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Familienbande – Losgelöst von alten Seilen in eine neue Liebe

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Vincent, Händler, 51 Jahre, Antwerpen

Es war im Spätsommer 1997. Unsere Mutter hatte zu ihrem runden Geburtstag eingeladen. Wenn bei uns gefeiert wird, dann immer sehr groß. Auch zu diesem Fest wurden 300 Gäste eingeladen. Die Gästeliste setzte sich aus Familienmitgliedern, Freunden und engen Geschäftspartnern zusammen. Die Tischordnung spielte mir eine sehr attraktive Frau als Tischnachbarin zu. Ihr bezauberndes Aussehen erhöhte die Taktung meines Herzens auf Anhieb. Ihr eng anliegendes, schwarzes Corsagenkleid brachte ihre Figur aufs Schönste zur Geltung, ihre langen brünetten Locken fielen auf ihre nackten Schultern. Ich verliebte mich auf der Stelle in diese wunderschöne Frau, und wir feierten an diesem Abend lang und ausgiebig. Meine Mutter verfolgte in den folgenden Wochen genau, wie sich meine Beziehung zu Maya entwickelte.

Wir kannten uns ein halbes Jahr, da hielt ich in aller Form um ihre Hand an. Ich komme aus einer reichen Händlerfamilie, alle aus meiner Familie handeln mit irgendetwas. Mit Möbeln, Diamanten oder Blumen. Bis zu meinem 39. Lebensjahr hatte ich ein flottes Leben. Ich liebe das Risiko im Sport, je schneller das Auto, je höher die Wellen, je steiler der Abhang, desto besser. Bei aller Freiheit, die ich genoss, gab es bei uns ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn die Familie tagt, hat man zu erscheinen. Bei Familienfeiern war Anwesenheitspflicht. Die Pflichttermine, wie ich sie nannte, hielten sich von der Anzahl pro Jahr im Rahmen. Es war immer besser, zu diesen Terminen zu erscheinen, als den Groll der Familienbande, allen voran meiner Mutter, auf sich zu ziehen. Im Familienverbund hatte jeder zu funktionieren, jeder hatte seine unveränderbare Rolle. Ich kann nur ahnen, dass meiner Mutter mein flottes Leben nicht mehr gefiel, je mehr ich auf die 40 zuging. Sie wollte, dass ich endlich heiratete und eine Familie gründete. Das sagte sie nicht offen. Sie zeigte ihren Willen durch Gesten und Nichtbeachten.

Rasse, Klasse, Masse, dieses Sprichwort gilt auch im 21. Jahrhundert. Händlerfamilien kennen sich. Die unverheirateten Sprösslinge sollen eine gute Partie machen. Es kommt durchaus vor, dass neben der Trauung zweier Menschen auch zwei Firmen fusionieren und so zu einem größeren Handelsunternehmen aufsteigen. Arrangierte Zweckehen kennt man sonst nur aus dem Nahen Osten. Wenn ich erzähle, dass es solche Arrangements auch im Westen gibt, ernte ich nur ungläubiges Kopfschütteln.

Natürlich war, im Nachhinein betrachtet, die Sitzordnung am Geburtstag meiner Mutter reines Kalkül gewesen. Der Sohn braucht eine Frau, und zwar eine standesgemäße. Meine Mutter plante, die beiden Familienunternehmen ebenfalls zu einem ernsten Konkurrenten zusammenzuführen.

Bis zum Tag unserer Hochzeit wusste ich nicht, dass unsere Ehe Mayas zweite Ehe sein würde und sie einen kleinen Sohn im Alter von fünf Jahren mit in unsere Ehe brachte. Zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens lief ihre Scheidung noch. Ich selbst war damals in einer festen Beziehung, jedoch war die Frau in den Augen meiner Mutter nicht standesgemäß. Meine Freundin verstand sich nicht mit meiner Mutter, sie redete ihr nicht nach dem Mund. Die Familiengepflogenheiten, von meiner Mutter vorgegeben, akzeptierte sie, hielt sich jedoch nicht immer daran. Ich wollte niemals eine Frau mit Kind heiraten, eine Frau mit schon gelebtem Leben. Ich wollte nur gemeinsame Kinder und niemals als Ersatzvater fungieren. Bei Freunden hatte ich zu oft mitbekommen, dass ihre Beziehungen zu Frauen mit Kindern schwierig waren. Ich erlebte, dass meine Freunde aus der engen Mutter-Kind-Beziehung ausgeschlossen waren. Die Beziehung zwischen Mann und Frau litt darunter. Harmonie kam selten auf.

Maya führte ein ebenso flottes Leben wie ich, das verband uns. Weit weg von allen Normen zu leben, soweit die Familienbande dies zuließ. Nächtelang durchtanzen, kurz nach Paris oder London zum Frühstück jetten, in den Alpen schwarze Pisten hinunterdonnern, das war unsere Welt. Dabei war Maya jedoch nicht spontan, alles musste vorher abgesprochen und organisiert werden. Ich bin eher der Typ: ins Auto setzen, losfahren, der Sonne entgegen.

Unsere Hochzeit war gigantisch. Wir feierten ein rauschendes Fest in einem schlossähnlichen Anwesen in Deutschland mit Band und Feuerwerk. Ich war überglücklich und wahnsinnig verliebt in meine schöne Braut. Wenn ich heute unsere Hochzeitsfotos anschaue, erkenne ich einen zufriedenen, fast schon süffisanten Zug um den Mund meiner Mutter. An diesem Tag hatte sie ihre Wunschschwiegertochter bekommen. Sicherlich liefen die Gespräche über einen gemeinsamen Marktauftritt der beiden Traditionsunternehmen hinter verschlossenen Türen schon.

Ich kaufte ein Haus für uns, es wurde repräsentativ eingerichtet. Es dauerte nicht lange, da war Maya schwanger. Über diese Nachricht war ich sehr glücklich, denn es war unser erstes gemeinsames Kind. Johann, Mayas Sohn aus erster Ehe, liebte mich sehr, und ich liebte ihn ebenfalls. Aber wenn Maya mit ihm zusammen war, waren sie und Johann wie eine Person, und ich lief nebenher. Es war nicht möglich, diese intime Mutter-Sohn-Bindung zu lockern und mich zu integrieren. Alles, was ich vorher bei meinen Freunden miterlebt hatte und wogegen ich mich entschieden hatte, holte mich nun ein.

Erst unmerklich, dann immer stärker, mischten sich meine Schwiegereltern in unsere Ehe ein. Das verstärkte sich, als Luisa geboren wurde. Sie mischten sich in unsere Beziehung ein, schrieben uns vor, was wir essen sollten, welche Designer-Marken wir tragen sollten. Und sie mischten sich massiv in die Erziehung von Luisa ein. Wir lebten im goldenen Käfig. Maya und ich entfernten uns immer weiter voneinander, auch sexuell lief fast nichts mehr, nach zwei Jahren Ehe. Maya betreute die beiden Kinder, sonst hatte sie keine weitere berufliche

Verpflichtung. Wenn ihr langweilig war, telefonierte sie mit ihren Jet-Set-Freunden auf der ganzen Welt.

Zu dieser Zeit arbeitete ich sehr viel, war beruflich viel auf Reisen. Es lief gut, aber wir hatten auch hohe Fixkosten, die alle bezahlt werden mussten. Ich wurde immer unzufriedener in unserer Ehe, und die Einmischung meiner Schwiegereltern in Erziehungsfragen brachte das Fass dann zum Überlaufen. Immer öfter rastete ich aus und wir schrien uns nur noch an. Der Cocktail aus Streit und Einmischung der Schwiegereltern verbitterte mich, meine Nerven lagen immer mehr blank. Dazu kam unsere mittlerweile schlechte körperliche Beziehung, ich vermisste unsere Zärtlichkeit sehr. So lief es immer weiter bis zu einem Abend im Juli.

Ich kam gegen 20 Uhr von einer Geschäftsreise nach Hause, Luisa und Johann lagen schon in ihren Betten. Leise öffnete ich die Kinderzimmertür, trat ein und schloss die Tür wieder. Luisa stand in ihrem Bettchen. Sie sah mich mit ihren himmelblauen Augen strahlend an und streckte mir ihre kleinen Ärmchen entgegen. Nach drei Tagen Geschäftsreise freute ich mich sehr, sie zu sehen, und drückte sie fest an mich. In diesem Moment wurde die Kinderzimmertür aufgerissen. Maya stand in der Tür und schaute mich wutentbrannt an.

„Das hast du jetzt davon, jetzt ist sie wieder wach“, schrie sie mich an. Ein Wort gab das andere, bis ich ihr eine knallte. Wir standen beide wie angewurzelt voreinander und starrten uns kalt an. Meine Entschuldigung für die Ohrfeige bemerkte sie mit den Worten: „Das wirst du schon noch sehen“, die sie mir im Weggehen zurief. Mit dem Kind auf dem Arm ging ich die Treppe hinunter. Luisa und ich kuschelten auf dem Sofa und darüber schliefen wir ein. Morgens um sechs Uhr, die Sonne schien friedlich durch die Fenster, wachte ich mit dem Kind im Arm auf. Ich musste los, eine zweitägige Geschäftsreise stand an, morgen Nachmittag würden wir über alles reden. Denn mir war klar geworden, dass ich so nicht mehr weiterleben wollte. Luisa legte ich schlafend in ihr Bettchen, gab ihr einen zarten Kuss, duschte, und war aus der Tür.

Am nächsten Tag hatte ich unseren Streit halb vergessen. Auf der Rückfahrt hatte ich in einem Blumenladen einen Blumenstrauß besorgt. Ich schloss unsere Haustür auf und traute meinen Augen kaum, was ich sah. Ich ging in den Flur, ins Wohnzimmer, in den ersten Stock, in alle Zimmer. Ich lief immer schneller und konnte es nicht glauben. Das ganze Haus war leer! Alle Möbel, auch die gesamte Küche, alles war ausgeräumt. Nur ein Sideboard, das ich schon als Jugendlicher besaß und das mit meinen Büchern und CDs gefüllt war, stand hinter der Tür im Wohnzimmer.

Ich fühlte mich gar nicht und meine erste Reaktion war Lachen. Ich begriff eine ganze Weile nicht, was passiert war. Auf der Treppe sitzend spürte ich eine Ohnmacht, gepaart mit einer unglaublichen Wut, in mir aufsteigen. Lange saß ich auf der Treppe, bis ich die Tatsache, dass Maya mit den Kindern und sämtlichen Möbeln verschwunden war, in mir aufnehmen konnte. Was dann folgte, war ein automatischer Ablauf, wie ich ihn tagein, tagaus im Beruf erledigen muss: Ich organisierte. Diesmal neue Möbel für mich. Durch meinen großen Freundeskreis lief es wie ein Lauffeuer: Vincent sitzt im leeren Haus und braucht Sessel, Sofa, Herd, Kühlschrank, Bett, Schrank, Decken, Wäsche, Lampen. 24 Stunden später hatte ich eine bunt zusammengewürfelte Einrichtung zusammen. Mein Essteller stand auf einer Apfelsinenkiste, über die ich ein weißes Handtuch geworfen hatte. Es war noch nicht einmal Shabby Chic, aber ich hatte alles da, was ich zum täglichen Leben und zum Funktionieren brauchte. Darüber war und bin ich meinen Freunden noch heute sehr dankbar.

Anschließend begann der größte Alptraum meines Lebens. Nicht nur, dass meine Familie, vor allem meine Mutter, mir die größten Vorhaltungen machte. Das war noch erträglich. Mir ging es vor allem darum, meine Tochter wiederzusehen, die ich seit mittlerweile zwei Wochen nicht gesehen hatte. Maya war mit den Kindern in dieser Nacht- und Nebelaktion in eine Stadt nach Deutschland gezogen, die 250 km entfernt lag. Das hatte ich durch einen Detektiv herausbekommen. Ich setzte mich ins Auto und fuhr hin. Der Versuch, meine Tochter zu sehen, schlug fehl. Ich wurde abgewiesen wie ein Schwerverbrecher. Von innen hörte ich Luisas helle Stimme rufen, denn sie hatte mich durchs Fenster gesehen.

Auf der Rückfahrt musste ich auf dem Seitenstreifen der Autobahn anhalten. Ein Weinkrampf, einem Nervenzusammenbruch nahe, durchschüttelte mich. Es war, als würde mir mein Herz blutig in tausend Stücke gerissen. Ich hatte solche Sehnsucht, meinen kleinen Schatz Luisa fest an mich zu drücken und meine Nase in ihr weiches Haar zu pressen.

Wieder zu Hause, war ich ruhelos und etwas trieb mich innerlich an, mich mit dieser Situation nicht abzufinden. Am nächsten Tag rief ich beim Jugendamt und dem zuständigen Gericht an. Ich setzte alle Hebel in Bewegung, damit ich meine Tochter wiedersehen konnte. Das Jugendamt gab mir die Auskunft: „Das können Sie vergessen. Sie haben Ihre Frau zusammengeschlagen. Das war ein Riesenfehler.“ Es war eine Ohrfeige gewesen, die mir sofort leidgetan hatte. Und für die mich auch sofort bei Maya entschuldigt hatte. „Damit kommen Sie nicht durch“, wurde ich abserviert.

Nein, damit wollte ich mich nicht zufriedengeben. Ich recherchierte im Internet und stieß auf den Weißen Ring. Schon am nächsten Tag fuhr ich dorthin und erzählte meine ganze Geschichte. Der Mitarbeiter beim Weißen Ring begriff die Situation sofort. Aufgrund seiner Tätigkeit erhielt die Mitarbeiterin beim Jugendamt eine Abmahnung, später wurde sie fristlos entlassen. Zudem erreichte der Weiße Ring, dass ein gemeinsames Gespräch zwischen Maya, Luisa und mir stattfinden konnte, gemeinsam mit der neuen zuständigen Frau vom Jugendamt sowie dem Herrn vom Weißen Ring. An diesem Termin kam Luisa mir freudestrahlend entgegengelaufen und rief immerzu: „Papa, Papa!“ Endlich hatte ich meinen kleinen Schatz auf dem Arm! Sie schlang ihre Ärmchen um meinen Hals und drückte so fest zu, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Ich herzte und küsste sie und war überglücklich.

Nach diesem Treffen dauerte es noch ein halbes Jahr bis zur Gerichtsverhandlung, in der ich Luisa nicht sah. Meine Arbeit lief irgendwie nebenher, meine Mutter setzte mir mit ihren harten Kommentaren sehr zu. Tief in meinem Herzen jedoch hatte ich die Liebe gespeichert, die mir meine Tochter Luisa an unserem letzten Treffen so intensiv gegeben hatte. Daran glaubte ich und auch daran, dass ich alles schaffen würde. Schaffen musste. Ich wollte um Luisa kämpfen, darum, sie zu sehen und in Kontakt mit ihr zu bleiben. Das bedeutete mir alles auf der Welt.

Aus irgendeinem Grund, den ich heute nicht mehr weiß, wurde der Gerichtstermin ausgesetzt. Ich setzte wieder alle Hebel in Bewegung, arbeitete eng mit dem Weißen Ring zusammen und auf deren Anraten auch mit einem Gutachter. Ich erwirkte einen Zwangsbesuchstermin, an dem alle Anwälte, Behörden und der Gutachter anwesend waren.

In der Nähe des neuen Wohnortes meiner Ex-Frau wurde das Treffen auf der grünen Wiese arrangiert. Die Jugendamtsmitarbeiterin, der Gutachter, der Mitarbeiter vom Weißen Ring, die Anwälte und der Richter standen mit Maya und Luisa am Treffpunkt. Ich musste meinen Wagen in einiger Entfernung parken, jemand öffnete die Fahrertür und ich stieg aus. In dem Moment, als Luisa mich erblickte, lief sie los und rief wieder „Papa, Papa!“. Ich lief ihr entgegen, nahm sie auf den Arm und weinte wie noch nie in meinem Leben. Ein Jahr lang hatte ich meinen Sonnenschein nicht gesehen. Die beteiligten Personen standen am Wegesrand und sahen uns zu. Alle Berichte, die Maya über mich abgegeben hatte, dass Luisa ihren Vater nicht mag, sogar Angst vor ihm hätte, verloren durch diese innige Geste ihre Wirkung. Mit dem Kind auf dem Arm ging ich zu ihnen hin, übergab Luisa wieder ihrer Mutter und sprach zum Richter und zur Jugendamtsleiterin: „In meinem ganzen Leben bin ich noch nicht so gedemütigt worden wie heute.“

Der kurzfristig anberaumte Gerichtstermin ergab für mich ein Besuchsrecht auf Lebenszeit alle 14 Tage am Wochenende. Der Gutachter fragte ich, ob mir niemals aufgefallen sei, dass Maya dem Alkohol mehr als normal zusprechen würde. Ich verneinte. Anfangs war ich wohl zu verliebt gewesen, anschließend war ich durch die permanente Einmischung der Schwiegereltern und unsere andauernden Streits abgelenkt gewesen.

Für mich hatte sich bewahrheitet: Heirate niemals eine Frau mit Kind. Und ich schwor mir hoch und heilig, dass mir das niemals wieder passieren würde! Die Scheidung war längst eingereicht, das Haus wurde verkauft, zurück blieb ein großer Schuldenberg, den ich heute noch abzahle. Meine Ursprungsfamilie war mir in dieser Zeit kein Halt, und so warf ich mich in die Arbeit. Alle zwei Wochen fuhr ich samstagmorgens 250 km hin und zurück, um Luisa abzuholen, und sonntagsabends wieder 250 km hin und zurück, um sie zurückzubringen.

Im Beruf erreichte ich vieles. Beförderungen blieben nicht aus, und wirtschaftlich ging es mir immer besser. Meine Gesprächspartner sind hauptsächlich Männer. Deshalb war ich angenehm überrascht, als zu einem wichtigen Termin in einer großen Handelsfirma eine Frau auf mich zukam. Sie entschuldigte ihren Chef, der kurzfristig ein wichtiges Gespräch annehmen musste. Ich kannte sie vom Telefon her, also war ich damit einverstanden, dass sie das Gespräch mit mir führte. Wir tranken Kaffee und ich präsentierte ihr unsere Produktpalette. Immer wieder sahen wir uns in die Augen. Aber nicht so, wie man einem Geschäftspartner in die Augen schaut. Es war anders. Es war eine Vertrautheit in ihrem Blick, die mich angenehm berührte. Normalerweise dauern meine Präsentationen maximal eine Stunde. Wir saßen zweieinhalb Stunden zusammen. Am Schluss gab sie mir ihre Telefonnummer. Falls noch Fragen wären, meinte sie.

Ich spürte, dass die Chemie zwischen uns hundertprozentig stimmte. Noch vor ein paar Monaten hatte ich mir geschworen, dass ich niemals wieder heiraten würde. Dieser Schwur fiel mir im Auto ein, als ich von unserem Termin nach Hause fuhr. Trotzdem schlich sich ein beschwingtes Gefühl ein, sodass ich sogar die Songs im Radio mitsummte.

Der Job nahm mich wieder sehr in Beschlag, ein Messebesuch stand an, Vorbereitung, Nachbereitung, die Zeit verging wie im Flug. Fünf Wochen später, an einem Freitagabend, nahm ich den Zettel mit ihrer Telefonnummer zur Hand und rief bei ihr an.

„Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich noch zu Hause erwischen“, meldete sie sich.

„Das Glück ist immer auf meiner Seite“, lachte ich.

Wir telefonierten kurz und verabredeten uns für den nächsten Abend. Ich lud sie in ein Restaurant ein, und beim Essen erzählten wir uns unsere Lebensgeschichten. Wir redeten und redeten und beschönigten nichts. Sie war geschieden und hatte ein Kind. Es war nach Mitternacht, als wir das Lokal verließen und zu ihr gingen. Tief in mir spürte ich: Trotz ihrer Lebensumstände passt alles wunderbar. Durch unsere gelebten Geschichten waren wir beide sehr behutsam und unsere Liebe entwickelte sich wie eine zarte Blüte. Wir verstanden uns nur mit Blicken, von Anfang an. Sie spürte, was ich sagen wollte, und reichte mir die Hand. Ich fühlte mich bei ihr geborgen und angenommen. Eines verband uns zudem auf Anhieb: Wir sind beide spontane Menschen. Wir machen einfach und reden nicht lange drum herum.

Am nächsten Tag stieg Panik in mir auf. Die seelischen Verletzungen, die ich durch die Trennung von meiner Frau erlebt hatte, wurden an die Oberfläche gespült. Dazu spürte ich Ingas Verletzungen, die sie aus ihrer früheren Ehe davongetragen hatte. Wieder dachte ich daran, dass ich keine feste Beziehung haben wollte, nicht heute und auch nicht in einem halben Jahr. Trotzdem trafen wir uns gelegentlich, und unsere Treffen waren jedes Mal ein Quell der Freude und Liebe.

Mit der Zeit wurde meine innere Zerrissenheit zwischen Weglaufen zu wollen und niemals mehr verletzt werden und für immer ganz nah bei ihr zu sein immer kleiner. Wir kannten uns vier Jahre, als wir beschlossen, zusammenzuziehen. Meine Mutter sprach mich eines Abends direkt darauf an, ob ich eine neue Frau kennengelernt hätte. All die Jahre hatte ich ihr nichts von Inga erzählt. Als sie dann erfuhr, dass wir zusammenwohnten, war sie beleidigt und redete eine Zeitlang nur das Nötigste mit mir.

„Du redest mir nicht mehr in mein Leben hinein“, sagte ich zu ihr und ging meinerseits auch auf Distanz.

Am Morgen meiner Scheidung rief ich Inga von unterwegs an. Sie solle ein paar Sachen einpacken, in zwei Stunden, nach einem Termin, hätte ich eine Überraschung für sie. Daraufhin packte sie Zelt, Tasche und ein paar Essenssachen ein. Wir fuhren Richtung Küste. Am Strand angekommen, holte ich zwei Gläser und eine Flasche Sekt aus meiner Tasche.

„Auf was trinken wir?“, fragte Inga.

„Auf meine Scheidung“, antwortete ich. Alles, was mein altes Leben betraf, hatte ich vor Inga zurückgehalten. Doch diese Neuigkeit, die auch für sie wichtig war, wollte ich ihr mitteilen.

Ein Jahr später lud ich Inga zu einer Reise an die französische Atlantikküste ein. Wir fuhren früh los. Nachdem wir angekommen waren, ging Inga direkt zum Baden. Ich wollte mich von der Fahrt ausruhen. Wir vertrödelten den Tag, am Abend gingen wir zum Essen in ein kleines Restaurant an der Strandpromenade. Es ging auf Mitternacht zu, als ich Inga unter einem Vorwand, ihr etwas zeigen zu wollen, an den Strand lockte. Als wir nahe am Wasser standen und der Mond das Meer in ein silbernes Gewand kleidete, fiel ich vor ihr auf die Knie und bat sie in aller Form, mich zu heiraten. Sie antwortete mit „Ja“. Ich fragte, ob sie sich hundertprozentig sicher sei. Sie lachte und sagte, ja, sie sei sich hundertprozentig

sicher. Ich stand auf, sah ihr fest in die Augen und sagte: „Dann heiraten wir hier und jetzt.“

Ein Stückchen weiter den Strand entlang war ein kleiner Turm. Dort wartete eine Standesbeamtin auf uns. Um Mitternacht waren wir verheiratet. Ich umarmte sie überglücklich und lachte sie an: „Alles meins!“ In dieser Nacht gingen wir nicht in unsere Pension zurück. Stattdessen holte ich ein Zelt und baute es am Strand auf. Inga setzte sich in die Zeltöffnung und wartete. Ich verschwand abermals und kam im Surfanzug und mit Surfbrett unterm Arm wieder zum Vorschein. Auch mein geliebtes Hobby hatte ich ihr bis zu diesem Tag verschwiegen. Sie sah mich ruhig an und sagte nur: „Das passt zu dir!“ Ich ging hinunter zu den Wellen und ritt auf ihnen und fühlte mich wie der glücklichste Mann auf Erden.

Mittlerweile sind Inga und ich fünf Jahre verheiratet. Unser tiefes gegenseitiges Verständnis und ein gegenseitiges Geben und Nehmen verbindet uns stark. Wenn wir streiten, kann ich ihr nicht wirklich böse sein, dazu habe ich sie viel zu lieb. Glücksmomente sind kleine Gesten, ein kleiner Zettel auf meinem Arbeitstisch, auf dem sie etwas Liebes für mich geschrieben hat. Oder eine Tafel Schokolade auf meiner Tasche für unterwegs, wenn ich auf Geschäftsreise muss. Der Upperclass-Yuppie hat Tiefgang bekommen, so würde ich meine Entwicklung beschreiben.

Einmal, vor eineinhalb Jahren, hatten Inga und ich einen heftigen Streit. Da merkte ich, dass meine Angst, mein Kind zu verlieren, noch tief in mir steckt. Nach unserer lautstarken Auseinandersetzung nahm Inga unsere Tochter, setzte sie ins Auto und fuhr zu ihren Eltern. Ich fuhr zu Freunden. Als ich am Abend spät nach Hause kam, lag das Haus im Dunkeln. Inga konnte ich weder über Festnetz bei ihren Eltern noch über ihr Handy erreichen. Ich erlebte eine Panikattacke, die mich noch Tage danach beschäftigte. Inga kam am nächsten Morgen nach Hause. Sie war mit ihrer Familie zu Freunden gefahren und hatte ihr Handy in ihrem Auto vergessen.

Rückblickend muss ich zugeben, dass ich durch meine Lebenserfahrungen heute auf dem Boden der Tatsachen angekommen bin. Meine Scheidung, aber vor allem die anfängliche Trennung von meiner Tochter, hat mich gebrochen. Aus diesem Tal der Tränen bin ich gestärkt hervorgegangen. Ohne diesen schlimmen Fall hätte ich die tiefe Liebe zu Inga wohl niemals kennengelernt. Ganz langsam traute ich mich, wieder Liebe in mein Leben zu lassen. Inga hat mich niemals gedrängt, weil es in ihr ähnlich aussah.

Für meinen Mut bin ich reich belohnt worden. Als dynamischer und ehrgeiziger Mann habe ich gelernt, besonnener und ruhiger mit mir und anderen umzugehen. Ich bin dankbar dafür, dass ich lebe, dass ich so bin, wie ich bin, und dafür, dass ich meine große Liebe gefunden habe. Jeder Mensch ist einzigartig, keiner lächelt so wie ich, keiner sieht den Himmel so wie ich. Durch meinen Lebensweg habe ich den Glauben wiederentdeckt. Wir sprechen vor dem Essen ein Tischgebet, und ich bete mit den Kindern zur guten Nacht. Glücklich sein, Liebe und ein Lächeln haben für mich einen größeren Stellenwert bekommen als ein volles Bankkonto.

Mein Lebensmotto? Don’t worry, be happy. Eigentlich habe ich keins, denn ein Motto ist viel zu wenig für ein ganzes Leben. Wenn ich mehr darüber nachdenke, glaube ich, dass ich kein Motto brauche, wenn ich den Sinn meines Lebens richtig begreife. Anderen Menschen ein Lachen ins Gesicht zaubern und sie glücklich machen, das ist mein Sinn des Lebens, und ich möchte ihn jeden Tag leben. Möglicherweise arbeite ich nicht mehr lange als Händler. Manchmal denke ich daran, eine Aufgabe zu übernehmen, in der ich meinen Sinn des Lebens voll ausleben kann. Diesen Gedanken gehe ich nach, wenn ich auf meinem Lieblingsmöbel, einer dunkelroten Ledercouch, sitze, ein Glas Rotwein auf dem Tischchen neben mir steht und die Kerzenflamme durch den leichten Windzug flackert.

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