Читать книгу Der Schlüssel zum Glück - Chris Cartwright - Страница 5

Der Anstoß

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Es war eines Tages in der Schule, an einem Mittwochnachmittag gegen 14 Uhr. Andy hatte nur noch eine Doppelstunde seines Leistungskurses Biologie zu überstehen, bevor er sich dann am frühen Abend traditionell mit seinem besten Freund Sam in der Stadt auf ein bis zwei Bier treffen würde. Die Klausurphase stand kurz bevor, und so beharrte jeder Lehrer darauf, dass die Schüler gerade jetzt Leistungen erbringen und lernen sollten, schließlich waren die Klausurnoten wichtig für die Versetzung in das letzte Schuljahr und für das Abiturzeugnis.

Zu Beginn der Stunde fragte der Lehrer die Hausaufgaben ab, die Andy aus Faulheit und Trotz mal wieder nicht gemacht hatte. Insgesamt waren es vier Schüler ohne Hausaufgaben, und jeder von ihnen, außer Andy, versuchte den Lehrer mit der besten Ausrede zu beschwichtigen.

Andy hatte bereits vor Jahren damit aufgehört, sich Ausreden einfallen zu lassen, warum er denn die Hausaufgaben nicht erledigte. Ihm war das System der Bildung allgemein ein großes Ärgernis, denn in seinen Augen war es alles andere als zukunftsorientiert.

Er pflegte zu sagen: „Die Kinder von heute werden in Schulen von gestern, von Lehrern von vorgestern mit Methoden aus dem 19. Jahrhundert auf die Probleme der Welt von Morgen vorbereitet.“

Das konnte ja gar nicht funktionieren…

Es war ihm einfach unrecht seine Freizeit mit langweiligem Schulstoff zu füllen, und das wusste mittlerweile auch fast jeder der Lehrer, die seine schlechte Arbeitshaltung zwar missbilligten, sie aber auch nicht ändern konnten.

Der Biologielehrer ging jedoch nicht auf die Ausreden der Schüler oder Andys Schweigen ein, sondern er ließ ein Donnerwetter los und mit einem Mal verstummte der ganze Raum.

Dann sagte der Lehrer ruhig aber mit Nachdruck in einem ernsten Ton: „Bringt mir keine Ausreden, bringt mir Ergebnisse!“ und dann fuhr er mit dem Unterricht wie gewohnt fort. Es war zwar nicht Andys Lieblingslehrer gewesen, der zugleich der Einzige war, von dem er Ratschläge oder Aufgaben annahm, aber dieses Mal war er fasziniert von der Aussage und der Wirkung, die der Lehrer mit nur wenigen Worten erzielte.

Nach der Schule hörte Andy die Worte noch immer in seinem Kopf herumschwirren, wie eine Parole. Und je mehr er über sie nachdachte, desto mehr gefielen sie ihm. Und das erzählte Andy seinem Freund Sam noch am selben Abend in der Stadt bei ihrem wöchentlichen Treffen. Auch Sam war für kurze Sprüche mit hohem Wahrheitsgehalt immer sehr gut zu haben, und so amüsierten sich die beiden Freunde darüber.

Dieser rege und herzliche Austausch mit Sam war für Andy eigentlich immer der Höhepunkt der Woche, denn sie alberten nicht sinnlos herum oder sprachen über Banalitäten, sondern der Mittwoch eignete sich hervorragend zum Reflektieren der letzten Woche und dazu, sich gegenseitig mit Rat und Tat zu unterstützen. Es war also niemals bloß ein freundschaftliches Treffen, sondern eigentlich hatte auch fast jeder Mittwochabend ein Fazit, dass Andy und Sam weiter brachte.

So kam es bald, dass es nicht lange dauerte, bis Andy sich schließlich selbst dabei ertappte, wie er diese Worte nur ein paar Tage später zu jemandem sagte. Es war Tommy, ein Freund aus der Schule und Pfadfinderbruder der es mal wieder versäumt hatte, seinen Aufgaben und Pflichten bei den Pfadfindern nachzukommen. Andy war empört über Tommys Unzuverlässigkeit, denn er wusste, dass Rechte und Pflichten immer nur miteinander einher gehen, und so wurde Andy laut und auch etwas ausfallend seinem Freund gegenüber. „Du Sklaventreiber“, erwiderte der vergessliche und etwas tollpatschige Tommy scherzhaft und ein wenig verständnislos. Doch Andy war das nun zu viel und er brach los: „Das sind ganz einfach die grundlegenden Regeln des Miteinanders hier bei uns! Richte auch Du dich danach!“

Ein Moment der Stille trat ein. Tommy sah ein, dass er Mist gebaut hatte und sagte dann einsichtig: „Ja,.. Ja. Es kommt nicht wieder vor.“ Das genügte Andy vorerst.

Am Abend dann zuhause war Andy immer noch gefesselt von der Auswirkungskraft der paar weise gewählten Worte. Und so schrieb er diesen kleinen Satz auf, in einem kleinen schwarz-roten Notizbuch, damit er ihn nie wieder vergessen konnte.

Am folgenden Tag war Andy an der Reihe mit dem Familienhund Lexi Gassi zu gehen. Ihm war unwohl bei dem Gedanken daran, dass seine Mutter Kate den Hund oft ohne Leine frei laufen ließ. Er hatte immer gerne die direkte Kontrolle über alles. Und so ging er mit Lexi die gewohnte Strecke, durch die blühenden Felder in Richtung des kleinen Waldes.

Bald bogen sie in ein Waldstück ein, in dem es recht düster und moderig war, und es kam trotz der strahlenden Sonne am Himmel kaum ein Lichtstrahl durch die Baumkronen hindurch. Andy war immer schon ein bisschen paranoid gewesen und so erschrak er bei manchem Geräusch, das aus dem Wald kam. Mit seinem geübten Adlerauge war er es gewohnt, Geräusche schnell einem Ort oder der Quelle zuzuordnen, den er vor sich sah um so die Lage schnell erkennen und einschätzen zu können.

Vorsicht ist besser als Nachsicht dachte er. Das hatte er bereits aus dem Vorfall in Schweden gelernt, und so setzten sie ihren Weg durch den Wald achtsam fort. Zwar war Andy bis dahin in heimischen Gebieten nie ernsthaft in Gefahr geraten, aber das konnte ja auch durchaus an seiner Vorsicht liegen.

Doch plötzlich hörte Andy ein hysterisches Bellen hinter ihnen und drehte sich erschrocken um. Da sah er einen weißen Pitbull auf seinen Hund und sich zu rennen, schnell und zielstrebig wie ein Pfeil. Ein Besitzer war weit und breit nicht zu sehen. Instinktiv begann Andy in die andere Richtung zu laufen, fest entschlossen zu entkommen.

Lexi folgte ihm rasch, doch Andy wurde schnell klar, es war aussichtslos. Kein Ausweg. Und der Pitbull holte auf. Er überlegte in voller Panik „auf einen Baum?- Nein, dort bekomme ich Lexi nicht rechtzeitig in Sicherheit.... Oder sollte ich eine Begegnung der beiden Hunde zulassen, vielleicht wäre ja nichts weiter passiert, aber NEIN! lieber schnell weg, sicher ist sicher“.

Doch nun war es zu spät, der Pitbull war nur noch wenige Meter von ihnen entfernt und instinktiv war Lexi in Kampfhaltung gegangen, willens sich und Andy zu verteidigen. Doch das wollte Andy auch. Er wollte seinen geliebten Hund beschützen. Der Pitbull war etwas größer als Lexi und wegen seines enormen Mauls war der unvermeidbar bevorstehende Kampf von vorneherein entschieden. Dann stürzten die beiden Hunde kläffend aufeinander ein, zähnefletschend und knurrend, die Haare in Nacken und Rücken aufgerichtet und die Ohren angelegt, schnappten sie nacheinander. Andy wusste vor lauter Entsetzen nicht, was er tun konnte. Es war grausam anzusehen, wie der Pitbull Lexi zurichtete. Und da lief Andy instinktiv zu den Bäumen, fest entschlossen einen starken Ast zu finden und diesen dem Pitbull über den Schädel zu ziehen, um den Kampf zu beenden. Mit ungeahnter Kraft brach er einen Ast in Augenhöhe von einem nahe stehenden Baum ab, und seine Entschlossenheit, in den Kampf der beiden Hunde einzugreifen, wich einem unermesslichen Hass. Es fühlte sich für ihn so an, wie ein Flashback nach Schweden.

Doch bevor Andy die beiden kämpfenden Hunde wieder erreicht hatte, erklang plötzlich ein schriller Pfiff aus der Ferne. Das musste der Pitbull Besitzer sein. Denn als wäre es selbstverständlich, ließ der Pitbull von der verwundeten Lexi ab und rannte in die Richtung, aus der er gekommen war.

Andy hatte Todesangst um Lexi gehabt, als er den Kampf nur beobachten konnte.

Lexi war schwer verwundet, blutend lag sie auf dem Waldboden und winselte. Eine große Wunde klaffte an ihrem Hals und an ihrer rechten Schulter, sie war gänzlich unfähig sich zu bewegen. Sofort zog Andy seine Sweatshirtjacke aus und wickelte sie um seinen verletzten und vor Schmerz jaulenden Hund. Dann nahm er Lexi in seine Arme und rannte nach Hause so schnell er nur konnte. Während er lief, hatte er nur zwei Gedanken: Wird Lexi durchkommen? Und wie hätte er das nur verhindern können?

Der Heimweg schien endlos lang zu sein. Er wollte einfach kein Ende nehmen und Andy hatte das missmutige Gefühl, dass sich Lexis Zustand rapide verschlechterte, und so rannte er, als ob die Höllenhunde hinter ihm her gewesen wären. Endlich Zuhause angelangt, fuhren Frank und Kate mit Lexi sofort zum Tierarzt. Das waren die schlimmsten Stunden für Andy. Er machte sich selbst Vorwürfe: „Wie hätte ich das nur verhindern können?!

Warum war der Pitbull Besitzer nur so fahrlässig? Warum war niemand zufällig in der Gegend gewesen, der ihnen hätte beistehen können und warum war der Besitzer überhaupt nur so weit weg gewesen? Das konnte doch alles kein Zufall gewesen sein...“

Er war immer noch sehr aufgebracht und nun, da er einen Moment lang zur Ruhe kam, übermannten ihn Schuldgefühle und Wut. Zudem musste Andy feststellen, dass er zitterte wie Espenlaub. Das war wohl der Schock, der ihm noch immer in den Knochen steckte. Also versuchte Andy, sich selbst zu beruhigen, indem er sich selbst laut in Gedanken sagte: „Du hast getan, was du konntest, und Lexi wird es schaffen sich von den Verletzungen zu erholen.“ Doch so oft er es auch wiederholte, er konnte es nicht wirklich glauben. Der Vorfall ließ ihn einfach nicht los. Er konnte, so sehr er sich auch bemühte, keinen anderen Gedanken fassen, und sobald er die Augen schloss, sah er wieder den Pitbull, wie er beißend und knurrend über Lexi stand. Und so beschloss er, den Pitbull und seinen Besitzer zur Rechenschaft zu ziehen für das, was sie Lexi und ihm angetan hatten.

Körperlich war Andy zwar unversehrt, aber im Geiste war er wirklich sehr mitgenommen. Es hätte ihm gar nicht schlechter gehen können, selbst wenn der Pitbull ihn angegriffen hätte, dachte er.

Denn körperliche Wunden heilen schneller als seelische.

Als Andy seine Gedanken langsam wieder sammeln konnte und das Zittern aufgehört hatte, stand eine Sache von nun an für ihn fest: „Ich gehe nie mehr ohne Messer aus dem Haus“. - Regel Nummer 1.

Denn hätte er sein Pfadfindermesser bei sich gehabt, hätte er zwischen die kämpfenden Hunde gehen und den Kampf beenden können, so dachte er. Es war zwar ein schon älteres, eher kleines Messer, dass Andy einmal von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Ein Werkzeug und kein Bärentöter mit Blutrinne.

Auf Pfadfinderfahrten hatte er damit schon vieles getan. Essen zubereitet, Holz gemacht, Dosen geöffnet und nahezu alles andere.

Zwar achtet und schützt der Pfadfinder alles Leben, aber in einer Situation der Notwehr, war er nicht zum ersten mal bereit zu Handeln.

Das wäre zwar auch eine äußerst schwierige und moralisch fragwürdige Situation gewesen, aber er hätte nicht nur untätig daneben stehen müssen, vollkommen ohne Kontrolle und ohne Einfluss auf den Ausgang des Kampfes, sondern er hätte die Wahl gehabt, um eine, wenn auch sehr schwierige Entscheidung treffen zu können. Die in ihm aufflammende Erinnerung an das traumatische Erlebnis in Schweden bestärkte seinen gefassten Entschluss nur noch mehr.

Nach wenigen Stunden rief Frank zu Hause an und meldete, dass Lexi über den Berg sei. Die Verletzungen waren Gott sei Dank nur oberflächlich und sie könne noch am selben Tag wieder mit nach Hause kommen. Andy war heilfroh, als er erfuhr, dass es seinem geliebten Hund einigermaßen gut ging, denn insgeheim hatte er mit dem Schlimmsten gerechnet.

„Hoffe das Beste, aber erwarte stets das Schlimmste“ war einer der wenigen Philosophien, die Andy damals hatte. Und so berichtete er seinen beiden Geschwistern voller Erleichterung, dass es Lexi den Umständen entsprechend gut gehe und sie bald wieder zu Hause sein würde.

Am Abend lag Andy noch lange Zeit wach im Bett und dachte über die Geschehnisse des Tages nach. Es ließ ihm einfach keine Ruhe, er konnte und wollte auch nicht einschlafen. Er war aufgewühlt und aufgebracht. Erst allmählich kam sein kühler Kopf zurück, und dieser hatte mit dem Tage noch nicht abgeschlossen. Er musste noch irgendetwas tun.

Aber was? Nach einigem hin und her entschied sich Andy, vorerst nur die Dinge aufzuschreiben, die er aus dem Vorfall gelernt hatte. Er nahm sich das kleine rot-schwarze Büchlein zur Hand und schrieb auf:

Regel Nr. 1 Gehe niemals ohne dein Messer aus dem Haus

Regel Nr. 2 Sehe niemals etwas als selbstverständlich an

Regel Nr. 3 Zufälle gibt es nicht

Das gefiel ihm. Einfache und klare Regeln, wie ein Codex. Er dachte über sie nach, wie ihn diese drei Lehren, wenn er sie denn vorher wahrgenommen oder erkannt hätte, vor viel Schaden und Leid hätten bewahren können. So fügte er auch noch die Dinge hinzu, die es ihm Wert erschienen, nun auch eine Regel zu werden. Also notierte er weiter:

Regel Nr. 4 Bring keine Ausreden, sondern Ergebnisse

Regel Nr. 5 Lebe und lerne

Es war inzwischen mitten in der Nacht, aber Andy fand immer noch keinen Schlaf. Es ließ ihm immer noch keine Ruhe. Er musste mit dem Pitbull Besitzer reden. Oder so...

Das Ereignis des Tages war für ihn noch nicht vorbei. „Morgen bin ich zur selben Zeit am selben Ort, aber dieses mal vorbereitet. Und dann werden wir sehen was passiert“ dachte er sich aggressiv und immer noch sehr aufgebracht. Bald darauf fiel er in einen unruhigen und kurzen Schlaf.

Der nächste Schultag ging kaum vorbei, denn Andy hatte ja am Nachmittag eine Aufgabe zu erledigen. Für sein Gewissen brauchte er etwas... Das Gefühl kannte er nicht. Ob es Rache war oder Zorn? Er konnte es nicht zuordnen.

Als seine Schulkameraden und auch Freund Tommy von der Geschichte erfuhren, pöbelten sie alle gleichermaßen: „Ich hätte den Pitbull umgebracht, wenn der meinen Hund so zugerichtet hätte! Und den verantwortungslosen Besitzer gleich mit!“

So etwas ist immer leicht und schnell gesagt, wusste Andy, aber wirklich etwas getan bzw. überhaupt reagiert hätten in dieser Situation wohl die Wenigsten. Nach der Schule eilte Andy nach Hause, denn er wollte sehen, wie es Lexi inzwischen ging. Sie war zwar über den Berg, sagte der Arzt, doch sie lag tagelang mit Verbänden und Mullbinden verbunden nur in ihrem Korb. Sie war verängstigt und verstört, und selbst zur Familie Wolf hatte sie eine Distanz aufgebaut. Viel Liebe und Zuneigung und noch mehr Streicheleinheiten und Hundekuchen waren der einzige Weg sie wieder aufzubauen.

Am Mittagstisch kamen langsam die ersten nüchternen Reaktionen auf den Vorfall von gestern. Frank pöbelte nicht mehr wahrlos: „Wenn ich diesen Typen und seine Bestie in die Finger kriege...“ sondern er sagte nun ganz ruhig und gelassen:

„Andy, du musst mir nochmal genau beschreiben, wer das war mit dem Pitbull.“

„Keine Ahnung, hab den Besitzer nicht gesehen, habe ich doch gestern schon hundert mal erklärt“ antwortete er maulig. Er fühlte sich schuldig und machte sich große Vorwürfe einen Fehler begangen zu haben.

„Und wo war das noch gleich?“ hakte Frank weiter nach. „Am Anfang des kleinen Waldes in den Feldern.“ rekapitulierte Andy missmutig.

„Jungs, lasst es gut sein, Lexi ist okay und den Pitbull Besitzer werdet ihr wohl nicht finden“ unterbrach sie Kate. „Nun lasst uns in Ruhe weiter essen.“

Andy war von seiner Mutter sichtlich überrascht. Wollte sie einfach alles gut sein lassen und den Hausfrieden wahren?

Aber eigentlich konnte das Andy doch nur recht sein, denn er hatte ja seinen ganz eigenen Plan, was er unternehmen würde.

Um halb vier packte er sein Messer ein und sagte seinen Eltern, er ginge zu Tommy, der im selben Ort wohnte. Tatsächlich ging er aber die selbe Strecke wie gestern in der Hoffnung, jemand ganz bestimmtem zu begegnen. Er hatte zwar auch etwas Angst, aber der Zorn und die Wut in ihm triumphierten und so zog er rachsüchtig seine Runden durch den kleinen Wald. Doch er begegnete nicht einer Menschenseele, was vielleicht auch besser war. Schließlich, nach einer Stunde erfolglosem Herumgeirre, hatte er dann genug. Er wollte nach Hause gehen.

Dort angekommen kuschelte er erst einmal ausgiebig mit Lexi.

Andy wünschte sich, dass sie seine Gedanken lesen könnte, damit sie wüsste, dass er mit dem Vorfall noch nicht abgeschlossen hat. Ihretwegen.

Und dennoch fühlte er sich schuldig für Lexis Leiden und ihre Schmerzen, denn es oblag seiner Verantwortung seine Familie, und zu dieser zählte gewiss auch Lexi, vor Schaden zu bewahren. Und am Abend notierte Andy wieder ein paar neue Erkenntnisse, besser gesagt neue Regeln:

Regel Nr. 6 Carpe Sanitas - Nutze deine Gesundheit

Regel Nr. 7 Von nichts kommt nichts

Regel Nr. 8 Familie hört nicht beim Blut auf

Regel Nr. 9 Schütze deine Familie

Regel Nr. 10 Ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen

Regel Nr. 11 Ein Blick hinter dich kann niemals schaden

Das sollte ihm für heute reichen.

Andy lag im Bett und war schon kurz vor dem Einschlafen als ihm schlagartig klar wurde, dass ein Leben, manchmal vielleicht sogar das eigene oder das geliebter Menschen, sehr schnell vorbei sein kann, ohne dass man es erahnen oder verhindern konnte. Von dieser beängstigenden Tatsache gefesselt überlegte er daraufhin energisch, was wohl der eigentliche Sinn des Lebens und des Daseins sei, aber fand auf diese einfache Frage keine taugliche Antwort. Außer, der Hauptzweck des Lebens, des Daseins, ist es, zu genießen.

Er ertrank in seinen Überlegungen, und als er schließlich auf die Uhr schaute, war es weit nach Mitternacht und eigentlich sollte er schlafen, denn am nächsten Tag musste er ja zur Schule gehen.

Aber er war versessen darauf, sich diese einfache und etwas kindische Frage selbst zu beantworten. Andy war schon immer ein Typ, der seine eigenen Erfahrungen machen musste, und der alles selbst herausfinden oder erkennen wollte.

Zu diesem Zeitpunkt wusste er nur eines: Das Leben führt dich an Punkte oder Orte, zu denen du nicht willst. Und deine Aufgabe ist es, deinen eigenen, richtigen und guten Weg zu finden.

Das Leben ist wie ein Labyrinth, und wer sich keine Brotkrumen oder Spuren als Hilfestellung nimmt, der wird ewig planlos und orientierungslos herumirren und nie aus dem Irrgarten herausfinden. Und genau das konnten die Regeln für ihn sein, Fährten- oder Wegweiser, auf dem Weg zum befreiten und klaren Geist und einem glücklichen und unbeschwerten Leben. Andy war das ziemliche Gegenteil eines blauäugigen Optimisten, und so suchte er keine allgemeingültigen philosophischen oder religiösen Erklärungen des Sinnes und des Seins, sondern er versuchte, den Sinn des Lebens für sein eigenes Individuum zu finden. Die Stunden flogen dahin, und Andy hatte keinen einzigen handfesten Gedanken, keine Idee, was das Wichtigste im Leben sein könnte, außer mit sich selbst und seinem Leben voll auf glücklich und zufrieden zu sein. Und so stellte er sich die große und wichtige Frage schließlich selbst, mitten in der Nacht.

„Was will ich eigentlich in meinem Leben erreichen und tun?“

Doch bevor er sich mit dem befassen konnte, was er denn einmal erreichen wollte im Leben, überlegte er, was er um jeden Preis verhindern wollte. Da Andy immer schon etwas in sich gekehrt und sehr selbstkritisch war, stand für ihn das an erster Stelle, was er am meisten bereuen könnte, wenn er es versäumen würde:

Das eigene Glück zu finden.

Und das hieß für ihn nicht bloß ein paar schöne Erlebnisse oder glückliche Momente im Leben zu haben oder zu empfinden, sondern jeden einzelnen Tag zu einem glücklichen und besonderen zu machen, ohne Stress und Sorgen, unbekümmert und gelassen.

Er wollte inneren Frieden und einfache grund- oder anlasslose Freude am Leben finden.

Doch Glücklich war Andy mit seinem Lebensinhalt gewiss nicht. Er fühlte sich jeden Tag klein und unbedeutend, und das nicht einmal zu unrecht, wie er selbst fand.

Er zögerte und hatte Angst vor Fehlern, er vernachlässigte den eigenen Geist und Körper und er nahm sich zu wenig Zeit für sich selbst.

Während er so nachdachte und die Stunden weiter dahinflogen, erkannte er die Angst, die er am meisten fürchtete. Die allerschlimmste Vorstellung für Andy war, einmal alt, verbittert und einsam zu sein und Dinge im Leben verpasst zu haben. Dinge verpasst zu haben, die er eigentlich tun oder erleben wollte, die er nie mehr nachholen können würde.

Aber nicht nur das. Um wirklich ein erfülltes Leben zu führen, musste er das Leben voll und ganz auskosten. Er wollte alles erleben und nichts verpassen. Er wollte es genießen und voll ausschöpfen, sein Dasein auf dieser Welt.

Doch zu diesem Zeitpunkt wusste Andy ja noch gar nicht genau, was ihn glücklich machen oder erfüllen würde, geschweige denn was er erleben oder erreichen wollte.

Er wollte mit sich selbst, mit seinem Ideal übereinstimmen, auch wenn er das noch nicht klar vor sich sah.

Sein höchstes Ziel war es, irgendwann einmal sagen zu können, dass er alles auf der Welt getan und gesehen hat, was er sehen und tun wollte.

So bedachte er zunächst das, was er nun um jeden Preis vermeiden wollte. Und das war es, Fehler zu machen oder falsche Entscheidungen zu treffen, die er einmal bereuen könnte.

Er war sich sicher: Fehler kann man sich in einem gewissen Maß erlauben, jedoch fand er, dass er sich bereits genug Fehltritte im Leben geleistet hatte. Von nun an war er bemüht, sich selbst vor Fehlentscheidungen zu bewahren und dabei fiel ihm auf, dass seine Regeln es schlicht und einfach verhinderten, Fehler zu machen oder gar Fehler zweimal zu begehen.

Er wollte die wertvollen und die wichtigen Dinge im Leben früh genug erkennen, um sie nicht zu verspielen oder nicht falsch zu machen, denn das würde er am Ende seines Lebens wahrscheinlich am meisten bereuen können.

Verträume nicht dein Leben, sondern Lebe deinen Traum war seine neue Intention.

Und dabei bemerkte er: Er war bisher mehr bemüht Schmerz zu vermeiden, als Freude zu gewinnen.

Die Erkenntnis bescherte Andy ein wirklich gutes und sicheres Gefühl, und dies nur veranlasst durch seine Gedanken, die, wie er selbst fand, äußerst philosophisch und zielgerichtet in eine gute Richtung unterwegs waren.

Inneren Frieden findet man, wenn man sich selbst verändert und an sich arbeitet, und das spürte er.

Das „Regel-Prinzip“, dass Andy in dieser Nacht erfand, besagt, dass man aus begangenen Fehlern eine praktische Lehre oder Moral zieht und diese in einer Regel verpackt. Die Erkenntnis oder die Weisheit, die man erlangt hat, wird zur Regel, damit man sich immer und in absolut jeder Situation daran orientieren kann.

Im positiven Sinne werden Lebensweisheiten und Erkenntnisse zur Regel, die als Motivator dienen, um ehrlich, moralisch, praktisch und vernünftig zu handeln.

Das war alles gut und richtig, das verspürte Andy, jedoch wusste er nun noch immer nicht, welchen Weg er einschlagen sollte. Doch dass musste er unbedingt ändern.

Er musste nun entscheiden, wie oder wer er einmal sein wollte, und das musste wohl bedacht sein. Doch dafür war er heute Nacht bereits zu müde.

Man muss erkennen, was man will, wie man sein und handeln will und dafür Regeln aufstellen, um das zu erreichen, denn sonst würde man die Lage oder die Situation viel zu lange analysieren und dabei vergessen, zu handeln. Wie oft hatte Andy schon über etwas nachgedacht und überlegt etwas zu wagen und zu riskieren, doch die Angst davor zu scheitern und zu versagen hielt ihn einfach davon ab, es überhaupt zu versuchen.

Der großen Angst Fehler zu machen oder falsch zu handeln, oder schlicht und einfach zu versagen, die Andy entgegenstand, standen nun Regeln gegenüber, die vielschichtig und umfangreich waren und Andy so in nahezu jeder Situation würden, das Richtige zu tun. Es war nicht verkehrt, sich selbst zur Motivation eine Karotte vor die Nase zu halten.

So dachte er nun endlich darüber nach, was eigentlich die Dinge waren, die er in seinem Leben tun wollte, wie er leben wollte und wie er einmal sein wollte, bevor er denn einmal sterben würde. Das war für ihn keine Leichtigkeit, denn er hatte sich bis dato noch nie über so etwas Gedanken gemacht, denn er wusste, dass Hoffnungen die nicht erfüllt werden, nur noch größere Enttäuschung nach sich ziehen würden, so viel hatte er aus dem praktischen Leben bereits gelernt.

Und dennoch musste er seine Zukunft Planen und selbst in die Hand nehmen. Es lag schließlich an ihm, in etwas weniger als einem Jahr einen Beruf zu ergreifen.

Andy hatte es auch nicht so mit Mut oder gar Wagemut. Die Möglichkeit zu scheitern, zu versagen oder enttäuscht zu werden, machte ihm Angst, und diese wiederum hielt ihn davon ab, überhaupt ein Wagnis oder Risiko einzugehen.

Zweifel, Schwäche und Angst waren die Mächte, die Andys Tun und Handeln bis dahin bestimmten. Und sie lähmten ihn Tag für Tag. Es waren Versagensängste, die wohl auch aus den leichten Minderwertigkeitskomplexen resultierten, die ihn plagten.

Er überlegte, warum das so war, warum er diesem Fehldenken unterlag, subjektiv zu denken und die Dinge nicht einfach objektiv zu betrachten.

Denn die Perspektive, also die Sichtweise auf die Dinge, bestimmt das Gesamtbild.

Er unterlag dem Glauben an ein falsches Weltbild, viel zu subjektiv und wehleidig, wie die Sache mit dem Selbstmitleid. Die Ursache dafür hatte Andy schnell erkannt. Er dachte und überlegte einfach viel zu viel, in sich gekehrt und Isoliert, wie der Versuchsaufbau in einem Labor. Und das hatte gewiss nichts mit lösungsorientiertem Reflektieren zu tun, denn all das fand nicht im Hier und Jetzt statt.

Im Nachdenken war er entweder in der Vergangenheit (wie war es damals…) oder in der Zukunft (wie würde es wohl sein…), aber selten war er mit allen Gedanken in der Gegenwart.

Das war grundlegend falsch, denn die Welt konnte so viel einfacher sein, wenn er nicht immer alles zerdenken, tot analysieren und hinterfragen würde.

Fortan wollte er sich nicht mehr über alles und jeden den Kopf zerbrechen, sondern die Dinge einfach so hinnehmen, wie sie waren, und darauf aufbauen.

Es war eine merkwürdige Stimmung, in der Andy sich befand. Es fühlte sich an wie eine Suche nach etwas. Jedoch konnte er das Ziel noch nicht beziffern oder benennen.

Aber er war nun um eine Erkenntnis reicher: Nur wer etwas sucht, der wird etwas finden. Und Andy suchte. Er wusste zwar noch nicht genau was, er wusste nur, dass er auf der Suche war. Doch dann hatte er plötzlich einen Geistesblitz:

Die Suche, auf der er sich befand, war die Suche nach sich selbst.

Fest steht: Andy war niemand.

Er war niemand, bis zu genau dieser Sekunde war er ein Niemand, ein Versager. Er lebte sein Leben so vor sich hin, von nirgends her kommend und nirgends hin gehend.

Er fühlte sich nur wie ein Sandkorn am Strand des Lebens. Ziel- und orientierungslos, keine große Aufgabe mit seinem Dasein erfüllend. Es war fast so, als hätte er sein Leben bis dahin in einer Art Trance verbracht, und erst der Vorfall mit Lexi hatte ihn wachgerüttelt.

Ihm wurde nun klar:

Die Auseinandersetzung mit dem Tod macht das Leben klarer.

Als Andy sich darüber im Klaren war, stand für ihn fest: Ich will mein Leben nach meinen Vorstellungen und Idealen, Wünschen und Zielen und mit meinem eigenen Charakter leben. Autonom ein Selbstbestimmtes Leben führen, einen eigenen Lebensweg wählen und den eigenen Idealen und Wertvorstellungen entsprechen.

Kurz: Lebe deinen Traum!

Und dafür muss ich erst einmal eigene Wünsche und Ziele finden und meine eigenen Regeln aufstellen, um diese Wünsche und Ziele zu erreichen. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten und Chancen, die ich dann nur zu nutzen brauche so dachte Andy. Er wollte etwas erschaffen, er wollte ein Ich erschaffen, auf das er getrost stolz sein konnte, also musste er an sich selbst, seinem Denken und Handeln einiges verändern.

Denn wer etwas erschaffen will, braucht zunächst Material, und genau das waren die Regeln für Andy. Ein außerordentlich gutes Gefühl durchströmte ihn abermals, denn er hatte die wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis für sich gewonnen: die Selbsterkenntnis.

Er wollte sich selbst verwirklichen, und dazu musste er erst einmal ganz genau wissen, was und wie er sein wollte.

Er fragte sich nun: Wer bin ich ? Und was will ich?

Doch er war ein Niemand. Bis gerade eben war es ihm auch vollkommen egal gewesen wer, was oder wie er war. Das musste er mit Bedauern feststellen. Er suchte nun ein Ideal, das es für ihn anzustreben galt. Wenn du nicht weißt wer du bist oder was du willst, gehe in die Welt hinaus und finde es heraus.

Und so beschloss er, dass er fortan ein Leben führen wollte, wie er es sich wünschte, und das er der Mensch werden wollte, der seinen Vorstellungen entsprach.

Schluss mit den Ausreden an sich selbst! Auch wenn er noch nicht ganz wusste, was das bedeuten mochte.

Das waren vorerst die Fragen des Lebens, auf die Andy eine Antwort finden wollte, da war er sich gewiss. Er hatte verstanden, dass er hart an seiner Integrität arbeiten musste. Das heißt, dass Ideal und die eigene Lebenspraxis übereinstimmen.

In diesem Moment hatte Andy das Gefühl einen neuen Lebensabschnitt, ein neues Kapitel begonnen zu haben. Und das war gut, denn es wurde höchste Zeit für ein neues Kapitel. Er hatte das Gefühl eine Brücke überquert zu haben und sein „altes Leben“, in dem er unglücklich und unzufrieden mit sich selbst war, hinter sich gelassen zu haben.

Nun war er zufrieden und voller Zuversicht auf den nächsten Tag. Er überdachte sogar noch einmal den Plan, den er gestern geschmiedet hatte, und befand es für besser, dass er heute auf seinem Streifzug niemandem begegnet war. Andy wollte auch eigentlich gar nicht so primitiv und rachsüchtig sein, aber das war er wohl im Eifer des Gefechtes und er wollte zukünftig anders, klüger, besonnener und bedachter handeln.

So notierte er noch:

Regel Nr. 12 Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.

Dann fiel er nachdenklich in einen kurzen Schlaf.

Einige Tage vergingen, in denen sich Lexi gut erholte und auch wieder Ruhe in die Familie Wolf einkehrte.

Andy war nun mitten in der Klausurphase in der Schule und er bemühte sich darum, sich zusammenzunehmen und zu lernen, jedoch erfolglos. Er war einfach unkonzentriert und abgelenkt, obwohl er es fast verdrängt hatte, das Ereignis von neulich. Die Suche nach sich selbst, nach seinen Träumen und Wünschen, nahm sein gesamtes Denkvermögen ein. Da er mit seinem „alten Ich“ schlicht und einfach nicht mehr leben konnte und die unbegründete Furcht vor allem oder eben nichts abgelegt hatte bzw. daran arbeitete, war es tatsächlich an ihm, nun einen neuen, unbekannten Weg zu beschreiten.

Er wollte vor seinen Fehlern nicht mehr weg laufen, sondern aus ihnen lernen und sie korrigieren, so gut es eben ging.

Dann war es wieder mal an der Zeit, mit Lexi zu gehen, und Andy hatte genau dies zu seiner persönlichen Aufgabe erklärt. Lexi immer an der Leine, sein Messer für den Notfall immer in der Hosentasche. Als Andy dann einmal leichte Zweifel in den Sinn kamen, ob es denn überhaupt notwendig oder gar sinnvoll sei, das Messer wirklich immer dabei zu haben, dachte er an James Pearl, den Vater seines besten Freundes Sam. Er war Soldat und sagte immer „Egal wo auf der Welt, man braucht nur ein Messer, um zu überleben“. Als Soldat war das bestimmt so, aber auch als Zivilist?

Doch da bedachte Andy die Vorteile, die ihm das Mitführen eines Messers bieten konnte, und sie überwogen die Nachteile um eine Vielzahl. Und so waren Andys Zweifel rasch wie weggeblasen. Zwar fühlte sich Andy nun sicherer, immerhin war er bewaffnet und durch seine jahrelange Pfadfindererfahrung wusste er auch hervorragend mit dem Messer umzugehen, doch der Vorfall hatte ihn verändert. Andy war nun nachdenklicher und objektiver geworden.

Er hatte offenbar eine Fähigkeit erlangt, die er vorher nicht besaß.

Praktische Vernunft, so nannte er selbst diesen Sinneswandel. Aber auch Lexi hatte sich verändert. Sie war nicht mehr der junge, offene Hund, der mit allem und jedem, egal ob Mensch oder Hund, gerne spielte. Sie war nun vorsichtig und zurückhaltend und auch etwas ängstlich, was die ganze Familie Wolf zu tiefst bedauerte. Im altbekannten Wald angekommen, waren sie beide merklich angespannt. Sie nährten sich der Stelle, an der das Unglück geschah.

Andy bedachte seine Regeln. Gerade jetzt dachte er an

Nr. 1 Gehe niemals ohne dein Messer aus dem Haus

Nr. 3 Zufälle gibt es nicht

Nr. 11 Ein blick hinter dich kann niemals schaden.

Und so schaute er immer mal wieder hinter sich, nur für den Fall der Fälle. Doch ihre Runde verlief so weit ganz ruhig und ohne Zwischenfälle.

Die beiden hatten den Wald gerade verlassen, als sie einen anderen Hund laut bellen hörten. Lexi zuckte zusammen und suchte direkt Schutz zwischen Andys Beinen. Dieser stand an Ort und Stelle, regungslos, lauschend und erahnend, was passieren mochte. Er hatte die Quelle des Bellens schnell ausfindig gemacht. Da sah er auch schon den weißen Pitbull samt seinem Herrchen, wie sie auf seinen Weg einbogen. Andy ergriff die Gelegenheit, denn er wollte dem Hundebesitzer ja noch eine Standpauke halten. Das würde seinem Gewissen sehr viel weiter helfen und es beruhigen. Jetzt oder nie, dachte er sich, befestigte Lexis Leine an einem Zaunpfahl und ging auf dem Pitbull und seinen Besitzer zu. Jetzt hatte er ein wenig Angst, aber er musste eine Konversation starten. Er konnte den Vorfall nicht einfach unkommentiert lassen. In der Angst, der Pitbull könne jederzeit wieder auf ihn zu rennen, hielt er sein Messer griffbereit in der Hosentasche. Doch dann erkannte er, dass der Hund dieses Mal an der Leine war, was seine Angst beträchtlich minderte.

Nun stand er fast vor dem Hundebesitzer. Er rief ihm entschlossen zu: „Halten Sie sofort Ihren Hund fest! Ich komme zu Ihnen. Ich habe Ihnen etwas zu sagen!“ Es war gut, dass Andy direkt die offene Konfrontation suchte, denn der weiße Pitbull schien keineswegs gehorsam zu sein.

Er kläffte und zog an der Leine auf ihn zu, sodass der Hundebesitzer sichtlich Mühe hatte, ihn zu halten. Das Tier war offenbar auch ohne ersichtlichen Grund aggressiv.

Nun waren sie knapp zwei Meter voneinander entfernt und blieben sich dort gegenüber stehen, dann legte Andy los: „Wissen Sie, was sich letzte Woche dort im Wald zugetragen hat? Nein, ich verrate es Ihnen...“

Völlig außer sich erläuterte Andy den Vorfall und der Hundebesitzer versuchte verständnislos und ungläubig Andy einige Male zu unterbrechen, was dieser jedoch nicht zuließ und nur noch lauter und strenger im Tonfall wurde, aber stets nach dem Motto „Höfliche Härte hilft“.

Als Andy dann fertig war, sagte der Pitbullbesitzer unbeherzt: „Das tut mir leid, aber ich kann da ja auch nichts für und es ist ja nochmal alles gut gegangen, wie es scheint.“ So wollte er sich aus der Affäre ziehen und die Verantwortung für seine Fahrlässigkeit abstreiten. Doch Andy ließ das nicht zu und brach erneut los: „Es ist Ihre Pflicht! Solch ein Hund muss eigentlich einen Maulkorb tragen!

Wenn Ihre Bestie das nächste Mal frei hier herumläuft und außer Kontrolle ist, werde ich da sein und mein Messer auch!“ Der Hundebesitzer wollte sich wohl von einem 18 - jährigen nicht drohen lassen und geriet ebenfalls in Rage. Doch Andy lies das kalt. Er hatte seinen Standpunkt klar gemacht und drehte sich nun um und ging zurück zu Lexi. Dann gingen die beiden auf direktem Weg nach Hause.

Auf dem Rückweg war Andy von einem Gefühl der Gerechtigkeit durchströmt. Er war von seinem Auftreten eben selbst begeistert. Er hatte sein Gewissen etwas beruhigt, ganz im Sinne von Regel Nr. 10. Ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.

Am Abend, als die Familie gemeinsam fern sah, erzählte Andy, dass er den Pitbull-Besitzer erneut getroffen habe. Auf die verblüffte Fragen seines Vaters, was denn geschehen sei, antwortete er nur: „Ich habe das geklärt. So etwas wird nicht mehr passieren.“

Kate fiel aus allen Wolken und schrie hysterisch los: „Was hast du getan?! Frank, wenn ein Sohn in den jungen Jahren schon....“ „Jajaja“ unterbrach Andy seine Mutter rasch: „Ich habe nur mit dem Menschen geredet.“

„Siehst du“ prahlte Frank stolz „Unser Sohn ist ein sehr vernünftiger und erwachsener, junger Mann!“

Vernünftig und erwachsen, das waren zwei Dinge, mit denen sich Andy gerne identifizieren ließ, auch wenn er es niemals offen zugeben würde. In seinem Zimmer überlegte Andy erneut, was er sich als Regel fürs Leben aufschreiben könnte. Es fiel ihm schwer, denn um nun etwas zu finden, was ihm von Formulierung und Inhalt gefiel, musste er immer tiefgründiger nachdenken. Aber es kam noch etwas dabei heraus.

Regel Nr. 13 Keine Begeisterung sollte größer sein, als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft*

(* Zitat: Helmut Schmidt)

Das hatte ein Staatsmann gesagt, der zwar inzwischen sehr alt, aber auch sehr weise war, und den Andy immer schon sehr bewundert hatte. Und die vielleicht wichtigste Regel im praktischen Leben:

Regel Nr. 14 Glück ist das Ergebnis von Arbeit und Planung

Der Schlüssel zum Glück

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