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Sechstes Kapitel

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Die außerordentliche Geschicklichkeit der Indianer, Wunden und Fieber zu heilen, denen sie schon wegen ihres ewigen Kriegs- und Waldlebens häufig ausgesetzt sind, offenbarte sich auf eine erstaunenswürdige Weise an dem Jünglinge, den sein glückliches oder unglückliches Gestirn zu einem dieser Völkchen geführt hatte. Das Wund- und kalte Fieber war bereits nach sechsunddreißig Stunden verschwunden, und es waren noch nicht acht Tage seit seinem Hiersein verflossen, als auch die Wunde bereits zu heilen anfing. Seine leichenartig gelbe Gesichtsfarbe hatte sich in ein frisches Rot verwandelt, das eine leichte Blässe angenehm hervorhob, seine matt und kraftlos eingefallenen Augen waren munter geworden und schienen eher zum Lachen als zur Traurigkeit aufgelegt zu sein. Ein Zug um den Mund verriet eine fröhliche, harmlose Natur, und voll aufblühende Backen einen kräftig lebendigen Frohsinn. Er hätte bereits versucht, aus der Hütte zu treten und sich im Freien umzusehen, wäre ihm dies nicht von seiner Wärterin mit der Drohung untersagt worden, daß das Fieber wieder kommen werde, wenn er sich der feuchten Luft aussetze. So hütete er noch immer sein Stübchen. Dieses war von mäßiger Ausdehnung und zeigte dem Auge die kunstlos zusammengefügten Stämme des Kottonbaumes, mit Tillandsea und Gummi ausgestopft, und mit keiner andern Verzierung als einem Tomahawk und Schlachtmesser, die an der Wand hingen. Eine etwa anderthalb Fuß hohe Bank, mit Tillandsea bedeckt, lief an den Wänden der Stube hin und diente ihm zum Sitz und Lager. Ein ebenso einfacher Tisch war mit Palmblättern und Früchten besetzt, die mit einer zarten Rücksicht für seinen Genesungszustand gesammelt schienen: Weintrauben und in Zucker eingelegte wilde Pflaumen und Bananen. Während sein Auge auf diesen Gaben ruhte, trat Canondah ein, in ihren Händen einen Teller mit frisch gebratenen Wachteln haltend. Sie setzte das Gericht auf den Tisch und eilte dann zur Türe zurück, um die Büffelhaut herabzulassen, so daß die Strahlen der Morgensonne, die durch die Öffnungen einfielen, die Gegenstände im dunkeln Stübchen mehr erraten als sehen ließen.

»Guten Morgen!« sprach der junge Mann, der mit Verwunderung der Indianerin einen Augenblick zugesehen hatte. Die Begrüßung wurde mit Stillschweigen aufgenommen. Die Indianerin deutete auf die Wachteln und ließ sich dann auf dem entgegenstehenden Sitze nieder, auf dem sie ruhig abwarten zu wollen schien, bis der junge Mann gegessen haben würde.

»Mein junger Bruder,« hob sie endlich an, als sie gewahrte, daß dieser keine Miene machte, das Mahl zu versuchen, »ist im Kanu des großen Häuptlings der Salzsee angekommen. Hat er in seinem Wigwam gelebt und die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht?« Sie sprach diese Worte in ziemlich geläufigem Englisch, obwohl in dem tiefen und stark hervorstoßenden Kehltone ihrer Nation.

»Kanu! Wigwam! Pfeife des Friedens!« wiederholte der junge Mann, der, wie es schien, keine Silbe von dem Ganzen verstand. »Ja, in einem Kanu bin ich gewesen,« fuhr er halbfröhlich fort, »und das mag der Henker holen! Ich will mein ganzes Leben daran denken. Brr!« murmelte er, »das war kein Spaß, wenn man seine acht Tage, oder Gott weiß wie lange, auf der Salzwelle herumtanzt und an seinen Schuhsohlen Mittagsmahl halten muß. Hole der Teufel unsere Schildkrötenjagd und Austernliebhaberei. Will in meinem Leben auf keine mehr gehen. Sag› mir nur einmal, liebes Mädchen, wo ich eigentlich bin. Die letzten zwei Tage erinnere ich mich zwischen Sümpfen und Morästen gewesen zu sein, in denen nichts Eßbareres zu sehen war, als Alligatoren und wilde Gänse, die leider Flügel hatten. Wo ich aber gegenwärtig zu sein die Ehre habe, weiß ich wahrlich nicht.«

Die Indianerin stutzte ein wenig über den fröhlich-humoristischen Wortschwall, der ihm entfahren, und sie schien eine Weile das Gesagte in ihrem Gedächtnisse zu ordnen. Endlich mochte sie damit zu Ende gekommen sein; ihre Miene jedoch, weit entfernt, im nämlichen Tone zu erwidern, drückte eher Mißfallen aus.

»Mein Bruder hat nicht auf die Frage seiner Schwester geantwortet. – Hat er bei dem Häuptling der Salzsee gelebt und die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht?«

»Das habe ich«, erwiderte er, der sie nun zu begreifen wähnte. »Ich habe bei dem Häuptling der Salzsee gelebt, wenn du, was natürlich, darunter unsere Nation verstehst; aber was das Rauchen aus der Pfeife betrifft, das habe ich nicht getan. Wir rauchen nie aus Pfeifen, das ist nicht Mode bei uns; bloß die Franzosen und Neger tun es. Schmutzige Tiere!« fügte er hinzu.

»Mein Bruder«, versetzte die Indianerin ebenso gelassen, »hat eine gekrümmte Zunge, und er will seine Schwester zum Narren machen. Canondah ist die Tochter des Miko«, sprach sie mit Würde.

»Canondah, Tochter des Miko«; wiederholte der junge Mann. »Englische Worte, aber wenn ich sogleich mit der Kanonenbraut kopuliert werden sollte, ich weiß wahrlich keine Antwort zu geben.«

»Wie ist mein Bruder zum Kanu gekommen, in welchem ihn seine Schwester gefunden hat?«

»Wie kann ein ehrlicher englischer Midshipman, der während seines Austernsuchens von einem französischen Hunde von Seeräuber überfallen und gefangen in seine Räuberhöhle geschleppt wird, zu einem Boote kommen? Ich nahm es während der Nachtzeit und machte mich aus dem Staube. Wollte Gott, Tom und Bill hätten mitgekonnt; aber der Spitzbube hat uns einzeln eingesperrt.«

Der junge Mann, in fröhlicher, munterer Laune, schien die rhapsodische Skizze mehr zu seiner eigenen Unterhaltung, als der Aufklärung der Indianerin zu geben.

»Mein Bruder«, sprach wieder die Indianerin, die aufmerksam zugehört hatte, »hat also das Kanu dem Häuptling der Salzsee genommen und ist in der Nachtzeit aus seinem Wigwam gewichen?«

»Das Kanu gehört einem Hunde von Piraten; – den wirst du doch unter dem Häuptling der Salzsee nicht meinen?« fragte der Brite etwas aufmerksamer.

Die Indianerin schüttelte den Kopf und maß ihn mit einem Blicke, der den Humor des jungen Seemannes ein wenig herabstimmte.

»Mein Bruder ist sehr jung«, sprach sie, »um auf den Kriegspfad des großen Häuptlings der Salzsee zu gehen. Er sollte zuvor lernen, den Hirsch und den Büffel zu jagen und die große Wasserschlange zu töten, ehe er in den Krieg zieht; oder die Töchter seines Volkes werden über der Leiche meines gefallenen Bruders weinen.«

Sie sprach diese Worte mit einem Ausdrucke, der Mitleiden und Hohn ziemlich deutlich zu verstehen gab, und schien auf eine Antwort zu warten.

»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ein englischer Offizier oder vielmehr Quasioffizier, verflucht unsere Offizierschaft, mit einem Piraten Krieg führen wird? – Solche Hunde fängt man und knüpft sie auf.« Die Indianerin maß ihn mit einem verächtlichen Blicke.

»Sieh!« erwiderte sie kalt und verächtlich, »wenn die roten Männer auf den Kriegspfad gegen ihre Feinde ziehen, so schlagen sie die Krieger und Häuptlinge ihrer Feinde entweder auf dem Schlachtfelde tot, oder sie führen sie gefangen heim, um sie ihren jungen Männern zu zeigen, daß diese ebenso brav werden mögen, wie sie. Aber dann bewachen sie dieselben, daß sie nicht entfliehen können. Mein junger Bruder jedoch ist keiner ihrer Häuptlinge oder Krieger. Seine Hände sind klein wie die eines Mädchens und haben nie einen Tomahawk gehoben. Der große Häuptling hat ihn gefangen mit andern Knaben und Mädchen seines Volkes und ihn in sein Wigwam gesandt. Der Häuptling der Salzsee ist groß, und er tötet Männer, aber er bekümmert sich nicht um Weiber und Kinder. Mein junger Bruder hat eine starke Zunge, aber sein Arm ist schwach.«

»Beinahe sollte ich glauben, daß du von dem Häuptling der Salzsee, wie du den Seeräuber nennst, mehr weißt, als mir und dir gut sein dürfte«, erwiderte der junge Mann, der nun gespannt zu werden schien. »Der Häuptling der Salzsee ist ein großer Krieger, und seine Name ist weit bekannt«; sprach das Mädchen trocken.

»Und wie weit ist es von hier zu seinem Wigwam?« fragte er, den Ausdruck gebrauchend, der von der Indianerin am leichtesten verstanden werden konnte.

»Mein Bruder«, erwiderte die Indianerin spöttisch, »ist ja von seinem Wigwam in seinem Kanu angekommen. Wenn die roten Männer ihre Späher und Spione aussenden, dann wählen sie solche, die wissen, wie lang der Pfad ist, der zum Feinde führt. Tun es die Weißen anders? Canondah ist ein schwaches Mädchen, aber sie ist die Tochter des Miko.« Sie hatte die letzten Worte mit einer Würde und Bestimmtheit ausgesprochen, die zugleich zu sagen schienen, daß seine bisherige Vertraulichkeit nicht am rechten Orte angewandt sei.

»Aber du wirst doch nicht glauben, daß ich ein Spion bin, der ausgegangen, um den Freibeuter auszuspähen?«

»Mein weißer Bruder spricht mit der Zunge unserer Feinde, oder spricht er mit einer doppelten Zunge?«

»Wirklich,« sprach der Jüngling, »ich weiß nicht, träume oder wache ich mit dir, liebes Mädchen. Vielleicht bist du es, der ich mein Leben schulde. Wenn dem so, dann nimm meinen aufrichtigen innigen Dank. Ich bitte um Vergebung, wenn meine Ausdrücke, die du mißzuverstehen scheinst, dich beleidigen. Sage mir nur, wo ich bin. Ich erinnere mich dunkel eines kupferfarbigen, artigen Mädchens, die zu meinem Beistande kam, als ich soeben vom Alligator gepackt wurde, auf den ich, ihn für einen Baumstamm ansehend, meinen Fuß setzte; und dann schwimmt vor meiner trüben Phantasie eine liebliche Göttergestalt, mehr Kind als Mädchen, die gleich einem Engel nur im Traume mir erschien. Wo ist das Mädchen? Sie ist eine Weiße, sie wird mich, ich sie eher verstehen. Aber die Wahrheit zu sagen – obwohl ich die Verhältnisse nicht kenne, in denen du zum Seeräuber stehen magst – ich habe Ursache, gegen ihn aufgebracht zu sein. Wir waren von unserer Station in Jamaika abgegangen, um die Mündungen des Mississippi zu sondieren. Ich mit einigen meiner Kameraden hatte von unserem alten Brummbär, ich meine unsern Kapitän, Erlaubnis erhalten, nach Schildkröten und Austern zu jagen. Wir hatten uns ziemlich weit von der Fregatte entfernt und waren in eine tiefe Bucht eingelaufen, wo wir treffliche Austernbänke fanden. Als wir am besten mit unseren Rechen beschäftigt waren, sahen wir plötzlich eine bewaffnete Jacht vor uns. Was zu tun? Unsere Kutlasse und Pistolen hatten wir natürlich zurückgelassen, und so mußten wir uns samt und sonders ergeben, wurden dann fortgeschifft und gelangten in der Nacht in eine Art Blockhaus, wo wir dann abgesondert und eingesperrt wurden, und woher ich nun stehenden Fußes komme.« Die Indianerin hatte natürlich von der Erklärung des jungen Briten nur die Hälfte begriffen, und sie schüttelte noch immer den Kopf.

»Mein Bruder spricht mit einer sehr gekrümmten Zunge. Will er sagen, daß er und die Seinigen nicht auf dem Kriegspfad gegen den Häuptling der Salzsee gewesen? Der Häuptling stiehlt nicht junge Männer. Warum sollte er ihn gefangen haben?«

»Wahrscheinlich weil er befürchtete, und zwar mit Recht, daß, wenn wir seinen Schlupfwinkel ausfindig machen, wir ihm auch das Nest zusammenschießen und ihn auf den Trümmern aufhängen.«

»Hab› ich nicht gesagt, daß mein weißer Bruder mit einer Doppelzunge spricht«, fuhr die Indianerin heraus. »Meines Bruders Volk ist auf dem Kriegspfad mit dem Häuptling begriffen, und er hat ihn mit den Seinigen in den Hinterhalt gelockt. Ist es nicht so?«

»Mein liebes Mädchen«, erwiderte der Brite, der müde zu werden schien, sich nicht verstanden zu sehen. »Wir sind nicht mit den Piraten im Kriege, obwohl wir ihn, wenn er in unsere Hände gerät, als solchen aufknüpfen, und das zwar in Ketten; aber wir haben diese Ehre des Krieges unserem widerspenstigen Bruder Jonathan angetan, den Yankees. Mit diesem sind wir im Kriege, das heißt nicht eben im Kriege, aber wir haben einige Schiffe und Truppenkorps abgesandt, sie zu züchtigen.«

»Meines Bruders Volk ist nicht auf dem Kriegspfade gegen den Häuptling der Salzsee begriffen, und doch würde ihn sein Volk beim Halse aufhängen. Meines Bruders Volk verdient wie die Hunde totgeschlagen zu werden.« Des Briten Miene zuckte unwillkürlich. »Mein Bruder sprach von den Yankees«, fuhr das Mädchen fort. »Hat er nicht gesagt, daß sein Volk, mit ihnen im Kriege begriffen, sie züchtigen will? Mein Bruder ist doch ein Yankee, seine Zunge ist die eines Yankee?«

»Ich habe die Ehre ein Engländer zu sein«, erwiderte der junge Mann mit jenem selbstgefälligen Schmunzeln eines verwöhnten Kindes, das seine Lippen wie die Schnauze eines gewissen Tieres streckte und zusammenzog und ihm jenen albernen Ausdruck gab, den wir so oft an unsern Verwandten zu belächeln Gelegenheit gefunden haben, wenn ihre Eigenliebe sich auf recht komfortable Weise gekitzelt fühlt.

»Ein Engländer«, wiederholte das Mädchen sinnend. »Der Häuptling unserer Schule hat uns vieles von einem Volke gesagt, das auf einer Insel weit gegen die aufgehende Sonne wohnt. Sie haben einen Häuptling, der ein alter, unschuldiger Mann ist«; bei diesen Worten deutete sie auf die Stirne. »Die Köpfe der Männer sind voll Nebel, und sie sind vielfräßig und hungrig immer. Sie haben ehemals Häuptlinge in das Land der Yankees gesandt, bis diese sie vertrieben haben. Gehört mein Bruder zu diesem Volke?«

Der Brite, der hier einen Katechismus hörte, wie ihn häufig westliche Schulmeister ihren Zöglingen auf eine seinen Landsleuten eben nicht sehr schmeichelhafte Weise einprägen, antwortete mit einem verlegenen Gesichte: »Ich bin allerdings aus einer Insel, und unser Häuptling, wie du unsern König taufst, hat wirklich so eine Art Spleen gehabt, und unser Oberhaus für Pfauen angesehen; aber ich habe nicht die Ehre«, fuhr er lachend fort, »meine Landsleute in der Beschreibung zu erkennen.«

»Meines Bruders Zunge hat sich wieder gekrümmt«, fuhr das Mädchen spöttisch fort. »Gehört er zu dem Volk, das viele Schiffe hat, und gegen welches der große weiße Vater den Tomahawk erhoben?«

»Ich denke, ich gehöre ihm an«, erwiderte der junge Mann ein wenig verdrießlich.

»Und sein Volk«, sprach sie mit einem mitleidsvollen Lächeln, »will die Yankees züchtigen?«

»Ja, das wollen wir«, fuhr der Brite mutig heraus.

»Arme Narren!« erwiderte die Indianerin. »Meines Bruders Volk wird sich derbe Schläge holen. Haben die Yankees ihm sein Land weggenommen?« fragte sie weiter.

»Der Teufel sollte sie holen, wenn sie sich so etwas in den Sinn kommen lassen wollten. Sie haben sich aber angemaßt, uns die Herrschaft der Salzsee, um indianisch zu sprechen, streitig machen zu wollen, und im Grunde auch das nicht; die Wichte haben sich nur geweigert, ihre elenden Schiffe von uns visitieren zu lassen, wozu sich doch alle übrigen, Franzosen und Russen, verstehen müssen. Dann wollen sie uns auch wehren, ihre Seeleute allenfalls der Ehre des britischen Rechtes auf den neunten Mann zu würdigen.«

Der Brite hatte in guter, gedrängt seemännischer Sprache und ziemlich genau die Ursachen des zweiten Krieges der Vereinigten Staaten mit England angegeben. Das Recht oder vielmehr die Anmaßung der Briten, amerikanische Schiffe zu visitieren, und die größere Anmaßung, solche Seeleute, die ihnen annehmlich schienen, von den amerikanischen Schiffen zu nehmen, hatte wirklich die amerikanische Nation veranlaßt, den Fehdehandschuh dem übermütigen England hinzuwerfen.

Die Indianerin hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dem jungen Briten zugehört, und obgleich sie vermutlich das Ganze seiner Rede nicht begriff, so ließ sie ihr durchdringender Verstand ziemlich den Sinn erraten.

»Weil also die Yankees mit ihren großen Kanus auf der Salzsee fahren wollten, hat das Volk meines Bruders den Tomahawk gegen sie gehoben?« fragte sie.

»Ja, so etwas dergleichen!« war die Antwort.

»Und werden sie den Tomahawk auf der Salzsee, in den Wäldern oder in ihren Wigwams erheben?«

»Das ist eben die Frage. Wir waren abgesandt, die Mündungen des Mississippi zu sondieren, das heißt, ihre Tiefe zu untersuchen, ob sie nämlich größere Schiffe zulassen. Das Resultat war ziemlich genügend. Nur ist eine verwünschte Sandbank, die, gerade vor der Mündung hingepflanzt, uns den Eingang verwehren wird. Wäre das nicht, so gingen wir gerade nach New Orleans hinauf und schössen ihnen das Nest, wie ihr Washington, über den Köpfen zusammen; das heißt, wenn sie sich nicht gutwillig ergäben.«

»Meines Bruders Volk wird also seine großen Kanus verlassen, um die Tomahawk im Lande der Yankees zu erheben und es einzunehmen?« »Ja«, versicherte der Brite.

»Und mein Bruder, während er mit seinem Volke den großen Fluß hinauf ging, ist vom Häuptling der Salzsee gefangengenommen worden?«

»Wenn du mit dieser ehrenvollen Benennung den Piraten bezeichnest, ja.«

»Und was möchte nun mein Bruder weiter tun?«

»Sobald als möglich wieder zu den Meinigen zurückkehren; sonst sind sie imstande und streichen mich aus der Midshipmansliste, und ich bin nahe am Avancement. Ich kann nicht weit vom Mississippi sein. Unsre Armee muß um diese Zeit gelandet sein.«

»Und wenn mein Bruder den Yankees in die Hände fällt?«

»Ich werde mich hüten.«

»Die Yankees haben alles Land inne, das zwischen dem großen Strome und der zweiten großen Salzsee liegt. Ihre Augen sind die des Adlers. Mein Bruder kann nicht durch ihre Niederlassungen. Seine Fußstapfen werden ihn verraten. Sie werden meinen Bruder ergreifen und ihn töten.«

»Einen Mann ohne Waffen? Sie sind nicht zu gut dazu, aber doch traue ich ihnen diese Schlechtigkeit nicht zu; es ist britisches Blut in ihnen.«

»Sie werden meinen Bruder als Späher fangen und ihn beim Halse an einen Baum hängen.«

Die letzten Worte schienen auf den jungen Mann einigen Eindruck zu machen. Nach einer kurzen Pause erwiderte er: »Sie können, dürfen nicht. Auf alle Fälle muß ich es versuchen.«

»Mein Bruder«, brach die Indianerin plötzlich aus, »hat seine Zunge viel gekrümmt, um der Tochter des Miko große Lügen aufzubinden. Glaubt mein Bruder, die Tochter des Miko sei eine Närrin? Er sagt, sein Volk ist nicht mit dem Häuptling der Salzsee auf dem Kriegspfade, und doch würde es ihn an den Baum beim Halse aufhängen. Und wieder sagt er, sein Volk ist mit den Yankees im Kriege, und er will durch ihr Land und ihre Wigwams. – Mein Bruder«, sprach sie im bestimmten, beinahe drohenden Tone, »hat sich in das Wigwam des Häuptlings der Salzsee gestohlen und ist von da in das des Miko gekommen, um den Pfad seinem Volke, den Yankees, zu zeigen. Mein Bruder ist ein Späher der Yankees.« – Sie begleitete ihre letzten Worte mit einem Blicke, der dem jungen Manne eben nicht sehr schmeichelhaft war, und stand im Begriffe, das Stübchen zu verlassen.

Der Brite hatte ihr mit einer Spannung zugehört, die seinen jugendlichen, seemännisch launigen Zügen einen Ausdruck von Bitterkeit gab. Bei den letzten Worten schien er besonders beleidigt zu sein, und bittrer Hohn spielte um seinen Mund. Er versuchte zu antworten, stockte aber und brachte bloß ein »Aber ich muß dir sagen —« heraus. Die Indianerin machte ihm trocken ein Zeichen, zu schweigen.

»Mein Bruder ist noch krank und wund. Er hat bereits zu viel gesprochen. Er muß essen, um gesund zu werden. Der Miko ist groß und weise; er wird sehen.« Mit diesen Worten trat sie aus her Türe, vor der sie Rosa fand. Beide Mädchen wandelten Arm in Arm durch die Hecken und Pflanzungen ihrem Häuschen zu, ohne ein Wort zu sprechen. Die Indianerin war augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken. Plötzlich stand sie stille.

»Mein junger Bruder ist sehr jung, und seine Zunge faselt wie die eines albernen Mädchens; aber unter dieser Narrheit ist die Schlange verborgen.« Sie sah, während sie sprach, Rosen an, als ob sie von ihr Bestätigung des Gesagten erwartete. Diese schwieg.

»Seine Augen«, fuhr die Indianerin fort, »sind die der Taube, aber seine Zunge ist die der Rasselschlange.« Dasselbe Stillschweigen. »Haben die Ohren der weißen Rosa die vielen Lügen aufgefangen, die ihr weißer Bruder gesagt hat?«

»Sie hat die Worte ihres weißen Bruders gehört«, erwiderte diese; »aber sie hat nicht in sein Herz geblickt. Wie kann meine Canondah sagen, daß unser weißer Bruder Lügen gesagt hat?«

»Die weiße Rosa ist gut, sehr gut, Canondah liebt sie mehr als ihr Leben, und sie ist ihres Vaters Freude; aber sie sieht nicht mit den Augen Canondahs, noch des Mikos.« Ein tiefer Seufzer entquoll dem Busen Rosas. »Sie ist unglücklich, wie ihr weißer Bruder«; lispelte sie vor sich hin.

»Rosa ist die Taube, mein weißer Bruder ist die Schlange. Er ist ein Späher«; sprach die Indianerin mit Unwillen. Rosa schüttelte ihr Köpfchen. »Wer hat Canondah dies gesagt?«

»Rosas Augen«, erwiderte die Indianerin, »haben nur auf die weiße Haut und die zarten Hände meines Bruders gesehen, aber die Tochter des Miko hat seine Lügen gehört. Ist er nicht im Kanu des Häuptlings der Salzsee heraufgekommen? Hat seine Zunge nicht gesagt, daß er in seinem Wigwam gewesen, ohne die Pfeife des Friedens mit ihm geraucht zu haben? Ist nicht sein Volk auf dem Kriegspfade gegen den Häuptling? Sagte er nicht selbst, daß es den Häuptling an einen Baum hängen wollte, wenn es ihn hätte? und doch sagt die weiße Schlange, daß es nicht den Tomahawk aufgehoben. Wie kann er anders in das Wigwam des Häuptlings gelangt sein, denn als ein Späher? Und spricht er nicht mit der Zunge eines Yankee, und doch sagt dieselbe Doppelzunge, daß sein Volk auf dem Kriegspfade gegen die Yankees begriffen? Und mit der nämlichen Zunge widerspricht er und sagt, daß die Yankees ihn nicht töten würden, und deshalb«, schloß sie höhnisch, »will er durch ihre Wigwams. Glaubt er, Canondah sei eine Törin?«

Die Erzählung des Briten hatte allerdings etwas an sich, das dem ungekünstelten, mit den Grundsätzen des Völkerrechts gänzlich unbekannten Naturkinde ziemlich unwahrscheinlich vorkommen mußte. Sie dachte sich die Verhältnisse großer Nationen im winzigen Maßstabe ihres eigenen Völkchens, oder höchstens des Stammes der Creeks, und schloß ebenso natürlich den Häuptling der Salzsee oder, besser zu sagen, den Seeräuber in diese Parallele mit ein. So mußte sie notwendig die Sprache des jungen Mannes sonderbar finden, der in seiner seemännischen Offenheit ganz unumwunden zu verstehen gab, daß der Pirate aufgeknüpft werden würde, während er zur selben Zeit die Zumutung, daß seine Nation im Kriege mit ihm stehe, mit Verachtung von sich wies. Ebensowenig war seine Erklärung in bezug auf die Amerikaner für die Indianerin befriedigend. Daß seine Nation im Kriege gegen die Yankees begriffen sei, war an sich schon der gegen Weiße mißtrauischen Tochter des Mikos auffallend, die bemerkte, daß er die nämliche Sprache mit diesen rede; aber daß er ungeachtet des obwaltenden Krieges noch eine Art Großmut von seinen Feinden erwarte, und, von ihnen aufgefangen, nicht getötet zu werden fürchte, ging so weit über die Begriffe der indianischen Kriegsgesetze, daß ihn dies allein in ihren Augen zum Betrüger stempeln mußte.

Auf der andern Seite mochte unser Brite nicht weniger an der Indianerin irre geworden sein.

Wer war diese junge Wilde, die sich herausnahm, ihn wie einen aufgefangenen Spion auszufragen, und zwar auf eine Weise, die ihn unwillkürlich gezwungen hatte, ihren Fragen Rede zu stehen? Woher dieser Herrscherton, der, bei aller Einfalt, Würde und Selbstbewußtsein aussprach? Was hatte sie nach dem Seeräuber zu fragen? Gehörte sie zu seiner Bande? Ihr Wesen widersprach einem so herabwürdigenden Gedanken. »Pshaw! Mädchenneugier!« rief er sich zu, »die da gerne etwas zu plappern haben möchte.« Und mit diesem Troste entließ er für diesmal seine weitern Gedanken über die sonderbare Besucherin.

Tokeah

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