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Ellysa
ОглавлениеCasy Paix
Die Verdammten
Reiche
Soul´s Divide
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Liebe erblüht im Staunen
einer Seele
die nichts erwartet
und sie stirbt an der Enttäuschung des Ichs,
das alles fordert
- Gustave Flaubert -
Dieser Roman enthält Abschnitte, in denen Gewaltdarstellungen und Sex ( auch zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren ) vorkommen.
Sollte es gegen deine Moral verstoßen bitte ich dich dieses Buch nicht zu lesen.
Allen anderen wünsche ich viel Spaß ...
Für all jene,
welche die Dunkelheit
ebenso sehr lieben wie ich ...
Zacharias
„Zacharias? Komm schon mein Hübscher, mach die Augen auf! Oder ich werde dir Schmerzen zufügen, sodass du keine andere Wahl hast, als mir zu gehorchen.“
Viktors dunkle, hartnäckige Stimme erreichte mich in meinem Losgelöstsein und raubte mir die vollkommene Zufriedenheit, in der ich mich befand. Er holte mich aus meiner Euphorie zurück und befahl mir, mich wieder gnadenlos dem Hier und Jetzt zu stellen.
Wie konnte er nur so grausam sein?
Zuerst ließ er mich alles vergessen, trieb mich mit Qualen, Schmerz und Leidenschaft in unbeschreibliche Höhen, nur um mich dann wieder von dort wegzureißen.
Müde drehte ich mich zur Seite, schob meine Hände unter den Kopf und rollte mich zu einer Kugel zusammen. Ein straffer Zug um meinen Hals hinderte mich allerdings daran und benommen tastete ich danach. Ich spürte kaltes Leder und irgendwie wusste ich, dass es da etwas gab, das ich erfolgreich verdrängte hatte. Bis jetzt.
„Zacharias!“
Ein strenger, kalter Befehl, der mir einen Schauer über die Haut jagte. Der mich unbarmherzig daran hinderte mich in meine Träume zu flüchten, in denen ich mich so gerne verlieren würde. Plötzlich spürte ich die Berührung von Fingern. Wie sie über meine nackte Brust strichen, höher wanderten und fast sanft meine Wange berührten.
Langsam kam die Erinnerung und ich verfluchte Viktor dafür, das er es mir nicht gönnte noch ein bisschen länger, dieses losgelöste Gefühl zu genießen. Er hatte mich gefickt, bis ich alles um mich herum vergessen hatte. Viktor hatte so viel gefordert, dass ich nur zu gerne losgelassen hatte und jetzt?
Jetzt holte er mich wieder in die kalte Wirklichkeit zurück. Verlangte von mir, die Augen zu öffnen und der unumstößlichen Wahrheit zu begegnen. Wieder einmal!
Wie oft hatte er das schon getan, seitdem wir nach Kassathor zurückgekehrt waren?
Mit Viktor Spaß zu haben, war alles, was mich im Moment davon abhielt durchzudrehen.
Warum konnte er mich nicht einfach wieder ficken, damit ich wieder dieses Losgelöstsein spüren konnte?
Damit ich alles vergessen konnte, was außerhalb dieses Bettes existierte und so verflucht falsch war.
Viktors Hand verschwand von meiner Wange, nur um mein Kinn zu ergreifen und meinen Kopf zu sich umzudrehen.
„Lass mich!“, zischte ich und neue Wut erfüllte mein Innerstes.
Wut auf Viktor, der mich hier festhielt, der seine Drohung mich anzuketten wahr gemacht hatte. Wut auf Akesh, der Ellysa mit sich genommen hatte und uns wie Abschaum unserem Schicksal überlassen hatte und Wut über mein eigenes Unvermögen, irgendetwas dagegen unternehmen zu können.
„Ich werde dich in Ruhe lassen, wenn du die Augen aufmachst!“
Der Griff um mein Kinn wurde fester und ich spürte, wie Viktors dämonische Aura dunkler wurde.
Schön, ich konnte ihn also genauso reizen wie er mich!
„Ich weiß was du vorhast Zacharias und du weißt, das es bei mir nicht wirkt. Wenn du also nicht das warme Bett gegen die kalte Wand tauschen willst, dann rate ich dir, auf mich zu hören.“
„Als ob es einen Unterschied macht, wo du mich ankettest!“, meinte ich Zähne knirschend, öffnete dennoch widerwillig die Augen und funkelte den Dämon neben mir böse an.
Ein teuflisches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht und ich konnte nicht anders, als das hinreißende Muskelspiel seines nackten Oberkörpers zu betrachten, als er sich näher zu mir beugte.
„Sei brav, immerhin habe ich dir die Bannsiegel abgenommen.“
„Ja, nur um mir dieses Halsband anzulegen!“
„Ich hatte dich gewarnt keine Dummheiten zu machen.“
Viktors Lippen senkten sich auf meine und erstickten meinen aufkeimenden Protest. Er wusste genau, wie er mir den Wind aus den Segeln nehmen konnte. Sein Kuss wurde tiefer, hungriger und ich konnte mich nicht länger zurückhalten und schlang meine Arme um seinen Nacken um ihn näher zu ziehen. Sein atemberaubender Körper an meiner nackten Haut fachte erneut das schwelende Feuer in mir an. Seit wir nach Kassathor zurückgekehrt waren, verbrachten wir die meiste Zeit ihm Bett. Das hieß, eigentlich war Viktor derjenige, der es überhaupt verlassen konnte.
Der Bastard hatte seine Drohung wahr gemacht und mich mit einem mit Dämonenmagie verstärkten Lederhalsband, an einer ziemlich kurzen Leine, ans Bett gekettet.
Dabei hatte ich mich benommen!
Ich hatte weder jemanden umgebracht, noch angegriffen – noch nicht.
Ich hatte mich nur aufgeführt wie ein Irrer und gewütet wie eine Bestie. Zum Glück hatten sich Kassathors Bewohner in ihren Löchern verkrochen, denn ich hätte wahrscheinlich nicht einmal vor ihnen Halt gemacht.
Viktor wusste, dass wenn er mich hier nicht festhielt, ich Hals über Kopf in die Verdammten Reiche zurückkehren würde, um Akesh mit bloßen Händen zu erwürgen. Das Problem war nur, das es schwierig war, lebendig in die Verdammten Reiche zu gelangen, wenn man keine persönliche Einladung von Akesh oder ein verfluchtes Tor besaß. Unser verfluchtes Tor hatte Ysa unglücklicherweise versiegelt und weder ich, noch sonst irgendjemand in Kassathor, konnte es öffnen.
Viktor unterbrach unseren Kuss und richtete sich etwas auf.
„Sehr schön, ich habe wieder deine uneingeschränkte Aufmerksamkeit.“
Ich hörte die Belustigung in seiner Stimme und verzog den Mund.
„Warum bringst du mich erst in diesen Zustand, wenn du es mir nicht gönnst?“
Viktors Augen verdunkelten sich und er stand auf.
„Zacharias ich ficke dich, weil ich nicht genug von dir bekommen kann. Mir wäre es am liebsten du würdest dieses Bett überhaupt nicht mehr verlassen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass du dich mir so hingeben könntest. Dass ich alles mit deinem Körper anstellen kann, was ich will. Es gibt nichts Begehrenswerteres, als dich in diesen Zustand der Losgelöstheit zu sehen, aber je länger du dich in diesem Zustand befindest, umso schwerer wird es dir fallen zurückzukommen. Ich weiß, was für ein machtvolles Gefühl das sein kann, wenn deine erfüllte Lust dich in Trance versetzt und du alles um dich herum vergisst.“
„Das ist dein wahres Ziel. Du willst das ich meinen Plan vergesse Akesh den Kopf abzureißen.“
„Ich will nur verhindern, das du die gleichen Fehler wie früher begehst. Damals habe ich bei deinen kleinen Aufständen gegen Akesh nur zugesehen, aber jetzt werde ich das nicht mehr.“
„Kleine Aufstände?“, fauchte ich und setzte mich hin.
Am liebsten wäre ich aufgesprungen, aber Halsband und Kette hinderten mich gekonnt daran.
Viktors Grinsen wurde breiter und ich stieß einen Fluch aus. Wütend beobachtete ich, wie er in seine Hose schlüpfte und sich durch sein kurzes Haar fuhr.
„Überlasse es mir, Kontakt mit Akesh aufzunehmen.“
„Und du denkst, er antwortet dir? Er hat uns in Keross mit einer Horte wütender Magier zurückgelassen!“
Viktors Blick verdunkelte sich, als er nach seiner Tunika griff.
„Er wird seine Gründe gehabt haben.“
„So wie immer!“, rief ich zornig und ballte hilflos die Fäuste.
Die Kette klirrte leise und Viktor hob eine Augenbraue. Sein dunkler Blick verschlang mich und mit zwei Schritten war er bei mir, schob seine Hand in meinen Nacken und küsste mich besitzergreifend.
„Wenn du so wütend bist, könnte ich dich sofort wieder nehmen“, murmelte Viktor amüsiert.
Ich biss ihm in die Lippe, woraufhin ein dämonisches Funkeln in seinen Augen auftauchte. Ich sah die schwarzen Bluttropfen auf seinem Finger, als er darüber strich und einen Schritt zurücktrat.
„Wir werden später genau an dieser Stelle weiter machen mein Hübscher.“
Er drehte sich um, schnappte sich seinen Mantel und ging zur Tür.
„Verflucht Viktor! Wie lange willst du mich noch hier fest ketten? Viktor!“
Ich hörte, wie die Zimmertüre ins Schloss fiel und krallte meine Finger wütend in die Laken. Dieser Bastard hatte mich ohne ein weiteres Wort alleine gelassen. Unwillig ließ ich mich zurückfallen und starrte die Decke über mir an.
Wie lange sollte es noch so weiter gehen? Wie viel Zeit musste noch verstreichen, bis wir endlich zu Ellysa konnten?
Glaubte Viktor wirklich, Akesh würde uns in die Verdammten Reiche zurückkehren lassen, ohne etwas dafür zu fordern?
Ich legte einen Arm über die Augen und nur all zu deutlich wurde mir meine Hilflosigkeit bewusst. Zwölf Wochen waren vergangen, seit Ysas schwarze Seele einen Teil Keross verschlungen hatte. Zwölf Wochen seit sie verschwunden war, seit sie Akesh mitgenommen hatte. Zwölf Wochen, in denen ich nicht einmal wusste, ob sie überhaupt noch lebte. Ich hatte versagt.
Damals, vor all den Jahren,hatte mich Akesh zu Ellysa gesandt, um ein Auge auf sie zu haben, damit ihm die Seelen des Gleichgewichts nicht wieder entwischten. Meine anfängliche Strafe hatte sich nach und nach in mein neues Leben verwandelt, in ein Leben, das so anders war als in den Verdammten Reichen und nun auf gar keinen Fall wieder missen wollte. Vor allem wollte ich Ysa wieder an meiner Seite! Ich hatte gesehen, wie Akesh seine Hand nach ihr ausgestreckt, wie er sie mitgenommen hatte, umhüllt von reinster Finsternis.
Ysas schwarze Magie hatte Akeshs Anwesen den Erdboden gleichgemacht, genauso wie das ganze Stadtviertel. Hunderte waren gestorben und ich wollte mir nicht einmal ausmalen, wie ihre schwarze Seele triumphiert hatte.
So schwer es mir auch fiel, so musste ich mir doch andererseits eingestehen, das Akesh richtig gehandelt hatte. Hätte er Ysa nicht aufgehalten, so hätte sich ihre Zerstörungskraft noch weiter ausgebreitet. Das Einzige das ich nicht akzeptieren konnte war, dass er sie von mir fortgerissen hatte. Er hätte sie doch auch wieder nach Kassathor bringen können. Sie wäre hier sicher gewesen.
Ich rollte mich auf die Seite und wieder klirrte die Kette leise. Ich konnte regelrecht hören, wie mich das Schicksal hämisch auslachte.
Keross war unser aller Untergang gewesen. Wir waren zur schwarzen Magiergilde gegangen, um ein paar Antworten zu bekommen. Nun, zumindest hatten wir das vorgehabt. Eine unbestimmte Vorahnung hatte uns aber zögern lassen und das war unser Glück. Aus der Ferne sahen wir wie das Stadtviertel, indem sich die schwarze Magiergilde befand, dem Erdboden gleichgemacht wurde. Wie es unaufhaltsam in Dunkelheit versank und nichts mehr davon übrig blieb. Das Schicksal hatte uns seine dunkelste Seite offenbart. Wir kehrten nach Kassathor zurück, ohne Ellysa und ohne Hoffnung. Ich fühlte mich wie erstarrt und dieses Gefühl war in all den Wochen nicht gewichen. Einzig Viktor wusste wie er mich aus der Spirale von Entsetzen, Trauer, Hilflosigkeit und Wut herausreißen konnte.
„Hey Zacharias?“
Aus meinen Gedanken gerissen setzte ich mich erschrocken auf und blickte in Kyrans silbrige Augen.
„Was tut ihr hier? Wenn euch Viktor hier findet seit ihr wieder im Verlies“, murrte ich und zog mir eine der Decken über meine Blöße.
„Als ob es dort schlimmer sein könnte als hier“, entgegnete Kyran mit einem Schulterzucken.
„Du musst endlich etwas unternehmen!“
Mein Blick huschte zu Ayaz, der neben seinem Bruder aufgetaucht war.
Ich verzog missmutig den Mund und ließ mich zurückfallen. Der Tag wurde anscheinend noch schlimmer als gedacht. Die Anwesenheit der Zwillinge verschlechterte meine eh schon miese Laune gewaltig.
„Ihr wisst genau, dass ich das nicht kann.“
„Du kannst! Du hast nur Angst vor dem, was du finden könntest! Bist du nur Viktors Spielzeug oder mehr als das?“
Ich ballte wütend meine Finger und verkniff mir ein Knurren. Die Dämonenbrüder trafen genau ins Schwarze. Eine Tatsache, die ich niemals zugeben würde. Ich hatte wirklich Angst davor aus diesem Bett zu steigen. Meine Wut würde mich zwar vorantreiben, würde mich handeln lassen, egal welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde, aber sie war eben nicht das einzige, was ich tief in mir drinnen verspürte. Sondern da war noch diese kalte Angst davor, was ich finden würde, wenn ich nach Ysa suchte. Ich müsste zurück in die Verdammten Reiche und müsste mich meiner Vergangenheit stellen. Meinem Vater, meiner Familie und notgedrungen auch Akesh.
„Wir wissen nicht ob Ellysa noch die ist, die uns verlassen hat.“
„Warum sollte sie es nicht sein?“, fragte Ayaz und hielt sich am Arm seines Bruders fest.
„Ihr wisst doch, was Akesh mit den Seelen des Gleichgewichts tun muss. Er muss sie versiegeln, nur deshalb hat er Ellysa mitgenommen. Sie wird nicht mehr dieselbe sein.“
„Das weißt du nicht mit Sicherheit! Wir brauchen die Meisterin hier in Kassathor oder alles wird auseinander brechen! Es breitet sich Unruhe innerhalb der Mauern aus. Nicht mehr lange und es wird Blut fließen.“
Kyran kletterte auf das Bett und funkelte mich aufgebracht an. Ein kalter Schauer jagte über meine Haut, als ich direkt in seine silbrigen Seen sah.
„Viktor wird für Ruhe sorgen.“
„Ach und wie lange? Glaubst du, der Meisterin würde es gefallen, wenn sie wüsste, dass sich die Bewohner untereinander abschlachten. Nur ihre Anwesenheit hat sie bisher davon abgehalten. Selbst Najem überlegt Kassathor zu verlassen. Seit Leahs und Jarons Tod ist er kaum wiederzuerkennen. Er gibt sich die Schuld daran, dass er sie nicht retten konnte. Warum redest du nicht einmal mit ihm? Wir brauchen ein paar gute Seelen innerhalb dieser Mauern.“
„Fürchtest du dich davor noch mehr in der Dunkelheit zu versinken?“, stichelte ich halbherzig und erntete daraufhin einen Faustschlag auf meine Brust.
Wütend fing ich Kyrans Arm ein, als er mich erneut schlagen wollte.
„Vorsicht kleiner Dämon! Nur weil ich an dieser Kette hänge, heißt das nicht, das ich dich nicht in Stücke reißen kann.“
Wütend ließ ich ihn los und setzte mich auf. Kyran wich etwas zurück, blieb aber auf dem Bett sitzen.
„Anscheinend hast du deinen Kampfgeist doch noch nicht verloren“, murrte er und starrte auf die Decken vor sich.
Ich verstand seinen Missmut und erkannte auch einen Teil Angst und Hilflosigkeit darin. Mir erging es schließlich nicht anders.
Ysa hatte diesen ganzen Abschaum zusammen gehalten. Sie hatten sie gefürchtet und respektiert. Aber selbst wenn sie wieder hier sein würde, zweifelte ich daran, das sie noch die Macht hätte, sie wieder alle unter Kontrolle zu bekommen. Akesh würde niemals zulassen das die Seelen des Gleichgewichts weiter frei herumliefen.
Und die Frage war, ob Ysa mit nur einer Seele mächtig genug wäre Kassathors Thron zu besteigen? Wohl eher nicht.
„Was hast du nun vor?“
Ich sah zu Ayaz der ein genauso ungewöhnlich ernstes Gesicht machte wie sein Bruder. Ich stieß ein resigniertes Schnauben aus und zog prüfend an der Kette.
„Ich werde mit Viktor reden.“
Kyran lachte genervt und stand auf.
„Dann weiß ich jetzt schon wie es endet. Er wird dich genauso wie die letzten Wochen gefügig und schweigsam machen.“
„Du kleiner …“
„Ist es nicht so?“, rief Kyran aufgebracht und stemmte die Hände in die Hüften.
„Falls es dir entgangen ist, ich bin nicht freiwillig hier angekettet!“
„Das ist der Grund, warum du nicht endlich handelst?“, stieß Kyran ungläubig hervor.
„Warum legst du es nicht einfach ab?“, fragte Ayaz.
Ich zählte innerlich bis drei, um ruhig zu bleiben, denn die beiden brachten mich zur Weißglut.
Glaubten sie wirklich ich würde freiwillig drei Wochen in einem Bett angekettet bleiben?
Ich hatte nicht die Macht dazu Viktors dämonische Magie aufzulösen, die das Lederhalsband um meinen Hals verschloss und mich somit hier festhielt.
„Erledigt!“
„Was?“
Mit einem ungläubigen Fluch drehte ich mich zu Kyran um. Er hielt das Ende der Kette in seiner Hand, an dessen Ende das braune Lederhalsband baumelte. Fassungslos langte ich an meinen Hals und spürte dort – nichts.
„Wie …“
„Du als Wolf der Verdammten Reiche kannst vielleicht Viktors dämonische Magie nicht lösen, aber ich bin ein Dämon und diese Magie war wirklich äußerst einfach gewirkt.“
Kyran sprang vom Bett und griff nach der Hand seines Bruders.
„Was ist jetzt? Hindert dich noch irgendetwas daran unsere Meisterin zurückzuholen?“
Mit knirschenden Zähnen stieg ich aus dem Bett. Viktor würde toben und es wunderte mich, das die Zwillinge wirklich dafür bereit waren, Viktors Zorn auf sich zu ziehen, nur damit ich Ysa suchen konnte.
Ich ging zu dem großen Sessel neben dem Kamin, auf dem Viktor fein säuberlich meine Kleider hingelegt hatte.
Wie viele Wochen hatte ich sie schon nicht mehr getragen? Viel zu lange!
„Habt ihr euch dann auch überlegt, wie ich Viktor nicht in die Arme laufe? Ich glaube nämlich nicht das er sehr begeistert ist mich außerhalb seines Bettes anzutreffen.“
„Viktor ist zur Schlucht geritten“, antwortete Ayaz und sah mir beim Anziehen zu.
Von Anstand hatten die beiden Dämonen wohl noch nichts gehört.
„Was will er da?“
„Nach Feinden Ausschau halten“, meinte Kyran locker und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
„Nach Feinden?“, fragte ich irritiert und verharrte mit einem Bein in der Hose und dem anderen in der Luft.
„Es werden immer wieder Magier am Eingang zur Schlucht und in den Bergen gesichtet. Viktor will nicht, das wir unvorbereitet überrascht werden.“
„Er befürchtet also einen Angriff?“
„Ja, sie sind anscheinend hinter der Macht der Meisterin her.“
Meine Augen huschten zu den obsidianfarbenen Steinen der Mauer.
Welch gewaltige Macht ihrer schwarzen Magie steckte wohl wirklich in Kassathors Mauern? Wäre überhaupt ein einzelner Magier stark genug sie aufzunehmen?
Warum hatte mir Viktor nichts von den drohenden Angriffen erzählt?
Ich verfluchte ihn im Stillen und verließ das Zimmer. Sofort überkam mich ein ungutes Gefühl, als ich in den kalten Korridor trat. Ich beeilte mich zu der Treppe zu gelangen, die nach oben führte. Zum wiederholten Male fragte ich mich, was Viktor und dem restlichen Gesindel hier in den untersten Ebenen von Kassathor so gut gefiel, das sie hier ihr Quartier bezogen. Ysas und meine Räume in den obersten Etagen waren viel bequemer und vor allem wärmer.
„Könnt ihr mir sagen, wo Najem gerade ist?“
Ayaz schüttelte den Kopf und Kyran zuckte mit den Schultern.
„Warum? Seit Leahs und Jarons Tod ist er zu nichts mehr zu gebrauchen.“
„Ich will, das er mich begleitet. Wenn er sowieso überlegt Kassathor zu verlassen, dann kann er gleich mit mir kommen.“
„Wo willst du überhaupt hin? Ich meine, Akesh beherrscht die Tore in die Verdammten Reiche. Wie willst du unsere Meisterin retten, wenn du noch nicht einmal dorthin kommst“, wollte Ayaz wissen.
„Lasst das nur meine Sorge sein. Ihr wolltet doch das ich Ellysa zurückhole.“
Ich würde den beiden bestimmt nicht erzählen, das wir Wölfe unser eigenes Tor besaßen. Am Schluss würden sie nur auf dumme Ideen kommen und mein Vater würde mich bestimmt einen Kopf kürzer machen, wenn ich zwei Tunichtguten den Zugang in die Verdammten Reiche verraten würde. Akesh hatte meinem Vater das Tor überlassen, damit dieser hin und wieder seinen menschlichen Gelüsten nachgehen konnte, denn Glücksspiel und das Handeln mit begehrten Waren, suchte man in den Verdammten Reichen vergebens. Das ich dafür durch das halbe Land reisen musste um zu diesem Tor zu gelangen, war etwas anderes.
Ich erreichte die letzte Treppenstufe und stand in der Eingangshalle. Wie von selbst fiel mein Blick auf das versiegelte Tor und wie immer konnte ich den leichten Hauch der Aura der Verdammten Reiche wahrnehmen. Ysa hatte dieses Tor verabscheut und jetzt war sie selbst an diesen furchtbaren Ort dahinter gefangen.
„Zacharias? Hey Zacharias!“
Ich zuckte bei Rieels lauter Stimme zusammen und wirbelte zu ihm herum.
„Rieel musst du so schreien?“
„Du brauchst keine Angst haben, Viktor ist noch unterwegs“, meinte er mit einem Grinsen und kam auf mich zu.
Warum gingen alle davon aus, das ich vor Viktor Angst hatte, oder mich vor ihm rechtfertigen musste?
„Ich weiß, das er nicht hier ist! Du hast mich einfach überrascht“, murmelte ich leise.
Rieel trug wie üblich seine schwarze Kleidung, doch irgendetwas war anders. Und dann mit einem Mal roch ich es – Blut!
„Verdammt, was ist passiert?“, rief ich und packte ihn am Ärmel.
Rieel sah mich nur verständnislos an und auch die Zwillinge beobachteten mich argwöhnisch.
„Geht es dir gut?“, frage Rieel ehrlich besorgt und musterte mich nun genauer.
„Ja verflucht! Ich meine, warum ist deine Kleidung mit Blut getränkt?“
Ein verstehender Ausdruck erschien auf Rieels Gesicht und er verzog den Mund.
„Ach das meinst du! Ja, es geht mir gut. Das Blut ist nicht von mir.“
„Sondern?“, fragte ich lauernd.
Rieels Blick huschte zu den Zwillingen, die ungewöhnlich still waren.
„Wie viel habt ihr ihm erzählt?“, fragte Rieel streng und verengte die Augen.
Während Ayaz schuldbewusst den Kopf senkte, streckte Kyran Rieel die Zunge heraus.
„Wir haben ihn nur auf den neusten Stand gebracht. Was ist so schlimm daran? Selbst dem Wolf wird irgendwann die Unruhe in Kassathor und die Magier, die uns beobachten und ihre Kreise immer enger ziehen, auffallen. Ihr tötet einen von ihnen und es kommen doppelt so viele wieder. Wie lange wollt ihr noch so weiter machen? Es wird Zeit Zacharias aus seinem Selbstmitleid hauszuholen! Er ist vielleicht der Einzige, der unsere Meisterin zurückbringen kann. Viktor kann hier nicht weg, genauso wenig wie du. Es gibt niemanden, außer dem Wolf, der die Meisterin zurückholen könnte. Akesh wird ihm vielleicht wenigstens erst anhören, bevor er ihn umbringt.“
Ayaz verstummte und ich stöhnte innerlich auf. Ich hatte nie behauptet mit Akesh reden zu wollen.
„Du willst zu Akesh? Ich dachte, du gehst ihm schon seit Jahren aus dem Weg. Weiß Viktor von deinem Plan?“, fragte Rieel und fuhr sich aufgebracht durch die Haare.
„Nein! Und nein, ich habe nicht direkt vor zu Akesh zu gehen“, entgegnete ich ausweichend und steuerte auf die Treppe zu, die in die oberen Stockwerke führte.
„Das soll heißen?“, fragte Rieel und eilte mir hinterher.
Verdammt, ich wusste, dass er nicht locker lassen würde. Aber genauso wie den Zwillingen konnte ich auch Rieel nichts von dem privaten Tor der Wölfe erzählen. Dämonen und Assassinen gehörten für meinen Vater zum selben Schlag.
„Können wir es einfach dabei belassen, das ich versuchen werde Ellysa zurückzuholen?“
„Das ist ja schön und gut, aber ich halte es für einen Fehler Viktor nichts davon zu sagen.“
Rieel folgte mir wie ein Schatten und ich überlegte kurz, wie ich meinen lästigen Anhang loswerden konnte. Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Diskussionen. Mir reichte schon mein schlechtes Gewissen Viktor gegenüber. Ich wollte ihn nicht hintergehen, aber ich sah keine andere Möglichkeit als diese. Dass Viktor mehr als wütend auf mich sein würde, wenn er mich nicht mehr in seinem Bett vorfand war ein Übel, das ich wohl in Kauf nehmen musste.
„Zacharias nun warte doch einmal! Hast du überhaupt einen Plan?“
Ich erreichte Najems Tür und überhörte gekonnt Rieels Frage. Hoffentlich war der ehemalige heilige Bruder in seinem Zimmer. Ich klopfte an und wartete angespannt auf eine Antwort. Anscheinend war das Glück auf meiner Seite, denn die Tür öffnete sich und Najem sah mir mit verschlafenen Gesicht entgegen.
„Kann ich rein kommen?“, fragte ich und drängte mich ohne auf eine Antwort zu warten an ihm vorbei.
„Na klar, mein Zimmer ist dein Zimmer“, murmelte er und beobachtete wie ich mich in den Sessel fallen ließ.
Hatte ich gedacht, so Rieel und die Dämonenzwillinge abschütteln zu können, hatte ich mich getäuscht. Ich beobachtete, wie Najem die Tür hinter meinen Verfolgern schloss und erst jetzt fiel mir auf, wie ausgemergelt er aussah. Jarons und Leahs Tod hatten ihn anscheinend wirklich sehr mitgenommen. Ich biss mir wütend auf die Lippe. Zu meinem schlechten Gewissen wegen Viktor, gesellte sich nun auch noch das Najem gegenüber hinzu. Ich hatte meinen Freund viel zu lange mit seinen Schuldgefühlen alleine gelassen. Najem durfte sich nicht die Schuld an dem Tod der Beiden geben.
„Wie komme ich zu so viel unverhofften Besuch? Das Zacharias kommt und geht, wann er will, bin ich gewohnt, aber ihr?“
Najem verschränkte die Arme vor der Brust und sah Rieel abwartend an.
„Ich bin hier um Zacharias etwas Vernunft einzutrichtern“, meinte er mit einem Grinsen und lehnte sich an die Wand neben einem großen Bücherregal.
„Und wir, um sicher zu gehen das Zacharias wirklich sein Vorhaben in die Tat umsetzt. Außerdem laufen wir hier bei dir bestimmt nicht Viktor über den Weg“, überlegte Kyran.
„Moment, ihr meintet doch, er sei nicht in Kassathor!“, rief ich etwas zu laut und konnte die aufkommende Panik nicht ganz aus meiner Stimme heraushalten.
„Wenn du Viktor nicht verärgern willst, dann geh zurück in dein Zimmer oder in seines und überlasse ihm die Aufgabe Ellysa zurückzubringen“, entgegnete Rieel mit hochgezogener Augenbraue.
Ich unterdrückte ein Knurren und verfluchte sie allesamt.
Najem seufzte ergeben und setzte sich in den zweiten Sessel.
„Also?“, fragte er und ich wusste, dass er mich damit meinte.
„Ich bin gekommen, um dich abzuholen. Pack ein paar Sachen ein, wir unternehmen einen kleinen Ausflug.“
„Wie kommst du darauf, das ich dich begleiten werden?“
„Kyran meinte, du überlegst Kassathor zu verlassen. Da dachte ich mir, dass du mir vielleicht Gesellschaft leisten willst.“
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Rieel den Kopf schüttelte und beachtete ihn geflissentlich nicht.
„Zacharias als ich darüber nachdachte von hier wegzugehen, meinte ich das alleine. Ich brauche Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.“
„Du darfst dir für Leahs und Jarons Tod nicht die Schuld geben. Es war die Schuld dieser Magie wirkenden Bastarde.“
„Aber sie standen unter meiner Obhut. Es war mein Verschulden, das ich sie nicht heilen konnte. Wozu soll ich in Kassathor bleiben, wenn ich nicht einmal fähig bin jemanden zu helfen?“
„Najem du bist gut, in dem was du tust. Bitte mache nicht den Fehler und nimm ihren Tod als Maßstab für dein Können. Du hast damals Ellysa geholfen und vielen anderen zuvor.“
„Das waren Kleinigkeiten. Eine Schnittwunde, Fieber und Vergiftung, für all das gibt es helfende Mixturen. Da weiß ich, was zu tun ist. Aber dieser magische Angriff … ich dachte, sie würden es schaffen, ich dachte, ich hätte es geschafft, aber dann … dann waren sie eines Nachts einfach tot.“
Ich spürte die tiefe Verzweiflung, die von Najem ausging und auch das bedrückende Schweigen der Zwillinge und Rieels erfüllte den Raum mit einer düsteren Stimmung.
„Najem wir vertrauen auf deine Heilkünste. Wir wissen nicht was noch alles auf uns zukommt. Wenn wir die Magier nicht mehr zurückhalten können und sie uns verstärkt angreifen, dann brauchen wir dich hier“, meinte Rieel.
Ich war ihm dankbar, das er versuchte Najem vor Augen zuführen wie wichtig seine Arbeit war und vielleicht wäre es doch besser, wenn ich alleine ging. Sollte Kassathor in der Zwischenzeit wirklich angegriffen werden, dann wurde Najem hier gebraucht. Mein Magen zog sich plötzlich schmerzhaft zusammen, als ich an Viktor dachte.
War war, wenn ihm in der Zeit meiner Abwesenheit etwas zustieß? Wollte ich mich wirklich heimlich davon stehlen, ohne ihm von meinen Plänen zu erzählen? Hatte ich die Kraft dazu?
In den letzten Wochen hatte sich unser Verhältnis zueinander auf eine Art und Weise vertieft, die mehr als nur sexueller Natur war. Ich fühlte mich in Viktors Nähe wohl und irgendwie sträubte sich alles in mir, ihn auf diese Weise zu hintergehen.
„Überlegst du deinen Plan aufzugeben?“, fragte Rieel prompt und durchschaute mich viel zu leicht.
Sofort war Kyran an meiner Seite und verpasste mir einen Hieb gegen die Schulter.
„Wage es nicht! Wir haben dich nur losgemacht, damit du unsere Meisterin zurückholst. Ziehe ja nicht den Schwanz ein nur, weil du dich vor Viktor fürchtest!“
Wütend starrte ich in Kyrans silbrige Augen.
„Ich habe es schon einmal gesagt, ich habe keine Angst vor Viktor und ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig. Wenn ich gehen will, dann kann ich das auch tun! Egal wann und egal wohin!“
Kyran sah mich nicht wirklich überzeugt an, aber er beließ es dabei und auch Rieel schwieg. Najem seufzte und schüttelte leicht den Kopf.
„Es tut mir leid Najem. Vielleicht ist es wirklich besser du bleibst hier. Ich werde zurechtkommen und alleine bin ich um einiges schneller“, meinte ich und hoffte, dass ich überzeugend genug klang.
Ich hätte Najem nur zu gerne dabeigehabt, aber ich verstand auch Rieels Argumente. Sollte wirklich ein Angriff über Kassathor hereinbrechen, dann wurde er hier dringend gebraucht.
Ich stand auf, bevor ich mich selbst noch umentschied. Der Gedanke Viktor zu hintergehen lastete dummerweise schwerer auf meinem Gewissen, als mir lieb war. Das ich überhaupt einmal ein Gewissen gegenüber einem Dämon haben würde, war schon seltsam genug.
„Wo willst du überhaupt hin?“, fragte Rieel und beobachtete, wie ich aufstand und sich langsam immer mehr helle Lichter um mich sammelten.
„Nach Latherra“, erwiderte ich mit einem schiefen Lächeln, während meine Gestalt langsam verschwamm und das Tier in mir zum Vorschein kam.
„Da hättest du gleich in Keross bleiben können. Latherra ist noch zwielichtiger und verkommener. Ich hätte mir gleich denken können das sich euer Tor dort befindet.“
Bevor ich ihn danach fragen konnte, woher er von dem Tor wusste, stand ich schon auf meinen vier Beinen. Rieel griff überraschend in mein Nackenfell und zog mich zu sich heran.
„Pass gefälligst auf dich auf, sonst wird Viktor Kassathor ganz von alleine zerstören und für unsere Meisterin gäbe es dann auch keine Rettung mehr“, raunte er mir zu.
Ich knurrte leise und hoffte er würde das als Zustimmung sehen. Nach einem letzten Blick auf Najem, der mir zunickte, trabte ich zur Tür. Kyran hielt sie mir auf und musterte mich mit einem ungewöhnlich ernsten Gesicht.
„Pass auf, Viktor ist zurück, nicht das du wieder angeleint wirst!“
Ayaz zog seinen Bruder gerade noch rechtzeitig zurück, als ich nach ihm schnappte. Diese verfluchten Zwillinge!
Doch Kyran hatte nicht Unrecht. Ich durfte auf gar keinem Fall Viktor über den Weg laufen.
Vorsichtig lief ich die Treppen zur Eingangshalle hinab und witterte prüfend. Noch konnte ich Viktors Geruch nirgends wahrnehmen, geschweige denn diesen Dämon hören oder sehen. Trotzdem beschlich mich eine gewisse Vorahnung und ich beeilte mich weiterzukommen.
Ich durchquerte gerade die Eingangshalle, als sich von einem Moment zum Nächsten die Luft um mich herum veränderte und eine überwältigende, dunkle Aura meine Sinne flutete.
Verdammt, mein Glück hatte nicht lange angehalten!
„Hübscher, erklärst du mir einmal, was genau du da vorhast?“
Mein Herz pochte laut in meiner Brust und anstatt stehenzubleiben, sprang ich in wenigen Sätzen zu dem großen Eingangstor.
„Zacharias!“
Viktors harscher, wütender Befehlston hätte mich fast erstarren lassen, aber ich zwang mich, mich auf gar keinen Fall zu ihm umzudrehen, sondern drückte meine Schulter gegen das alte Holz.
„Zacharias ich warne dich! Bleib sofort stehen!“
Ich spürte, wie Viktors dämonische Bannsiegel auf mich zuhielten und fast panisch zwängte ich mich nach draußen. Etwas in mir zog sich schmerzhaft zusammen und ich zögerte kurz.
War es wirklich richtig so Hals über Kopf davon zu laufen?
Vielleicht könnte ich Viktor meinen Plan ganz vernünftig erklären? Vielleicht würde er mir zustimmen und wir könnten gemeinsam nach Ellysa suchen? Vielleicht ließ er ja wirklich mit sich reden?
Doch dann krachte hinter mir das Eingangstor mit einem gewaltigen Knall an die Außenmauern und Viktors dämonische Aura hielt mit einer Intensität auf mich zu, die mir Angst einjagte. Mit einem Satz sprang ich die Treppen hinunter und zwang mich zu einem schnelleren Tempo.
„ZACHARIAS!“
Ich rannte wie ein Wahnsinniger, preschte über den gepflasterten Weg und tauchte mit einem Sprung in das Dickicht des schwarzen Waldes ein. Ich war Viktor entkommen – zumindest vorerst.
Der Duft von Essen stieg mir in die Nase und ließ meinen Magen kläglich knurren. Es roch so gut, das es die reinste Qual war. Doch wie die Male zuvor würde ich es nicht anrühren. Es war nicht so, das ich nicht wollte, sondern eher, dass ich nicht konnte. Mir schnürte sich die Kehle zu, sodass es unmöglich war auch nur einen einzigen Bissen hinunter zu bekommen.
Panische Angst und Hilflosigkeit hielten mich in einer gefährlichen Spirale gefangen. Einer Spirale, aus der es kein Entkommen gab.
Wie hatte ich nur zulassen können das es soweit gekommen war?
Eingesperrt in den Verdammten Reichen, umringt von toten Seelen und Dämonen.
Wie hatte ich mich nur aufgeben können?
Denn das hatte ich getan – irgendwie.
Ich schlang meine Arme um die Knie und wippte leicht vor und zurück. Die Kälte der Wand in meinem Rücken kroch in mich hinein und ließ mich zusätzlich erzittern.
Raue Steine schrammten über den dünnen Stoff des Kleides und hinterließen ihre Spuren auf meiner Haut. Meine Augen huschten zu dem Bett, an der Wand gegenüber und ich verfluchte mich selbst. Zumindest was diese Sache betraf, könnte ich es mir einfach machen, aber meine Sturheit und mein Selbsthass hinderten mich daran, mich auf die einladenden Decken zu legen. Seit mich Akesh in die Verdammten Reiche gebracht hatte, hatte ich keine einzige Nacht darin geschlafen.
Wie lange war das jetzt her?
Tage, Wochen, Monate?
Ich wusste es nicht, aber seit jenem Vorfall in Keross hatte ich Akesh, den Herrn dieser Hölle hier, nicht mehr gesehen.
Als ich an Keross zurückdachte, stieg neu Übelkeit in mir auf und mein Magen drehte sich erneut um. Schnell beugte ich mich zur Seite und würgte, doch zum Glück kam nichts hoch. Sarkastisch verzog ich den Mund.
Was hätte ich auch erbrechen sollen?
Zitternd lehnte ich mich zurück an die Wand. Keross war mein Untergang gewesen, die Selbstaufgabe meines Ichs, das Ende meiner Seelen.
Wie viele Tote hatte ich in der zerstörten Stadt hinterlassen? Wie viel Leid verursacht?
Leid, das ich nie wieder gut machen konnte.
Meine weiße Seele krümmte sich bei dieser Wahrheit schmerzhaft zusammen und ich würgte bittere Galle hinunter. Tränen stiegen mir in die Augen und zerrten mich weiter in einen dunklen Abgrund aus tiefster Verzweiflung. Ich fühlte mich verloren und wusste, das ein Teil von mir das auch wahrhaftig war. Meine schwarze Seele war verschwunden. Ich spürte nicht einmal mehr einen Hauch von ihr. Ich war unvollständig und meine weiße Seele nutzte diese Tatsache vollkommen aus. Sie füllte mich mit ihrer Reinheit, ihrer Güte und konfrontierte mich im gleichen Zuge mit meinem Selbsthass, der genau aus ebenjenen Gründen entsprang. Ich war das reinste, seelische Frack. Ich kam mir vor wie ein Blatt im Wind. Mitgerissen von einem Sturm, den ich selbst entfesselt hatte und dessen Willkür ich nun ausgesetzt war.
Ich war nicht mehr die, die ich einmal war, auch wenn ich noch nicht sagen konnte, was genau das für mich bedeutete.
Ich hörte das Klacken des Schlüssels im Schloss und schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen. Noch hatte ich soviel Stolz um niemanden, auch keinem noch so abartigen Dämon, meine Schwäche zu zeigen. Das dieser Dämon, sie allerdings nur zu gut kannte, war etwas anderes.
Meine Tür wurde aufgeschoben und ein schwarzer Koloss trat ein. Funkelnde rot-geschlitzte Augen stierten mich an, huschten kurz zu dem unberührten Essen und dann wieder zurück zu mir. Die Gestalt vor mir war überwältigend schön, wie fast jeder Dämon, aber leider genauso gefährlich. Graues Zwielicht umgab mich und ich war froh, das es nicht heller war, denn ich wollte nicht, dass mich mein Wärter genauer betrachten konnte. Ich wollte nicht, das er die Angst auf meinem Gesicht sah, die aus reiner Hoffnungslosigkeit geboren war. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben.
Seit mir meine schwarze Seele genommen worden war, fühlte ich mich ängstlicher und angreifbarer als zuvor. Mir hatten Dämonen und sonstige Kreaturen nie Angst eingejagt. Im Gegenteil, sie fürchteten sich vor mir. Doch jetzt, jetzt war alles anders.
Mein Gefängniswärter stieß ein Grollen aus, schnappte sich den Teller mit dem Essen und kniete sich vor mich hin.
„Wenn du jetzt nichts isst, werde ich dir mindestens zwei Tage nichts mehr bringen.“
Aelos, mein persönlicher Gefängniswärter, hielt mir den Teller direkt unter die Nase und schlagartig überkam mich eine neue Welle Übelkeit. Ich zuckte zurück, stieß mir den Kopf an der Wand und drehte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite. Mein ganzer Körper krampfte sich zusammen, als ich wieder nichts als Galle hervorwürgte.
„Vielleicht sollte ich es dir einfach in den Rachen stopfen, immerhin bin ich es, der einen Kopf kürzer gemacht wird, wenn du stirbst.“
Aelos erhob sich, packte meine Haare und zog mich mit einem Ruck nach oben. Ich schrie auf und versuchte seine Hände wegzuschlagen. Meine weiße Seele zeigte sich in silbrig glänzenden Fäden und waberte um mich herum. Doch sie war ein Hauch von nichts, in all der Dunkelheit, die mich umgab und Aelos schien sie nicht im Geringsten zu stören.
„Lass mich verdammt nochmal los!“
„Wirst du dann etwas essen?“, fragte er mit seiner Reibeisenstimme und musterte mich mit einem gefährlichen Glitzern in seinen roten Augen.
„Ich kann nicht“, stieß ich hervor und starrte stur zurück.
Ein hinterhältiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht und entblößte eine Reihe spitzer Zähne.
„Ich könnte dich auch einfach ficken, so wie wir es mit allen lebenden Frauen tun, die sich hierher verirren. Vielleicht hättest du dann ja Hunger?“
Seine Augen wanderten tiefer und ich wusste genau, dass er nun auf meine Brüste stierte, die sich durch das Kleid hindurch nur zu deutlich abzeichneten.
„Lass mich in Ruhe!“, zischte ich und versuchte meine gepeinigte Kopfhaut nicht zu beachten.
„Noch bist du sicher Hübsche, aber sobald dich Akesh fallen lässt, bist du Freiwild und glaube mir, mir und meiner Art ist es egal, ob du dabei halb tot bist oder nicht.“
Aelos ließ mich los und ich landete unsanft auf meinem Hintern. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und ging Richtung Tür. Ich unterdrückte ein Schluchzen und rappelte mich auf. So gern ich mich auch in einer der dunklen Ecken dieses Verlieses verkriechen wollte, so hinderte mich noch ein klitzekleiner Rest meiner Selbstachtung daran.
„Wo ist er? Wo ist Akesh? Warum hat er mich hier eingesperrt und warum lässt er sich nicht blicken? Sag deinem Herrn das ich ihn sprechen will! Hol ihn her!“
Aelos drehte sich mit einem Stirnrunzeln zu mir um. Anscheinend hatte mein kleiner Wutausbruch ihn beeindruckt. Immerhin war es der erste, seit ich hier war.
„Du bist nicht in der Lage zu befehlen Hübsche. Akesh hat sich um wichtigere Dinge zu kümmern als um dich.“
Ich ballte die Fäuste und versuchte meine zitternden Beine unter Kontrolle zu halten. Meine weiße Seele gewann an Kraft und ich fühlte mich besser. Entschlossen tat ich einen Schritt nach vorne.
„Ich will ihn sprechen!“, forderte ich ungerührt.
Aelos beachtete mich nicht weiter. Für ihn war ich nur lästiges Ungeziefer, das nicht tat, was er verlangte. Er machte Anstalten die Tür meines Gefängnisses wieder zu schließen und mich erneut in der Dunkelheit zurückzulassen. Endlich spürte ich einen Anflug von Kampfgeist und dieser reichte aus, um mich handeln zu lassen. Ich betete zu den weißen Göttern, das meine kraftlosen Beine durchhielten und rannte los. Ich erreichte die Tür, schlüpfte unter Aelos Armen hindurch und raste los. Das ich Aelos mit meiner Aktion überraschte bekam ich postwendend zu hören, als das Tablett hinter mir scheppernd zu Boden fiel und ein ungestümer Fluch erklang.
„Verfluchtes Weib! Warte bis ich dich in die Finger bekomme!“
Aelos wütende Rufe verfolgten mich, als ich wie eine Irre den Gang entlang rannte. Ich hörte, wie er hinter mir her sprintete und hoffte, das ich weit genug kam, um … ja um was zu tun eigentlich?
Verflucht ich war in den Verdammten Reichen!
Wohin sollte ich fliehen?
Ich stolperte und spürte keinen Augenblick später einen mörderischen Ruck an meinem Arm. Ich schrie auf und gleichzeitig wich die Kraft aus meinen Beinen. Mit einem schmerzhaften Krachen schlug ich ungebremst auf dem harten Steinboden auf.
„Das war eine ganz dumme Idee!“
Aelos schlang einen seiner stahlharten Arme um meine Taille und berührte dabei wie zufällig meine Brust. Sofort erstarrte ich und gab meinen Widerstand auf.
„Anscheinend hast du doch noch genügend Energie. Ich werde dich an die Wand ketten und die nächsten Tage hungern lassen. Vielleicht stirbst du dann ja endlich und ich kann es als unglücklichen Unfall darstellen und wieder meinen eigentlichen Aufgaben nachkommen“, zischte mir Aelos gehässig ins Ohr.
„Ich habe dich nicht darum …“
Meine Stimme versagte, als sich seine Hand um meine Kehle legte und zudrückte. Ich bekam keine Luft mehr und panisch zerrte ich an seinem Arm. Aber genau wie zuvor schon, konnte ich nicht das Geringste gegen ihn ausrichten. Meine weiße Magie strömte hervor und konnte mir doch nicht helfen. Sie war viel zu schwach. Ohne meine schwarze Seele war ich machtlos. Schwarze Punkte blitzen vor meinen Augen auf und ich spürte, wie meine Kraft unaufhaltsam schwand.
„Aelos was treibst du da?“
Diese Stimme! So ruhig, so kalt, so gefährlich. Ich hob meinen Blick und versank in den nur zu bekannten amarantfarbenen Tiefen von Akeshs Augen. Endlich, endlich zeigte er sich!
„Herr. Ich gehe nur dieser unliebsamen Aufgabe nach, die ihr mir aufgetragen habt. Ihr geht es gut“, grollte Aelos, ließ meinen Hals los und zog mich auf die Beine.
Das ich fast nicht von alleine stehen konnte schien niemanden zu interessieren.
„Sie erweckt nicht den Eindruck das es ihr gut geht. Anscheinend musst du noch etwas sorgfältiger an deine Aufgabe herangehen Aelos.“
Gebannt beobachtete ich, wie Akesh näher kam. Seine abgrundtief schwarze Aura flutete über mich hinweg und sie kam mir noch mächtiger vor als bisher. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, das wir uns in seinem Reich befanden.
Er beugte sich zu mir hinab und unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bekommen hielt ich den Atem an.
„Vielleicht hätte ich dich doch töten sollen“, flüsterte er und mein Herz geriet ins Stolpern.
Er griff nach meinem Kinn und zwang mich meinen Kopf zu heben. Sein Daumen strich über meine Unterlippe und ich konnte ein Zittern nicht unterdrücken.
„Warum hast du es nicht getan?“, hauchte ich und wollte seine Antwort eigentlich gar nicht hören.
Kurz meinte ich eine sonderbare Regung auf seinem Gesicht zu sehen, doch dann zeigte er mir wieder seine kalten, undurchdringlichen Gesichtszüge.
„Vielleicht tue ich es ja noch.“
Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte ihn weiterhin an. Das Rot in Akeshs Augen nahm eine dunklere Nuance an und mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Ich bringe sie zurück“, meinte Aelos plötzlich und riss mich aus meiner Starre.
„Nein warte! Ich will mit dir reden!“, forderte ich und hoffte, Akesh würde mich vor meinem kargen Verlies bewahren.
„Tut mir Leid Liebes, aber ich bin beschäftigt“, entgegnete er mit einem süffisanten Lächeln und trat einen Schritt zurück.
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Akesh wollte nicht mit mir reden und mir blieb keine andere Wahl, als das zu akzeptieren. Ich war nicht in der Position Bedingungen zu stellen.
„Sei ein braves Mädchen und iss etwas. Du bist zu dünn geworden.“
„Sie weigert sich hartnäckig“, warf Aelos dazwischen und Akeshs Blick verbrannte mich regelrecht.
„Dann zwing sie dazu!“
Mit diesen Worten und einem hinreißenden Lächeln drehte er sich um und ging.
„Du elendiger Bastard!“, stieß ich hervor und wollte ihm hinterherlaufen, aber Aelos hielt mich zurück.
„Genug ist genug!“, knurrte er, packte mich grob am Oberarm und zog mich zurück zu meiner Zelle.
Ich konnte nicht mehr als hilflos zusehen, wie meine Chance mit Akesh zu reden ungenutzt verstrich.
Unbarmherzig zog mich mein Gefängniswärter zurück zu meiner Unterkunft, schmiss mich regelrecht hinein und verschloss mit einem dumpfen Laut die Tür.
Ich war wieder alleine. Alleine mit meinen zermürbenden Gedanken, den Schuldgefühlen und der Dunkelheit.
Wie lange würde ich noch durchhalten, bevor ich mich vollständig aufgab? Warum hielt mich Akesh weiterhin gefangen? Wollte er mich quälen? Mich für meine Sünden bestrafen? Warum tötete er mich nicht einfach, anstatt mich in diesen unvollkommenen Zustand zurückzulassen?
Ich kauerte mich wieder an der kalten Mauer zusammen und krallte die Finger in meine Haare. Der einsetzende Schmerz war das einzige Zeichen dafür, das ich noch lebte. Tränen sammelten sich in meinen Augen und Kälte breitete sich in mir aus. Niemand war hier oder würde kommen, um mir zu helfen. Meine Hoffnung das Akesh mit sich reden ließ war verschwunden. Meine weiße Magie zog sich in mein tiefstes Innerstes zurück und verstummte und ich fühlte mich einsamer denn je.
Irgendwann, nach Minuten oder Stunden, erlag ich der endgültigen Erschöpfung. Ich kippte haltlos zur Seite und spürte schon nicht mehr den Aufprall. Die Dunkelheit, die mich umfing, war ein größerer Trost, als alles bisherige und zufrieden ergab ich mich ihr.
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Das Erste, das ich wahrnahm, war der kalte Steinboden, unter meiner Wange. Das Zweite, war die überwältigende, schwarze Aura, die das kleine Verlies zu sprengen drohte.
„Wieder auferstanden von den Toten?“
Akeshs dunkle Stimme strich über meine Haut und hinterließ einen ungewollt wohligen Schauer.
Ich war zu schwach um zu antworten und am liebsten hätte ich wieder die Augen geschlossen und mich der alles verschlingenden Schwärze hingegeben.
„Kleine Hexe, wenn ich schon mit dir rede, verlange ich von dir, dass du mich ansiehst!“
Akeshs Stimme zog mich zurück aus meiner Betäubung und mit verschwommenen Blick sah ich zu der großen Gestalt auf, die direkt vor mir hockte.
„So ist es brav. Was mache ich nur mit dir? Du weigerst dich zu essen und bereitest Aelos Schwierigkeiten. Deinetwegen musste er zwanzig Peitschenhiebe über sich ergehen lassen.“
Ich zog die Augenbrauen zusammen, denn ich konnte seinen Anschuldigungen nicht ganz folgen.
„Das nächste Mal, wenn er dir Essen bringt, wird er seinen Unmut an dir auslassen. Somit schließt sich der Kreis der Bestrafung wieder.“
Ich sah noch, wie Akesh sich wieder erhob, bevor abermals schwarze Ränder mein Blickfeld trübten und sich immer enger zusammen zogen.
Wie sollte ich essen, wenn ich selbst zum Reden zu schwach war? Konnte er mich nicht einfach in Frieden sterben lassen?
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Das Nächste was mich aus meiner Bewusstlosigkeit riss, war ein brennender Schmerz auf meiner Wange. Betäubt riss ich die Augen auf, konnte aber nur wogende Schwärze um mich herum erkennen. Eine sonderbare Dunkelheit, in dessen Tiefen zwei eisblaue Feuer leuchteten. Meine Lider wurden schwerer und ich dämmerte wieder davon. Vielleicht hatte ich mir den Schmerz auch nur eingebildet. Meine Gedanken zerstoben und lösten sich auf. Waren so schwer zu fassen, wie Sand, der einen durch die Finger rinnt.
Plötzlich fühlte ich mich sonderbar leicht, so als würde ich schweben und schon im nächsten Moment, spürte ich göttliche Wärme an meinem Körper. Zufrieden schmiegte ich mich näher und ergab mich diesem wunderbaren Gefühl.
Wie lange hatte ich mich nicht mehr so geborgen gefühlt? War ich vielleicht endlich gestorben und die weißen Götter hatten gnädigerweise ihre Pforten für mich geöffnet?
Dass dem nicht so war, wurde mir bewusst, als ich eine entfernt bekannte, dunkle Stimme hörte. Sie holte mich aus den Tiefen des Vergessens zurück und hieß mich im Hier und Jetzt willkommen. Ein leises Seufzen kam über meine Lippen, doch für mehr war ich viel zu müde.
„Sei still! Ich will nicht das er vorzeitig weiß, das ich hier bin!“
Trotz der leisen Rüge dämmerte ich wieder davon und ergab mich zufrieden einem traumlosen Schlaf, bis mich etwas unvermittelt weckte. Benommen öffnete ich die Augen und blinzelte mehrmals. Um mich herum herrschte rötlich, graues Zwielicht und erst nach einigen Augenblicken wurde ich mir bewusst, das ich nicht mehr auf dem kalten Steinboden meines Verlieses lag, sondern in einem riesigen, weichen Bett. Ein rabenschwarzer Baldachin spannte sich über meinem Kopf und es kam mir vor, als würde ich erneut in der Dunkelheit versinken. Meine Glieder fühlten sich bleischwer an, als ich mich langsam auf die Seite drehte. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das spärliche Licht und ich konnte immer mehr Einzelheiten erkennen. Ein mächtiger, kunstvoll verzierter Schrank, dicke Teppiche auf dem Boden, eine Truhe neben einem bodentiefen Fenster. Gegenüber des Bettes befand sich ein Durchgang und ein Stück daneben ein weiterer. Vorsichtig richtete ich mich auf und verharrte. Von irgendwo außerhalb dieses Zimmers vernahm ich eine Stimme und keinen Augenblick später erklang der leise Schrei einer Frau. Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus und mit klopfendem Herzen überlegte ich, was ich jetzt tun sollte.
Das erste was ich herausfinden musste war, wo ich mich überhaupt befand und warum mich Akesh aus meinem Verlies geholt hatte? Was wiederum die Frage aufwarf, was er sich davon erhoffte?
Entschlossen rutschte ich an den Rand des Bettes und zum Glück fühlte ich mich nicht mehr ganz so schwach wie zuvor. Meine nackten Füße berührten den weichen Teppich und nach einem weiteren kurzen Moment wagte ich es aufzustehen. Meine Beine fühlten sich noch etwas schwach an, aber immerhin besaß ich genügend Kraft um überhaupt stehen zu können.
Leises Wispern und Raunen drang aus Richtung des Durchgangs zu meiner Rechten und neugierig ging ich näher. Akeshs dunkle Präsenz war nirgends zu spüren, doch dafür eine andere, die mir irgendwie bekannt vor kam. Leider ließ mich mein Gedächtnis noch immer im Stich. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen und einzig meine innere Stimme riet mir, mich
lieber unter den Decken des Bettes zu verkriechen, als weiterzugehen.
Je näher ich dem Durchgang in das angrenzende Zimmer kam, desto lauter klopfte mein Herz. Ich hatte das Gefühl direkt in eine Falle hineinzulaufen.
Warmer Kerzenschein, der unter einer angelehnten Türe hervorschien, erleuchtete den kurzen Flur. Auf Zehenspitzen schlich ich weiter, jeden Moment darauf gefasst, plötzlich Akesh vor mir aufragen zu sehen. Meine weiße Magie zeigte sich in hauchzarten Schlieren an meinen Fingerspitzen und versuchte mich zu beruhigen. Mit einem Mal vermisste ich meine schwarze Seele so sehr, das es weh tat. Ich war nicht mehr ich, ich war unvollständig, die Hälfte meines früheren Ichs.
Als ich die Tür erreichte schob ich sie vorsichtig einen Spalt breit auf und erinnerte mich daran, das es das letzte Mal nicht gut geendet hatte, als ich mich in einer ähnlichen Situation befand. Wie so oft war jedoch meine Neugier einfach stärker als meine Vernunft und keinen Herzschlag später stockte mir der Atem.
Das so sanfte Kerzenlicht stand in starken Kontrast zu der ansonsten beklemmend kalten Atmosphäre. Lederne Handschellen umschlossen zarte Handgelenke und hielten die beiden nackten Körper aufrecht an der Wand. Langes Haar, einmal braun, einmal blond verbarg die Gesichter der Frauen, die seltsam ruhig in ihrer Fesselung hingen. Mit Erschrecken sah ich, das sie nicht die einzigen waren. Eine weitere Frau lag ausgestreckt auf einem großen Bodenkissen, ihre Beine unanständig weit geöffnet und ihre linke Brustwarze zwirbelnd zwischen den Fingern. So gern ich auch weggesehen hätte, so konnte ich doch nicht meine Augen von der Szene vor mir nehmen. Erst recht nicht, als eine vierte Frau sich der am Boden liegenden näherte und sich lasziv auf sie setzte. Ein leises Seufzen entschlüpfte der Liegenden, als die andere spielerisch mit ihrem Finger über ihre Scham strich.
Plötzlich bemerkte ich eine Bewegung auf der anderen Seite des Zimmers. Eine blonde Frau schälte sich aus den dort herrschenden Schatten und als das Licht der überall verstreut stehenden Kerzen ihr Gesicht erreichte, sog ich zischend den Atem ein.
Arlana! Arlana war hier, hier in den Verdammten Reichen.
Bei allen Göttern hatte sie dieser Magier tatsächlich umgebracht?
Ich versuchte mich an die Nacht in Akeshs Bibliothek zurückzuerinnern und ich war mir sicher, das Arlana dort noch gelebt hatte.
Hatte sie der Magier womöglich zurückgelassen und meine Magie hatte sie letztendlich getötet?
Genau wie so viele andere in Keross?
„Ich dachte, du kannst deine Anwesenheit nicht vor ihm verbergen“, meinte Arlana vorsichtig und drehte sich zu dem Schatten in ihren Rücken um.
„Du sollst nicht denken Arlana und vor allem sollst du dich nicht in Dinge einmischen, die dich nichts angehen. Mein Bruder weiß mit ziemlicher Sicherheit das ich hier bin. Ich hätte ihn vielleicht nur vorwarnen sollen, dass ich ihm einen Besuch abstatte, denn wie du weißt, mag er keine Überraschungen.“
Ich unterdrückte einen verräterischen Laut und presste mir die Hand vor den Mund. Diese Stimme! Ich hatte sie tatsächlich schon einmal gehört. Ungläubig beobachtete ich, wie sich Arlana einen Becher von einem goldenen Tablett nahm und sich auf ein weiteres großes Bodenkissen setzte. Sie sah einen Moment den beiden nackten Frauen bei ihrem Liebesspiel zu und verzog dann ergeben den Mund.
„Ich bin noch keinen Schritt weiter gekommen. Akesh lässt nicht mit sich reden.“
„Warum sollte er auch? Glaubst du, er hört auf so ein armseliges Weib wie dich?“
Arlana schwieg, doch ich sah ihr an, das sie am liebsten etwas darauf erwidert hätte.
Ketten klirrten leise und meine Augen huschten zu der braunhaarigen Frau an der Wand. Sie hatte ihr Gesicht zur Decke gehoben und ich sah den glücklich, entrückten Ausdruck darin. Die reinste Ekstase hatte von ihr Besitz ergriffen, sie schien nicht im Geringsten die engen Fesseln wahrzunehmen.
Plötzlich geriet Bewegung in den Schatten auf der anderen Seite und als ich die große Gestalt neben Arlana aufragen sah, wurde mir endgültig schlecht. Bittere Galle stieg mir in den Hals und ich schluckte krampfhaft. Meine Finger krallten sich in das Holz der Tür und ich wich einen Schritt zurück. Ich war tatsächlich verflucht worden! Das konnte unmöglich wahr sein! Es war, wie ein Albtraum der einen verfolgte, obwohl man wach war.
Genau neben Arlana stand der Magier von jener verhängnisvollen Nacht. Diesmal kam mir seine Aura noch gefährlicher, noch mächtiger vor.
Zu meiner Übelkeit gesellte sich Angst, Trauer und Wut. Der Mörder meiner Gefährten stand direkt vor mir. Nur wenige Schritte trennten mich von ihm und doch war ich unfähig für sie Rache zu nehmen. Wieder einmal!
Wie als hätte er meine Gedanken gehört schweifte sein Blick in meine Richtung und ich wich hastig weiter in die Dunkelheit des Flurs zurück. Ein wölfisches Lächeln teilte seine Lippen und entsetzt hörte ich seine nächsten Worte.
„Weißt du Arlana, so wie Akesh meine Anwesenheit spüren kann, so kann auch ich eine unliebsame Gegenwart spüren. Eine, von der ich eigentlich dachte, mein Bruder hätte sie ausgelöscht.“
Aufgrund meiner wachsenden Angst, zeigte sich auch immer mehr meiner weißen Magie, die in silbrigen Wirbeln unruhig um mich herum strich. Seit dem Verlust meiner schwarzen Seele, fühlte ich mich angreifbarer als jemals zuvor. Damals hatte ich mich gegen den Magier nur dank meiner schwarzen Seele behaupten können, doch jetzt stand ich ihm wehrlos gegenüber.
„Was meinst du?“
„Wir werden belauscht Arlana.“
„Wer sollte so dumm sein …“
„Die weiße Hexe.“
Mit einem erstickten Laut wirbelte ich herum und wollte zurück in den Raum mit dem Bett fliehen, aber es blieb bei einem Versuch. Ich kam nur wenige Schritte weit.
Heiß, brennender Schmerz schlang sich um meine Taille, mein rechtes Handgelenk und meinen Hals. Es fühlte sich an, als würden sich tausende, spitze Nadeln in meine Haut bohren. Panisch griff ich mit meinen Fingern nach der magischen Schlinge, die mir die Luft raubte, in dem vergeblichen Versuch sie zu lösen. Ich stolperte und schlug hart auf dem Steinboden auf. Immer mehr meiner weißen Magie strömte aus meinem Innersten hervor und endlich lockerte sich die glühende Schlinge, die mir den Atem nahm. Dafür zogen sich die beiden anderen enger zusammen und ich schrie gepeinigt auf. Schlagartig hüllte mich silbrige Helligkeit ein, in einer Intensität, die ich so noch nie erlebt hatte. Meine weiße Magie schwoll an und rauschte einer wilden Gischt gleich über mich hinweg. Sie löste die beiden verbliebenden magischen Fäden und erleichtert biss ich die Zähne zusammen. Panisch versuchte ich meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen, denn ich musste wieder auf die Beine kommen um von hier zu fliehen. Einen weiteren Angriff seitens des Magiers würde ich nicht überstehen. Verbissen drückte ich die Beine durch, doch ich hatte keine Kraft mehr mich zu bewegen. Eine bleierne Schwere hatte sich meiner bemächtigt und unfähig mich auch nur das kleinste bisschen zu bewegen lauschte ich hilflos den näher kommenden Schritten.
Eine Welle aus Furcht und Verzweiflung brach über mich herein, denn ich ahnte, das wenn er mich erreichen sollte, mir neben dem brennenden Schmerz noch etwas viel Gefährlicheres drohte.
Meine weiße Seele verdichtete sich zu einer silbrig schimmernden Barriere und schloss mich vollständig ein. Sofort konnte ich leichter atmen und die Schmerzen ebbten ab. Absolute Stille umgab mich. Nichts was jenseits dieser Barriere war, schien mir etwas anhaben zu können. Ich fühlte mich geschützt, geborgen und losgelöst. Ich war mir sicher, das die Kraft des Magiers nicht ausreichen würde, bis zu mir durchzudringen. Er würde mir nichts mehr anhaben können. Ich musste es nur schaffen aufzustehen und von hier zu verschwinden.
Nie hätte ich gedacht das meine weiße Seele so mächtig sein konnte. Immer hatte ich ihr Gegenstück für das machtvoller von beiden gehalten, doch anscheinend hatte ich mich da getäuscht. Die silbrige Barriere meiner weißen Seele hüllte mich in einen schützenden Kokon und fasziniert beobachtete ich die kleinen Wirbel, die immer wieder darin entstanden. Es war so wunderschön anzusehen, das ich mich regelrecht in diesen Anblick verlor und die sich nähernde Gefahr vergaß.
Jedoch nur so lange, bis ich grob am Kinn gepackt wurde und von einem Augenblick zum nächsten in zwei amarantfarbene Abgründe blickte.
„Du bescherst mir nichts als Ärger kleine Hexe. Wie kannst du es wagen in meinem Reich diese Reinheit freizulassen? Ich hätte dir beide Seelen nehmen sollen!“
Akeshs harte, gefühllosen Worte lösten eine andere Art von Angst in mir aus, doch gleichzeitig entfachte die Berührung seiner Finger ein fast vergessenes Gefühl. Von jetzt auf gleich erlosch meine weiße Magie und ich kam mir wieder unsagbar verletzlich vor. Akeshs Augen huschten über meinen Hals, aber bevor ich etwas sagen konnte, ließ er mich los und stand auf.
Ein Zittern überkam mich und ängstlich sah ich zu seiner riesigen Gestalt auf. Er beachtete mich aber nicht weiter, sondern trat an mir vorbei und dem Magier gegenüber, der direkt hinter mir stand.
Ich hatte nicht einmal bemerkt das er mir so nahe gekommen war.
„Xylas, was bei allen Verdammten tust du hier?“
Akeshs Stimme war mehr ein Knurren als verständliche Worte, doch der Magier schien ihn nur zu gut zu verstehen. Ein entwaffnendes Lächeln erschien auf seinen schön geschwungenen Lippen und mir wurde mit einem Mal noch kälter.
„Freust du dich denn nicht mich zu sehen?“
„Nicht im Geringsten.“
„So ehrlich wie immer, aber genau das liebe ich an dir mein Bruder.“
Xylas warf mir an Akesh vorbei einen unleserlichen Blick zu und mir wurde erst in diesem Moment bewusst, wie falsch ich lag. Xylas war nicht nur irgend ein Magier, nein, er war viel mehr. Er war ein wilder Gott!
„Anscheinend begreift deine kleine Hexe endlich, mit wem sie sich angelegt hat.“
„Ist es nicht eher so, das du sie provoziert hast? Du holst sie aus dem Verlies nur um sie dann umzubringen?“, fragte Akesh missmutig.
„Ich wollte dich nur zum Handeln zwingen. Du wirktest so unentschlossen“, verteidigte sich Xylas mit einem Schulterzucken.
Ungläubig starrte ich Xylas an. Er war es also gewesen der mich aus meiner kalten Zelle hierher gebracht hatte. Unmöglich, das konnte nicht wahr sein!
Das Schlimmste daran war jedoch, dass mich in seinen Armen dieses verräterische Gefühl der Geborgenheit ergriffen hatte und allmählich begriff ich meinen Irrtum. Xylas Gefährlichkeit lag im Verstecken, anders als bei Akesh, dessen tiefschwarze Aura schon Warnung genug war. Xylas war derjenige, der Rias und die anderen umgebracht hatte. Selbst wenn er es nicht eigenhändig getan hatte, so hatte er zumindest den Befehl dazu gegeben. Wütend ballte ich meine Hände.
„Ich werde dich eigenhändig umbringen!“, zischte ich zornig und funkelte ihn böse an.
„Nur zu, versuche dein Glück!“
„Du hast sie alle umgebracht! Du -“
„Sei still Ellysa!“
Akeshs scharfer Befehl ließ mich verstummen. Xylas zog herausfordernd eine Augenbraue nach oben während sich seine Augen unheilvoll verdunkelten.
„Du hast es ihr also nicht gesagt? Du hast ihr die Wahrheit über ihre Gefährten verschwiegen? Anscheinend willst du sie doch quälen.“
„Verschwinde Xylas! Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein!“, stieß Akesh wütend hervor, während seine Aura dunkler und erdrückender wurde.
Xylas verkniff sich ein Lächeln und in einer fast sanft anmutenden Geste strich er Akesh mit dem Finger über die Wange.
„Lass uns ein anderes Mal darüber sprechen. Ich habe gerade tatsächlich nicht so viel Zeit und die will ich mir schließlich nehmen, wenn ich mit dir zusammen bin. Wie es scheint, macht meinen Männern ein kleiner Dieb Probleme. Bis bald mein Lieber.“
Nach einem letzten eisigen Blick auf mich, drehte sich Xylas um und war schon im nächsten Moment verschwunden.
„Was hat das alles zu bedeuten?“, hauchte ich.
Zu mehr war ich nicht in der Lage. Der brennende Schmerz von Xylas Angriff war zwar verschwunden, aber das änderte nichts daran, das ich mich kraftlos und müde fühlte. Mit klopfendem Herzen wartete ich darauf, das mir Akesh antwortete.
Bedeuteten Xylas Worte das Rias, Viktor und die anderen noch lebten? Das ich auf einen uralten Trick hereingefallen war? Bedeutete es, das ich mich von Xylas gekonnt hab täuschen und anstacheln lassen? Das Keross teilweise Vernichtung tatsächlich nichts weiter war, als das Ergebnis eines kleinen Spiels, indem ich einer braven Schachfigur gleich den Zug der Zerstörung ausgeführt hatte? Und wofür das alles? Nur um zu zeigen wie gefährlich ich war? Das meine Kräfte endlich versiegelt werden mussten?
Ich musste es von Akesh hören, ich musste die Wahrheit erfahren!
„Es ist Zeit, das ich dich zurückbringe.“
Akesh Worte jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken und ich sah die Chance verstreichen von ihm die Antwort zu bekommen, die ich so sehr begehrte.
„Nein, warte!“, flehte ich, als er sich mit einer geschmeidigen Drehung zu mir umwandte.
Seine unheilvolle Aura legte sich wie ein erstickender Mantel über mich, als er sich hinabbeugte und mich hochhob. Ich sackte an seine breite Brust und eine vernebelte Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf.
„Bitte, bitte bring mich nicht zurück in das Verlies.“
Ich konnte die Tränen in meiner Stimme hören und hasste mich selbst dafür.
Seit wann war ich so hilflos geworden? So verwundbar?
Die Antwort kam sofort, seit mir meine schwarze Seele fehlte. Die Kraft, die sie mir gegeben hatte, war mit nichts gleichzusetzen.
„Hast du Angst vor der Kälte, der Dunkelheit oder vor mir?“, fragte Akesh und ich konnte das dunkle Vibrieren seiner Stimme an seiner Brust hören.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß momentan gar nichts mehr“, antwortete ich ehrlicherweise.
Wahrscheinlich war es von allem etwas. Das Eingesperrt sein in dieser kalten Zelle hatte mich mit meinen Ängsten und meiner Einsamkeit konfrontiert. Seltsamerweise verspürte ich gerade in Akeshs Nähe nichts davon. Sogar meine Angst war im Moment verschwunden.
Darüber, dass sich das schlagartig ändern konnte, war ich mir nur all zu bewusst. Unbewusst krallte ich meine Finger in Akeshs Tunika und erntete ein tiefes Brummen von ihm.
„Ich hatte nicht vor dich in das Verlies zu bringen. Zumindest noch nicht.“
Stattdessen brachte er mich zurück in den Raum mit dem großen Bett. Er setzte mich darauf ab, hob die Decke an und als ich ihn verständnislos ansah, hob er missmutig eine Augenbraue.
„Ab mit dir unter die Decken!“
Zögerlich kam ich seiner Aufforderung nach, auch wenn es mich ungeheure Kraft kostete meine Arme und Beine zu bewegen.
„In Zukunft wirst du meinen Befehlen schneller nachkommen“, grollte Akesh und zog mir die Decke bis zur Nase hoch.
„Wie kommst du darauf, das ich dir gehorchen werde?“, murmelte ich müde und spürte wie meine weiße Seele tröstend ihre Finger nach mir ausstreckte.
„Aus dem einfachen Grund, das dir gar keine andere Wahl bleibt. Du bist hier in den Verdammten Reichen Liebes. Wenn du keine Gefangene in Ketten sein willst, dann wirst du dich mir unterwerfen und meinen Befehlen nachkommen.“
Meine Wiederworte blieben mir im Hals stecken, als sich Akesh drohend zu mir hinabbeugte und seine Lippen den meinen so nahe kamen.
Ich wartete darauf das er mich küsste und verfluchte mich im selben Moment dafür. Ich durfte mir durch Akeshs Spiel nicht erneut die Sinne vernebeln lassen. Er musste mir erzählen was wirklich mit Rias und den anderen passiert war. Wenn es Hoffnung gab, durfte er es mir nicht verheimlichen.
Einzelne, hauchzarte Fäden meiner Magie sammelten sich an meinen Fingern und zerstoben sofort wieder. Meine weiße Magie strömte durch mein Innerstes und drängte darauf herauszukommen.
„Wie nervig“, knurrte Akesh und richtete sich wieder auf.
Seine ungewöhnlichen Augen schienen mich regelrecht zu verschlingen und hätte ich es gekonnt, dann hätte ich fluchtartig das Zimmer verlassen.
„Was mache ich nur mit dir Liebes?“
Ich wusste, dass er nicht wirklich eine Antwort erwartete und somit schwieg ich. Stattdessen beobachtete ich, wie er sich seine Tunika über den Kopf zog und mir einen unverhüllten Anblick auf das beeindruckende Muskelspiel seines Oberkörpers gab. Noch immer wie betäubt sah ich, wie er nach dem Knopf seiner Hose griff und sie sich in einer einzigen fließenden Bewegung auszog. Schnell schloss ich die Augen, während mir heiß brennende Röte in die Wangen stieg.
Bei allen Göttern was tat er da? Ich war verloren!
Woher ich die Kraft nahm die Decken zurückzuschlagen, mich auf die Seite zu rollen, bereit für die Flucht aus dem Bett, wusste ich nicht. Aber es spielte auch keine Rolle.
Starke Arme umschlossen mich von hinten und zogen mich an einen stahlharten Körper. Ich keuchte auf und erstarrte.
„Flüchten ist sinnlos kleine Hexe. Du würdest es nicht einmal bis zur Tür schaffen und um ehrlich zu sein bin ich überrascht, das du es überhaupt noch schaffst, die Augen offen zu halten.“
Akesh zog mich enger an sich und ich meinte regelrecht zu ersticken. Vielleicht lag es auch daran, das ich schlichtweg vergaß zu atmen. Zittrig saugte ich Luft in meine brennenden Lungen. Ich fühlte mich wie ein wehrloses Tierchen in den Fängen eines Monsters, eines sehr gut gebauten Monsters. Meine weiße Magie versiegte endgültig und ich fühlte mich seltsam verlassen.
„Was hast du mit mir gemacht? Was hast du mit meiner schwarzen Seele getan? Warum hältst du mich in diesem … diesem Zustand gefangen?“, fragte ich leise und versuchte nicht an den gut gebauten Körper zu denken, der sich an mich drückte.
Bei allen Göttern, der Mann war die reinste Sünde!
„Wäre es dir lieber ich hätte dich getötet?“
Akeshs Atem strich über meinen Hals und ein unerwartetes Kribbeln erwachte in meinem Bauch.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich wollte auf gar keinen Fall sterben, aber so wie ich mich jetzt fühlte, so unvollständig, war auch nicht das, was ich wollte. Wenn mein weiteres Leben so aussehen sollte, gefangen in irgendeinem Verlies, mit diesem Sturm an Gefühlen in mir, mit dieser Wut, der Trauer, Hoffnungslosigkeit, dann war die Antwort auf Akesh Frage ein klar und deutliches ja. Ja, er hätte mich töten sollen. Aber …
„Ich weiß was in deinem Innersten vorgeht, aber glaube mir, ich werde es dir nicht so einfach machen. Ich habe eine Entscheidung getroffen und du wirst damit zurechtkommen. Sollte ich spüren, dass du aufgibst, werde ich dich wirklich töten. Ich werde deine verbliebene Seele im Nichts auflösen, so wie es der Rat befohlen hatte und es wird nicht einmal mehr ein Hauch von dir übrig bleiben.“
Akeshs emotionslosen Worte jagten mir eine kalte Furcht ein. Ich verstand noch immer nicht seine wahren Beweggründe.
Warum hatte er anders gehandelt, als man von ihm verlangt hatte?
„Vielleicht habe ich schon aufgegeben“, flüsterte ich und war mir sicher, Akesh würde es nicht hören, doch ich irrte mich.
„Nein, das hast du nicht. Du hättest vorhin nur stehen bleiben müssen und Xylas hätte deinem Leben ein Ende gesetzt. Anscheinend liegt dir noch etwas daran.“
„Sag mir die Wahrheit. Leben Rias und die anderen noch?“
Akesh schwieg und ich ahnte, das er mir nicht antworten würde. Zumindest jetzt nicht. Bittere Enttäuschung überkam mich, da mir auch kein Grund einfiel, warum er mir nicht einfach die Wahrheit sagen konnte.
„Bring mich zurück in das Verlies.“
Ich spürte, wie sich Akesh hinter mir anspannte und dann auf einmal war seine Hand zwischen meinen Brüsten. Ich konnte durch den dünnen Stoff des Kleides die Wärme seiner Haut spüren und verbrannte regelrecht.
„Wenn ich dich zurückbringe, wirst du morgen nicht mehr aufwachen.“
Akeshs Finger zogen den Ausschnitt des Kleides zur Seite und ich verglühte endgültig.
„Warum?“, brachte ich gerade so heraus, während ich versuchte die verschiedensten, wild durcheinander stürmenden Gefühle in mir zu bändigen.
„Deine weiße Magie raubt dir die Kraft, seit du in den Verdammten Reichen bist. An solch einem Ort wie diesem kann nichts Reines bestehen und im Moment bist du das Reinste, was es hier gibt. Solange ich nicht in deiner Nähe bin, wird sie immer wieder hervorkommen. Sie wird versuchen die Dunkelheit selbst auszulöschen, eine Tatsache, die niemals möglich sein wird und während sie dies versucht, wird sie letztendlich dich dabei auszehren.“
Akeshs Finger strich aufreizend langsam über meine Haut und näherte sich meinem Nippel. Unbewusst hielt ich die Luft an und hielt mich gerade noch davon ab, verräterisch die Beine zusammenzupressen. Ein dunkles Lachen vibrierte in seiner Brust als er mir gleichzeitig in mein Ohr biss und in meinen Nippel kniff. Erschrocken schrie ich auf und wand mich in dem engen Gefängnis seiner Arme, aber es gab kein Entkommen.
„Beruhige dich! Heute Nacht werde ich dir nichts Schreckliches antun. Doch für alles, was danach kommt, werde ich nichts versprechen. Und nun versuche dich zu entspannen kleine Hexe. Du brauchst Schlaf, damit du mir entsprechend deiner Angewohnheit, die Stirn bieten kannst.“
Ich runzelte zweifelnd die Stirn, gab aber nach. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, so musste ich mir doch eingestehen, das es am vernünftigsten war, erst einmal auf Akesh zu hören. Vielleicht hatte er wirklich recht, was meine weiße Seele betraf. Seit ich in den Verdammten Reichen aufgewacht war, hatte ich mich auf seltsame Weise ausgelaugt gefühlt. Es war ein schrecklicher Gedanke, das das Reine in mir tatsächlich dazu in der Lage wäre, mich umzubringen.
Sollte es nicht eigentlich überhaupt nicht dazu fähig sein?
„Wie soll ich schlafen, wenn du deine Hand zwischen meinen Brüsten hast?“
„Das ist dein Problem Liebes und nun sei still!“
Ich verzog halbherzig den Mund. Ich war viel zu erschöpft, um etwas pampiges zu erwidern. Außerdem meinte Akesh, ich würde heute Nacht in Sicherheit sein.
Die Frage war nur, konnte man vor einem wilden Gott wirklich sicher sein?
Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und am Ende entschied mein erschöpfter Körper. Ich trieb in einen traumlosen Schlaf und es war seit langer Zeit das erste Mal, das ich mich nicht mehr einsam fühlte.