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Fuck off, Münster. Krawall, Karlsquell & Krachmusik: So schlug Punk in unsere Stadt ein.

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Ausgerechnet in der Düsseldorfer Kunsthalle ist derzeit eine Ausstellung über die Anfänge von Punk in Deutschland zu Beginn der 80er zu sehen. Vierzigjährige Expunks, die heute in Werbeagenturen Prosecco statt auf der Straße Dosenbier trinken, geraten vor gerahmten Plattencovern von damals in nostalgische Schwärmerei ... und sogar die Lehrer-Illustrierte Spiegel feiert die Schau. Eifrige Soziologen ziehen an den Haaren ihrer Wissenschaftlerbärte gesellschaftspolitische Analysen herbei und unterstellen den Punks revolutionäre Absichten. Sucht jemand noch einen weiteren Beweis dafür, dass Punk heute mausetot ist? Trotzdem: Die Vernissage der Punk-Schickeria inspirierte uns zu der Frage, wie Punk damals eigentlich in Münster anfing. Also holten wir unseren Chefreporter aus dem Punk-Altersheim, ließen ihn in tiefe Hypnose versetzen und notierten seine vergessenen Erinnerungen.

1981: Der Bundeskanzler heißt noch Helmut Schmidt statt Helmut Kohl. Die DDR feiert ihr dreißigjähriges Bestehen. In Westberlin sind 140 Häuser besetzt und eine Anti-Atom-Demo in Bonn bringt eine halbe Million Menschen auf die Beine. Die Sex Pistols haben sich erst vor drei Jahren aufgelöst und klingen heftig nach. Die Toten Hosen nennen sich noch ZK (Zum Kotzen) und sind kaum bekannt. Punk ist damals taufrisch, Techno und Hip-Hop noch nicht erfunden [Hip-Hop wohl! Der Setzer]. Die gut drei Dutzend Münster-Punks, die sich samstagmittags am Lambertibrunnen treffen, sehen nicht wie Bahnhofspenner aus und wollen auch kein Kleingeld schnorren – stattdessen tauscht man die neuesten Buttons, empfiehlt die aktuellen Singles und versucht, sein selbstfabriziertes Fanzine oder eine Kassette der eigenen Punkband an den Käufer zu bringen. Punk hatte eine unglaublich kreative Dynamik: Jeder spielte in irgendeiner Band (wer kein Instrument konnte, wurde eben »Sänger«), gab ein Fanzine heraus oder betätigte sich als Ein-Mann-Label für obskure Klangproduktionen. Modeindustrie und Plattenfirmen machten um Punks noch einen großen Bogen. Band-T-Shirts, Nietengürtel und Buttons wurden in fleißiger Heimarbeit selbstgebastelt. Und fast allerorten fand sich ein Idealist, der am Wochenende einen unkommerziellen Auftritt lokaler Punkgruppen in irgendeinem Jugendheim oder Keller organisierte.

Und solche Bands gab es massenweise, etwa Anormal Null. Hier spielt Münsters erster Punk, Andreas »Sally« Bleckmann, Gitarre (ist heute Modefotograf in London). Am Bass: Frank Xerox, Herausgeber des Fanzines »Schwarz-Rot-Gold«. Während die anderen Punk machen wollen, steht Xerox auf die avantgardistischen Elektronikklänge von D.A.F. (»Tanz den Mussolini«). Er geht nach Berlin und nennt sich später Westbam. Sein Bruder Fabian tanzt noch in der ersten Reihe Pogo – und heute als Geschäftsführer der Love-Parade durch Berlins Tiergarten. Sänger »Klaus Chaos« brachte sich unter dramatischen Umständen um. R.A.F.Gier proben im Keller der legendären Kronenburg (heute Wolters I neben der Luna Bar). Münsters professionellste Punkband veröffentlichte sogar zwei Platten. Gitarrist Rolle wird wegen des Gebrauchs von Rasierwasser von anderen Punks als »Poppersau« beschimpft. Deshalb prangern R.A.F.Gier in ihrem Song »DIN-Punk« Konformitätszwänge und Spießigkeit der Szene-Cliquen an. Sänger Ralf Plaschke leitet heute die Kölner PopKomm-Messe. VNW aus Wolbeck haben kein Schlagzeug – aber viel Humor und adaptieren das Fernverkehrsmotto »Schnell, Laut, Gut.« Später überzeugen KataCombo mit der größten musikalischen Vielseitigkeit und den besten Texten unter Münsters Punkbands. Sänger Tönnis ist heute Werbetexter und Chauffeur von Helge Schneider.

Äni(x)Väx schließlich hinterlassen nicht nur unzählige Graffitis im Straßenbild, sondern auch die Erinnerung an eine Straßenschlacht während eines Auftritts, zwei Jahre nachdem ein Konzert der Punklegende Dead Kennedys in Osnabrück zu schweren Krawallen geführt hatte. 1984 fragt die Band telefonisch in der Kneipe »Neuer Krug« neben Steffi Stephans Kino-Disco Jovel Cinema an der Weseler Straße an, ob sie dort spielen dürfe. Der Wirt fragt: »Was macht ihr denn für Sound?« Statt der Antwort »Punk« versteht er aber Funk und sagt zu.

Am Abend des 4. September ist der Wirt beim Soundcheck über den »Funk« von Äni(x)Väx entsetzt und sagt die Veranstaltung kurzerhand ab. Weil sich aber vor der Tür schon viele Punks versammelt haben, von denen einige recht verwegen aussehen und finster gucken, verhandelt man: Äni(x)Väx spielen, aber nicht lange und nicht so laut. Das Konzert geht noch reibungslos über die Bühne. Doch dann verlost die Band als Showgag einen grünen »Pappkameraden«, den sie mittels Bolzenschneider besorgt hatte. Der Gewinner, ein Punk aus Greven, weiß nicht, wohin mit seinem Preis. Die Polizisten-Attrappe wird deshalb unter Gejohle auf die Straße geschlört und verursacht dort zur Belustigung der Punks einen Verkehrsstau. Autos hupen, Bierkrüge fliegen, der Pappkamerad wird mit Mofa-Benzin in Brand gesteckt. Die Kreuzung ist mittlerweile ein Scherbenmeer. Die anrückende Polizei wird mit einem Gläserhagel empfangen und setzt Reizgas ein. Weil fünf Punks verhaftet werden, unternehmen andere einen gewaltsamen Befreiungsversuch, den die Polizei abwehrt. Die Randale macht dicke Schlagzeilen in den WN, bringt Äni(x)Väx jedoch keinen Werbenutzen, weil der Bandname in den Zeitungsberichten nicht genannt wird.


Karnevalssonntag 1986 im Odeon: Wer hat das schönste Kostüm an? Zahlenmäßig gewannen die Narren auf dem Prinzipalmarkt; nach Lautstärke die Punks im »O«.

Werbung für Punk machten dagegen die beiden Punk-Girls Gabi & Moni, die in einer Live-Diskussionsrunde der ZDF-Fernsehsendung »Kinder, Kinder« zu ihren Punk-Motiven befragt wurden. Dazu fiel den beiden jedoch nicht mehr ein, als keinen Bock zu gar nichts zu haben, alles Scheiße und überhaupt: Fuck off!! Wegen der eitlen Selbstdarstellung wurden die beiden hinterher wochenlang in den Szenekneipen als »arrogante Fernsehstars« geschnitten. Diese Szenekneipen sind rasch aufgezählt: neben dem Bunten Vogel, der damals auf der Rothenburg war, dem Neuen Krug und dem Odeon besuchten Münsters Punks vor allem die Kronenburg. Die »Hippies« des linksautonomen Kneipen-Kollektivs hatten alle Hände voll zu tun, die Kids in Schach zu halten, die den Laden als ihren speziellen Abenteuerspielplatz ansahen und die Gäste mit der »Haste-mal-ne-Mark«-Leier nervten, wenn das Taschengeld mal wieder nicht fürs nächste Bier reichte. Der Neue Krug wurde von den Punks Neuer Betrug geschimpft, weil die Inhaber die Unverschämtheit besaßen, gegen das Mitbringen von Karlsquell-Dosenbier (dank einer Ode der Hamburger Punkband Slime das Punk-Kultgetränk) konsequent einzuschreiten. Weil im Billardzimmer der Kneipe oft gegen das BtMG verstoßen wurde, waren auch immer einige Zivilbeamte vom Friesenring anwesend. Diese konnten schon von weitem an ihrer schlechten Kostümierung erkannt werden (Wildlederjacke mit Nina Hagen-Button und – kein Witz! – The Police-T-Shirt). Die bemühten sich dann ebenso verzweifelt wie vergeblich um Kontakt.

Während viele Bürger vor Punks noch Respekt hatten oder hilflos herumschimpften (»Unter Adolf hätte man euch ...!!« – »Geht doch nach drüben in die DDR!!«), und die Studenten-Hippies grundsätzlich pazifistisch waren, hatten die Punks nur einen natürlichen Feind zu fürchten: den gemeinen Mofa-Assi. Die Hauptschul-Prolls von der berüchtigten Überwasserschule oder diverse Bunken-Clans aus Coerde machten Jagd auf »Punkerschweine«, und man hatte Glück, wenn man mit einem blauen Auge davonkam. Der Punk-Lifestyle selber forderte indes schwerere Opfer: Die, die dachten, sie könnten ewig so weitermachen, landeten in Psychiatrie und Knast, als Pflegefall oder auf dem Friedhof. Das alles ist jetzt so lange her, dass es zur Würde gereift ist, die Düsseldorfer Kunsthalle zu schmücken. Wenn einer den Penner-Punks am Bahnhof mal sagen könnte, dass ihre Attitüde museumsreif ist.

(Erschienen 2002)

Anmerkung:

Der Regisseur eines Dokuspielfilms über die berüchtigten »Chaostage« sagte: »Heute wird man ja beim ZDF nicht mehr Programmdirektor, wenn man nicht mindestens sechs Wochen lang Punk gewesen ist.« Das trifft zu und darum ist Punk auch endgültig restlos tot. Das Komische daran: Damals dachte man wirklich (und beileibe nicht nur in Münster), dass nach Punk eigentlich keine innovative Jugendkultur mehr kommen könne! Der weitere Lebenslauf der damaligen Mitglieder von Münsters Punkszene lässt sich grob gesagt in zwei Alternativen teilen: Kulturbetrieb oder Tod.

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