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Kapitel 4

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Im Hyde Park herrschte der übliche Trubel, denn um diese Zeit war es nun einmal modische Pflicht, sich hier im Wagen, zu Pferd oder auch zu Fuß zu zeigen und seine Bekannten zu grüßen.

Portia saß mit Cecilia und Benedict Lynet in einem sehr schicken Landauer und lächelte in alle Richtungen. Nur als sie Kelling und Jessen sah, setzte sie eine halb hochmütige, halb mürrische Miene auf – wenigstens hoffte sie, so einigermaßen abschreckend zu wirken.

„Warum schaust du so böse, Portia?“, fragte Cecilia.

„Ach, da sind diese beiden Trottel wieder“, murrte sie. Benedict sah sich um. „Kelling? Jessen? Du lieber Himmel, nichts wie weg hier! Die beiden sind dumm wie die Nacht finster und außerdem vollkommen abgebrannt.“

„Warum gehen sie dann mir auf die Nerven?“, fragte Portia. „Man könnte ja meinen, ich sei eine Erbin oder hätte wenigstens eine Mitgift. Welch idiotischer Plan…“

„Ich sage ja, außerordentlich dumm.“ Benedict gönnte den beiden Herren am Wegesrand ein äußerst knappes Nicken, ohne das geringste Lächeln und schon waren sie an den beiden vorbei, die zu Fuß unterwegs waren.

Cecilia unterhielt sich mit einigen Freundinnen, bis die jeweiligen Kutscher darauf hingewiesen wurden, die Pferde nicht zu lange stehen zu lassen.

„Oh!“, tuschelte da Lady Poulmere und schlug die Hand theatralisch vor ihren Mund. „Da ist ja – das ist doch – ist das nicht – Walsey?“

Portia versuchte, gleichmütig zu wirken, ließ aber so unauffällig wie möglich ihren Blick schweifen. Da, dort hinten ritt er auf einem prachtvollen Braunen gesittet dahin!

„Ist das so ungewöhnlich?“, erkundigte sie sich dann mit leicht gelangweilter Stimme. „Kommen nicht alle besseren Herren zur einen oder anderen Saison?“

„Aber doch nicht Walsey!“, stöhnte Lady Poulmere in ihre exquisit behandschuhte Hand.

„Ach?“

„Louisa, lass das“, mahnte ihre Freundin.

„Warum? Man muss die Leute doch vor ihm warnen?“

„Du weißt genau, dass das alles nur dumme Gerüchte sind!“

„Aber aufregende Gerüchte!“ Über dem Handschuh funkelten die blauen Augen begeistert.

Cecilia schüttelte den Kopf. „Louisa, seit wann bist du so eine unangenehme Klatschbase? Ich bin enttäuscht von dir. Kommt, wir fahren weiter!“

Einige Minuten später hielt Walsey auf seinem Braunen neben dem Landauer an und zog seinen Hut. Cecilia nickte freundlich, Portia lächelte, Benedict unterhielt sich sogar mit Walsey, der sich schließlich verabschiedete und weiterritt.

„Jetzt möchte ich aber doch wissen, welche albernen Gerüchte über Walsey im Umlauf sind. Mir kommt er nämlich sehr vernünftig vor“, erklärte Portia und funkelte die Lynets kriegerisch an.

„Das ist er auch“, stimmte Benedict zu. „Kluger Mann, kümmert sich um Arme im East End, hat wenig Sinn für die Albernheiten der feinen Gesellschaft – die Melly und Cecilia so lieben.“ Er grinste.

„Wir machen uns über den ton doch nur lustig. Und wir versuchen, netten Mädchen den richtigen Mann zuzuschanzen und nicht irgendwelche dümmlichen Mitgiftjäger…“, erklärte Cecilia.

„Das finde ich auch sehr lobenswert, Cecilia – aber was sagen die Klatschbasen denn nun über Walsey? Ich versichere euch, ich falle nicht in Ohnmacht! Was die Ziegen, die wir vorhin getroffen haben – Poulmere und jene andere? - behaupten, ist ja höchstwahrscheinlich ohnehin gar nicht wahr…“

„Das denke ich auch, aber man müsste es eben beweisen. Und Walsey tut nichts dergleichen! Also, man sagt, er habe seine Frau getötet, weil sie untreu gewesen sei.“

„Das ist eine böse Anschuldigung“, stellte Portia fest. „Und wie ist man darauf gekommen? Warum kam er nie vor Gericht – oder gab es tatsächlich einen Prozess?“

„Nicht dass ich wüsste. Ich werde Seb fragen, er hat das Gesellschaftliche damals wohl besser verfolgt.“

„Damals? Ist das schon so lange her?“

„Ach nein, vier Jahre. Ich glaube, seine kleine Tochter ist jetzt sechs… als sie zwei war, verschwand Lady Walsey.“

„Aha. Und sie kann nicht einfach durchgebrannt sein? Vielleicht mit einem – äh – Liebhaber?“

„Aber Portia!“, rügte Cecilia ohne rechte Überzeugungskraft. „Was bitte weißt du denn von Liebhabern?“

„Natürlich überhaupt nichts, liebste Cecilia.“ Sie zog ein frommes Gesicht, musste aber leider kichern.

„Portia hat da vielleicht recht“, machte Benedict dem Vergnügen ein Ende, „war da nicht tatsächlich von einem jungen Verehrer die Rede? Wir müssen unbedingt Seb fragen. Am besten heute, das interessiert mich nämlich jetzt selbst. Der bedauernswerte Walsey… ich glaube nicht, dass er so glücklich ist. Oder auch nur zufrieden.“

„Er hat eine Tochter?“, fragte Cecilia. „Keine Söhne?“

„Nein, offenbar ist Lady Walsey schon zuvor verschwunden. Warum fragst du?“

„Ich könnte mir vorstellen, dass er nach einer zweiten Frau sucht, denn er braucht ja ein, zwei Erben für sein Earldom, nicht wahr?“

„Sehr richtig. Er soll aber in seine erste Frau durchaus verliebt gewesen sein. Ob er da noch viel Gefühl aufbringen kann, wenn er so enttäuscht worden ist…?“

„Wäre ihm denn zuzutrauen, dass er in seiner Enttäuschung auch zu Gewalt greift?“

Das wusste Benedict seiner Frau nicht zu beantworten. „Er ist nun nicht gerade mein engster Freund, nicht wahr? Ich könnte mich umhören, aber schlafende Hunde zu wecken ist nicht ganz ungefährlich…“

„Du lieber Himmel, bitte, Benedict, tu das nicht!“, bat Portia sofort, „wenn diese Gänse jetzt schon über aufregende Gerüchte tratschen und Idioten wie Kelling mir versichern, Walsey werde mich nicht heiraten und darüber möge ich gefälligst froh sein, solltest du auf keinen Fall die falschen Leute fragen!“

Benedict nickte. „Hattest du denn Interesse an Walsey?“

Portia rollte die Augen. „Nach einem Tanz und einem – zugegebenermaßen nicht langweiligen – Gespräch? Das wäre doch wohl leicht übertrieben! Sicher möchte ich in dieser Saison gerne heiraten, aber in den ersten Tanzpartner auf dem ersten Ball muss ich doch auch nicht gerade meine Krallen schlagen, oder? Er ist recht sympathisch, mehr weiß ich ja auch noch nicht. Etwas düster vielleicht.“

„Das könnte an seiner Enttäuschung liegen“, vermutete Benedict.

„Oder er kennt alle diese Gerüchte über ihn und lehnt die Gesellschaft deshalb ab?“, schlug Cecilia vor.

„Wahrscheinlich beides“, seufzte Portia.

Cecilia zwinkerte ihrem Gemahl zu. „Und eine gewisse Düsternis kann bei einem Mann ja auch recht attraktiv wirken, nicht wahr?“

„Wie bitte? Wann war ich denn jemals düster?“

„Wer spricht denn von dir, mein Schatz? Du warst höchstens rätselhaft – und das ist nicht unbedingt anziehend!“

Er ergriff die Hand seiner Gemahlin und hauchte einen Kuss darauf. „Ich bin nur froh, dass du mittlerweile nicht mehr so schlecht von mir denkst!“

Cecilia kicherte und Portia überlegte, ob die beiden sie ganz vergessen hatten oder ihr mit dem verliebten Geplänkel etwas sagen wollten: Sollte sie vielleicht nicht auf die düstere Atmosphäre, die Walsey um sich verbreitete, hereinfallen? Aber was hieß denn überhaupt hereinfallen? Sie hatte nicht das Gefühl, dass Walsey sie überhaupt umworben hatte; er hatte sich doch nur ernsthaft mit ihr unterhalten! War er überhaupt düster gewesen? Vielleicht war das auch das falsche Wort gewesen…

In der Ferne sah sie den großen Braunen mit Walsey im Sattel, wie er den Park verließ. Er saß sehr gut zu Pferde – aber das taten nahezu alle Gentlemen… nun, Sir Alexander bestimmt nicht, der hing wohl wie ein Sack im Sattel!

„Portia, was ist los? Bist du müde?“

„Nein“, antwortete sie verträumt, „ich dachte nur an Sir Alexander Jessen.“

„Wie bitte? Warum ausgerechnet an diesen – diesen -“

„Trottel“, ergänzte Benedict den Satz seiner Frau.

„Herzlichen Dank.“

„Ich dachte gerade, er hat gewiss einen furchtbaren Sitz zu Pferde. Wie ein Sack Getreide…“

Die Lynets prusteten beide los. „Genau!“, japste Cecilia dann. „Portia, du hast eine böse Zunge – und du hast vollkommen recht! Er muss ein miserabler Reiter sein…“

Sie winkten noch Lady Tenfield und ihrer immer geknechtet wirkenden Gesellschafterin zu, gönnten Sir George Dalley und seiner arroganten Gemahlin einen recht schmallippigen Gruß und versuchten den Earl of Carew zu ignorieren.

Dann wies Benedict den Kutscher an, zur South Audley Street zu fahren und Cecilia erinnerte an den Ball bei Mrs. Ramsworth am folgenden Abend.

„Darauf freue ich mich schon sehr – ihre Bälle sind immer besonders nett“, antwortete Portia. „Und mir scheint, sie lädt vergleichsweise wenige unangenehme Gäste ein, nicht wahr?“

„Ich würde mir nicht zu viele Hoffnungen machen, dass dir Kelling und Jessen erspart bleiben, meine Liebe“, wandte Benedict ein. Portia seufzte darob kummervoll und machte sich daran vor dem Haus ihrer Verwandten auszusteigen.

Rätsel im Ballsaal. Historischer Roman

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