Читать книгу Purgatory - Wiedergeburt - Christian Leukermoser - Страница 6
ОглавлениеProlog
Leise gähnend rollte sich Aaliyah Dearing aus dem Bett. Das kalte elektrische Licht ließ die helle Haut ihres nackten Körpers leuchten, als bestünde sie aus Schnee.
Hier im Inneren des Schiffes hörte man kaum etwas von den laufenden Maschinen. Da war nur das gedämpft Summen der Stromgeneratoren, die sich im Deck unter ihrer Kabine verbargen.
Als Offizierin im Range eines Lieutenants hatte sie eine eigene Schlafkoje bekommen. Neben dem schmalen Bett gab es einen kleinen Schreibtisch, einen Schrank für die wenigen persönlichen Sachen und die Kleidung, sowie einen winzigen abgetrennten Raum, in dem sich eine Dusche mit Toilette befand.
Es war nicht viel. Es war nicht groß. Aber wenigstens gehörte es ihr alleine. Zumindest die meiste Zeit.
Brummend erhob sich Vega aus den zerwühlten Kissen und Decken. Sein muskelbepackter, tätowierter Körper hatte die letzten Minuten gute Arbeit geleistet. Nicht herausragend, doch auch nicht schlecht.
Aaliyah betrachtete ihn. Halb aufgerichtet lag er da und gähnte herzhaft. Sein Penis hatte wieder seine ursprüngliche Größe angenommen und baumelte lustlos zwischen seinen Schenkeln. Er machte sich nicht einmal die Mühe ihn zu bedecken.
Ihr Blick wanderte über die zahllosen Tätowierungen an seiner braun gebrannten Gestalt nach oben und blieb an den, tief in den Höhlen liegenden, Augen ihres Gespielen hängen. Die kurz geschorenen Haare, der kantige Schädel. Er hatte etwas von einem Höhlenmenschen. Vielleicht war es das, was sie angemacht hatte.
»Wie sieht’s aus, Lieutenant«, fragte er grinsend, »Hab ich deine Welt erschüttert?«
»Pah«, machte Aaliyah, »Nicht einmal ansatzweise. Oder seh‘ ich aus, als könnt‘ ich nicht mehr laufen?«
Sie deutete an ihrem Körper hinab und fühlte seinen Blick auf ihrer Haut. Unschwer war zu erkennen, dass Vega gefiel, was er sah. Denn sein kleiner Freund schien sich schon für eine weitere Nahkampflektion bereit machen zu wollen.
»Ziehen Sie sich an, Soldat«, sagte Dearing lachend und aktivierte den Bildschirm über ihrem Schreibtisch.
Eine große Uhr erschien auf dem Display. Sie lief nach Erdstandardzeit und zeigte 1125 vormittags.
»Um 1400 gibts eine Inspektion durch Captain Jaramago. Ich will bis dahin alles sauber und fertig zum Einsatz haben. Anzüge, Waffen, Munition, Ausrüstung, wirklich alles! Verstanden?«
Ächzend rollte sich Vega aus dem Bett und salutierte. Der nackte Mann wirkte dabei äußerst albern, doch die militärische Geste war auch nicht ganz ernst gemeint.
»Aye, aye, Lieutenant«, sagte er und griff nach der dünnen Stoffhose und dem Shirt, das er getragen hatte, als sie ihn zu sich bestellt hatte.
»Wegtreten«, meinte Dearing, ohne sich noch einmal umzusehen.
Kurz darauf hörte sie das leise Zischen der automatischen Tür und war wieder alleine in ihrem Zimmer.
Auf ihre Berührung hin wurde ein Abschnitt des großen Bildschirmes zu einem Spiegel, während daneben auf kleineren Teilen Einsatzberichte, Nachrichten und E-Mails angezeigt wurden.
Die Mendraner hatten sich offensichtlich bislang nicht von der frisch gestarteten Offensive erholt. Sie liefen davon wie die Hasen.
Endlich.
Noch zwei Jahre zuvor hatte es düster ausgesehen. Damals verloren die Menschen Schlacht um Schlacht. Aaliyah wurde von den Erinnerungen überwältigt. Wie jedes Mal, wenn sie an diese Zeit dachte.
Gefühle wallten in ihr auf, die sie nie ganz überwinden oder würde verdrängen können. Sie schluckte heftig, versuchte, nicht an die Vergangenheit zu denken, doch es war überwältigend.
Das Interkom blinkte auf der Multitouch-Oberfläche ihres Schreibtisches auf. Das altbekannte Surren übertönte auch die leisen Klänge der Musik, die aus dem Multifunktionsbildschirm drang und riss sie aus ihren Erinnerungen. Zurück blieb nur eine Gänsehaut.
Aaliyah wischte sich gedankenverloren die Stirn. Sie merkte, dass sie schwitzte und zitterte. Mit einem Kopfschütteln vertrieb sie die Bilder und fuhr mit der Hand über die Fläche. Eine dreidimensionale Projektion baute sich auf, frei schwebend, direkt auf der Tischplatte. Ohne darüber nachzudenken, berührte sie die Stelle für die Kamera, und deaktivierte sie damit, bevor sie das Gespräch annahm.
Der Spiegel wurde kurz schwarz, dann erschien ein hochauflösendes Videobild einer Frau darauf.
Dunkle, braune Augen, die im Zentrum eines hellbraunen Gesichtes, mit strengen Zügen saßen, schienen sie zu durchbohren. Doch Captain Conchita Jaramago konnte sie nicht sehen, das wusste Aaliyah.
»Lieutenant Dearing?«, fragte die Offizierin unverkennbar genervt, »Wo sind Sie?«
»Ich bin hier, Captain.«
»Ich seh Sie nicht. Machen Sie verdammt noch einmal die Kamera an, wenn ich mit Ihnen spreche!«
Mit einem leisen Brummen aktivierte Aaliyah die Bildwiedergabe, indem sie den entsprechenden Punkt in der Projektion berührte. In einem winzigen Fenster unterhalb des Gesichts von Captain Jaramago erschien ihr Bild.
Aaliyah hatte vergessen, dass sie nackt war. Aber das war ihr auch egal. Sie mochte ihren Körper. Ihr war durchaus bewusst, dass sie mit ihren roten Haaren, grünen Augen und der blassen Haut ein äußerst seltener Anblick war.
Dazu kamen die natürlichen, kleinen Brüste und die nicht völlig enthaarte Scham, was dem Trend ihrer Generation widersprach. Ähnlich wie ihre stark trainierten Muskeln. Das Gesicht wirkte ernst, wenn die Sommersprossen ihm auch etwas Verspieltes gaben. Dennoch sah sie viel älter als 18 Jahre aus.
»Scheiße sind Sie gerade aufgestanden?«, fragte Jaramago naserümpfend.
Der Captain war nur zwei Jahre älter als Dearing, aber sie mochte die Kommandantin der kleinen Marineeingreiftruppe ihres Schiffes nicht. Dessen war sich Aaliyah bewusst. Die beiden Frauen würden niemals Freunde werden, doch das war bestimmt kein großer Verlust.
Dennoch gab es zwischen den Frauen einige Gemeinsamkeiten. Sie waren jung und hungrig. Der Krieg förderte steile Karrieren und sie waren schnell in der Hierarchie nach oben geklettert. Beide hatten sich den Respekt der Untergebenen durch ihre Kampfkraft gesichert.
Jaramago besaß einen Abschluss an der Militärakademie. Aufgrund der Kriegslage war die Ausbildung gestrafft und verkürzt worden. Innerhalb kürzester Zeit war sie im Kampfeinsatz vom Lieutenant zum Captain aufgestiegen und hatte nun den Befehl über den schweren Kreuzer SAS Dieppe erhalten.
Das Examen der Akademie war es, was das Klima zwischen den beiden Frauen vergiftete. Denn Aaliyah hatte nicht nur keine Qualifikation, die ihren militärischen Rang rechtfertigte, sie hatte sogar die Grundausbildung abgebrochen und war von der Truppe geflohen. Kein ehrenhafter Zug für einen Soldaten.
»Könnte man so sagen«, versetzte die Rothaarige kühl.
»Hören Sie, es ist mir, egal ob Sie sich einmal quer durchs Schiff vögeln, solange Sie bereit sind, wenn ich es befehle.«
»Aye, Captain.«
»Es sind Ihre Männer, die den Respekt vor Ihnen verlieren. Es sind Ihre Bindungen, die zu tief werden, um im Einsatz die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Sie machen sich angreifbar. Und die Erde kann sich keine Fehlschläge leisten«, donnerte Jaramago.
»Scheiße, das weiß ich, Captain«, antwortete Aaliyah Dearing gelassen und blickte auf die Tischplatte hinab.
Die dreidimensionale Struktur hatte sich verändert. Ein Schachbrett war entstanden. Sie spielte seit ein paar Tagen eine Partie mit dem Captain und stellte sich nicht als so leichter Gegner heraus, wie diese sich das wohl gewünscht hatte.
Aaliyah tippte einen Springer an und schickten ihn über das Feld. Jaramago war in die Falle getappt, für die sie Züge zuvor ihre Dame und ihren Turm geopfert hatte.
»Schachmatt«, sagte sie gelangweilt.
»Was zum …?«
Die Rothaarige konnte erkennen, wie ihre Gesprächspartnerin erbleichte. Sie blickte nach unten auf ihr Brett. Schnell hatte sie die Situation erfasst und stieß einen verhaltenen Fluch aus.
Es kostete Aaliyah einiges an Anstrengung, nicht zu lachen. Captain Jaramago wusste nicht, dass sie Jugendmarsmeisterin im Schach gewesen war. Und das musste sie auch nicht erfahren.
»Haben Sie mich nur angerufen, um zu verlieren?«, neckte sie, als ihr Gegenüber sich nicht mehr zu Wort meldete.
»Was?«, fragte der Captain verwirrt, doch schien sie sich zu erinnern, dass sie noch immer mit jemandem sprach, »Nein, der Einsatz wurde vorverlegt. Alles verschiebt sich um eine Stunde nach vorne. Ich bin also um 1300 bei Ihren Soldaten. Ich erwarte, dass ich nichts zu beanstanden habe.«
Ohne Abschied trennte sie die Verbindung. Zurück blieb Aaliyah, die wutentbrannt mit den Augen rollte.
Schließlich schaltete sie den Multifunktionsbildschirm aus, zog ihre Sportsachen über und nahm ihre Tasche. Die Tür reagierte auf ihre Annäherung und öffnete sich automatisch.
Die Gänge des Raumschiffes hatten viel von einem Kreuzfahrtschiff. Die Wände waren mit Kunstholz verkleidet. Das Licht war immer etwas gedimmt, die einzelnen Türen gut erkennbar.
Sie befand sich auf dem untersten Deck, auf dem es noch Kabinen gab. Unter ihr waren die Lagerräume, Maschinen sowie die Aufenthalts- und Schlafräume der einfachen Matrosen und Marines.
Auf dem Deck gab es ein Kino, eine Bar, außerdem einen Fitnessraum, eine Sporthalle und fünf Ehekabinen.
Wie immer leuchtete dort eine rote Lampe über der Tür, als sie vorbeikam. Aaliyah war froh, dass sie ihren eigenen Raum hatte. Vor den Ehekabinen, auch Bumsgrotten, Fickstübchen oder Beischlafzellen genannt, herrschte immer Gedränge. Oft musste man lange warten, ehe man einen der kurzen und seltenen Momente der Zweisamkeit genießen konnte. So war das alles viel einfacher.
Sie nahm die Abzweigung, an der der Fitnessraum angeschrieben war und trat durch die sich öffnende, automatische Tür.
Der typische Geruch von Schweiß, Eisen und Leder empfing sie. Nur ein paar Crewmitglieder hatten zurzeit dienstfrei und die meisten im Raum waren Soldaten ihrer Einheit.
Der Fitnessraum war eine der wenigen Örtlichkeiten, wo man sich beim Erscheinen eines kommandierenden Offiziers nicht erheben musste und wo die militärischen Umgangsformen nur Nebensache waren.
Allerdings war Aaliyah nie besonders erpicht darauf gewesen, stets mit der mit ihr zustehenden militärischen Ehre behandelt zu werden. So sah sie ihren Männern und Frauen das auch gerne nach.
»Lieutenant«, grüßte sie Grigori Elkov und Aaliyah nickte ihm zu.
Der kleine Russe war beinahe so bleich wie sie, doch seine dunklen Haare standen im krassen Gegensatz zu ihren roten.
Er hatte sich über die Hantel gebeugt und unterstützte Claudia di Stefano, die gerade, mit unzähligen Scheiben auf jeder Seite, Bankdrückübungen machte.
Dahinter stand Stefanie Putz vor einem Spiegel und trainierte mit einer Langhantel Kreuzheben. Dem zierlichen Körper der Deutschen hätte man kaum zugetraut, dass sie ein derartiges Gewicht würde stemmen können, doch sie schaffte das ohne Probleme.
Aaliyah wärmte sich auf und wollte mit ihren Übungen beginnen, als ihr das Gespräch mit Jaramago in den Sinn kam. Sie ging zurück zur Tür und aktivierte eine der Konsolen dort. Sie verband sich mit ihrem versteckt im Ohr getragenen Kommunikator und wählte dann die Kommunikatoren ihre Soldaten aus.
Egal wo sie gerade auf dem Schiff waren und was sie taten. Sie würden die nächste Durchsage hören können und mussten sie auch bestätigen.
»Achtung an alle. Einsatz wurde um eine Stunde vorverlegt. Inspektion durch den Captain nun um 1300. Ich erwarte, dass sie nichts findet.«
Sie deaktivierte die Verbindung und blickte auf das Display. Mit einem leichten Druck von außen an den Kommunikator sendeten ihre Soldaten ein Signal zurück, dass sie die Nachricht erhalten und verstanden hatten. Schließlich war auch die letzte Bestätigung eingetroffen.
Die Uhr zeigte 1145. Ein kurzes Training würde sich noch ausgehen, doch nicht zu viel, denn um spätestens 1230 wollte sie wieder in ihrer Kabine sein.
Aaliyah Dearing spulte ihre Übungen lustlos herunter. Es wurde Zeit, die Gewichte zu erhöhen. Ihre Muskeln hatten sich zu gut daran gewöhnt.
Überraschend schnell war sie damit fertig geworden und verließ den Fitnessraum in Richtung der Duschen.
Natürlich hatte sie ihre eigene Nasszelle und hätte sich auch dort ungestört waschen können, doch sie mochte die Atmosphäre des Duschraumes mit den zehn Duschköpfen. Im Vorraum zog sie sich aus und betrat den mit weißen Fliesen ausgestatteten Raum.
Stefanie Putz und Grigori Elkov standen bereits unter den heißen Wasserstrahlen, während Claudia di Stefano vorsichtig mit ihrer Hand die Wärme testete.
»Alle fit und bereit?«, fragte Aaliyah als sie sich zwischen Claudia und einen anderen Mann stellte, den sie nicht kannte.
»Aye«, antworteten ihre Untergebenen wie aus einem Mund.
»Grigori, wie ich gesehen habe, hat Ihnen Claudia die Show gestohlen. Beim Bankdrücken müssen Sie noch etwas zulegen.«
»Wissen Sie, Lieutenant«, antwortete der Russe, »Wenn man ständig abgelenkt wird, dann ist das nicht so einfach.«
»Du solltest weniger mit deinem kleinen Freund denken«, mischte sich Claudia di Stefano lachend ein, »Sondern dich ein bisschen besser konzentrieren.«
»Ich finde, er ist immer ganz gut konzentriert. Und so klein ist sein Freund nicht«, grinste Stefanie Putz und gab dem Soldaten einen spielerischen Klaps auf den Hintern.
»Oho«, machte Aaliyah.
»Wie man hört, mögen Sie’s auch gern groß. Oder wie ist das mit Vega?«, fragte die Italienerin an Dearing gewandt.
»Gibt Größere«, antwortete die und betrachtete die Frau neben sich.
Claudia di Stefano hätte ein Model sein können. Ihr großer, schlanker Körper, die dunklen Haare, die perfekte Haut, die wunderbare Figur. Was nicht wirklich dazu passte, waren die kräftig definierten Oberarme und das Sixpack am Bauch.
Anstatt ihr Geld mit Fotoshootings zu verdienen, hatte sie sich für eine Militärlaufbahn entschieden. Allerdings war sie aus dem Unteroffizierskurs geflogen, nachdem sie einen Ausbilder geschlagen hatte, der sich ihr unsittlich genähert hatte.
Damals wusste noch niemand, dass sie mit Männern nichts anfangen konnte und, dass sie auf Frauen stand. Doch Aaliyah gegenüber hatte sie sich geoutet und seither war es nie wieder ein Thema.
Dearings Vergangenheit verschafften ihr eine Sonderstellung, in der sie viel tun konnte, was normalerweise nicht möglich gewesen wäre. So hatte sie ihr Platoon selbst zusammengestellt. Tagelang saß sie über Dossiers und Einsatzbewertungen, bis sie schließlich ihre Männer und Frauen zusammen hatte.
Claudia di Stefano war eine der Ersten, die sie angeheuert hatte. Sie mochte die forsche Italienerin. Eigentlich konnte sie jeden ihrer Truppe gut leiden. Das war üblicherweise auch der Grund, sie anzuheuern.
Aaliyah Dearing hatte auf dem Mars gelernt, wie wichtig Vertrauen war und wie sehr man in diesem Krieg Kameraden brauchte, denen man solches bedingungslos schenken konnte und die für einen durchs Feuer gingen.
»Größere also?«, lachte Stefanie Putz, »Dann muss ich ihn wohl nicht ausprobieren.«
»Dir werd ich’s zeigen«, knurrte Grigori und packte die Deutsche um die Hüften.
Die quietschte vor Vergnügen.
»Fuck, geht in eine Bumsgrotte, wenn es sein muss, aber nicht hier. Und nicht wieder im Bett über mir«, schimpfte die Italienerin und brachte Dearing damit zum Lachen.
»Gebt mal ein bisschen Gas Leute, wir haben nur noch eine halbe Stunde bis zur Begutachtung«, sagte die und stellte das Wasser ab.
Widerwillig folgten ihr die anderen drei hinaus in den Vorraum, um sich abzutrocknen. Grigori und Stefanie beeilten sich. Vermutlich waren deren Sachen nicht so instand gesetzt, wie Dearing das erwartete, und sie musste noch etwas nachbessern. Claudia di Stefano ließ sich Zeit.
»Sie wirken sehr sicher. Also alles erledigt für die Inspektion?«, meinte Dearing schließlich, als sie die Stille nicht mehr ertrug.
»Sie kennen mich doch, Lieutenant. Immer bereit, immer perfekt.«
»Das stimmt allerdings.«
»Also, das mit Ihnen und Vega. Ist das was Ernstes?«
Aaliyah war über die Frage nicht verwundert. Sie pflegte ein sehr offenes Verhältnis zu ihren Soldaten und war auch bereit über private Dinge zu sprechen.
»Nicht wirklich«, sagte sie deshalb gerade heraus, »Sie wissen ja, wie das ist. Manchmal will man ein bisschen Dampf ablassen und dafür ist Vega gut geeignet.«
»Oh ja, ich verstehe Sie gut. Hab schon seit Monaten keinen Dampf mehr abgelassen«, seufzte die Italienerin.
»Scheiße, würd‘ ich nicht überleben.«
»Ich muss. Ich meine, Männer gibts hier im Überfluss, aber Frauen. Besonders Frauen, die sich für Frauen interessieren.«
Aaliyah war kurz in Gedanken versunken und antwortete dann schlicht: »Vielleicht kann ich Ihnen ja mal dabei helfen, Dampf abzubauen.«
»Was?«, fragte Claudia di Stefano überrascht, »Sie? Sorry, ich wusste nicht, dass Sie auf Frauen stehen.«
»Naja, ich bin nicht auf Männer fixiert, wenn sie das meinen. Aber wenn ich ehrlich bin, dann drückt Vega meine Knöpfe nicht so, wie ich mir das vorstelle. Also hab ich noch immer Druck, der abgelassen werden will. Mal abgesehen davon weiß ich bereits, wie gut das Frauen können. Hatte auf dem Mars was mit einer Kampfkollegin. War scheiße, als sie von der Granate erwischt wurde. Hatte sie echt gerne.«
Sie konnte die Überraschung im Gesicht ihres Gegenübers erkennen. Damit hatte die wohl nicht gerechnet.
»Wow«, sagte sie nur.
»Das heißt, wenn ich überhaupt Ihr Typ bin. Oder Sie mich attraktiv finden. Ich für meinen Teil finde Sie sehr attraktiv, das muss ich zugeben.«
»Nein, mein Typ nicht wirklich. Ich mag’s lieber größer und dunkler. Doch attraktiv, auf jeden Fall. Vielleicht könnten wir uns ja einmal auf einen Drink treffen. Ich meine nach dem Einsatz.«
»Gerne«, meinte Aaliyah Dearing und sah auf die Uhr.
Es war schon beinahe 12:30. Sie mussten sich langsam beeilen.
»Aber jetzt gehts erst einmal in den Krieg«, sagte sie, »Machen Sie sich fertig Soldat. Der Feind wartet.«
»Achtung! Captain an Deck«, brüllte Vega und die Soldaten nahmen, egal wo sie sich gerade befanden, Haltung an.
»Rühren«, meinte Captain Conchita Jaramago ruhig und blickte sich um.
Der große Raum mit den Stockbetten und den schmalen Spinden war so sauber, dass man vom Fußboden hätte essen können. Sie würde nichts finden. Nicht bei dieser Inspektion und auch bei keiner weiteren. Das musste sie Dearing lassen, sie hatte ihre Untergebenen wirklich im Griff.
Lustlos sah sie sich die Betten und Schränke an. Makellos. Es war frustrierend. Nach kurzer Kontrolle wandte sie sich an Lieutenant Dearing, die sich immer in ihrer Nähe aufgehalten hatte.
Inspektionen durch den Captain persönlich waren nicht an der Tagesordnung. Doch die Spezialtruppe unterstand ihrem direkten Befehl und so fühlte sich Jaramago für sie verantwortlich.
»Lieutenant ist Ihre Truppe einsatzbereit?«
»Natürlich Captain, jederzeit.«
»Wir werden in zwei Stunden den Jupitermond Europa erreichen. Die Elevan sind bereits zum Angriff übergegangen. Ihr Team wird über einer kleinen Mine abgesetzt. Ziel ist die Sicherung des Bergwerks und der dort von den Mendranern aufgestellten Orbitalverteidigung.
Seien Sie sich bewusst, dass die Anlage sowohl für uns als auch für den Feind von strategischer Bedeutung ist. Die Kanonen könnten unseren Schiffen gefährlich werden, wenn wir uns dem Mond nähern. Daher werden Sie in einer Stunde mit Shuttles ausgebootet und über dem Zielgebiet abgeworfen.
Lieutenant.«
Sie nickte Dearing zu.
»Ihr habt den Captain gehört. Fertigmachen zum Einsatz!«, brüllte die und folgte Jaramago hinaus.
»Sie werden noch die Details zum Einsatzort und Profil erhalten«, meinte der Captain, als sie den Lift zur Kommandozentrale bestieg.
»Scheiße, warum werden wir zur Sicherung dieser Mine herangezogen? Was gibt es dort? Warum hat man keine Elevan hingeschickt.«
»Sie wissen so gut wie ich, dass man diesen genetisch verpfuschten Freaks nicht trauen kann. Ich mag Sie nicht, Dearing. Allerdings habe ich da unten lieber jemanden, den ich nicht mag, aber von dem ich weiß, dass er meine Befehle ausführt, als eine Bande Elevan, die am Schluss noch auf die Idee kommt, uns zu beschießen.«
»Die Überlegung hat was verlockendes«, murmelte Dearing.
»Treiben Sie es nicht zu weit!«, fuhr Jaramago sie an, »Nur weil Sie so etwas wie in Held sind, bleiben Sie für mich noch immer eine Schande für diese Uniform!«
»Diesen Standpunkt haben Sie mir schon des Öfteren klargemacht.«
»Nach diesem Einsatz werde ich mich darum bemühen, Sie und Ihre Leute auf ein anderes Schiff versetzen zu lassen. Vielleicht bekommen sie ja ein eigenes Kommando. Wäre nicht die erste verzweifelte Entscheidung in diesem Krieg.«
»Fuck, das nehm‘ ich als Kompliment«, meinte Dearing grinsend und machte den Captain damit rasend vor Wut.
Doch sie beherrschte sich. Wenn alles gut ging, würde sie sich nicht mehr lange mit dieser dahergelaufenen Schlampe auseinandersetzen müssen.
Ein Techniker umkreiste Aaliyah Dearing ein letztes Mal. Er hatte den Kampfanzug überprüft und bedeutete ihr nun, dass er einsatzfähig sei.
Wie immer machte der Lieutenant einige Sprünge und Bewegungen um sich davon zu überzeugen. Die Anzüge sahen aus wie klobige Roboter, in die man einen Menschen hineingezwängt hatte. Sie waren breit, schwer und langsam, dafür auch stark gepanzert, besaßen einen eigenen Energieschild und sicherten das Überleben in so gut wie jeder Umgebung.
Auf Aaliyahs Brust prangte ein großer, weißer Stern, der sich von der dunkelgrauen Grundfarbe des Anzuges abhob.
Es war immer wieder schwierig, in das Exoskelett hineinzukommen. Motoren verstärkten ihre Bewegungen, ermöglichten weite und hohe Sprünge, oder auch schnelle Sprints.
Der Kampfanzug war außerdem mit Düsen ausgestattet, die kurze Flüge möglich machten und nach dem Abwurf in der oberen Atmosphäre den Fall auf ein Maß bremsten, dass der Träger den Aufprall unbeschadet überstand.
»Auf gehts, machen wir uns nützlich«, sagte Dearing in ihr Mikrofon und wusste, dass jeder um sie herum es hören könnte.
»Aye«, scholl es zurück.
Der Einstieg in die Ladeluke des Shuttles war mit den schweren Anzügen ein Geduldsspiel. Sie wurden in die Halterungen eingeklinkt und verbanden sich mit dem System des kleinen Schiffes. Nach einigen Minuten war das Prozedere erledigt.
Die Luke schloss sich und Dunkelheit umfing die Soldaten. Doch nur kurz, ehe kaltes Licht aufflackerte, das die Farbe und Helligkeit der zu erwartenden Umgebung simulierte.
Vom Start und Flug bekamen sie nichts mit. Nur Dearing wusste ungefähr, wo sie sich befanden, da sie im Funk der Piloten mithörte. Deshalb überraschte sie auch nicht das Signal zum Abwurf.
Das schrille Piepen, gefolgt vom blinkenden Rotlicht signalisierte eine Minute bis zum Einsatz. Beim zweiten Ton waren es noch zehn Sekunden.
Aaliyah Dearing verschränkte die Hände vor der Brust, wie sie es während der Ausbildung gelernt hatte. Ein leises Zischen war zu hören, als die Atemluft aus dem Raum abgesaugt und die Verbindung mit dem Schiff getrennt wurde.
Der Boden unter ihnen öffnete sich. Von der Oberfläche war noch nichts zu erkennen. Als die Klappen völlig geöffnet waren, hörten sie ein metallisches Klicken. Doch als der Kopf das wahrgenommen hatte, befanden sie sich bereits im freien Fall durch die dünne Atmosphäre.
Die Anzüge steuerten automatisch die Landezone an und korrigierten den Sturz wenn notwendig.
Rasend schnell kam die helle Mondoberfläche näher. Sie bestand aus Eis, das wusste Dearing noch aus der Missionsbesprechung. Das Ziel lag allerdings in einem felsigen Gebiet. Hier hatte sich ein fremder Himmelskörper in den Eispanzer gebohrt und dessen Bodenschätze wurden von der Mine ausgebeutet.
Es gab eine kleine Kuppel, in der sich eine Farm zur Versorgung, sowie die Wohnhäuser der Arbeiter befanden. Während ihrer Schichten befanden sie sich alleine dort. Die Familien wohnten in der Kolonie, auf der anderen Seite des Mondes.
Kurz hatte Aaliyah das Sicherungsfeld der Siedlung gesehen, ehe sie hinter dem Horizont verschwunden war. Hier lebten beinahe 20.000 Menschen. Sie arbeiteten in Werften, im Bergbau oder verdienten sich als Techniker auf den Stationen im Zwischenraum. Sie befanden sich nun in der Gewalt der Mendraner.
Ein Ruck ging durch den Anzug, als die Düsen zündeten und ihn abbremsten. Augenblicke später schlug Aaliyah Dearing auf einer großen Fläche aus gehärtetem Spezialbeton auf, die man für Raumschiffstarts und Landungen angelegt hatte.
Hier unter der allumspannenden Energiekuppel gab es eine atembare Atmosphäre und angenehme Temperaturen. Doch gegen Beschuss oder Ähnliches bot sie keinen Schutz.
Aus der knienden Position, die der Kampfanzug automatisch einnahm, wenn er aufschlug, richtete sie sich auf und griff über die Schulter zum Rückentornister. Obwohl es möglich gewesen wäre, würde Aaliyah den Helm vorerst nicht öffnen. Es war zu gefährlich.
Die sich nähernde Hand öffnete eine Klappe und das schwere Sturmgewehr hob sich etwas hervor, sodass Aaliyah es besser greifen konnte. Sie zog es heraus und schob die mechanische Verriegelung zur Seite. Das Gewehr war nun scharf.
Auf ihre Berührung hin würde sie einen Gegner mit Kugeln eindecken, die von den Elektromagneten so stark beschleunigt wurden, dass sie Mündungsgeschwindigkeit konventioneller Rohrwaffen von zwei Kilometern pro Sekunde quasi pulverisierten. Bis zu 30 Kilometer pro Sekunde erreichten diese Waffen, was den Projektilen extreme Durchschlagskraft gab.
Um sie herum schlugen ihre Kameraden auf. Die Männer und Frauen waren die Besten, die sie hatte finden können. Auf jeden davon konnte sie sich verlassen. Jedem würde sie ihr Leben anvertrauen.
Am Ende der Landepiste gab es einen breiten Steg, der zu einem großen Tor führte, das den Zugang in das graue Felsgestein ermöglichte. Aaliyah setzte sich in Bewegung und ihre Soldaten folgten ihr. Sie hatten die Landezone noch nicht gesichert, als sich das Tor öffnete.
Es erschienen mehrere dunkle Umrisse und Augenblicke später surrten Geschosse durch die Luft.
»Deckung«, rief Dearing, deren Schild gleich von mehreren Schüssen getroffen wurde und aufleuchtete.
Sie sprang, soweit sie konnte, und eröffnete noch im Flug das Feuer auf die Verteidiger. Sofort fielen zwei getroffen zu Boden, während sich der Rest zurückzog und das Tor verriegelte. Das Gefecht hatte nur Augenblicke gedauert, allerdings war der Feind nun gewarnt.
»Scheiße. Die waren völlig überrascht. Hatten noch nicht einmal Schilde aktiviert und trugen keine Kampfanzüge«, meinte Vega und stapfte an ihr vorüber.
»Dafür wissen sie jetzt, dass wir hier sind. Also los, Tür aufmachen, wir gehen rein«, befahl Aaliyah Dearing.
Zwei Soldaten hetzten an ihr vorbei und versuchten, die Tür zu öffnen. Doch die Elektronik war verriegelt. Sie zu hacken würde einige Zeit dauern. Dearing blickte auf die Uhr ihres Anzuges. Sie lagen bereits jetzt eine Minute hinter dem Zeitplan.
»Scheiße«, fluchte sie, »Aufsprengen.«
»Aye«, antwortete Claudia di Stefano und stürmte mit stampfenden Schritten an ihnen vorüber zur Tür.
Sie war die Sprengstoffspezialistin und würde das Tor in zehn Sekunden geöffnet haben.
Der dumpfe Knall ließ Aaliyah Dearing kurz zusammenzucken, ehe sie die Waffe nach vorne richtete und wartete, während sich die Flügel des Tores langsam öffneten.
Schüsse peitschten. Die Soldaten feuerten zurück. Aaliyah rückte vor. Kugeln trafen den Energieschild, aber bislang prallten sie an ihr ab, als würde der Feind mit Kieselsteinen werfen. Doch sie musste aufpassen. Der Schild würde schwächer werden und irgendwann überlasten. Dann war sie so gut wie ungeschützt.
Auf dem Boden lag eine Leiche. Ein Mendraner. Seine Zunge hing zwischen den vier dominanten Reißzähnen seines Mauls hervor und hatte sich blau verfärbt. Das katzenartige Gesicht, mit den eng anliegenden, langen Ohren war fahl. Die Mendraner wirkten wirklich wie Katzen, die gelernt hatten, aufrecht zu gehen. Abgesehen davon, dass ihnen der Schwanz fehlte, war sonst alles da.
Die Körper waren von einem Fell überzogen, dessen Farb- und Mustervielfalt denen der irdischen Felidae entsprach. Doch das war nur äußerlich. Sie ähnelten Menschen mehr, als man ihnen auf den ersten Blick ansah. So war der Körperbau sehr ähnlich und auch die Lebensdaten wie erreichbares Alter, Größe oder Gewicht waren beinahe gleich. Sie benötigten eine vergleichbare Luftzusammensetzung und ihre lebenswichtigen Organe befanden sich an den selben Stellen wie bei Menschen.
Aaliyah hatte sich intensiv mit dem Gegner beschäftig. Auf dem Mars war solches Wissen Gold wert gewesen. So hatte sie auch gelernt, die Sprache des Feindes zu verstehen und seine Computersysteme zu benutzen.
Eine laute Explosion riss sie aus ihren Gedanken und von den Füßen. Der Anzug gab einen Warnton von sich, während sie auf dem Boden aufschlug. Die Anzeige des Energieschildes blinkte. Es war ausgefallen.
Im Funk war plötzlich die Hölle los. Sie hörte Schreie und Flüche, doch was geschah, konnte sie nicht erahnen.
Sofort kam Aaliyah wieder auf die Beine und konnte eine Rakete erkennen, die über sie hinweg zischte und irgendwo hinter ihr einschlug.
»Ruhe, verdammt«, brüllte sie in ihr Mikrofon, »Putz, schalten Sie den verschissenen Schützen aus.«
»Aye«, kam die Bestätigung der Scharfschützin.
Eine kurze Pause trat ein und Aaliyah überblickte die Situation. Drei gegnerische Soldaten hatten sich bei einigen Containern verschanzt, die vermutlich Erz aus der Mine enthielten.
Die Halle dahinter erstreckte sich mehrere Hundert Meter tief in den Felsen hinein. Sie war mit Minenfahrzeugen, Frachtcontainern und unzähligen Kisten vollgestellt. Links, etwa einhundert Meter dahinter, führte ein weiteres Tor wieder nach draußen. Hier konnte Aaliyah einen Schimmer erkennen, der farblich nicht zu dem sonstigen elektrischen Licht passte. War das Tor geöffnet?
Sie sprang aus ihrer Deckung hinter einer Versorgungskiste und lief los. Der Anzug surrte, während die Anzeige vermeldete, dass der Körperschild wieder zu 50 % einsatzbereit war.
Zwei der Mendraner erhoben sich beinahe gleichzeitig und eröffneten das Feuer, doch ihre Schüsse waren ungezielt. Sie waren vom plötzlichen Ansturm überrascht. Dearing feuerte. Sie konnte die Funken der Kugeln sehen, die das Metall der Container durchschlugen. Die Verteidiger wurden getroffen. Ihre Schilde hielten den Treffern nicht lange stand und als Aaliyah das bläuliche Flimmern um die Körper erkannte, zerfetzten die ersten Projektile bereits die Körperpanzer und drangen in das Fleisch ihrer Gegner. Wie Puppen fielen sie in sich zusammen und rührten sich nicht mehr.
Der dritte Feind kippte seitlich aus seiner Deckung. Einige Augenblicke später holte der Schall die Wirkung des Geschosses ein. Ein lauter Knall zerriss die Luft. Anders als die der Sturmgewehre.
»Guter Schuss Putz. Dafür dürfen Sie uns heute einen ausgeben«, meinte Dearing anerkennend.
Sie deutete zwei umstehenden Soldaten, dass sie die Stelle sichern sollten, und blickte sich um. Auf dem Boden lag jemand in einem schweren Kampfanzug.
»Wie sieht’s aus, Doc?«, fragte Aaliyah Grigori Elkov, der sich über den Mann gebeugt hatte.
»Zu spät«, seufzte der, »Leider. War ein Volltreffer. Die Hälfte seines Gesichtes fehlt.«
»Bringt ihn zum Sammelpunkt«, befahl Dearing ruhig.
Innerlich sah es anders aus. Vor ihr lag Vega. Zumindest war es bis vor kurzem noch Vega gewesen. Vor ein paar Stunden noch hatten sie sich vergnügt. Nun war er tot und würde nie wieder auf ihre Anrufe antworten.
»Alles klar?«, fragte Claudia di Stefano von der Seite.
Das Display im Helm zeigte, dass sie mit ihr über eine private Frequenz sprach, und nicht auf der allgemeinen Frequenz.
»Ja«, antwortete Aaliyah und wunderte sich darüber, wie schwach ihre Stimme klang.
»Wenn Sie wen zum Reden brauchen, rufen Sie mich an.«
»Danke.«
Damit schaltete sie den Kanal ab und gab ihre Befehle.
»Sichert die Halle und sucht nach den Arbeitern. Wir wissen nicht, wie viele Feinde es noch gibt. Dass es nur fünf wären, fände ich seltsam, also passt auf. Immer in Zweierteams.
Di Stefano, Sie kommen mit mir. Wir sehen uns mal die Kanonen an.«
Wütend legte sie ihre Waffe über die Schulter und lief die hundert Meter bis zum hinteren Tor. Es war tatsächlich geöffnet und gab den Blick auf eine weitere Landeplattform frei. Zwischen ihr und der, auf der sie gelandet waren, erstreckte sich die Flanke des Felsens, ebenso wie an der anderen Seite. Eingebettet in dieses kleine Tal stand ein mächtiges Geschütz, das beinahe die gesamte Plattform einnahm. Die vier Rohre zeigten drohend zum Himmel.
Laut keuchend berührte Aaliyah den Knopf an ihrem Helm und er öffnete sich. Leise summend sank er nach unten und erleichtert konnte sie die frische Luft der Anlage atmen.
»Putz und Elkov sichern Sie die Landezone. Wenn jemand mit einem Shuttle runter will, dann geht das nur dort«, funkte Dearing und näherte sich der Kanone, die in diesem Moment erwachte.
»Scheiße«, stöhnte di Stefano neben ihr.
»Die Schiffe sind wohl in Reichweite«, stellte Aaliyah fest, »Ich brauche hier einen Hacker. Wir müssen die Steuerung lahmlegen.«
Ihre letzten Worte gingen beinahe im lauten Donnern der Geschütze unter.
»Lieutenant«, hörte sie schließlich, als die ersten Schüsse verklungen waren, »Wir haben hier Zivilisten gefunden.«
»Wo?«, fragte Dearing ungläubig.
»In einem der Minentunnel. Etwa zweihundert Menschen. Männer, Frauen und Kinder.«
»Scheiße! Evakuieren Sie die Personen zur Landezone. Putz rufen Sie mir Shuttles, sie müssen die Leute hier rausholen.«
»Aye«, kam von beiden Gesprächspartnern zurück.
»Lieutenant Dearing, das Geschütz feuert noch!«, hörte sie im selben Moment die wütende Stimme von Captain Jaramago.
»Machen Sie sich nicht in Ihr Seidenhöschen, wir sind bereits dran«, antwortete Aaliyah gereizt.
Ein Hacker hatte damit begonnen sich in das System des Geschützes einzuloggen, als dieses ein weiteres Mal schoss.
»Scheiße! Beeilen Sie sich Dearing! Die London wurde gerade getroffen. Ging glatt durch die Schilde«, fuhr Jaramago sie an.
»Wie sieht es aus?«, fragte Dearing den Techniker, der im gleichen Moment seinen Daumen nach oben streckte.
»Geschütz in unserer Gewalt«, meldete sie daher an Jaramago.
»Wurde auch Zeit.«
»Wir sind zwei Minuten vor Plan damit fertig, sie waren zu früh!«, zischte Dearing.
»Sie stehen doch auf Druck.«
»Wo bleiben die Shuttles zur Evakuierung der Zivilisten.«
»Zivilisten?«, wollte der Captain wissen, »Welche Zivilisten?«
»Hier befinden sich mehrere Hundert Zivilisten. Shuttles wurden bereits angefordert.«
»Keine unserer Shuttles.«
»Putz, mit wem hatten Sie wegen der Shuttles Kontakt?«, fragte Aaliyah bei ihrer Scharfschützin nach.
»Mit einem Funker der SAS Unicorn. Sie sind bereits auf dem Weg. Die ersten Zivilisten treffen ein. Bisher keine weiteren Feindkontakte.«
»Haben Sie gehört, Jaramago? Alles unter Kontrolle. Di Stefano gehen Sie zurück zur Landezone und schicken Sie mir auf dem Weg vier Mann zur Sicherung des Geschützes.«
»Aye«, antwortete die Italienerin und verschwand wieder im Inneren der Mine.
Die Kanone bewegte sich und veränderte die Neigung. Kurz darauf feuerte sie selbstständig.
»Scheiße, worauf schießt das Ding?«, fragte Dearing erschrocken, konnte dann jedoch selbst das Luftfahrzeug erkennen, das brennend auf den Mond stürzte.
Bevor sie etwas sagen konnte, meldete sich Elkov: »Lieutenant, wir kriegen Besuch.«
Das Geschütz lud sich noch auf, doch bald würde es ein weiteres Mal schießen und hoffentlich ein anderes feindliches Fluggerät vom Himmel holen.
»Verteidigungsstellung in der Landezone einrichten. Sie dürfen nicht landen. Wo sind die Transfershuttles?«, rief Dearing in ihr Mikrofon und begann zu laufen.
»Shuttle Nummer eins landet gerade, Lieutenant«, sagte Stefanie Putz.
»Stopfen Sie so viele der Zivilisten wie nur möglich rein.«
Sie erreichte den Landeplatz, als sich die Tore des Transporters wieder schlossen. Auf der großen Fläche hatten sich ganze Familien versammelt, als die ersten Schüsse fielen.
Ein Jäger brauste im Tiefflug heran und feuerte auf die Menge, doch dem konzentrierten Feuer der Verteidiger war er nicht gewachsen. Das fischähnliche Fluggerät kippte zur Seite und steuerte knapp vor der Landezone in den Boden.
Die Explosion war heftig und riss viele Menschen von den Beinen. Ein zweites Jagdshuttle wurde von dem Geschütz im letzten Moment vom Himmel gefegt.
Plötzlich wimmelte es in der Luft von Flugzeugen. Da waren Jäger und unzählige Shuttles, aus denen Massen von Soldaten außerhalb des Schirms absprangen und sich ihnen näherten. Neuerlich setzte ein Shuttle der SAS Unicorn zur Landung an und öffnete seine Türen.
Die Zivilisten stürmten darauf zu und drängten hinein. Einige blieben zurück. Auf dem Boden lagen mehrere Tote. Doch nicht viele, wenn man die Menge an Menschen bedachte, die sich gerade noch hier auf dem Platz gedrängt hatte.
Ein weiteres Shuttle landete und bot nun genug Raum, um auch den Rest der Leute aufzunehmen.
Aaliyah ging hinter der Umrandung der Landefläche in Deckung und zielte mit ihrem Gewehr. Erste Kugeln fanden ihr Ziel, aber der Feind war ihnen zahlmäßig überlegen.
»Alle Mann zum Landeplatz. Zum Abrücken vorbereiten. Das Geschütz umprogrammieren, damit es sich selbst zerstört, wenn wir die Kontrolle darüber verlieren«, befahl sie und feuerte.
Das letzte Shuttle mit Zivilisten hob ab und ein weiteres flog herein. Die ersten Marines betraten das Fluggerät und nahmen dabei ihren gefallenen Kameraden und die Toten mit.
Der Feind war mittlerweile so nahe, dass die Schüsse Wirkung zeigten. Di Stefano wurde getroffen, als sie in das Shuttle hechtete, das nun nicht mehr gelandet war, sondern über der Landezone schwebte. Zum Glück verhinderte die Panzerung Schlimmeres.
»Alle an Bord?«, fragte Aaliyah, ehe sie ihre Deckung verließ.
Mit Dauerfeuer deckte sie ihren Rückzug, als sie sich langsam, rückwärtsgehend, dem Fluggerät näherte.
Schließlich drehte sich Dearing um und sprang. Die Düsen, des Anzugs, gaben ihr genug Schub, um bis zum Shuttle zu springen. Doch im Flug wurde sie getroffen. Der Schild fiel aus und die Schüsse durchschlugen ihre Panzerung. Brennender Schmerz durchzuckte sie, während der Kampfanzug an Kraft verlor und zurück auf die Landeplattform stürzte.
»Lieutenant!«, hörte sie jemanden rufen.
»Verschwinden Sie von hier, verdammt!«, rief Aaliyah, »Das ist ein Befehl!«
»Dearing? Dearing? Sind Sie noch am Leben?«
Der Ausfall der Systeme hatte nicht nur dazu geführt, dass Aaliyah wie ein Stein aufgeschlagen war. Auch die Beschleunigung dabei wurde nicht abgedämpft und so war sie nach dem Aufprall in Bewusstlosigkeit versunken.
Als sie die Augen aufschlug, befand sie sich nicht mehr auf Europa. Sie lag in einem dunklen Raum, gefesselt, auf einem Stahltisch.
Mühsam hob sie den Kopf und blickte an sich hinab. Dearing war nackt. Ihre Haut war an zahllosen Stellen aufgerissen und hatte geblutet, allerdings hatte man die Wunden bereits wieder verschlossen. Die medizinische Behandlung schien abgeschlossen und der eher dumpfe Schmerz ließ auf ein Sedativum schließen. Warum sie nackt war, konnte sie nur erahnen. Vermutlich wussten die Mendraner nicht genau, was an Kleidung sie ihr anlassen konnten, damit sie auch weiterhin keine Gefahr darstellte. So zogen sie ihr einfach alles aus.
Ihr Schädel brummte, dennoch versuchte sie sich, von den Fesseln loszureißen. Doch die gaben keinen Millimeter nach.
»Dearing? Wo zum Teufel sind Sie?«
Sie konnte die Worte deutlich hören. Offensichtlich hatte man ihr den Kommunikator nicht abgenommen. Mit einer umständlichen Verrenkung schaffte sie es, ihr Ohr zu berühren und den Kontakt zu bestätigen.
»Hallo?«, fragte Aaliyah schwach.
»Gott sei Dank, Sie leben noch.«
Die Stimme Jaramagos klang tatsächlich erleichtert. Das hätte sich Dearing niemals gedacht.
»Scheiße, Sie haben sich doch keine Sorgen um mich gemacht?«, meinte sie spöttisch.
»Natürlich. Was glauben Sie, was das Oberkommando mit mir macht, wenn ich einen ihrer ‚Helden‘ verliere?«
»Schluss mit den Scherzen, wo zum Teufel bin ich?«
»Unsere Sensoren haben Sie verloren. Aber der letzte Kontakt war an Bord eines Mendraner-Shuttles. Vermutlich wollen die Sie befragen.«
»Fuck, dabei habe ich heute so gar keine Lust auf Folter und Wahrheitsdrogen«, seufzte Dearing.
Wie eine eiskalte Hand klammerte sich die Angst um ihr Herz. Doch sie durfte ihr nicht nachgeben. Aaliyah hatte gesehen, was die Mendraner mit ihren Gefangenen anstellten, wenn sie Informationen aus ihnen herauspressen wollten.
Das stand ihr jedoch erst bevor. Sie musste einen kühlen Kopf behalten. Unzählige Leben hingen davon, dass sie nichts verriet.
»Ich glaube, da kommt jemand«, sagte sie und horchte.
Zischend öffnete sich eine automatische Tür und Dearing drehte ihr Gesicht zur Seite. Sie schloss die Augen und wartete.
Schwere Schritte waren zu hören. Dann eine schnarrende Stimme, deren Worte wie eine Mischung aus Motorenlärm und Vogelzwitschern klang. Der Kommunikator besaß einen eingebauten Übersetzer, doch die Sprache der Mendraner war noch nicht gut genug erforscht. Nun konnten nur Brocken übersetzt werden, die nun in Dearings Kopf drangen.
»Aufgewacht?«, konnte sie verstehen, »Befragen.«
»Nein, schläft«, antwortete eine andere Stimme.
»Geben Medikament aufwachen.«
»Losmachen.«
Warme Hände legten sich um ihre Handgelenke und die Verschlüsse knackten leise. Dann kam der erste Arm frei. Gleiches geschah auf der anderen Seite.
»Im Arm Blut«, sagte die zweite Stimme und etwas bohrte sich schmerzhaft in ihren Unterarm.
‚Die wissen nicht, wo sie mir am besten die Injektion verabreichen sollen‘, dachte Dearing. Sie wartete, bis sie das Schnauben ihrer beiden Besucher nah bei sich hörte.
Vorsichtig öffnete sie die Augen leicht. Zwei Mendraner waren über sie gebeugt. Einer stocherte mit einer Art Spritze in ihrem Arm herum, während der zweite sie festhielt. In seinem Holster baumelte eine Waffe. Langsam streckte Dearing die Hand aus.
Auf dem Mars hatten sie einige dieser Pistolen erbeutet. Sie wusste, wie man sie entsicherte und abfeuerte.
Mit einem Ruck hatte sie die Kanone aus dem Holster gerissen, mit dem Druck ihres Daumens entfernte sie die Verriegelung und schoss. Der Schuss war nahezu lautlos, aber das Projektil drang tief in den Oberkörper des einen Mendraners ein und dunkelbraunes Blut sprudelte hervor.
Der Alien ging mit einem gurgelnden Laut in die Knie, während Aaliyah die Waffe hob, auf den Schädel des Zweiten zielte und abdrückte.
Abermals war der Schuss sehr leise, das Ergebnis dafür verheerend. Der katzenartige Kopf platzte auf wie eine reife Melone und der Mendraner kippte nach hinten.
Schnell hatte sich Dearing aufgerichtet. Sie zog das spritzenähnliche Ding aus ihrem Arm und stöhnte vor Schmerz auf. Blut sprudelte hervor, aber sie ignorierte es.
Unter ihr erklang ein kaum hörbares Wimmern. Der erste Mendraner, den sie getroffen hatte, schien noch zu leben. Allerdings nicht mehr lange!
Wütend öffnete sie die Fesseln an ihren Beinen und sprang von dem Untersuchungstisch. Ihre Knie wollten nachgeben, allein ihr Wille hielt sie aufrecht.
Der Alien blickte zu ihr hoch. Einen Augenblick lang war es, als könne sie Angst in seinen Augen erkennen. Er hob die Hand, doch Dearing richtete die Waffe auf seinen Kopf und drückte ab. Die Kugel durchschlug Hand und Kopf und prallte kreischend vom metallenen Boden ab, ehe sie in einen Kasten fuhr und dort stecken blieb.
Zitternd sah Aaliyah Dearing sich um. Es gab eine Konsole neben der Tür. Die würde ihr alle Informationen liefern, die sie benötigte. Kaum trat sie näher, reagierte der Computer und die Menüs der Steuerung wurden angezeigt.
Aufgeregt scrollte sie durch die Anzeigen und wählte einige Bereiche an. Zwar verstand sie die Sprache nur teilweise, auch konnte sie nicht alles Buchstaben, doch auf dem Mars hatte sie oft mit solchen Systemen zu tun gehabt und das hier war damit identisch.
»Jaramago?«, fragte sie leise, als sie ihr Ohr berührte, um den Kommunikator zu aktivieren.
»Dearing? Was ist passiert?«, kam die Stimme des Captains Augenblicke später zurück.
»Hab Besuch bekommen. Aber der wollte nicht lange bleiben.«
»Was soll das bedeuten?«
»Ich habe jetzt eine Waffe und gerade herausgefunden, dass ich mich nur ein Deck unter der Kommandozentrale befinde. Scheiße, die haben hier wirklich den gesamten Plan des Schiffes in ihrem System. Ohne Zugriffsbeschränkungen und so aufgebaut, dass selbst ein Vollidiot ihn lesen kann. Wie kann man nur so dämlich sein?«
Aaliyah Dearing hatte genug gesehen. Sie deaktivierte die Konsole und schaltete das Licht im Raum ein. Tatsächlich befand sich über dem Untersuchungstisch ein Einlass der Luftsteuerung.
Erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie noch nie auf einem Schiff der Mendraner gewesen war. Interessanterweise unterschied es sich nur wenig von den Schiffen der Menschen, zumindest im Inneren.
»Konnten Sie rausfinden, in welchem Quadranten Sie sind?«, fragte Captain Jaramago.
Im Hintergrund waren Alarmsirenen zu hören.
»Noch nicht. Was zum Teufel ist bei Ihnen los?«
»Mehrere feindliche Kreuzer sind aufgetaucht und nehmen die Flotte unter Beschuss.
Ausweichen!
Passen Sie auf die Trümmer auf!
Feuer erwidern!«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Aaliyah Dearing verriegelte die Tür und sprang auf den Tisch. Mit dem Griff der Waffe hieb sie gegen die Lüftungsabdeckung. Ein Schlag genügte und sie war locker. Ohne Probleme konnte sie den Deckel zur Seite schieben und kroch in den schmalen Lüftungsgang. Durch den Plan wusste sie, dass es in wenigen Metern eine Abzweigung gab, wo der Gang in einen Schacht führte. Dieser zog sich durch das gesamte Schiff.
»Verdammt, die nehmen uns auseinander!«, hörte sie in ihrem Kommunikator.
»Scheiße, Jaramago, was ist los?«
»Ich habe jetzt keine Zeit für Sie!«, kam zurück.
Im gleichen Augenblick wurde das leise Brummen der Generatoren des Raumers lauter. Vermutlich wurden die Schilde belastet und mehr Energie war notwendig geworden.
Dearing gelangte in den Schacht und fand dort völlig unerwartet in die Wände eingelassene Griffe, die man wie eine Leiter benutzen konnte. Offenbar war er für die Wartungstrupps des Raumschiffs ausgelegt, die von hier aus die unterschiedlichen Decks erreichen konnten, auch wenn die Lifte nicht mehr funktionierten.
‚Die machen es mir fast zu leicht‘, dachte sie und stieg weiter nach oben.
Nach kurzem Aufstieg erreichte sie das Ende des Schachtes und drei davon abzweigende Gänge. Wenn sie sich nicht irrte, dann musste sie den linken davon nehmen, um in die Kommandozentrale zu gelangen.
Vorsichtig krabbelte sie hinein. Das Metall hatte ihre Knie aufgescheuert. Die Waffe hielt sie mit den Zähnen, um sich besser bewegen zu können. Nach wenigen Metern gelangte sie an ein schmales Lüftungsgitter, das seitlich in einen Raum mündete. Licht drang in den dunklen Tunnel und Aaliyah blickte hinaus.
Sie sah etwas, dass an ein Cockpit erinnerte. Drei Mendraner saßen in bequemen Stühlen, die in einem Dreieck aufgestellt waren und fuchtelten mit ihren Händen scheinbar sinnlos in der Luft umher. Dearing wusste, dass die Helme, die sie trugen, ihnen alles anzeigten, was wichtig war, um das Schiff zu steuern.
Vorsichtig drückte sie gegen das Gitter. Es war verschraubt und ließ sich nicht so einfach öffnen. Doch die Schrauben waren in Reichweite. Mit ihren Fingern griff sie durch die Öffnungen und drehte die Verschlüsse auf. Nach wenigen Augenblicken konnte sie das Metall lösen und es kippte nach außen. Leise legte Dearing es auf den Boden und streckte den Kopf hinaus.
Die Tür zum Cockpit war geschlossen. Nur sie und die drei Piloten befanden sich in dem Raum, der drei große Fenster besaß, die ihnen einen Blick auf den Weltraum um das Schiff herum ermöglichten.
Noch hatten sie Dearing nicht bemerkt und die war von dem Anblick gebannt. Vor ihr glänzte die Oberfläche von Europa, während in der Umgebung kleine Sonnen zu entstehen schienen und gleich wieder vergingen. Eine Schlacht tobte hier, doch wer die Oberhand hatte, wusste sie nicht.
Es war Zeit zu handeln. Nun konnte sich Aaliyah keine Angst mehr leisten. Es stand zu viel auf dem Spiel. Aus ihren Erfahrungen auf dem Mars wusste sie, wie sie Türen der Mendraner manipulieren konnte.
Sie schlich näher heran, hoffend, dass der Sensor nicht reagierte, und erreichte ein kleines Terminal. Schnell hatte sie es aktiviert und die Tür verriegelt. Dann trat sie einige Schritte zurück, hob die Waffe und schoss.
Teile des Displays wurden in die Luft geschleudert und ritzten in ihre Haut. Schmerzhaft wurde Dearing bewusst, dass sie immer noch vollkommen nackt war. Aber auch für Schmerz war nun keine Zeit.
Sie wirbelte herum. Natürlich hatten die Piloten den Schuss gehört, doch Dearing war schneller. Drei Mal drückte sie ab. Drei Projektile verließen den Lauf. Drei Feinde sanken getroffen in ihren Sitzen zusammen.
Aaliyah warf die Waffe zu Boden. Sie würde sie nun nicht mehr brauchen. Angewidert zog sie einen der Mendraner aus seinem Sitz, zog seinen Helm ab und ließ die Leiche einfach fallen.
Seufzend nahm Dearing seinen Platz ein und setzte den Helm auf. Unzählige Symbole wurden erkennbar, dazu noch etwas, das einem Steuerknüppel sehr ähnlich sah. Vorsichtig griff sie nach vorne und bewegte ihre Hand über der virtuellen Darstellung.
Die Nase des Raumschiffes senkte sich tatsächlich, wie sie daran erkennen konnte, wie sich der Ausschnitt von Europa im rechten Fenster veränderte. Sie neigte den Kopf zur Seite und drückte ihr Ohr gegen die Innenseite des Helms.
»Jaramago? Hören Sie mich?«
»Dearing?«, kam zurück.
Im Hintergrund heulten Alarmsirenen. Menschen schrien durcheinander. Es schien das totale Chaos zu herrschen.
»Ja. Jaramago, ich habe die Kontrolle über das Schiff, auf dem ich mich befinde, übernommen.«
»Schön für Sie. Versuchen Sie, es auf Europa zu landen und hoffen Sie, dass wir diese Schlacht überleben. Aber es sieht gut aus. Nur noch zwei Kreuzer, dann sind wir durch.
Scheiße, was ist das?«
Die Verbindung wurde kurz unterbrochen, dann meldete sich der Captain wieder.
»Die Chancen sind gerade gesunken. Da kommt ein riesiges Schlachtschiff auf uns zu. Beten Sie für uns. Und viel Glück Dearing.«
Aaliyah blickte aus dem Fenster. Erst jetzt bemerkte sie den riesenhaften Schatten neben sich, der, in enger Formation, mit ihrem Schiff auf die Schlacht zusteuerte.
Noch nie hatte sie so ein gigantisches Raumschiff gesehen. Selbst von hier aus wirkten die ausgefahrenen Geschütze gewaltig. Die Menschen hatten keine Chance gegen diesen Riesen.
»Jaramago, ich glaube, ich sehe Sie«, sagte Aaliyah, »Die Flotte nimmt gegen das Schlachtschiff Aufstellung, habe ich recht.«
»Genau. Sind Sie auf dem Schlachtschiff?«
»Nein, das hier ist kleiner. Ein Kreuzer oder so etwas.«
»Wir haben mehrere Schiffe auf dem Schirm. Sie sind Begleitschutz von dem riesigen Kahn und fliegen offenbar unter dem Schild des Schlachtschiffs. Versuchen Sie, ein Shuttle zu erreichen, wir werden bald das Feuer eröffnen.«
»Dafür ist es zu spät. Außerdem können Sie das Riesending damit nicht aufhalten. Das Teil ist größer als unsere gesamte Flotte zusammen«, meinte Dearing.
»Dann gehen wir mit fliegenden Fahnen unter«, antwortete Jaramago verbissen.
Hinter Aaliyah klagen Schüsse und Projektile durchschlugen die Tür. Anscheinend hatte man bemerkt, dass im Cockpit niemand mehr am Leben war. Das Zischen eines Schweißgerätes wurde hörbar, dann wieder Schüsse. Eine der Kugeln traf Aaliyah Dearings Schulter. Sie würde diesen Raum nicht mehr lebend verlassen.
»Ich habe eine Idee«, zischte sie, den Schmerz so gut es ging unterdrückend.
»Was wollen Sie tun?«
»Ich opfere einen Bauern, um das Spiel zu gewinnen«, meinte Dearing leise und schaltete den Kommunikator ab.
Captain Conchita Jaramago starrte durch die großen Panoramafenster der Brücke nach draußen. Sie konnte ihren Augen kaum trauen. Das Schiff war wirklich gigantisch und die von den Scannern angezeigten Werte beinahe lächerlich hoch.
Drei Kreuzer begleiteten das Schlachtschiff mit äußerst geringem Abstand. Sie waren vom Schutzschirm gedeckt und verstärkten ihn mit der Energie ihrer Schutzschildgeneratoren. Dagegen bestand die Flotte der Menschen nur noch aus acht Schiffen, von denen zwei kaum noch in der Lage waren zu kämpfen. Alle kleiner und schlechter bewaffnet als selbst die kleinen Kriegsschiffe der Mendraner.
Es war ein aussichtsloses Unterfangen.
Bis einer der Kreuzer plötzlich seinen Kurs änderte.
Statt wie bisher parallel zu seinem großen Bruder zu fliegen, steuerte er direkt auf Kollisionskurs. Das bemerkte auch das Schlachtschiff, das seinerseits versuchte, den Kurs zu ändern, dabei jedoch einen seiner Begleiter rammte, der, durch die enge Formation, nicht schnell genug abdrehen konnte.
Die Hülle des Raumschiffes platzte auf und es zerbarst in einer unhörbaren Explosion, wie eine Seifenblase. Im gleichen Moment bohrte sich der andere Kreuzer spitz, etwa dort, wo die Brücke zu vermuten gewesen wäre, mitten in das Schlachtschiff und explodierte in einem grellen Feuerball.
Das Schiff geriet außer Kontrolle. Es drehte sich zur Seite, während es unverkennbar brennend, immer mehr Gas in den Raum entließ.
»Feuer eröffnen«, drang aus den Lautsprechern und die Flotte der Menschen folgte dem Befehl.
Es war nicht mehr notwendig. Noch bevor die ersten Raketen, Geschosse und Laser das Schlachtschiff trafen, begann dieses bereits auseinanderzubrechen.
Mit Wehmut sah Captain Jaramago dabei zu, wie die Trümmer langsam in Richtung Europa sanken. Dearing hatte sie gerettet und dafür ihr Leben geopfert. Kurz flackerte Bewunderung für den Mut der Frau auf. Sie war vielleicht ein dahergelaufenes Straßenkind, doch was sie auch tat, es führte schließlich zum Erfolg. Es war schade um sie.
»Verfluchte Helden«, murmelte sie leise vor sich hin und schloss die gepanzerten Läden vor den Panoramafenstern.