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Erstes kapitel

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Mit der Hafenpolizei unterwegs

Der Mann am Ruder des schweren Polizeiboots hatte ein scharf geschnittenes Gesicht mit buschigen Augenbrauen. Seine von Wind und Wetter gegerbte braune Haut und sein ganzes Aussehen ließen erraten, daß er ein alter Seemann war. Er summte vor sich hin, während seine scharfen blauen Augen einen weißen Dampfer verfolgten, der in der Ferne, an einem der kleinen Inselforts vorüber, gegen Norden dampfte.

Jan, der mit seinem dicken Freund Erling unmittelbar hinter dem Steuermann saß, konnte das Summen kaum hören, aber hin und wieder drangen vereinzelte Töne an sein Ohr, und er begann darüber nachzusinnen, was da eigentlich gesummt wurde. Er kannte die Melodie gut, aber die Worte, die er auffing, paßten nicht recht zu ihr, denn hin und wieder fehlten Töne.

Hinter Jan und Erling saß noch ein Mann, der plötzlich fragte: «Nun, ihr Buben? Gefällt euch die Fahrt?»

«Sehr sogar!» erwiderte Jan mit einem breiten Lächeln. «Es ist sehr nett von Ihnen, Herr Inspektor, daß Sie uns auf Ihre Patrouillenfahrt mitgenommen haben.»

«Warum auch nicht?» sagte Polizeiinspektor Hansen freundlich. «Ich habe schon oft gedacht, es würde euch Spaß machen, einmal selber zu sehen, wie die Hafenpolizei arbeitet. Als ich neulich mit deinem Vater zusammen war, fiel mir das plötzlich ein, und ich benutzte die gute Gelegenheit euch einzuladen.»

«Es ist ein wundervolles Boot», sagte Erling und strich mit der Hand liebkosend über die Reling.

«Versteht ihr etwas von Booten?»

«Ich glaube schon», erwiderte Erling. «Wir benutzen ja den größten Teil unserer freien Zeit zum Segeln.»

«Wo habt ihr es gelernt?»

«Im Juniorenklub in Hellerup.»

«Wir haben ein eigenes kleines Segelboot dort draußen liegen. Es heißt ‚Rex‘», fügte Jan hinzu.

Der Mann am Ruder wandte den Kopf und lächelte breit. «Das hier ist etwas anderes als das Segeln», sagte er. «Mir gefällt es nicht gerade besonders, mit einem Motorboot herumzukutschieren, aber mit einem Segelboot kämen wir hier im Hafen nicht weit.»

«Beck hat recht», warf der Inspektor ein. «Wären wir heute abend vom Wind abhängig, so wären wir noch nicht einmal bis zum Zollamt gelangt.»

«Stimmt!» erwiderte der Rudergänger, ein Wachtmeister der Hafenpolizei, und schob seine Mütze zurück. «Aber als ich seinerzeit auf See war...» Er verstummte und blickte über die Schulter zu seinem Vorgesetzten hinüber.

«Da haben wir’s!» seufzte der Inspektor. «Jetzt wird Beck seine ganze Lebensgeschichte erzählen. Ich kann mir gut so lange die Ohren verstopfen, denn ich kenne jedes Wort auswendig.»

«Ich erzähle ja nicht für Sie, sondern für die Buben», sagte Beck lachend und wandte sich Jan und Erling zu. «Es war wirklich eine herrliche Zeit, als ich noch zur See fuhr. Wäre der Krieg nicht gekommen, dann wäre ich wahrscheinlich nie in den Dienst der Polizei getreten.»

Das Motorboot glitt jetzt in den Freihafen hinaus und rundete die äußerste Mole der «Langen Linie». Sie fuhren in das Südbassin des Freihafens hinein, wo ein paar große Dampfer der Ostasiatischen Kompagnie am Kai vertäut waren. Dann beschrieben sie einen eleganten Bogen und steuerten in das beinahe blanke Wasser des Mittelbekkens hinein.

«Der Hafen bietet, vom Wasser aus gesehen, einen höchst interessanten Anblick», sagte Erling. «Wenn man den Freihafen nur als etwas erlebt, das hinter einem Gitter liegt, denkt man gar nicht daran, wie groß der Hafen von Kopenhagen eigentlich ist.»

«Und wieviel in diesem Hafen wahrscheinlich geschieht!» fügte Jan hinzu.

«Du hast recht», bestätigte der Inspektor. «Deshalb ist es äußerst wichtig für die Hafenpolizei, daß wir das Wasser auch von der Seeseite aus abpatrouillieren können.»

Der schöne Abend hatte viele kleine Fahrzeuge auf das Wasser gelockt. Die Segelboote stampften träge, während die Motorboote flink hin und her sausten. Auch mehrere Rennboote der Rudervereine flitzten über ihre Übungsstrecken dahin.

«Es muß ein sehr spannendes Leben sein», bemerkte Erling.

«Was für ein Leben?»

«Das Leben in der Hafenpolizei».

«Ach so... Na, es ist keineswegs derart spannend, wie ihr vielleicht denkt. Das meiste ist Routine. Ich jedenfalls greife, um meinen Drang nach Spannung befriedigen zu können, mit Vorliebe zu Kriminalromanen, wenn ich zu Hause bin.»

«Meinem Vater geht es genau so.» Jan lachte. «Auch er liebt es, Kriminalromane zu lesen, obwohl man doch eigentlich glauben sollte, sein Bedarf an Spannung müßte durch seine Tätigkeit als Kriminalkommissar ausreichend gedeckt werden.»

«Dein Vater denkt sehr vernünftig», meinte Hansen. «Als alter Polizeimann weiß er, daß nichts gesünder ist, als wenn man sich nach des Tages Arbeit in der Ausübung eines Sports oder mit der Lektüre eines Kriminalromans entspannt. So ein Buch ist oft richtig erfrischend. Ich gehe übrigens auch gern ins Kino, um mir einen Film anzusehen, der von Detektivarbeit und dergleichen handelt.»

«Gilt auch für mich», bestätigte Wachtmeister Beck. «Es gibt nichts Lustigeres, als zu sehen, wieviel schlauer der Privatdetektiv oft ist als die ganze Polizei!» Er lachte dröhnend.

«Finden Sie dergleichen auch lustig?» fragte Jan verwundert den Inspektor.

«Gewiß finde ich das lustig», erwiderte Hansen. «Es ist ja gerade das Nette an den Kriminalromanen, daß sie der Wirklichkeit in keiner Weise gleichen. So eine Geschichte will ja nicht berichten, was wirklich geschieht, sondern sie will die Phantasie anregen. Deshalb denkt sich der Autor eine Menge Verwicklungen aus, die gerade deshalb Spaß machen, weil es sich um reine Erfindungen handelt. Im Hinblick darauf stört es mich keineswegs, daß der Verfasser den Privatdetektiv das Problem mit Hilfe seines erstaunlichen Gehirns glatt lösen läßt, während die Polizei dauernd im Dunkeln tappt.»

«Aber man kann doch tatsächlich eine ganze Menge herausbekommen, wenn man seinen Kopf anstrengt und richtig nachdenkt», warf Jan ein.

«Natürlich kann man das», stimmte der Inspektor lachend zu. «Und es läßt sich gar nicht bestreiten, daß die Polizei eine ganze Menge von klugen Kriminal-Schriftstellern gelernt hat. Sherlock Holmes zum Beispiel ist eine durchaus imponierende Gestalt. Er besitzt nicht wenig Scharfsinn und Kombinationsgabe. Im großen und ganzen gilt ja, daß ein Kriminalroman gewissermaßen ein spannendes Spiel ist, das einen unterhält, ohne daß man deshalb glaubte, er müsse ein zutreffendes Bild der Wirklichkeit geben. Viele Menschen glauben, Kriminalromane seien überspannt und schädlich. Ich persönlich glaube, daß gute Kriminalromane vortreffliche Unterhaltung bieten. Übrigens bist du ja selber eine Art Privatdetektiv, Jan. Du mußt also in den Kriminalromanen auf verwandte Seelen stoßen.»

«Vater hat mich von jeher dazu erzogen, meine Augen und Ohren zu gebrauchen und über das, was ich beobachtet habe, nachzudenken», sagte Jan. «Es ist keineswegs so, daß ich eine besondere Gabe besitze, Kriminal-Probleme zu lösen, aber ich bin schon oft über ein Problem sozusagen gestolpert, das mich dann zum Nachdenken angeregt hat.» Jan lächelte verlegen, denn er liebte es ganz und gar nicht, daß man ihn wegen seines Scharfsinns lobte.

Erling, der das wußte, kam seinem Freunde zu Hilfe. «Ja», sagte er, «da hast du vollkommen recht. Immer wieder bist du über Spuren gestolpert, ohne sie zu sehen, und hättest du mich – deinen alten, stets zuverlässigen Freund Erling Krag – nicht bei dir gehabt, dann wäre es um den Sieg der Gerechtigkeit schlecht bestellt gewesen!»

Der Inspektor lachte herzlich. Er konnte die beiden flinken Buben gut leiden. Großen Spaß machte ihm vor allem Erlings unverwüstlicher Humor.

«Da wir gerade von mir sprechen», fuhr Erling fort, «darf ich mir vielleicht eine kleine Bemerkung erlauben?»

«Sehr gern!» erwiderte Hansen. «Nur heraus damit!»

«Man pflegt bekanntlich zu sagen, daß die Meeresluft zehrt.»

«Damit hast du vollkommen recht». Der Inspektor lachte. «Es wird tatsächlich Zeit, daß wir uns etwas stärken.»

Er verschwand in der Kajüte des Motorboots, kehrte aber bald zurück. «Ich habe etwas Proviant mitgenommen», sagte er, «denn ich vermutete schon, daß Erling Hunger bekommen würde. Langt zu! Wenn das Mineralwasser nicht reicht, habe ich mehr an Bord.»

Die Tüte, die Hansen aus der Kajüte mitgebracht hatte, enthielt eine reiche Auswahl an lekkerem Kopenhagener Gebäck. Die beiden Freunde ließen sich denn auch nicht lange nötigen.

Inzwischen hatten sie das Inselfort «Trekroner» umfahren und nahmen wieder Kurs auf den Hafen.

Es war ein prächtiger Abend. Das Wetter hätte gar nicht schöner sein können. Die Buben genossen die Fahrt in vollen Zügen.

Als sie in eins der nördlichsten Becken des Freihafens einliefen, hörten sie plötzlich vom Kai her laute Rufe. Jan richtete sich auf und blickte nach der Stelle, woher die Rufe kamen. Er sah aber nur zwei Gestalten, die sich heftig bewegten. Das Licht war schon zu schwach, als daß man Einzelheiten hätte unterscheiden können.

«Haben Sie das gehört, Beck?» rief der Inspektor. «Legen Sie das Ruder herum und fahren Sie näher heran!»

«Jawohl», sagte der Rudergänger und nahm Kurs auf den Kai.

Dort lag ein kleiner Frachtdampfer vertäut, der augenscheinlich eine Bretterladung löschte, denn auf dem Kai lagen schon einige Stapel langer Bretter.

Als das Polizeiboot anlegte, sprang Jan als erster an Land. Erling und der Inspektor folgten ihm.

Jan lief auf eine dunkle Gestalt zu, die auf dem Kai lag und beugte sich über sie. Es war ein Mann, und er war bewußtlos. Sonst war niemand zu sehen.

Jan begriff sogleich, was da geschehen war. Der auf dem Kai Liegende war offenbar niedergeschlagen worden, und der Täter hatte die Flucht ergriffen. Wahrscheinlich war eine Prügelei vorausgegangen. Jan hockte neben dem Bewußtlosen nieder, dessen Lippen sich schwach bewegten. Jan beugte sich vor und lauschte. Aber alles, was er hören konnte, waren ein paar zusammenhanglose Worte: «...sollst ... du ... büßen ... Kurt.»

Die Augenlider des bewußtlosen Mannes begannen zu zittern, und in dem Augenblick, da der Inspektor und Erling kamen, schlug er die Augen auf und blickte sich verwirrt um.

Hansen beugte sich zu ihm nieder und versuchte ihn aufzurichten: «Tut Ihnen etwas weh? Können Sie sich aufrichten?»

«Ja... ich glaube...»

Der Überfallene nahm sich gewaltsam zusammen, und schließlich setzte er sich auf. Als er die Uniform sah, erschrak er sichtlich. «Was ist geschehen?» fragte Hansen.

Der Blick des Mannes irrte umher. Er schien noch nicht recht bei Bewußtsein zu sein. Schließlich murmelte er: «... hat mich niedergeschlagen... Wohl mit einem Knüppel...»

Während der Inspektor dem Überfallenen aufhalf und ihn zu einem der Bretterstapel führte, wo er sich niedersetzen konnte, ließ Jan seine Blicke über das Pflaster des Kais gleiten. Er sah etwas glänzen, bückte sich schnell und hob es auf. Es war ein kleiner runder Taschenspiegel. Er betrachtete ihn nicht genauer, sondern steckte ihn gleich in die Tasche. Dann machte er sich daran, das Pflaster sorgsam zu untersuchen, fand aber nichts weiter. Schließlich kehrte er zu den anderen zurück.

Der Überfallene war jetzt so weit zu sich gekommen, daß er eine einigermaßen zusammenhängende Erklärung abgeben konnte. Er rauchte dabei eine Zigarette, die Hansen ihm gegeben hatte.

«Wie heißen Sie?» begann der Inspektor das Verhör.

«Gustav Lundquist».

«Der Name klingt schwedisch, aber Sie sprechen dänisch?»

«Mein Vater war Schwede. Ich selber bin hierzulande geboren.»

«Was haben Sie für eine Beschäftigung?»

«Ich bin Koch.»

«Wo?»

«Auf dem Schiff dort.» Er zeigte auf den Frachtdampfer mit der Holzladung.

«‚Ragna IV’ ... Das ist wohl ein dänisches Schiff?»

«Ja. Es gehört der Reederei Mortensen & Nielsen. Wir sind gerade mit Holz von Finnland gekommen.»

«Und Sie wohnen hier in Kopenhagen?»

«Ich habe hier gewohnt. Aber jetzt habe ich keine feste Adresse, weil ich die meiste Zeit unterwegs bin.»

«Nun erzählen Sie, was eigentlich geschehen ist», forderte der Inspektor ihn auf und beugte sich vor.

Der Koch machte eine kurze Pause, faßte sich an den Kopf und stöhnte. Er schien noch immer etwas benommen zu sein. «Was geschehen ist? Das war so. Ich ging hier auf dem Kai etwas spazieren, und da kam ein Mann und bat mich um ein Streichholz. Ich strich eins an und hielt es so, daß ich mit der Hand die Flamme schützte... Das pflegt man ja zu tun, wenn man auf See ist... Da holte er aus und versetzte mir einen Schlag... Sonst erinnere ich mich an nichts...»

«Können Sie den Mann beschreiben, der Sie niederschlug?»

«Vielleicht... Aber er sah eigentlich nicht weiter auffallend aus.»

«War er jung oder alt?»

«Ich glaube, er war mitten in den Dreißigern. Besonders gut angezogen war er nicht. Er trug auch keine Krawatte, sondern nur ein Wollhemd mit Bund, das am Halse offenstand. Und dann trug er eine Mütze...»

«Welche Farbe hatte sein Anzug?»

«Blau, glaube ich.»

«Und Sie sind sicher, daß er Ihnen nichts gestohlen hat? Er muß doch eine Absicht gehabt haben, als er Sie niederschlug.»

Der Koch tastete seine Taschen ab. Er zog seine Brieftasche hervor und blickte hinein. Dann schüttelte er den Kopf. «Ich vermisse nichts», sagte er.

«Hm!» meinte der Inspektor. «Es sieht so aus, als hätte der Kerl, der Sie überfallen hat, Angst bekommen, und sei fortgelaufen. Vielleicht hatte er uns in unserem Boot kommen sehen. Er dürfte die Absicht gehabt haben, Ihnen Brieftasche und Uhr wegzunehmen. Wollen Sie, daß wir einen Rapport aufsetzen und den Überfall melden?»

«Nein, danke, lieber nicht», sagte der Koch. «Ich mag nicht gerne zum Gericht rennen.»

Der Inspektor stand auf und steckte sein Notizbuch in die Tasche. «Fühlen Sie sich kräftig genug, daß Sie allein auf Ihr Schiff zurückkehren können?» fragte er.

«Ich glaube schon.»

Der Koch erhob sich, lächelte verlegen und ging auf sein Schiff zu. «Derartige Sachen kommen oft vor», sagte der Inspektor, während er ihm, die Schultern zuckend, nachblickte. «Überfälle und Schlägereien haben wir hier am laufenden Band.» Nach einer kurzen Pause fügte er lächelnd hinzu: «Weißt du was, Jan? Hier hätten wir ja ein Kriminalproblem für dich. Es ist keine große Sache, aber interessieren könnte es doch: Wer war der Mann, der den Koch überfallen hat? Hättest du keine Lust, dich damit zu beschäftigen?»

«Das überlege ich gerade!» erwiderte Jan ernst. «Es könnte wohl sein, daß etwas dahinter steckt.»

Jan und die Schmuggler

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