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Kapitel 1

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Ein Weihnachtslied in Prosa

Eine Geistergeschichte der Christnacht


Erste Strophe

Marleys Geist

Marley war tot, damit wollen wir anfangen. Kein Zweifel kann

darüber bestehen. Der Schein über seine Beerdigung ward

unterschrieben von dem Geistlichen, dem Küster, dem

Leichenbestatter und den vornehmsten Leidtragenden. Scrooge

unterschrieb ihn, und Scrooges Name wurde auf der Börse

respektiert, wo er ihn nur hinschrieb. Der alte Marley war so tot

wie ein Türnagel.

Versteht mich recht! Ich will nicht etwa sagen, daß ein Türnagel

etwas besonders Totes für mich hätte. Ich selbst möchte fast zu

der Meinung neigen, daß das toteste Stück Eisen auf der Welt

ein Sargnagel sei. Aber die Weisheit unsrer Altvordern liegt in

den Gleichnissen, und meine unheiligen Hände sollen sie dort

nicht stören, sonst wäre es um das Vaterland geschehen. Man

wird mir also erlauben, mit besonderem Nachdruck zu

wiederholen, daß Marley so tot wie ein Türnagel war.

Wußte Scrooge, daß er tot war? Natürlich wußte er's. Wie sollte

es auch anders sein? Scrooge und er waren, ich weiß nicht seit

wieviel Jahren, Kompagnons.

Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger

Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger

Verwalter, sein einziger Erbe, sein einziger Freund und sein

einziger Leidtragender. Und selbst Scrooge war von dem

traurigen Ereignis nicht so schrecklich mitgenommen, um nicht

selbst am Begräbnistag ein vortrefflicher Geschäftsmann sein und

ihn mit einem unzweifelhaft guten Handel feiern zu können.

Nun bringt mich die Erwähnung von Marleys Begräbnistag

wieder zu dem Ausgangspunkt meiner Erzählung zurück. Es gibt

keinen Zweifel, daß Marley tot war. Das muß scharf ins Auge

gefaßt werden, sonst kann in der Geschichte, die ich erzählen

will, nichts Wunderbares geschehen. Wenn wir nicht vollkommen

fest überzeugt wären, daß Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück

beginnt, so wäre durchaus nichts Merkwürdiges in seinem

nächtlichen Spaziergang bei scharfem Ostwind auf den Mauern

seines eigenen Schlosses.

Nicht mehr, als bei jedem anderen Herrn in mittleren Jahren, der

sich nach Sonnenuntergang rasch zu einem Spaziergang auf

einem luftigen Platz entschließt, zum Beispiel auf dem Sankt-

Pauls-Kirchhof.

Scrooge ließ Marleys Namen nicht ausstreichen. Noch nach

Jahren stand über der Tür des Speichers »Scrooge und Marley«.

Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt.

Leute, die Scrooge nicht kannten, nannten ihn zuweilen Scrooge

und zuweilen Marley; aber er hörte auf beide Namen, denn es

galt ihm beides gleich.

galt ihm beides gleich.

Oh, er war ein wahrer Blutsauger, dieser Scrooge! Ein gieriger,

zusammenkratzender, festhaltender, geiziger alter Sünder: hart

und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen

warmen Funken geschlagen hat, verschlossen und

selbstgenügsam und ganz für sich, wie eine Auster. Die Kälte in

seinem Herzen machte seine alten Gesichtszüge starr, seine spitze

Nase noch 6

spitzer, sein Gesicht runzlig, seinen Gang steif, seine Augen rot,

seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner krächzenden

Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag auf seinem Haupt, auf

seinen Augenbrauen, auf dem starken struppigen Bart. Er

schleppte seine eigene niedere Temperatur immer mit sich herum:

in den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis, zur

Weihnachtszeit machte er es nicht um einen Grad mol iger.

Äußere Hitze und Kälte wirkten wenig auf Scrooge. Keine

Wärme konnte ihn wärmen, keine Kälte frösteln machen. Kein

Wind war schneidender als er, kein Schneegestöber

erbarmungsloser, kein klatschender Regen einer Bitte weniger

zugänglich. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der

ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Art

rühmen, besser zu sein als er: sie gaben oft im Überfluß, und das

tat Scrooge nie und nimmer.

Niemals kam ihm jemand auf der Straße entgegen, um mit

freundlichen Blicken zu ihm zu sagen:»Mein lieber Scrooge, wie

freundlichen Blicken zu ihm zu sagen:»Mein lieber Scrooge, wie

geht's, wann werden Sie mich einmal besuchen?« Kein Bettler

sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wie spät

es sei, kein Mann und keine Frau hat ihn je in seinem Leben nach

dem Weg gefragt. Selbst der Hund des Blinden schien ihn zu

kennen, und wenn er ihn kommen sah, zog er seinen Herrn in

einen Torweg und wedelte dann mit dem Schwanz, als wol te er

sagen: »Gar kein Auge, blinder Herr, ist besser als ein böses

Auge.«

Doch was kümmerte all das den alten Scrooge? Gerade das

gefiel ihm. Allein seinen Weg durch die engen Pfade des Lebens

zu wandern, jedem menschlichen Gefühl zu sagen: »Bleibe mir

fern«; das war es, was Scrooge gefiel.

Einmal, es war von allen guten Tagen im Jahr der beste, der

Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen

war es schneidend kalt und neblig, und er konnte hören, wie die

Leute im Hof, um sich zu erwärmen, prustend auf und nieder

gingen, die Hände aneinander schlugen und mit den Füßen

stampften. Es hatte eben erst drei Uhr geschlagen, doch war es

schon stockfinster. Den ganzen Tag über war es nicht hel

geworden, und die Kerzen in den Fenstern der benachbarten

Kontore flackerten wie rote Flecken auf der dicken braunen

Luft. Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes

Schlüssel och und war draußen so dick, daß die

gegenüberliegenden Häuser des sehr kleinen Hofes wie ihre

eigenen Geister aussahen. Wenn man die trübe, dicke, alles

eigenen Geister aussahen. Wenn man die trübe, dicke, alles

verfinsternde Wolke heruntersinken sah, hätte man meinen

können, die Natur wohne dicht nebenan und braue en gros.

Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen

Kommis beaufsichtigen konnte, der in einem erbärmlich feuchten,

kleinen Raum, einer Art Burgverlies, Briefe kopierte. Scrooge

hatte nur ein sehr kleines Feuer, aber des Dieners Feuer war um

so viel kleiner, daß es nur wie eine einzige Kohle aussah. Er

konnte aber nicht nachlegen, denn Scrooge hatte den

Kohlenkasten in seinem Zimmer, und jedesmal, wenn der

Kommis mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte

sein Herr, es sei wohl nötig, daß sie s ich trennten.

Worauf der Kommis seinen weißen Schal umband und

versuchte, sich an dem 7

Licht zu wärmen, was aber immer fehlschlug, da er ein Mann von

nicht sehr starker Einbildungskraft war.

»Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!« rief da eine

heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der so

schnel hereingekommen war, daß dieser Gruß das erste war,

was man von ihm bemerkte.

»Pah«, sagte Scrooge, »dummes Zeug!«

Der Neffe war vom schnel en Laufen so warm geworden, daß er

über und über glühte; sein Gesicht war rot und hübsch, seine

über und über glühte; sein Gesicht war rot und hübsch, seine

Augen glänzten und sein Atem rauchte.

»Weihnachten dummes Zeug, Onkel?« sagte Scrooges Neffe.

»Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Es ist mein Ernst«, sagte Scrooge. »Fröhliche Weihnachten?

Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen

Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.«

»Nun«, antwortete der Neffe heiter, »was für ein Recht haben

Sie, grämlich zu sein? Was für einen Grund, mürrisch zu sein? Sie

sind reich genug.«

Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort darauf bereit

hatte, sagte noch einmal »Pah!« und brummte hinterher

»Dummes Zeug!«

»Seien Sie nicht böse, Onkel«, sprach der Neffe.

»Was sol ich anderes sein«, antwortete der Onkel, »wenn ich in

einer Welt voll solcher Narren lebe? Fröhliche Weihnachten!

Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was ist

Weihnachten für dich anderes, als eine Zeit, in der du

Rechnungen bezahlen sol st, ohne Geld zu haben, eine Zeit, in

der du dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher

findest, eine Zeit, in der du deine Bücher abschließest und in

jedem Posten durch ein volles Dutzend von Monaten ein Defizit

siehst? Wenn es nach mir ginge«, setzte Scrooge heftig hinzu, »so

müßte jeder Narr, der mit seinem ›Fröhliche Weihnachten‹

herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem

Stechpalmenzweig im Herzen begraben werden.«

»Onkel!« bat der Neffe.

»Neffe«, antwortete der Onkel erbost, »feiere du Weihnachten

nach deiner Art und laß es mich nach meiner feiern.«

»Feiern!« wiederholte Scrooges Neffe. »Aber Sie feiern es ja

nicht.«

»Laß mich ungeschoren«, brummte Scrooge. »Mag es dir

Nutzen bringen. Es hat dir ja immer schon Nutzen gebracht.«

»Es gibt viele Dinge, die mir hätten nützen können und die ich

nicht genutzt habe, das weiß ich«, antwortete der Neffe, »und

Weihnachten ist eins davon.

Aber ich weiß gewiß, daß ich Weihnachten, abgesehen von der

Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung

schuldig sind, immer als eine gute Zeit betrachtet habe, als eine

liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und Barmherzigkeit, als die

einzige Zeit, die ich in dem ganzen langen Jahreskalender kenne,

da die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun

und die andern Menschen ansehen, als wären sie wirklich

Reisegefährten 8

Reisegefährten 8

nach dem Grabe und nicht eine ganz andere Art von

Geschöpfen, die einen ganz andern Weg gehen. Und daher,

Onkel, wenn es mir auch niemals ein Stück Gold oder Silber in

die Tasche gebracht hat, daher glaube ich doch, es hat mir Gutes

getan, und es wird mir Gutes tun, und ich sage ›Gott segne das

Weihnachtsfest!‹«

Der Diener in dem Burgverlies draußen applaudierte

unwillkürlich; aber im Augenblick darauf fühlte er auch die

Unschicklichkeit seines Betragens, schürte die Kohlen und

löschte dadurch die letzten kleinen Funken unwiederbringlich.

»Wenn Sie da drin mich noch einen einzigen Laut hören lassen«,

sagte Scrooge, »so feiern Sie Ihre Weihnachten mit dem Verlust

Ihrer Stel e. - Du bist ein ganz gewaltiger Redner«, fügte er dann

hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. »Es wundert mich, daß

du noch nicht ins Parlament gekommen bist!«

»Seien Sie nicht böse, Onkel. Essen Sie morgen mit uns.«

Scrooge sagte, daß er ihn erst verdammt sehen wol e; ja

wahrhaftig, er sprach sich so deutlich aus.

»Aber warum?« rief Scrooges Neffe. »Warum denn?«

»Warum hast du dich verheiratet?« fragte Scrooge.

»Weil ich mich verliebte.«

»Weil er sich verliebte!« brummte Scrooge, als sei dies das

einzige Ding in der Welt, das noch lächerlicher als eine fröhliche

Weihnacht ist. »Guten Abend!«

»Aber Onkel, Sie haben mich ja auch vorher nie besucht.

Warum sol es da ein Grund sein, mich jetzt nicht zu besuchen?«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

»Ich brauche nichts von Ihnen, ich verlange nichts von Ihnen,

warum können wir nicht gute Freunde sein?«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

»Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so hartnäckig zu finden.

Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld

gewesen wäre. Aber ich habe den Versuch gemacht,

Weihnachten zu Ehren, und ich will meine Weihnachtsstimmung

bis zuletzt behalten. Fröhliche Weihnachten, Onkel!«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

»Und ein glückliches Neujahr!«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

Trotz allem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort.

Trotz allem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort.

An der Haustür blieb er dann stehen, um mit dem Glückwunsch

des Tages den Kommis zu begrüßen, der trotz der Kälte

dennoch wärmer war als Scrooge, denn er gab den Gruß

freundlich zurück.

»Das ist auch so ein Kerl!« brummte Scrooge, der es hörte.

»Mein Kommis, mit fünfzehn Shilling die Woche und Frau und

Kindern, spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich gehe nach

Bedlam ins Irrenhaus.«

Der Kommis hatte, als er den Neffen hinaus ließ, zwei andere

Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige, wohlansehnliche

Herren, die jetzt, mit dem Hut in der Hand, in Scrooges Kontor

standen. Sie hatten Bücher und Papiere unterm Arm und

verbeugten sich.

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»Scrooge und Marley, glaube ich«, sagte einer der Herren,

indem er auf seine Liste sah. »Hab ich die Ehre, mit Mr. Scrooge

oder mit Mr. Marley zu sprechen?«

»Mr. Marley ist seit s ieben Jahren tot«, antwortete Scrooge. »Er

starb heute vor sieben Jahren.«

»Wir zweifeln nicht, daß sein überlebender Kompagnon ganz

seine Freigebigkeit besitzen wird«, sagte der Herr, indem er ihm

sein Beglaubigungsschreiben überreichte.

Er hatte ganz recht, denn sie waren wirklich zwei verwandte

Seelen gewesen.

Bei dem ominösen Wort Freigebigkeit runzelte Scrooge die

Stirn, schüttelte den Kopf und gab das Papier zurück.

»An diesem festlichen Tage des Jahres, Mr. Scrooge«, sagte der

Herr, eine Feder ergreifend, »ist es mehr als sonst

wünschenswert, wenigstens einigermaßen für die Armen zu

sorgen, die zu dieser Zeit in großer Bedrängnis leben. Vielen

Tausenden fehlen selbst die notwendigsten Bedürfnisse,

Hunderttausenden die notdürftigsten Bequemlichkeiten des

Lebens.«

»Gibt es keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.

»Überfluß an Gefängnissen«, sagte der Herr, die Feder wieder

hinlegend.

»Und die Armenhäuser?« fragte Scrooge. »Bestehen die noch?«

»Allerdings«, antwortete der Herr, »aber doch wünschte ich, sie

brauchten weniger in Anspruch genommen zu werden.«

»Tretmühle und Armengesetz sind in voller Kraft?« sagte

Scrooge.

»Beide haben alle Hände voll zu tun.«

»So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, es halte sie

etwas in ihrem nützlichen Gang auf«, sagte Scrooge. »Ich freue

mich, das Gegenteil zu hören.«

»In der Überzeugung, daß sie doch wohl kaum imstande sind,

der Seele oder dem Leib der Armen christliche Stärkung zu

geben«, entgegnete der Herr, »sind einige von uns zur

Veranstaltung einer Sammlung zusammengetreten, um für die

Armen Nahrungsmittel und Feuerung anzuschaffen. Und wir

wählen diese Zeit, weil sie vor allen andern eine Zeit ist, da der

Mangel am bittersten gefühlt wird und nur der Reiche sich freut.

Welche Summe darf ich für Sie aufschreiben?«

»Nichts«, antwortete Scrooge.

»Sie wünschen ungenannt zu bleiben?«

»Ich wünsche, daß man mich in Ruhe läßt«, sagte Scrooge. »Da

Sie mich fragen, meine Herren, was ich wünsche, so ist eben dies

meine Antwort. Ich freue mich selbst nicht zu Weihnachten und

habe nicht die Mittel, mit meinem Geld Faulenzern Freude zu

machen. Ich trage meinen Teil zu den Anstalten bei, die ich

genannt habe; s ie kosten genug, und wem es schlecht geht, der

mag dorthin gehen!«

»Viele können nicht hingehen, und viele würden eher sterben.«

»Viele können nicht hingehen, und viele würden eher sterben.«

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»Wenn sie eher sterben würden«, sagte Scrooge, »so wäre es

gut, wenn sie es täten und die überflüssige Bevölkerung dadurch

verminderten. Übrigens, Sie entschuldigen, ich weiß nichts

davon.«

»Aber Sie könnten es wissen«, bemerkte der Herr.

»Es kümmert mich nichts«, antwortete Scrooge. »Es genügt,

wenn ein Mann sein eignes Geschäft versteht und sich nicht in

das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze Zeit in

Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«

Da sie deutlich einsahen, wie vergeblich weitere Versuche sein

würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge setzte sich

wieder an die Arbeit mit einer erhöhten Meinung von sich selbst

und in einer bessern Laune als gewöhnlich.

Nebel und Dunkelheit hatten inzwischen so zugenommen, daß

die Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen

vorzuleuchten. Der alte Kirchturm, dessen brummende alte

Glocke sonst unverwandt aus einem alten gotischen Fenster in

der Mauer listig auf Scrooge herabsah, wurde unsichtbar in den

Wolken und schlug die Stunden und Viertel mit einem zitternden

Nachklang, als wenn in dem erfrorenen Kopfe droben die Zähne

klapperten. Die Kälte wurde immer schneidender. In der

klapperten. Die Kälte wurde immer schneidender. In der

Hauptstraße an der Ecke der Sackgasse wurden die

Gasleitungen ausgebessert, und die Arbeiter hatten ein großes

Feuer in einer Kohlenpfanne angezündet. Darum herum drängten

sich einige zerlumpte Männer und Knaben, die über den

Flammen behaglich blinzelnd s ich die Hände wärmten. Aus der

eisernen Pumpe, sich selbst überlassen, floß ungehindert Wasser

aus, aber bald war es zu Eis erstarrt. Der Lichtschimmer der

Läden, in deren Fenstern Stechpalmenzweige und Beeren in der

Lampenwärme knisterten, rötete die bleichen Gesichter der

Vorübergehenden. Die Gewölbe der Geflügel-und

Materialwarenhändler sahen aus wie ein glänzendes, fröhliches

Märchenland, und es schien fast unmöglich, damit den Gedanken

an eine so langweilige Sache wie Kauf und Verkauf zu

verbinden. Der Lord Mayor gab in den innern Gemächern des

Mansion House seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern

Befehl, Weihnachten zu feiern, wie es eines Lord Mayors würdig

ist, und selbst der kleine Schneider, den er am Montag vorher

wegen Trunkenheit und blutrünstiger Äußerungen in der

Öffentlichkeit mit fünf Shil ing gestraft hatte, rührte den Pudding

für morgen in seinem Dachkämmerchen, während seine magere

Frau mit dem Säugling auf dem Arm wegging, um das Roastbeef

zu kaufen.

Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, schneidend

kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan die Nase des Gottseibeiuns

nur mit einem Hauch von diesem Wetter gefaßt hätte, anstatt

seine gewöhnlichen Waffen zu gebrauchen, dann hätte er wohl

seine gewöhnlichen Waffen zu gebrauchen, dann hätte er wohl

recht gebrüllt. Der Inhaber einer kleinen, jungen Nase, an der die

hungrige Kälte biß und nagte, wie Hunde an einem Knochen,

legte sich an Scrooges Schlüssel och, um ihn mit einem

Weihnachtsliede zu erfreuen. Aber beim ersten Ton des Liedes

ergriff Scrooge das Lineal mit einer solchen Heftigkeit, daß der

Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüssel och dem Nebel

und dem noch verwandteren Frost überließ.

11

Endlich kam die Feierabendstunde. Unwillig stieg Scrooge von

seinem Sessel und gab dadurch dem harrenden Kommis in dem

Verlies stil schweigend die Einwilligung zum Aufbruch, worauf

dieser sogleich das Licht auslöschte und den Hut aufsetzte.

»Sie wol en morgen den ganzen Tag frei haben, vermute ich«,

sagte Scrooge.

»Wenn es Ihnen recht ist, Sir.«

»Es ist mir durchaus nicht recht«, sagte Scrooge, »und es gehört

sich auch nicht. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone dafür abzöge,

würden Sie denken, es geschähe Ihnen Unrecht, nicht wahr?«

Der Kommis antwortete mit einem gezwungenen Lächeln.

»Und doch«, sagte Scrooge, »denken Sie nicht daran, daß mir

Unrecht geschieht, wenn ich einen Tag Lohn bezahle für einen

Unrecht geschieht, wenn ich einen Tag Lohn bezahle für einen

Tag Faulenzen.«

Der Kommis bemerkte, daß es ja nur einmal im Jahr geschähe.

»Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten

Dezember eines Mannes Tasche zu bestehlen«, murrte Scrooge,

indem er seinen Überrock bis an das Kinn zuknöpfte. »Aber ich

vermute, Sie wol en den ganzen Tag frei haben? Seien Sie

wenigstens übermorgen um so früher hier!«

Der Kommis versprach es, und Scrooge ging mit einem

Brummen fort. Das Kontor war im Nu geschlossen, und der

Kommis, dem die langen Enden seines weißen Schals um die

Beine baumelten, schlitterte zu Ehren des Festes in einer Reihe

von Knaben zwanzigmal Cornhill hinunter; dann lief er so schnel

wie möglich in seine Wohnung in Camden Town, um dort

Blindekuh zu spielen.

Scrooge nahm sein einsames, trübseliges Mahl in seinem

gewöhnlichen, einsamen, trübseligen Gasthaus ein, und nachdem

er al e Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit

seinem Bankjournal vertrieben hatte, ging er nach Hause zurück,

um zu schlafen. Er wohnte in den Zimmern, die seinem

verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es war eine düstere

Flucht von Zimmern in einem niedrigen, dunklen Gebäude, das in

seinen Hof so ganz und gar nicht hineinpaßte, daß man fast hätte

glauben mögen, es habe sich, als es noch ein junges Haus war

glauben mögen, es habe sich, als es noch ein junges Haus war

und mit andern Häusern Versteck spielte, dorthin verlaufen und

nicht wieder hinausfinden können. jetzt war es alt und öde, weil

niemand dort wohnte als Scrooge und alle andern Örtlichkeiten

als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel,

daß selbst Scrooge, der dort jeden Pflasterstein kannte, seinen

Weg mit den Händen ertasten mußte.

Der Nebel und der Frost bal ten sich so dick und schwer um den

schwarzen alten Torweg des Hauses, als hocke der Wettergeist

in trübem Sinnen auf der Schwelle.

Nun steht es fest, daß an dem Klopfer der Haustür ganz und gar

nichts Besonderes war als seine Größe. Auch steht es fest, daß

ihn Scrooge jeden Abend und jeden Morgen, seitdem er das

Haus bewohnte, gesehen hatte und daß Scrooge so wenig

Phantasie besaß, als irgend jemand in der City von London, mit

Einschluß des Stadtrats - wenn das zu sagen erlaubt ist -, der

Aldermen und der Zünfte. Man vergesse auch nicht, daß

Scrooge, außer heute nachmittag, keine Sekunde an seinen vor

sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht 12

hatte. Und dann erkläre mir jemand, warum Scrooge, als er

seinen Schlüssel in das Türschloß steckte, in dem Klopfer, ohne

daß dieser sich vor seinen Augen verändert hätte, keinen

Türklopfer, sondern Marleys Gesicht sah?

Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht von so undurchdringlichem

Dunkel umgeben, wie die andern Gegenstände im Hof, sondern

Dunkel umgeben, wie die andern Gegenstände im Hof, sondern

von einem unheimlichen Licht, wie ein verdorbener Hummer in

einem dunklen Keller. Es blickte ihm nicht wild entgegen, oder

zürnend, sondern sah Scrooge an, wie ihn Marley gewöhnlich

angesehen hatte, die gespenstige Brille auf die gespenstige Stirn

hinaufgeschoben. Das Haar stand ihm seltsam zu Berg, wie von

Atem oder heißer Luft gesträubt, und obgleich die Augen weit

offen standen, waren sie doch ohne jede Bewegung. Dies und

die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich: aber

diese Schrecklichkeit schien eher etwas dem Gesicht

Aufgezwungenes zu sein, als ein Teil seines Ausdruckes.

Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, da sah er wieder

einen Türklopfer!

Es wäre eine Unwahrheit, zu sagen, er sei nicht erschrocken

oder sein Blut habe nicht ein grausendes Gefühl durchzuckt, das

ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war. Aber

gewaltsam faßte er sich, faßte mit der Hand abermals nach dem

Schlüssel, drehte ihn um, trat in das Haus und zündete sein Licht

an.

Und doch zögerte er einen Augenblick, bevor er die Tür schloß,

und spähte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, mit

dem Anblick von Marleys Zopf erschreckt zu werden. Aber

hinter der Tür war nichts, als die Schrauben, die den Klopfer

festhielten, und so sagte er: »Bah, bah«, und warf sie hinter sich

ins Schloß.

ins Schloß.

Der Schal klang wie ein Donner durch das Haus. jedes Zimmer

oben und jedes Faß in des Weinhändlers Keller unten schien mit

seinem besonderen Echo zu antworten. Scrooge war nicht der

Mann, der sich durch Echos erschrecken ließ. Er schloß die Tür,

ging über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam,

langsam und beim Hinaufgehen das Licht heller machend.

Man mag behaupten, daß sich's mit einem Sechsspänner eine

stattliche alte Treppenflucht hinauf - oder mitten durch ein neues

Parlamentsdekret hindurchsausen lasse; ich sage aber, daß man

mit einem Leichenwagen, und zwar der Quere nach, mit der

Deichsel nach der Wand und mit der Tür nach dem Geländer zu,

diese Treppe hinaufgekommen wäre, und zwar ganz bequem.

Und das ist vielleicht die Ursache, warum Scrooge glaubte, er

sähe einen Leichenwagen vor sich hinaufdampfen. Ein halbes

Dutzend Gaslampen von der Straße aus hätten den Eingang nicht

hell genug gemacht, und so kann man sich denken, daß es bei

Scrooges kleinem Talglicht ziemlich dunkel blieb.

Scrooge aber ging hinauf und kümmerte sich keinen Pfifferling

um all das.

Dunkelheit ist billig, und das Billige liebte Scrooge. Aber ehe er

seine schwere Tür zumachte, ging er durch die Zimmer, um zu

sehen, ob alles in Ordnung sei.

Er erinnerte sich des Gesichts noch gerade genug, um das zu

Er erinnerte sich des Gesichts noch gerade genug, um das zu

wünschen.

13

Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es

sein sol te.

Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines

Feuer auf dein Rost, Löffel und Teller bereit und das kleine

Töpfchen Haferschleim (Scrooge hatte den Schnupfen) auf dem

Feuer. Niemand unter dem Bett, niemand im Alkoven, niemand

in seinem Schlafrock, der auf eine ganz verdächtige Weise an der

Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich. Ein alter

Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger

Waschtisch und ein Schüreisen.

Vollkommen zufriedengestellt, machte er die Tür zu, schloß sich

ein und schob noch den Riegel vor, was sonst seine Gewohnheit

nicht war, So gegen Überraschung sichergestel t, legte er seine

Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock an und die Pantoffeln, setzte

die Nachtmütze auf und nahm dann vor dem Feuer Platz, um

seinen Haferschleim zu essen.

Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, in einer so kalten Nacht

so gut wie gar keins. Er mußte sich dicht daran setzen und sich

darüber hinbeugen, um das geringste Wärmegefühl von dieser

Handvoll Kohlen zu erhaschen. Der Kamin war vor langen

Jahren von einem holländischen Kaufmann gebaut worden und

ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen mit Bildern aus der

biblischen Geschichte belegt. Da sah man Kain und Abel,

Pharaos Töchter, die Königin von Saba, Engel durch die Luft auf

Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham,

Belsazar, Apostel in See gehend auf Butterschiffen, Hunderte

von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen, und doch kam das

Gesicht Marleys wie der Stab des alten Propheten und

verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese weiß

gewesen wäre und die Macht gehabt hätte, aus den vereinzelten

Fragmenten seiner Gedanken ein Bild auf ihre Fläche zu zaubern,

auf jeder wäre ein Abbild von des alten Marley Ges icht

erschienen.

»Dummes Zeug!« brummte Scrooge und schritt durch das

Zimmer.

Nachdem er einige Male auf und ab gegangen war, setzte er sich

wieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, fiel sein Auge

wie durch Zufall auf eine Klingel, eine alte, nicht mehr gebrauchte

Klingel, die zu einem jetzt vergessenen Zwecke mit einem

Zimmer im obersten Stockwerk des Hauses in Verbindung

stand. Zu seinem großen Erstaunen und mit einem seltsamen,

unerklärlichen Schauer sah er, wie die Klingel sich zu bewegen

begann: erst bewegte sie sich so wenig, daß sie kaum einen Ton

von sich gab, aber bald schel te sie laut und mit ihr jede andre

Klingel des Hauses.

Das mochte eine halbe Minute gedauert haben, oder eine ganze,

aber es kam ihm vor wie eine Stunde. Die Klingeln hörten

gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Dann

vernahm man ein Rasseln tief unten, als ob jemand über die

Fässer in des Weinhändlers Keller eine schwere Kette schleppe.

jetzt erinnerte sich Scrooge gehört zu haben, daß Gespenster

Ketten schleppen.

Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Knall auf, und

dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten,

dann wie es die Treppe herauf und dann wie es gerade auf seine

Tür zukam.

»Es ist ja dummes Zeug«, sagte Scrooge. »Ich glaube nicht

dran.«

14

Aber er wechselte doch die Farbe, als es nun ohne zu verweilen,

durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat,

flammte das sterbende Feuer auf, als riefe es: »Ich kenne ihn,

Marleys Geist!«, und die Glut sank wieder zusammen.

Dasselbe Ges icht, ganz dasselbe. Marley mit seinem Zopf,

seiner gewöhnlichen Weste, den engen Hosen und hohen

Stiefeln, deren Troddeln in die Höhe standen, wie sein Zopf, und

ebenso seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf. Die

ebenso seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf. Die

Kette, die er hinter sich herschleppte, war um seinen Leib

geschlungen. Sie war lang, ringelte sich wie ein Schwanz und war

(Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassen,

Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Kontrakten und

schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt.

Sein Leib war so durchsichtig, daß Scrooge durch die Weste

hindurch die zwei Knöpfe hinten an seinem Rock sehen konnte.

Scrooge hatte oft sagen gehört, Marley habe kein Herz, aber

erst jetzt glaubte er es.

Nein, er glaubte es selbst jetzt noch nicht. Obgleich er das

Gespenst durch und durch und vor sich stehen sah, obgleich er

den erkältenden Schauer seiner totenstarren Augen fühlte und

selbst den Stoff des Tuches erkannte, das ihm um Kopf und

Kinn gebunden war und das er früher nicht bemerkt hatte, war er

dennoch ungläubig und sträubte sich gegen das Zeugnis seiner

Sinne.

»Nun«, sagte Scrooge, scharf und kalt wie gewöhnlich, »was

wol t Ihr?«

»Viel!« Das war Marleys Stimme.

»Wer seid Ihr?«

»Fragt mich, wer ich war.«

»Fragt mich, wer ich war.«

»Nun, wer wart Ihr?« fragte Scrooge lauter. »Für einen Schatten

seid Ihr ja sonderbar.«

»Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jacob Marley.«

»Könnt Ihr Euch setzen?« fragte Scrooge und sah ihn zweifelnd

an.

»Ich kann es.«

»So tut's.«

Scrooge fragte nur, weil er nicht wußte, ob sich ein so

durchsichtiger Geist setzen könne, und er fühlte die

Notwendigkeit einer unangenehmen Erklärung, wenn es ihm nicht

möglich wäre. Aber der Geist setzte sich auf der anderen Seite

des Kamins nieder, als sei er so gewohnt.

»Ihr glaubt nicht an mich?« fragte der Geist.

»Nein«, sagte Scrooge.

»Welches Zeugnis, außer dem Eurer Sinne, wollt Ihr von meiner

Wirklichkeit haben?«

»Ich weiß nicht«, sprach Scrooge.

»Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«

»Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«

»Weil sie die geringste Kleinigkeit stört«, entgegnete Scrooge.

»Eine kleine Unpäßlichkeit des Magens macht sie zu Lügnern.

Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch, ein Käserindchen,

ein Stückchen schlechter Kartoffeln sein.

15

Wer Ihr auch sein möget, Ihr habt mehr vom Unterleib, als von

der Unterwelt an Euch.«

Es war nicht eben Scrooges Gewohnheit, Witze zu machen, auch

fühlte er eben jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit ist,

daß er sich bestrebte lustig zu sein, um s ich zu erleichtern und

sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes ließ

ihn bis ins Mark erzittern.

Diesen starren, toten Augen nur einen Augenblick schweigend

gegenüberzusitzen, wäre teuflisch gewesen, das fühlte Scrooge

wohl. Auch daß das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre

hatte, war so grauenerregend.

Scrooge fühlte sie nicht selbst, aber doch mußte es so sein; denn

obgleich das Gespenst ganz regungslos dasaß, bewegten sich

sein Haar, seine Rockschöße und seine Stiefeltroddeln wie von

dem heißen Dunst eines Ofens.

»Ihr seht diesen Zahnstocher«, sprach Scrooge, seinen Angriff

aus dem eben angeführten Grunde sogleich aufs neue beginnend

und von dem Wunsch beseelt, den starren, eisigen Blick des

Gespenstes, wenn auch nur für einen Augenblick, von sich

abzulenken.

»Ja«, antwortete der Geist.

»Ihr schaut ihn ja nicht an«, sagte Scrooge.

»Aber ich sehe ihn trotzdem«, sprach das Gespenst.

»Gut denn«, antwortete Scrooge. »Ich brauche ihn nur

hinunterzuschlucken und mein ganzes übriges Leben hindurch

verfolgen mich eine Legion Kobolde, die ich selbst erschaffen

habe. Dummes Zeug, sag ich, dummes Zeug!«

Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen markerschütternden

Schrei aus und ließ seine Kette so grauenerregend und

fürchterlich klirren, daß sich Scrooge fest an seinen Stuhl halten

mußte, um nicht ohnmächtig herunterzufallen. Aber wie wuchs

sein Entsetzen, als das Gespenst das Tuch von dem Kopfe

nahm, als wär es ihm zu warm im Zimmer, so daß der

Unterkiefer auf die Brust herunterklappte.

Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors

Gesicht.

»Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung, warum verfolgst du

mich?«

»Mensch mit dem irdisch gesinnten Verstand«, entgegnete der

Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«

16

»Ich glaube«, sagte Scrooge, »ich muß glauben. Aber warum

»Ich glaube«, sagte Scrooge, »ich muß glauben. Aber warum

wandeln Geister auf Erden, und warum kommen sie zu mir?«

»Von jedem Menschen wird verlangt, daß seine Seele unter

seinen Mitmenschen wandle, in die Ferne und in die Nähe«,

antwortete der Geist; »und wenn die Seele dies während des

Lebens nicht tut, so ist sie verdammt, es nach dem Tode zu tun.

Man ist verdammt, durch die Welt zu wandern - ach, wehe mir!

- und zu sehen, was man nicht teilen kann, was man aber auf

Erden hätte teilen können und zu seinem Glück anwenden sol

en.«

Und wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus und schüttelte

seine Ketten und rang die schattenhaften Hände.

»Du bist gefesselt«, sagte Scrooge zitternd. »Sage mir, warum?«

»Ich trage die Kette, die ich während meines Lebens

geschmiedet habe«, sprach der Geist. »Ich schmiedete sie Glied

für Glied und Elle für Elle; mit meinem eigenen freien Willen lud

ich sie mir auf, und mit meinem eigenen freien Willen trug ich sie.

Ihre Glieder kommen dir seltsam vor?«

Scrooge zitterte mehr und mehr.

»Oder willst du wissen«, fuhr der Geist fort, »wie schwer und

wie lang die Kette ist, die du selber trägst? Sie war gerade so

lang und so schwer wie diese hier, vor sieben Weihnachten.

Seitdem hast du daran gearbeitet! Es ist eine schwere Kette.«

Seitdem hast du daran gearbeitet! Es ist eine schwere Kette.«

Scrooge sah auf den Boden hinab, in der Erwartung, sich von

fünfzig oder sechzig Ellen Eisenkette umschlungen zu sehen; aber

er sah nichts.

»Jacob«, sagte er flehend. »Jacob Marley, sage mir mehr. Sprich

mir Trost zu, Jacob.«

»Ich habe keinen Trost zu geben«, antwortete der Geist. »Er

kommt von andern Regionen, Ebenezer Scrooge, und wird von

andern Boten zu andern Menschen gebracht. Auch kann ich dir

nicht sagen, was ich dir sagen möchte.

Ein klein wenig mehr ist alles, was mir erlaubt ist. Nirgends kann

ich rasten oder ruhen. Mein Geist ging nie über unser Kontor

hinaus - merke wohl auf - im Leben blieb mein Geist immer in

den engen Grenzen unsrer schachernden Höhle; und weite

Reisen liegen noch vor mir.«

Scrooge hatte die Gewohnheit, wenn er nachdenklich wurde, die

Hand in die Hosentasche zu stecken.

Über das nachsinnend, was der Geist sagte, tat er es auch jetzt,

aber ohne die Augen zu erheben oder vom Stuhl aufzustehen.

»Du mußt dir aber viel Zeit gelassen haben, Jacob«, bemerkte er

im Ton eines Geschäftsmannes, obgleich mit viel Demut und

Ehrerbietung.

Ehrerbietung.

»Viel Zeit!« wiederholte der Geist.

»Sieben Jahre tot«, sagte sinnend Scrooge. »Und die ganze Zeit

über gereist.«

»Die ganze Zeit«, sagte der Geist. »Ohne Frieden, ohne Ruhe

und mit den Qualen ewiger Reue.«

»Du reisest schnel «, sagte Scrooge.

»Auf den Schwingen des Windes«, sagte der Geist.

17

»Du hättest eine große Strecke in sieben Jahren bereisen

können«, sagte Scrooge.

Als der Geist dies hörte, stieß er wieder einen Schrei aus und

klirrte so gräßlich mit seiner Kette durch das Grabesschweigen

der Nacht, daß ihn die Polizei mit vollem Recht wegen

Ruhestörung hätte bestrafen können.

»Oh, gefangen und gefesselt«, rief das Gespenst, »nicht zu

wissen, daß Zeitalter von unaufhörlicher Arbeit unsterblicher

Geschöpfe vergehen, ehe sich das Gute, dessen die Erde fähig

ist, entwickeln kann. Nicht zu wissen, daß jeder christliche Geist

dieses Erdenleben zu kurz finden wird, um alles Nützliche zu tun,

dieses Erdenleben zu kurz finden wird, um alles Nützliche zu tun,

und wenn er auch in einem noch so kleinen Kreise wirkt. Aber

ich wußte es nicht, ach, ich wußte es nicht!«

»Aber du warst immer ein guter Geschäftsmann, Jacob«,

stotterte Scrooge zitternd, der jetzt anfing, das Schicksal des

Geistes auf sich selbst zu beziehen.

»Geschäft!« rief das Gespenst, seine Hände abermals ringend.

»Der Mensch wäre mein Geschäft gewesen! Das al gemeine

Wohl wäre mein Geschäft gewesen! Barmherzigkeit,

Versöhnlichkeit und Liebe, alles das wäre mein Geschäft

gewesen! Al es, was ich in meinem Gewerbe tat, war nur ein

kleiner Tropfen Wasser im weiten Ozean meines Geschäfts!«

Er hielt seine Kette vor sich hin, als ob sie die Ursache seines

nutzlosen Schmerzes gewesen wäre, und warf sie abermals

dumpfdröhnend nieder.

»Zu dieser Zeit des schwindenden Jahres«, sagte das Gespenst,

»leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde gehefteten

Augen durch die Schar meiner Mitmenschen und wendete

meinen Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die

Weisen zur Wohnung der Armut führte? Gab es keine arme

Hütte, wohin mich sein Licht hätte leiten können?«

Scrooge hörte mit Entsetzen das Gespenst so reden und fing an

gewaltig zu zittern.

»Höre mich«, mahnte der Geist. »Meine Zeit ist halb vorbei.«

»Ich höre«, hauchte Scrooge. »Aber mach es gnädig mit mir!

Werde nicht hitzig, Jacob, ich bitte dich.«

»Wie es kommt, daß ich in einer dir sichtbaren Gestalt vor dich

treten kann, das weiß ich nicht. Viele, viele Tage habe ich

unsichtbar neben dir gesessen.«

Das war kein angenehmer Gedanke. Scrooge schauderte und

wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Es ist kein leichter Teil meiner Sühne«, fuhr der Geist fort.

»Heute nacht komme ich zu dir, um dich zu warnen, da du noch

die Möglichkeit hast, meinem Schicksal zu entgehen. Eine

Möglichkeit und eine Hoffnung, die du mir zu verdanken hast.«

»Du bist immer mein guter Freund gewesen«, murmelte Scrooge.

»Ich danke dir.«

»Drei Geister«, fuhr das Gespenst fort, »werden zu dir

kommen.« Bei diesen Worten wurde Scrooges Angesicht fast so

unglücklich wie das des Gespenstes.

»Ist das die Möglichkeit und die Hoffnung, die du genannt hast,

Jacob?« fragte er mit bebender Stimme.

18

»Ja.«

»Ich - ich möchte lieber nicht«, sagte Scrooge.

»Ohne ihr Kommen«, sagte der Geist, »kannst du nicht hoffen,

den Pfad zu vermeiden, dem ich nun folgen muß. Erwarte den

den Pfad zu vermeiden, dem ich nun folgen muß. Erwarte den

ersten morgen früh, wenn die Glocke eins schlägt.«

»Könnte ich sie nicht al e miteinander hinter mich bringen?«

meinte Scrooge.

»Erwarte den zweiten in der nächsten Nacht um dieselbe Stunde.

Den dritten in der darauffolgenden Nacht, wenn der letzte Schlag

der zwölften Stunde verklungen ist. Schau mich an, denn du

siehst mich nicht wieder; und schau mich an, damit du dich um

deinetwillen an das erinnerst, was zwischen uns vorgefallen ist.«

Als es diese Worte gesprochen hatte, nahm das Gespenst das

Tuch vom Tisch und band es sich wieder um den Kopf. Scrooge

merkte es am Geräusch der Zähne, als die Kinnladen

zusammenklappten. Er wagte, die Augen zu erheben, und sah

seinen übernatürlichen Besuch vor sich stehen, die Augen noch

starr auf ihn geheftet und die Kette um Leib und Arme

gewunden.

Die Erscheinung entfernte sich rückwärtsgehend, und bei jedem

Schritt öffnete sich das Fenster ein wenig, so daß es weit offen

stand, als das Gespenst es erreicht hatte. Es winkte Scrooge,

näher zu kommen, und er tat es. Als sie noch zwei Schritte

voneinander entfernt waren, hob Marleys Geist die Hand und

gebot ihm, nicht näher zu kommen. Scrooge stand still. Mehr aus

Überraschung und Furcht, als aus Gehorsam, denn wie sich die

gespenstige Hand erhob, hörte er verwirrte Klänge durch die

Luft schwirren und unzusammenhängende Töne der Klage und

Luft schwirren und unzusammenhängende Töne der Klage und

des Leides, unsäglich schmerzlich und reuevoll. Das Gespenst

hörte eine Weile zu und stimmte dann in das Klagelied ein; dann

schwebte es in die dunkle, kalte Nacht hinaus.

Scrooge trat an das Fenster, von Neugier fast zur Verzweiflung

getrieben. Er sah hinaus.

Die Luft war mit Schatten angefül t, die in ruheloser Hast klagend

hin und her schwebten. jeder trug eine Kette wie Marleys Geist;

einige wenige waren zusammengeschmiedet (wahrscheinlich

schlechte Minister), keiner war ganz 19

fessel os. Viele waren Scrooge während ihres Lebens bekannt

gewesen. Ganz genau hatte er einen alten Geist in einer weißen

Weste gekannt, der einen ungeheuren eisernen Geldkasten hinter

sich herschleppte und jämmerlich schrie, einer armen, alten Frau

mit einem Kind nicht beistehen zu können, die unten auf einer

Türschwel e saß. Man sah es deutlich, ihre Pein war, sich

umsonst bestreben zu müssen, den Menschen Gutes zu tun und

die Macht dazu auf immer verloren zu haben.

Ob diese Wesen in dem Nebel zergingen oder ob sie der Nebel

einhül te, wußte er nicht zu sagen. Aber sie und ihre

Gespensterstimmen vergingen gleichzeitig, und die Nacht wurde

wieder so, wie sie auf seinem Nachhauseweg gewesen war.

Scrooge schloß das Fenster und untersuchte die Tür, durch die

Scrooge schloß das Fenster und untersuchte die Tür, durch die

das Gespenst eingetreten war. Sie war noch verschlossen und

verriegelt wie vorher. Er versuchte zu sagen: »Dummes Zeug«,

blieb aber bei der ersten Silbe stecken, und da er von der innern

Bewegung, oder von den Anstrengungen des Tages, oder von

seinem Einblick in die unsichtbare Welt, oder von der

Unterhaltung mit dem Gespenst, oder der späten Stunde sehr

erschöpft war, ging er sogleich ins Bett, ohne sich auszuziehen,

und sank sofort in Schlaf.

20

Zweite Strophe

Der erste Geist

Als Scrooge wieder erwachte, war es so finster, daß er das

Fenster kaum von den Wänden seines Zimmers unterscheiden

konnte. Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Katzenaugen

zu durchdringen, als die Glocke eines Turmes in der

Nachbarschaft mit vier Viertelschlägen die volle Stunde

ankündigte. Er lauschte, um die Stundenschläge zu hören.

Zu seinem großen Erstaunen schlug die Glocke fort, von sechs zu

sieben, von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann schwieg

sie.

Zwölf! Es war zwei vorübergewesen, als er sich zu Bett gelegt

hatte. Das Uhrwerk mußte falsch gehen.

Ein Eiszapfen mußte zwischen die Räder gekommen sein. Zwölf!

Er drückte an die Feder seiner Repetieruhr, um die verrückte

Glocke zu kontrol ieren. Ihr kleiner lebhafter Puls schlug zwölf

und schwieg.

»Was! Das ist doch nicht möglich«, sagte Scrooge. »Ich sol den

ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein geschlafen

ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein geschlafen

haben? Es kann doch nicht sein, daß der Sonne etwas passiert

und es mittags um zwölf ist?«

Mit diesen unruhigen Gedanken beschäftigt, stieg er aus dem

Bett und tappte nach dem Fenster. Er mußte das Eis erst

wegkratzen und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes

abwischen, ehe er etwas sehen konnte; und auch nachher konnte

er nur sehr wenig sehen. Alles, was er bemerkte, war, daß es

noch sehr neblig und sehr kalt war, und daß man nicht den Lärm

hin und her eilender Leute hörte, was doch gewiß vernehmbar

gewesen wäre, wenn Nacht plötzlich den hellen Tag vertrieben

und von der Welt Besitz genommen hätte.

Das war ein großer Trost, weil Bedingungen wie »Drei Tage

nach Sicht bezahlen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer

Scrooge oder dessen Order«

und so weiter bloße Vereinigte-Staaten-Sicherheiten wären,

wenn es keine Tage mehr gab, um danach zu zählen.

Scrooge legte sich wieder ins Bett und dachte darüber nach,

konnte aber zu keinem Schluß kommen. Je mehr er nachdachte,

desto verwirrter wurde er, und je mehr er sich bemühte nicht

nachzudenken, desto mehr dachte er nach.

Marleys Geist machte ihm viel zu schaffen. Immer, wenn er nach

reiflicher Überlegung zu dem festen Entschluß gekommen war,

das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie eine

das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie eine

starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück

und legte ihm erneut dieselbe Frage vor, die er schon zehnmal

überlegt hatte: »War es ein Traum oder nicht?«

Scrooge blieb in diesem Zustand liegen, bis es wieder drei

Viertel schlug. Da besann er sich plötzlich, daß der Geist ihm

eine Erscheinung mit dem Schlag eins versprochen hatte. So

beschloß er wach zu bleiben, bis die Stunde vorüber sei, und

wenn man bedenkt, daß er ebensowenig schlafen, als in den

Himmel kommen konnte, war dies gewiß der klügste Entschluß,

den er fassen konnte.

21

Die Viertelstunde war so lang, daß es ihm mehr als einmal

vorkam, er müsse unversehens in Schlaf gefal en sein und die

Uhr überhört haben. Endlich vernahm sein lauschendes Ohr die

Glocke.

»Bim, bam!«

»Ein Viertel«, sagte Scrooge zählend.

»Bim, bam!«

»Halb«, sagte Scrooge.

»Bim, bam!«

»Bim, bam!«

»Drei Viertel«, sagte Scrooge.

»Bim, bam!« »Voll!« rief Scrooge freudig. »Und weiter nichts!«

Er sprach das, ehe die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit

einem tiefen, hohlen, melancholischen Klang tat. In demselben

Augenblick wurde es hel im Zimmer, und die Vorhänge seines

Bettes wurden geöffnet.

Ich sage euch, die Vorhänge seines Bettes wurden von einer

Hand weggezogen, und sich aufrichtend blickte Scrooge dem

unirdischen Gast, der sie geöffnet hatte, in das Gesicht. So dicht

stand er ihm gegenüber, wie ich jetzt im Geist neben euch stehe.

Es war eine sonderbare Gestalt, gleich einem Kind, aber doch

eigentlich nicht gleich einem Kind, sondern mehr wie ein Greis,

der durch einen wunderbaren Zauber erschien, als sei er dem

Auge entrückt und auf diese Weise so klein geworden wie ein

Kind. Sein Haar, das in langen Locken auf seine Schultern

herabwal te, war weiß, wie vom Alter, und dennoch hatte das

Gesicht keine einzige Runzel, und um das Kinn bemerkte man

den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und muskulös, die

Hände ebenso, als läge in ihnen eine ungeheure Kraft. Seine

Füße, zart und fein geformt, waren entblößt, gleich den Armen.

Der Geist trug einen Talar vom reinsten Weiß; um seinen Leib

schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Glanz. Er hielt einen

frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem

frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem

Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war das Kleid mit

Sommerblumen verziert. Das Wunderbarste aber war, daß von

seinem Scheitel ein heller Lichtstrahl in die Höhe schoß, der al es

ringsum erleuchtete, und der gewiß die Ursache war, daß der

Geist bei weniger guter Laune einen großen Löschhut, den er

jetzt unter dein Arm trug, als Mütze aufsetzte.

Aber selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft. Denn

wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und

funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell

gewesen war, plötzlich dunkel wurde, so verwandelte sich auch

die Gestalt selbst, man wußte nicht wie: bald war es ein Ding mit

einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald

sah man nur zwei Füße ohne Kopf, bald einen Kopf ohne Leib;

und wie einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm

in dem dichten Dunkel zurück, das ihn verschlang. Und das

größte Wunder dabei war: die Gestalt blieb immer dieselbe.

»Sind Sie der Geist, dessen Erscheinung mir vorhergesagt

wurde?« fragte Scrooge.

22

»Ich bin es.«

Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als käme

sie nicht aus dichtester Nähe, sondern aus einiger Entfernung.

»Wer und was sind Sie?« fragte Scrooge, schon etwas mehr

Mut fassend.

»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht.«

»Einer lange vergangenen?« fragte Scrooge, seiner zwerghaften

Gestalt gedenkend.

»Nein, einer deiner vergangenen.«

Vielleicht hätte Scrooge, wenn ihn jemand befragt hätte, nicht

sagen können, warum, aber doch fühlte er ein ganz besonderes

Verlangen, den Geist unter seinem Hut zu sehen; und er bat ihn,

sich zu bedecken.

»Was?« rief der Geist. »Willst du so bald mit irdisch gesinnter

Hand das Licht, das ich spende, verlöschen? Ist es nicht genug,

daß du einer von denen bist, deren Leidenschaften diese Mütze

geschaffen haben und mich zwingen, durch lange, lange Jahre

meine Stirn damit zu verhüllen?«

Scrooge entschuldigte sich ehrfurchtsvoll, er habe nicht die

Absicht gehabt, ihn zu beleidigen, und behauptete, nicht zu

wissen, daß er irgend einmal in seinem Leben dem Geist Ursache

gegeben habe, sich zu bedecken. Dann war er so frei, zu fragen,

was ihn hierher führe?

»Dein Wohl«, sagte der Geist.

»Dein Wohl«, sagte der Geist.

Scrooge drückte ihm seine Dankbarkeit aus, konnte sich aber

doch nicht des Gedankens erwehren, daß ihm eine Nacht

ungestörten Schlafes mehr genützt hätte. Der Geist mußte ihn

haben denken hören, denn er sagte sogleich:

»Deine Besserung. Nimm dich in acht!«

Er streckte seine starke Hand aus, als er dies sprach, und ergriff

sanft seinen Arm.

»Steh auf und folge mir.«

Vergebens würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und

Stunde seien schlecht geeignet zum Spazierengehen, das Bett sei

warm und das Thermometer ein gutes Stück unter dem

Gefrierpunkt, er sei nur leicht in Pantoffeln, Schlafrock und

Nachtmütze gekleidet und habe gerade jetzt den Schnupfen.

Dem Griff, war er auch sanft wie der einer Frauenhand, war

nicht zu widerstehen. Er stand auf; aber als er sah, daß der Geist

nach dem Fenster schwebte, faßte er ihn flehend bei dem

Gewand.

»Ich bin ein Sterblicher«, sagte Scrooge, »und könnte fal en.«

»Laß meine Hand dich hier berühren«, sagte der Geist, indem er

die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren

die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren

überwinden, als diese hier.«

Als er diese Worte gesprochen hatte, drangen die beiden durch

die Wand und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße,

rings von Feldern umgeben. Die Stadt war ganz verschwunden.

Keine Spur war mehr davon. Die Dunkelheit und der Nebel

waren mit ihr verschwunden, denn es war jetzt ein klarer, kalter

Wintertag und der Boden mit weißem reinem Schnee bedeckt.

»Gütiger Himmel!« rief Scrooge, die Hände faltend, als er um

sich blickte.

»Hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als Knabe.«

23

Der Geist schaute ihn mit milden Blicken an. Seine sanfte

Berührung, obgleich sie nur leise und flüchtig gewesen war, bebte

immer noch nach in dem Herzen des alten Mannes. Er fühlte, wie

tausend Düfte die Luft durchwehten, jeder mit tausend

Gedanken und Hoffnungen und Freuden und Sorgen verbunden,

die lange, lange vergessen waren.

»Deine Lippen zittern«, sagte der Geist. »Und was glänzt auf

deiner Wange?«

Scrooge murmelte mit einem ungewöhnlichen Mollton in der

Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen,

Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen,

wohin er wol e.

»Erinnerst du dich des Weges?« fragte der Geist.

»Ob ich mich seiner erinnere?« rief Scrooge mit Innigkeit.

»Blindlings könnte ich ihn gehen!«

»Seltsam, daß du ihn so viele Jahre hindurch vergessen hast«,

sagte der Geist.

»Komm!«

Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Tor,

jeden Pfahl, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in

der Ferne mit seiner Kirche, seiner Brücke und dem hellen Fluß

erschien. jetzt kamen einige Knaben, auf zottigen Ponies reitend,

auf sie zu, die anderen Knaben in ländlichen Wagen laut zuriefen.

Al e waren gar fröhlich und laut, bis die weiten Felder so voll

heiterer Musik waren, daß die kalte, sonnige Luft lachte, sie zu

hören.

»Dies sind nur Schatten der Dinge, die da gewesen sind,« meinte

der Geist,

»sie wissen nichts von uns.«

Die fröhlichen Reisenden kamen näher, und Scrooge erkannte

sie jetzt alle und konnte sie alle beim Namen nennen. Warum

freute er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein

freute er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein

kaltes Auge feucht, warum frohlockte sein Herz, als sie

vorübereilten, warum wurde sein Herz weich, wie sie an den

Kreuzwegen voneinander schieden und einander fröhliche

Weihnachten wünschten?

Was gingen denn Scrooge fröhliche Weihnachten an? Der

Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Welchen Nutzen hatte

er wohl jemals davon gehabt?

»Die Schule ist nicht ganz verlassen«, nahm der Geist wieder das

Wort. »Ein Kind, eine verlassene Waise, sitzt noch einsam dort.«

Scrooge sagte, er wisse es. Und er schluchzte.

Sie verließen nunmehr die Heerstraße auf einem wohlbekannten

Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten

Backsteinen mit einem kleinen Türmchen auf dem Dach und

einer Glocke drin. Es war ein großes Haus, aber jetzt

vernachlässigt und ziemlich verwahrlost, weil die geräumigen

Gemächer wenig gebraucht waren, die Wände feucht und grün,

die Fenster zerbrochen, die Türen morsch und halb zerfallen.

Hühner gluckten und scharrten in den Ställen, und der

Wagenschuppen war mit Gras überwachsen. Auch im Innern

war nichts übriggeblieben von seiner alten Pracht, denn als sie in

den verödeten Hausflur eintraten und durch die offenen Türen in

die vielen Zimmer blickten, sahen sie nur ärmlich ausgestattete,

kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft,

kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft,

eine frostige Unbehaglichkeit von allzu häufigem Aufstehen bei

Kerzenlicht und nicht al zu reichlichem Essen.

24

Der Geist ging mit Scrooge über den Hausflur nach einer Tür auf

der Rückseite des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte

ihnen einen langen, kahlen, unbehaglichen Saal, den Reihen von

einfachen hölzernen Bänken noch kahler und unbehaglicher

machten.

Auf einer davon saß einsam ein Knabe neben einem schwachen

Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und

weinte, als er sein eigenes, vergessenes Selbst sah, wie es in

früheren Jahren war.

Kein dumpfer Widerhall in dem Haus, kein Rascheln der Mäuse

hinter dem Getäfel, kein Getröpfel des halbgefrorenen

Brunnentrogs hinten im Hof, kein Seufzer in den blattlosen

Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Knarren

der vom Wind hin und her bewegten Tür des Vorratshauses im

Hof, selbst nicht das Knistern des Feuers war für Scrooge

verloren. Alles fiel auf sein Herz wie erweichende Töne und löste

seine Tränen.

Der Geist berührte seinen Arm und wies auf sein jüngeres, in ein

Buch vertieftes Abbild. Plötzlich stand draußen vor dem Fenster

ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und

ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und

einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führend.

»Was! Das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller Freude aus. »Es

ist der alte, liebe, ehrliche Ali Baba. Ja, ja, ich weiß es noch.

Einst zur Weihnachtszeit geschah es, daß dieser verlassene

Knabe ganz allein hier saß, und er zum ersten Male wirklich

kam, gerade wie er dort steht. Der arme Junge! Und Valentin«,

fuhr Scrooge fort, »und auch sein wilder Bruder Orson, dort

gehen sie! Und wie heißt doch der, der mitten im Schlaf vor das

Tor von Damaskus gesetzt wurde?

Siehst du ihn nicht? Und der Stallmeister des Sultans, der von

den bösen Geistern auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er ja

auch! Ha, ha, es geschieht ihm schon recht! Wer hieß es ihn

auch, die Prinzessin heiraten wol en!«

Scrooge mit vollem Ernst über solche Gegenstände reden zu

hören und mit einer zwischen Lachen und Weinen schwankenden

Stimme, dann auch sein vor Freude aufgeregtes Gesicht zu

sehen: das wäre für seine Geschäftsfreunde in der City gewiß

eine große Überraschung gewesen.

»Da ist ja auch der Papagei«, rief Scrooge, »der mit grünem Leib

und gelbem Schwanz, da ist er! Der arme Robinson, er rief ihn,

als er von seiner Inselumsegelung wieder nach Hause kam

›Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume,

aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen

aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen

Bucht. Es gilt das Leben. Hallo, hob, hal o!«

Dann sagte er mit einem schnel en Wechsel der Gefühle, der

seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: »Der arme

Knabe!«, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem

Ärmelaufschlag die Augen, steckte die Hand in die Tasche und

murmelte: »Ich wünschte - aber es ist jetzt zu spät.«

»Was willst du?« fragte der Geist.

»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang ein Knabe

ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte, ich hätte ihm

etwas gegeben, weiter war es nichts.«

25

Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand. Dann

sagte er: »Laß uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.«

Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer, und

das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf

sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs

fielen von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: aber

wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er

wußte nur, daß alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe,

und daß er's nun wieder sei, der dort al ein sitze, während die

andern Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen

Weihnachtsfeier.

Weihnachtsfeier.

Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf und

ab.

Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen

Kopfschütteln und in banger Erwartung nach der Tür.

Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger als der

Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals, küßte

ihn und begrüßte ihn als ihren

»lieben, lieben Bruder«.

»Ich komme, um dich mit nach Hause zu nehmen, lieber

Bruder!« sagte das Kind, fröhlich mit den Händen klatschend.

»Dich mit nach Hause zu nehmen, nach Hause, nach Hause!«

»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.

»Ja!« antwortete die Kleine in überströmender Freude. »Nach

Hause und für immer! Der Vater ist so viel freundlicher als sonst,

daß es bei uns wie im Himmel ist. Eines Abends, als ich zu Bett

ging, sprach er so freundlich mit mir, daß ich mir ein Herz faßte

und ihn fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest -, und

er sagte ja, und schickte mich im Wagen her, um dich zu holen.

Und du sollst jetzt dein freier Herr sein«, sagte das Kind und

blickte ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher

zurückkehren; aber erst sol en wir alle zusammen das

Weihnachtsfest feiern und recht lustig sein.«

»Du bist ja eine ordentliche Dame geworden, Fanny!« rief der

Knabe aus.

Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte, bis an

seinen Kopf zu reichen; aber sie war zu klein, und lachte wieder

und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie

ihn in kindlicher Ungeduld zur Tür, und er begleitete sie mit

leichtem Herzen.

Eine schreckliche Stimme im Hausflur rief: »Bringt Master

Scrooges Koffer herunter!« Es war der Lehrer selbst, der

Master Scrooge mit brutal hochnäsiger Herablassung anstierte,

und ihn in großen Schrecken setzte, als er ihm die Hand drückte.

Dann führte er ihn und seine Schwester in ein feuchtes,

fröstelnerregendes Empfangszimmer, an dessen Wänden

Landkarten und in dessen Fenster die Erd- und Himmelsgloben

vor Kälte glänzten. Hier brachte er eine Flasche merkwürdig

leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen

herbei und regalierte die Kinder schonend sparsam mit diesen

auserlesenen Leckerbissen. Auch schickte er eine hungrig

aussehende Magd hinaus, um dem Postillion ein Gläschen

anzubieten, wofür dieser aber mit den Worten dankte, wenn es

von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber nicht

kosten. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf

den Wagen 26

den Wagen 26

gebunden worden, und die Kinder nahmen ohne Rührung von

dem Schulmeister Abschied, setzten sich in den Wagen und

fuhren so schnel zum Garten hinaus, daß der Reif und der

Schnee wie Schaum von den immergrünen Gebüschen

hinwegstob.

»Sie war immer ein zartes Wesen, das von einem Hauch hätte

verwelken können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein großes

Herz.«

»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will nicht widersprechen,

Geist. Gott verhüte es.«

»Sie starb als Frau«, sagte der Geist, »und hatte Kinder, glaube

ich.«

»Ein Kind«, antwortete Scrooge.

»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«

Scrooge schien unruhig zu werden und antwortete kurz: »ja.«

Obgleich sie die Schule kaum einen Augenblick hinter s ich

gelassen hatten, befanden sie s ich doch plötzlich mitten in den

lebendigsten Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger

vorübergingen, wo gespenstige Wagen und Kutschen um Platz

stritten und wo das ganze wirre Leben einer wirklichen Stadt

stritten und wo das ganze wirre Leben einer wirklichen Stadt

herrschte. Am Aufputz der Läden sah man, daß auch hier

Weihnachten war; aber es war Abend und die Straßenlaternen

brannten.

Der Geist blieb vor dem Eingang eines Lagerhauses stehen und

fragte Scrooge, ob er dies kenne.

»Ob ich es kenne?« sagte Scrooge. »Hab ich hier nicht gelernt?«

Sie traten ein. Beim Anblick eines alten Herrn in einer

Stutzperücke, der hinter einem so hohen Pult saß, daß er mit

dem Kopf hätte an die Decke stoßen müssen, wäre er zwei Zoll

größer gewesen, rief Scrooge in großer Aufregung:

»Ha, das ist ja der alte Fezziwig, Gott segne ihn, es ist Fezziwig,

wie er leibt und lebt!«

Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah hinauf nach der

Uhr, deren Zeiger auf sieben stand. Er rieb die Hände, zog seine

geräumige Weste herunter, schüttelte sich vor heimlichem Lachen

von Kopf bis Fuß und rief mit einer behäbigen, voll und doch

mild tönenden heiteren Stimme: »Hallo, dort!

Ebenezer! Dick!«

Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling geworden, trat

flink herein, begleitet von seinem Mitlehrling.

»Dick Wilkins, wahrhaftig!« sagte Scrooge zu dem Geist.

»Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr zugetan, der Dick. Der

arme Dick! Du meine Güte!«

»Hallo, meine Burschen«, rief Fezziwig. »Feierabend heute.

Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Macht die Läden

zu, schnel ! Ehe einer Jack Robinson sagen kann.« So rief der

alte Fezziwig, munter die Hände zusammenschlagend.

Kaum zu glauben, wie rasch und munter die beiden Jungen

darangingen. Sie liefen mit den Läden hinaus -eins, zwei, drei -

hatten sie eingesetzt - vier, fünf, sechs - sie zugeriegelt und

zugeschraubt - sieben, acht, neun - und kamen zurück, ehe man

zwölf sagen konnte, außer Atem, wie Rennpferde.

27

»Hussahoh!« rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer

Geschicklichkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend.

»Aufräumen, Jungens, und macht viel Platz! Hussahoh, Dick!

Hallo, Ebenezer!«

Aufräumen! Es gab nichts, was sie nicht wegräumen wol ten

oder wegräumen konnten, wenn der alte Fezziwig zusah. Es war

in einer Minute geschehen.

Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in die Winkel

geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen Dienste

geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen Dienste

entlassen; der Flur wurde gekehrt und gesprengt, die Lampen

geputzt, Kohlen auf das Feuer geschüttet, und der Laden war so

behaglich, so warm und hel wie ein Ballsaal und wie man es nur

an einem Winterabend verlangen konnte.

Jetzt trat ein Fiedler mit einem Notenbuch herein, er kletterte auf

Fezziwigs hohen Stuhl, machte ihn zum Orchester und begann zu

stimmen, als hätte er fünfzigfaches Bauchweh. Dann kam Mrs.

Fezziwig, ein einziges behagliches Lächeln. Dann kamen die drei

Miss Fezziwig, freudestrahlend und liebenswürdig. Dann kamen

die sechs Jünglinge, deren Herzen s ie brachen.

Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Haus einen

Dienst hatten: das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker,

die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freund, dem

Milchmann. Dann kam der Bursche von gegenüber, von dem

man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost; er versuchte,

sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhaus zu verstecken,

der man nachwies, sie sei von ihrer Herrschaft an den Ohren

gezogen worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige

schüchtern, andere keck, einige mit Geschick, andere mit

Ungeschick, die zerrend und jene stoßend. Dann ging es los,

zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann

die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in

zärtlichen Gruppen sich drehend: das alte erste Paar immer an

der falschen Stelle, das nächste erste Paar immer zur falschen

Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte.

Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte.

Als sie so weit gekommen waren, klatschte der alte Fezziwig

zum Zeichen, daß der Tanz aus sei, in die Hände und rief

»Bravo!«, und der Fiedler senkte sein glühendes Gesicht in einen

Krug Porter, der besonders zu diesem Zweck neben ihm stand.

Aber kaum war er wieder heraus, als er, obgleich noch keine

Tänzer dastanden, wieder aufzuspielen begann, als sei der alte

Fiedler erschöpft nach Hause getragen worden und er ein ganz

frischer, entschlossen, den alten vergessen zu machen oder zu

sterben.

Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder

Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück

kalter Braten, und dann ein großes Stück kaltes Siedfleisch und

Fleischpasteten und viel Bier. Aber der Glanzpunkt des Abends

kam nach dem Siedfleisch, als der Fiedler (ein heller Kopf, er

kannte sein Geschäft besser, als ihr oder ich es hätte lehren

können) den Großvatertanz »Sir Roger de Coverley«zu spielen

begann. Da trat der alte Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar

als das erste Paar. Sie hatten ein gutes Stück Arbeit vor sich,

drei- oder vierundzwanzig Partner, Leute, mit denen nicht zu

spaßen war, Leute, die tanzen wol ten und keine Lust hatten, zu

spazieren.

28

Aber selbst wenn es zweimal, ja viermal soviel gewesen wären,

hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs.

Fezziwig. Sie war im vollen Sinn des Wortes würdig, seine

Tänzerin zu sein. Wenn das kein großes Lob ist, so sagt mir ein

größeres und ich will es aussprechen. Von Fezziwigs Waden

schien ein eigener Glanz auszugehen. Sie leuchteten in jedem Teil

des Tanzes wie ein Paar Monde. Ihr hättet zu keiner Minute

voraussagen können, was aus ihnen in der nächsten wird. Und

als der alte Fezziwig und Mrs.

Fezziwig alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang

Fezziwig alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang

Fezziwig so geschickt, als zwinkere er mit den Beinen, und kam,

ohne zu wanken, wieder auf die Füße.

Mit dem Glockenschlag elf war dieser häusliche Ball zu Ende.

Mr. und Mrs.

Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, schüttelten

jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied und

wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnachten.

Als alles, außer den zwei Lehrlingen, fort war, wünschten sie

diesen das gleiche. So waren die heiteren Stimmen verklungen,

und die Burschen gingen in ihr Bett, das sich unter einem

Ladentisch hinten im Lagerraum befand.

Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie ein

Verrückter benommen.

Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem

früheren Selbst. Er bestätigte alles, erinnerte sich an alles, freute

sich über alles und befand sich in der seltsamsten Aufregung.

Nicht eher als bis die fröhlichen Gesichter seines früheren Selbst

und das Antlitz Dicks verschwunden waren, dachte er daran,

daß der Geist neben ihm stand und ihn anschaute, während das

Licht auf seinem Haupt in voller Klarheit brannte.

»Eine Kleinigkeit war's doch«, meinte der Geist, »diesen

närrischen Leuten solche Dankbarkeit einzuflößen.«

närrischen Leuten solche Dankbarkeit einzuflößen.«

»Eine Kleinigkeit!« gab Scrooge zurück.

Der Geist bedeutete ihm, den beiden Lehrlingen zuzuhören, die s

ich gegenseitig mit Lobpreisungen Fezziwigs überboten; und als

Scrooge das getan hatte, sprach der Geist: »Nun, ist es nicht so?

Er hat nur ein paar Pfund irdischen Mammons hingegeben;

vielleicht drei oder vier. Ist das so der Rede wert, daß er solches

Lob verdient?«

29

»Das ist's nicht«, sagte Scrooge, von dieser Bemerkung gereizt

und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend.

»Das ist's nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder

unglücklich, unsern Dienst zu einer Lust oder zu einer Bürde, zu

einer Freude oder zu einer Qual zu machen. Du magst sagen,

seine Macht liege in Worten und Blicken, in so unbedeutenden

und kleinen Dingen, daß es unmöglich ist, sie herzuzählen: was

schadet das? Das Glück, das er bereitet, ist so groß, als wenn es

sein ganzes Vermögen kostete.«

Er fühlte des Geistes Blick und schwieg.

»Was gibt's?« fragte der Geist.

»Nichts, nichts«, sagte Scrooge.

»Aber doch etwas, wie?« drängte der Geist.

»Nein«, sagte Scrooge, »nein. Ich möchte nur eben jetzt ein paar

Worte mit meinem Kommis sprechen. Das ist al es.«

Sein früheres Selbst löschte gerade die Lampen aus, als er

diesen Wunsch aussprach, und Scrooge und der Geist standen

wieder im Freien.

»Meine Zeit geht zu Ende«, sagte der Geist. »Schnel !«

Dieses letzte Wort war nicht zu Scrooge oder zu jemand, den er

sehen konnte, gesprochen, aber es wirkte sofort. Denn wieder

sah Scrooge sich selbst. Er war jetzt älter geworden -. ein Mann

in der Blüte seiner Jahre. Sein Ges icht hatte noch nicht die

schroffen, rauhen Züge seiner späteren Jahre, aber schon begann

es Anzeichen der Sorge und des Geizes anzunehmen. In seinem

Auge brannte ein ruheloses, habsüchtiges Feuer, das Zeugnis gab

von der Leidenschaft, die dort Wurzeln geschlagen hatte, und

zeigte, wohin der Schatten des wachsenden Baumes fal en

würde.

Er war nicht allein, sondern saß neben einem schönen jungen

Mädchen in Trauerkleidern. In ihren Augen standen Tränen, die

in dem Licht glänzten, das von dem Geist vergangener

Weihnachten ausströmte.

»Es ist ohne Bedeutung«, sagte sie sanft, »und für Sie von gar

»Es ist ohne Bedeutung«, sagte sie sanft, »und für Sie von gar

keiner. Ein anderes Götzenbild hat mich verdrängt; und wenn es

Sie in späterer Zeit trösten und aufrecht erhalten kann, wie ich es

versucht hätte, so habe ich keine Ursache zu klagen.«

»Welches Götzenbild hätte Sie verdrängt?« erwiderte er.

»Ein goldenes.«

»Dies ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er. »Gegen nichts ist

sie so hart als gegen die Armut; und nichts tadelt s ie

unnachsichtiger als das Streben nach Reichtum.«

»Sie fürchten das Urteil der Welt zu sehr«, antwortete sie sanft.

»Al e Ihre andern Hoffnungen sind in der einen aufgegangen, vor

diesem engherzigen Vorwurf gesichert zu sein. Ich habe Ihre

edleren Bestrebungen eine nach der andern verschwinden sehen,

bis Sie ganz die eine Leidenschaft, die Gier nach Gold, erfül te.

Ist es nicht so?«

»Und wenn es so wäre?« antwortete er. »Wenn ich soviel klüger

geworden wäre, was dann? Gegen Sie bin ich nie anders

geworden.«

Sie schüttelte den Kopf.

30

»Bin ich anders?«

»Unser Bund ist alt. Er wurde geschlossen, als wir beide arm und

zufrieden waren, unser Los durch ausdauernden Fleiß verbessern

zu können. Sie haben sich aber verändert! Damals, als er

geschlossen wurde, waren Sie ein anderer Mensch.«

»Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig.

»Ihr eigenes Gefühl sagt Ihnen, daß Sie nicht so waren, wie Sie

jetzt s ind«, antwortete sie. »Ich bin noch dieselbe. Das, was uns

Glück versprach, als wir noch ein Herz und eine Seele waren,

muß uns Unglück bringen, da wir im Geiste nicht mehr eins sind.

Wie oft ich und wie bitter dies gefühlt habe, will ich nicht sagen;

es ist genug, daß ich es gefühlt habe und daß ich Ihnen Ihr Wort

zurückgeben kann.«

»Habe ich dies jemals verlangt?«

»In Worten? Nein. Niemals.«

»Wie dann?«

»Durch ein verändertes Wesen, durch einen andern Sinn, durch

andere Bestrebungen im Leben und durch andere Hoffnungen -

in allem, was meiner Liebe in Ihren Augen Wert gab. Wenn alles

Frühere nicht zwischen uns geschehen wäre«, sagte das

Mädchen, ihn mit sanftem, aber festem Blicke ansehend,

»würden Sie mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Gewiß

nicht!«

nicht!«

Er schien die Wahrheit ihrer Worte wider seinen Wil en

zuzugeben. Aber er tat seinen Gefühlen Gewalt an und sagte:

»Sie glauben nicht?«

»Gern glaubte ich es, wenn ich könnte«, sagte sie, »Gott weiß es.

Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie

unwiderstehlich sie sein muß. Aber sol ich glauben, daß Sie ein

armes Mädchen wählen würden, wenn Sie heute oder morgen

oder gestern frei wären, Sie, der selbst in den vertrautesten

Stunden al es nach dem Gewinn mißt? Oder sol ich mir

verhehlen, daß Sie gewiß einst sich getäuscht und bittere Reue

fühlen würden, weil Sie für einen Augenblick Ihrem einzigen

leitenden Grundsatz untreu werden? Nein, und deswegen gebe

ich Ihnen Ihr Wort zurück: wil ig und um der Liebe dessentwillen

der Sie einst waren.«

Er wol te sprechen, aber mit abgewendetem Gesicht fuhr sie fort:

»Vielleicht - der Gedanke an die Vergangenheit läßt es mich fast

hoffen - wird es Sie schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und

Sie werden dann die Erinnerung daran fallenlassen, wie die

Gedanken an einen nichtigen Traum, aus dem zu erwachen ein

Glück für Sie war. Möge Sie alles Glück auf dem gewählten

Lebensweg begleiten!«

Sie schieden.

Sie schieden.

»Geist«, sagte Scrooge, »zeig mir nichts mehr, führ mich nach

Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?«

»Noch einen Schatten«, rief der Geist aus.

»Nein«, rief Scrooge. »Nein. Ich mag nichts mehr sehen. Zeig

mir nichts mehr.«

31

Aber der erbarmungslose Geist hielt ihn mit beiden Händen fest

und zwang ihn, zu betrachten, was als nächstes geschah.

Sie befanden sich an einem andern Ort, in einem Zimmer, nicht

sehr groß oder schön, aber voller Behaglichkeit. Neben dem

Kamin saß ein schönes junges Mädchen, das der, die Scrooge

soeben gesehen hatte, so ähnlich war, daß er glaubte, es sei

dieselbe, bis er diese, jetzt eine stattliche Matrone, der Tochter

gegenüber sitzen sah. In dem Zimmer war ein wahrer Aufruhr,

denn es befanden sich mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner

Aufregung zählen konnte; und hier betrugen sich nicht vierzig

Kinder wie eins, sondern jedes Kind wie vierzig. Die Folge

davon war ein Lärm sondergleichen; aber niemand schien sich

darüber aufzuregen. im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten

herzlich und freuten sich darüber, und die letztere, die sich bald in

die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar

grausam mitgenommen. Was hätte ich darum gegeben, eines

grausam mitgenommen. Was hätte ich darum gegeben, eines

dieser Kinder zu sein, obgleich ich nie so ungezogen gewesen

wäre! Nein, nein! Für al e Schätze der Welt hätte ich nicht diese

Locken zerdrückt und zerwühlt; und diesen lieben, kleinen Schuh

hätte ich nicht entwendet, selbst um mein Leben zu retten. Im

Scherz ihre Taille zu messen, wie die dreiste junge Brut tat, hätte

ich nicht gewagt aus Furcht, mein Arm würde zur Strafe krumm

und nie wieder gerade wachsen. Und doch, wie gern, ich gestehe

es, hätte ich ihre Lippen berührt; wie gern sie ausgefragt, damit

sie s ich geöffnet hätten; wie gern hätte ich die Wimpern dieser

niedergeschlagenen Augen betrachtet, ohne ein Erröten

hervorzurufen; wie gern dieses wogende Haar gelöst, von dem

eine einzige Locke ein unschätzbares Andenken gewesen wäre:

kurz, wie gern hätte ich das kleinste Vorrecht eines dieser

Kinder gehabt, mit der Bedingung, Manns genug zu bleiben, um

seinen Wert zu fühlen.

Aber jetzt wurde ein Klopfen an der Tür laut, was einen so

allgemeinen Ansturm hervorrief, daß sie mit lachendem Gesicht

und zerknülltem Kleid in der Mitte eines lärmenden Haufens nach

der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause

kam in Begleitung eines mit Weihnachtsgeschenken beladenen

Mannes. Aber nun das Geschrei und das Gedränge und der

Sturm auf den verteidigungslosen Träger! Wie sie an ihm auf

Stühlen hinaufstiegen, in seine Taschen guckten, die

Papierpäckchen raubten, an seiner Halsbinde zupften, an seinem

Halse hingen, ihm auf den Rücken trommelten oder an die Beine

stießen - alles in unwiderstehlicher Freude! Dann die Ausrufe der

stießen - alles in unwiderstehlicher Freude! Dann die Ausrufe der

Verwunderung und des Frohlockens, mit denen der Inhalt jedes

Päckchens begrüßt wurde! Die schreckliche Kunde, daß das

Kleinste ertappt worden sei, wie es die Puppenbratpfanne in den

Mund gesteckt und wohl gar das hölzerne Huhn samt der

Schüssel hinuntergeschluckt habe! Die große Beruhigung, als

man entdeckte, daß es falscher Alarm gewesen war! Die Freude

und die Dankbarkeit und das Entzücken! Dies alles übertrifft alle

Beschreibung. Es muß genügen, zu wissen, daß die Kinder und

ihre Freunde endlich aus dem Zimmer kamen und über eine

Treppe in den obersten Stock hinaufgingen, wo sie zu Bett

gebracht wurden und blieben.

32

Und als Scrooge jetzt sah, wie sich der Herr des Hauses, die

Tochter zärtlich an seine Seite geschmiegt, mit ihr und ihrer

Mutter an seinem eigenen Herd niedersetzte; und wie er dachte,

daß ihn ein solches Wesen ebenso lieblich und hoffnungsfroh

hätte Vater nennen und wie der Frühling im öden Winter seines

Lebens hätte sein können, da wurden seine Augen wirklich

trübe.

»Belle«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner Gattin wendend,

»ich sah heut nachmittag einen alten Freund von dir.«

»Wer war es?«

»Rate mal.«

»Wie kann ich das? Ach, jetzt weiß ich schon«, fügte sie sogleich

hinzu, lachend, und auch er lachte. »Mr. Scrooge.«

»Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Kontorfenster vorüber;

und da kein Laden davor war und Licht brannte, mußte ich ihn

sehen. Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er war

sehen. Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er war

allein. Ganz allein in der weiten Welt, glaube ich.«

»Geist«, rief Scrooge mit bebender Stimme, »führe mich weg

von diesem Ort.«

»Ich sagte dir, daß dies Schatten gewesener Dinge sind«, sagte

der Geist. »Gib nicht mir die Schuld, daß sie sind, wie sie sind.«

»Führe mich weg«, rief Scrooge aus. »Ich kann es nicht

ertragen.«

Er wandte sich dem Geist zu, und wie er sah, daß er ihn mit

einem Gesicht anblickte, in dem sich auf eine seltsame Weise all

die Gesichter zeigten, die er bisher gesehen hatte, rang er mit

ihm.

»Verlaß mich, führ mich weg. Verfolge mich nicht länger.«

In dem Kampf, wenn es ein Kampf genannt werden kann, wie

der Geist, ohne sichtbaren Widerstand seinerseits, von den

Angriffen seines Gegners unberührt blieb, bemerkte Scrooge,

daß das Licht auf seinem Haupt hoch und hel brannte, und in

einem dunklen instinktiven Gefühl jenes Licht sei mit des Geistes

Einfluß auf ihn verbunden, ergriff er den Löschhut und stülpte ihn

auf des Geistes Haupt.

Der Geist sank zusammen, so daß der Löschhut seine ganze

Gestalt bedeckte; aber obgleich Scrooge ihn mit seiner ganzen

Kraft niederdrückte, konnte er das 33

Licht nicht ganz verbergen, das darunter hervor- und mit hellem

Schimmer über den Boden floß.

Er fühlte sich erschöpft und von einer unüberwindlichen

Schläfrigkeit befallen und wußte, daß er in seinem eigenen

Schlafzimmer war. Er gab dem Löschhut einen letzten Druck und

fand kaum Zeit, in das Bett zu wanken, bevor er in tiefen Schlaf

sank.

34


Dritte Strophe

Der zweite Geist

Scrooge erwachte mitten in einem tüchtigen Geschnarche und

setzte sich im Bett auf; um seine Gedanken zu sammeln. Diesmal

hatte niemand nötig, ihm zu sagen, daß es gerade eins sei. Er

fühlte, daß er just zu der rechten Zeit und zu dem ausdrücklichen

Zweck erwacht sei, um eine Zusammenkunft mit dem zweiten an

ihn durch Jacob Marleys Vermittlung abgesandten Boten zu

haben.

Aber bei dem Gedanken, welche seiner Bettgardinen das neue

Gespenst wohl zurückschlüge, wurde es ihm ganz unheimlich

kalt, und so schlug er sie mit seinen eigenen Händen zurück.

Dann legte er s ich wieder zurück und beschloß, genau

aufzupassen, denn er wol te den Geist in dem Augenblick seiner

Erscheinung anrufen und wünschte nicht überrascht und

erschreckt zu werden.

Leute von keckem Mut, die sich schmeicheln, es schon mit

etwas aufnehmen zu können und immer an ihrem Platz zu sein,

drücken den weiten Bereich ihrer Fähigkeiten mit den Worten

aus: Sie wären gut für al es, vom Brotessen bis zum

Menschenverschlingen, da zwischen beiden Extremen ohne

Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zur Betätigung ihrer Kräfte liegt.

Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zur Betätigung ihrer Kräfte liegt.

Ohne gerade zu behaupten, daß es Scrooge so weit gebracht

hätte, muß ich doch von dem Leser den Glauben fordern, daß er

auf eine recht schöne Auswahl von Erscheinungen gefaßt war

und daß ihn nichts zwischen einem Wickelkind und einem

Rhinozeros al zusehr in Verwunderung gesetzt hätte.

Eben weil er beinahe auf alles gefaßt war, war er nicht

vorbereitet, nichts zu sehen; und daher überfiel ihn ein heftiges

Zittern, als die Glocke eins schlug und keine Gestalt erschien.

Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber

es kam nichts. Die ganze Zeit über lag er auf seinem Bett, dem

Kern und Mittelpunkt eines rötlichen Lichtes, das sich darüber

ergoß, als die 35

Glocke die Stunde verkündete, und das, weil es nur Licht war,

viel beunruhigender als ein Dutzend Geister war, da es ihn

unmöglich erraten ließ, was es bedeute oder was es wol e. Ja, er

fürchtete zuweilen, er könnte in diesem Augenblick ein

merkwürdiger Fall von Selbstentzündung sein, ohne den Trost zu

haben, es zu wissen. Endlich jedoch fing er an zu begreifen, daß

die Quelle dieses geisterhaften Lichtes wohl in dem anliegenden

Zimmer sei, aus dem es bei näherer Betrachtung zu strömen

schien. Wie dieser Gedanke die Herrschaft über seine Seele

bekommen hatte, stand er leise auf und schlich in den Pantoffeln

nach der Tür.

In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf die

In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf die

Klinke legte, rief ihn eine fremde Stimme bei Namen und hieß ihn

eintreten. Er gehorchte.

Es war sein eigenes Zimmer. Daran ließ sich nicht zweifeln. Aber

eine wunderbare Umwandlung war mit ihm vorgegangen. Wände

und Decke waren ganz mit grünen Zweigen bedeckt, daß es

aussah wie eine Laube, in der überall glänzende Beeren

schimmerten. Die glänzenden, starren Blätter der Stechpalme,

der Mistel und des Efeus warfen das Licht zurück und erschienen

wie ebenso viele kleine Spiegel. Eine so gewaltige Flamme

loderte die Esse hinauf, wie sie dieses Spottbild eines Kamines

zu Scrooges oder Marleys Zeit seit vielen, vielen Wintern nicht

gekannt hatte. Auf dem Fußboden waren zu einer Art von Thron

Truthähne, Gänse, Wildbret, große Braten, Spanferkel, lange

Reihen von Würsten, Pasteten, Plumpuddings, Austerfäßchen,

glühende Kastanien, rotbäckige Äpfel, saftige Orangen,

appetitliche Birnen, ungeheure Stollen und siedende

Punschbowlen aufgehäuft, die das Zimmer mit köstlichem

Geruch erfül ten. Auf diesem Thron saß behaglich und mit

fröhlichem Angesicht ein Riese, gar herrlich anzuschauen. In der

Hand trug er eine brennende Fackel, fast wie ein Füllhorn

gestaltet, und hielt s ie steil in die Höhe, um Scrooge damit zu

beleuchten, wie er in das Zimmer guckte.

»Nur herein«, rief der Geist. »Nur herein, und lerne mich besser

kennen.«

Scrooge trat schüchtern ein und senkte das Haupt vor dem

Geiste. - Er war nicht mehr der hartfühlende, nichtsscheuende

Scrooge von früher, und obgleich des Geistes Augen hell und

mild glänzten, wünschte er ihnen doch nicht zu begegnen.

»Ich bin der Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht«, sagte die

Gestalt. »Sieh mich an.«

Scrooge tat es mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist war

gekleidet in ein einfaches, dunkelgrünes Gewand, mit weißem

Pelz verbrämt. Die breite Brust war entblößt, als verschmähe sie,

sich zu verstecken. Auch die Füße waren bloß und schauten

unter den weiten Falten des Gewandes hervor; und das Haupt

hatte keine andere Bedeckung, als einen Stechpalmenkranz, in

dem hie und da Eiszapfen glänzten. Seine dunkelbraunen Locken

wallten fessel os auf die Schultern. Sein munteres Gesicht, sein

glänzendes Auge, seine fröhliche Stimme, sein ungezwungenes

Benehmen, alles sprach von Offenheit und 36

heiterem Sinn. Um den Leib trug er eine alte Degenscheide

gegürtet; aber sie war von Rost zerfressen und kein Schwert

steckte darin.

»Du hast meinesgleichen nie vorher gesehen«, rief der Geist.

»Niemals«, entgegnete Scrooge.

»Hast dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie

»Hast dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie

abgegeben; ich meine (denn ich bin sehr jung) meine älteren

Brüder, die in den vergangenen Jahren geboren worden sind?«

fuhr das Phantom fort.

»Ich glaube nicht«, sagte Scrooge. »Doch es tut mir leid, es nicht

getan zu haben. Hast du viele Brüder gehabt, Geist?«

»Mehr als achtzehnhundert«, sagte dieser.

»Eine schrecklich große Familie, wenn man für sie zu sorgen

hat«, murmelte Scrooge.

Der Geist der diesjährigen Weihnacht erhob sich.

»Geist«, sagte Scrooge demütig, »führe mich, wohin du willst.

Gestern Nacht wurde ich durch Zwang hinausgeführt und mir

wurde eine Lehre gegeben, die jetzt Wirkung zeigt. Heute bin ich

bereit zu folgen, und wenn du mich etwas zu lehren hast, will ich

gern hören.«

»Berühre denn mein Gewand.«

Scrooge tat wie ihm geheißen und hielt es fest.

Stechpalmen, Misteln, rote Beeren, Efeu, Truthähne, Gänse,

Spanferkel, Braten, Würste, Austern, Pasteten, Puddings,

Früchte und Punsch, al es verschwand blitzschnell. Auch das

Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schimmer, die

Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schimmer, die

nächtliche Stunde, und sie standen in den Straßen der Stadt, am

Morgen des Weihnachtstages, wo die Leute - denn es war sehr

kalt - eine rauhe, aber fröhliche und nicht unangenehme Musik

machten, indem sie den Schnee von dem Straßenpflaster und

den Dächern der Häuser zusammenfegten. Und daneben standen

die Kinder und freuten sich und kreischten, wenn die

Schneelawinen von den Dächern herunterstürzten und in

künstliche Schneestürme zerstoben.

Die Häuser erschienen schwarz und die Fenster noch schwärzer,

verglichen mit der faltenlosen, weißen Schneedecke auf den

Dächern und dem schmutzigeren Schnee auf den Straßen. Dort

war er von den schweren Rädern der Wagen und Karren in tiefe

Furchen gepflügt; Furchen, die sich hundert- und aberhundertmal

kreuzten, wo eine Straße abging, und die in dem dicken, gelben

Schmutz und halberstarrten Wasser labyrinthische Gerinnsel

bildeten. Der Himmel war trübe, und selbst die kürzesten

Straßen schienen sich in einem dicken Nebel zu verlieren, dessen

schwerere Teile in einem rußigen Regen niederfielen, als hätten

alle Essen von England s ich auf einmal entzündet und qualmten

jetzt nach Herzenslust. Es war in der ganzen Umgebung nichts 37

Heiteres, und doch lag etwas in der Luft, was die klarste

Sommerluft und die hellste Sommersonne nicht hätten verbreiten

können.

Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern schaufelten,

waren lustig und mutwilliger Laune. Sie riefen von den Dächern

waren lustig und mutwilliger Laune. Sie riefen von den Dächern

einander zu und wechselten dann und wann einen Schneeball -

ein Pfeil, der harmloser war als manches Wort - und lachten

herzlich, wenn er traf, und nicht minder herzlich, wenn er fehlging.

Die Läden der Geflügelhändler waren noch halb offen und die

der Fruchthändler strahlten in heller Freude. Da sah man - als

wären es Westen lustiger alter Herren - große runde,

dickbäuchige Körbe mit Kastanien an den Türen lehnen oder in

ihrem apoplektischen Überfluß auf die Straße rol en. Da sah man

braune, umfangreiche, spanische Zwiebeln, in ihrer Fettigkeit

spanischen Mönchen gleichend und mutwil ig den Mädchen

winkend, die vorübergingen und verschämt nach dein

Mistelzweig schielten. Da sah man Birnen und Äpfel zu

Pyramiden aufeinandergepackt: Trauben, die der Kaufmann in

seiner Gutmütigkeit recht augenfällig im Gewölbe hängen ließ,

daß den Vorübergehenden der Mund gratis wässerte, Haufen

von Haselnüssen, bemoost und braun, mit ihrem frischen Duft an

vergangene Streifzüge im Wald durch das raschelnde, fußhohe,

welke Laub erinnernd, Norfolk-Biffins, fett und kraus, mit ihrer

Bräune von den gelben Orangen abstechend und gar dringlich

bittend, daß man sie nach Hause trage und nach Tische esse. Ja,

selbst die Gold-und Silberfische, die in einem Glase mitten unter

den erlesenen Früchten standen, schienen zu wissen, daß etwas

Besonderes los sei, obgleich sie von einem dick- und kaltblütigen

Geschlecht waren, und schwammen um ihre kleine Welt in

langsamer und leidenschaftsloser Bewegung.

Ach die Kolonialwarenläden! Fast geschlossen waren sie,

Ach die Kolonialwarenläden! Fast geschlossen waren sie,

vielleicht ein oder zwei Laden vorgesetzt: aber welche

Herrlichkeiten sah man durch diese Öffnungen! Nicht al ein, daß

die Waagschalen mit fröhlichem Klingklang auf dem Ladentisch

rumorten, oder daß der Bindfaden so munter von seiner Rolle

schnurrte, oder daß die Büchsen blitzschnell hin und her fuhren

wie durch Zauberei, oder daß der Mischgeruch von Kaffee und

Tee der Nase so wohl tat, nicht daß die Rosinen so

wunderschön, die Mandeln so außerordentlich weiß, die

Zimtstengel so lang und gerade, die andern Gewürze so köstlich,

die eingemachten Früchte so dick mit geschmolzenem Zucker

belegt waren, daß der kälteste Zuschauer entzückt wurde; nicht

al ein, daß die Feigen so saftig und fleischig waren, oder daß die

Brignolen in bescheidener Koketterie in ihren verzierten Büchsen

erröteten, oder daß alles so gut zu essen oder so schön in seinem

Weihnachtskleid war: das war es nicht al ein. Die Kaufenden

waren auch alle so eifrig und eilig in der Vorfreude auf das Fest,

daß sie in der Türe gegeneinanderrannten, wie von Sinnen mit

ihren Körben zusammenstießen und ihre Einkäufe vergaßen und

wieder zurückliefen, um sie zu holen, und tausend ähnliche

Irrtümer in der bestmöglichen Laune begingen, während der

Kaufmann und seine Leute so frisch und froh waren, daß die

blanken Herzen, die ihre Schürzen hinten zusammenhielten, ihre

eigenen hätten sein können.

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Aber bald riefen die Glocken nach den Kirchen und den

Aber bald riefen die Glocken nach den Kirchen und den

Kapellen, und die Leute gingen in ihren besten Kleidern und

ihren feiertäglichsten Gesichtern durch die Straßen. Und zu

derselben Zeit strömten aus den Nebenstraßen und Gäßchen und

namenlosen Winkeln zahllose Leute, die ihr Mittagessen in die

Backstuben trugen. Der Anblick dieser Armen und doch so

Glücklichen schien des Geistes Teilnahme am meisten zu erregen,

denn er blieb mit Scrooge neben eines Bäckers Tür stehen, und

während er die Deckel von den Schüsseln nahm, als die Träger

vorübergingen, bestreute er ihr Mahl mit Weihrauch seiner

Fackel. Und es war eine gar wunderbare Fackel, denn ein

paarmal, als einige von den Leuten zusammengerannt waren und

darüber heftige Worte fielen, besprengte er sie mit etlichen

Tropfen Tau daraus, und ihre gute Laune war augenblicklich

wiederhergestel t. Denn sie sagten, es sei eine Schande, sich am

Weihnachtstag zu zanken.

Jetzt schwiegen die Glocken, und die Läden der Bäcker wurden

geschlossen: und doch schwebte noch ein Schatten von al en

diesen Mittagessen und dem Fortgang ihrer Zubereitung in dem

getauten, nassen Fleck über jedem Ofen; und vor ihnen rauchte

das Pflaster, als kochten selbst die Steine.

»Ist eine besondere Kraft in dem, was deine Fackel ausstreut?«

fragte Scrooge.

»Ja. Meine eigene.«

»Und wirkt sie auf jedes Mittagsmahl an diesem Tag?« fragte

Scrooge.

»Auf jedes, sofern es gern gegeben wird. Auf ein ärmliches am

meisten.«

»Warum auf ein ärmliches am meisten?«

»Weil das meiner Kraft am meisten bedarf«

»Geist«, sagte Scrooge nach kurzem Nachdenken, »mich

wundert's, daß du von allen Wesen auf den vielen Welten um uns

herum wünschen sol test, diesen Leuten die Gelegenheit eines

unschuldigen Genusses zu rauben.«

»Ich?« rief der Geist.

»Du willst ihnen die Mittel nehmen, jeden siebten Tag zu Mittag

zu essen, und doch ist das der einzige Tag, wo sie überhaupt zu

Mittag essen können«, sagte Scrooge.

»Ich?« rief der Geist.

»Du willst doch Backstuben und ähnliche Plätze am siebten Tag

geschlossen halten - das kommt doch auf dasselbe heraus.«

»Ich?« rief der Geist.

»Verzeih mir, wenn ich unrecht habe. Es ist in deinem Namen

»Verzeih mir, wenn ich unrecht habe. Es ist in deinem Namen

geschehen oder wenigstens in dem deiner Familie«, sprach

Scrooge.

»Es gibt Menschen auf Eurer Erde«, entgegnete der Geist, die

uns kennen wol en und die ihre Taten des Stolzes, der Mißgunst,

des Hasses, des Neides, 39

des Fanatismus und der Selbstsucht in unserm Namen tun; die

uns in allem, was zu uns gehört, so fremd sind, als hätten sie nie

gelebt. Bedenke dies und schreibe ihre Taten ihnen selbst zu und

nicht uns.«

Scrooge versprach es, und sie gingen weiter in die Vorstadt,

unsichtbar wie bisher. Es war eine wunderbare Eigenschaft des

Geistes (Scrooge hatte sie bei dem Bäcker bemerkt), daß er, bei

seiner riesenhaften Gestalt, doch überal leicht Platz fand, und daß

er unter einem niedrigen Dach ebenso schön und gleich einem

übernatürlichen Wesen dastand, wie in einem geräumigen, hohen

Saal.

Vielleicht war es die Freude, die der gute Geist darin fühlte,

diese Macht zu zeigen, viel eicht auch seine warmherzige,

freundliche Natur und seine Teilnahme mit allen Armen, was ihn

freundliche Natur und seine Teilnahme mit allen Armen, was ihn

gerade zu Scrooges Kommis führte: denn er ging wirklich hin und

nahm Scrooge mit, der sich an seinem Gewand festhielt. Auf der

Schwel e stand der Geist lächelnd still und segnete Bob Cratchits

Wohnung mit dem Tau seiner Fackel. Denkt doch! Bob hatte

nur fünfzehn ›Bobs‹ die Woche; er steckte sonnabends nur

fünfzehn seiner Namensvettern in die Tasche, und doch segnete

der Geist der dies jährigen Weihnacht sein Haus.

Im Zimmer stand Mr. Cratchits Frau in einem ärmlichen, zweimal

gewendeten Kleid, schön aufgeputzt mit Bändern, die billig sind,

aber für sechs Pence hübsch genug aussehen. Sie deckte den

Tisch, und Belinda, ihre zweite Tochter, half ihr dabei, während

Master Peter mit der Gabel in eine Schüssel voll Kartoffeln stach

und die Spitzen seines ungeheuren Hemdkragens (Bobs

Privateigentum, seinem Sohn und Erben zu Ehren des Festes

geliehen) in den Mund nahm, voller Stolz, so schön angezogen zu

sein, und voll Sehnsucht, sein weißes Hemd in den fashionablen

Parks zur Schau zu tragen. jetzt kamen die zwei kleinen

Cratchits, ein Mädchen und ein Knabe, hereingesprungen und

schrien, daß sie an des Bäckers Tür die gebratene Gans

gerochen und gewußt hätten, es sei ihre eigene, und in freudigen

Träumen von Salbei und Zwiebeln tanzten sie um den Tisch und

erhoben Master Peter Cratchit bis in den Himmel, während er

(aber gar nicht stolz, obgleich ihn der Hemdkragen fast erstickte)

in das Feuer blies, bis die Kartoffeln hochquollen und an den

Topfdeckel klopften, daß man sie herauslassen und schälen

möge.

möge.

»Wo nur der Vater bleibt?« fragte Mrs. Cratchit.

Und dein Bruder Tiny Tim; und Martha kam vorige Weihnachten

eine halbe Stunde früher.«

»Hier ist Martha, Mutter«, sagte ein Mädchen, zur Tür

hereintretend.

»Hier ist Martha, Mutter«, riefen die beiden kleinen Cratchits.

»Hurra, so eine Gans, Martha!«

»Gott grüß dich, liebes Kind! Wie spät du kommst!« sagte Mrs.

Cratchit, sie mehrmals küssend und ihr mit zutulichem Eifer Schal

und Hut abnehmend.

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»Wir hatten gestern abend viel zurecht zu machen«, antwortete

das Mädchen,

»und mußten heute mit al em fertig werden, Mutter.«

»Nun, es schadet nichts, da du doch da bist«, sagte Mrs.

Cratchit. »Setz dich ans Feuer, liebes Kind, und wärme dich.«

»Nein, nein, der Vater kommt«, riefen die beiden kleinen

Cratchits, die überall zu gleicher Zeit waren. »Versteck dich,

Martha, versteck dich!«

Martha, versteck dich!«

Martha versteckte sich, und jetzt trat Bob herein, der Vater.

Wenigstens drei Fuß, ungerechnet der Fransen, hing der Schal

auf seine Brust herab, und die abgetragenen Kleider waren

geflickt und gebürstet, um ihnen ein Ansehen zu geben. Tiny Tim

saß auf seiner Schulter. Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine

Krücke, und seine Glieder wurden von eisernen Schienen

gestützt.

»Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit und schaute im

Zimmer herum.

»Sie kommt nicht«, sagte Mrs. Cratchit.

»Sie kommt nicht?« sagte Bob mit einem plötzlichen Absinken

seiner fröhlichen Laune; denn er war den ganzen Weg von der

Kirche Tims Pferd gewesen und in vollem Laufe nach Hause

gerannt. »Sie kommt nicht zum Weihnachtsabend?«

Martha wol te ihm keinen Schmerz verursachen, selbst nicht aus

Scherz, und so trat sie hinter der Tür hervor und schlang die

Arme um seinen Hals, während die beiden kleinen Cratchits sich

Tiny Tims bemächtigten und ihn nach dem Waschhaus trugen,

damit er den Pudding im Kessel singen höre.

»Und wie hat sich der kleine Tim aufgeführt?« fragte Mrs.

Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt und

Bob seine Tochter nach Herzens lust geküßt hatte.

Bob seine Tochter nach Herzens lust geküßt hatte.

»Wie ein Goldkind«, sagte Bob, »und noch besser. Ich weiß

nicht, wie es kommt, aber er wird jetzt so träumerisch vom

Alleinsitzen und sinnt sich die seltsamsten Dinge zurecht. Heute,

als wir nach Hause gingen, sagte er, er hoffe, die Leute sähen ihn

in der Kirche, denn er sei ein Krüppel, und es wäre vielleicht gut

für sie, sich am Christtag an den zu erinnern, der einst Lahme

gehen und Blinde sehen machte.«

Bobs Stimme zitterte, als er dies sagte, und zitterte noch mehr,

als er hinzufügte, daß Tiny Tim stärker und gesünder werden

würde.

Man hörte jetzt seine kleine Krücke auf dem Fußboden, und ehe

noch mehr gesprochen ward, war Tim wieder da und wurde von

seinem Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl neben

dem Feuer geführt. Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge

zur Schonung in die Höhe krempelnd - als ob es möglich

gewesen wäre, sie noch mehr abzutragen -, in einer Bowle aus

Gin und Zitronen eine heiße Mischung zubereitete und sie

umrührte und wieder an das Feuer setzte, damit s ie s ich warm

halte, gingen Master Peter und die zwei 41

allgegenwärtigen kleinen Cratchits die Gans holen, mit der sie

bald in feierlichem Zug zurückkehrten.

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der

seltenste al er Vögel, ein gefiedertes Wunder, gegen das ein

schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist - und wirklich

war sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit ließ die

Bratenbrühe aufwallen, Master Peter schmorte die Kartoffeln mit

unglaublichem Eifer, Miß Belinda machte die Apfelsauce süß,

Martha wischte die gewärmten Tel er ab, Bob nahm Tiny Tim

neben sich in eine behagliche Ecke am Tisch, die beiden kleinen

Cratchits stellten die Stühle zurecht, wobei sie sich nicht

vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel in den Mund

steckend, um nicht nach Gans zu schreien, ehe die Reihe an sie

kam. Endlich wurde das Gericht aufgetragen und das Tischgebet

gesprochen. Darauf folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit

das Vorschneidemesser langsam von der Spitze bis zum Heft

betrachtete und sich anschickte, es der Gans in die Brust zu

stoßen. Aber, als s ie es tat und sich der langerwartete Strom der

Füllung ergoß, ertönte um den ganzen Tisch ein freudiges

Gemurmel, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen

Cratchits in Feuer gebracht, schlug mit dem Heft seines Messers

auf den Tisch und rief ein schwaches Hurra.

Nie hatte es so eine Gans gegeben. Bob sagte, er glaube nicht,

daß jemals eine solche Gans gebraten worden sei. Ihre Zartheit

und ihr Fett, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand

allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe der Apfelsauce und der

geschmorten Kartoffeln gab sie ein hinreichendes Mahl für die

ganze Familie. Und als Mrs. Cratchit einen einzigen kleinen

Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer

Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer

Freude, sie hätten doch nicht alles aufgegessen! Aber jeder von

ihnen hatte genug, und die kleinen Cratchits waren bis an die

Augenbrauen mit Salbei und Zwiebeln eingesalbt. jetzt wurden

die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ

das Zimmer allein, denn sie war zu unruhig, Zeugen dulden zu

können, wenn sie den Pudding herausnahm und hereinbrachte.

Wenn er nicht ausgebacken wäre! Wenn er beim Herausnehmen

in Stücke zerfiele! Wenn jemand über die Mauer des

Hinterhauses geklettert wäre und ihn gestohlen hätte, während

sie sich an der Gans erquickten - ein Gedanke, bei dem die

beiden kleinen Cratchits vor Schrecken bleich wurden.

Hallo, eine Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel

genommen. Ein Geruch, wie an einem Waschtag! Das war die

Serviette. Ein Geruch wie in einem Speisehaus, mit einem

Pastetenbäcker auf der einen und einer Wäscherin auf der

andern Seite! Das war der Pudding. Nach einer halben Minute

trat Mrs.

Cratchit herein, aufgeregt, aber stolz lächelnd und vor sich den

Pudding haltend, hart und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel,

in einem Viertelquart Rum flammend und in der Mitte mit der

festlichen Stechpalme geschmückt.

Oh, welch wunderbarer Pudding! Bob Cratchit erklärte mit

ruhiger und sicherer Stimme, er halte das für das größte

Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

Kochkunststück, das Mrs. Cratchit 42

seit ihrer Heirat geliefert habe. Mrs. Cratchit meinte, da die Last

von ihrem Herzen sei, wol e sie nur gestehen, daß sie wegen der

Menge des Mehls gar sehr in Angst gewesen sei. jeder hatte

darüber etwas zu sagen, aber keiner sagte oder dachte, es sei

doch ein zu kleiner Pudding für eine so große Familie. Das wäre

offenbare Ketzerei gewesen. jeder Cratchit würde sich geschämt

haben, an so etwas nur zu denken.

Endlich waren sie mit dem Essen fertig, der Tisch war

abgedeckt, der Herd gesäubert und das Feuer geschürt. Das

Gemisch im Krug wurde gekostet und für fertig erklärt, Äpfel

und Apfelsinen auf den Tisch gesetzt und ein paar Hände voll

Kastanien auf das Feuer geschüttet. Dann setzte sich die ganze

Familie Cratchit um den Kamin in einem Kreis, wie es Bob

Cratchit nannte, obgleich es eigentlich nur ein Halbkreis war,

Bob in die Mitte und neben ihm der Gläservorrat der Familie:

zwei Paßgläser und ein Milchkännchen ohne Henkel.

Diese Gefäße aber hielten das heiße Gemisch aus dem Krug so

gut, als wären es goldene Pokale gewesen, und Bob schenkte

mit strahlenden Blicken ein, während die Kastanien auf dem

Feuer spuckten und platzten. Dann schlug Bob den Toast vor.

»Uns allen eine fröhliche Weihnacht, meine Lieben! Gott segne

uns!«


Weihnachtsmärchen auf 359 Seiten

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