Читать книгу Cattle Valley: Mehr als gedacht - Carol Lynne - Страница 6
Kapitel 1
ОглавлениеMario Benta wischte gerade die Trainingsräder ab, als Rio von einer langen Mittagspause zurückkehrte. Das Grinsen auf dem Gesicht des großen Mannes sprach Bände.
»Ich nehme an, du hattest eine ergiebige Mittagspause?«, wollte Mario wissen.
Rio zwinkerte ihm zu. »Sehr ergiebig, danke der Nachfrage.«
Mario warf sich den Lappen über die Schulter und ging zur Safttheke hinüber. »Ist Nate immer noch mit diesem Architekten im Gespräch darüber, eine neue Arena zu entwerfen?«
Rio stürzte ein Glas Apfelsaft hinunter, bevor er genüsslich schmatzte. »Ja. Die große Diskussion dreht sich mittlerweile darum, wer dafür bezahlen wird. Nate besteht darauf, sein eigenes Geld einzusetzen, aber Ryan und ich versuchen ihm beizubringen, dass dieses Geld an anderer Stelle dringender gebraucht wird, zum Beispiel um diese Unterkunft in D.C. zu unterstützen.«
»So viel Aufmerksamkeit, wie Cattle Valley bekommen hat, seit dieser verfluchte Artikel veröffentlicht wurde, sollte es uns möglich sein, ein Unternehmen als Sponsor zu gewinnen oder so was.« Mario war kein Geschäftsmann, aber selbst er wusste, dass die Arena Millionen kosten würde. Es gab nur eine Person in der Stadt, die so viel Geld besaß, und wenn Asa Montgomery bis jetzt noch nicht angeboten hatte, seinen Geldbeutel zu öffnen, dann würde es auch nicht passieren.
Mario nahm den Lappen von seiner Schulter und warf ihn in den Wäschekorb. In irgendeiner Weise an Asa zu denken, hatte den Effekt, ihn gleichzeitig zu deprimieren und wütend zu machen. »Schätze, ich fahre mal bei Deb's vorbei und hole mir einen Happen zu essen.«
»'kay«, erwiderte Rio, während er sein Saftglas wieder auffüllte.
Mario war schon fast zur Tür hinaus, als das Telefon klingelte. Er blieb stehen und drehte sich um, als Rio sich meldete.
»Warte mal.« Rio grinste und hielt den Hörer hoch. »Es ist Asa.«
Mario schüttelte den Kopf. »Sag ihm, dass ich Mittagspause habe.«
Ohne abzuwarten verließ Mario das Gym und stieg in seinen verbeulten Pick-up. Er drehte den Zündschlüssel und betete, dass das verdammte Ding anspringen würde. Er wusste, dass es an der Zeit war, das alte Mädchen zu ersetzen, doch Lola hatte ihm jetzt fast dreizehn Jahre lang treue Dienste geleistet und er brachte es nicht über sich, sich von ihr zu trennen.
Nach mehreren Versuchen erwachte Lola brüllend zum Leben und spuckte schwarzen Rauch. Er schmunzelte und schüttelte den Kopf. Es war ein Wunder, dass die Umweltschützer nicht auf dem Rasen vor seinem Haus campierten.
Er bog auf die Straße ab und machte sich auf den Weg zum Diner. Seit zwei Wochen ließ er Asas Anrufe nun schon ins Leere laufen. Als er zum ersten Mal zu seinem Festnetztelefon gegriffen und den Namen des Mannes auf dem Display gesehen hatte, hatte er sich fast zu Tode erschreckt.
Zugegeben, anfangs war er begeistert gewesen, doch dieses Gefühl hatte sich rasch in Ärger verwandelt. Nach dem Einsturz der Tribüne hatte er zwei Tage lang im Krankenhaus gesessen und gehofft, Asa würde nach ihm rufen lassen. Jedes Mal, wenn er sich erkundigt hatte, ob er seinen Freund sehen durfte, war ihm von einem von Asas Speichelleckern mitgeteilt worden, dass er keine Besucher empfing.
Mario war so verletzt und verärgert über die Zurückweisung gewesen, dass er abwartete, bis sich sein Anrufbeantworter einschaltete. Danach hatte er sich die Nachricht angehört und sofort gelöscht. Was zum Teufel stimmte nicht mit diesem Mann? Erst weigerte er sich, ihn im Krankenhaus zu sehen, und dann besaß er die Frechheit, Mario ein verdammtes Gehalt anzubieten, um ihm bei seiner Rehabilitation zu helfen. Mario wusste, dass Asa sich bei all seinem Geld auch einen Vollzeittherapeuten ins Haus holen könnte, wenn er wollte.
Was Mario am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass er Asa ohne Bezahlung geholfen hätte, wenn er einfach darum gebeten hätte, anstatt ihn in diesen Tagen nach der Tragödie wie ein lästiges Insekt zu behandeln. Jetzt konnte der Mann ihm gar nicht genug zahlen, um seine Vergebung zu erlangen.
Als er vor dem Diner parkte, klingelte sein Handy. Er nahm es vom Sitz und warf einen Blick auf das Display.
»Hey«, meldete er sich.
»Ich weiß nicht, was zwischen dir und Asa los ist, aber ich soll dir sagen, dass er verdoppelt. Worum zum Teufel geht es dabei?«
»Mistkerl.« Mario holte tief Luft. »Ich gehe zu ihm und werde ihm persönlich darauf antworten.«
»Sag nichts, was du später bereuen könntest. Ich weiß, dass er dich verletzt hat, aber er hat eine schwere Zeit durchgemacht«, argumentierte Rio.
»Bis später.« Mario legte auf und machte sich auf den Weg zu Asas Monstrosität eines Hauses.
Wie konnte der Bastard auch nur den Versuch wagen, seine Entscheidung mit noch mehr Geld beeinflussen zu wollen. Mario schlug mit der Faust gegen das Lenkrad. So wie er sich gerade fühlte, würde Asa Glück haben, wenn Mario ihm nur gehörig die Meinung sagte, denn eigentlich wollte er dem Idioten eine verpassen.
Er hielt vor dem protzigen Sicherheitstor und drückte auf den Klingelknopf.
»Ja«, erklang eine ihm unbekannte Frauenstimme.
»Mario Benta für Asa«, knurrte Mario.
»Einen Moment.«
Mario zupfte an dem kleinen Bärtchen unterhalb seiner Unterlippe. Das tat er häufig, wenn er unter Strom stand. Einige Sekunden später schwangen die Torflügel aus schwarzem Eisen nach innen.
Angeberischer Schweinehund. Mario fuhr die lange, gewundene Einfahrt hinauf und hielt unter dem ausladenden Säulenvorbau, der über die Auffahrt des aus Baumstämmen und Stein erbauten Hauses hinausragte. Mario sprang aus dem Wagen und stieg die Stufen hinauf.
Bevor er überhaupt dazu kam anzuklopfen, wurde die Tür geöffnet und eine ältere Dame bat ihn herein.
»Bitte folgen Sie mir«, sagte die Frau.
»Vielen Dank, Ma'am.«
Mario versuchte, den Blick nicht über die hohe Balkendecke oder den zweigeschossigen Kamin aus Flussgestein schweifen zu lassen. Er würde sich nicht von Asas Besitz beeindrucken lassen, auf gar keinen Fall, niemals. Die Frau, bei der es sich vermutlich um die Haushälterin handelte, führte ihn zu einem großen rundum verglasten Raum im hinteren Teil des Hauses.
»Ihr Gast, Sir«, verkündete sie.
»Danke, Miss Guttenberg.«
Mario ballte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten und bekam Asa zum ersten Mal seit diesem schrecklichen Tag zu Gesicht. Er war überrascht, dass der normalerweise tadellos gepflegt auftretende Mann so vernachlässigt aussah. Asa schien nicht nur auf eine Rasur zu verzichten, Mario schätzte auch, dass er ziemlich viel Gewicht verloren hatte. Wer zum Teufel kümmerte sich um den Mann?
»Wie ich sehe, hast du meine Nachricht erhalten«, begrüßte Asa ihn grinsend.
Dieser Gesichtsausdruck reichte aus, um Mario wieder an seine angefressene Laune zu erinnern. »Habe ich und ich bin hergekommen, um dir zu sagen, dass du dir dein Angebot in den Arsch schieben kannst. Ich würde noch nicht mal für dich arbeiten, wenn du das Gehalt verdreifachen würdest.«
Marios Antwort schien Asa zu schockieren, doch offensichtlich war er zu stolz, um etwas dagegen einzuwenden. »Nun gut. Ich werde dich nicht noch einmal belästigen.«
Asa richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Ausblick durch die deckenhohen Fenster. Mario betrachtete das Objekt so vieler seiner Fantasien und empfand eher Mitleid als alles andere. Wo waren all seine Groupies hin? Beinahe hätte er gefragt, doch dann überlegte er es sich anders und wandte sich zum Gehen.
»Wenn du deine Meinung änderst…«, setzte Asa an.
»Werde ich nicht.« Mario wartete nicht darauf, dass Miss Guttenberg ihn zur Tür brachte. Er stürzte aus dem Haus, sprang in seinen Pick-up und ließ die Villa in einer Wolke aus schwarzem Rauch hinter sich zurück.
Er war sich nicht sicher, auf wen er wütender war: auf sich selbst oder Asa. Der verdammte Kerl hatte seine Gefühle bei mehr als nur einer Gelegenheit verletzt und trotzdem hatte Mario immer noch Mitleid mit ihm. Der bekannte Millionär sah nicht nur beschissen aus, Mario hatte auch das starke Gefühl, dass sich Asa genauso fühlte.
Mario lenkte seinen Wagen in die Richtung des Gym. Ihm war der Appetit vergangen. Während der Fahrt begann sein Zorn, sich langsam in Luft aufzulösen. Er wusste, dass er trotz allem immer noch etwas für den reichen Mistkerl empfand. Wenn er nur nicht so ein Arschloch wäre.
***
»Sir, ein Anruf für Sie«, verkündete Miss Guttenberg, als sie Asa das Telefon reichte.
»Wer ist dran?«, formte er mit den Lippen. Insgeheim hoffte er, dass Mario sich endlich umentschieden hatte.
»Ihre Schwester«, wisperte sie zurück.
Asa verdrehte die Augen. Seit dem Unglück hatte seine Familie nicht ein einziges Mal angerufen, um sich nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen, ohne eine Möglichkeit zu finden, ihn um mehr Geld zu bitten.
»Hey, June«, grüßte er sie.
»Wie geht es dir, Asa?«, fragte die vierunddreißigjährige Mutter von fünf Kindern.
»Bin auf dem Weg der Besserung. Was kann ich für dich tun?«
Es blieb einen Moment still, bevor seine Schwester sagte: »Na ja, es geht nicht wirklich um mich. Dean wird im nächsten Monat sechzehn und braucht Unterstützung dabei, sich ein Auto zu kaufen.«
»Braucht er Unterstützung oder will er, dass ich ihm ein Auto kaufe?«, fragte er, als würde er die Antwort nicht längst kennen.
»Na ja, es ist ja nicht so, als würde er ohne Auto einen Job bekommen. Er denkt darüber nach, sich einen Job zu suchen, wenn er eins hat, aber Dean meinte, er könnte dabei helfen, dir das Geld zurückzuzahlen, wenn du darauf bestehst.«
»Früher ist man durch die Nachbarschaft gelaufen und hat angeboten, für andere den Rasen zu mähen, um Geld zu verdienen. Was ist damit? Das habe ich jedenfalls gemacht.«
»Ja, wir wissen alle ganz genau, dass du alles aus eigener Kraft geschafft hast, Asa. Wir dachten nur, weil du Allan und Julie eins gekauft hast, dass du…«
Asa stieß demonstrativ den Atem aus. Er hatte es so verdammt satt, dass ihm unaufhörlich die offene Hand hingehalten wurde. »Ich sag dir was. Du kannst Dean sagen, wenn er fünfhundert Mäuse auf die altmodische Art verdient, bekommt er von mir ein Auto.«
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Das ist das Angebot, nimm es an oder lass es bleiben.«
Wieder war es still. »Ich rede mit Dean.«
»Schön. Lass mich wissen, was er sagt.« Asa rückte sein rechtes Bein zurecht, damit es sicherer auf dem Kissen lag. »Gibt es noch etwas?«
»Nein.«
»Bis bald, Schwesterherz.« Asa legte auf und warf das Telefon auf den Tisch neben sich. Er fühlte sich wie ein gewaltiges Arschloch, weil er seinem Neffen etwas verweigerte, das nicht einmal ansatzweise ein spürbares Loch in seine Finanzen reißen würde, aber vielleicht würde es dem Jungen guttun.
Seine Eltern hatten sich die Finger wund gearbeitet, damit er und seine vier Geschwister ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hatten. Asa wusste, dass es ihre Entschlossenheit, Erfolg zu haben, gewesen war, die ihn den Wert eines Dollars gelehrt hatte. Welche Lektionen lernte die neue Generation der Montgomerys?
»Entschuldigen Sie, Sir. Möchten Sie ihr Mittagessen hier oder im Speisezimmer einnehmen?«
Asa grinste. Ganz egal, wie oft er Stella schon gesagt hatte, sie solle ihn Asa nennen, sie hielt an den Formalitäten fest, die ihrer Meinung nach mit ihrer Position einhergingen. »Ich habe keinen Hunger, aber danke.«
Er hörte das allzu vertraute Schnalzen, das sie immer von sich gab, wenn sie etwas missbilligte. »Vielleicht schaue ich in einer Stunde noch einmal rein, um zu hören, ob Sie Ihre Meinung geändert haben.«
»Einverstanden.«
Stella zog sich zurück, um zu tun, was auch immer sie eben tat, und Asa sackte etwas weiter in seinem Stuhl zusammen. Er faltete die Hände vor der Brust und betrachtete noch einmal den Ausblick. Seit dem Keller, in dem er praktisch aufgewachsen war, hatte sich viel verändert. Bei sieben Menschen, die in einem Haus mit drei Schlafzimmern gewohnt hatten, war er der Außenseiter gewesen und in eine Ecke des unfertigen Kellergeschosses in seinem Elternhaus im westlichen Kansas abgeschoben worden.
Asa schmunzelte. Seine Familie hatte nicht geahnt, dass er sein erzwungenes Exil dazu genutzt hatte, sein erstes Softwareprogramm zu entwerfen. Er war immer eines dieser seltsamen Kinder gewesen, die nirgendwo hinzupassen schienen. Im Alter von sechs Jahren hatte er begonnen, Dinge auseinanderzunehmen, um zu verstehen, wie sie funktionierten. Als er acht war, hatte er sie wieder zusammenbauen können und mit neun hatten sie danach sogar wieder funktioniert.
Asa seufzte. Und mit sechsundzwanzig war er bereits Millionär gewesen, hatte beide Eltern verloren und einen Haufen Verwandte am Hals, die nach Geldgeschenken gierten. Die Geschwister und Cousins und Cousinen, die dem Kellerkind das Leben nicht gerade leicht gemacht hatten, erwarteten plötzlich von ihm, dass er sie unterstützte.
Was ihn wirklich wütend machte, war die Tatsache, dass er es tatsächlich getan hatte. Er hatte sich so sehr danach gesehnt, sich mit seiner Familie zu umgeben, dass er ihnen erlaubt hatte, ihm jahrelang auf der Tasche zu liegen. Erst sein Unfall hatte ihm das wahre Gesicht seiner Familie vor Augen geführt.
Kopfschüttelnd wies Asa sich selbst zurecht, weil er sich einen Moment lang in Selbstmitleid gesuhlt hatte. Er verdiente alles, was er gerade bekam, und das wusste er auch. Er war so von den schicken Menschen geblendet worden, die plötzlich um ihn herumscharwenzelten, dass er aus den Augen verloren hatte, was wirklich wichtig war. Es war recht schnell deutlich geworden, als seine sogenannten Freunde sich nach einer Woche schon gelangweilt hatten. Sie hatten sogar die Frechheit besessen, ihn zu fragen, ob er ihnen während seiner Rehabilitation eine Kreuzfahrt um Europa spendierte.
Asa wusste, dass er naiv war, aber er war ganz sicher nicht dumm. Er hatte sie auf die Reise geschickt, um die sie gebeten hatten, ihnen allerdings gesagt, dass sie nicht zurückkommen sollten. Was hatte das gebracht? Sicherlich hatten sie sich schon längst den nächsten Dummkopf gesucht, der sie aushielt, irgendeinen anderen armen Kerl, der an den falschen Orten nach Freunden suchte.
Und deshalb saß er hier, ein dreiundvierzigjähriger Mann, und war allein. Das Haus, für das er sein ganzes Leben lang gearbeitet hatte, bereitete ihm keine Freude.
Asas Gedanken wanderten zu Mario. Gott, der Mann war umwerfend. Er wollte ihn, seit er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Es war rasch offensichtlich geworden, dass Mario weit außerhalb seiner Liga spielte.
Mario war nicht nur heiß, er schien sich auch einen Dreck um Asas Geld zu scheren. Die meisten Menschen würden das als Pluspunkt ansehen, doch Asa bewies es nur, dass er niemals eine echte Chance bei diesem Mann haben würde. Ohne den Einfluss des Geldes war Asa nur ein durchschnittlich aussehender Mann mittleren Alters mit zurückweichendem Haaransatz.
Er hatte gewusst, dass ihm das Angebot, Mario anzustellen, auf die Füße fallen könnte. Er wusste auch, dass ihn eine Kombination aus dem Verlangen, den Mann zu sehen, und der Tatsache, dass er nur ein bisschen wütend auf ihn war, zu dem extremen Angebot getrieben hatte.
Nachdem er erkannt hatte, dass seine sogenannten Freunde überhaupt keine Freunde waren, hatte er zumindest gehofft, dass die Freunde, die er in Cattle Valley gefunden hatte, noch für ihn da sein würden. Doch seit der Tragödie waren zwölf Wochen vergangen und Mario hatte sich nie auch nur die Mühe gemacht, sich nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Nate hatte sich ein paarmal blicken lassen, doch Asa ahnte, dass das eher den Schuldgefühlen zu verdanken war.
»Scheiße, vielleicht sollte ich einfach alles verkaufen und mir eine einsame Insel leisten. Dann hätte ich wenigstens eine gute Ausrede, warum ich mich so einsam fühle.«
***
Als Mario wieder im Studio ankam, war er verwirrt genug, um Rio bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zur Seite zu nehmen.
»Was ist los?«, fragte Rio, als er sich auf der Couch in seinem Büro niederließ.
»Hast du in letzter Zeit mal mit Asa gesprochen?«
»Nein, aber ich weiß, dass Nate ein paarmal bei ihm war, wieso?«
Mario legte seine Füße auf dem Sofatisch ab und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Er sieht nicht gut aus.«
»Bestimmt dauert es eine Weile, bis er wieder fit und auf den Beinen ist.«
»Nein, darum geht es nicht. Er scheint einfach nicht er selbst zu sein.« Mario wusste, dass das keinen Sinn ergab. »Okay, du weißt doch, dass sein Aussehen dem Kerl normalerweise echt wichtig ist, oder? Na ja, ich glaube, er hat sich seit einer Woche oder so nicht mal die Mühe gemacht, zu duschen. Ich weiß jedenfalls, dass er sich nicht rasiert hat.«
»Du hast recht. Das klingt nicht nach ihm.«
»Ich weiß und jetzt mache ich mir Sorgen.«
»Ist es das, worüber du reden wolltest?«
Mario nickte. »Ich meine, wie oft kann man sich von jemandem einen Korb holen, bevor man aufgibt?«
»Wann hat er dir, abgesehen von der Sache im Krankenhaus, noch einen Korb gegeben?«
»Ständig. Zum Beispiel während des Festivals, als wir im Schatten gesessen haben. Er stand genau da, aber hat er sich die Mühe gemacht, zu uns zu kommen und Hi zu sagen?«
Rio schmunzelte. »Ich erinnere mich aber auch nicht daran, dass du den Arsch hochgekriegt hast, um ihm Hi zu sagen.«
»Was willst du damit sagen?«
Rio zuckte mit den Schultern. »Nur, dass ihr beide jetzt lange genug umeinander herumgetanzt seid. Wenn du ihn willst, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um ihn dir zu holen.« Er zwinkerte ihm zu. »Es wird um einiges leichter sein, ihn mit zwei gebrochenen Beinen einzufangen.«
»Wenn er mich so sehr will, warum wollte er mich im Krankenhaus dann nicht sehen?«
»Keine Ahnung. Hast du ihn je gefragt?«
Mario schnaubte. »Ja, genau, das würde auch überhaupt nicht verzweifelt klingen.«
Verspielt stieß Rio Mario den Ellbogen in die Seite. »Für mich klingt das so, als wärt ihr beide ziemlich unglücklich. Warum gehst du das Risiko nicht ein? Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?«
Mario begann, seine inneren Argumente an den Fingern abzuzählen. »Ich könnte am Ende wie ein Idiot dastehen. Ich könnte am Ende mit einem gebrochenen Herzen dastehen.« Er warf Rio einen Blick zu. »Und ganz wichtig: Ich könnte am Ende herausfinden, dass er mich nur für Sex benutzt, weil ich so gut aussehe.«
»Scheiße. Nicht schon wieder die ganze Sache mit dem hübschen Accessoire.« Rio seufzte.
»Hey. Ich bin der Sohn eines hübschen Accessoires. Ich weiß, was diese Behandlung einem Menschen antun kann.« Mario biss sich auf die Lippe. Obwohl Rio sein bester Freund war, hatte er nicht vorgehabt, die Geheimnisse seiner Familie auszuplaudern.
Er konnte Rios Blick auf sich spüren. Rio war zu höflich, um nachzuhaken, doch Mario wusste, dass er die Aussage entweder erklären oder sich darauf einstellen musste, diesen Blick zwanzigmal am Tag zu bekommen. »Es ist keine große Sache, ehrlich. Meine Mom war eine wunderschöne Frau, sie hat einen reichen Mann kennengelernt, er hat sie zu den angesagtesten Partys der Stadt mitgenommen… bla, bla, bla. Als sie mit mir schwanger wurde, hat er ihr einen Haufen Geld bezahlt und sie aufgefordert, zu verschwinden.«
»Fuck. Das ist beschissen. Und er hat sich nie bemüht, dich zu sehen?«
Mario lachte auf. »Ich weiß noch nicht mal, wer er ist. Sein Name steht nicht auf meiner Geburtsurkunde.« Er zuckte mit den Schultern. »Soll mir recht sein. Ich muss niemanden kennen, der ihr so etwas angetan hat.«
»Aber jetzt steckst du Asa in dieselbe Schublade. Vielleicht ist er überhaupt nicht so. Ich weiß jedenfalls, dass ich nie diesen Eindruck von ihm hatte.«
Marios Finger wanderten zu seinem Unterlippenbärtchen und zogen leicht daran. War es das, was er getan hatte?
Wieder wurde ihm ein Ellbogen in die Seite gestoßen. »Jetzt gib dem Mann wenigstens eine Chance, hm?«
Mario fühlte sich in die Ecke gedrängt. Wie zu erwarten war, tat er genau das, was er immer getan hatte, und ging in die Offensive. »Der Mistkerl hat versucht, mich zu bestechen.«
»Inwiefern?«, fragte Rio. Um seine Lippen spielte dieses diabolische Lächeln, das bedeutete, dass er etwas zu beweisen versuchte.
»Indem er versucht, mich zum doppelten Gehalt anzustellen? Wie nennst du das sonst?«, platzte Mario heraus.
»Ähh… einen Job?«
Mario öffnete den Mund, um zu protestieren, schloss ihn dann jedoch schnell wieder. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, war es nicht das Jobangebot, das ihn verletzt hatte. Er hatte ein Jahr lang mit Asa gearbeitet, um den Mann in bessere Form zu bringen. Es war nicht die Arbeit mit Asa, die ihn störte. Es war die Tatsache, dass er ihn wie einen Callboy und nicht wie einen Freund behandelte.
Ein leises Klopfen erklang an der Tür und erregte die Aufmerksamkeit der beiden Männer.
»Ja?«, rief Rio.
Die Tür wurde geöffnet und Pams süßes Gesicht wurde von einem Grinsen erhellt. »Ich hab euch beide beim Faulenzen erwischt, oder?«
Mario lachte leise und stand auf. Seit der Tragödie hatte Pam beschlossen, dass sie fitter werden musste. »Nein, wir gönnen uns nur eine Pause zwischen nervigen Kunden.«
Daraufhin lachte Pam und täuschte einen Schlag an. »Warte nur, bis ich meine Boxhandschuhe angezogen habe, dann zeige ich dir, wer hier nervig ist.«
Kopfschüttelnd folgte Mario Pam aus dem Büro. Seit den Ereignissen vor zwölf Wochen war ihm aufgefallen, dass es zwei unterschiedliche Reaktionen auf die Tragödie gab. Ein paar Menschen – wie Pam – nutzten das Unglück, um ihr Leben neu zu bewerten. Sie zogen Bilanz darüber, was sie hatten, und waren fest entschlossen, jeden Tag in vollen Zügen zu genießen. Andere schienen sich noch immer in Schockstarre zu befinden. Einigen war es sehr schwergefallen, mit dem Tod eines geliebten Menschen umzugehen, andere hatte es an ihre eigene Sterblichkeit erinnert.
Mario wusste immer noch nicht, zu welcher Gruppe er gehörte. Wenn er die Vergangenheit ruhen ließ, würde es ihm vielleicht helfen, mit der Gegenwart klarzukommen. Zum Teufel, möglicherweise hätte er sogar ein bisschen Hoffnung für die Zukunft, wenn er das tun würde?
Während er mit Pam trainierte, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Asa zurück. Mario schätzte, dass Asa zu der zweiten Kategorie der Überlebenden zählte. Obwohl er wetten würde, dass Asas gebrochene Knochen gut verheilten, war er sich im Hinblick auf seinen Geist nicht ganz so sicher.
Er erinnerte sich an das Gefühl, das ihn überrollt hatte, als ihm mitgeteilt worden war, dass Asa im Helikopter ins Krankenhaus geflogen worden war. Diese Gefühle waren immer noch da, trotz der Wut, die sie danach überlagert hatte. Vielleicht war es an der Zeit für ein Versöhnungsangebot.