Читать книгу Saris Story - eine Liebesgeschichte aus Kambodscha - Carina Zinkeisen - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеRani betrachtete nachdenklich und ein wenig melancholisch die Verlobungstorte ihrer Tochter.
Eigentlich hatte die gar keine Zeit für so etwas und ihre Hände verkrampften sich. Es ging darum, sich anzukleiden, denn die Zeit drängte und sie damit zuzubringen, sich über die Torte zu ärgern war nicht das, was Rani im Sinne hatte.
Die Torte war bereits am Zerfließen, so als sei sie nicht für das schwülheiße Klima Kambodschas gebacken worden. Warum geraten die Torten immer so mächtig und schwer, dass sie Gefahr laufen zu zerfließen, dachte sie ärgerlich. Noch ärgerlicher war ja, dass es nicht die erste Verlobungstorte war, die vielleicht umsonst dahin geschmolzen war, sondern die dritte.
Rani seufzte. Wenigstens war diese Torte weder für Unsummen aus Paris gekommen, noch aus Pnom Penh der Hauptstadt Kambodschas, sondern schlicht und ergreifend vom Blue Pumpkin, einer kambodschanischen Kaffeehauskette, die sehr leckere aber mächtige und anscheinend zum Zerfließen neigende Verlobungstorten buken und das beste Eis in der Stadt hatten, das auch Touristen schmeckte.
Rani wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war auch wirklich schwül. Drückend schwül und sie hatte Kopfschmerzen.
Zwei Verlobungen und noch keine Hochzeit. Und auch bei der dritten war sie nicht sicher, ob es klappen würde, gar nicht sicher. Bei Sari musste man immer auf alles Mögliche gefasst sein.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Sari in Pnom Penh studieren zu lassen, anstelle sie hier in Siem Reap unter ihrer Aufsicht zu haben.
Aber das stimmte nicht, Phnom Penh konnte garantiert nichts dafür, Sreykouch, ihre mittlere Tochter hatte auch in Phnom Penh Buchhaltung studiert und sich anschließend folgsam in eine arrangierte Ehe mit Vichay, dem ältesten Sohn der Nachbarin gefügt. Sogar den Wahrsager, der für solche Angelegenheiten unabdingbar war, hatte sie klaglos hingenommen. Aber Vichay war ja auch eine gute Partie gewesen und Sreykouch auch, immerhin gehörten beiden Familie viele Geschäfte in Siem Reap, der alten Königstadt Kambodschas.
Sari hingegen hatte weder für arrangierte Ehen noch für den unabdingbaren Wahrsager sonderlich viel übrig und die beiden ersten Verlobungen mit von ihr selbst ausgewählten Männern waren ein Fiasko gewesen. Dem hatte Rani ein Ende gesetzt und sie mit Jay, Vichays Cousin, der in Phnom Penh lebte und arbeitete, verkuppelt. Jay hatte einen sehr guten Job, war nett und gebildet, sah im Gegensatz zu Vichay auch ziemlich gut aus, fast wie ein indischer Filmschauspieler. Er würde Sari auf den rechten Pfad bringen. Das musste er einfach, es konnte nicht so liederlich weiter gehen mit ihrer ältesten Tochter.
Rani seufzte erneut tief auf und rieb ihre schmerzenden Schläfen. Saris unmögliches Verhalten färbte schon auf ihre jüngste Tochter Simay ab, die ebenfalls in Phnom Penh studierte und mit Vorliebe Jungenkleidung und kurze Haare trug, was Rani genauso missfiel wie ihr kindischer Vorsatz, nie zu heiraten. Das war nur der unselige Einfluss von Sari, die es nun schon auf drei Verlobungen und bis jetzt keine Hochzeit gebracht hatte und das mit fast 30 Jahren.
Doch halt, bis jetzt waren es nur 2 Verlobungen, die dritte musste einfach in eine Hochzeit münden. Es musste einfach klappen.
Aber einfach war bei Sari gar nichts, das wusste Rani und trank mit einem grimmigen Lächeln einen Schluck Kaffee mit dicker, gesüßter Kondensmilch.
Sie liebte dieses süße, typisch kambodschanische Getränk, obwohl sie genau wusste, dass es weder für ihre Zähne noch für ihre Figur noch für sonst irgendetwas gut war. Ihr Arzt erzählte ihr immer etwas von Diabetes, aber das hörte sie nur mit einem halben Ohr.
Sari atmete tief durch, als sie sich am Treppengeländer stehend, ihre Mutter und die im Zerfluss befindliche, ziemlich monströse und ein wenig kitschige Verlobungstorte, die wahrscheinlich wieder ein Heidengeld gekostet hatte, betrachtete. Auch Blue Pumpkin war ganz schön teuer, sie hatten allerdings auch das beste Eis in der Stadt.
Sari beugte sich still über das Geländer und lächelte ebenso grimmig wie ihre Mutter, wenn nicht sogar ein wenig mehr.
Auf leisen Sohlen schlich sie sich in ihr Zimmer. Ein wenig zitterig legte sie sich auf ihr Bett, schloss für einen Moment die Augen und lag einfach nur da. Es beruhigte sie etwas, einfach nur dazuliegen und ihrem eigenen Atem zu lauschen. Für einen Moment gab es nur sie und ihren Atem. Keine Verlobung, keine Hochzeit, keine Mutter und auch keinen Jay.
Keinen Jay, der sie so nett er auch war, drängte. Drängte mit ihm zu schlafen. Ihn zu heiraten. Der Sex mit ihm war mehr Pflicht, als das sie etwas dabei empfand. Gar nichts empfand sie, wenn sie ehrlich war und feucht wurde sie auch nicht, nicht einmal ansatzweise. Sie war wie Eis in seinen Armen. In seinen Armen und auch bei allen anderen Männern bisher.
Widerwillig öffnete sie ihre Augen. Sie wollte nicht an den Sex mit Jay denken, all die Nächte in seiner Wohnung in Phnom Penh oder hier in ihrem alten Mädchenzimmer.
Und dennoch, die Bilder ließen sich nicht vertreiben.
Wieder einmal nicht.
Jay, der schwer auf ihr gelegen hatte, rollte sich von ihr ab und küsste immer noch stöhnend ihren Hals. Sari versuchte krampfhaft die Augen geschlossen zu halten, an Sarah zu denken, jene Studentin aus England, mit der sie vor vielen Jahre in Phnom Penh eine kurze aber erfüllende Beziehung gehabt hatte.
Vergeblich.
Immer wieder schob sich jedoch Jays Antlitz vor ihr geistiges Auge mit seinen erregt leuchtenden Augen, die ihr immer ein wenig unheimlich waren. Am liebsten hätte sie laut geschrien und Jay von sich gestoßen. Es hatte weh getan, wieder einmal und Jay war so schwer gewesen auf ihr, so schwer und ihre Scheide fühlte sich immer noch trocken an und wund. Sie wurde einfach nicht feucht bei ihm. Alles an ihr war wund und tat weh und Sari hatte Schwierigkeiten, die Tränen zurückzuhalten, auch jetzt noch in Gedanken. Sie durfte nicht vor Jay weinen. Das wäre zu auffällig.
Er durfte nie erfahren, dass sie sich nach einer Frau sehnte.
Dass sie lesbisch war.
Sie musste sich zusammennehmen und die perfekte Freundin mimen. Auch wenn es ihr schwer fiel, sehr schwer, immer schwerer, quasi unmöglich.
„Ich könnte in der Tat noch mal, Sari, ich bin so geil auf dich“, hauchte Jay ihr ins Ohr. Sari zog die Beine an und brachte sich in eine aufrechtere Position. Sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, ich bekomme meine Tage. Mein Bauch tut weh. Außerdem habe ich Hunger, lass uns ins Blue Pumpkin gehen.“
Sari wischte sich die Tränen aus den Augen und bemühte sich, wieder in die Realität zurück zu finden und ganz ruhig zu atmen.
Nur sie und ihr Atem.
Ruhig und gleichmäßig.
Sie lag da, bis sie von dem Klingeln ihres Handys aus ihrer fast schon lethargischen Ruhe gerissen wurde.
Ohne sich aufzusetzen, nahm sie das Gespräch entgegen.
Es war Jay.
„Hallo, Liebes, bin gerade gelandet. Wir brauchen nicht heiraten, lass uns einfach nach Phnom Penh zurückehren, wilde Ehe“, hörte sie seine Stimme und lächelte leicht.
„Damit machst du die Rechnung ohne meine Ma. Für sie wäre eine erneut geplatzte Verlobung ein Desaster. Wenigstens hat Kouch schon eine Hochzeit auf der Habenseite und Simay, du kennst sie ja. Ich bin im Zugzwang und das Konzept der wilden Ehe taugt für Ma nicht. Sie ist irgendwie im letzten Jahrhundert stecken geblieben.“
„Ich weiß, Darling, wir schaffen das. Ich liebe dich. Ich freue mich auf das Khmer Barbecue später, aus Torten habe ich mir noch nie was gemacht. Im Gegensatz zu deiner Sis. Sie und Vichay holen gerade ihr Gepäck, ich hab meines schon. Kouch freut sich schon tierisch auf die Torte. Ich kenne doch meine Lieblingsschwägerin. Ich liebe dich, Sari, Liebes.“
Sari lächelte.
„Ich dich auch, Jay“, sagte sie leise und legte auf.
Es war eine Lüge und sie begann leise zu weinen.
Er sah wirklich verdammt gut aus, wie ein Bollywood Schauspieler, kein Vergleich zu seinem Cousin Vichay, dem Mann ihrer Schwester Sreykouch, der Sari nicht einmal ansatzweise gefiel.
Jay war einfach perfekt, aber sie liebte ihn nicht, nicht einmal ansatzweise.
Nicht einmal ansatzweise.
Weinend betrachtete sie das Verlobungskleid, das an einem Bügel an der Gardinenstange am Fenster hing. Wie seine beiden Vorgängerinnen typisch kambodschanisch, schöner, schwerer Stoff, gute Qualität, farbenfroh, aber leider für ihren Geschmack viel zu überladen. Sie konnte diese traditionellen, kambodschanischen, furchtbar pompösen Hochzeitsfeiern, bei der die Ehepaare sich verschuldeten, einfach nicht ausstehen.
„Sari, Sis?“
Sari richtete sich langsam auf.
„Simay“, sagte sie lahm und betrachtete ihre jüngste Schwester, die eine schwarze Leggings und ein ebenso dunkles Shirt trug und richtete sich etwas auf.
„Dass Ma immer so ein Zinnober machen muss mit den Verlobungen und Hochzeiten. Dieses kitschige Monstrum unten in der Halle, das da vor sich hin zerfließt, hat einen Würgereiz in mir ausgelöst, genauso wie das Kleid da an der Stange und mein eigenes, kotzgrün. Ich hasse Kleider. Wann bringt man Ma endlich dazu, dass das überhaupt keinen Style hat“, sagte Simay grinsend und setzte sich an Saris Bettrand.
„Am liebsten würde ich sofort wieder nach Phnom Penh fahren oder Paris, London, New York, möglichst weit weg. Was sagt eigentlich Jay dazu?“
„Der würde mich auch ohne Verlobung und Hochzeit nehmen“, sagte Sari leise.
„Und du, was ist mit dir, was willst du“, fragte Simay, die jetzt mit gekreuzten Beinen aufs Saris Bett saß.
„Ich würde am liebsten gar nicht heiraten, weder ihn noch irgendeinen anderen Mann. Gar nicht“, sagte Sari heftig und setzte sich ebenfalls auf. „Aber das ist Utopie, Simay, absolute Utopie, wir können so nicht leben. Nicht hier, nicht in Kambodscha, nicht in unserer Position als führende Tochter einer führenden Familie.“
Sari schluckte bitter und dachte an Sarah damals in Phnom Penh, die Liebe zu ihr und die schmerzvolle Trennung, die von ihr selber aus gegangen war, weil sie Angst gehabt hatte, Sreykouch, mit der sie sich damals in Phnom Penh ein Zimmer geteilt hatte, würde sie an Mama verpetzen. Sie hatte Sarah nie wieder gesehen und wusste nicht, was aus ihr geworden war. Ob sie noch in Kambodscha lebte oder zurück nach England gegangen war.
„Ich werde mich jetzt anziehen und du solltest es auch tun. Die Party muss beginnen. Bevor die Torte nicht mehr genießbar ist. Jay wird auch bald da sein. Er freut sich auf das Khmer Barbecue heute Abend. Er ist ein guter Mann, mein Jay, er müsste jeden Moment hier auftauchen, gemeinsam mit Vichay und unserer Schwester“, sagte sie sehr leise und stand auf.
„Komm, Sim, spielen wir ihr Spiel mit, auch wenn es nicht das unsere ist, lass uns nach unten gehen“, sagte sie grimmig und auch Simay richtete sich widerwillig auf.