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Kapitel 2
ОглавлениеParma, 08. Juni 1760
Ich bin Isabella, eigentlich nur Isabella. Meinen vollständigen Namen kann sich kein Mensch merken, denn vollständig heiße ich Isabella Maria Luisa Antonietta Ferdinanda Giuseppina Saveria Dominica Giovanna von Bourbon-Parma.
Für meine Mama bin ich einfach nur Isabella, oder ihr Himmelsmädchen. So hat sie mich immer genannt, wenn wir alleine waren. Sie war meine liebste Freundin auf dieser Welt, meine allerliebste Freundin. Sie war gerade einmal vierzehn Jahre alt gewesen, als sie mich am 31. Dezember 1741 im Palast Buen Retiro in Madrid als ihr erstes Kind zur Welt brachte. Mit 12 Jahren war sie als älteste der Töchter Ludwig XV und dessen Lieblingstochter an den spanischen Hof gezogen, weil sie mit meinem Papa verheiratet worden war. Mein Vater ist nämlich der spanische Infant Philipp, der später Herzog von Bourbon Parma wurde. Weswegen ich als spanische Prinzessin jetzt auch in Parma lebe und Italien als meine Heimat ansehen darf.
Nicht einmal meine Mama, die im Himmel auf mich wartet, darf wissen, dass ich jetzt mitten in der Nacht auf dem Balkon meines Zimmers auf dem Fußboden sitze und mir die Sterne ansehe.
Ein Himmelskind bin ich, sagt Mama immer, aber das ist nicht gut, denn Himmelskinder sind unglücklich und man darf sie nicht einsperren, man darf sie niemals einsperren. Niemals. Und ich werde mein Lebtag eingesperrt bleiben. In meinem Kindheitsschloss in Madrid, in dem ich vor bald neunzehn Jahren geboren wurde. In dem Schloss meiner Mama in Versailles, obwohl mich dort alle von Herzen lieb haben, vor allen mein Großvater König Ludwig XV von Frankreich, dessen Lieblingsenkelin ich bin. Hier in Parma und auch in Wien, an dessen Hof ich heiraten soll. In allen Schlössern und Burgen dieser Welt werde ich eine Gefangene sein.
Immer.
Mein ganzes Leben lang.
Gottseidank wird es ein kurzes Leben sein.
Gottseidank.
Auch hier in Parma und in Wien werden sie keine Rücksicht darauf nehmen, dass ich ein Himmelskind bin und man Himmelskinder nicht einsperren darf. Ich werde von Mauern und Zwängen umgeben sein und meinem zukünftigen Mann eine treue Ehefrau und eine Mutter seiner Kinder sein müssen. Und ich werde unglücklich sein, todunglücklich. So unglücklich wie meine Mama ihr ganzes Leben war mit meinem Papa, den sie nie geliebt hat, obwohl er ein gutaussehender Mann ist, und wie meine Großmama in Frankreich. Mein Großpapa war nämlich nicht gerade tugendhaft und sein Schloss in Versailles ein zutiefst unmoralischer Ort. Was musste meine arme Großmama leiden an seiner Seite, dahingewelkt neben Madame de Pompadour, der Lieblingsmätresse meines Großvaters. Ähnlich wie ich ist meine Großmama sehr fromm und ich hab sie von Herzen lieb. Wahrscheinlich habe ich von meiner Mama und meiner Großmama den Hang zur Schwermut geerbt und dass ich mich oft danach sehne zu sterben. Das ist sicher nicht normal für ein so junges Mädchen wie mich. Gar nicht normal und ich sorge mich deswegen sehr. Ich habe Angst, schwermütig zu werden, depressiv oder verrückt. Zu versagen auf ganzer Linie als Ehefrau von Joseph, dem Sohn von Maria Theresia von Österreich, den ich demnächst heiraten werde, heiraten muss. Zu versagen dabei, seine Kinder, die Thronerben auf die Welt zu bringen. Am liebsten würde ich ins Kloster gehen, aber da ist mein Vater sehr dagegen. Mein Platz ist an der Seite eines zukünftigen Kaisers und nicht als Äbtissin, was ich bevorzugen würde.
Den Himmel sehend und die funkelnden Sterne betrachtend, greife ich zu meiner Violine, die die ganze Zeit still neben mir gelegen und mir Gesellschaft geleistet hat und fange leise an zu spielen. Die Musik trägt mich in Gedanken in eine andere Welt.
In eine ganz andere Welt. In eine Welt, in der ich einfach Isabella sein darf, nächtens auf dem Balkon Violine spielend, den Himmel ansehend, die Sterne zählend. Eine Isabella, die keinen Mann heiraten muss, den sie kaum kennt und nicht liebt. Eine Isabella, die gar nicht heiraten muss. Eine Isabella, die an der Universität Literatur und Philosophie studieren kann oder Musik oder Malerei oder gar Mathematik, was mich sehr interessiert. Obwohl dies ist utopisch. Wir schreiben nun einmal das Jahr 1760 und Frauen dürfen nicht studieren, aber der Träumerin in mir sind solche Grenzen gleichgültig. Ich würde gerne auf ein Leben mit Krone verzichten wie Christina von Schweden es getan hat. Es heißt, dass sie das aus Liebe zu ihrer Hofdame Ebba Sparre getan hat, was viele Menschen widernatürlich finden, ich aber sehr anziehend, überaus anziehend. Christina hat sich also geweigert eine arrangierte Ehe einzugehen, auf den Thron verzichtet, ihrem Heimatland Schweden den Rücken gekehrt und sich in Rom ganz der Kunst gewidmet, aber diesen Mut habe ich leider nicht. Ich bin keine Christina von Schweden, ich bin Isabella von Parma und Isabella von Parma hat diesen Mut nicht. Leider, denn ich bewundere Christina von Schweden, ich bewundere sie und beneide sie, was meine Beichtväter auch über sie erzählen mögen.
Ich blicke zum Himmel hoch zu meiner Mama und frage mich, ob sie weiß, wie unglücklich ich bin, wie traurig, wie wehmütig. Sie weiß das ganz bestimmt, Mamas wissen sowas immer, auch, wenn sie, von den Blattern dahingerafft, tot sind und im Himmel wohnen. Seit Mamas Tod im letzten Winter, als sie plötzlich in Versailles bei dem lieben Großpapa an den Blattern starb, bin ich noch wehmütiger und trauriger als ohnehin und grüble so viel, dass mein Papa davon entnervt ist. Am liebsten würde ich den Schleier nehmen und ins Kloster gehen, aber da ist er strikt dagegen. Ich muss heiraten. Aus, amen, basta.
Ob Mama weiß, wie sehr es mir vor der Hochzeit graut? Wie sehr es mich ekelt und schüttelt, auch nur daran zu denken, mit einem Mann ins Bett zu gehen. Mit ihm den Akt zu vollziehen, diesen fürchterlichen, grauenvollen Akt. Ich weiß, dass meine Mama sich immer davor gefürchtet hat, wenn Papa wieder zu ihr ins Bett wollte, wenn er seine ehelichen Pflichten eingefordert hat. Er ist weiß Gott kein Unmensch und kein hässlicher Mann, aber sie musste sich immer zum ehelichen Verkehr zwingen, was ihr nur selten gelang.
„Ich erstarre jedes Mal zu Eis, wenn ich in seinen Armen liege.“
Ganz leise hat sie das zu ihrer Hofdame gesagt, nicht für Kinderohren bestimmt und ganz gewiss nicht für Kinderohren, die hinter einer Tür versteckt waren. Ich wusste damals nicht, was sie mit diesen Worten gemeint hat.
Jetzt weiß ich es und ich habe Angst.
Ich höre auf zu spielen und lege die Violine neben mich auf den Boden. Meine Augen sind voller Tränen und brennen ganz fürchterlich. Ich schaue hoch zu den Sternen zu meiner Mama. Ob sie weiß, dass ich mich noch nie nach einem Mann gesehnt habe, noch nie und es auch nie tun werde? Niemals, ganz gewiss niemals. Nicht in der gleichen Art, wie ich mich nach einer Frau sehne. Nicht in der gleichen Art, ganz gewiss nicht.
Ich konnte meiner Mama eigentlich alles sagen, nur das mit den Frauen konnte ich ihr nie sagen. Ich schäme mich so schrecklich dafür, denn es ist furchtbar unnormal und sündhaft, sich zu wünschen, mit einer Frau im Bett zu liegen und mit ihr die Dinge zu tun, die man mit einem Mann tun soll. Ganz furchtbar, absolut sündhaft und ganz gewiss nicht von Gott geplant und gewollt. Ganz gewiss nicht.
Unbeholfen wische ich mir mit beiden Händen die Tränen aus den Augen, so heftig, dass sie noch mehr brennen und noch mehr schmerzen. Und ich heiße den Schmerz willkommen. Ich heiße ihn willkommen und versuche zu lächeln.
Ich, Isabella von Bourbon - Parma, Isabella, einfach nur Isabella, liebe Frauen.
Ich liebe Frauen.
Habe sie schon immer geliebt.
Das wird sich auch nicht ändern, wenn ich mit einem Mann verheiratet bin, ganz sicher nicht.
Ganz sicher nicht.
Ich wische mir die Tränen aus den Augen und lächele grimmig.
Wenn es einen Grund gibt, Wien nicht ganz fürchterlich zu finden und mich sogar ein wenig auf Wien zu freuen, dann ist es ganz gewiss nicht Joseph, mein zukünftiger Ehemann, sondern Marie Christine, seine Schwester. Ich drücke ihren Brief, der neben meiner Violine gelegen hat, eng an meine Brust, nicht verhindernd, dass meine Tränen den Brief durchweichen. Ich sehe auf ihr selbst gemaltes Miniaturportrait, dass sie einem ihrer Briefe beigefügt hat. Sie ist so schön, diese Marie Christine, so unendlich schön und ich bin dabei, mich in sie zu verlieben. In ihre zarte Figur, ihren hellen Teint, ihre blonden Haare, einfach alles an ihr ist wunderschön. Darüber hinaus ist sie wie ich auch sehr gebildet, spielt wie ich ausgezeichnet Violine und Cello und malt allerliebst, eine Beschäftigung, mit der ich mir auch gerne die Zeit vertreibe. Und sie liebt die Musik Vivaldis, schreibt sie. Ich finde Vivaldi auch absolut wunderbar und spiele seine Stücke gerne auf meiner Violine, die ich meisterhaft beherrsche oder auch auf der Geige. Wir werden sicher die Gelegenheit haben, zusammen zu musizieren wie ich es hier bei Hofe mit meinem Vater praktiziere.
Ich werde mich in Marie Christine verlieben, dessen bin ich mir sicher.
In sie und nicht in ihren Bruder.
Ich kann nicht anders, ich kann nicht anders.
Ich liebe Joseph nicht, ich werde ihn nie lieben. Niemals.
Ich kann ihn gar nicht lieben.
Denn ich liebe Marie Christine, seine Schwester.
Ich liebe sie und das macht mir Angst.
Große Angst
Denn es ist eine Sünde.
eine große Sünde
eine Todsünde
Padua, 8.Oktober 1760
Ich blicke in die Ferne. Seit jener Nacht auf dem Balkon, in der ich den Sternen weinend und Violine spielend mein Herz ausgeschüttet habe, sind Tage und Wochen vergangen. Morgen werde ich mit einer prachtvollen silbernen Kutsche nach Österreich gebracht werden und meiner Heimat, Italien Adieu sagen.
Tage und Wochen, in denen ich tagein tagaus die Rolle spiele, die sie mir zugedacht haben. Ich muss an eine Marionette denken und fast lächeln bei dem Gedanken an die Marionette, denn meine Mama hat sich am spanischen Königshof gefühlt als wäre sie eine und ich vermisse meine Mama immer noch unendlich. Mein Papa hingegen ist mir immer fremd geblieben, ebenso meine Geschwister. Ferdinand und Marie Louise sind so viel jünger als ich. Ich war zehn Jahre ein Einzelkind gewesen, weswegen ich meiner Mama auch so nahe stand wie niemanden sonst auf dieser Welt. Es tut mir also nicht leid, meinen Vater und meinen Bruder und meine Schwester verlassen zu müssen, denn ich hänge nicht an ihnen. Die Ehe meiner Eltern war stets durch Kälte und gegenseitige Abneigung geprägt gewesen und von meiner Mutter hatte man am spanischen Königshof stets erwartet, ihr Pflichten zu erfüllen und meinem Vater, Thronerben zu schenken. Wie es ihr ging, war allen gleichgültig. Genauso gleichgültig wie ich meinem Vater bin, der mich nun verheiraten wird nach Österreich der Dynastie wegen, denn der österreichische Hof wünscht sich eine Verbindung zu Frankreich und König Ludwig XV ist ja mein Großvater.
Ich beiße mir auf die Lippen, denn wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, war es nicht mein Vater, der mich nach Österreich verheiraten wollte, sondern meine Mutter und mein französischer Großvater. Um die Verbindung der Häuser Bourbon und Habsburg auf ein stabileres Fundament zu stellen, schlug mein Großvater, der ein Bourbone ist, eine Verbindung zwischen dem österreichischen Thronerben und mir vor. Man sagt, dass auch seine Mätresse, Madame Pompadour, die ich aufrichtig hasse für das, was sie meiner armen Großmama antut, ihre Finger im Spiel hatte und diese Verbindung mit dem Grafen Kaunitz, der einst als Botschafter am Königshof in Versailles weilte und nun Hof und Staatskanzler am Hofe Maria Theresias ist, geschmiedet hat. Die Pompadour hat leider einen immensen Einfluss auf meinen Großpapa, ist sie doch viele Jahre, fast 17 an der Zahl, jünger als meine Großmama und weitaus weniger fromm, was mein Großpapa leider sehr anziehend zu finden scheint. In der Sache mit Kaunitz und dem Wiener Hofe setzte sie in der Tat ihre und Österreichs Interessen beim König durch. Österreich will nämlich den Verlust Schlesiens im Krieg gegen das Preußen Friedrich II ausgleichen und Frankreich vom Erbfeind vieler Schlachten in Italien, im Burgund, Flandern und in den Pyrenäen zum Verbündeten machen, eine Art Umkehr der Alliancen wie man zu sagen pflegt. Österreich sagte sich dabei von seinem langjährigen Bündnispartner England los, der eine Alliance mit dem aufstrebenden Preußen Friedrich I eingegangen war. Ich bin der Spielball, ein menschlicher Spielball und ich hasse die Kaiserin dafür, die Kaiserin, Joseph, Kaunitz und ganz besonders die Pompadour, diese furchtbare intrigante Person. Und auch meinen lieben Großpapa, den ich sonst sehr lieb habe. Aber er ist dieser furchtbaren Pompadour verfallen, mit seiner ganzen Seele ist er ihr verfallen, ihr und ihrer jugendlichen Schönheit und ihrem lasterhaft verdorbenen Wesen. Wahrscheinlich kann auch die Kaiserin die Pompadour nicht leiden, da sie sehr fromm sein soll und die sittenlose Maitressenwirtschaft am Versailler Hof nicht gut heißt. Sie heißt mit der Zusammenarbeit mit der Pompadour deren Unzucht gut. Immerhin ist die Pompadour eine Bürgerliche, kam als Madame Poisson zur Welt und hat ihren Grafentitel nur ihren Aktivitäten im königlichen Bett meines Großvaters zu verdanken, diese impertinente Person! Wie ich sie verachte und hasse. Sie ist an allem schuld!!
Als ich gerade einmal neun Jahre alt war im Jahr 1750 stellte meine Mama daher von Großpapa und Madame Pompadour angestiftet, Überlegungen an, mich mit Joseph, dem gleichaltrigen Sohn Maria Theresias zu verheiraten. Sie hat meine Hochzeit mit Joseph als ihr Lebenswerk betrachtet, wie manche ihrer Hofdamen böswillig behaupteten und so war es auch, denn im letzten Herbst gab es für sie kaum ein anderes Thema für sie als meine Hochzeit. Ich war davon so entnervt, dass ich mir vorgenommen habe meine Tochter nicht dem Schicksal der Ehe auszusetzen, aber ich weiß, dass das nicht geht. Es ist in unserer Bestimmung als Frauen als junge Mädchen zu heiraten und wir werden auch unsere Töchter als junge Mädchen verheiraten, ob sie wollen oder nicht. Selbst wenn wir gelitten haben wie meine Mutter als vierzehnjährige. Wir fügen unseren Töchtern das gleiche Schicksal zu, wie unsere Mütter es uns zugefügt haben. Und ich kann froh sein, dass ich bald neunzehn Jahre alt werde und nicht vierzehn bin wie meine Mutter damals, als sie mich gebar am für sie fernen und steifen spanischen Hof. Und ich kann froh sein, dass ich früh sterben werde und meine Töchter nicht verheiraten muss.
Ich blicke durch mein Fenster in die Ferne und sehe die Kathedrale von Padua. Sie ist ein herrlicher Bau und normalerweise habe ich einen Blick für schöne Bauwerke und genieße es sehr, mir diese anzusehen. Heute allerdings fällt es mir schwer, das schöne zu sehen und nicht einmal ein so herrlicher Renaissancebau wie diese Kathedrale wärmen mein kaltes Herz, das furchtbar weh tut. Hier in dieser Kirche wurde ich nämlich gestern getraut per procturatonem, wie man so schön sagt, ohne meinen Gatten. Joseph ist in Wien geblieben und wurde von Fürst Liechtenstein vertreten. Es gibt kein Zurück mehr für mich. So sehr ich mir das auch wünsche, mich danach sehne. Es gibt kein Zurück. Ich werde Josephs Frau werden.
All dieser Pomp und das ganze Zeremonielle widern mich an und zerren an meinen Nerven. Von meinem Großpapa aus Frankreich habe ich eine komplette Aussteuer aus dem teuersten Leinen und Seide, alles mit kostbarsten Spitzen verziert, erhalten, von Großmama drei wunderschöne Mäntel aus herrlich, weichem, dunklen Samt. Das alles ist lieb gemeint und wunderbar und ich habe mich gerade in Versailles immer sehr wohl gefühlt, viel mehr als hier in Italien. Ich muss aber immer an die armen Menschen denken, die in den Kriegen und Schlachten ihr Leben verloren haben, verlieren und noch verlieren werden und welche Armut überall herrscht und wie viele hungrige Kindermägen man satt bekommen könnte mit all dem Geld, dass diese Sachen gekostet haben.
Wohlerzogen ertrag ich all das mit großer Geduld und lasse mir nicht anmerken, wie es tief in mir drinnen aussieht. Das will eh niemand wissen und meine Mama ist tot. Ich kann nur sagen, dass das Schicksal einer großen Fürstentochter das unglücklichste ist. Worauf hat die Tochter eines großen Fürsten zu warten? Doch nur auf eine arrangierte Ehe und Kinder zu bekommen. Mehr nicht. Mehr nicht und das reicht mir nicht, hat mir noch nie gereicht, noch nie. Wird mir auch nie reichen. Niemals!
Diese Gedanken habe ich gestern auch meinem Tagebuch anvertraut. Ich bin wirklich zu nichts anderem geboren als dem Plunder von Ehre und Etikette ausgesetzt zu sein. Eine Fürstentochter wird zu nichts anderem geboren, als dem Wollen der Staatsmacht ausgeliefert zu sein. Eine Fürstentochter hat ihren freien Willen aufzuopfern und der Dynastie möglichst viele Söhne und Töchter zu gebären. Ich habe zu heiraten und Kinder zu bekommen. Den Thronerben, am besten viele Söhne. Die Dynastie bewahren. Basta. Alles andere interessiert nicht und ich kann mit niemandem darüber reden. Und dabei erwarten alle von mir natürlich auch noch, dass ich dankbar und glücklich bin, denn ich bin die Schwiegertochter von Maria Theresa und werde einmal die Frau des Kaisers von Österreich werden. Kaiserin des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, wie mir mein Vater vor Stolz berstend immer wieder einbläut.
Jetzt weiß nur mein Tagebuch davon, aber vielleicht werde ich eines Tages über diese Gedanken einen Aufsatz schreiben, so wichtig sind sie mir.
Denn alle denken, ich hätte das Glückslos gezogen.
Jede Adelstochter Europas beneidet mich und ich?
Ich, ich würde gerne das Los einer Bürgerlichen teilen. Ohne Zwang und ohne Ehr und dafür aber frei, aber das darf ich bloß niemandem sagen. Nicht einmal wollen. Ich kenne den Mann, den ich heiraten soll, doch nicht einmal, ich kenn auch das Land nicht, in das ich ziehen soll, die Kultur, die Sprache, all das ist mir neu. Ich weiß doch nicht einmal, ob sie mich an dem Kaiserhof in Wien mit offenen Armen empfangen oder ob sie auf mich eifersüchtig sind und neidisch. Vielleicht spüren sie, dass ich Frauen bevorzuge und verachten mich dafür. Das macht mir Angst, genau wie die Vorstellung das Bett mit diesem Joseph zu teilen, Mit diesem Joseph, den ich gar nicht kenne. Nur ein Bild, er sieht gut aus, wirklich gut, aber ich empfinde gar nichts für ihn, ganz im Gegensatz zu Marie Christine, seiner Schwester. Mir wird allein bei dem Gedanken übel, dass er zu mir ins Bett steigt und die Ehe mit mir vollziehen will, vollziehen muss, bis er den Erben bekommt. Möglichst viele Erben, denn Mädchen zählen leider nicht und Kinder sterben oft schon in sehr jungen Jahren. Ich werde immer wieder das Bett mit ihm teilen müssen, ob ich will oder nicht. Mir graut davor, ich habe Angst, große Angst.
Ich beneide aus tiefstem Herzen die bäuerlichen Mädchen, die heiraten können, wen sie wollen oder lieben – oder es auch bleiben lassen. Ich beneide auch die Nonnen in den Klöstern, die ganz speziell. Ich will gar nicht heiraten, aber mich fragt niemand, was ich will. Mir graut vor der Heirat. Mir graut und mich schaudert es.
Doch das stimmt nicht ganz, dass ich mit niemandem reden kann, denke ich, lächle leicht und schlage den Kasten meiner Violine auf. Ich greife den Brief von Marie Christine, lass ihn durch meine Hände gleiten und fühle ihn mit meinen Fingern. Ganz sachte, ganz zärtlich streiche ich über ihn.
Marie Christine denke ich und ein Lächeln huscht über mein trauriges Gesicht. Ich greife zu meiner Feder, setzte mich an meinen Schreibtisch, tauche die Feder in Tinte und lasse sie sachte über das Papier gleiten. Ganz sachte und auf mein klopfendes Herz hörend, das wie verrückt gegen meine Brust pocht und mein kaltes Herz erwärmt. Ich schreibe und schreibe und von ganz allein fließen meine Worte. Ich lege die Feder zur Seite und lese mir immer wieder meine letzten Worte durch.
„Adieu meine liebe Schwester, ich lege mich jetzt hin und ende wie stets nicht ohne Sie fest zu umarmen. Ich liebe Sie und bin in Wahrheit Ihre getreue Schwester Isabella Marie Louise.“
Ihre Schwester, denke ich fast grimmig, wohl kaum nur ihre Schwester.
Aber das darf ich nicht denken und nicht wollen.
Schon gar nicht wollen.
Denn, es ist eine Sünde.
Eine Todsünde
Ich blicke aus dem Fenster und ordne meine Schreibsachen. Morgen werde ich in meiner von acht Schimmeln gezogenen Prunkkarosse der Braut durch Oberitalien, Kärnten, die Steiermark und das südliche Niederösterreich nach Wien reisen.
Wien, 10 Januar 1761
Ich bin in Wien. Ich bin verheiratet und man schreibt bereits das Jahr 1761, genauer gesagt den Monat Januar.
Ich muss mich noch an den österreichischen Winter gewöhnen. Es ist furchtbar kalt und mein Herz ist zu Eis erstarrt, genau wie der Schnee in der Hofburg und im Schloss Schönbrunn vor sich hin frostet. Joseph hat nichts an sich, um mich für ihn zu erwärmen, aber er bemerkt das gar nicht. Ich spiele ihm die glücklich verliebte Ehefrau vor und er glaubt mir. Ähnlich wie mein Vater bei meiner Mutter spürt auch er nicht, dass ich in seinen Armen und seiner Gegenwart zu Eis werde und furchtbar fröstele. So wie meine Mutter damals bei meinem Vater.
Tage voller Pomp und Feierlichkeiten liegen hinter mir.
Ein wahrlich barockes Fest, raunen die Menschen auf den Straßen mir zu, eine wahrlich barocke Prinzessin, ein Märchengeschöpf. Was für ein Glück der Joseph doch nur hat, so eine Schönheit, großgewachsen, zierlich, apart und feingliedrig, dunkelhaarig, bildhübsch, wunderschön. Eine richtige Märchenprinzessin, die sich gar nicht märchenhaft fühlt, aber das bekommt keiner mit, das geht keinen was an und ich war schon immer eine wahre Meisterin des Versteckspiels. Sie sind alle furchtbar lieb zu mir, auch Franz Stephan, der Kaiser und Maria Theresia, meine Schwiegermutter. Sie liebt mich zärtlichst wie eine eigene Tochter und lobt alles, was ich tue, überschwänglich.
„Mein liebes Kind, Sie sind mir wie eine Tochter, ich bin so froh, Sie an meinem Hof und an Josephs Seite zu wissen“, sagte sie breit lächelnd, als ich ihr das erste Mal gegenübertrat und drückte mich an ihre üppige Figur. Sie ist 43 Jahre alt und hat unvorstellbare 16 Kinder zur Welt gebracht. Der kleine Maximilian Franz ist erst vier Jahre alt und Maria Antonia fünf. Die Kleine ist wirklich allerliebst und stand ganz schüchtern mit ihrem rechten Daumen im Mund neben ihrer Maman und sah mich treuherzig an. Auch Maria Theresias Ehemann, Franz Stephan von Lothringen ist reizend zu mir.
Dennoch habe ich, das Gefühl, dass jeder hier nur eine Rolle spielt, auch ich.
Und ich spiele sie gut, nahezu perfekt. Nahezu perfekt. Ich bin eine Meisterin der Verstellung.
Wie es in mir wirklich aussieht, merkt keiner, auch nicht Joseph nicht, der am allerwenigsten.
Wie er errötet ist, als er sich das erste Mal über meine Hand gebeugt hat im Schloss Laxenburg. Er hat die Augen nicht von mir lassen können und mich wie eine Fatamorgana angestarrt. Ganz schüchtern war er, als wir einander das erste Mal vorgestellt worden sind. Ganz anders als sein Papa, der Kaiser, als dieser mich in Stuppach, im Schloss des Grafen Walsegg gemeinsam mit meiner Hofdame Antonia Gräfin Erdödy in Empfang nahm. Er ist galant und liebenswürdig, wenn auch ein wenig in die Jahre gekommen und ziemlich fett. Aber man sieht den gutaussehenden, heiteren und liebenswerten lothringischen Prinzen, der er vor langer Zeit gewesen war und ich spüre, dass er dieser Prinz mir gegenüber noch gerne sein würde und das ekelt mich ein wenig an.
Joseph himmelt mich in Laxenburg an seines Vaters Seite schüchtern und unbeholfen an, er betet mich an, ist völlig vernarrt und verliebt in mich und ich gebe ihm das Gefühl, dass es mir genauso geht, Meisterin der Verstellung, die ich bin. Dabei ist er mir gleichgültig. Er sieht sehr gut aus, ist ein schöner Mann, voller Kraft und mit einem edlen, maskulinen, markanten Profil und mit sehr schönen blauen Augen, die er von seiner Mutter, der Kaiserin geerbt hat. Zudem ist er schlank und gut gebaut. Genau wie ich auch ist er recht gebildet und hat ähnlich wie ich fortschrittliche Ideen. Er hat sogar Kenntnis der Schriften Voltaires und Rousseau, was ich himmlisch finde, denn ich beschäftige mich sehr mit den Themen, die in Aufklärer - Circeln en vouge sind. Er beschäftigt sich auch sehr mit militärischen Themen, was mich merkwürdigerweise auch sehr interessiert. Ich kann mich gut mit ihm unterhalten und er spielt auch ausgezeichnet Cello, aber mein Herz lässt er absolut kalt. Er berührt es nicht. Ich müsste ihn lieben, so wie er mich liebt, ihn begehren, wie er mich begehrt, aber ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Es geht einfach nicht.
Ich liebe Frauen und er ist nun einmal ein Mann und keine Frau.
So einfach ist das.
So einfach und unverrückbar.
Er ist mir genauso gleichgültig, wie mich der Pomp und die Feierlichkeiten angewidert haben. Man munkelt, dass für die Hochzeit am 6. Oktober 1760 trotz der hohen Kriegslasten rund drei Millionen Gulden ausgegeben worden sind, um mitten im Krieg ein großartiges Schauspiel darzubieten. Man will wahrscheinlich trotz angeblich leerer Staatskasse die uneingeschränkte finanzielle Potenz des Kaiserhauses demonstrieren. Dies war auch überaus notwendig aus der Kaiserin Sicht, denn nur einen Monat nach unserer Hochzeit brachte Friedrich II am 3. November 1760 in der Schlacht bei Torgau den österreichischen Truppen eine empfindliche Niederlage bei, was man am 6. Oktober natürlich noch nicht ahnen konnte.
Der Brautzug hat sich an diesem Tag drei Stunden lang durch die engen Gassen der Wiener Altstadt geschleppt. Vom Schloss Belvedere, in dem ich bis zu meiner Hochzeit mein Quartier hatte, aus zur Karlskirche und zum Kärntnertor, wo Bürger ein Spalier aus Waffen und Fahnen bildeten und sich vor Begeisterung die Kehlen heißer schrien. An jeder Straßenecke Dragoner zu Pferd in voller Bewaffnung, überall Musikkapellen, arm und reich, die sich bunt mischten. Alle Türen und Fenster waren von Menschentrauben belagert. Vom Kärntnertor ging es in die innere Stadt und ich konnte den Stock im Eisen Platz erkennen und den ersten riesigen aufwendigen Triumphbogen, dann den Graben, den Kohlmarkt und den Michaelerplatz, wo der zweite ebenso aufwendige Triumphbogen stand.
Wenn es nicht mein Hochzeitstag gewesen wäre, dann hätte ich diese Fahrt durchaus genossen, denn ich habe viel von Wien, meiner neuen Stadt gesehen, und Wien ist eine sehr schöne Stadt
Doch so sah ich nur den überzogenen Pomp und war angewidert. Lauter Prunkwagen, man munkelt, es wären neunzig sechsspännige Kutschen gewesen. Ich saß mit meiner Obersthofmeisterin Gräfin Antonia Erdödy in einem Prunkwagen des Fürsten Liechtenstein, der Joseph schon in Padua vertreten hatte. Ich möchte nicht wissen, wie viele Gulden dieser Wagen verschlingt. Außen himmelblau silber bemalt und reich mit Schnitzereien und Malereien verziert und von innen mit ebenso himmelblauem Samt ausgekleidet. Begleitet wurde der Wagen von
der Schweizer Garde in Parade-Kleidern und klingendem Spiel. Eigens aus Gips und Holz errichteten Triumphbögen, die mich, die Braut und das Haus Habsburg allegorisch verherrlichten. Unsere aus Silberbrokat angefertigten Prachtkleider, mein aus kostbarsten Brillanten überladenes Diadem, das einst meiner geliebten Mama gehört hatte, die ja die erste Prinzessin am Hofe Ludwig XV gewesen war. Die mit kostbarsten niederländischen Gobelins und Tapisserien dekorierte und mit unzähligen Kerzen erleuchtete Augustiner Hofkirche, in der Joseph und ich vom päpstlichen Nuntius Vitalino Borromeo getraut wurden. Den nahezu betäubenden Duft der vielen Wachskerzen und des Weihrauchs, der die Kirche nahezu tränkte, werde ich mein Lebtag nie vergessen, da mir ziemlich schwindelig wurde und ich Sorge hatte, in Ohnmacht zu fallen,
All die Lampions, die abends die Hofburg und die Straßen um den Stephansdom illuminiert haben, 3.000 sollen es an der Zahl gewesen sein. So eine Illumination soll man in Wien noch nie gesehen haben. Allein im inneren Burghof brannten zwei Reihen von 3.000 Wachskerzen und unzählige Fackeln. Das prunkvolle Hochzeitsmahl im wunderprächtigen Redoutensaal mit den erlesensten Speisen, die man sich nur vorstellen kann, obwohl die Habsburger allen voran Maria Theresia normalerweise nicht unbedingt Gourmets sind und die strikte Einhaltung der Fastenspeisen sehr schätzen. An diesem Tag allerdings wurde an überhaupt nichts gespart und wahrlich opulent getafelt. Ich hingegen aß nur wenig und nippte nur am Wein. Aufgrund der langen Wege waren die Speisen leider auch ein wenig kalt oder lauwarm, was dem Geschmack abträglich war. Zudem war es eine offene Tafel, die streng nach dem spanischen Hofzeremoniell zelebriert wurde. Es war also eine höchst formelle Mahlzeit, bei der die einzelnen Teller von den wichtigsten Würdenträgern des Hofes unter ständigen Verneigungen auf – und wieder abgetragen wurden, während Ehrendamen uns die Servietten überreichten und andere die Kerzenleuchter jede halbe Stunde aufs neue dem Silberkämmerer zum Polieren gaben. Bei diesem Aufwand war es wirklich kein Wunder, dass unser aller Suppe, eine Speise, die Maria Theresia über die Massen schätzt, kalt war und mir kaum mundete.
Freude hatte ich jedoch an der Tafelmusik von Christoph Willibald von Gluck. Die Opern und Musikaufführungen zu unseren Ehren dauerten mehrere Wochen an. Dies störte mich allerdings in dieser Hinsicht nicht, da ich Musik liebe und eine große Opernfreundin bin.
Ich gönne auch all den Menschen, die auf den Straßen getanzt haben, ihre Freude und ihr Glück und sie wollen alle wahrscheinlich den langen, immer noch andauernden Krieg und all das Leid vergessen. Ich kann damit aber nichts anfangen und es kostet mich Überwindung, die glückliche strahlende Märchenprinzessin zu spielen. Große Überwindung.
Ich denke immerzu an all die Verletzten und Toten der Kriege und Schlachten und die Armut, die Seuchen, die Hungersnöte, die in Europa wieder Einzug gehalten haben und es fest im Würgegriff halten. Die Menschen leiden und hungern und wir feiern und verprassen das Geld auf eine lächerlich anmutende Weise. Wie viele Kinder hätten einen vollen Teller Suppe und genug Brot zu essen, wenn wir Adeligen nicht in einem solchen Pomp leben würden? Ich mag gar nicht daran denken und es erst recht nicht laut aussprechen. Obwohl mich Joseph gewiss verstehen würde. Seine Gedanken zur Politik sind recht fortschrittlich und erstaunlich liberal, was ich widerwillig zugeben muss, da meine Meinung von Männern in der Tat nicht sehr hoch ist. Sie haben alle Macht in den Händen und unterdrücken und knechten die Frauen. Wie viel besser wäre die Welt, wenn Frauen mehr zu sagen hätten, viel mehr zu sagen. Aber das darf ich natürlich erst recht nicht ansprechen. Allerdings schreibe ich meine Gedanken als Aufsätze auf, was mir Freude macht.
„Teuerste, wo sind Sie nur mit Ihren Gedanken? Ihr habt Euren Kaffee noch gar nicht angerührt. Mundet er Ihnen nicht“, fragt Joseph mich freundlich und versucht über den Tisch meine Hand zu greifen, zieht aber diese zurück, da er sieht, dass ich meine Hände in meinem Schoss gefaltet habe.
Er ist mir immer mir immer noch fremd, wie er mir nur fremd sein kein, obwohl wir wenige Wochen nach unserer Hochzeit am 15. November gemäß der Tradition nach Klosterneuburg gefahren sind, um das Grab des österreichischen Landespatron, des heiligen Leopolds zu besuchen. Kaiser Karl VI., Josephs Großvater hatte Kloster und Kirche zu einem Escorial nach spanischem Vorbild ausbauen lassen. Er war in Spanien aufgewachsen gewesen und konnte den Verlust des Königreich Spaniens nur schwer verkraften. Im Angedenken an das Escorial baute er es zu einer vergleichbaren Klosterresidenz um, der Bau wurde jedoch nur zu einem viertel verwirklicht, nur zwei mit den Kronen der Habsburger geschmückte Kuppeln erinnern an den ehrgeizigen Plan von Josephs Großvater. Man sieht vom Escorial aus die Donau und das Wienerwaldgebirge. Joseph hatte seine Freude an dem Ausflug und war sehr stolz darauf, mir das Stift zu zeigen, dass sein Großvater erbauen ließ. Ich hab mir aber den Tod herbeigewünscht, denn es war alles so furchtbar nebelig und trist und ich habe mich schauderhaft schlecht gefühlt, was Joseph gar nicht zu bemerken schien.
Schon alleine seine Stimme und Sprache klingen steif und zugeknöpft, machen mich rasend und ich zwinge mich, ihm zuzuhören und ihn anzusehen, wie er mir am Frühstückstisch in unseren Gemächern in Schloss Schönbrunn gegenübersitzt, an seinem Kaffee nippt, mit Appetit sein Kipferl isst und mit mir plaudert. Ich sehe ihn an, höre ihm zu und sehe durch ihn hindurch, ein strahlendes Lächeln aufsetzend. Er ist mir nicht nur gleichgültig, ich empfinde Verachtung für seine linkischen Liebesbeweise. Ich denke schaudernd daran, wie er mich gestern Nacht bestiegen hat und die Nächte davor. Es hat so furchtbar weh getan, dass ich immer froh war, wenn es endlich vorbei war und er sich von mir abgerollt hat. Ich habe nicht das geringste bisschen Lust verspürt und ich konnte es nur ertragen, in dem ich mir ausmalte, dass ich es mit Marie Christine tun würde. Nur dann bin ich ein kleines bisschen nass zwischen den Schenkeln geworden.
Aber das ist eine Sünde, eine große Sünde, das darf ich nicht denken und fühlen und erst recht nicht fühlen wollen.
Ich sehe durch meinen Mann hindurch und stelle mir vor, Marie Christine würde mir beim Frühstück gegenüber sitzen. Ich würde mit großem Appetit mein Kipferl essen, denn die Kipferln sind zugegebenermaßen meine Lieblingsmehlspeis hier in Österreich, meinen Kaffee trinken, lebhaft und angeregt mit ihr plaudern und alles um mich herum, um uns herum, vergessen. Ich wäre glücklich. Überaus glücklich.
Ich wäre glücklich, aber ich weiß dass dieses Glück eine Sünde ist, einer Todsünde gleichkommt, denn ich bin im katholischen Glauben erzogen worden und eine gute und rechtschaffene Christin.
Sofort wische ich pflichtbewusst alle Gedanken an Marie Christine fort und verbanne ihr schönes Gesicht ganz weit weg. Lächelnd wende ich mich meinem Mann zu, sehe ihn an, führe die Tasse Kaffee an meine Lippen, beiße herzhaft in mein Kipferl und schlage den leichten Plauderton an, den er so an mir schätzt. Wie gesagt, ich bin eine Meisterin darin, mich zu verstellen. Eine wahre Meisterin. Absolut perfekt.
Ich sitze am Frühstückstisch, meinen Mann ansehend, an Marie Christine denkend, von ihr träumend. Vom ersten Brief an, vom ersten Blick an hatte ich mich in sie verliebt. Sie ist in Natura noch viel schöner als diese Miniatur, die sie mir damals zugesandt hat. Ich liebe sie mehr als Joseph, mehr als irgendeinen anderen Menschen auf dieser Welt. Bei ihr bekomme ich weiche Knie, einen flauen Magen, schweißnasse Hände, wenn ich sie nur ansehe oder an sie denke. Ihr blondes Haar, ihr ovales, wunderschönes Gesicht, ihre zarte Figur, ihr schöner Busen. Sie ist so wunderschön, dass mir der Atem wegbleibt, wenn ich sie nur ansehe. Sie erregt mich, anders kann ich es nicht ausdrücken. Es ist einfach so, wie es ist. So und nicht anders.
Doch, halt, was denke ich da, das darf ich nicht denken. Das darf ich nicht denken und nicht wollen! Ich muss mich zusammennehmen! Ich muss eine gute Katholikin sein und eine gute folgsame Ehefrau. So sehr ich das andere auch will, es geht nicht, ich darf es nicht wollen. Ich darf nicht.
Sachte greife ich ihren Brief, der neben meinen Kipferlteller liegt, und lese ihn im Stillen. Wort für Wort. Wie jeden ihrer Briefe, die sie mir fast täglich schreibt. Die Menschen am Wiener Hof sind allesamt rege Briefeschreiber und ich habe mich dieser Sitte sehr bald angepasst. Bei Marie Christine sogar mit Vergnügen. Mit großem Vergnügen, dem allergrößten.
„Mein Bruder Carl hat eine bessere Nacht verbracht als die vorhergehende. Ich werde Einzelheiten später hören, wollte aber nicht versäumen, Ihnen die ersten Nachrichten zu geben, glücklich, wenn ich Sie überzeugen kann, wie sehr ich Sie liebe“, steht da in Marie Christines wunderschöner Handschrift. Sie liebt mich, schießt es mir durch den Kopf und ich unterdrücke nur mit Mühe ein Seufzen. Sie schreibt, dass sie mich liebt.
Fast hätte ich vergessen, dass mein Mann mit mir am Frühstückstisch sitzt und zur mir hinüber schaut, eine Antwort erwartend.
„Ihrem Bruder Carl geht es besser. Er scheint sich von den Blattern zu erholen, jedenfalls schreibt Mimi das“, sage ich zu Joseph und lächle ihn an, Marie Christine vor Augen, wie sie an ihrem Sekretär sitz und an mich schreibt.
„Das ist wundervoll“, sagt Joseph leise und legt die Serviette zur Seite. „Wir haben schon genügend Menschen in diesem Reich an die Blattern verloren. Zumal der arme Carl das zweite Mal mit dieser furchtbaren Krankheit daniederliegt, was mehr als ungewöhnlich anmutet. Es wäre sehr zu wünschen…“, er stockt und sieht mich ein wenig unsicher an, denn ihm scheint in den Sinn zu kommen, dass auch meine Mutter vor nur einem Winter, am Nikolaustag 1759 in Versailles an den Blattern gestorben ist und ich deswegen traurig sein könnte, was ich auch bin. Nachwievor trauere ich um meine liebe Mama und sehne mich nach ihr. Ich war ja damals daheim in Parma, als sie in Versailles bei meinem Großvater an den Blattern erkrankte und sehr schnell starb. Ich konnte deshalb nicht von ihr Abschied nehmen und ihr an ihrem Grab Lebewohl sagen.
Ich schlucke schwer und das Lächeln auf meinem Gesicht erstirbt.
„Es tut mir leid, Teuerste, ich wollte nicht“, sagt er liebevoll, lächelt mich an und greift über den Tisch meine Hand.
Ich lasse es geschehen, Joseph anlächelnd und an Marie Christine denkend. Ihren Brief falte ich feinsäuberlich zusammen und lass ihn in den Ärmel meines Kleides gleiten. Meine Violine ist ein sehr guter Platz für Liebesbriefe, denke ich, Joseph immer noch breit anlächelnd.
Von Mimi träumend, lasse ich es geschehen.
Ich liebe Mimi, ich vergöttere sie, bis zur Raserei werde ich sie lieben.
Wenn ich von ihr träumen kann, ist alles gut. Dann fühle ich mich wohl, bin ich glücklich, einfach nur glücklich. Nur träumen und alles ist gut. Alles ist gut.
Zu mehr fällt mir leider der Mut, denn ich weiß ja es ist eine Sünde, eine Frau zu begehren, sie küssen zu wollen. Sogar das Bett will ich mit ihr teilen. Habe es schon getan mit ihr im Traum und bin danach erschrocken von meiner eigenen Sünd ganz nass vom Schweiß aufgewacht. Eine Todsünde ist es gar und ich will keine Sünde begehen, schon gar keine Todsünde. Ich bin eine gute Katholikin und ich liebe und ehre Gott. Ich bin keine Christina von Schweden, die ein sündhaftes Leben geführt haben soll, wie mir mein Beichtvater in Parma einst anvertraute. Ich will ein solches Leben nicht führen, denn ich weiß nicht, ob die arme Christina jetzt in der Hölle weilt, in der mein Beichtvater sie wähnte.
Daher darf ich Mimi nicht begehren. Ich darf keine Sünde begehen, schon gar keine Todsünde. Ich darf nicht. Niemals. Ich will nicht wie die arme Christina in die Hölle müssen, ich will zu Gott in den Himmel.
Ich muss mich zusammennehmen und weiterhin das Bett mit Joseph teilen, bis ich schwanger bin und darüber hinaus. Ich muss so tun, als ob ich ihn liebe, so wie er mich liebt. Ich bin eine Meisterin der Verstellung und es wird mir gelingen. Kein Mensch wird erahnen, wie es in mir aussieht, kein Mensch. Kein Mensch, denn ich bin die Meisterin des Versteckspiels, die absolute Meisterin. War ich schon immer. Schon immer, sagt selbst mein Vater, der mich sonst wenig zu kennen scheint und mir gar nicht nahesteht. Nie nahestand.
Ich werde reizend plaudern, selbst wenn mir gar nicht nach reden ist. Ich werde lachen, wenn ich weinen möchte. Ich werde Joseph im Glauben lassen, ich wäre auch ihn verliebt und unsere Ehe wäre eine glückliche. Ich werde die Kaiserin täuschen, die sich leicht von mir täuschen lässt. Ich werde den Kaiser täuschen, der ein redlicher Mann wäre, ein gutes Herz hat und auf den man zählen könnte als wahren Freund, wenn er nicht den Fehler besäße, Leuten gehör zu geben, die in keinster Weise seine gütige Gesinnung verdienen wie die unsägliche Gräfin Auersperg, die österreichische Ausgabe der Madame Pompadour. Der gute Kaiser besitzt ein weiches Herz, der nur allzu schnell für junge Damen schlägt und genau das mache ich mir zu nutze. Er lässt sich leicht von mir täuschen, denn sein Herz schlägt auch für mich.
Kein Mensch wird merken, wie es in mir aussieht.
Kein Mensch
Nur Mimi, denn sie ist meine Zwillingsseele.
Mein zweites Ich
Meine große Liebe
Ich kann nicht anders.
Ich liebe sie.
Ich werde sie immer lieben.
Immer, dessen bin ich mir sicher.
Ganz sicher.
Wien, 18. Januar 1761
Man schreibt den 18. Januar 1761. Ein Unglückstag, ein wahrer Unglückstag.
Es ist bitterkalt und das ganze Reich liegt im Dauerfrost, eine Kälte, die mir als Südländerin sehr zusetzt und an die ich mich niemals gewöhnen werde. Ähnlich kalt und frostig ist auch uns zumute.
Marie Christine weint und ich habe meine Arme eng um sie geschlossen. Ganz eng. Ihre Hoffnung, Josephs Hoffnung, meine Hoffnung, unser aller Hoffnung – alles vergebens. Carl ist tot, dahingerafft von den Blattern. Der junge Erzherzog, der mit vollem Namen Karl Joseph von Österreich heißt, geheißen hat, denn er ist ja jetzt tot, er war der Lieblingssohn der Kaiserin gewesen und auch Marie Christines Lieblingsbruder. Und auch mir war er mit seinem fröhlichen, noch sehr jungenhaften Naturell und seiner brillanten Intelligenz sehr sympathisch gewesen und ans Herz gewachsen. Am Sylvestertag, meinem neunzehnten Geburtstag, scherzte er mit mir und war zu Späßen aufgelegt, was uns beiden einen zornigen Blick Josephs einbrachte und mich sehr amüsierte. Und jetzt war er tot, gerade einmal fünfzehn Jahre alt geworden. Er hätte doch noch das ganze Leben vor sich gehabt, sein Papa wollte, dass er eines fernen Tages den Thron des Großherzogtums der Toskana besteigt, dass der Kaiser für sein angestammtes Herzogtum Lothringen hatte eintauschen müssen. Meine Mimi, die Kaiserin, der Kaiser und der gesamte Hof trauern um den armen Carl. Ganz besonders meine Mimi.
Ich denk an die Blattern und den armen Carl und fahre Marie durch die Haare, drück sie tröstend an mich. Tröstend und ganz eng. So eng, dass ich kaum noch zu atmen vermag.
„Diese blöden verdammten Blattern“, flüstere ich, alle höfische Etikette vergessend, gegen ihre Halsbeuge, ihr betörendes Parfum einsaugend „diese blöden Blattern, Mimi“.
Ich gebrauche ihren Kosenamen, der nur uns beiden gehört, nur uns beiden und halte sie ganz fest. Ganz fest.
Ich halte sie ganz fest und küsse sie sanft auf die Wange, küsse sie und spüre ihre Brüste an meinen, ihr pochendes Herz, mein pochendes Herz. Ich vergesse alle Gedanken an Sünde und auch alle Gedanken an den armen Carl und unsere Trauer. Mein Herz setzt aus und ich fühle nur noch, empfinde nur noch. Ich presse sie ganz fest an mich, meine Lippen an ihren Wangen und küsse sie zärtlich und sachte auf den Mund. Ich küsse sie auf den Mund, spüre die zarte Berührung ihrer Zunge an meiner und stöhne ganz leise auf. Ich bin ziemlich erregt und spüre, dass auch Mimi ziemlich erregt ist trotz ihrer Trauer.
Sie ist erregt und dennoch löst sie sich abrupt aus meinen Armen. Ihr Atem geht stoßweise wie meiner auch.
„Isa, das dürfen wir nicht. Ich werde Albert heiraten, muss ihn heiraten. Er macht mir doch schon ewig den Hof, schreibt so schöne Briefe, besucht mich. Was ist, wenn Joseph hereinkommt und uns so sieht, oder die Kaiserin? Meine Mutter, sie würde, es geht nicht“, stammelt sie zusammenhangslos, fast panisch, rafft ihre Röcke, eilt zur Tür und lässt mich mitten im Raum stehen.
Mitten im Raum. Ich stehe immer noch mitten im Raum und denke an die Kaiserin und ihre Sittenstrenge und ihren frömmelnden Charakter. Wenn sie uns so gesehen hätte, nicht auszudenken, wäre das gewesen. Mimi hat recht, auch wenn es weh tut, sie hat recht.
Und dennoch ich stehe da, mitten im Raum. Immer noch erregt und voller Scham.
Voller Scham.
Sünde.
Todsünde.
Das darf sich nicht wiederholen. Mimi hat recht, wir dürfen das nicht.
Aber es wird sich wiederholen.
Denn ich kann nicht anders.