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Episode 45: Quak!
ОглавлениеBehaupten Enten hin und wieder. Gebildete Kreise rufen die in Schwimm- und Tauchenten gruppierbaren Vögel (Aves), welche DIE Chinesen (also alle 1,3 Milliarden) so hervorragend zubereiten können, Anatinae. Die Unterfamilie der Enten(verwandten) gehört zur Familie der Entenvögel (Anatidae), der artenreichsten Familie aus der Ordnung der Gänsevögel (Anseriformes); es ist also so ähnlich wie bei den Käuzen, Eulen und Eulenvögeln [vgl. Episode 34]. Die Familie der Entenvögel umfasst etwa 150 verschiedene Enten- und Gänsearten.
Aber vermutlich berührt Sie die taxonomische Einteilung in Klasse/Ordnung/Familie/Gattung/Art nicht sonderlich, und selbst die wichtig klingenden wissenschaftlichen Tiernamen lassen Sie unbeeindruckt, alles bisher Dozierte läuft an Ihnen folglich ab wie das Wasser am Entenflügel.
Der in dieser Wendung geborgte (industriell bereits lukrativ nachgeahmte) Abperleffekt, der u.a. am Flügel von Enten bewundert werden kann, entsteht durch fleißiges Imprägnieren des Gefieders. Die Ente trägt dabei selbst produziertes öliges Sekret aus der Bürzeldrüse am Schwanzansatz mit Schnabel und Kopf auf die Deckfedern auf, ein „Putzvorgang“, den man an jedem Ententeich beobachten kann. Und das aufgetragene Bürzelfett zum Abdichten der Ente ist wichtig, denn sonst wäre sie nicht vor Wasser- und Kälteeinbruch geschützt, was sich negativ auf Schwimmleistung und Überlebensfähigkeit auswirken würde.
Vermutlich wird eine Ente ohne ausreichende Imprägnierung unverzüglich, als wäre sie aus Blei, von der Schwimm- zur ewigen Tauchente. Schlechte bis nicht vorhandene menschliche Schwimmleistungen werden ebenfalls mit Plumbum umschrieben, dem chemischen Element, das für „Schwere“ schlechthin steht. Schwimmt jemand wie eine bleierne Ente, dann kann sich der Quietscheentchenbesitzer im Planschbecken schlecht über Wasser halten, eventuell geht der Schwimmflügelverweigerer gar unter und der aufmerksame Bademeister muss eingreifen – wenn nicht schon von der Kommune wegrationalisiert.
Aber solange es noch in privilegierten Großstädten einen Bademeister gibt, da die kommunalen Politiker dem Volke dort gnädigerweise ein einziges Schwimmbad gelassen haben, darf der Trillerpfeifen-bewaffnete Aufpasser in Weiß – selbst mit Badelatschen – keine lahme Ente sein. Diese, einen langsamen, schwunglosen, schlaffen Menschen bezeichnende Wendung stammt aus dem Englischen: Der Titel „lame duck“ ist besonders in den Vereinigten Staaten beliebt; er wurde und wird gerne an handlungsunfähige Personen verliehen, insbesondere Politiker und Manager sind bedauernswerte Opfer dieser Auszeichnung.
Opfer der Anrede als lahme Ente kann neben behäbigen oder unfähigen Menschen ferner ein langsames Fahrzeug sein, das es vielleicht noch nicht mal auf 200 bringt und innerhalb geschlossener Ortschaften mit lediglich 55 km/h über den Asphalt kriecht (natürlich sitzt in einem so krassen Fall immer eine Frau oder „Opa mit Hut“ hinterm Steuer).
Neben dem Karosseriedesign soll mutmaßlich gerade die Höchstgeschwindigkeit eines gemütlichen Watschelgangs zur alternativen Namensfindung des Citroën 2 CV beigetragen haben. Sicherlich war auch die „Federung“ Schuld, dass die Klapperkiste, die schon lange nicht mehr gebaut wird und kaum noch auf den Straßen bewundert werden kann, an eine dahinwatschelnde Ente erinnert(e).
Auch der moderne (Boulevard-)Journalist muss flink am Unfallort sein, am besten sogar vor den Rettern und Helfern, die nur die (Foto-)Berichterstattung stören. Wichtiger sind dagegen Passanten, die Augenzeugen, die ALLES gesehen haben (wollen) und so geschwätzig wie ein Entenbürzel sind. Da macht es gar nichts, dass deren oraler Output mit dem des Unterbürzelbereichs identisch ist.
Die meisten Medienvertreter bleiben aber in der warmen Stube und pfuschen ihre Artikelchen aus geklauten Textbausteinen zusammen; und wenn sie tatsächlich mal kreativ sind, dann denken sie sich einfach etwas aus. Das journalistische Produkt wird Zeitungsente genannt. Da die Redakteure heutzutage ihre „Recherchen“ in sämtlichen Medien (gleichzeitig) verbreiten, bietet sich der allgemeine Ausdruck Presseente oder nur Ente an.
Wo dieser Ausdruck für eine Falschmeldung, eine erstunken und erlogene – aber veröffentlichte – Nachricht herkommt, darüber gibt es mehrere Theorien:
Ein phonetischer Ansatz basiert auf der Abkürzung „n.t.“ für das lateinische „non testatum“ (<dt.> „nicht bezeugt“), die sich deutsch „En-te“ spricht. Mit diesem Vermerk pflegen manche Zeitungsredaktionen unverbürgte Meldungen zu versehen, die gleichwohl gedruckt werden. Für Redaktionen, die das Recherchieren schon aufgegeben haben, eine praktische Einrichtung.
Übrigens: Die manchmal auftauchenden Übersetzungen „not testified“ oder gar „not true“ können als moderne – weil englische – Verhunzungen des lateinischen Kürzels abgetan werden.
Insgesamt ist die n.t.-Theorie sehr interessant und einleuchtend, aber höchstwahrscheinlich falsch.
Ebenfalls nett, aber leider genauso dürftig belegt, ist die These, das unzuverlässige Brutverhalten der Enten hätte etwas mit der Zeitungsente zu tun. Die in etlichen Fabeln aufgegriffene Flatterhaftigkeit der Ente hätte letztendlich bewirkt, dass sie ihren Name für unzuverlässige Nachrichten hergeben musste.
Die allseits favorisierte Herkunftsdeutung geht davon aus, dass die Zeitungsente um 1850 aus Frankreich in den deutschen Wortschatz eingewandert ist: Das französische Wort „canard“ heißt grundsätzlich Ente, zusätzlich aber auch Flugblatt, Schnurre und schließlich Falschmeldung. Im frühen 18. Jh. wurde der französische Ausdruck „donner des canards“ (<dt.> „Enten geben“) im Sinne von „einem etwas vorlügen“/„täuschen“/„jemandem etwas weismachen“ gebraucht. Diese Kurzform entstand aus „vendre (oder: donner) un canard à (la) moitié“ (<dt.> „eine Ente zur Hälfte verkaufen“), einer im 16. und 17. Jh. üblichen Redensart, die einen Betrug kennzeichnete. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde die Wendung immer kürzer und die Bedeutung „Lüge“/„Betrug“/„Täuschung“ allein auf die Ente übertragen.
Und schließlich gibt es da noch die Theorie der „blauen Ente“, die ihre Wurzeln in der Reformationszeit hat und damit älter ist als der canard-Ansatz: In jenen bewegten Zeiten stand die „blaue Ente“ für einen Schwindel, eine Lüge, eine Irrlehre. Die Redewendung „von blauen Enten predigen“ war weit verbreitet und etwa Martin Luther (1483-1546) wird im Deutschen Wörterbuch der Grimms folgendermaßen zitiert: „So kömpts doch endlich dahin, das an stat des evangelii und seiner auslegung wiederumb von blaw enten gepredigt wird.“
Daneben soll zur aktiven Zeit des Reformators eine polemische Verdrehung des Wortes „Legende“ belegt sein: aus „Legende“ wurde „Lügende“ und „Lugente“. Vielleicht spielt diese Wortveralberung eine (ergänzende) Rolle bei der Herkunft der Zeitungsente.
Wie übrigens die (Lügen-)Ente gerade zur blauen Farbe gekommen ist, das ist rätselhaft – bei diversen anderen bläulichen Redewendungen ist dies nicht anders.
Apropos farbige Ente: Das farbenprächtige, auffällige, herrliche Männchen wird Erpel (auch: Enterich) genannt; beim unscheinbaren, schlichten, dämlichen Weibchen bleibt es bei der Charakterisierung als Ente (manchmal sogar als Gans), wir kennen diese Geschlechterdiskriminierung schon von den Fasanen [vgl. Episode 37]. Folglich ist ein nicht besonders hübsches junges Mädchen ein hässliches Entlein. Die derart ausgedrückte Unansehnlichkeit beinhaltet jedoch die Hoffnung, dass sich dies noch geben wird, wie uns das dänische Märchen lehrt, das diese Titulierung prägte: „Das häßliche junge Entlein“ von Hans Christian Andersen (1805-1875) hatte es anfangs wirklich nicht leicht auf dem Entenhof: „... das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war und so häßlich aussah, wurde gebissen, gestoßen und ausgelacht, und das sowohl von den Enten wie von den Hühnern.“ (...) „später wurde es schlimmer und schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt; selbst seine Schwestern waren ganz böse gegen dasselbe“ (...) „Und die Enten bissen es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen, welches die Tiere füttern sollte, stieß mit den Füßen nach ihm.“ Dieser Terror wirkte sich auf die Selbsteinschätzung des stark suizidgefährdeten Entleins aus: „ich bin so häßlich, daß mich selbst der Hund nicht beißen mag!“
Die Tortur ging noch einige Jahreszeiten so weiter, aber am Ende lachte der Schwan. Das Entlein war nämlich gar keine profane Ente, sondern entwickelte sich zu einem wunderschönen, großen, würdevollen, weißen Schwan, den alle aufgrund seiner Anmut bewunderten.
Diese märchenhafte Karriere erinnert mich irgendwie an unsere US-amerikanischen Freunde, die ja alle – wenn auch ohne Krankenversicherung in der Gosse liegend – in bemerkenswerter Weise an den großen Aufstieg glauben, der es ihnen bald ermöglichen wird, auf die in der Gosse Liegenden hinabzuschauen. Es gibt sogar eine Comic-Ente, die diesen „Amerikanischen Traum“ verkörpert, vermarktet von Walt Disney (1901-1966), der die US-Lebensphilosophie selbst rücksichtslos exekutiert haben soll. Scrooge McDuck heißt die Vorzeige-Ente der Amis (die manch US-Bürger wahrscheinlich sogar für real hält und in Entenhausen gern mal besuchen würde). Mit nur einem Kreuzer hat Dagobert Duck in der deutschen Version angefangen und wurde zum Fantastillionär mit eigenem Geldspeicher! Und er will immer noch mehr! Er will ALLES, wenn nötig, auch mit Gewalt! Konsequent wird diesem kapitalistischen Gewinner eine wahrhaftige „lame duck“ gegenübergestellt: Der Sozialschmarotzer Donald Duck, der ewige Loser, der von Almosen leben muss und auch soll, denn sonst würde das perverse Gesellschaftssystem der USA gar nicht funktionieren.
Aber bald sind wir ja auch so weit, nur Geduld. Dann können wir ebenso auf Kosten der Unterschichten unseren Ami-Traum verwirklichen, der darin besteht, reich, fett und doof zu werden.
Da wir gerade dekadente Feten auf Kosten der Restwelt angesprochen haben, ein kleiner Tipp für die nächste Gartenparty: Zum Abfüllen von 4 (danach nicht mehr) schnatternden und quakenden Partygänsen benötigt man:
– 3 Flaschen gekühlten Weißwein (von Aldi),
– 1 ½ Flaschen gekühlten Sekt (von Lidl),
– 6 unbehandelte Zitronen (vom Nachbarn/von der Nachbarin),
– Zucker nach Geschmack (aus der subventionierten Rübe) und
– Eiswürfel zum Kühlen (aus dem Gefrierfach).
Alles wird in einem Eimer zusammengeschüttet und mit langen, bunten Strohhalmen eiskalt „serviert“, bei größeren Festivitäten, bei sogenannten Events, kann ein Trog benutzt werden.
Wo aber der Wasservogel bei dieser als kalte Ente bezeichneten Wein-Sekt-Zitronen-Bowle herkommt, die manch Warmduscher mit Mineralwasser verwässert, das konnte ich trotz aufopferungsvoller, langwieriger, investigativer Recherche leider nicht herausfinden, und eine Ente wollte ich diesbezüglich nicht einfach veröffentlichen. Soviel ist zumindest belegt: Bereits im 19. Jh. wurde die „Ente“ als Bezeichnung eines „feinen Mischgetränks“ verwendet, womit zumindest ausgeschlossen ist, dass die Titulierung auf einer lustigen Partyidee pubertierender Nachwuchsalkoholiker [vgl. Episode 14] der modernen Spaßgesellschaft basiert.
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