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Chemische Schützenhilfe

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Eine große Anzahl von Lebewesen im gesamten Tierreich hat den Fortpflanzungserfolg vor allem chemischen Prozessen zu verdanken. Die Macht des Geruchs ist für eine Vielzahl biologischer Prozesse von besonderer Bedeutung, etwa bei der Beutejagd (Prädation), der Ressourcenfindung und natürlich der Partnersuche. Schon winzige Abwandlungen in der chemischen Signatur verschiedener Absonderungen können ihre ökologische Bedeutung verändern. Zwar verfügen auch wir Homo sapiens über natürliche sexualchemische Signale (Pheromone), leider wenden wir aber eine Menge Zeit und Mühe dafür auf, uns von ihnen zu befreien. Menschen leiden unter der irrigen Annahme, dass unsere natürlichen Düfte irgendwie schmutzig und unwillkommen seien. Wir schrubben unseren Körper mit Seife und Shampoo und wir benutzen Deodorants, Parfüme und andere unnatürliche Chemikalien, um das zu überdecken, was wir natürlicherweise verströmen. Was die Menschen dabei übersehen, ist die Tatsache, dass chemische Signale weit verbreitet sind und von den unterschiedlichsten Lebewesen genutzt werden, vom gewaltigen Säugetier bis zum mikroskopischen Wirbellosen, und dass sie überwiegend dazu dienen, empfängliche Kandidaten in die sexuelle Arena zu locken. Viele Balzhormone haben sich auf maximale Effizienz sowohl beim Energieaufwand als auch bei der Gametenverteilung hin entwickelt. Mit anderen Worten, die chemischen Signale, die Junggesellin Nr. 1 verströmt, können denen von Junggesellin Nr. 2 überlegen sein, was zu einer höheren Spermienverteilung hin zu Nr. 1 führt. Man stelle sich nur einmal vor, man könne einen passenden Partner einfach erschnuppern!

Schon allein die Vielfalt der Strategien in der Sexualchemie ist überwältigend. Es gibt ein breites Spektrum an Ansätzen für Fortpflanzung mit chemischer Hilfe, von Lebewesen, die ihren Laich frei verteilen (und daher chemische Signale einsetzen, um dafür zu sorgen, dass ihre Gameten die anderer Mitglieder ihrer eigenen Art erreichen), bis zu denen, die mithilfe einer Reihe chemischer Signale für die bestmögliche Umsetzung eigennütziger Fortpflanzungsstrategien sorgen oder nichts ahnende Sexopfer anlocken.

Wir können verallgemeinern, dass männliche Tiere chemische Pheromone absondern, um Weibchen anzulocken (und umgekehrt). Das passiert in vielen verschiedenen Szenarien und Umgebungen, sowohl an Land als auch im Wasser. Ein zentrales Thema für jedes Männchen, das versucht, ein Weibchen anzulocken, ist die Tatsache, dass es am liebsten sähe, wenn besagtes Weibchen nur an seinem Sperma interessiert wäre. Wird ein Weibchen vom Duft eines bestimmten Männchens angelockt, was hält es dann davon ab, sich auch vom nächsten locken zu lassen und dann wieder vom nächsten und immer so weiter? Die Evolution hat den Männchen einige charakteristische Methoden an die Hand gegeben, mit den Problemen umzugehen, die in einem solchen Szenario entstehen könnten. So produzieren Männchen nicht nur Pheromone, um Weibchen anzulocken (in vielen Fällen unbegattete Weibchen), sondern auch chemische Signale, die die Reaktion des Weibchens abschwächen oder ganz abklingen lassen, sobald das Männchen seine Gene hinterlegt hat. Eigenschaften von oralen Absonderungen oder Ejakulaten verschiedener Lebewesen zeigen, dass antiaphrodisierende Pheromone häufig dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Weibchens nach der Paarung umzulenken. Im Wesentlichen sollen solche Pheromone Monogamie erzwingen und die Vaterschaft der beim Akt entstehenden Nachkommen sicherstellen. In manchen Fällen ist das aus evolutionärer Sicht sowohl für die Männchen als auch für die Weibchen von Vorteil, etwa wenn die Weibchen das gesamte benötigte Sperma in einer sexuellen Begegnung erhalten und ihre Energie und Aufmerksamkeit anschließend anderen Dingen zuwenden können. Männchen produzieren auch Pheromone und übertragen sie auf Weibchen, die diese für andere Männchen weniger attraktiv erscheinen lassen. Auch dies kann für diejenigen Weibchen einen Nutzen bringen, die der Belästigung durch unwillkommene Verehrer entgehen wollen, doch mit Sicherheit ist das nicht immer der Fall.

Was passiert, wenn die Weibchen ein Interesse an zusätzlichen Kopulationen haben, um die genetische Vielfalt ihrer Nachkommen zu erhöhen? Was ist, wenn es zur Paarung mit einem Männchen von geringem biologischem Wert genötigt wurde? In diesen Szenarien ist es für das Weibchen nicht von Nutzen, durch ein Antiaphrodisiakum aus dem Fortpflanzungsrennen geworfen zu werden oder durch ein Pheromon, das es für andere Männchen „hässlich“ scheinen lässt. Tatsächlich gibt es bei vielen Wirbellosenarten Belege für eine Art chemischen „Wettrüstens“, wobei die Weibchen eine Widerstandsfähigkeit gegen die Antiaphrodisiaka des Männchens entwickelt haben, die sich daraufhin weiterentwickeln, um diese physiologischen Veränderungen zu kompensieren, und immer so weiter. Ein solcher biochemischer Krieg ist kompliziert und extrem schwierig zu entziffern.

Es gibt noch mehr schlechte Nachrichten für Männchen, die auf antiaphrodisierende Pheromone setzen, um ihre biologische Fitness zu erhöhen. Mehrere Arten von Schlupfwespen, tödlichen Parasiten, die die Raupen vieler Tag- und Nachtfalter befallen, haben nämlich im Laufe der Evolution gelernt, sich die chemische Struktur dieser Pheromone zunutze zu machen. So überträgt in einer perfekten Welt zum Beispiel ein männlicher Kleiner Kohlweißling (Pieris rapae) sein Ejakulat auf ein unbegattetes Weibchen und die antiaphrodisierenden Chemikalien darin schieben jedem weiteren Sexualverhalten von ihrer Seite einen Riegel vor. Sie fliegt auf der Suche nach einem geeigneten Platz für die Eiablage (Oviposition) davon und legt dort ein Gelege von etwa 20 bis 50 Eiern ab. Und ab hier nehmen die Dinge für das Männchen wie für das Weibchen eine schreckliche Wendung. Schlupfwespen der Gattung Trichogramma haben nämlich die Fähigkeit entwickelt, Benzylcyanid (den Wirkstoff im Antiaphrodisiakum des Schmetterlings) wahrzunehmen; wenn sie es also an einem begatteten Weibchen entdecken, fliegen sie mit ihm zum Eiablageplatz und legen ihre Larven direkt in die Schmetterlingseier. Das bedeutet ein Festmahl für die Parasitenlarven und „Game over“ für die Schmetterlingsraupen. Da es mehrere Arten von Schlupfwespen gibt, die Antiaphrodisiaka von mehreren Schmetterlingsarten erkennen, müsste es eine starke Selektion nach diesem Merkmal sowohl bei den Parasiten als auch bei den Wirten geben. Mit anderen Worten, da hier ein Potenzial für einen kolossalen Schaden bei den Schmetterlingen besteht, haben diejenigen mit der genetischen Fähigkeit, den Wespenangriffen zu widerstehen, einen gewaltigen Selektionsvorteil. Diese „geschützten“ Schmetterlinge werden den meisten Nachwuchs hinterlassen und damit einen immer größeren Anteil an der Population ausmachen, sodass der Großteil der Population resistent gegen die Wespen wird. Daraufhin wird es einige einzelne Wespen geben, die „resistente“ Schmetterlinge effektiver erkennen, und diese werden ihrerseits für mehr Nachkommen sorgen können – und immer so weiter.

Die Pheromonsignale der Männchen haben aber nicht immer antiaphrodisierende Eigenschaften. Manchmal sollen sie auch Attraktivität signalisieren – oder den Besitz von etwas Attraktivem. Listspinnenmännchen bieten den Weibchen ein Brautgeschenk an (in der Regel eine Beute). Es ist nicht etwa in gewöhnliche Spinnenseide eingesponnen, sondern in eine besondere, mit Sexualpheromonen durchtränkte Seide, die das Männchen speziell für diesen Zweck erzeugt. Die Chemikalien auf der Seide bringen das Weibchen dazu, das Geschenk anzunehmen und eine Balzhaltung einzunehmen, wodurch es den Kopulationsvorgang einleitet. Sie ergreift das Geschenk, er ergreift sie. Die neotropischen Spinnen, die diese pheromongetränkten Geschenke machen, entscheiden sich aktiv dafür, entweder „Sexseide“ oder Netzseide zu spinnen – entnimmt man betäubten Männchen Seide und wickelt sie künstlich um Geschenke, werden diese von den Weibchen nicht angenommen.

Nicht alle Weibchen sind jedoch so ungeniert materialistisch. Bei vielen Tierarten ist vielmehr der Dominanzrang des Männchens der Schlüssel zu seinem Fortpflanzungserfolg. Manchmal lassen chemische Signale ein Männchen attraktiver für ein Weibchen erscheinen – vor allem, wenn er ihr Herz nicht auf die „altmodische Weise“ gewinnen kann. Weibchen der australischen Grillenart Teleogryllus oceanicus beispielsweise ziehen dominante Männchen den untergeordneten vor. Was also tut ein rangniedrigeres Männchen? Es verändert seinen chemischen Duft, um attraktiver zu erscheinen. Unattraktive Männchen können die Konzentration einer Reihe von kutikulären Verbindungen (kutikuläre Kohlenwasserstoffe oder KKW) erhöhen, die mit erhöhtem Paarungserfolg im Zusammenhang stehen. Es ist in etwa so, als würden sie ein ganz besonderes Rasierwasser benutzen, um sich attraktiver zu machen – allerdings ein physiologisch hergestelltes Rasierwasser und kein Hochstapler-Designerparfüm.

Männliche Prachtbienen (Tribus Euglossini, Unterfamilie Apinae) sind ein weiteres faszinierendes Beispiel für einen Männchenduft in Eigenkreation. Sie stellen ihre individuelle Duftsignatur selbst zusammen, indem sie Substanzen aus einer Vielzahl von Quellen sammeln, zum Beispiel Blüten, Pilze, nasses Laub, alte Baumstämme, Baumharz, faulende Früchte oder sogar Kot. Dieses Duftpotpourri verstauen sie in speziellen Taschen an den Hinterbeinen und einer gängigen Hypothese zufolge beurteilen die Weibchen (die sich nur einmal mit einem Männchen paaren) die Männchen auf der Grundlage des daraus entstehenden Duftes. Diese komplexen Mischungen bestehen dabei nicht einfach nur aus den Dingen, die in der Umgebung am häufigsten vorkommen; die Männchen achten darauf, eine Vielzahl von Komponenten mit aufzunehmen, die selten oder schwierig zu finden sind. Aus diesen Gründen geht man davon aus, dass das Duftbouquet eines Männchens ein zuverlässiger Indikator für seine genetische Qualität ist. Schlechte Nachrichten für alle Männchen, die keine so köstlich süßen Düfte herstellen können wie ihre direkten Konkurrenten – Forscher haben schon beobachtet, wie sich Männchen untereinander angreifen und direkten Konkurrenten sogar die Hinterbeine ausreißen, um ihren Duft zu stehlen.

Dass Männchen um Partnerinnen konkurrieren, ist sehr üblich und oft spielt dabei klare Täuschung eine Rolle. Wie im Bienenbeispiel kann der Verlust eines Männchens der unmittelbare Gewinn eines anderen sein. Rotseitige Strumpfbandnattern (Thamnophis sirtalis parietalis) überstehen die kalten kanadischen Winter im Winterschlaf in großen Gruppen (Zehntausende von Tieren). Wenn sie aufwachen, wechseln die Schlangen direkt in den Fortpflanzungsmodus und ihre gewaltigen zappeligen Orgien stellen für viele Kleinstädte in der Provinz Manitoba eine echte Touristenattraktion dar. Wenn die Schlangen aus ihrem Kälteschlaf erwachen, sind sie zunächst steif und kalt und damit Raubvögeln wie Krähen relativ schutzlos ausgeliefert. Die Männchen sondern daher weibliche Pheromone ab, um andere (schon aufgewärmte) Männchen zum Kuscheln anzulocken und selbst schneller warm zu werden. Dieses homosexuelle Täuschungsmanöver bietet den Männchen, die gewärmt werden, einen direkten Nutzen; sobald ihr Körper die richtige Temperatur erreicht hat, um mit der Damenwelt anzubandeln, hören sie schnell wieder auf, die Pheromone abzugeben. Forschern ist es gelungen, den Pheromonausstoß bei Männchen künstlich herbeizuführen, indem sie ihre Körpertemperatur senkten; der Trick beschränkt sich also auf die frühen Aufwachstadien nach dem Winterschlaf. Ganz ungefährlich ist die Vorgehensweise für die tricksenden Männchen allerdings nicht: Von mehreren Möchtegern-Verehrern umworben zu werden, kann sich negativ auf ihre Atemfrequenz auswirken und in extremen Fällen kann es zu erzwungenen Kopulationen oder zum Tod durch Ersticken kommen.

Bisher war viel die Rede von den verschiedenen chemischen Signalen, die Männchen zur Steigerung ihres Fortpflanzungserfolgs einsetzen. Was ist mit denen der Weibchen? In den meisten Fällen gibt ein Weibchen Pheromonsignale ab, um mögliche Partner über ihre Geschlechtsreife zu informieren. Bei vielen Wirbellosen, wo potenzielle Partner sich über beträchtliche Entfernungen Signale zukommen lassen müssen, sind die Pheromone des Weibchens häufig entscheidend. Darüber hinaus unterscheiden sich die Duftmarken von unbegatteten Weibchen deutlich von denen, die sich bereits gepaart haben. Das ist eine wichtige Information für potenzielle Partner, die in den meisten Fällen ein jungfräuliches Weibchen einem vorziehen, das bereits das Sperma eines anderen Verehrers (oder gar mehrerer Verehrer) in sich trägt. Das vielleicht drastischste Beispiel für einen Fall, in dem ein Männchen darauf achten sollte, ob das Weibchen noch Jungfrau ist, ist der sexuelle Kannibalismus. Die Männchen vieler sexuell kannibalistischer Arten haben nur eine Chance (oder manchmal zwei) auf erfolgreiche Fortpflanzung, bevor sie verspeist werden. Es ist für sie biologisch daher weitaus sinnvoller, auf ein Weibchen zu warten, das sich noch nicht gepaart hat. Diese wichtige Eigenschaft erkennt ein Männchen hauptsächlich über Pheromonsignale. Bei manchen Arten der Echten Radnetzspinnen lässt ein Männchen sich in der Mehrzahl nur dann bereitwillig verspeisen, wenn es vorher die richtigen weiblichen Pheromone entdeckt hat. Setzt man ihnen bereits begattete Weibchen vor, versuchen die Männchen deutlich häufiger zu entkommen als diejenigen, die unbegatteten Weibchen gegenüberstehen. Letztere zeigen eine Tendenz zum Selbstopfer im Namen der biologischen Fitness. Diese hochentwickelte Fähigkeit, Veränderungen in den Pheromonprofilen des anderen Geschlechts zu entdecken, ist in der Tat sehr weit von der menschlichen Praxis entfernt, sie alle wegzuwaschen.

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