieren, um die Kosten zu senken. 1777 folgte zur Systematisierung des gesamten militärischen Musikwesens in Österreich ein Regulant, das die bereits 1751 erlassene Ordnung über die vorschriftlichen Trompeten-Signale etc. noch ergänzt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Gesamtbesetzungen der Militärmusikkapellen angehoben, damit dem allmählich erweiterten Repertoire von ersten Märschen und Divertimenti sowie den häufig vereinfachten Transkripitionen populärer Werke der Kunstmusik volles Genüge getan werden konnte, die vor allem in den zahlreichen Garnisonsstädten seitens des Publikums eine immer beliebtere Rolle spielen und längst zu einem Faktum des dortigen kulturellen Lebens geworden waren.
Unter Erzherzog Karl (1806) wurden die Pfeifer endgültig abgeschafft und die Hautboisten dem Regiment hinzugezählt, während die Kosten für die eigentlichen >Bandisten<, die jeweils mindestens aus drei Dutzend Musikern bestanden, weiterhin den Kassen der Regimentsinhaber zufielen. Merkwürdig genug blieb dagegen die Funktion des Tambours oder Trommlers, der weiterhin traditionell nebenbei als Unterhändler mit dem Feind Verwendung finden konnte, dessen Feldabzeichen, das Spanische Rohr mit Knauf, aber schon als Taktierstock fungierte, seitdem er der nunmehr zahlreicheren Kapelle voranmarschierte (17).
Der militärische Klangkörper umfasste für gewöhnlich Bassett- und Basshörner, Becken, Fagotte, Flöten, Hörner, Klarinetten, Oboen, Posaunen, Trommeln und Triangeln, eine allgemein verbindliche Regelung über die Instrumentierung fehlte jedoch lange Zeit. Zur Heranziehung eines geeigneten Nachwuchses durften aber männliche Jugendliche ab 15 Jahren in die >Banda< aufgenommen werden.
Nach den großen Veränderungen, die im Instrumentenbau etwa durch die Erfindung von Ventilen für die Blechblasinstrumente erfolgt waren, erschlossen sich auch den Militärkapellen weitaus größere musikalische Möglichkeiten, so dass aus ihren Reihen alsbald eine Anzahl etablierter Berufsmusiker hervorging, welche sich später als zivile Kapellmeister niederließen und häufig auch öffentlichen Ansehens erfreuen durften.