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Italien auf einer Serviette
ОглавлениеEin Novemberabend in Florenz. Seit Stunden regnet es in Strömen, und die Fassaden der Renaissancepaläste spiegeln sich in den nassen Pflastersteinen. Der Pegelstand des Arno steigt kontinuierlich auf ein besorgniserregendes Niveau, und die Einwohner bereiten sich auf ein mögliches Hochwasser vor. Die Touristen haben – müde vom ehrfürchtigen Bewundern der vielen Sehenswürdigkeiten – in Restaurants und Trattorien Zuflucht gesucht. Wir sitzen mitten unter ihnen in einer kleinen Pizzeria unweit des Bahnhofs. Als Touristen fühlen wir uns freilich nicht – Touristen sind ja bekanntlich immer nur die anderen … – sondern vielmehr als alte Bekannte und als gern gesehene Gäste, die hier fast schon zu Hause sind. Wie so oft haben wir eine Gelegenheit genutzt, um in dieser schönen Stadt einen Zwischenstopp einzulegen. Diesmal sind wir auf dem Heimweg von einer Pilgerwanderung auf dem toskanischen Teil des Franziskusweges, dessen westliche Variante von Florenz über Assisi nach Rom führt.
Wieder einmal liegen wunderbare Tage in Italien hinter uns, und wie immer fällt uns der Abschied von unserem Lieblingsland schwer. Könnten wir nicht ein Stück Italien mit nach Hause nehmen? Etwas von der großartigen Kultur, ein Stückchen Architektur, ein wenig Malerei und ein paar Takte Musik? Nicht zu vergessen einige Köstlichkeiten aus der italienischen Küche – unbedingt den unvergleichlichen Cappuccino, bitte! – und eine Prise des italienischen Lebensgefühls. Doch Halt! Das müssen wir alles gar nicht mitnehmen, denn so manches davon haben wir in »bella Austria«. Kurzerhand nehmen wir eine Serviette und notieren uns die ersten italienischen Spuren in Österreich, die uns spontan einfallen.
Doch bevor wir im Detail mit der Spurensuche beginnen, gilt es, Grundsätzliches zu klären. So ist die Frage zu beantworten, was wir im Folgenden unter »Italien« verstehen. Genau genommen, kann man erst nach der offiziellen Gründung des italienischen Einheitsstaates im Jahr 1861 von Italien, von Italienerinnen und Italienern sprechen. In das vorliegende Buch haben selbstverständlich auch ältere Spuren Eingang gefunden. In diesen Fällen verstehen wir unter dem Begriff »Italien« alles, was zum heutigen italienischen Staat zusammengefügt wurde: vor allem der ehemalige Kirchenstaat, das einstige Großherzogtum Toskana, die Herzogtümer Parma und Modena, die Königreiche beider Sizilien, Piemont-Sardinien und Lombardo-Venetien. Dass wir in Österreich so viele italienische Spuren finden, liegt auch daran, dass im 18. Jahrhundert große Teile des heutigen italienischen Staatsgebietes zum Einflussbereich der Habsburgermonarchie gehörten: die Lombardei von Anfang des 18. Jahrhunderts bis 1796, Neapel von 1707 bis 1734, Sardinien von 1714 bis 1720 und Sizilien von 1720 bis 1734. Das Großherzogtum Toskana fiel 1737 an Franz Stephan von Lothringen, den Ehemann Maria Theresias, und Venedig stand zweimal unter der Herrschaft der Habsburger: von 1798 bis 1806 und von 1815 bis 1866.
Und wer ist für uns eine Italienerin oder ein Italiener? Wir haben hierbei eine einfache Regel aufgestellt: Die Person wurde erstens in einem Ort geboren, der heute zur Republik Italien gehört, und zweitens war ihre Umgangssprache in den Jugendjahren Italienisch, soweit sich dies überhaupt nachweisen lässt.
Italienischsprachige Einwanderer bzw. Saisonarbeiter aus den südlichen habsburgischen Provinzen oder aus den italienischen Fürsten- und Herzogtümern sowie Königreichen waren zu allen Zeiten an Wanderbewegungen nach Österreich und insbesondere in die Haupt- und Residenzstadt Wien beteiligt. Die Zuwanderer stammten aus allen sozialen Schichten und gehörten verschiedenen Berufsgruppen an: Sie waren Händler, einfache Bauarbeiter, Maurer, Steinmetze, Baumeister oder auch Architekten, Offiziere, Diplomaten, Komponisten, Hofdichter, Theaterleute, Sänger, Maler, Bildhauer und andere Künstler. Gerade die Gruppe der italienischsprachigen Künstler prägte im 17. und 18. Jahrhundert große Teile der sogenannten Hochkultur: das Theater, die Oper sowie das Bauwesen. Es fällt auf, dass zahlreiche Paläste und Kirchen in Österreich das Werk von italienischen Baumeistern, Architekten, Stuckateuren und Maurern oder von Fachleuten sind, die aus den österreichischen Erblanden stammten und in Italien studierten bzw. ausgebildet wurden. Letzteres gilt zum Beispiel für Johann Bernhard Fischer von Erlach, der 16 Jahre in Rom und Neapel lebte. Trotz des großen Einflusses auf Architektur und Kultur lag der Anteil der »Italiener« an der Wohn- und Arbeitsbevölkerung in der Residenzstadt Wien meist deutlich unter einem Prozent; nur um die Mitte des 17. Jahrhunderts dürfte er höher gewesen sein – wird aber auch da kaum mehr als fünf Prozent betragen haben. Kaiser Ferdinand III. und sein Sohn, Leopold I., dichteten in italienischer Sprache; die gebildete Schicht sprach Italienisch – oder verstand es zumindest. Von 1671 bis nach 1721 erschien in Wien auch zweimal wöchentlich eine italienische Zeitung, der Corriere italiano.
»Zitronensaure« Souvenirs von der Insel Capri
Man kann davon ausgehen, dass der Zuzug von Italienern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts während der Regierungszeit Kaiser Leopolds I. relativ hoch war. Damals wurde Italienisch zur zweiten Hofsprache und der Kaiser selbst sprach und schrieb gerne Italienisch. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts war die italienische Sprache neben der deutschen die am häufigsten verwendete am Wiener Hof. Auch der berühmte Barockarchitekt Johann Lucas von Hildebrandt – der 28 Jahre in Italien gelebt hatte und mit großer Wahrscheinlichkeit doppelsprachig aufgewachsen war – hat in seiner fast 50 Jahre dauernden Wiener Lebensphase viele Briefe in italienischer Sprache verfasst. Unter Franz Stephan von Lothringen nahm der italienische Einfluss deutlich ab, da dieser viele Fachleute aus seinem französischsprachigen Heimatland Lothringen an den Wiener Hof holte.
Die offensichtlichsten Spuren, die Italiener in Österreich hinterlassen haben, sind im Straßenbild der Städte zu finden: nicht nur durch Bauten, die von italienischen Baumeistern, Architekten und Handwerkern geplant bzw. errichtet wurden, sondern auch durch Straßennamen. Beispielsweise finden wir in Innsbruck zwei davon: Die Montessoristraße, die auf die italienische Ärztin Maria Montessori – Begründerin der nach ihr benannten Reformpädagogik – verweist, und die Negrellistraße, die nach Luigi Negrelli, dem Planer zahlreicher (Wasser-)Straßen, Brücken und Bahnen benannt ist. In Klagenfurt wird dem Ingenieur ebenfalls mit einer Negrelligasse gedacht. Die Adriagasse, Friaulgasse und Görzer Allee verweisen in Klagenfurt hingegen auf geografische Orte. In Wiener Neustadt finden wir die Cignaroligasse, benannt nach dem italienischen Maler Gianbettino Cignaroli, der das Hochaltarbild im Dom von Wiener Neustadt gestaltete, den Francesco-Solimena-Weg, der auf einen süditalienischen Maler verweist, sowie die Locatelligasse, benannt nach dem italienischen Komponisten und Violinisten Pietro Locatelli. In Wien sind – schon aufgrund der Größe der Stadt – deutlich mehr Namensspuren zu finden.
Portofino (Ligurien), einer der bekanntesten Orte Italiens
Doch uns interessieren auch die versteckten Spuren, die nicht sofort ins Auge fallen. Begleiten Sie uns auf unserer Suche durch Österreich und schwelgen Sie mit uns in der Sehnsucht nach dem »Land, wo die Zitronen blühn«. Buon viaggio!
An dieser Stelle dürfen wir ein »Mille grazie« an jene Menschen aussprechen, die uns Anregungen, Hinweise oder Auskünfte gegeben sowie Fotos zur Verfügung gestellt haben: Christian Antz (Magdeburg), Gianni Casoni (Arezzo), Josef Hlavac (Wien), Silvia Hochedlinger-Kassar (Bregenz/Wien), Brigitte Krizsanits (Eisenstadt), Patrizia Lombardi (La Spezia), Bernadette Kalteis (Melk), Loredana Flore-Selichar (Wien). Zu guter Letzt danken wir Madeleine Pichler vom Amalthea Verlag und der Lektorin Helene Sommer für die angenehme Zusammenarbeit.