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Die Pflanzung am Red River 4

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Der Baron hatte seine Erzählung beendet. Es trat eine Pause ein. Äußerungen der Empörung über Balot und seine Mulatten wurden laut.

»Das sind die Folgen der Sklaverei!« schaltete sich da Vergennes ein. »Sie erstickt jedes menschliche Gefühl, macht Herren und Sklaven zu Unmenschen. Das Betragen dieser Ruderer ist ein neuer Beweis. Was können Sie von Menschen, die verdorben sind durch den Druck der Sklaverei und aufgestachelt durch die ihr anklebende Verachtung, anders erwarten als Wiedervergeltung, und daß sie ihre Tücken bei jeder Gelegenheit an ihren weißen Feinden auslassen? Das sind notwendige Folgen eines entmenschenden Systems.«

Der junge Mann sprach wie vom Katheder, so bestimmt und wichtig.

»Mit Ihrem ewigen System!« erwiderte Lassalle ungeduldig. »Das wahre System wäre gewesen, wenn wir ein halbes Dutzend Ochsenziemer statt unserer Pistolen und Dolche gehabt und sie mit den Rücken der Kanaillen in nähere Bekanntschaft gebracht hätten!«

»Pfui!« rief Vergennes. »Wollen Sie Menschen und keine boshaften Affen, so müssen Sie sie menschlich behandeln!«

»Zum Teufel!« fuhr der Baron auf. »Vergebung, meine Damen, aber unser starrköpfiger Landsmann scheint es darauf angelegt zu haben, unsere Höflichkeit und Geduld auf eine gleich harte Probe zu stellen. Wir taten diesen Bösewichtern doch nichts, im mindesten nichts, und der arme Pflanzer und sein Knabe und die Neger auch nichts!«

»Sie waren Weiße, denen der Schwarze schon im Mutterleib Feindschaft schwört. Können Sie Menschlichkeit von entarteten Geschöpfen erwarten, die in jedem der Unsrigen nur einen Tyrannen ihrer Rasse sehen? Dieses Land hier brüstet sich seiner Freiheit, und jeder seiner Bürger ist nur ein privilegierter Tyrann einer unglücklichen Rasse.«

»Unverschämter Bursche!« entfuhr es Howard, Doughby und Moreland gleichzeitig.

Sie sprangen zugleich auf den jungen Menschen zu. Howard war wirklich böse geworden, und wer würde es nicht bei einer so frechen Herausforderung?

»Sie werfen da, Monsieur, unserer Nation ein Kompliment zwischen die Zähne, für das wir Ihnen den Dank nicht schuldig bleiben wollen!«

»Wie es Ihnen gefällt!« Der Junge streckte gemächlich seine Beine und beschaute die drei recht behaglich vom Kopf bis zu den Füßen.

In Howard begann es zu sprudeln. Papa und Luise fielen ihm gleichzeitig in die Arme.

Richard faßte sich: »Was nennen Sie Tyrannei, Tyrannen? Doch nur Menschen, die sich widerrechtlich, auf ungesetzliche Weise die Herrschaft über ihre Mitbürger angemaßt haben und diese willkürlich ausüben?«

»Eine Definition, die kein Konversationslexikon besser geben könnte«, versetzte der unverbesserliche Vergennes und unterdrückte ein Gähnen.

»Wahrhaftig, dein lieber Neffe sündigt stark auf Kosten seiner Blutsverwandtschaft mit diesem Hause!« raunte Howard zähneknirschend seinem Schwiegervater zu.

»So erlauben Sie mir«, fuhr Richard fort, »Ihnen zu erklären, daß Ihr Ausdruck ganz und gar nicht auf die Verhältnisse unserer Sklaven und ihrer Besitzer paßt. Wissen Sie, wie wir zum Besitz unserer Sklaven gekommen sind?«

»Die Art mag sein, wie sie wolle!«

»Nein! Die Art der Besitzerlangung bestimmt die Rechtmäßigkeit des Besitztitels. Das sollten Sie als Prinzipmann wissen!«

»Oh, das junge Frankreich kümmert sich wenig um Prinzipien, wenn sie nicht gerade in seinen Kram taugen!« meinte Hauterouge.

»Und diese Art?« fragte Vergennes gedehnt spöttisch.

»Sollten Sie auf alle Fälle erst kennengelernt haben, ehe Sie ein so hartes Urteil über eine Nation fällen, deren Gastfreundschaft Sie genießen«, fiel Monteville etwas schadenfroh ein und setzte hinzu: »Monsieur, Sie waren, was wir impoli — ungeschliffen — nennen!«

Die Reihe des Aufspringens war nun an Vergennes. Er schnellte empor wie Indianer, wenn sie den ›Warwhoop‹ — das Kriegsgeschrei — hören. Der Champagnerdunst, der sich leicht über seine Stirn hingelagert hatte, war mit einem Mal verschwunden. Er wollte nicht impoli sein.

»Ruhig, lieber Neffe!« mahnte Papa Menou. »Sie haben diese Lehre verdient. Sie waren wirklich impoli! Setzen Sie sich!«

Und der Brausekopf setzte sich, die anderen gleichfalls. Der sonst so stille Richard Moreland nahm eine Rednermiene an. Howard kam das Ganze, so ernst es war, jetzt ein wenig drollig vor.

»Unsere Sklaven wurden uns wirklich aufgedrängt«, begann Richard. »Wir sind daher für die Entstehung dieses Übels bei uns nicht verantwortlich. Sie wissen, daß wir noch vor weniger denn sechzig Jahren unter der Krone von Großbritannien standen. Diese nahm das Recht für sich in Anspruch, den Handel ihrer Kolonien zu regeln, und übte es in einem Umfang, der zugleich darauf berechnet war, die Kolonien so lange wie möglich in Abhängigkeit vom Mutterland zu erhalten. Alle Parlamentsakten weisen dies nach, indem sie einzig dahin abzielten, den Handel der in Großbritannien wohnenden Untertanen zu begünstigen und den der Kolonisten in Amerika zu beschränken oder ganz zu verhindern. Diese hatten keine Seeschiffe und durften keine haben, bloß Küstenschiffe waren ihnen gestattet: die See- und Kauffahrteischiffahrt war den in den vereinigten drei Königreichen wohnenden Untertanen Seiner britischen Majestät vorbehalten, die allein das Monopol hatte, solche Waren ein- und auszuführen, wie sie die Regierung erlaubte. Ein Zweig dieses erlaubten Handels wurde bald, nachdem die Kolonien einigen Wohlstand erreicht hatten, die Einfuhr afrikanischer Negersklaven. Die erste Einfuhr erfolgte im Jahre 1620 mit Bewilligung der britischen Regierung durch ein holländisches Schiff. Dann aber riß die Regierung sogleich diesen Handel ganz an sich und erlaubte ihn hinfort bloß britischen Schiffen, in britischen Seehäfen ausgerüstet und Briten gehörig. Mit einem Wort, sie erhob ihn zum Monopol, und dagegen konnten und durften die Kolonisten im allgemeinen nichts einwenden. Aber sehr viele wandten sich gegen die Einfuhr der Afrikaner.«

Richard machte eine kleine Pause und fuhr dann fort:

»Die schwarzen Afrikaner wurden gleich anderen Handelsartikeln wie Tee, Zucker und Gewürze auf offenem Markt feilgeboten und losgeschlagen. Die Kolonisten fürchteten, diese Einfuhr müsse die Sklaverei in ihrem Lande einwurzeln. Daher verursachte die Ankunft der ersten Sklavenschiffe auch allgemeinen Alarm. Man beschloß Vorstellungen beim britischen Parlament gegen diesen Menschenhandel, man flehte die Krone an, die Kolonien mit der Einfuhr der Afrikaner und damit der Sklaverei zu verschonen. Massachusetts, Pennsylvania, Maryland, Virginia taten es, andere folgten diesem Beispiel. Ich will nur Georgia anführen, die jüngste und letzte der unter Englands Herrschaft gegründeten Kolonien. Ihre Entstehung fällt in die letzten Jahrzehnte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ihr Gründer und erster Gouverneur war der treffliche Oglethorpe. Kaum war die Kolonie gegründet, als auch bereits britische Sklavenschiffe in den Seehäfen Georgias eintrafen und mit Bewilligung der britischen Regierung ihren Markt eröffneten. Vergebens erhoben der Gouverneur und der gesetzgebende Rat Einspruch — sie wurden abgewiesen. Sie reichten neue, dringendere Bittschriften ein, ein zweites, drittes, viertes Mal, zehnmal hintereinander. Die endliche Antwort war, daß der Gouverneur abgesetzt und der Rat mit einem Verweis entlassen wurde. Und die Sklaveneinfuhr erfolgte stärker als je.«

»Aber mußten die Kolonisten diese Sklaven kaufen?« fragte d‘Ermonvalle.

»Man konnte sie nicht, wie später zu Boston die Teekisten, in die See werfen«, versetzte Richard. »Und wenn Sie die menschliche Natur nur einigermaßen kennen, so werden Sie einsehen, daß es in jeder bürgerlichen Gesellschaft Gewinnsüchtige gibt, die wohl ihren Vorteil, nicht aber ihre Pflichten im Auge haben. Andere kauften die Schwarzen aus humaneren Gefühlen, um sie dem herzzerreißenden Elend auf den Sklavenschiffen und in den Marktställen zu entreißen. Der üble Erfolg Georgias schreckte übrigens die übrigen Kolonien keineswegs von der Erneuerung ihrer Vorstellungen ab. In den nördlichen Kolonien legte man wirklich nach Kräften der Einfuhr und dem Ankauf Hindernisse entgegen, aber den südlichen, wo die Verfassungen den von der Krone eingesetzten Gouverneuren mehr Gewalt gaben, wurden diese Sklaven den Kolonisten geradezu aufgedrängt. Das Übel wurde allgemein und so tief gefühlt, daß eben dieser Sklavenhandel mit eine der Ursachen wurde, die endlich zur Revolution führten. So finden Sie im ursprünglichen Entwurf der Unabhängigkeitserklärung, entworfen von Jefferson, Adams, Livingston, Sherman und Franklin und aufgesetzt von Jefferson, einen Artikel, der unter den vielen Beschwerden, welche die Kolonisten zur Ergreifung der Waffen und Abschüttlung des englischen Jochs bestimmten, auch die anführt: daß der König von England ein fremdes Volk seiner Heimat entrissen, über weite Seen geschleppt, es in die nordamerikanischen Kolonien als Leibeigene verkauft und so mit fremden Völkern, einer fremden Rasse, einen blutigen Markt eröffnet, ja sich nicht entblödet habe, dieselben Leibeigenen, die unter seiner Sanktion als solche an die Kolonisten verkauft wurden, zur Empörung gegen ihre Herren und Besitzer aufzurufen. Dieser Artikel wurde zwar bei der Veröffentlichung der Unabhängigkeits-Urkunde ausgelassen, weil einige Mitglieder des Kongresses aus den südlichen Staaten Bedenken äußerten und bei einem so wichtigen Dokument die Übereinstimmung aller jeder anderen Rücksicht voranging, aber die Empörung gegen die Barbarei der Regierung sprach sich deshalb nicht weniger stark in eben diesen südlichen Staaten aus.«

»Das stellt wirklich die Sachlage aus einem ganz neuen Gesichtspunkt dar«, bemerkte d‘Ermonvalle, der aufmerksam zugehört hatte. »Aber eine Frage noch: Was tat Ihr Kongreß, Ihre eigene Regierung, nachdem sie die Herrschaft Großbritanniens abgeschüttelt hatte, in der Angelegenheit der unglücklichen Schwarzen?«

»Ihre Frage ist nur natürlich. Die Kolonien trafen bereits vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten mit Großbritannien Maßregeln, um dem Sklavenhandel Einhalt zu tun. 1774 kam der sogenannte Kontinentalkongreß von Philadelphia zu dem einmütigen Entschluß, daß mit Ausgang Dezember desselben Jahres kein Sklave mehr eingeführt oder zum Verkauf angeboten werden solle. Denselben Beschluß hatten früher schon die Kolonialversammlungen von New York und Delaware gefaßt. Daß diese Beschlüsse nicht ganz die beabsichtigten wohltätigen Folgen hatten, war einzig den unvermeidlichen Wirren zuzuschreiben, die nach unserer — wie nach jeder anderen — Revolution einbrachen. Sie haben vielleicht von der Föderal-Regierung gehört, die nach Beendigung des Unabhängigkeitskampfes errichtet wurde. Sie war so schwach, daß sie sich nach wenigen Jahren von selbst auflöste. Die dreizehn unabhängig gewordenen Staaten bildeten einen losen Staatenbund ohne Zusammenhang nach innen, ohne Macht nach außen, da jeder der neuen Staaten nicht bloß volle Souveränität innerhalb seiner Grenzen, sondern auch in bezug auf auswärtige Nationen forderte. Die Notwendigkeit einer kräftigen Zentralregierung wurde aber immer deutlicher erkannt. Im Jahre 1787 trat eine Konvention zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung zusammen, im Jahre 1789 gelangte auch die neue Verfassung mit George Washington als Präsidenten zur Wirksamkeit. Es wäre zu wünschen gewesen, daß der Zentralregierung auch die Gewalt über die Sklavenfrage erteilt worden wäre. Dieses geschah jedoch nicht, weil die einzelnen Staaten diese Frage als eine Eigentumsfrage betrachteten. Die Mehrzahl von ihnen hielt nun wirklich Sklaven, bloß die Neu-England-Staaten hatten die Sklaverei inzwischen abgeschafft. Die Majorität der Stimmen im Kongreß war bei den sklavenhaltenden Staaten, die allmählich an das Übel gewöhnt waren und über diese Frage um so mehr für sich abzuurteilen wünschten, als sie den größten Teil ihres Vermögens auf den Ankauf ihrer Sklaven verwendet hatten. Unsere großen Staatsmänner — Washington, Jefferson, Franklin, Adams, Hamilton, Morris — mußten in diesem wie in manchen anderen Punkten nachgeben, um nicht das große Lebensprinzip des werdenden Staates selbst zu gefährden. Handelte es sich doch darum, ob die freigewordenen Kolonien dreizehn kleine uneinige Republiken oder ein großer mächtiger Staat werden sollten. Doch hat selbst diese Konvention die Sklavenfrage nicht ganz vergessen, ja sie hat mehr getan als alle Regierungen Europas damals zusammengenommen. Es wurde nämlich der Beschluß gefaßt und zum Gesetz erhoben, daß zwar den sklavenhaltenden Staaten ihr Besitz, so wie er ihnen von der Krone Englands garantiert wurde, auch ferner gewährleistet und die Lösung dieser schwierigen Frage ihnen überlassen werden sollte, daß aber der Sklavenhandel innerhalb von siebzehn Jahren gänzlich aufhören, ja jeder amerikanische Bürger, im Sklavenhandel nach dieser Zeit betroffen, als Seeräuber angesehen und bestraft werden müßte. Das geschah, als England und die übrigen europäischen Länder kaum eine Ahnung von der Unmenschlichkeit des Sklavenhandels zu haben schienen.«

Richard warf einen Blick rundum und stellte fest, daß die ganze Gesellschaft mit gespannter Aufmerksamkeit seinen Darlegungen folgte.

»Was taten nun die einzelnen Staaten?« fuhr er darauf fort. »Pennsylvania, Delaware, New York und New Jersey folgten bald dem Beispiel der Neu-England-Staaten und schafften die Sklaverei ab. Von diesen zehn Staaten wurden bekanntlich die westlichen Territorien von Ohio, Indiana und Illinois bevölkert, in denen daher gleichfalls keine Sklaverei besteht. Michigan, das in wenigen Jahren in die Reihe als Staat eintreten wird, 1837 (also ein Jahr nach der Erstveröffentlichung dieses Romans) erfolgte die Aufnahme Michigans in die USA. hat ebenfalls keine, so daß die Mehrzahl der Vereinigten Staaten die ihnen aufgedrungene Sklaverei aufgehoben hat. Unfehlbar werden Maryland, Virginia und Kentucky diesem Beispiel bald folgen. Auf diese Art behandeln wir ein ohne unsere Schuld eingewurzeltes Übel und beseitigen es allmählich. Keiner von uns verhehlt sich, daß es unheilbringend auf unser bürgerliches Leben einwirkt und eine Radikalkur notwendig ist. Allein daß diese nur langsam vor sich gehen kann, wird niemand bestreiten, der nur einigermaßen Einsicht hat.«

»Jawohl, jawohl!« stimmte d‘Ermonvalle zu.

»In Europa haben sie mehr als zwölf Jahrhunderte gebraucht, ihre weißen Sklaven zu emanzipieren, und sind noch nicht am Ziel«, sprach Richard weiter. »Und diese Leibeigenen sind die Nachkommen von Menschen, die durch Ihre Vorfahren ihrer Freiheit, ihres Eigentums und ihrer bürgerlichen Rechte beraubt wurden, denen Sie also Ersatz schuldig waren. Bei uns ist der Fall anders. Um ihn nur einigermaßen zu würdigen, müssen Sie in Anschlag bringen, daß Großbritannien auf seine 24 Millionen Einwohner und seine 120 Millionen auswärtiger Untertanen nicht viel mehr als 800+000 Sklaven in seinen westindischen Besitzungen hat, Frankreich auf seine 32 Millionen Einwohner nicht 300+000 auf Martinique und seinen übrigen Inseln. Beide Regierungen dürften heute ihre Sklaven loskaufen oder freigeben, ohne daß ihren Völkern daraus ein sehr großer Nachteil erwachsen könnte. Sie sind zudem Tausende von Meilen von ihnen und kommen in keine Berührung. Aber bei uns ist es anders. Wir haben nahe an zweieinhalb Millionen Sklaven auf eine Bevölkerung von vier Millionen und wenn Sie die ganze Union nehmen, von 15 Millionen. Denken Sie sich in irgendeinem europäischen Reich einer Bevölkerung von 17 Millionen solch eine Masse fremden Blutes als Sklaven aufgedrungen! Könnten Sie diese so geradezu losgeben, sie heraufziehen zu sich, in bürgerliche Rechte einsetzen?«

»Und warum nicht?« fiel Vergennes ein.

Ein mitleidiges Lächeln auf allen Gesichtern war die Antwort.

»Sie kennen diese Rasse nicht, Monsieur Vergennes! Lernen Sie sie in der Wirklichkeit kennen, dann werden Sie anders reden.«

»Mag sein, Mister Moreland! Aber geben Sie mir auch zu, daß das Vorurteil Ihrer Mitbürger unbezwingbar ist. Selbst diese Emanzipation in den nördlichen Staaten! Nennen Sie das Emanzipation, wo der Farbige bloß dem Namen nach frei ist, aber nie in die Schranken mit Weißen treten darf, weder in bürgerliche, noch in politische? Wo er zum Betteln oder Dienen verdammt ist? Ihm ein unauslöschlicher Makel anklebt, selbst wenn er aufgehört hat, schwarz oder farbig zu sein, und so weiß geworden ist wie Sie oder ich? Weist sein Stammbaum auch nur einen Tropfen schwarzen Blutes nach, so ist er gebrandmarkt, darf an keiner Tafel, in keinem Theater, keiner Kirche erscheinen! Nennen Sie das Freiheit?«

»Wer Ihnen das gesagt hat, hat Sie übel berichtet«, entgegnete Richard etwas frostig. »Gehen Sie in unsere Kirchen: auch am Tisch des Herrn werden Sie Schwarze und Weiße gemeinschaftlich sehen. Was aber Tafel und Theater betrifft, so finde ich nur natürlich, daß wir zu unseren Tafel- und Theaternachbarn solche nehmen, die uns gleich sind. Wenn Sie das Vorurteil nennen, dann muß ich nur sagen, daß wir es mit allen Völkern teilen. Ich habe von keinem zivilisierten Volk gehört, wo der unehelich Geborene — mit Ausnahme besonderer Fälle — auf gleiche Behandlung, gleiche bürgerliche Rechte mit ehelich Erzeugten Anspruch machen könnte.«

Diese nicht ohne Selbstgerechtigkeit gesprochenen Worte brachten Vergennes nur noch mehr auf.

»Nennen Sie das Freiheit? Entspricht das vielleicht dem Prinzip Ihrer Unabhängigkeitserklärung, daß alle Menschen frei geboren seien?«

»Allerdings!« antwortete Richard. »Wir haben das Prinzip aufgestellt und konsequent durchgeführt, davon bin ich überzeugt. Wir wenden es eben jetzt auf Sie an, so wie auf jeden Fremden, er mag Deutscher, Franzose, Irländer oder Brite sein. Alle finden sie sich bei uns als freie Menschen behandelt. Wenn aber die freigelassenen Schwarzen es nicht so ganz sind, dann glauben Sie mir, muß die Schuld die ihrige, nicht die unsrige sein. Wenn unsere Mitbürger ein Vorurteil gegen die Farbigen haben, dann seien Sie versichert, daß dafür Gründe vorhanden sind ...«

»Gründe? Gründe?« unterbrach ihn Vergennes. »Sie erklären ja selbst die Ehe mit Farbigen für ungültig, die öffentliche Meinung verdammt sie.«

»Aber Sie werden doch nicht wollen, daß eine ganze bürgerliche Gesellschaft sich selbst das Schandmal aufdrückt, indem sie die Ehe mit einer so bedeutenden Masse von Mischlingen unehelicher Abstammung sanktioniert?«

Doch diese Worte Morelands wurden bereits von allen Seiten überschrien.

»Wollen Sie, daß unsere Mitbürger Farbige zu ihren Frauen nehmen?« rief Mistreß Houston.

»Warum nicht?«

Ein Schrei des Entsetzens brach von allen Lippen.

»Der junge Mann hat schauderhafte Ansichten!« empörte sich die Maman.

»Schamlos!« entrüstete sich Mistreß Houston. »Kommen Sie, meine Damen, so etwas kann man nicht mit anhören! Bürgerinnen in die gleiche Waagschale mit solchen Geschöpfen zu werfen!«

»Abscheulich!« riefen Luise und Julie.

»Horrible!« stimmten Menou und Genièvre bei.

Der junge Mann stand und schaute umher wie ein Kind, das unvorsichtigerweise ein Loch in den Erddamm eines reißenden Stroms gegraben und nun das Wasser plötzlich rauschen, stärker und stärker brausen hört und auf einmal den Damm selbst krachend weichen und von der Wogenflut fortgerissen sieht. Er wandte sich links und wieder rechts.

»Aber, mein Gott!« fragte er endlich. »Was hab‘ ich denn so Böses gesagt?«

»Monsieur Vergennes«, nahm der Chevalier d‘Ecars kopfschüttelnd das Wort, »wenn Sie das sittliche Gefühl unserer Damen noch öfters auf diese harte Probe zu stellen sich gelüsten sollten, dann stehe ich Ihnen nicht dafür, daß Ihnen nicht bald überall die Tür gewiesen wird.«

»Wirklich horrible!« rief Meurdon, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte.

»Abominable!« ließ Demoiselle Genièvre noch in der Tür hören.

Sie und die anderen Damen nahmen Reißaus.

»Wissen Sie denn auch, wer und was diese Farbigen sind?« schrie Lassalle.

»Sie sind Menschen!« erwiderte Vergennes hitzig. »Wenigstens zu einem Fünftel!« fiel Meurdon ein.

»Wissen Sie, daß Sie unseren Damen einen wirklichen Schimpf antaten, sie auf gleiche Stufe mit den Farbigen zu stellen?« fragte Lassalle.

»Schimpf?« Vergennes war naiv verwundert. »Nennen Sie das einen Schimpf antun, wenn man die Rechte einer gedrückten Menschenklasse verteidigt?«

»Gedrückt? Gedrückt?« versetzte Hauterouge. »Hier ist nicht vom Druck die Rede, hier ist von Menschen die Rede, die sich durch ein fortgesetztes Laster, durch ungesetzliche Vermischung in die weiße Rasse eingestohlen haben! Und diese wollen Sie auf gleiche Stufe mit sittsamen Töchtern und Frauen stellen!«

»Sobald Sie diese Sprößlinge ungezügelter Leidenschaften den übrigen Bürgerinnen gleichstellen, stoßen Sie das Grundprinzip der Ehe um!« schrie Lassalle.

»Ungeregelte Leidenschaften führen zum Verderben, sind ansteckend durch ihre Berührung«, erklärte Hauterouge.

Der Aufruhr wurde immer heftiger.

»Messieurs, Messieurs!« rief da der Graf de Vignerolles mit seiner hellen, klaren Stimme. »Messieurs, hören Sie, was Amadée sagt!«

Und seltsam, das babylonische Stimmengewirr legte sich. Alle wandten sich, um zu hören, was Amadée zu sagen hatte. Vergennes, von allen Seiten angegriffen, ersah den günstigen Augenblick und bugsierte sich zu Amadée hin, wie der Kauffahrteischoner, von einer Kaperhorde gejagt, zur Fregatte, um hinter ihren Kanonen Sicherheit zu suchen.

Der alte Amadée nahm eine Prise.

»Vergebung, Herrschaften, wenn ich in meiner Einfalt just meine, daß der junge Herr da Dinge sagt, wie sie oft nach unserer Ankunft in den Attacapas auch gesagt wurden.«

»Aber Amadée, so unverschämt haben wir sie nicht gesagt«, bemerkte Hauterouge.

»Und nicht vor Damen!« fügte Lassalle hinzu.

»Wollte Gott, diese Dinge wären auf eine so unverschämte Weise gesagt worden! Vergeben Sie, Monsieur Vergennes, aber ich wiederhole nur, was Bessere als ich vor mir gesagt haben! Vielleicht hätten sie jemanden abgeschreckt!«

Der Graf, Hauterouge, Lassalle, alle Franzosen und Kreolen sahen den Alten bedeutsam warnend an.

»Ma foi, Amadée!«

»Auch Monsieur Vergennes will die Rechte der Farbigen vertreten, ihnen einen Dienst erweisen.«

Wieder eine Pause.

»Für den sie ihm aber nicht danken dürften«, fuhr Amadée fort. »Ah, Monsieur Vergennes, glauben Sie mir, die Farbigen sind nicht zur Ehe geboren, weil sie ... nicht in der Ehe geboren sind.«

Noch immer sahen alle den Alten an.

»Ah, Herr Graf!« wandte sich dieser an Vignerolles. »Fällt Ihnen an. dem jungen Herrn nicht etwas auf? Sehen Sie ihn doch genauer an!«

Der Graf starrte Vergennes einen Augenblick unverwandt an.

»Monsieur Ducalle!« flüsterte ihm der Alte zu.

»Wahrhaftig, wie er leibt und lebt!« entfuhr es dem Grafen.

Er warf nochmals einen Blick auf Vergennes und strich sich nachdenklich, beinahe unmutig, mit der Hand über die Stirn.

»Ma foi!« riefen auch Lassalle und Hauterouge.

Ihre Stirnen überzog gleichfalls eine trübe Wolke, ihre Blicke ruhten mitleidig teilnehmend auf Vergennes.

»Armer Ducalle!« sagten sie.

»Ganz wie er war!« bekräftigte Amadée.

Der arme Vergennes stand verlegen, seine Dreistigkeit war dahin. Es ist allerdings peinlich, sich als Gegenstand des Mitleids belächelt zu sehen. Aber die Lehre schadete ihm gar nichts.

Eine lange Pause trat ein.

»Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen«, nahm endlich der Graf das Wort, »daß mir die letzten Debatten mit Ausnahme dessen, was Mister Moreland ebenso wahr wie gründlich dargelegt hat, sehr widerlich in den Ohren klangen. Daß die Sklaverei ein Übel, ja ein Makel unserer freien Verfassungen ist, wissen wir alle, fühlen es tief. Aber diese Angelegenheit geht uns allein an, ein Fremder sollte sich wohlweislich hüten, sich da hineinzumischen, weil er bei seiner Unkenntnis diese kitzlige Lebensfrage nur verwirren kann, anstatt sie zu klären. Ich glaube, Europa, das noch heutzutage Millionen von Israeliten vom Genuß bürgerlicher Rechte mehr oder weniger ausschließt und die Emanzipation seiner weißen Leibeigenen kaum zur Hälfte durchgeführt hat, dieses Europa hat kein Recht, den Amerikanern über ihre Langsamkeit in dieser Hinsicht Vorwürfe zu machen. Der Fall mit unseren Schwarzen ist wirklich hart und unheilschwanger, viel härter als der mit den weißen Leibeigenen Europas. Diese sind von derselben kaukasischen Rasse wie ihre Herren und können ohne Gefahr für die Sittlichkeit der übrigen Bürger zum Vollgenuß aller Rechte zugelassen werden. Es ist aber eine große Frage, ob das mit unseren Schwarzen oder Farbigen tunlich oder rätlich sein dürfte. Es ist ein ganz anderes Blut, das bei jeder Gelegenheit in Siedehitze aufwallt. Das fühlt die Nation tief, und daher ihr Unwille, diese exotische Rasse in ihre Mitte zuzulassen. Was aber eheliche Verbindungen betrifft, so sage ich frei heraus: wäre der Widerwille dagegen weniger allgemein, so könnte ich unmöglich das Volk der Vereinigten Staaten so hoch achten, wie ich es hoch zu achten vollen Grund zu haben glaube.«

»Gesprochen wie ein wahrer Amerikaner!« riefen alle und drückten dem Grafen die Hand.

Aber währenddem stahl sich ein tiefer Seufzer aus seiner Brust. Es war klar, er hatte nur gesprochen, um die Aufmerksamkeit von Ducalle abzulenken.

»Aber Vergebung, was war denn mit Ducalle?« fragte auch schon de Meurdon. »Ist das derselbe Ducalle, der mit Ihnen ...?«

»Amadée, du hast da einen dummen Streich gemacht«, wandte sich der Graf an den Alten. »Trübe Erinnerungen sind am besten in Vergessenheit begraben.«

»Ah, Herr Graf«, erwiderte der alte Diener. »Was hilft es, sie in Vergessenheit zu begraben, wenn sie in neuer Gestalt immer und immer wieder zum Vorschein kommen? Ach, hätte Monsieur Ducalle gewußt, wie es endigen würde ...! Dem jungen Herrn da würde es gewiß nicht schaden, denn er soll doch in Louisiana bleiben ...?«

Er blickte Vignerolles fragend an.

»Wir könnten ja in den Speisesaal gehen«, fügte er hinzu, als der Graf schwieg.

»Aber Demoiselle Ducalle!« wandte Hauterouge ein.

»Wie, ist Demoiselle Ducalle hier?« fragte Howard.

»Ja, mit meiner Tochter«, gab der mit einem Mal einsilbig gewordene Graf zurückhaltend Auskunft.

»Und ihr Vater?«

Keine Antwort.

»Unser junger Freund will also in Louisiana bleiben?« fragte der Graf nach einer Weile.

Vergennes nickte gedankenlos. Wieder eine lange Pause, alle sahen sich einander befremdet an.

»Ja, wenn es den Herren gefällig ist, wollen wir in den Speisesaal gehen!«

Mit diesen Worten erhob sich Vignerolles. Alle zogen in schweigsamer Spannung in den aufgeräumten Speisesaal. Auch zu ihren Ohren war das Gerücht von diesem Ducalle gedrungen, aber entstellt, dunkel, unheimlich. Alle waren daher begierig, die seltsame, halb verklungene Sage aus glaubwürdiger Quelle zu hören.

Das blutige Blockhaus

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