Читать книгу Freudenberg - Carl-Christian Elze - Страница 7
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ОглавлениеFreudenberg zog seine Schuhe aus und betrat den Strand. Sofort sanken seine Füße ein Stück ein und er fühlte sich haltloser, aber auch leichter, fast schwebend, als wäre er auf einem fremden Planeten gelandet, auf dem es weniger Schwerkraft gab, dafür mehr Strahlung und Ruhe. Er holte mehrmals tief Luft. Dann wurde der Ton eingeschaltet. Ein Piroggenverkäufer brüllte los. Ohne dieses Gebrüll hätte man die öligen, vor sich hin dämmernden Körper wahrscheinlich noch viel länger für feuchtes Gestein halten können, dachte Freudenberg, für extraterrestrischen Rosengranit vielleicht, jetzt aber stemmten sich die fleischigen Batzen der Reihe nach auf, die Glieder knickten ein und streckten sich, überall arbeiteten eifrige Gelenke, Drehgelenke und Kugelgelenke, Scharniergelenke und Sattelgelenke. Die Strandkörper verschoben sich gegeneinander wie einzelne Segmente eines Tausendfüßlers. Hunderte Ärmchen kramten in den Chitintaschen nach Münzen, dass es klimperte.
Freudenberg lief an ihnen vorbei, durchquerte zügig die Sandburgenzone und blieb direkt vorm Meer stehen. Es gab kaum Wind, kaum Brandung, nur kleine Stoßseufzer von Miniaturwellen, die ihm die Füße ableckten wie Schoßhündchen. Alles in allem eine langweilige Badewanne. Freudenberg versuchte sich einen Witz über die polnische Ostsee auszudenken: Was haben Metallverarbeitung und polnische Ostsee gemeinsam? Ihm fiel keine Antwort ein. Er war auch froh darüber, dass ihm keine Antwort einfiel, dass es scheinbar keinen Zusammenhang gab. Mit einem Mal fühlte er sich sicher, angenehm umrauscht von der fremden Sprache, die jetzt aus allen Richtungen kam und aus der man leicht verschiedene Erregungszustände, verschiedene Temperamente heraushören konnte. Gleichzeitig wirkten die Mitglieder dieser fremden Sprachgemeinschaft menschlicher, auch intelligenter als all die Menschen zu Hause, deren Worte man immer verstand. Was sicher ein Trugschluss war. Vermutlich redeten all diese Menschen hier den gleichen Unsinn, den gleichen Schrott wie alle Deutschen an irgendwelchen anderen Stränden, dachte Freudenberg, doch man verstand sie nicht, verstand kein einziges Wort, das war der entscheidende Vorteil. Das war der Eingang zum Paradies.
Freudenberg setzte sich wieder in Bewegung. Als er auf die Uhr schaute, sah er, dass es Zeit war umzukehren, aber jeder Muskel seines Körpers schien sich dagegen zu wehren. Er lief weiter am Wasser entlang und atmete ruhig und tief. Er wollte es nicht eilig haben, nicht jetzt.
Rechts neben ihm erhob sich allmählich die Steilküste. Sie wirkte wie ein schwerfälliges Tier, das sich mit den Vorderpfoten langsam vom Boden löste, um am Ende über einhundert Meter hoch auf den Hinterpfoten zu stehen. Freudenberg drehte sich um. Der Blick zurück Richtung Seebrücke und Amber Baltic war jetzt sand- und rosafarben. Er musste an ein Bild denken, das er in einem Fotoband in der Schulbibliothek gesehen hatte, eine doppelseitige Luftaufnahme von einem ostafrikanischen Natronsee, an dem sich zehntausende rosig-fleischfarbene Flamingos die Beine in den Bauch standen, um mit ihren krummen Schnäbeln Kleinkrebse zu filtrieren. Ein Rausch in Rosa. Aber was man auf solchen Fotos nie erahnen konnte, wusste Freudenberg, war der sagenhafte Lärm und Gestank dieser Tiere, der Gestank ihrer vielleicht hunderttausend, rosafarbenen Kloaken.
Freudenberg drehte sich wieder um und lief weiter nach Osten. Nah am Hang tauchten Baracken und kleine Fischbuden auf, letztere mit Freisitzen, die gut gefüllt waren. Er war genau auf der Höhe des Hafengeländes angekommen. Am Strand standen bunte Fischkutter, die man mit Winden an Land gezogen hatte und die den Eindruck erweckten, als hätten sie gute Laune. Einzig die schwarzen Schiffsschrauben, die aus ihren Hintern herausragten wie Geschwüre, schienen das Gegenteil zu behaupten. Ein gelber Hund sprang von einem der Kutter herunter und kam Freudenberg entgegen. Er strich ihm um die Beine wie ein schmieriger Kater und lief dann weiter zu den Fischern. Freudenberg folgte ihm.
Zwischen den bunten Stahlwänden der Kutter wurde der Fang des Tages aus den Netzen gepult. Freudenberg trat näher heran und betrachtete die ruhigen, wetterharten Hände der Fischer. Er wartete auf ein Knistern ihrer Häute, so trocken pergamentartig kamen sie ihm vor. Aber das Knistern blieb aus. Nur ein leises Schwanzschlagen war zu hören. Die Fische zappelten in den engen Maschen der Netze und wurden Stück für Stück herausgepflückt. Es waren ausschließlich Flachfische: Schollen und Heilbutte. Ihre Kiemendeckel klappten hektisch auf und zu, als ob sie versuchten, noch im letzten Moment davonzufliegen. Freudenberg erinnerte sich an eine Biologiestunde in der 5. Klasse, in der ihnen ihr Lehrer erklärt hatte, was genau mit Kiemen passierte, die keinen Kontakt mehr mit Wasser hatten. Ihre hauchdünnen Atemblättchen trockneten aus; obwohl genügend Sauerstoff in der Luft war, konnte er nicht mehr genutzt werden. Die Fische erstickten in einem Luftmeer von Sauerstoff. Freudenberg blickte auf die zappelnden Körper. Auch die Erhöhung der Atemfrequenz nützte ihnen nichts mehr, es war sinnlos geworden, es war zu spät.
Die Fische wurden nach Größen getrennt in verschiedenfarbige Plastikkisten geworfen, nur die allerkleinsten, so groß wie Neugeborenenhände, flogen zurück in die Brandung. Die Flugbahn betrug nur wenige Meter und nahm ihren Anfang in einer kurzen Zuckung im Handgelenk eines Fischers. Im flachen Brandungswasser glitzerten schon massenhaft Leichen. Kinderleichen, dachte Freudenberg. Nur bei genauerem Hinsehen gab es noch einige Überlebende. Sie paddelten vor sich hin, aber schienen nicht mehr in der Lage zu sein, gegen die lächerliche Brandung anzukämpfen, um zurück ins Tiefwasser zu gelangen. Ihre Kiemen waren schon unumkehrbar geschädigt. Ein Möwenrudel schaukelte um die frischen Kadaver und die noch Sterbenden herum und pickte sie von Zeit zu Zeit auf. Ein perfektes Buffet für diese Arschlochvögel, dachte Freudenberg und spuckte ins Wasser.
Die Fischerfrauen liefen mit immer neuen Kisten voller Flachfische zum Hafengelände und kamen mit leeren Kisten zurück. Der gelbe Hund war auf einen grünen Kutter gesprungen und schaute jetzt schwanzwedelnd über die Reling. Um ihn herum standen weiße Stangen mit roten Fähnchen. Freudenberg ging näher an den Kutter heran und stellte sich auf die Zehenspitzen. Auf Deck standen dutzende Bojen, alte Plastikfässer, mit denen die Stangen nach unten abschlossen. Der Hund hörte auf, mit dem Schwanz zu wedeln, und begann zu knurren, dann zu bellen. Die Fischer blickten auf. Einer von ihnen schrie etwas in Freudenbergs Richtung. Der Hund verstummte sofort und verschwand in der Kajüte. Freudenberg entfernte sich von dem Kutter. Er zündete sich eine Zigarette an und ging zurück zu den Netzen.
Auch wenn die Fische keinen Lidschlag hatten, keine Mimik beim Sterben, so erschütterte ihn ihr Anblick doch zunehmend: Das Schlagen der Flossen, das hektische Herumwerfen des ganzen Körpers, alles schien verzweifeltes Bewusstsein, unverstellte Panik. Darüber das völlige Desinteresse des größeren und stärkeren Tieres. Obwohl es der Tod war, der sich direkt vor seinem Auge abspielte, zeigte sich die unerschütterbare Routine des Jägers. Es war der Tod der anderen, immer der Tod der anderen, aber nur so lange, bis er einen selbst irgendwann holt, dachte Freudenberg, dann stoppt jede Routine.
Das Krampfen der Leiber hatte aufgehört und die Kiemendeckel klappten nur noch langsam und unentschieden auf und zu. Warum half man diesen Wesen, diesen Seelen dachte Freudenberg, nicht wenigstens dabei, schneller zu sterben, weniger qualvoll? Aber auch hier gab es nur eine einzige Antwort: weil es allen egal war. Die Fischer lachten und rauchten, lösten die verhaspelten kleinen Flossen und Schwänze wie nebenbei aus den Netzen und warfen sie in die Plastikkisten oder in die Brandung. Die weißgrauen Möwenleiber schaukelten und pickten unermüdlich in den Wellen. Auf einmal sah Freudenberg die Vögel in einem anderen Licht. Dieses Möwenschlaraffenland war auch ein Fischseelenerlösungsland. Zumindest die kleineren unter ihnen wurden schneller erlöst. Die größeren dagegen blieben erbarmungslos allein, möwenlos allein. All die stämmigen, gefühllosen Weiber trugen sie in die dunklen Baracken und ließen sie einfach dort stehen, bis sie in Zeitlupe erstickt waren. Freudenberg steigerte sich mit einem Mal in eine Wut hinein und wurde knallrot im Gesicht, aber weder die Fischer noch ihre Frauen nahmen ihn und seine aufflackernde Wut überhaupt wahr. Vielleicht war es auch gut so, dass sie nichts merkten, dachte Freudenberg, der genauso schnell wieder abkühlte, wie er in Brand geraten war: Es war vorbei, alle Fische waren tot. In wenigen Stunden würde man sie verspeisen, noch etwas später dann ausscheißen. Es würde sein, als hätten sie nie existiert, keine Fotos und keine Gedenkfeiern, nichts. Er blickte den Männern ins Gesicht und erkannte auf einmal, wie schrecklich müde sie waren: müde vom Fangen und Sterbenlassen. Dann blickte er auf den Boden. Überall waren Schleifspuren im Sand zu sehen von den Schiffsrümpfen, den Särgen. Plötzlich hatte Freudenberg Bilder vor Augen: Er sah die Kutter, die lange vor Sonnenaufgang ins schwarze Wasser eintauchten und davonglitten, er sah das Auswerfen der Netze, die schaukelnden roten Fähnchen auf den weißen Plastikfässern, das Anlocken und Fangen der Flachfische, und schließlich gegen Mittag die Rückkehr der Männer, der Strand westwärts schon voller Menschenfleisch, und auch das Schiffsdeck jetzt voller Fleisch, grau und kalt, zappelnd und kämpfend, sinnlos zwar, aber immer noch kämpfend, das frische, kalte Meerfleisch für das hungrige, heiße Strandfleisch. Freudenberg schnippte seine aufgerauchte Zigarette zwischen die geifernden Möwenschädel, aber keine schnappte danach, keine hatte es nötig. Die Frauen brachten jetzt Schnaps und die Männer johlten. Die letzten Fische wurden nur noch nachlässig aus den Netzen gepflückt. Der gelbe Hund war vom Kutter gesprungen und hatte sich in den Schatten einer Schiffsschraube gelegt.
Freudenberg schaute auf die Uhr, es war kurz nach eins, eine halbe Stunde über der vereinbarten Zeit, es war ihm egal. Ein Telefon hatte er nicht, zum Glück. Er setzte sich wieder in Bewegung und lief weiter nach Osten, folgte der leicht schlängelnden Küstenlinie. Erst jetzt im Laufen bemerkte er, wie stark die Sonne inzwischen brannte und wie pochend heiß sich seine rechte Schläfe anfühlte. Man konnte noch so nah am Hang entlanglaufen, die Sonne stand schon zu hoch über der Steilküste und erwischte einen überall. Er musste erneut an die Fischer denken, die ihn, nachdem sie miteinander angestoßen hatten, plötzlich wie einen Geist angeschaut hatten, der ihnen vorher nicht aufgefallen war. Sie hatten ihm irgendwas hinterhergerufen und dabei gelacht, was dreckig geklungen hatte, wie Möwengelächter. Auch das war jetzt egal, dachte Freudenberg und lief weiter. Er wollte sein T-Shirt ausziehen, es sich um den Kopf binden wegen der Sonne, aber tat es dann doch nicht, als ob es ihm jemand verbieten würde. Aber wer sollte das sein? Keine Menschenseele war mehr da, um ihm noch irgendwas zu verbieten.
Er ging an einer Holztafel mit der Aufschrift Woliński Park Narodowy vorbei und zündete sich eine neue Zigarette an. Nach einer Weile begann er ein Spiel mit der Brandung, so wie er es als Kind immer geliebt hatte. Er rannte im Geradeauslauf leicht nach links in die sich zurückziehende, trocknende Meerfläche hinein, aber sobald eine neue Welle kam und sich die Wasserzunge ausrollte, um ihn zu berühren, lief er schnell vor ihr weg, knapp und kontrolliert, aber nur so lange, bis sie sich erneut zurückzog, dann rannte er ihr gleich wieder hinterher. Genau das richtige Tempo zu finden, der Wechsel von Flucht und Verfolgung, die exakte oszillierende Bewegung des eigenen Muskelapparates, all das machte ihn glücklich, fast so glücklich wie früher.
Erst als Freudenberg außer Atem war, blieb er stehen und ließ sich fangen. Seine Schuhe und Strümpfe wurden nass, aber es war nicht schlimm, im Gegenteil, es fühlte sich an, als ob seine brennenden Füße endlich gelöscht würden. Dann tapste er aus der Brandung heraus, begann im Passgang zu laufen und verwandelte sich für eine Weile in einen schmächtigen Bären, noch immer scheu, doch zufrieden.
Je weiter Freudenberg lief, desto stärker veränderte sich die Steilküste, desto wilder erschien sie ihm. Die Hänge sahen jetzt aus wie unregelmäßige Schnittflächen in einem gewaltigen Körper. Entrindete Stämme ragten heraus wie einzelne Rippen oder Zähne, dazwischen verkrüppelte Büsche, die bis zum Strand herunterreichten, und ganz oben auf der Kammlinie ein Grün wie Echsenhaut. Alles hier wirkte berauschend. Den Kopf im Nacken sah Freudenberg, dass sich auch der Himmel zu verändern begann: In einer weiten Wölbung rutschte ein gleichförmiges Blau aus Richtung Międzyzdroje unter eine grauweiße Milchglasscheibe, die sich aus entgegengesetzter Richtung näherte. Das Blau verschwand allmählich, wurde langsam verschluckt und die Sonne drückte nicht länger mitten ins Gehirn.
Freudenberg lief weiter und durchquerte Strandabschnitte, die fast völlig von Geröllmassen bedeckt waren. Auf einmal sah er einen Körper, der isoliert, aber dennoch touristisch, auf einem Badehandtuch lag. Der nackte Körper war schlafend oder Schlaf vortäuschend zwischen rötlich geäderten Steinen ausgestreckt. Ein Kleiderberg lag daneben wie eine bunte, abgestreifte Haut. Freudenberg sah im Vorübergehen das Glied des Touristen, das halb aufgerichtet war, und beeilte sich vorbeizukommen.
Die Küstenlinie machte eine leichte Biegung nach rechts und Freudenberg folgte ihr. Im Gehen blickte er zurück und sah, dass Seebrücke und Fischkutter verschwunden waren. Als ob sich ein Kiefer aus Sand und Stein vorgeschoben hätte, ein mächtiges Gebiss, das den Weg zurück zu den Menschen versperrte. Aber es war nicht schlimm, fühlte Freudenberg, es beunruhigte ihn nicht. Er lief weiter. Überall lagen Gesteinsbrocken herum: grau im Sand oder schwarz, scharfkantig im Wasser. Das Meer klatschte, trommelte und zischte. Der ganze Strand war ein Dschungel. Doch statt lebendiger Bäume bot dieser Dschungel nur Totholz, blank gescheuerte Stämme und Wurzelstümpfe mit bizarren, dann wieder deutlich menschlichen Formen: Schulterblätter und Darmbeinschaufeln, Kreuzbeine und Wirbelsäulen.
Freudenberg blieb stehen, weil am Boden etwas glitzerte. Er kniete sich hin und betrachtete die fein geschwungenen, silbrigen Linien, die zu Tausenden ein Muster im Sand bildeten. Es wirkte nicht weniger komplex als ein nächtlicher Sternenhimmel. Freudenberg zog seinen rechten Zeigefinger vorsichtig an einer der Linien entlang und leckte ihn ab. Es schmeckte salzig. Aber anders als Speisesalz. Die feinen silbrigen Linien hatten noch einen Beigeschmack von Fäulnis.
Erst als Freudenberg wieder aufblickte, nahm er einen halb versunkenen Betonwürfel wahr, eine Art Bunker, der in der Brandung stand, nur etwa dreißig Meter vom Ufer entfernt. Wie hatte er ihn übersehen können, fragte er sich, es war ein gewaltiges Teil. Er setzte sich hin und starrte auf den Bunker. Die Sonne drückte von Neuem ins Gehirn, obwohl sie nicht mehr blendete. Plötzlich streifte ihn etwas, von innen oder von außen, das ließ sich nicht genau sagen. Freudenberg erschrak nicht darüber. Langsam zog er seine Sachen aus, auch seine Unterhose, und legte alles ordentlich zusammen. Dann lief er ins Wasser. Es kam ihm vor, als ob er gezogen würde.
Die vorherige Grelle bewirkte, dass er nahezu blind wurde, als er den fensterlosen Würfel betrat. Das Wasser im Inneren ging ihm bis zur Hüfte. Es klatschte und schmatzte die ganze Zeit von außen in den Bunker hinein. Freudenberg stand reglos da und fühlte, dass sich die Wasserscheibe um seine Hüften bei jedem Klatschen an die Außenwand leicht mitbewegte. Erste Schemen tauchten auf: unregelmäßige Grautöne. Freudenberg streckte seinen rechten Arm aus und berührte die Wand mit der ganzen Handfläche. Es fühlte sich weich und warm an, als ob man etwas Lebendiges streichelte. Er griff tiefer in die Algenmasse hinein und erreichte mit den Fingerspitzen die Betonoberfläche. Noch immer war alles angenehm warm und feucht. Freudenberg fing an mit den Fingern zu kreisen und spürte, dass sich sein Glied dabei versteifte. Er kreiste schneller. Auf einmal stieß er auf etwas anderes, etwas Vorgewölbtes, Kaltes, und hielt mitten in der Bewegung inne. Er ging mit dem Gesicht näher an die Wand heran und begann zu tasten. Sehr vorsichtig und konzentriert, als suchte er im Fell eines Tieres nach Parasiten oder einem Geschwür. Er konnte der fremdartigen Struktur wie einem Band folgen, das Geschwür wurde länger. Freudenberg drückte die Algenmasse stärker zur Seite und sah etwas Metallisches aufblitzen. Sein Herz machte einen Sprung und seine Handbewegungen wurden hektischer. Er riss Algen von der Wand. Zwei weitere Bänder kamen zum Vorschein: In Hals-, Brust- und Hüfthöhe waren Stahlbänder in die Betonwand eingelassen. Freudenberg erstarrte. Das Klatschen des Wassers, ein Schlagen von außen an die Wand, dann in den Schädel hinein, wurde härter. Schließlich ein Blitz, der in seine Stirn einschlug.
Als Freudenberg die Augen wieder öffnete, sah er die Wasserscheibe, die sich zitternd um seinen Hals bewegte. Er kam langsam aus der Hocke hoch und begann zu begreifen. Er war noch immer im Bunker. Die Wand hatte ihn aufgefangen, aber im Mund war etwas eingerissen, es schmeckte nach Eisen. Er spuckte aus und lehnte seinen Kopf an die Betonwand. Durch einen schmalen Spalt war ein Ausschnitt des Strandes zu sehen. Er sah geäderte Schottermassen, gelbe und braune Schattierungen, Sand und Wurzelwerk. Wie ein Gemälde, ein Stillleben, dachte Freudenberg seltsam erleichtert und befahl sich selbst, ruhiger zu atmen. Es gelang nicht. Etwas stimmte nicht mit seiner Atmung, sie flackerte ängstlich weiter. Erst als er länger hinschaute, verstand er, warum. Er konnte ihn jetzt deutlich erkennen: einen ausgestreckten Arm am oberen Bildrand mit einer Hand, die auf ihn zeigte – genau auf ihn.