Читать книгу Marokkanisches Tagebuch - Carl Bloem - Страница 4
Südwärts
ОглавлениеEs war April. Der Regen klatschte gegen die Scheiben meines Wagens und die beiden Wischblätter fuhren hektisch wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm durch mein Blickfeld. Die Straßen glänzten und in der Fahrerkabine von meinem Bus machte sich Musik breit. Im durchgehenden Armaturenbrett meines T2 steckte ein Kassettenradio, dass mit einer angemessenen Anzahl Lautsprecher verbunden war. Ich hatte ein Magnetband eingeschoben und aus den Boxen drang ein vertrautes Gitarrenspiel.
Der Wagen war grün, ein sattes laubfroschgrün. Es war der Pritschenwagen von Volkswagen, der hinten keine Seitenfenster besaß. Lediglich in die Heckklappe war eine Scheibe eingelassen. Das Modell war zwanzig Zentimeter länger als sein Vorgänger, hatte 50 PS Leistung und eine pneumatische Scheibenwaschanlage. Aber weniger um die technischen Details rankten sich die Mythen bei diesen Wagen. Der Bulli war der Inbegriff für ein Leben auf der Straße.
I'm gonna find a home on wheels, hatten The Who gesungen und taten es noch. Die Wagen dienten Bands für ihre Live-Touren und Fans für die Besuche der Konzerte. Gerade in den USA hatte es Ende der 60er und in den 70ern einen riesigen Hype um den Wagen gegeben. Wer in Woodstock nicht nass geworden war, hatte bestimmt einen Bus dabei gehabt. Die Leute lebten in diesen Bussen, zeugten wahrscheinlich einigen Nachwuchs darin und brachten mitunter auch den ein oder anderen Sprössling dort zur Welt. Viele Menschen verbanden mit diesen Autos ein ganz bestimmtes Gefühl, malten die Wagen bunt an und schmückten sie mit viel sinnstiftendem Interieur. Mein Bus hatte fast zwanzig Jahre lang einem Händler der International Harvester Company für Landmaschinen in Münster gehört. In dieser Zeit hatte der Wagen zunächst einmal viele Orte des Münsterlandes bereist. Sein nächster Besitzer baute ihn für längere Touren um, die er aber niemals machte und aus einer monetären Verlegenheit heraus, kam dieser Wagen bereits ein Jahr später zu mir. Bislang hatte der Bus noch keine Geschichte, aber ich war mir sicher, dass das nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen sollte.
Der Bus war 4.5 Meter lang, 1.7 Meter breit und fast zwei Meter hoch. Er konnte eine Tonne Nutzlast dazu laden, was meines Erachtens erheblich war. Ich war mir nicht sicher, ob mein ganzes Leben zusammen genommen so viel wog. Wenn ich alles, was ich besaß in den Wagen stopfen würde, mich selbst dazu und auch noch vollgetankt hätte, kamen mir doch Zweifel, dass es eine Tonne Gewicht ausmachen würde. Nicht, dass dies eine ernst gemeinte Überlegung war, aber ich rechnete eben gerne.
Ich fuhr durch die Stadt und machte einige letzte Besorgungen vor meiner Reise in den Süden. Auf dem Rückweg hielt ich an meiner Stammkneipe an, um ein Bier zu trinken. Es wird das letzte deutsche Bier für eine lange Zeit werden, dachte ich bei mir und trank langsam, während ich meine Augen durch das Lokal gleiten ließ. Die üblichen Gesichter erwiderten meinen Blick und ein Kerl in einer Wildlederjacke mit langen wehenden Haaren kam auf mich zu.
„Hey. Hab gehört, dass du mit deinem Bus nach Marokko fährst", stellte er fest.
„Stimmt genau!" antwortete ich knapp.
„Mit wem fährst du?", fragte er.
„Ich fahre allein gab ich ihm über mein Bier hinweg zurück."
„Warum?", fragte er erneut.
„Na, weil ich wenig Geld, sowie keine konkreten Pläne habe und auch nicht weiß, wann ich wieder komme. Das klang für die Meisten wohl wenig verlockend", entgegnete ich und fragte mich langsam, wohin dieses Gespräch wohl führte.
„Ich will auch nach Marokko", platzte er heraus.
„Na dann. Viel Spaß!", sagte ich und prostete ihm zu.
„Ich meine, wir könnten doch zusammen fahren", sagte er nun.
„Hör zu. Ich hab mein eigenes kleines Geschäft mit Ketten und Tauschwaren. Da reicht das Geld gerade so für einen.“
„Aber ich habe Geld", monierte er.
„Wie viel hast du denn?", war ich nun derjenige, der fragte und musterte ihn aufmerksam. Er dachte nach und schaute dabei auf den Boden. Ich kannte ihn vom Sehen. Ein ruhiger Typ. Ich hatte nie gesehen, dass er herum schrie oder irgendwie Ärger machte.
„Ich hab ein paar Hundert", sagte er. Reicht nicht für den Flug, aber wir könnten uns den Sprit teilen und das Essen.“
"Na ja, beim Sprit geht die Rechnung auf", dachte ich.
„Was willst du eigentlich da unten?" fragte ich erneut. "Кennst du jemanden dort?“
„Nee. Bin noch nie da gewesen, aber ich wollte immer schon nach Marokko.“
Jetzt dachte ich nach. Für den Sprit bis nach Agadir brauchte ich etwa 500 Mark. Da wäre mir jede Spende willkommen. Aber wer war der Typ? Würden wir klar kommen? Was wäre, wenn nicht? So ein Trip konnte anstrengend werden. Ich war unsicher. Mir gefiel aber die Art, dass er etwas wollte, ohne richtig zu wissen warum.
„Wie heißt du eigentlich?", fragte ich.
„Ich bin Mark", antwortete er und gab mir brav die Hand.
„Alles klar, Mark, ich fahre übermorgen. Pack deinen Krempel und deine Kohle zusammen. Wir starten durch und werden mal sehen, wie weit wir beide zusammen kommen.“
„Wie cool, wie cool", johlte er.
„Schreib mir mal deine Nummer auf. Ich ruf dich Freitag früh an und du sagst mir dann, wo ich dich einsammeln soll.“
„Alles klar. Super", sagte er und kritzelte mir die fünf Zahlen auf einen Bierdeckel.
Ich nahm die runde Pappe, zahlte mein Bier und ging.
„Bis übermorgen", rief er mir nach.
"Ja. Bis übermorgen", dachte ich und stieg die Treppe ins Tageslicht hinauf.
Am Freitag Morgen brachte ich die restlichen Sachen in meinen Bus. Es war mild an diesem Tag und zur Abwechslung regnete es mal nicht. Meine Mutter gab mir etwas Besteck mit, das einstmals zu ihrer Aussteuer gehört hatte, aber mittlerweile nicht mehr die erste Garnitur war. Ich war dankbar für jedes Stck und packte es mit den alten Töpfen und dem Gaskocher in den kleinen Schrank, der im Großen und Ganzen die Küche sowie den Vorratsraum meines fahrenden Hauses ausmachte. Ich hatte diverse Konserven gebunkert und unter der Matratze, die das ganze Heck des Wagens einnahm, war weiterer Stauraum mit Wasser, eingeschweißtem Brot und meinen paar Habseligkeiten, Kleidungsstücken sowie dem Vorrat an Ketten und T-Shirts, die ich unterwegs zu Geld machen wollte, um die Reise zu finanzieren. Ich hatte mehrere Wochen lang Perlen aus Modelliermasse hergestellt und bei 110 Grad Celsius im Backofen ausgehärtet. Diese Steine stellte ich in acht verschiedenen Farben her und vermischte auch verschiedene Massen, um Marmorierungseffekte zu erzielen. Die fertigen Stücke reihte ich dann ganz nach Geschmack auf Lederschnüre und befestigte einen Karabiner-Verschluss an den losen Enden. Zusätzlich hatte ich einige bereits getragene Band-Shirts aufgetrieben, die mir bei früheren Reisen nach Marokko stets einträgliche Tauschgeschäfte ermöglicht hatten. Deep Purple, Jimi Hendrix, Led Zeppelin und Bob Marley-Sachen waren eine eigene Währung, ebenso gute Live-Mitschnitte der genannten Musiker, besonders wenn diese nicht autorisiert waren und somit einen gewissen individuellen Wert darstellten. Alles war in meinem Laderaum. Vorne unter der Sitzbank hatte ich noch eine umfangreiche Werkzeugkiste und einen weiteren Karton mit Musikkassetten geladen. In meiner Jeans steckten fünfhundert Mark und ich hatte zwei Adressen für Übernachtungen in Paris und Madrid. Ich ging nach oben und wählte Marks Nummer.
Zwei Stunden später waren wir bereits auf der Straße südwärts und das gutmütige Rattern von meinem Bus linderte die Ungeduld, die mich jedes Mal vor einer Abfahrt quälte. Der Regen kam natürlich wieder und begleitete uns durch Eifel und Ardennen. Bei Sedan ließ der Regen etwas nach und kurz hinter Reims hörte er dann ganz auf. Mark erzählte mir Geschichten von gemeinsamen Bekannten und rollte in regelmäßigen Abständen Zigaretten für uns. Im Kassettenschacht steckte das Tape einer Peel Session von The Disposable Heroes of Hiphoprisy und der Sound harmonierte exzellent mit den Fahrgeräuschen des Wagens. Die große Ladefläche erzeugte einen Hall, der die Stimmen der Rapper optimal vom Beat-Motorgeräusch-Gemisch abgrenzte. Ich war zufrieden. Endlich lief es wieder und die Vibrationen des Lenkrades genoss ich wie eine Reflexzonen-Massage für die Hände. Meine Mutter hatte mich noch einmal gedrückt und war dann schnell wieder im Haus verschwunden. Sie mochte es nicht, wenn ich auf Reisen ging. Oder besser gesagt: Sie mochte es nicht, wie ich auf Reisen ging. Immer zu wenig Kohle und nur vage Pläne und Ziele. Das lag ihr nicht. Sie nahm mir das Versprechen ab, regelmäßig zu essen und ich log so gut ich konnte, um sie zu beruhigen. Meinen Vater hatte ich bereits am Abend vorher verabschiedet. Ihn kümmerte es weniger, ob ich genügend aß. Er wusste, dass sich die Natur schon darum kümmern würde. Ihn plagten eher andere Sorgen. Einen Satz gab er mir auf jede Reise mit: Junge, du kannst alles machen, du darfst dich nur nicht erwischen lassen. Damit war einfach alles gesagt. Ich umarmte ihn und ging in mein Zimmer. Am nächsten Morgen, als ich erwachte, war er bereits auf der Arbeit. Er ging jeden Morgen um sieben Uhr aus dem Haus, seit fast dreißig Jahren und ich habe nie gehört, dass er sich je darüber beklagt hatte.
Ein Sonnenstrahl traf mich und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Bis Paris war es nicht mehr weit und ich dachte nach, wie ich zur Rue de Saitouge kommen würde. Ich war lange nicht mehr dort gewesen und sehr froh, dass meine Freundin Katy uns beide für eine Nacht aufnahm. Sie hatte mir eine recht gute Wegbeschreibung vom Place de la Republique aus gegeben, aber letztendlich, als ich in der kleinen Einbahnstraße vor ihrem Haus stand, war ich dennoch verwundert, wie gut das mal wieder geklappt hatte. Paris war immer eine Herausforderung, wenn man aus einer deutschen Kleinstadt kam und ein normales und geregeltes Verkehrsaufkommen gewohnt war.
Wir verbrachten den Abend mit ein paar Freunden bei schwerem Rotwein und streunten nachts noch ein wenig durch den 3. Bezirk und über den großen Platz. Rund um die Statue der Marianne mit ihrem Olivenzweig war immer mächtig was los.
Gegen drei Uhr früh kamen wir zurück in die Wohnung. Wir hatten alle Schlagseite und ich verzog mich alsbald in meine Ecke. Als ich am nächsten Morgen auf dem Holzfußboden wach wurde, fühlte es sich an, als hätte ein schöner, großer, roter Doppeldeckerbus in meinem Kopf geparkt.
Ich schaffte eine halbe Schale Müsli, eine Banane und dann waren wir auch schon wieder auf der Straße. Wir hatten einen langen Tag vor uns, denn Jutta, unsere Gastgeberin in Madrid, hatte mir gesagt, dass wir nur am Wochenende bei ihr pennen könnten und bis Madrid war es noch ein ganzes Stück. Also trat ich das Pedal durch und steckte mir eine Zigarette an.
Auf Orleans folgte Tours und nach Poitiers kam Bordeaux. Wir fuhren bei herrlichstem Frühlingswetter durch die Gascogne und überquerten die spanische Grenze hinter Biarritz. Es war eine Schande so an diesen schönen Orten vorbeizurasen, aber wir hatten keine Wahl. Das Geld war knapp und Touristen gab es um diese Jahreszeit noch zu wenige, um hier den Handel ernsthaft zu eröffnen. Wir passierten den trockenen Hafen Gasteiz und gerade hier, in der Hauptstadt der baskischen Provinz hätte ich gerne einen Moment verweilt, aber es war schon später Nachmittag an diesem Samstag und wir hatten noch gut vier Stunden Fahrt vor uns.
Jutta kannte ich eigentlich kaum. Sie war die ältere Schwester einer Freundin aus Münster und hatte sich breit schlagen lassen, mich für eine Nacht zu beherbergen. Als ich ihr dann vor ein paar Tagen telefonisch noch einen zweiten Schlafgänger angekündigt hatte, wäre sie am liebsten von ihrem Angebot zurück getreten, aber ich hielt das Telefonat kurz, so dass sie keine Zeit hatte ihre Meinung zu ändern. Im Grunde genommen freute sie sich darauf Geschichten aus der Heimat zu hören, war sich aber nicht ganz sicher, ob ihr spanischer Verlobter zwei langhaarige Rumtreiber in seiner Wohnung haben wollte.
Wir trafen gegen zehn Uhr abends in der Calle Sedano sdwestlich des Casa de Campo ein. Die Wohnung befand sich in einem Haus mit roten Ziegeln in einem weitläufigen Wohnviertel. Meine Gelenke knackten, als ich mich aus dem Auto quälte und selbst Mark, der nicht oft gefahren war, fühlte sich gerädert von dieser langen Tour.
Der Empfang in Apartment 4b war nicht gerade überschwänglich, aber wir bekamen etwas Wein zur Paella und der Abend kam langsam in Fahrt. Wir köpften noch eine weitere Flasche Wein und ich unterhielt die Gruppe mit Geschichten aus Münster, die Jutta für ihren Verlobten fleißig dolmetschte. Oft stand ich dabei auf, um neben dem Esstisch dann vorzuführen, wie es etwa ausgesehen haben musste, als ich mit meinen damaligen Kollegen Andre auf seiner Schwalbe, auf der Flucht vor der Polizei, einige Treppen hinunter gefahren war. Das löste die Stimmung und nach der dritten Flasche Wein wurden die Geschichten auch gar nicht mehr übersetzt. Jeder versuchte nur noch besonders körperbetont die Dynamik erlebter Abenteuer im bestmöglichen Sprachgemisch aus Deutsch, Englisch und Spanisch in Szene zu setzen. Ich stürzte mehrfach und als ich irgendwann nicht mehr konnte, blieb ich einfach erschöpft an Ort und Stelle liegen. Jutta brachte mir eine Decke und ich schlief sofort ein.
In der Nacht wurde ich plötzlich wach. Ich hörte Marks Atem von der anderen Seite des Raumes. Ansonsten war es still. Der Mond schien durch das Fenster und eine frische Brise erfüllte den Raum. Die Decke war weggerutscht und ich fror. Während ich mich wieder zudeckte, dachte ich darüber nach, warum uns die Polizei eigentlich damals verfolgt hatte, aber es wollte mir partout nicht mehr einfallen. Ich erinnerte mich aber an eine andere Geschichte mit der Polizei und warum es damals in Münster immer so viele Beamte gegeben hatte, die einem das Leben schwer machen wollten:
In der Stadt an der Aa hatte damals die Polizeischule Hochkonjunktur und die Anwärter mussten die Routine des Polizeidienstes auch bei Tätigkeiten wie der allgemeinen Verkehrskontrolle erlernen. Nun waren so viele junge Leute in der Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten, dass man in manchen Nächten auf den Ringstraßen, die die Innenstadt von Münster fast vollständig einschlossen, gleich mehrfach kontrolliert werden konnte. Wenn man mit einem Einsatzfahrzeug des Deutschen Roten Kreuzes unterwegs war, wurde man in der Regel durch gewunken, aber der Eifer und der Enthusiasmus mancher junger Bewerber war einfach bahnbrechend. Andre und ich liehen uns gerne die Fahrzeuge für Spritztouren zu Diskotheken und in einer dieser Nächte, wenn man es am wenigsten brauchte, trafen wir dann auf einen besonders dienstbeflissenen jungen Mann, dessen Aufsicht gerade wohl ein Nickerchen im Polizeiwagen verrichtete.
„Kann ich mal Ihren Führerschein und die Fahrzeug-Papiere sehen?", fragte er, nachdem er uns ordnungsgemäß aus dem Verkehr herausgefischt hatte.
„Hören Sie, Mann, wir sind im Einsatz. Sie sehen doch, dass ist ein Dienstwagen und wir müssen dringend zu einer Patientin", sagte ich, während ich mit der Hand durch das offene Fenster auf das große und leuchtend rote Symbol der Fahrertür klopfte.
„Ja, das verstehe ich, aber ich muss wirklich darauf bestehen", setzte er mir entgegen.
„Nein, ich glaube, sie verstehen nicht. In der Pötterhoek liegt eine alte Dame im Nachthemd auf ihren kalten Küchenfliesen und wartet auf uns", sagte ich mit Nachdruck.
„Sie wollen also sagen, dass dies eine Dienstfahrt ist und ich sie durchlassen soll, weil ein Notfall vorliegt. Ist das so richtig?", stellte er fest.
„Besser hätte ich das nicht sagen können, Herr Wachtmeister", antwortete ich und wollte gerade das Fenster wieder hochkurbeln, da ja eigentlich alles gesagt war, als ich Andre's Hand an meinem Arm spürte und er mich anwies, mein Gekurbel einzustellen.
„Was gibt es denn jetzt noch?", fragte ich mittlerweile etwas ungehalten.
„Also, erstens bin ich kein Wachtmeister, sondern Polizeianwärter und zweitens möchte ich gerne wissen, wenn dies eine Dienstfahrt ist, was machen dann die beiden Damen mit ihren Fahrrädern hinten im Wagen?"
Es entstand eine klitzekleine Pause.
„Mensch, das ist doch wohl klar. Die Damen hatten einen Platten draußen auf der Hammer Straße und da konnten wir die Beiden doch nicht stehen lassen, oder?, antwortete ich und drehte mich zu den zwei Mädchen um, die fleißig nickten und Ja, Herr Wachtmeister, genau so war das", während Andre angestrengt aus dem Beifahrerfenster schaute und um Fassung rang.
Die Spannung in der Luft knisterte. Der junge Fast-Polizist suchte nach weiteren Routine-Sätzen und improvisierte gedanklich an einer neuen Eröffnung herum. Ich konnte geradezu sehen, wie es hinter seiner Stirn knirschte. Er hätte mich wahrscheinlich gerne durch das halb geöffnete Fenster gezerrt, war sich aber wohl nicht sicher, ob das so irgendwo in seinen Dienstvorschriften stand.
Ich musste mir ehrlicherweise eingestehen, dass ich mit meinem Latein am Ende war und erwartete seine nächste Frage, während ich gedanklich die Menge des getrunkenen Biers rekapitulierte und ebenfalls in meinem Kopf den Kippenvorrat für den bevorstehenden Dienstwachenaufenthalt prüfte.
„Ach, Andreas, lass die fahren, die sind vom Roten Kreuz", kam eine Stimme aus dem Hintergrund. Im Halbdunkel sah ich einen altgedienten Beamten heran torkeln, hob die linke Hand zum Gruß, während ich mit der Rechten den ersten Gang einlegte und mit extrem geschmeidigen Schleifpunkt den Wagen ins Rollen brachte.
„Ich, ne, aber Horst, die Vorschrift hörte ich noch", wechselte aber zügig in den Zweiten und beschleunigte nun mit gebotener Eile. Andre fing an zu johlen und die Tränen flossen über seine Wangen, während er von Lachkrämpfen geschüttelt wurde. Die Mädchen stimmten ein und auch meine Anspannung ließ nach, aber lachen konnte ich nicht. Meine gespielte Entrüstung hatte so von mir Besitz ergriffen, dass mir nicht nach Lachen zumute war.
Jetzt, da ich auf dem Rücken lag und weit weg vom Hohenzollernring in Münster war, musste ich grinsen und zog mir die Decke zurecht.
„Manchmal muss man einfach nur Sahne haben dachte ich, drehte mich auf die Seite und schlief wieder ein.
Am Morgen weckte mich geschäftiges Treiben aus der Küche und ich sah rüber zu Mark, der sich ebenfalls gerade die Augen rieb.
„Guten Morgen, Jutta, wie geht's euch?", sagte ich und steckte den Kopf durch die Küchentür.
„Alles gut und bei euch?", antwortete sie.
„Passt schon. Passt schon", sagte ich noch etwas müde.
„Hör zu, mein Lieber, wir haben es gestern vielleicht vergessen zu sagen, aber wir müssen heute früh los und Fredo's Eltern besuchen. Ich habe euch zwei kleine Fresspakete für unterwegs fertig gemacht. Packt ihr zusammen, ja?“
„Äh, ja klar. Sind schon weg. Kein Problem und danke nochmal“ brachte ich heraus und verabschiedete mich von der Vorstellung eines ausgiebigen Frühstücks und einer Dusche. Mark nahm die Neuigkeit gelassener auf, rollte seinen Schlafsack zusammen und grinste mich müde an.
„Also, ich bin fertig. Kann losgehen.“
Wir sagten Jutta und Alfredo Lebewohl, stiegen die Stufen hinab und traten ins Freie. Das Leben erwachte langsam auf den Straßen und auf dem Weg zum Auto kauften wir an einem kleinen Laden einen Liter Milch. Am Wagen machten wir uns dann erst einmal über das Frühstück her und verputzten die geschenkten Lebensmittel restlos. Die letzten Krümel spülten wir mit der Milch herunter und drehten uns danach unsere Zigaretten, während die Sonne zwischen den Häusern langsam empor kletterte.
„Ich brauche dringend eine Dusche“, sagte ich zu Mark und kratzte mir den Hinterkopf, wie um meine Aussage zu untermauern.
„Ja. Duschen wäre ein Fest. Aber wo?“, fragte er.
„Na ja, irgendwo wird es hier in Madrid doch eine Badeanstalt geben“, sagte ich zu ihm und kletterte auf den Fahrersitz, während er noch die restlichen Dinge verstaute und die Seitentür verschloss.
In der nächsten halben Stunde fragten wir uns durch die Gegend, fanden eine Badeanstalt, aber keinen Parkplatz, stellten letztlich den Wagen an einer Kirche in der Nähe ab und gingen den Rest des Weges zu Fuß. In dem Schwimmbad wuschen wir uns ausgiebig und lange in den Waschräumen und verzichteten dann aber darauf mit den ganzen lärmenden Kindern noch um einen Platz im Schwimmbecken zu kämpfen. Zurück auf der Straße kauften wir etwas zu essen und gingen langsam zurück zum Bus. Die Sonne hatte nun ihren höchsten Stand erreicht. Der wolkenlose Himmel lag wie ein strahlendes Tuch auf den Häuserschluchten. Die Sonnenstrahlen wärmten unsere Knochen und trockneten unsere Haare.
Ich sah schon von weitem, dass etwas am Wagen nicht in Ordnung war und erhielt Gewissheit, während mir die Beine schwer wurden, mit jedem Schritt den ich näher kam. Der Wagen war aufgebrochen worden.