Читать книгу Moderner Vampirismus - Chouatat Dantse Rostand - Страница 5
2. Der Vampir: Was ist das?
ОглавлениеAlso, was genau ist ein Vampir? Oder besser, wer ist der Vampir, wie denkt er, wie handelt er?
Ich verwende zwar nur die maskuline Form des Wortes, dennoch möchte ich hier betonen, dass auch Frauen sehr wohl in dieser Menschenart vertreten sind. Ein Vampir kann eine Frau, ein Mann, eine Gruppe von Menschen, eine Ideologie, oder ein politisches oder gesellschaftliches System sein; sehr oft handelt es sich auch um eine Familie, in der entweder die Eltern die Hauptrolle haben, oder aber oft die Kinder, besonders die, die nicht erwachsen werden wollen. Die erfolgreichsten Vampire verstecken sich hinter dem Deckmantel der Intimität, des Privatlebens, kurz in der Komfortzone, in der sich der Mensch aufgrund seines Bedürfnisses nach Geborgenheit zurückzieht. Die ersten Vampire im Leben eines Opfers sind oft in der Familie zu finden, in der es dann auch gelernt hat, seine Opferrolle anzunehmen. Dies wird er später allen Vampiren, sei es in Beziehungen, in Freundschaften oder im Beruf, signalisieren.
Vampire kennen wir aus den Filmen über Graf Dracula oder aus den Berichten über Fledermäuse, die Blut saugen. Diese Urbilder, die den Vampir als Fledermaus darstellen, haben ihre Berechtigung, wenn man die Handlungsweise der Fledermäuse betrachtet und wenn man weiß, dass dieses Tier das einzige Säugetier ist, das sich vom Blut anderer Säugetiere ernährt.
Bei der Fledermaus kann man eine sehr wichtige Vorgehensweise des Vampires beobachten: Sie spritzt zuerst ein Narkotikum, um ihre Beute zu betäuben - ich weise hier auf die Analogie mit der Verwöhnung hin - und saugt dann deren Lebenssaft unbemerkt aus. Gewalt als Mittel des Vampirismus ist aufgrund seiner Offensichtlichkeit und Direktheit nicht gut geeignet, außer wenn sein Ziel Einschüchterung oder Störung des Denkens durch Ermüdung und Schmerz ist.
Der Schaden ist doppelt: Verlust der Lebenskraft, Konzentrationsverlust, Lustlosigkeit und Verwirrung einerseits und Vergiftung durch Narkose sowie Abhängigkeit andererseits.
Graf Dracula ist ein Vampir, da er sich vom Blut seiner Opfer ernährt.
„Vampirisch“ ist folglich alles, was (sich vom Blut anderer Lebewesen ernährt) aus Menschen Blut saugt. Blut ist der Träger unserer Lebenskraft. Das heißt auf Menschen übertragen folglich: „Vampirisch“ ist alles oder jeder, der die Lebenskraft seiner Mitmenschen anzapft, sei es bewusst oder unbewusst. Ein „Vampir“ aber ist derjenige, der zusätzlich Tarnung und Täuschung hinzufügt, indem er sein Opfer vorher betäubt und die Spuren akribisch verwischt, so dass die Ursache des Kraftverlustes nicht unmittelbar erkennbar ist: Das ist von den beiden Übeln das Schlimmere! Besonders weil das Narkotikum unbewusst und wie eine abhängig machende Droge auf das Opfer wirkt.
Dabei ist auch hier wichtig anzumerken, dass der Vampir, der bewusst handelt, seinem Opfer länger Blut abzapft, denn er weiß wann sein Durst gestillt ist oder wann sein Opfer kein Blut bzw. keine Kraft mehr hat. Dann kann der Vampir seinem Opfer sozusagen wieder Zeit zur Bildung neuen Blutes geben, er züchtet sich im wahrsten Sinne des Wortes sein Opfer und kontrolliert dessen Energieniveau akribisch. So einen Vampir behält man ein Leben lang. Solche Vampire bieten einem sogar einen Handel an, so dass der Blutgeber seine Lebensenergie dem Vampir vielleicht aus Abhängigkeit zur Verfügung stellt.
Die Abhängigkeit in der Beziehung zwischen Vampir und Opfer wird fälschlicherweise oft als Symbiose bezeichnet. In einer Symbiose besteht ein einvernehmlicher und offener Tausch, ein klar definierbares und wahrnehmbares Geben und Nehmen, von dem alle beteiligten Parteien profitieren. Im Vampirismus ist dem nicht so: Der Vampir ist nicht an einem Tausch oder an Kommunikation und Einvernehmen interessiert. Dies wäre für seine Zwecke sogar ein Hindernis, denn es hinterlässt Spuren und Beweise. Auch wenn der Vampir sein Opfer vielleicht verwöhnt, tut er dies nur, um dessen Widerstand zu vermindern und es effizienter ausnutzen zu können. Er gibt nicht das, was das Opfer braucht, sondern das, was das Opfer unfähig und dauerhaft abhängig macht und dabei lässt der Vampir es so aussehen, als wäre es ein Tausch. Er erzwingt damit die Loyalität des Opfers, dessen Umfeld er durch Überbehütung oder Überversorgung austauscht. Der Vampir mag es nicht, Geschenke oder Dankbarkeit von seinem Opfer zu bekommen, weil er eben nicht auf Symbiose aus ist.
Die Beziehung vom Vampir zum Opfer ist eher ein Schein-Parasitismus, wobei hier der Parasit das Opfer ist und nicht der Vampir. Er muss auch ein Parasit bleiben, aber nicht in den Bedürfnissen, die für ihn lebenswichtig sind, sondern um Blut und Energie zu bilden, die der Vampir braucht, um zu überleben. Dieser Parasitismus ist oberflächlich, er ist das, was alle sehen: Unterschwellig handelt es sich eigentlich um eine Art Menschenhaltung, so wie man beispielweise auch Tiere für Fleisch oder Milch hält. Also handelt es sich weder um eine Symbiose noch um Parasitismus, sondern um Haltung: Menschenhaltung!
Ein Kind ist von Natur aus abhängig mit Aussicht auf Selbstständigkeit und Mitwirkung in der Familie und der Gesellschaft. Es kann noch nicht für sich selbst sorgen und ist somit auf Andere angewiesen, zumindest biologisch und psychologisch. Aber Kinder können vampirisch ihre Eltern aussaugen und ihren Lehrern gesundheitlich schaden. Kinder sind dennoch keine Vampire, sie sind vielleicht eher Parasiten, wenn sie nicht gewünscht waren und ihren unvorbereiteten Eltern das Leben schwer machen. In der Pubertät aber können sie tatsächlich zu Vampiren werden, besonders wenn sie nicht auf den Weg des Erwachsenwerdens geführt werden.
Es gibt viele Charakteristika vampirischer Beziehungen: Alles, was meine Kraft raubt, mir meine Ruhe nimmt, mir ständig Schuldgefühle macht, mir nicht erlaubt zu denken, zu hinterfragen oder zu vergleichen. Alles, was mir ständig ein Gefühl der Unsicherheit, des Zweifels, der Unselbständigkeit, der Freudlosigkeit und der Perspektivlosigkeit gibt, dazu zählen sowohl unnötige Geschenke und Unterforderung, schwere oder unlösbare Aufgaben, unvorbereitet in eine Sache geschickt zu werden, aber auch alles, was Einsamkeit verursacht, Kälte, Hektik, Unruhe, Ausbeutung. Auch dazu zählen unklare Aussagen und wage Anleitungen, Ignorieren von wichtigen persönlichen Anliegen, ja sogar unbedingte „Freiheit“ nach dem Motto: „Mache was dir gefällt“, ohne Anleitung und ohne Aufklärung über Konsequenzen, die Taten mit sich bringen. Alles, was einen Menschen auf Dauer zur Passivität führt, macht ihn zum Opfer.
Wie Vampire vorgehen, um ihre Opfer zu züchten, wird in einem späteren Kapitel erklärt.
Der Vampir also muss als erwachsene Person angesehen werden, die aufgrund ihres Alters in der Lage sein sollte, ihren eigenen Lebensdurst auf klar in der Gesellschaft oder Metaphysik (Spiritualität, Glaube, Religion) definierte Weise zu stillen, aber diese Person weigert sich dies zu tun und bedient sich lieber einer grausamen Technik, um trotzdem die Vorzüge genießen zu können.
Das heißt: Der Vampir bedient sich menschlich anerkannter Quellen der Befriedigung, ohne die offenkundige Gegenleistung erbringen zu wollen, wie zum Beispiel sich Freunde zu machen und diese Freundschaften zu erhalten, was eine spirituelle Disziplin der Unterwerfung ist. Das erfordert auch gewisse Opfer, aber es trägt auch seine Früchte: Man ist nicht einsam, man erfährt Hilfe, wenn man sie braucht und hilft auch seinen Freunden, wenn diese in Not sind.
Der Vampir aber kann keine Opfer bringen, er möchte, dass Andere sich ihm opfern, dass Andere ihm ihre Lebenskraft geben. Der Vampir möchte sich bedienen, ohne selbst das passende Gegenstück geben zu müssen: Asozialität ist ein Wesenszug des Vampirs. Ein vampirisches System zeichnet sich durch Mangel an sozialen Fähigkeiten, Förderung von Egoismus, Vereinsamung des Menschen und Stärkung der unmittelbaren Grundbedürfnisse aus.
Aber da der Mensch nun mal gewisse Bedürfnisse hat und, solange er lebt, diese auch befriedigen muss, wird der Vampir, der immer noch ein Mensch ist, obwohl er mit der Unsterblichkeit der Götter ausgestattet ist und die menschliche Sinnlichkeit verloren hat, sich andere Wege suchen um seinen Lebensdurst zu stillen. Und wie bei einer Fledermaus kann das nur in der Nacht passieren, in der Dunkelheit, auf indirekten Wegen und schlimmer meist durch einen Vektor, der dann am Hals in der Nacht (unbewusst durch Verwöhnung oder Ablenkung) unter Betäubung, das heißt ohne das Wissen des Opfers und ohne Zeugen, Blut saugt.
Es soll nicht jeder Energieaustausch per se als Vampirismus angesehen werden, auch ist ein Parasit nicht unbedingt ein Vampir insofern, dass er sich als solcher klar zu erkennen gibt und seine Abhängigkeit nicht verbirgt, seine Bedürfnisse klarstellt und den Geber nicht täuscht und sich vielleicht sogar bei diesem bedankt. Vampirismus ist ein subtiler, mit bloßem Auge und Verstand nicht erkennbarer Energieraub.
Der Vampir ist ein Dieb, der seine Beute erst beklaut, nachdem er bereits alle Spuren verwischt hat. Das heißt, er sichert zuerst jede Spur, bevor er zuschlägt. Er fasst nichts an, sondern schwebt in der Luft: keine Spuren! Wie die Fledermaus, die ebenfalls im Raum keine Spuren hinterlässt, landet er direkt am Hals seiner Beute und fliegt von dort wieder weg, ohne sich länger am Tatort aufzuhalten. Man stellt später nur die Schäden fest, aber wie es dazu kommen konnte, weiß keiner! Und das ist das Gefährlichste am Vampir: Nicht der Lebensraub, sondern das penible Beseitigen aller Spuren. Das Opfer ist sich nicht bewusst, dass es angezapft wird, es spürt lediglich ein Unbehagen, eine Müdigkeit und eine innere Verwirrung und Lustlosigkeit. Hier ist auch eine Parallele zur Fledermaus erkennbar: Er betäubt die Bissstelle, so dass seine Beute erst viel später die Bisse bemerkt oder viel später an den Folgen des Bisses in Form von Krankheiten wie Fieber oder Tollwut erkrankt, ohne eine direkte Beziehung zwischen der Krankheit und dem Biss herstellen zu können. Das Opfer wird getäuscht und abgelenkt, es wird als verdummt, verblödet und erblindet dargestellt. Nicht der Energieraub ist das Schlimmste, den könnte das Opfer verkraften, sondern die psychische Sabotage als Folge der Narkose und Täuschung.
Das Blutsaugen macht das Opfer körperlich krank, aber der Körper ist gewöhnlich sehr zäh und die Medizin hat alle möglichen Medikamente und Therapien parat. Erst die psychische Sabotage führt tatsächlich zum sicheren Tod: Der soziale Tod, die Dissoziation von Verstand und Emotionen, die Lahmlegung der Intuition und die unweigerlich folgende psychosomatische Krankheit! Das Opfer denkt, es lebt, aber es ist schon lange tot. Der Körper läuft herum, aber es ist kein Leben mehr darin. Das Opfer findet keinen Anschluss an die Welt und an sich selbst, so bleibt der Vampir die einzige Verbindung zum Leben und zur Menschheit bzw. zur Gesellschaft.
Das Opfer ist von den anderen Menschen abgesondert und in seiner Wahrnehmung und seiner Gefühlswelt verunsichert. Eine systematische Vergiftung des Verstandes wird inszeniert, meistens mit sehr schlau klingenden Theorien, so dass sich das Opfer sehr geschmeichelt fühlt, in die Kunst des Relativierens eingeweiht zu werden - aber genau daran wird es eingehen: Es kann kein eindeutiges Urteil mehr fällen.
Wir werden später noch die Wirkungsweise, die Denkweise und die Folgen für das Opfer und die Gesellschaft im Detail betrachten. Außerdem werden wir die Motive des Täters oder der Täterin und die Ursachen dieser Neigung genauer analysieren. Aber wir fangen zuerst damit an, das Opfer zu definieren und zu identifizieren, seinen Werdegang zu erläutern. Wie wird man zum Opfer? Und warum wehren viele Opfer sich kaum noch, auch wenn sie verstanden haben, dass sie einem Vampir zum Opfer gefallen sind? Abschließend werden wir analysieren, ob und wie das Opfer sich befreien kann, besser gesagt wie einem Opfer geholfen werden kann, denn so mächtig der Vampirismus auch auf einen wirkt, ist doch die Lösung sehr einfach sobald das System erkannt wurde und ein sachkundiger, erfahrener Mensch zu Hilfe kommt. Was muss der Vampirjäger wissen und wie soll er verfahren? Wir schließen dieses Kapitel mit einem wichtigen Fazit, in dem die Fragen beantwortet werden:
Was ist Vampirismus?
Wer ist der Vampir?
Vampirismus muss als System oder Zustand verstanden werden, in dem Menschen indirekt ihrer Lebenskraft beraubt werden. Man darf es allerdings nicht mit Lebenskraftaustausch oder bewusster Kraftabgabe verwechseln - wie es beispielweise bei Eltern der Fall ist, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern, auch wenn es schwierig ist, oder wie zum Beispiel ein Freiwilliger unentgeltlich seine Zeit und Kraft für Benachteiligte investiert. Raub ist im Vampirismus als gewaltsame oder listige Übertragung von Lebenskraft zu verstehen, wobei heute in der Zeit der Aufklärung und des Materialismus keine Gewalt mehr angewendet wird, sondern nur noch List.
Der Vampir ist also jemand, der aufgrund von speziellem Wissen oder einer Taktik Leben klaut, ohne Spuren zu hinterlassen. Dafür muss er seine Opfer sehr gut kennen: Deswegen wählt er seine Opfer innerhalb seiner Verwandtschaft, seinem Freundeskreis oder auch seiner Kundschaft aus. Der Vampir, der uns hier interessiert, ist der tückische, der listige Vampir. Der brutale Vampir ist einfach ein dummer Dieb. Er überfällt am helllichten Tag seine Opfer und oft wird er sogar von Kameras dabei gefilmt. Er hat auch eine Strategie gehabt, er hat Lebenskraft gestohlen, aber man kann ihn verfolgen. Er ist eigentlich kein richtiger Vampir, höchstens ein Relais-Vampir, der für den Haupt-Vampir, der irgendwo in der Dunkelheit ist, Blut saugt und weitergibt. Der listige und bewusste Vampir ist der richtige Vampir: Dieser ist nur durch Beobachtung, Wissen, Disziplin und Intuition dingfest zu machen, und nur so kann sein Opfer gerettet werden.
Das Opfer ist derjenige, der in der Beziehung ungewollt und unbewusst Kraft verliert.
Er befindet sich oft in einer engen Beziehung zu dem Vampir, geht einen Schein-Parasitismus mit ihm ein und hat aufgrund dieser Distanzlosigkeit keine Möglichkeit, sich selbst als Person und Individuum zu verstehen, geschweige denn, seinen Vampir und dessen List zu erkennen. Er ist ein unglücklicher Mensch, auch wenn er oft daraufhin trainiert wird, eine heile Fassade aufrecht zu erhalten. Innerlich ist er krank. Er verstummt. Er ist von seiner Intuition abgeschnitten und völlig abhängig von dem Vampir, der ihm auch jeden Sozialisationswunsch und seine sozialen Fähigkeiten vorsorglich abtrainiert. Das Opfer ist einsam oder es beteiligt sich an Gruppen von Menschen, die zusammenkommen, um in einem bestätigenden Umfeld ihre Einsamkeit auszuleben.
Das Opfer hat eine Grundhaltung, die ihn immer erkennbar für alle anderen Vampire macht, die unter sich bestens vernetzt sind: Ein Vampir schützt sein Opfer nicht vor anderen Vampiren, ganz im Gegenteil! Je mehr Schäden das Opfer durch irgendeinen Vampir erleiden kann, desto besser! Das Opfer ist abhängig von der Betäubung. Es hat keine Kraft und ist deswegen ständig krank oder müde und lustlos und neigt dazu, sich unterhalten zu lassen. Auch fühlt es sich nicht für seine Lage verantwortlich: Im Grunde ist es nicht schuld an seiner Lage; doch verantwortlich ist es schon, da es die Würde des Menschen immer in sich tragen wird. Die Gesellschaft, die Verwandtschaft, der Freundeskreis und die Schule sind dafür verantwortlich, dem Opfer zu helfen, denn ab einem gewissen Grad ist wortwörtlich der Geist vom Körper getrennt und die Seele aus dem Leib. Der Mensch ist nur noch ein organischer Gegenstand, reduziert auf seinen animalischen, pflanzlichen und mineralischen Anteil. Einfach zu einem elenden Zellhaufen degradiert.