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Drittes kapitel

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Auch Jack war inzwischen aufgewacht und schaute verwundert den nach Luft schnappenden Erling an.

«Wo hast du den Mann denn gesehen?» fragte Jan lachend.

«Auf dem Gang. Ich bin aufgewacht. Da ich draußen Schritte hörte, stand ich auf, um nachzusehen. Der Kerl schlich über den Korridor und hatte dabei etwas unter dem Arm.»

«Seinen Kopf also?»

«Ach, Kopf oder nicht, so genau habe ich natürlich nicht hingesehen.»

«Du hast zuviel Apfelkuchen gegessen», sagte Jack und drehte sich im Bett um.

«Nein, Jack», warf Jan ein. «Steh auf, beeil dich. Zieh dein Skizeug an und nimm die Stiefel in die Hand.»

«Nanu? Bist du total übergeschnappt?» fragte Jack.

«Er entkommt uns sonst, beeil dich!»

Nun erst verstand Jack, was Jan meinte.

Aber für Erling ging alles zu schnell, denn bevor er weitere Fragen stellen konnte, hatten die beiden anderen sich angezogen und waren ohne ein Wort der Erklärung über den Gang gehuscht, die Stiefel in der Hand.

«Dort, siehst du den Lichtstreifen», flüsterte Jan.

«Ja, richtig. In Onkel Ernsts Arbeitszimmer brennt Licht.»

«Pflegt er nachts zu arbeiten?»

«Nein, er schläft wie ein Stock.»

Hastig öffneten sie die Tür und sahen einen Mann über den Arbeitstisch gebeugt. Er schaute auf: es war Paul Harris. Aber er war schneller als die Jungen. Mit einem Satz war er an der Tür und stieß Jan und Jack beiseite. Die Tür flog zu, der Schlüssel drehte sich im Schloß.

«Eingesperrt», rief Jack.

Jan schrie aus vollem Hals und stampfte gegen die Tür. Er war sich bewußt, daß er die schwere Eichentür nicht eintreten konnte, aber er hoffte, jemanden damit zu wecken.

«Hat keinen Sinn», meinte Jack. «Hier hört uns niemand.»

«Dann laß uns zum Fenster hinausspringen.»

«Wir werden im Schnee ersticken», meinte Jack zweifelnd.

«Versuchen sollten wir es wenigstens, er entkommt uns sonst. Sieh, dort hinten läuft er. Die Stiefel hat er wohl schon vorher bereitgestellt, denn er muß sie bei der Hand gehabt haben.»

Schnell zogen die beiden ihre Skistiefel an, holten ihre Skier und sprangen zum Fenster hinaus. Während sie sich noch durch den tiefen Schnee zur Brücke durcharbeiteten, öffnete sich in einem der oberen Stockwerke ein Fenster und Onkel Ernst rief hinaus: «Was ist denn da los?»

«Wir sind es, Onkel. Jan und ich. Komm schnell zum Treppenturm, es ist wichtig.»

Als die beiden den Turm erreichten, stand der Onkel schon wartend an der Tür, sah sie erstaunt an und fragte: «Was habt ihr denn vor?»

In kurzen Worten erklärte Jan, was geschehen war, und fügte hinzu: «Es ist wohl unmöglich, jetzt die Polizei zu holen. Aber vielleicht könnten Sie alle unsere Kameraden wecken. Sie sollen unserer Skispur folgen.»

«Was heißt, eurer Skispur?»

«Nun, Jack und ich nehmen die Verfolgung des Verbrechers natürlich gleich auf.»

Es schien, als wollte der Gutsbesitzer protestieren, aber dann überlegte er es sich. Was konnte den Jungen bei der Verfolgung schon passieren? Und innerhalb der nächsten Viertelstunde würden alle ihre Kameraden hinter ihnen her sein.

«In Ordnung», sagte er. «Ich wecke alle und fahre dann mit ihnen hinter euch her.»

*

In dem hellen Mondlicht war es ein Kinderspiel, der Skispur des Flüchtlings zu folgen. Es war die gleiche Richtung wie beim Langlauf am Morgen zuvor. Der Neuschnee hatte die Spuren des Wettlaufs längst zugedeckt. So zeichnete sich die frische Spur des Flüchtlings im Schnee klar ab.

«Der Spur nach zu urteilen, kann er sehr gut skifahren», meinte Jack.

«Ja, so sieht es aus. Wir müssen schneller werden, sein Vorsprung ist groß.»

Zwischen den Baumstämmen wurde jetzt der kleine See sichtbar. Unwillkürlich mußte Jan daran denken, daß sie in diesem Winter wohl kaum zum Schlittschuhlaufen kommen würden. Der See war von einer dicken Schneeschicht bedeckt.

Als sie den Hügel erreichten, rief Jan: «Dort ist er wieder! Siehst du ihn? Den kleinen dunklen Punkt dort drüben. Er ist sehr schnell.»

«Ja, Aber wir kriegen ihn schon noch.»

Erst jetzt begann Jan sich Gedanken zu machen, was sie tun sollten, wenn sie ihn eingeholt hatten.

Ein Kampf mit Skiern an den Füßen war nicht jedermanns Sache. Aber sie hatten vier Skistöcke und der Flüchtling nur zwei.

Der Abstand zwischen den Verfolgern und dem Flüchtenden wurde zusehends kleiner. Als die Jungen in einer tiefen Bodensenkung angelangt waren, sahen sie, daß der Mann auf dem nächsten Hügel stehengeblieben war.

«Was nun, Jack?» fragte Jan. «Er scheint da oben stehenbleiben zu wollen.»

«Dann gehen wir zum Angriff vor.»

«Das können wir kaum. Der Hügel ist so steil, daß wir im Scherenschritt hinaufklettern müßten. Da oben hat er eine weitaus bessere Position als wir.»

Ein Weilchen standen die beiden Freunde unentschlossen da, dann schrie Jan plötzlich: «Großer Gott, jetzt ist er übergeschnappt! Er kommt in fliegender Fahrt auf uns zu!»

*

Jan hatte immer schnell reagieren können, jetzt aber mußte er wirklich blitzschnell einen Entschluß fassen.

«Jack», rief er, «steig aus der Spur, sobald er näher kommt.»

«In Ordnung. Sollten wir ihm nicht die Skistöcke vor die Füße werfen?»

«Nein. Auf gar keinen Fall.»

Mehr konnten sie nicht miteinander sprechen, da kam der Mann schon auf sie zu. Im letzten Augenblick traten die Jungen zur Seite und ließen ihn vorbei. Der Schnee flog ihnen um die Ohren. Es waren kaum zwei Meter zwischen ihnen, und der Mann war knapp an ihnen vorbeigerast.

Jan seufzte vor Erleichterung auf. «Der wollte uns doch tatsächlich rammen.»

«Warum wolltest du, daß wir so kurz vorher aus der Spur treten sollten?» fragte Jack.

«Damit er nicht im letzten Moment seine Fahrtrichtung ändern würde, dann hätte er einen von uns umgefahren.»

«Wir hätten ihn aber leicht bremsen können, wenn wir ihm die Stöcke vor die Füße geworfen hätten.»

«Sicher, aber dann hätte er sich Arme und Beine gebrochen.»

«Hm. Er wollte uns ja auch verletzen.»

«Ja, er ist ein rücksichtsloser Mensch, Jack. Aber deswegen brauchen wir es nicht zu sein.»

«Nein, damit hast du recht. Wollen wir ihm wieder nach?»

«Selbstverständlich.»

Aber jetzt wurde die Verfolgung schwieriger, denn nun hatten sie keine frische Spur mehr, der sie folgen konnten. Der Mann fuhr vorläufig in der alten Spur zurück. Und neue, schwere Wolken, die mehr Schnee versprachen, türmten sich auf. Bald würde der Mond verdeckt sein.

«Da, Jack!» rief Jan plötzlich. «Siehst du die vielen dunklen Punkte? Da kommen die anderen schon.»

«Bravo!» rief Jack. «Aber wo ist unser Freund geblieben?»

«Er hat sich vermutlich zwischen den Bäumen da vorn versteckt. Wir werden es bald genau wissen.»

Kurz darauf fragte Onkel Ernst mit munterer Stimme: «Nun, was gibt es Neues?»

Jan berichtete in kurzen Zügen, und der Gutsbesitzer antwortete: «Es scheint ein gefährlicher Mensch zu sein. Außerdem hat er mir zweitausend Kronen aus der Schreibtischschublade gestohlen.»

Jan schaute zum Himmel hoch und fragte: «Hat wohl jemand daran gedacht, eine Taschenlampe einzustecken?»

«Ich», rief Jesper stolz. «Hier ist sie.»

Jan befestigte die Lampe über dem obersten Knopf seines Anoraks und fragte dann höflich: «Herr Fischer, Sie haben doch nichts dagegen, daß ich als erster vorangehe?»

«Nein, das ist ganz in Ordnung, Jan. Aber du hast sicher nichts dagegen, wenn ich mich in den Kampf einmische, falls es dazu kommen sollte?»

«Gewiß nicht.» Jan lachte.

Jan und Jack fuhren als erste, dann folgten die anderen. Ihre Fahrt verlangsamte sich jedoch unwillkürlich, als der Mond von einer großen Wolkenbank verdunkelt wurde.

«Du, Jan, sei etwas vorsichtiger, es ist so dunkel geworden.»

«Aber, Jack. Wir sind zwanzig gegen einen.»

«Stimmt schon, aber davon hast du nichts, wenn er dich als ersten erwischt. Es muß unangenehm sein, seinen Skistock in die Augen zu bekommen.»

Darin mußte Jan ihm natürlich recht geben. Er fuhr jetzt etwas langsamer und hielt in der Dunkelheit Ausschau, bis der Mond plötzlich zwischen den Wolken wieder zum Vorschein kam und er den Flüchtling entdeckte.

«Da ist er!» rief Jan. «Beeilt euch, Jungen! Wir müssen das Licht ausnützen.»

Jan flog geradezu auf den Mann zu, gleich hinter ihm folgte Jack, und mit etwas Abstand kamen die übrigen.

«Ergeben Sie sich!» rief Jan.

Aber der Verbrecher dachte nicht daran. Er drehte sich um und schlug mit dem Skistock nach Jan.

In diesem Augenblick fuhr Jack nahe an ihn heran und gab ihm einen so kräftigen Stoß, daß der Mann stürzte.

«Schuft!» zischte er und schlug trotz seiner hilflosen Lage noch mit einem Stock nach Jack.

«Paß auf!» rief Jan.

«Schon gut», rief Jack zurück und rammte mit einem seiner Stöcke den seines Widersachers. Damit war der Verbrecher erledigt.

«Nun?» fragte Jan, «ergeben Sie sich jetzt?»

«Ich muß wohl, aber ich werde mich rächen.»

«Das werden Sie sich wohl noch überlegen. Hauptsache, Sie folgen uns jetzt.»

Der Gutsbesitzer näherte sich und sagte: «Nun können wir ja zurück nach Lindeholm. Zuerst geben Sie mir aber die zweitausend Kronen, die Sie aus meinem Schreibtisch gestohlen haben, Jensen!»

Der Mann erhob sich und antwortete trotzig: «Ich weiß nichts von zweitausend Kronen.»

«Wir untersuchen ihn, Freunde», rief Jesper.

Und das taten die Jungen, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. – In einer Rocktasche des Verbrechers fand sich sehr bald das gesamte Geld.

Während der Rückfahrt fragte Onkel Ernst: «Und wo sollen wir ihn heute nacht einschließen? Was meint ihr?»

«Im Kellerverlies», riefen die Jungen im Chor.

«Das kann man leider weder von innen noch von außen abschließen.»

«Dann im obersten Turmgeschoß!»

«Ja, das geht.»

Dort wurde der Mann hingebracht und eingeschlossen.

Frau Fischer, die natürlich von dem Tumult geweckt worden war, hatte sich nicht mehr schlafen gelegt, sondern die Zeit genützt und einen Tisch gedeckt, der nichts zu wünschen übrigließ. Während sie sich alle gütlich daran taten, füllte Jan einen Teller mit Gebäck und erhob sich. Er ging zu Jack und sagte: «Jack, komm bitte mit!»

«Wohin?»

«Komm nur.»

Sie stiegen die Treppen zum Turm hinauf, und Jack wunderte sich.

«Ich weiß wohl, daß Jensen ein übler Kerl ist», sagte Jan. «Aber ich möchte, daß wir es für einige Minuten vergessen.»

«Willst du ihm das Gebäck bringen?»

Jan nickte. «Ja.»

«In Ordnung. Ich verstehe dich», gab Jack zur Antwort.

Jan drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür. Poul Jensen saß auf einem Stuhl und starrte ins Leere. Er hob nicht einmal den Kopf, als die Jungen eintraten.

Ruhig sprach Jan ihn an: «Hören Sie, Jensen! Meine Freunde und ich halten Sie nicht gerade für einen guten Menschen. Sie hätten uns heute nacht gern umgebracht. Aber... jetzt haben Sie sicher Hunger?»

«Nein!»

«Auch nicht auf Süßigkeiten?»

«Nein!»

«Gut, ich stelle den Teller hierher. Wenn Sie doch Hunger bekommen sollten, können Sie sich bedienen. Das Gebäck ist für Sie.»

Der Gefangene hob den Kopf ein wenig, und dabei bekamen seine Augen etwas Glanz. Undeutlich murmelte er: «Warum bringt ihr mir das alles?»

«Einfach weil wir dachten, daß Sie vielleicht Hunger haben. Uns ging es ja auch so.»

«Danke», sagte der Mann und beugte den Kopf wieder vornüber. «Danke, das ist nett von euch.»

Die Jungen eilten hinaus, und Jan schloß die Tür sorgsam ab. Sie sprachen nicht miteinander, bis sie vor der Tür zum Eßzimmer standen. Dann sagte Jack: «Du, Jan... das war großartig.»

«Hoffentlich», meinte Jan versonnen. «Jedenfalls haben wir dem armen Kerl da oben ein wenig Freundlichkeit und menschliches Verstehen gezeigt. Vielleicht ist es bedeutungslos, aber es könnte doch sein, daß es ihm etwas hilft. Ein guter Kern steckt schließlich in allen Menschen. Auch in dem ausgekochtesten Verbrecher.»

Jan zieht in die Welt

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