Читать книгу Anna Mona - Christian Bernard - Страница 4
Tag 1 An dem Anna Mona die alte Weisheit ‚Andere Länder, andere Sitten’ am eigenen Leib erfährt.
ОглавлениеHeute war es soweit. Anna Mona durfte sich endlich die Fingernägel lackieren, denn so war die Abmachung mit ihrer Maa.
„Mit 14 kannst du dir offiziell die Nägel machen“, hatte ihre Mutter das Ergebnis zusammengefasst, „aber nur in den Ferien. Mit 15 von mir aus das ganze Jahr und mit 16 darfst du dich schminken und die Lippen anmalen.“
In der ersten Woche der Sommerferien war sie bei Oma gewesen und hatte den Nagellack lieber zu Hause gelassen. Aber jetzt fühlte sich wieder ein bisschen mehr erwachsen. So, mit der linken Hand war sie fertig, die Nägel waren knallrot, Zeit für eine Pause. Noch einmal pusten, das Gläschen zugedreht und bloß nicht umschmeißen, das gäbe eine Riesensauerei.
Sie hob den Blick vom Schreibtisch und schaute zum Fenster hinaus. In dieser Nacht regnete es Sternschnuppen, angeblich mehr als hundert in der Stunde. Was sollte sie sich denn wünschen? Zunächst einen süßen Freund. Gut aussehen musste er und treu sein, dazu nicht einer von der schlichten Sorte. Und sportlich, denn Anna Mona war Leichtathletin und wollte Siebenkämpferin werden. In den Ferien war Trainingspause, aber danach sollten sie einen neuen Trainer bekommen. Hoffentlich keinen scharfen Hund, denn im Speerwurf tat sie sich noch schwer.
‚Genau! Das wünsch ich mir, neue Stadtrekorde in Kugelstoß und Speerwurf. Los, ich schau nach Sternschnuppen für die ersten beiden Wünsche.’
Sie knipste die Schreibtischlampe aus, nun war es im Zimmer fast dunkel. Nur der CD-Player warf ein wenig Licht auf den Schreibtisch, „stand up, get up for your rights“, sang Bob Marley. Und der Wecker leuchtete.
‚Mensch, schon kurz vor zwei. Gut, dass Maa Nachtschicht hat. Da, eine Sternschnuppe, was für eine lange Bahn! Wow, die wird ja größer und größer, rast direkt auf mich zu. Ein Glück, jetzt ist sie doch noch erloschen.’
Plötzlich ein kurzes Zischen, dann machte es ‚Rums’. Mitten hinein in ihre Gedanken. Das Regal mit den Sportpokalen wackelte, polternd fiel einer zu Boden. Anna Mona war zusammengezuckt, hatte den Kopf eingezogen und unter den Armen versteckt, so sehr hatte sie sich erschrocken. Vorsichtig hob sie den Kopf, schaute langsam um sich. Sie tastete nach dem Schalter, im Lichtkegel der Schreibtischlampe fand sie ihr Handy.
‚Was war das denn, etwa ein Erdbeben?’
Nein, nein, das klang eher, als käme etwas angesaust. Und dann der Krach, als ob nebenan ein schwerer Umzugskarton vom Schrank fällt. Sie machte die Musik aus und lauschte. Jetzt war es still und sie spürte, wie die Angst in sie kroch. Es schüttelte sie in den Schultern. Sie hatte nicht den Mut einfach nachzuschauen. Denn Anna Mona war allein zu Haus.
‚Dabei hab ich doch nur am Fenster gesessen und ein bisschen geträumt. Das darf man doch wohl, an einem Abend wie diesem. Warum muss Maa auch gerade heute Nacht arbeiten? Ich ruf sie an!’
Das durfte sie nur im Notfall, denn auf der Arbeit hatte ihre Mutter alle Hände voll zu tun, betreute als Disponentin einer großen Spedition LKW in ganz Europa.
‚So ein Mist, nur die Mailbox’, sie steckte das Telefon in die Hosentasche. Noch nachmittags hatte sie Maa entgegen gerufen, „ich bin 14 und weiß, was ich will und was ich tue!“
Doch da hatten sie darüber gestritten, was in den Sommerferien läuft. Anna Mona sollte eine Woche bei der „buckligen Verwandtschaft“ verbringen, wie sie die nannte. Onkel Thaddeus und Tante Sophie mit zwei 15jährigen Jungs. Die Zwillinge hatte sie als schnöselig in Erinnerung, sie besuchten eine Schule für Hochbegabte, weil sie angeblich hyperintelligent waren. Schließlich hatte sie sich mit Maa verständigt, weil die so ernsthaft bat.
„Wegen so etwas sollten wir uns nicht streiten, wir haben ja nur uns.“
Also wird sie in den sauren Apfel beißen. Ihre Gedanken kehrten zurück.
‚Was soll ich bloß machen? Ich geh auf keinen Fall allein da raus. Um in Nachbarhaus zu klingeln, muss ich ebenfalls durch den Flur und da kann ich keinen mitten in der Nacht aus dem Bett holen.’
Sie schlich zum Regal und hob den Pokal auf. Beim Hochkommen spürte sie ihre Knie weich werden und musste sich setzen. Ihr wurde flau im Magen.
‚Mensch, ich hab den ganzen Abend nichts gegessen, alles nur kein Hungerast!’
Sie griff nach der Sporttasche am Boden und kramte. Das Problem kannte sie von Wettkämpfen. Wenn sie sich angestrengt hatte, brauchte sie rasch gute Kohlehydrate, am besten einen Müsliriegel. Zum Glück versteckte sich hinter den Spikes noch ein großes Stück ihrer dunklen Lieblingsschokolade. Sie brauchte mehrere Versuche das Alupapier abzupiddeln. Mit dem ersten Bissen versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Was war ihr das in die Knochen gefahren!
Im Zimmer schien alles in Ordnung, kein Putz war von der Decke gerieselt. Über dem Bett hing das Poster mit Bob Marley: ‚Jeder hat das Recht, sein eigenes Schicksal zu bestimmen.’ Am Kleiderschrank stand die Tür auf, da war nichts herausgefallen. In der Zimmerecke die Gitarre, daneben klebte der Rucksack mit den Schulbüchern für die nächsten Wochen am Boden. Die Urkunden vom Sport hingen noch an der Wand und der Laptop lag auf dem Schreibtisch. Nur die Klamotten auf dem Bett hatte sie noch nicht weggeräumt.
‚Ich kann doch nicht schlafen gehen, ohne zu wissen was da passiert ist?’
Beim Gedanken, dass mitten in der Nacht etwas im Haus explodierte oder jemand neben ihrem Bett auftauchte, wurde ihr ganz schummrig. Sie bekam einen trockenen Hals, wollte aus der Küche etwas zu trinken holen, aber sie traute sich nicht. Nicht jetzt. Im Nachdenken griff sie in die Hosentasche und legte das Handy auf den Schreibtisch neben das Zeugnis. Das war mittelprächtig ausgefallen, oder wie ihre Klassenlehrerin Frau Moritz, die schöne Frau Moritz, meinte, „es ist ein Abbild des realen Lebens, es birgt Licht und Schatten.“
Das stimmt schon, denn alles was mit Mathe und Physik zu tun hat, muss sie nicht wirklich haben, sie mag Sozialkunde, Kunst, Deutsch und Sprachen. Und natürlich Sport.
‚Mensch, ich muss mich konzentrieren. Denk nach, denk nach, was kann das wohl gewesen sein? Wie ein Einschlag klang es nicht, aber es hat richtig geplauzt. Vielleicht ist nur ein Regal zusammengekracht?’, versuchte sie sich zu beruhigen.
’Soll ich aus dem Fenster klettern und zur Tür wieder hereinkommen? Das bringt doch auch nichts. So ein Mist, warum ist Maa jetzt nicht hier, die wüsste was zu tun ist. Jetzt weiß ich was ich mache, ich ruf Susi an!’
Die ist ihre allerbeste Freundin. Mit 15 geht sie schon fest mit einem Jungen und hält Anna Mona für eine flache Bohnenstange. Kein Wunder, denn sie ist fast einen Kopf kleiner und etwas drall. Als Anna Mona ihr gestand, sie fände ihre Nase zu breit und hätte auch gern eine Brille, lachte die sie aus.
„Du mit deinem Stupsnäschen, als wäre das ein großer Zinken. Eine Brille betont deine Nase doch nur und stört beim Knutschen. Sei du mal froh über deine Kontaktlinsen.“
Wieder meldete sich nur eine Mailbox. Die half ihr nicht wirklich und eine SMS auch nicht.
‚Ich kann die Polizei anrufen! Aber was soll ich denen denn sagen? Bei uns hat es gerumst, ich habe Schiss nachzuschauen und mich in meinem Zimmer eingeschlossen? Das geht gar nicht. Oder doch?’
Sie ging zur Zimmertür und schloss ab.
‚Sieht ja keiner’, dachte sie.
Sie begann im Zimmer auf und ab zu gehen, dabei fiel ihr Blick in den Spiegel. Die graue Schlabberhose trug sie gern und das big shirt hatte sie ihrer Mutter abgequatscht, wegen der lang ausgestreckten Zunge darauf. Angeblich von einer Rockband aus Maas Jugend, deren Leadsänger heute wahrscheinlich im Rentenalter war und Probleme hatte, nicht tattrig von der Bühne zu fallen. Die dunklen Rastalocken, rund um das hellbraune Gesicht, hatte sie von ihrem Vater. An den konnte sie sich nicht erinnern, denn der ist, wie ihre Mutter sagte, „schon früh vom Pferd gefallen“. Die ersten Jahre hatte sie keine Ahnung, was das heißen sollte, doch dann wurde Maa so lange gelöchert, bis sie die Geschichte erzählte.
Er war eine Diskobekanntschaft gewesen, Anna Mona war das Kind spontaner Liebe mit einem Westafrikaner. Über den Zaun eines herbstlichen Schrebergartens waren sie des Nachts gestiegen. Das hätte sie Maa nicht zugetraut! Die war reichlich verlegen gewesen, nachdem sie das erzählt hatte. Am liebsten wäre sie mit ihrem Geheimnis wohl wieder zurück gerudert. Anna Mona hatte ihr aus der Patsche geholfen.
„Allemal besser als unser Kleiner braucht ein Schwesterchen, oder von wegen dem Kindergeld.“
Sie musste lachen, ihre Mutter grinste.
„Du meinst genauso gut wie, wir haben immer schon ein Kind gewollt?“
„Bestimmt!“
Maa hatte sie in den Arm genommen, und Anna Mona hatte sich sehr erwachsen gefühlt. Sie war stolz, weil ihre Mutter ihr das erzählte hatte wie einer Freundin. Dem Schrebergarten verdankte sie auch ihren Namen.
„Zwischen lauter Anemonen“, hatte Maa gesagt. „Ich war nämlich erstaunt, wie lange die blühen.“
So war der Vorname entstanden für die Kleine mit dem Sternzeichen Zwilling.
‚Warum fällt mir das gerade jetzt ein, ich will mich doch nicht vom Leben verabschieden. Ob ich mal rausschaue in den Flur? Der Lichtschalter ist direkt neben meiner Zimmertür, da riskier ich nicht viel.’
Lieber hätte sie mit Maa oder Susi am Ohr nachschauen gegangen. Aber es half nichts, sie war nun mal allein. Also nahm sie das Handy, atmete tief durch, ging zur Tür und drehte leise den Schlüssel.
‚Keine Reaktion, na bitte, mach dir nicht ins Hemd.’
Langsam öffnete sie die Tür.
‚Mensch komm runter, da ist bestimmt nur etwas hingefallen, vielleicht eine Deckenlampe?’
Mit dem Telefon in der Hand tastete sie nach dem Schalter, doch gerade als sie den gedrückt hatte, hörte sie aus dem Waschraum gegenüber ein Stöhnen. Anna Mona kreischte auf und ließ das Handy fallen. Sie fuhr zurück, knallte die Tür von innen zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und atmete tief aus auf den Schreck. Sie zitterte vor Angst, heftig klopfte ihr Herz. Ihre rechte Ferse hüpfte auf und nieder.
‚Was für ein Schocker, ich mach mir gleich in die Hose! Ob das ein Tier ist? Eine Ratte klingt bestimmt anders. Vielleicht ein Dachs, die sollen hier in der Siedlung schon gesehen worden sein? Nein, nein, das klang eher, als ob sich jemand verletzt hat. Aber wie denn, in dem kleinen Kabuff mit Waschmaschine, Besen und Staubsauger? Wie soll einer da reinkommen? Der Raum hat kein Fenster, etwa durchs Dach? Dafür war der Krach wieder zu leise und berstende Ziegel klingen anders. Hauptsache, da kommt jetzt keiner raus, mitten in der Nacht.’
Angestrengt dachte sie nach, doch ihr kam keine Idee.
‚Verdammte Scheiße, was mach ich bloß? Ich krieg Panik, ich muss was tun!’
Da fiel ihr Sportlehrer Bommer ein, der den Selbstverteidigungskurs für Mädchen geleitet hatte. Als sie an die Reihe kam, sich mit einem Tritt gegen seinen fingierten Angriff zu wehren, hatte die Schulsekretärin von der Eingangstür der Turnhalle gerufen. Er war einen Moment abgelenkt und Anna Mona hatte ihn genau dort erwischt, wo auch ältere Jungs keinen Spaß verstehen. Ihr Versuch, danach Maa auch noch eine Mitgliedschaft in einem Kampfsportklub abzuringen, war jedoch gescheitert.
„Wenn du mit einem Notenschnitt von 1,9 nach Hause kommst, können wir darüber reden“, hatte ihre Mutter sie ausgebremst. Allerdings konnte auch die sich das Lachen nicht verkneifen, als sie von der Reaktion des Lehrers hörte. Zusammengekrümmt hatte er Anna Mona angestarrt und nach Fassung gerungen. Dann unter dem Kichern der gesamten Mädchengruppe etwas von niedriger Hemmschwelle für körperliche Aktion gestammelt.
‚Na also, dann werde ich doch wohl noch ... Aber ich brauche etwas, mit dem ich mich wehren kann. In die Küche komme ich nicht, also kein Messer, keine Teflonpfanne. Na klar, Maas Schirm im Flur mit der langen Spitze, mit dem kann ich in dem kleinen Raum jeden Eindringling auf Abstand halten. Also los!’
Beinahe wäre sie im Flur auf ihr Handy getreten, sie hob es auf und steckte es ein. Schon stand Anna Mona mit dem Schirm in der Hand vor der Tür, hinter der es schon wieder stöhnte. Sie zitterte, aber das zog sie jetzt durch.
‚Ein Glück, dass der Lichtschalter für den Raum hier draußen ist. Soll ich die Tür vorsichtig öffnen, oder mit einem Ruck aufmachen?’
Ohne weiter nachzudenken, knipste sie das Licht an und versuchte die Tür aufzustoßen, aber sie kam nicht weit. Etwas lag im Weg und rief empört „Auah“. Eine junge männliche Stimme, aber wer? Ein Paar Stiefel, weiß und glänzend waren zu sehen, darüber der Ansatz einer Blue Jeans. Die Füße wurden angezogen und jemand begann, sich am Türgriff auf der anderen Seite hochzuziehen.
‚Alles nur das nicht!’, schoss es ihr durch den Kopf. Sie fasste den Schirm mit beiden Händen.
„Wer ist denn da?“
Erschrocken vom eigenen Gekrächze, das bestimmt keinen Angreifer abschreckte, schob sie mit tiefer Stimme nach, was sie aus Fernsehkrimis kannte.
„Kommen Sie sofort mit erhobenen Händen raus! Jeder Widerstand ist zwecklos!“
So kam es dann auch und schon bald hörte sie die unglaublichste Geschichte ihres Lebens.
Reichlich zerknittert war der Eindringling aus der Kammer gekommen. An seiner knallroten Lederjacke waren zwei Knöpfe fast abgerissen. Der hohe Kragen und die goldenen Schulterstücke erinnerten an eine Uniform. Die Blue Jeans steckte mit einem Bein im Stiefel, das andere war herausgerutscht, die Haare waren zerzaust und seine Stirn zierte eine blaurote Beule. Trotzdem sah er verdammt gut aus. Der blonde Haarschnitt über blauen Augen war echt stylisch. Den müsste sie Susi vorstellen, nur die dicke Rolex am Handgelenk passte nicht zu ihm. Die hielt er sich an die Stirn, als wollte er die Schwellung kühlen.
16 oder 17 Jahre gab sie ihm und da sie ihn nicht in ihr Zimmer lassen wollte, dirigierte sie ihn mit der Schirmspitze auf seiner Brust ins Wohnzimmer. Wortlos ließ er das mit sich machen, nahm die Hände hoch und humpelte rückwärts. Schon bereute sie, die Polizei nicht gerufen zu haben, da kam ihr ein Gedanke.
‚Mensch, ist der etwa die Erfüllung meines ersten Wunsches? Ach was.’
Erstens hatte sie ja noch gar nicht richtig gewünscht und zweitens funktionierte das sowieso nicht, sondern war nur ein netter Brauch. Oder etwa nicht? Mit einer Hand griff sie im Vorbeigehen einen Stuhl vom Esstisch und zwang den Fremden Richtung Sofa.
„Setz dich, Freundchen.“
Er gehorchte, sie setzte sich mit Abstand vor ihm auf den Stuhl. Wie eine Speerspitze zeigte der Schirm auf ihn.
„Komm mir bloß nicht zu nahe.“
Sie klemmte den Schirm unter den Arm und holte das Handy aus der Hosentasche.
„Ich ruf jetzt die Polizei. Bis die hier ist, kannst du mir ja erzählen, was du bei uns gesucht hast.“
Sie drehte das Handy in der Hand richtig herum.
„Bitte hab keine Angst“, sagte er beschwichtigend. „Wir hoffen, du verzeihst, dass wir hier so reinplatzen, aber wir suchen ein bestimmtes Mädchen.“
Ihr Oberkörper schoss nach vorne.
„Wir?“
Gerade noch hatte sie Oberwasser, doch nun kam wieder Panik in ihr hoch. Sie schaute Richtung Flur und ihr Daumen rutschte von der Tastatur.
„Ist da etwa noch einer?“
Er hob abwehrend die Hände.
„Nein, nein, das ist ein Missverständnis. Von uns, also von mir, spricht man im Plurals Majestatis, der Anrede für Herrscher. Das gilt auch wenn wir, also wenn ich von uns selbst, also von mir sprechen. Dabei meine ich, also ich meine uns, immer uns, weil wir, sprich ich, ja immer auch für unsere, also meine Untertanen sprechen.“
‚Was für ein Gestammel’, dachte sie.
Ihr verständnisloser Blick ließ ihn aufstehen.
„Verzeihung, ich habe versäumt uns vorzustellen und dich standesgemäß zu begrüßen.“
Er straffte sich und zog seine Lederjacke stramm.
‚Was soll das denn werden?’, dachte sie.
„Bleib gefälligst sitzen!“, wollte sie noch rufen.
Doch er kam bereits auf sie zu und überrumpelte sie völlig. Ihr Handy polterte auf den Parkettboden als sie versuchte, den Schirm unter dem Arm hervorzuziehen. Aber ihre einzige Waffe rutschte herunter, sofort stand der fremde Mann mit dem Fuß auf der Schirmspitze. Hilflos schaute sie hinauf in sein Gesicht, tastete fahrig nach dem Handy.
‚Warum bin ich blöde Kuh auch so vertrauensselig?“, war ihr letzter Gedanke.
Sie öffnete den Mund zum Schrei, aber sie konnte nicht. Denn sie musste mit Grauen ansehen, wie seine geöffneten Hände auf ihren Hals zukamen. Reflexartig kippte sie mit dem Stuhl nach hinten, sie sah noch sein Grinsen und seine tadellosen Zähne. Hart schlug ihr Kopf auf dem Boden auf.
Als sie wieder zu sich kam, kniete er neben ihr. Wie durch einen Schleier sah sie ihn, nur langsam wurde das Bild klarer. Sofort wollte sie auf ihn losgehen, aber eine Hand signalisierte ihr ‚Stop’! Ihr Kopf fiel zurück, so hatte sie keine Chance. Er entfernte sich und sie hörte, wie er sich auf das Sofa setzte. Was war mit ihren Klamotten? Sie befühlte sich unauffällig.
‚Die hab ich noch an’, stellte sie erleichtert fest, ‚und gefesselt bin ich auch nicht. Der Schirm ist bestimmt weg, aber da fällt mir schon noch was ein.’
Sie tastete nach ihrem Hals, konnte jedoch keine Würgemale oder Bisswunden feststellen. Er hatte ihr wohl nichts getan.
„Besser, du bleibst noch liegen und kommst nicht zu schnell hoch“, kam es von oben.
‚Das könnte dir so passen’, dachte sie, ‚du wirst dich gleich wundern, Freundchen.’
„Wir sind untröstlich, dabei wollten wir dich nur begrüßen. Bitte glaub uns, das ist uns noch nie passiert.“
Sie hielt die Luft an und drehte den Kopf zum Flur. Aber er schien immer noch allein. Sie atmete aus.
‚Der mit seinem Pluralis Dingsbums. Wieder war sie darauf reingefallen, was für ein Getue. Was will der hier? Ein Einbrecher mit freundlicher Begrüßung? Ein Vampir der sich entschuldigt?’
Sie dachte an ihren Selbstverteidigungskurs. Aber noch war der Kerl zu weit weg.
‚Jetzt hab ich’s, der ist ein Psychopath! Ich muss ihn so schnell wie möglich loswerden, mich auf ihn stürzen oder abhauen. Ganz ruhig, was sagt mein Kreislauf, setz ich mich langsam hin oder spring ich auf?’
Da spürte sie das Sofakissen unter ihrem Kopf.
‚Arbeiten Psychopathen mit Kopfkissen? Vielleicht ist der einfach nur schizophren und spricht von sich in der Mehrzahl?“
Der Typ hörte nicht auf, sich zu entschuldigen.
„Es tut uns so furchtbar leid, ein bedauerliches Missverständnis, gewissermaßen ein diplomatischer Fauxpas. Dabei wollten wir dir nur die Ohrläppchen reiben.“
Mit einem Ruck saß sie senkrecht.
„Wie bitte?“
Die Szene war grotesk. Der Eindringling hockte zerknirscht am anderen Ende des Sofas. Sie saß mit großen Augen auf dem Boden und traute ihm nicht über den Weg. Dabei sah der nicht aus wie ein Serienkiller. Das ergab alles keinen Sinn. Außerdem hatte er das Handy vor sie auf den Sofatisch gelegt, ‚das macht doch kein Einbrecher’ dachte sie. Sie griff danach.
„Los hau ab, sonst ruf ich die Polizei“, sagte sie das nächstbeste, was ihr einfiel. Sie erinnerte sich.
„Bin ich nicht auf den Boden geknallt?“
Sie fasste sich an den Hinterkopf, aber da tat nichts weh, sie spürte nicht mal eine Beule. Er lächelte.
„Wir haben uns erlaubt dich zu heilen, siehst du?“
Er zeigte an seine Stirn.
„Unsere Schwellung ist auch weg und das Gewand haben wir ebenfalls geheilt.“
Tatsächlich, die Knöpfe seiner Jacke saßen wieder fest. Seine Hilfsbereitschaft machte sie zugänglicher.
„Diese Nummer, dass du Frauen die Ohren langziehst, machst du das öfter?“
Langsam stand sie auf und setzte sich auf den Stuhl. Auf Augenhöhe und mit dem Handy fühlte sie sich sicherer. Er rieb mit Daumen und Zeigefinger seine beiden Ohrläppchen.
„Das ist der königliche Gruß. Damit zeigen wir in aristokratischem Gestus unsere Wertschätzung. Je länger wir reiben, desto höher ist sie.“
„Komm, jetzt ist Schluss“, sagte sie verärgert. „Du sagst mir jetzt sofort, wer du bist und was du willst.“
Er schien sie gar nicht zu hören und redete vor sich hin.
„Dabei hattest du uns noch gewarnt, wir sollten dir nicht zu nahe kommen, hast du gesagt.“
Er hob den Kopf und sah sie an
„Wie bitte, was war dein Ansinnen noch gleich?“
„Wer du bist, hab ich gefragt.“
Er wollte aufstehen, doch sie warnte ihn.
„Nee, nee, nix Ohrenreiben, wir bleiben schön sitzen.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Wir haben es wohl versaut, wie man so sagt. Vielleicht fangen wir einfach noch mal von vorn an?“
‚Der ist ja am Boden zerstört’, dachte sie. ‚Alles doch bloß ein Missverständnis?’
Sie holte sich die App mit dem direkten Kontakt zu Maa aufs Display.
„Genau, von vorn anfangen, das versuchen wir jetzt. Ich hier und du mit deiner Kleingruppe auf dem Sofa. Aber ihr habt nur einen Versuch. Und das hier“, sie hob das Handy, „ist die direkte Verbindung zu meinem Notruf.“
Schlagartig schaute er zufrieden.
„Siehst du“, strahlte er, „jetzt war das mit dem Pluralis Majestatis schon ziemlich richtig.“
Ihr Handy summte.
„Ist das schon der Notruf?“, fragte er erschrocken. Sie warf einen Blick aufs Display.
„Nein, eine Nachricht von einer Freundin“
summ summ
geile party heute abend
was machst du kommst du im herbst
HDL
Madja, Spitzname Maja aus Sarajewo war eine Nachtmaus. Anna Mona hatte sie im letzten Jahr bei einem Städtevergleichskampf kennengelernt, seit dem schrieben sie sich gelegentlich. Maja war zwar nur für zwei Tage hier gewesen, doch sie hatten sich auf Anhieb verstanden. So gut, dass Susi in den Tagen danach Anzeichen von Eifersucht gezeigt hatte.
„Dein Handy summt ja in einem durch“, hatte sie gemeckert.
Aber dann hatte sie festgestellt, dass sie hier war und Maja weit weg. Die fragte gerade an, ob Anna Mona bei der nächsten Veranstaltung in Bosnien-Herzegowina dabei sein würde.
‚Mit der chatte ich gleich noch’, nahm sie sich vor. Denn bei irgendwem musste sie Dampf ablassen, sonst würde sie niemals in den Schlaf finden.
„Fertig?“, fragte er.
Sie nickte.
„Ich bin froh“, fing er an, „dass wir mit Lessy deinen Hinterkopf heilen konnten.“
„Mit wem?“
Er hielt das Handgelenk mit der Rolex hoch.
„Das Teil heißt Lassie? Oma hat mal von ihrer Lieblingsserie im Fernsehen erzählt, mit einem Hund der so hieß. Da war sie aber noch ein Kind und der Hund schwarz-weiß. Deine Uhr kann doch bestimmt nicht bellen, oder?“
Sie grinste, aber er blieb ernst.
Immerhin hat Lessy dich gefunden. Das ist doch toll.“
„Was heißt hier toll? Ich werde überfallen und soll mich auch noch freuen?“
Ihr kam eine Idee und sie schaute um sich.
„Wo ist denn die versteckte Kamera? Oder sind wir bei ‚Deutschlands verrückteste Stuntmen’? Ah, ich weiß, du bist vom Überraschungspartyservice. Aber kommt ihr nicht in knapper Wäsche aus der Torte?“
Er blieb ernst.
„Du bist doch Anna Mona oder?“
Sie schaute ungläubig.
„Woher willst du das wissen?“
„Das wollen wir dir ja gerade erzählen.“
„Da warte ich schon die ganze Zeit darauf. Bisher weiß ich nur, dass du mich gesucht hast. Aber nicht, was du von mir willst.“
„Unser Name ist“, er rückte auf dem Sofa nach vorn.
„Lieber nicht“, sagte sie und hob die Hand mit dem Handy. Er blieb tatsächlich sitzen. Sie lächelte.
‚Wenigstens ist er lernfähig.’
„Unser Name ist“, er zögerte „äh.“
Er bekam einen roten Kopf. Die Nummer war ja nun der totale Absturz.
„Wie bitte?“, gab sie prustend zurück. „Du hast deinen eigenen Namen vergessen? Das gibt’s doch nur im Film oder?“
Er schaute verlegen.
„Wir dürfen unseren Namen leider nicht verraten, aber wir entstammen einem alten Herrschergeschlecht.“
Anna Mona zog ihre Augenbrauen zusammen, ihre Unterlider spannten sich. Schnell wechselte er das Thema.
„Zum Glück sind wir richtig gelandet.“
„Wenn das eine geglückte Landung war, möchte ich eine Notlandung von dir nicht erleben. Zerlegst du dann meinen Schreibtisch?“
Er lächelte gequält.
„Das wollten wir nicht, wir können alles erklären.“
„Schon klar. Du übst wohl schon für die Midlife-Crisis? Schatz es ist alles ganz anders, als es aussieht.“
Er schaute mit sorgenvollem Blick auf seine Rolex.
„Bestimmt war etwas mit den Landekoordinaten nicht in Ordnung. Vielleicht habe ich auch die Bahn eines Meteors gekreuzt, bin in den Lichtschweif einer Sternschnuppe geraten. Hoffentlich ist Lessys Energiesystem intakt, denn das ist das Wichtigste.“
„Wer soll dir denn so ein Superding an den Arm hängen, das gibt’s doch nicht im Kaugummiautomaten oder?“
„Der Große Rat hat uns für unsere Mission damit ausgestattet. Unser Vater, der Große10hält die Stellung auf unserem Planeten und so wurden wir als Thronfolger beauftragt. Dass wir dir unseren Namen nicht nennen dürfen, hängt damit zusammen, aber das ist eine längere Geschichte.“
‚Schon klar’, wollte Anna Mona lässig kontern. Aber es kam nur ein leises „oh“, weil sie nachdenklich an ihrer Lippe nagte.
‚Der hat nichts geklaut und hat mir nichts getan. Vielleicht ist der doch harmlos. Einfach ein gutaussehender Typ der sich für eine Kleingruppe hält, wilde Geschichten erfindet und stammelt, wenn er seinen Namen sagen soll. Ziemlich schräg, aber auch geheimnisvoll. Ich muss ihm weiter Fragen stellen.'
„Was kann deine Armbanduhr denn noch?“
„Zum Beispiel können wir mit Lessy Gedanken lesen.“
„So ein Blödsinn. Kannst du nicht.“
„Können wir doch.“
„Kannst du nicht.“
„Können wir doch. Wie lange wollen wir das noch machen, Gnädigste?“
Sie musste lachen, ob sie wollte oder nicht.
‚Mit dem kann man sich wenigstens gekonnt käbbeln’, dachte sie.
„Ach was, Gedanken lesen? Wirklich, auch meine?“
„Auch deine, aber nur aus dem Hier und Jetzt.“
„Dann sag mir doch, was ich gerade denke.“
„Das solltest du abwägen, denn bedenke, manche Gedanken sind unbewusst und du kannst sie nicht steuern.“
‚Mein Gott, macht der auf erwachsen!’ stichelte es in ihr.
„Nun mach schon“, drängte sie, denn das fand sie nun wirklich spannend.
„Also, wenn du darauf besteht. Seit dem Moment, wo du uns gesehen hast?“
Sie nickte.
„Klar, die ganze Gruppe.“
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Du nennst unser Lessy eine Rolex und meinst, der Junge sieht verdammt gut aus. Du willst uns einer gewissen Susi vorstellen, denn du wünscht dir einen süßen Freund und fragst dich, wie alt wir wohl sind.“
Weiter kam er nicht. Anna Monas Augen wurden immer größer, sie starrte sie ihn mit offenem Mund an und beugte sich so heftig vor, dass der Strassstein an ihrem Hals hüpfte.
„Hör sofort auf!“, rief sie empört, „das ist alles totaler Quatsch und so was von falsch. Ich hab an meine Schulaufgaben für morgen gedacht und sonst nichts.“
„Das ist aber seltsam. Hat heute nicht die zweite Woche der Sommerferien begonnen?“
Ihr schoss das Blut ins Gesicht. ‚Autsch’, fühlte sie sich ertappt.
Hoffentlich wusste der nicht alles über sie. Zum Beispiel, dass sie ein paar Wochen mit einem Jungen gegangen war. Dann sollte sie mehr Zeit mit ihm verbringen aber sie wollte den Sport nicht aufgeben. Immerhin war er ein paarmal mit auf ihrem Zimmer gewesen, als Maa nicht da war. Ihre Neugier war zunächst befriedigt, von anderen Mädchen wusste sie, dass die ihr erstes Mal für den Urlaub planten. Das war zwangloser und hinterher quatschte keiner rum. Genau deshalb hatte Anna Mona sich einen Jungen von einer anderen Schule ausgesucht.
‚Wenn Maa das wüsste, würde sie mich bestimmt nicht mehr als kleines Mädchen behandeln’, dachte sie.
Am Tag danach hatte sie das Gefühl gehabt, alle in der Schule könnten ihr ansehen, dass sie ihr erstes Mal hinter sich hatte.
„Nun mach mal halblang“, hatte Susi gelästert. „Nur weil du mit einem Gesicht herumläufst wie ein Honigkuchenpferd und den ganzen Tag grinst?“
Das lag nicht an dem Typen oder weil es so toll gewesen war, sondern weil sie sich getraut hatte.
‚Liebe fragt nicht nach dem warum’, hatte sie irgendwo gelesen. Jetzt wollte sie einen Freund, der sie akzeptierte, wie sie war. Denn der Sport machte ihr Spaß und in der Leistungsgemeinschaft galt sie als hoffnungsvolles Talent.
Der Typ auf dem Sofa ließ nicht locker.
„Also glaubst du uns jetzt?“
„Ok, ok, du bist eingebildet und meinst, das ich auf dich stehe.“
Verdammt, da war ihr das Herz auf die Zunge gerutscht.
„Und Susi und Rolex?“
„Ph, Glückstreffer.“
„Sollen wir Lessy prüfen lassen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, zwei unbekannte Namen zu erraten?“
„Schon gut, schon gut, bilde dir ruhig ein, du hast gewonnen. Aber was ist jetzt mit deiner Hundeuhr?“
„Mehr Respekt bitte. Dies ist ein interstellares Leit-, Lenk- und Ortungssystem, abgekürzt Lessy. Und zwar die nagelneue Generation.“
„Das kann ja jeder sagen“, gab sie zurück. „Bestimmt ist das nur so ein Handy fürs Handgelenk, eine Handyuhr eben.“
„Von wegen Handyuhr. Lessy versorgt uns mit Daten, führt uns durch Raum und Zeit sowie fremde Kulturen. Außerdem verleiht es uns außergewöhnliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, wir nennen sie Lessionen. Da es ein Prototyp ist, können wir die meisten leider nur einmal einsetzen, doch wir arbeiten daran.“
„Du willst doch nicht allen Ernstes behaupten“, suchte sie nach Worten, „dass du so ein, ein Prinz aus dem All bist? Klingt fast wie Prinz Karneval“, prustete sie los.
Er runzelte die Stirn.
„Findest du dein Verhalten nicht ziemlich albern?“
„Wenn hier etwas albern ist, dann ja wohl deine Geschichte“, keilte sie zurück. „Du bist doch derjenige, der hier auf die Kacke haut. Versuchst du das bei Mädchen immer so? Mit der Tür ins Haus fallen, so richtig mit Krawall und das noch mitten in der Nacht? Bist du durch den Schornstein gekommen, oder was? Was meinst du, wie du mich erschreckt hast.“
Er ging nicht auf sie ein.
„Und dass wir gerade eine Lession für dich geopfert haben, scheint dich nicht zu bekümmern.“
„Ich versteh nur Bahnhof.“
„Die Fähigkeit, Gedanken zu lesen können wir wie gesagt, auf unserer Mission nur einmal einsetzen. Jetzt kann sie uns nicht mehr aus Gefahrensituationen helfen.“
‚Entweder, der redet Müll oder er will mich echt überzeugen’, fühlte sie sich ein wenig geschmeichelt.
Überhaupt musste sie sich eines eingestehen. Abgesehen von der tolpatschigen Nummer mit den Ohrläppchen, war der Junge kein Unsympath. Er hatte die richtige Mischung, war selbstbewusst, aber auch ein bisschen schüchtern. Vor allem war er höflich, zumindest für einen angeblich Außerirdischen und er hatte Humor.
Sie räusperte sich.
„Was soll denn dieser komische Name mit hoch zehn?“
„Das ist ein Titel. Unser Vater ist der zehnte unseres Geschlechts auf dem Thron und wir als sein künftiger Nachfolger tragen bereits jetzt ...“
„Und was ist mit Mädchen, dürfen die bei euch auch regieren?“
„Nicht dürfen, müssen. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten in der Thronfolge.“
„Von welcher Mission redest du? Willst du auf der Erde predigen? Rast du mit Lichtgeschwindigkeit durch die Gegend? Und überhaupt, wo hast du dein Raumschiff geparkt? Etwa auf dem Parkplatz vorm Supermarkt? Da ist nämlich nachts eine Kette vor.“
Zu spät fiel ihr rein, dass Raumschiffe nicht auf Parkplätze rollen. Schon wieder ‚autsch’.
„Du darfst uns einen kosmischen Prinzen nennen. Und jetzt mal der Reihe nach. Wir reisen mit Lessy, es bringt uns an die Koordinaten, die wir eingeben. Wie das genau funktioniert, da musst du unsere Technonauten fragen. Auf jeden Fall benötigen wir keine veraltete Technik wie Raumschiffe. Darauf, dass sie anders parken als Automobile, bist du wohl schon selbst gekommen.“
„Schon klar“, warf sie ein und diesmal klang es ziemlich kleinlaut.
„Und von Lichtgeschwindigkeit hat Großvater mal erzählt, dafür haben wir heutzutage keine Zeit mehr.“
Sie horchte auf.
‚Wenigstens hat er einen Großvater, das heißt, sie altern und sind nicht unsterblich. Aber der haut vielleicht auf den Putz. Auf keinen Fall darf ich mir das Gespräch aus der Hand nehmen lassen.’
Sie streckte sich auf ihrem Stuhl, weil sie bei aller Aufregung müde wurde. Aber eines wollte sie noch wissen.
„Dann erklär mir doch mal, warum du mich gesucht hast.“
Sie nahm die Hand vor den Mund, denn sie musste gähnen.
„Weil du auserwählt bist, in einem interstellaren Konflikt zu vermitteln.“
Sie verschluckte sich beim Gähnen und musste husten.
„Schon klar“, brachte sie mühsam heraus, „mache ich mindestens einmal die Woche. Und dafür strandest du ausgerechnet in unserer Besenkammer, das ist ja nun mal gar keine Empfehlung. Könige schweben ein und Prinzen reiten weiße Schimmel, aber das war doch wohl eine Bruchlandung.“
„Leider hast du Recht, bei unserer Landung ist wohl etwas kaputt gegangen.“
„Sag bloß, du hast unsere Waschmaschine geschrottet?“
„Nein nein, nur leider sind wir auf eurem Saugroboter gelandet.“
„Du hast den Roboprop demoliert? Den hat Maa bei einem Preisausschreiben gewonnen und auch wenn er mittlerweile etwas älter ist, ist das noch lange kein Grund ...“
Er hob beschwichtigend die Hände.
„Schon gut, schon gut, wir entschuldigen uns und werden ihn reparieren.“
„Reparieren, wie willst du das denn machen?“
„Du wirst schon sehen. Kein Wunder, das muss für dich alles unglaubwürdig klingen, aber wir können es erklären. Was hältst du davon, wenn wir morgen weitermachen?“
Anna Mona erschrak.
„Morgen weitermachen? Was ist denn mit Übernachtung?“
„Gern, wir sind zwar Gästehäuser der Regierungen gewöhnt, können uns notfalls jedoch einschränken und es ist bei euch“, er schaute um sich, „ja auch ganz nett. Na ja, für eine Nacht wird es schon gehen.“
Anna Mona sprang auf.
„Wovon träumst du nachts? Auf keinen Fall schläfst du hier, bist du übergeschnappt? Was meinst du, was meine Maa sagt, wenn die nach Hause kommt und ein fremder Junge schläft in unserer Wohnung?“
Sie war ziemlich durcheinander.
‚Richtig einschätzen kann ich diesen angeblichen Prinzen immer noch nicht. Vielleicht bin ich morgen schlauer und kriege heraus, wo der wirklich herkommt und was er von mir will. Schließlich habe ich Zeit, es sind ja Ferien. In einem interstellaren Konflikt vermitteln, geht’s bitte schön nicht eine Nummer kleiner?’
Da kam ihr eine Idee.
„Ich weiß wo du schläfst.“
Als sie ein paar Minuten später das ehemalige Bergmannshaus verließen, warf sie einen Blick auf das Türschloss. Das war in Ordnung. Außerdem humpelte er nicht mehr.
„Wo bringst du uns denn hin?“, wollte er wissen.
„Das ist eine Überraschung. Aber du musst nicht durch den Schornstein rein rauschen und zu demolieren gibt es da auch nicht viel.
Unter einem leuchtenden Sternenhimmel gingen sie durch die Siedlung. Sternschnuppen kreuzten ihren Weg und sie musste daran denken wie alles angefangen hatte. Und das erst vor einer guten Stunde. Er deutete nach oben.
„Weißt du, dass die Milchstraße eine Spiralgalaxie ist?“
„Nö“, sagt sie spröde. Denn sie stellte sich gerade Maas Gesicht vor bei der Geschichte, wie sie nachts um 3 Uhr mit einem wildfremden Jungen durch die Siedlung spaziert war.
„Aber, dass dieser wunderbare Sternenhaufen zum Superhaufen Laniakea gehört, das weißt du schon?“, versuchte er es tapfer weiter.
„Nö.“
Er gab nicht auf und wechselte das Thema.
„Wie groß ist eigentlich deine Familie?“
Sie tat, als hätte sie die Frage überhört. Als Anna Mona zwei Jahre alt war, hatte ihre Mutter den Erzeuger vor die Tür gesetzt. Sie hätte gern mehr erfahren, aber Maa ließ sich nach dem Geständnis, wie sie zu ihrem Töchterchen gekommen war, nur noch wenig entlocken. Nur, dass sie ihr Studium abbrach, weil sie arbeiten gehen musste. Und dass Anna Mona ihre Vorliebe für Reggae wohl von ihrem Vater habe. Und die für scharfes Essen auch.
Er ließ nicht locker.
„Sag mal, ist die linke deine Kampfhand?“
„Wie bitte?“, fragte sie überrascht und zog beide Hände aus den Hosentaschen.
„Hah“, staunte sie kurzem Nachdenken belustigt, „du kommst vielleicht auf Ideen.“
Sie erklärte ihm die Sache mit dem Nagellack. Mit der nächsten Frage hatte er mehr Glück.
„Sag mal, wo sind wir hier eigentlich? Ich hatte gar keine Zeit mich zu orientieren. Ich weiß nur, dass man diese Gesteinsplatte Europa nennt.“
„Gesteinsplatte ist schon die halbe Miete. Das Land hier heißt Deutschland und diese Gegend heißt Ruhrgebiet.“
Er schaute auf Lessy und wurde blass.
„Sag bloß, hier haben alle Durchfall?“
Sie brauchte einen Moment, bis sie verstand, dass er Lessy als Wörterbuch ‚terrestrisch - was weiß ich’ benutzte. Da war wohl nicht jeder schnelle Blick ein Treffer.
„Es geht nicht um die Krankheit, die Ruhr ist ein Fluss, der hat dieser Gegend ihren Namen gegeben. Das war hier früher mal ein einziges Industriegebiet, aber lange vor meiner Zeit. Ich bringe dich zu einem, der kann dir das alles viel besser erklären. Du hast übrigens Glück, dass du hier gelandet bist. Wir sind nämlich sehr tolerant gegenüber Zugereisten, nur wenn sie unangemeldet vom Himmel fallen sind wir manchmal etwas überfordert.“
Kurz vor ihrem Ziel hatte sie ihn überzeugt, den Pluralis Dingsbums, „aus Gründen der Tarnung“, wie sie es nannte, besser für eine Zeit zu vergessen und das Ohrenreiben auch, denn das sei missverständlich. So langsam glaubte sie zu wissen, wie sie ihn nehmen wusste. Beim Abschied stach sie der Hafer.
„Wir haben übrigens ein ähnliches Begrüßungsritual wie du mit deinem Ohrenreiben. Wir auf der Erde lachen, wenn wir einen sympathischen Menschen kennenlernen.“
„Oh, das ist interessant“, meinte er und verzog keine Miene.
‚Der glaubt mir wirklich’, dachte sie. Ihr schwante: ‚Was ich bisher gehört habe, das war wohl noch nicht alles.’
Auf dem Nachhauseweg ging Anna Mona schneller. Sie wollte so rasch wie möglich runter von der nächtlichen Straße. Wie sollte sie ihn morgen anreden, er wollte seinen Namen ja partout nicht verraten? Beim Gedanken ihn ‚Ey, du da’ zu nennen, musste sie kichern.
‚Wie wäre es denn mit ‚Oops’, schließlich ist er ja quasi bei uns reingestolpert?’
Aber das war ihm bestimmt nicht seriös genug. ‚Euer Hoheit’ war zu albern, außerdem sollte der sich bloß nicht einbilden, dass sie ihm gleich alles abkaufte. Aber bis morgen würde ihr schon noch etwas einfallen. Und sie musste sich überlegen, mit wem sie reden konnte. Über das vollbesetzte Sofa und die Sache mit den Ohrläppchen.
hi maja bidunowa
Hallo Maja, bist du noch wach?
summ summ nightgirl
Ja.
holy days?
Habt ihr schon Ferien?
Asu2
Wie bei euch.
?
Und?
nada asu2?
Es ist nichts los. Und bei dir?
EDV
Du wirst es nicht glauben.
?
Und?
TIM …
Heute habe ich ... getroffen.
AIUI BF
Verstehe ich das richtig, einen Jungen?
ACK
Ja.
FFS lol
Um Himmels willen. Lächel.
GiE
Ganz im Ernst.
OMG
Oh mein Gott. Du bist verknallt.
Dubido non O4U
Du bist doof. Falls es unter uns bleibt, erzähl ich’s dir.
Ok FW
Versprochen. Wo kommt er her?
GDK MB BBL UC
Das weiß nur Gott. Vielleicht bin ich eine Weile weg. Verstehst du?
Wow FANTA und FKK
Ich bin sprachlos. Fahr noch tanken und Kondome kaufen.
GiE kP
Ganz im Ernst. Ich habe keinen Plan.
2L8 AMT ff MEMIWI
Das zu besprechen, ist es heute zu spät. Du überforderst mich.
Lass uns ein anderes Mal weitermachen. Melde mich wieder.
Ok bb
In Ordnung, tschüss.
HDL
Hab dich lieb.
IDA
Ich dich auch