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1 Theologische Grundlegung des Sakramentes der Firmung

Für eine interdisziplinäre Arbeit zur Firmung ist es entscheidend, die theologische Grundlegung des Sakramentes der Firmung darzustellen und zu diskutieren. in diesem Rahmen müssen Sachfragen, Sachthemen beziehungsweise Kriterien herausgefiltert werden, zu denen die Ritualwissenschaften und die empirischen sozialwissenschaften ebenfalls stellung beziehen können. in diesem Kapitel werden deshalb zunächst die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, die nachkonziliaren Neuregelungen des Firmritus und die Dokumente der nachkonziliaren synoden in Deutschland untersucht. Die Darstellung legt es nahe, Sachthemen wie Biographie, Gemeinschaft, Gottesbild, Gabe und Aufgabe, Glaubensleben, Kommunikation, Passageritual und Alter zu wählen. Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels wird von verschiedenen Perspektiven ausgehend die Theologie der Firmung fokussiert. So geht bereits Thomas von Aquin in seiner Firmtheologie von der menschlichen Biographie aus. Die Firmtheologie Karl Rahners kann unter dem Ausgangspunkt des Glaubenslebens dargestellt werden. Hans Urs von Balthasars Theologie zum christlichen Leben kann unter dem Gesichtspunkt Gabe und Aufgabe entwickelt werden. Im vorletzten schritt werden theologische Entwürfe unter dem Ausgangspunkt Kommunikation gesammelt. Dazu gehören die Darstellungen der kommunikativen Theologie, Patrik C. Hörings Arbeit, die die Firmung als Zu- und Anspruch versteht und die Firmtheologie Lothar Lies’, der die Firmung mittels einer eulogischen Struktur erschließt. Ein weiterer Blick auf die Konfirmation zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu den Sachfragen zur Firmung auf. Nach jedem Unterkapitel werden die Theologien ausgehend von ihrem Ausgangspunkt hinsichtlich der Sachthemen befragt und die Ergebnisse in einer Tabelle dargestellt. Zum Abschluss des Kapitels werden die Ergebnisse gebündelt und die theologische Binnenlogik der einzelnen Sachfragen dargestellt.

1.1 Normative Ausgestaltung der Firmung in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils und der postkonziliaren Synoden in Deutschland

Josef Zerndl hat sich mit der Theologie der Firmung in den Dokumenten der Vorbereitungszeit des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den Konzilstexten beschäftigt. Nach seiner Analyse ist die Firmung zu verstehen 1) als Teil der christlichen Initiation, die mit der Feier der Taufe beginnt und auf die Feier der Eucharistie hin ausgerichtet ist. Dadurch wird die Firmung 2) zu einem ekklesialen Heilszeichen, weil die Gläubigen tiefer in die Kirche eingegliedert werden und an der Sendung der ganzen Kirche teilnehmen. Die Firmung ist 3) außerdem „im Konzil das besondere Sakrament des Heiligen Geistes, der mit seinen Gaben die Gläubigen für ihre Aufgaben bestärkt und sie an der apostolischen Sendung der ganzen Kirche teilhaben läßt“51. Diese Systematisierung bietet einen einfachen Zugriff auf die Firmtheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sie wird deshalb dazu benutzt, um zu überprüfen, welche Kriterien aus theologischer Perspektive in eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Firmung eingebracht werden können.

1.1.1 Firmung ist Teil der christlichen Initiation

In der Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium wird die Firmung in den Zusammenhang der „christlichen Initiation“52 gestellt. Das Wort Initiation wird allerdings nicht erklärt53. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat in der Instruktion zur ordnungsgemäßen Durchführung der Konzilskonstitution über die Liturgie aus dem Jahr 1994 erklärt, Taufe, Firmung und Eucharistie gehörten zur christlichen Initiation, und zwar im Unterschied zu Initiationsriten wie sie in Stammeskulturen praktiziert werden54. In der Konstitution selbst ist Wort Initiation nur ein weiteres Mal zu finden, wenn neben „den Elementen der [christlichen] Initiation“55 in Missionsländern auch Elemente aus dem kulturellen Leben von Stammesvölkern Verwendung finden können, wenn sie dem christlichen Ritus angepasst werden können. Der innere Zusammenhang der christlichen Initiation wird in SC 71 an den Textstellen, die sich mit der Firmung beschäftigen, stark betont. Bei den Ausführungen über Taufe und Eucharistie ist er in dieser Form aber nicht zu finden. Zerndl begründet dies damit, dass der Ritus der Firmung, der vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil rahmenlos und isoliert gestanden habe, in „den Gang der Eucharistiefeier“56 eingeordnet wurde und damit von dieser Feier seine Gestalt her finden sollte. Jesaja Langenbacher weist darauf hin, dass das Wort Initiation in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgegriffen wurde, um an die Theologie der Alten Kirche anzuschließen57. Wegweisend für die Herausstellung des zusammengehörigen Initiationsritus wäre die liturgische Erneuerung, so Langenbacher im Anschluss an Franz-Josef Nocke58. Auch Günter Koch erklärt, dass in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils der Begriff Initiation aufgenommen wurde, während er im Neuen Testament kaum eine Rolle spielt, um die Abgrenzung von Initiationen in Mysterienkulte deutlich zu machen59. Bei der theologischen Deutung der Sakramente Taufe und Eucharistie und damit auch der Firmung – besonders seit der Theologie des 4. Jahrhunderts – kam es in der Auseinandersetzung mit den Mysterienkulten auch zu „manche[n] sachlichen und terminologischen Übernahmen“60, so Koch. Dies sei beispielsweise in der französischen Liturgiewissenschaft vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder aufgegriffen worden und habe Eingang in die Texte des Konzils gefunden.

Die Sakramente und damit auch die Firmung haben eine soziale Dimension. Sie dienen zum Aufbau der Kirche, gerade auch in den Einzelgemeinden, die besonders als territorial umschriebene Pfarreien, in gewisser Weise die Gesamtkirche darstellen61. In dieser Zuschreibung von Pfarrei / Gemeinde und Kirche sieht Zerndl auch die Wirkung der Initiationssakramente: „christliche Initiation erschöpft sich nicht in ‚Gemeinde’, aber die Eingliederung in ‚Gemeinde’ ist ein wesentliches Ziel“62. Dieses wird schon aus dem Grund deutlich, dass die Wirksamkeit der Sakramente vom Paschamysterium abhängig gemacht wird. So wird in SC 61 die Wirkung der Sakramente und Sakramentalien aus dem Christusereignis abgeleitet und eigens betont, dass der rechte Gebrauch aller materiellen Dinge auf das Ziel hin ausgerichtet ist, den Menschen zu heiligen und Gott zu loben. Initiation und Firmung müssen also von der „metahistorische[n] Bedeutsamkeit der Person Christi“63 her verstanden werden. Damit einher geht aber auch die Öffnung der Gemeinschaft auf andere Menschen und auf die gesamte Schöpfung hin. Christliche Initiation beinhaltet immer auch eine Sendung, denn die Firmung trägt wie alle Sakramente und wie jedes individuelle menschliche Leben64 dazu bei, „das Leben in seinen verschiedenen Gegebenheiten“65 zu heiligen. Diese biographische Bedeutung der Sakramente stellt die Firmung in die Nähe einer Begleitung oder auch Heiligung der Lebenszeit, in der sie empfangen wird, also zum Beispiel dem Jugendalter. Dies kann eben darin geschehen, dass das Leben Jesu für das persönliche Leben von Christinnen und Christen der Gegenwart Bedeutung erlangt. Deshalb wird die Firmung theologisch sowohl im Pfingstgeschehen verortet sein als auch im Pascha-Mysterium.

1.1.2 Firmung ist ein ekklesiales Heilszeichen

Die Dogmatische Konstitution Lumen Gentium über die Kirche hat sich folgendermaßen zur Firmung geäußert: „Durch das Sakrament der Firmung werden sie [die Getauften] vollkommener der Kirche verbunden und mit einer besonderen Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet. So sind sie in strengerer Weise verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen“66. Diese Wendung findet sich im Zweiten Kapitel über das Volk Gottes und beschreibt das priesterliche Gottesvolk. Der Christ / die Christin wird in der Firmung also mit der Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet und so individuell für das Leben gestärkt, gleichzeitig wird er / sie vollkommener mit der Kirche verbunden und so wird die Gemeinschaft, die Kirche, gestärkt. Die Firmung ist also sowohl subjektiv bedeutsam als auch ekklesial. Sie steht mit der Taufe genau an dem Schnittpunkt der Zugehörigkeit des Einzelnen zur Kirche. Firmung ist zunächst einmal eine Gabe und zwar sowohl an den einzelnen Christen als auch an das gesamte priesterliche Gottesvolk. Die Firmung beschreibt aber auch eine Aufgabe. Während alle Getauften die Pflicht haben, ihren Glauben „vor den Menschen zu bekennen“67, sind die Gefirmten in strengerer Weise verpflichtet, Zeugen Christi zu sein und den Glauben in Wort und Tat zu verbreiten und zu verteidigen. Der christologische Begründungszusammenhang der Firmung wird hier mit einer Theologie des Volkes Gottes ergänzt, das in der Firmung eine Stärkung erfährt. Deshalb wird eine komparative Sprechweise zur Erklärung der Firmung herangezogen. Damit tritt auch die Verpflichtung zur missionarischen Tätigkeit für die Gefirmten deutlich in den Vordergrund. Bei der Verbreitung des Glaubens ist allerdings auch seine Verteidigung mit impliziert. Dadurch beinhaltet die Firmung sogar den Auftrag zu apologetischem Wirken. Die Beziehung der Firmung auf die Verbreitung des Glaubens in Wort und Tat und der Einleitungspassus von LG 1168 verweisen obendrein auf ethische Implikationen des Sakramentes der Firmung. Darüber hinaus weist LG 11 neben dem christologischen Bezug der Firmung auch auf die pneumatologische Dimension hin. Neben der ethischen und missionarischen Verpflichtung werden auch spirituelle Aspekte der Zeugenschaft für Christus erwähnt.

Während für Peter Hünermann in LG 11 die einzelnen Christinnen und Christen als „Empfänger der Sakramente im Blickfeld“69 stehen, verweist Josef Zerndl auf die Aussagerichtung von LG 1170: Alle Aussagen beziehen sich auf die Wirkung des Sakramentes der Firmung. Die Entstehungsgeschichte von LG 11 zeige aber zudem, dass ursprünglich ein eigenes prophetisches Betätigungsfeld der Gefirmten angedacht war, das ein Desiderat geblieben ist. Anstelle dessen stünde in der Endfassung der Verpflichtungscharakter im Vordergrund. Entscheidende neue Aspekte in der Firmtheologie seien die Verlagerung des Schwerpunktes von der Verteidigung des Glaubens auf die Ausbreitung des Glaubens, ebenso wie die subjektive und ekklesiale Dimension im Sakrament der Firmung. Auch die Zeugenschaft für Christus in Wort und in Tat habe die bis zum damaligen Zeitpunkt vorherrschende Theologie der Firmung bereichert. Man könne dabei aber nicht von einem eigenen Auftrag an die Gefirmten sprechen, denn die Zugehörigkeit zur Kirche und die Verpflichtung zum Glaubensbekenntnis vor den Menschen ist in der Taufe bereits Grund gelegt71. Bedacht werden müsse ebenso, dass in LG 11 nicht von einer einheitlichen christlichen Initiation gesprochen wird. Die Firmung wird eher komparativ mit der Taufe in Beziehung gestellt, indem erneut von einem mehr die Rede ist. Dieser Komparativ erscheint aber eher als eine Zunahme, ein Wachstum oder eine Steigerung, als eine Herabsetzung der Taufe. Dennoch komme, so Peter Hünermann, das Volk Gottes als ein „in der Öffentlichkeit agierendes Handlungssubjekt [nicht deutlich zum Vorschein. Gesprochen wird] lediglich davon, dass durch die Gläubigen die Einheit des Volkes dargestellt wird“72. Auf dieser Grundlage wird in Herders Theologischem Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil die Passage aus LG 11: Sacramento confirmations perfectius Ecclesiae vinculantur übersetzt mit der deutschen Wendung: „Durch das Sakrament der Firmung werden sie vollkommener an die Kirche gebunden“73. Deutlich wird dadurch ersichtlich, dass Hünermann die Beziehung der Firmung zum „messianischen Charakter des Gottesvolkes“74 vermisst.

Dafür wird die Zeugenschaft für Christus in der Firmung noch einmal besonders bedeutsam, wenn von der Mitarbeit der Laien an der Sendung der Kirche in LG 33 die Rede ist: „Der Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung bestellt“. Durch das Zueinander von Laienapostolat, Heilssendung der Kirche und den nicht genau differenzierten Sakramenten Taufe und Firmung wird die Berufung des christlichen Lebens mit dem Laienapostolat identifiziert. Das bedeutet, dass das Mittun der Laien keine Hilfsarbeit für die Priester ist, sondern aus Taufe und Firmung direkt abgeleitet werden muss: es ist ein Grundcharakter christlicher Existenz75. Über LG 11 hinaus wird damit das Laienapostolat auf eine sakramentale Grundlage gestellt und nicht nur als eine Verpflichtung verstanden, die sich aus Taufe und Firmung heraus ergeben würden. Bemerkenswert ist, dass auf der Grundlage einer eschatologischen Sichtweise der Sakramente auch dem Laienapostolat eine eschatologische Dimension zugesprochen wird, wenn auch nur am Rande76.

Dass die Kirche als allumfassendes Heilssakrament verstanden wird77 und dass die Taufe Christus gleich gestaltet und der Empfang der Eucharistie Anteil am Leib des Herrn ist78, führt zu einer Theologie der Taufe als Begründung der Eingliederung in die Kirche und einer Theologie der Eucharistie als Zielpunkt der Eingliederung. Dies zeigt sich im Besonderen im Dekret Presbyterorum Ordinis. Über Dienst und Leben der Priester 2 und 5. Wenn es „kein Glied [am mystischen Leib Christi gibt], das nicht Anteil an der Sendung des ganzen Leibes hätte [, dann muss jedes Glied] vielmehr Jesus in seinem Herzen heilighalten und durch den Geist der Verkündigung Zeugnis von Jesus ablegen“79. Für Zerndl ist deshalb das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen die „Voraussetzung für das Amtspriestertum“80. An eine Beauftragung des Amtspriestertums durch das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen sei damit allerdings nicht gedacht. Dadurch, dass das Amtspriestertum nicht aus der Taufe abgeleitet wird, würde PO 2 den Gedanken an eine Weihe des Laien zum Apostolat nicht rechtfertigen: „Firmung kann nicht als eine Art niedere Weihe betrachtet werden; sie gehört theologisch zur Taufe, nicht zum Amt“81. Deshalb absorbiert der sakramentale priesterliche Dienst „Taufe und Firmung nicht, sondern [er] setzt sie voraus“82. Die Befürchtung, das Amtspriestertum vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen abhängig zu machen, könnte dazu geführt haben, dass man von einem eigenen Betätigungsfeld für Gefirmte Abstand nahm.

1.1.3 Firmung ist das besondere Sakrament des Heiligen Geistes zur apostolischen Sendung

Die eucharistische Gemeinschaft bleibt in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht auf sich selbst bezogen, sondern ist als solche immer schon eine gesandte. Apostolische Sendung und missionarische Verpflichtung sind damit eine priesterliche Tätigkeit im Dienst aller Getauften und Gefirmten: in Taufe und Firmung sind Christinnen und Christen zum Apostolat gesandt83. Dazu bedient sich das Dekret Apostolicam Actuositatem. Über das Laienapostolat 3 vor allem der drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung und bezieht die Liebe auf die Liebe zu allen Menschen und das Tätigwerden für deren Heil. Zur Durchführung dieses Apostolates schenkt der Heilige Geist den Gläubigen Gnadengaben, Charismen, die im Konzilstext allerdings nicht näher erläutert werden. Es wird lediglich erwähnt, dass der Empfang eines Charismas verpflichtet, sie „in Kirche und Welt zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche zu gebrauchen“84 und dass das Hirtenamt damit beauftragt ist, die Charismen zu prüfen und zu fördern. Entscheidend ist an diesem Text, dass das Apostolat der Getauften und Gefirmten gleich ursprünglich zu verstehen ist wie die Sendung der sakramental geweihten Diakone, Priester und Bischöfe85.

Ein Charisma, eine Gabe des Heiligen Geistes als Hilfe zum Apostolat, ist also nur zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche zu gebrauchen. Es wird ganz ähnlich wie die Firmung als Gabe und Aufgabe verstanden, es ist allerdings nicht direkt als Wirkung der Firmung beschrieben, sondern als eine Gabe des Heiligen Geistes, die den Getauften und Gefirmten mit auf den Lebensweg gegeben wird. Und dieses Leben ist in vollem Umfang in den Prozess der Zeugenschaft für Christus mit einzubeziehen. Die sozialen Gruppen, in denen die Christinnen und Christen leben, wie auch die zeitlichen Einflüsse, denen alle Menschen unterliegen: all dem soll mit Liebe und Achtung begegnet werden, weil Zeugenschaft für Christus nur im persönlichen Leben möglich ist86. Peter Hünermann erklärt, dass eine „sichtbare Erneuerung des missionarischen Geistes […] durch dieses Dokument [AG] in der nachkonziliaren Kirche“87 nicht ausgelöst wurde. Festzuhalten ist aber auch, dass auch AG 11 das Apostolat der Laien nicht vom hierarchischen Priestertum abhängig macht, sondern als ursprüngliche Sendung zusammen mit dem hierarchischen Priestertum versteht88.

Gerade im Dekret Orientalium Ecclesiarum. Über die katholischen Ostkirchen tritt eine weitere Frage zu Tage, die auch in der römischkatholischen Kirche in Deutschland für Diskussionen sorgt: nämlich die Frage nach dem Zeitpunkt der Firmung, die bewusst nicht beantwortet wird: „Das Konzil möchte zwar die ältesten Traditionen wiederhergestellt sehen, läßt aber den Zeitpunkt der Firmspendung offen“89. Während sich aber in den deutschsprachigen Ländern die Diskussion eher darum drehte, mit der Firmung zu warten und erst mündige junge Erwachsene zur Firmung zuzulassen90, geht es in OE darum, sowohl die Firmung im Anschluss an die Taufe als auch die Firmung zu einem späteren Zeitpunkt zuzulassen. Dabei zeigen die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils Interesse daran, dass möglichst viele Christinnen und Christen das Sakrament der Firmung empfangen, denn „um des Seelenheiles willen hält das Konzil nicht unbedingt am Prinzip der Rituszugehörigkeit fest. Alle orientalischen Priester dürfen sogar lateinisch Getaufte und auch unabhängig von der Taufspendung und ohne rituelle Konsequenz firmen, ähnlich umgekehrt lateinische Priester mit entsprechenden Vollmachten“91. Dies mag gerade dann überraschen, wenn man davon ausgeht, dass die Firmung kein heilsnotwendiges Sakrament ist92. Gerade die zeitliche Zusammengehörigkeit von Taufe, Firmung und Eucharistie in den orientalischen Kirchen mag zu dieser Haltung beigetragen haben. Sowohl die Bestimmung in LG 26, nach der die originären, erstberufenen Spender der Firmung die Bischöfe sind, als auch das Prinzip der Rituszugehörigkeit werden damit zugunsten des Seelenheiles der Christinnen und Christen ausgeweitet.

Nach Günter Koch lassen sich deshalb die wenigen aber wichtigen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Firmung folgendermaßen zusammenfassen: Taufe und Firmung gehören eng zusammen (LG 11; SC 71), Sie vereinigen mit Christus, dem Haupt (AA 3). Die Firmung verbindet vollkommener mit der Kirche (LG 11; AA 3), sie schenkt eine besondere Kraft des Heiligen Geistes (LG 11; AA 3) und befähigt und verpflichtet so nachdrücklicher zum Apostolat, zur Verwirklichung der christlichen Berufung (LG 11; AA 3). Die Bischöfe sind dabei die erstberufenen, originären Spender des Sakramentes des Firmung (LG 26)93. Günter Koch ist der Ansicht, dass das Zweite Vatikanische Konzil entscheidende und grundlegende Aussagen zur Firmung gemacht hat94, während Heribert Mühlen die Auffassung vertritt, das Zweite Vatikanische Konzil habe keine neuen Aspekte der Firmung vorgetragen95. Für Josef Zerndl ist diese Frage von geringerer Bedeutung, entscheidend sei vielmehr, dass auch das Zweite Vatikanische Konzil die prekäre Zuordnung von Tauf- und Firmwirkung nicht geklärt habe, so Zerndl96. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil aber nichts zur exakten Unterscheidung von Tauf- und Firmwirkung beigetragen hat, kann man auch fragen, ob dies nicht eben die innere Zusammengehörigkeit der beiden Sakramente stärkt. So sehr auch Theologinnen und Theologen versucht haben, die spezifische Unterschiedlichkeit herauszuarbeiten, so bleibt man doch letztlich auf die innere Verbundenheit von Taufe und Firmung verwiesen, wobei die Beziehung zum Sakrament der Taufe nicht als ein exklusives Merkmal der Firmung interpretiert werden kann. Die Relation zum Sakrament der Taufe ist bei jedem einzelnen Sakrament ebenso zu berücksichtigen, wie die Beziehung zur Eucharistie.

1.1.4 Entfaltung dieser Aspekte der Firmung – die Beschlüsse der Synoden

Die Sendung der Getauften und Gefirmten war dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein wichtiges Anliegen. Betätigungsfelder oder Anregungen, die Sendung im alltäglichen Leben umzusetzen, sucht man aber vergebens. Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland und die Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR hatten auch deshalb die Aufgabe, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen zu fördern und „zur Gestaltung des christlichen Lebens gemäß dem Glauben der Kirche beizutragen“97. Dazu mussten sich beide Synoden in besonderer Weise auch mit dem Sakrament der Firmung auseinandersetzen. Die Schwierigkeit lag vor allem darin, dass Papst Paul VI. Im Jahr 1971 den Ritus der Firmspendung einer Revision unterzogen hatte98. Die Firmung der Erwachsenen folgt dem in den orientalischen Kirchen üblichem Ablauf von Taufe-Firmung-Eucharistie. Die Firmung von Heranwachsenden findet in der Regel nach der ersten Spendung der Eucharistie und des Bußsakramentes statt. Der Empfang der Firmung wurde abhängig gemacht von der Taufe, der Erlangung des Vernunftgebrauchs, einer katechetischen Unterweisung und der rechten Disposition zur Erneuerung des Taufversprechens99. In der Überarbeitung des Firmritus sollte deutlich werden, dass in der Firmung die Gabe des Heiligen Geistes mitgegeben wird100, die bis dahin übliche Spendeformel, die den Spender des Sakramentes in der Ersten Person als handelndes Subjekt nannte101, wurde abgeändert und die Betonung der Spendung der Firmung wurde erstens auf die Salbung mit Chrisamöl an der Stirn, und zweitens auf die Auflegung der Hände gelegt mit der neuen Spendeformel: Sei besiegelt mit der Gabe des Heiligen Geistes102 gelegt. Gerade der Bezug auf die Gabe des Geistes darf aber nicht exklusiv oder unter Zurückstellung der Taufe verstanden werden, denn Papst Paul VI. ordnete die Firmung in die Reihe der Initiationssakramente ein und verwies ausdrücklich auf die Taufe als Wiedergeburt, die Firmung als Stärkung und die Eucharistie als Nahrung für das ewige Leben103. Neuartig ist die vom Zweiten Vatikanischen Konzil her inspirierte beziehungsweise aus den Verlautbarungen her ableitbare zentrale Stellung der pneumatologischen Dimension der Spendeformel. Die Firmung ist somit in ihrer Beziehung zur Taufe und in ihrer Hinordnung auf die Eucharistie zu verstehen.

Diese neuen Konstellationen stellte auch die Gemeinsame Synode vor Herausforderungen, was dazu führte, dass zeitweise ein eigenes Dokument zur Taufpastoral geplant war, unter Auslassung des Sakramentes der Firmung104. Die Auseinandersetzung mit der Firmung geschah in der Gemeinsamen Synode vorwiegend in dem Synodenbeschluss Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral. Der Beschluss Die Beteiligung der Laien an der Verkündigung erwähnt die Firmung überraschender Weise nur beiläufig, stellt sie aber in eine Reihe mit der Taufe als „geistgewirkte Befähigung zum Glaubenszeugnis“105.

Inhaltlich ist der Synodenbeschluss Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral davon gekennzeichnet, dass die Relevanz der Sakramente im persönlichen Leben sichtbar werden soll. Richard Hartmann formuliert dies folgendermaßen: „Es geht den Synodalen darum, den Zusammenhang der Sakramente mit den Grundfragen nach dem Leben, nach bestimmten und zentralen Stationen herzustellen. Sakramente sollen nicht ‚einseitig als Gnadenmittel verstanden’ werden, ohne den Lebensbezug und die Christusbeziehung zu entfalten“106. Der Synodenbeschluss stellt den Bezug zum alltäglichen Leben gleich im ersten Abschnitt deutlich heraus und beginnt mit der Feststellung, dass Menschen in besonderen Lebenssituationen die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen. Die Sakramente werden in diesem Kontext als Deutungsmöglichkeit und als Ausfaltung der Bestimmung des Menschen verstanden. Dass Sakramente Zeichen des Heils sind und in Jesus Christus, dem Ursakrament, begründet sind, würde vielen Menschen allerdings nicht mehr deutlich – „der Bezug zum eigenen Leben und das Angebot einer persönlichen Begegnung mit Christus“107 würden nicht mehr erkannt. Die Zeichen der Liebe und der Nähe Gottes, als welche die Sakramente auch bezeichnet werden, sind in der Kirche für jeden Menschen auffindbar, besonders sinnenfällig in der Gemeinde, die als Gemeinschaft der Gläubigen an einem Ort verstanden wird108. Deshalb möchte die Synode die Sakramente nicht nur als punktuelle Kontakte von Sakramentenempfängern mit der Gemeinde verstanden wissen, sondern auf vielfältige Weise zu Begegnungen mit der göttlichen Wirklichkeit auffordern.

Die Firmung ist, wie alle Sakramente in ihrer pneumatologischen Dimension zu verstehen. Denn der Heilige Geist leitet die Kirche, die wiederum der Ort für die einzelnen Sakramente in den Gemeinden ist. Sie muss außerdem auch in ihrer Beziehung zur Taufe gesehen werden und sie führt zu einer „neuen Befähigung und Beanspruchung des Getauften zum christlichen Leben“109. Fragen nach einer genaueren Unterscheidung von Taufe und Firmung beantwortet der Synodentext nicht. Entscheidender sind die Anweisungen zur Firmpastoral, die aus der Zusammengehörigkeit der Initiationssakramente abgeleitet werden.

Der Ort der Firmung ist die konkret verfasste Gemeinde, in der die Firmung in nicht allzu großen Abständen vom Bischof oder einem Bevollmächtigten gefeiert werden soll. Zusätzlich zu dieser Verortung der Firmung in der Gemeinde soll der Pate dem Firmanden helfen, seinen Ort in der Gemeinde zu finden. Deshalb ist die Glaubenshaltung des Paten das eigentliche Kriterium für deren Auswahl. Kann kein geeigneter Pate gefunden werden, kann auch auf den Paten verzichtet werden110.

Spender der Firmung ist nach Möglichkeit der Bischof. So soll den Firmanden die Zusammengehörigkeit ihrer Gemeinde mit der Diözese und mit der Weltkirche vermittelt werden111. Entfalten soll sich die Firmung in einem Leben aus dem Glauben. Die Gefirmten sollen gelernt haben „als geistliche Menschen eine persönliche Beziehung zu Gott [zu finden] und bereit sein, gemeinsam und als einzelne in Kirche und Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen“112. Dabei sollen die Gefirmten in der Seelsorge mithelfen können, in den kirchlichen Räten aktiv sein, die caritativen Einrichtungen mit ihrem Engagement unterstützen und im liturgischen Bereich Aufgaben übernehmen. Alle diese Stellungen und Funktionen sind mit einer Gnadengabe des Geistes verbunden und deshalb wären gerade Gefirmte in solchen Positionen wichtig.

Eine große Schwierigkeit ist die Frage nach dem Alter der Firmanden: „Je mehr die eigene Entscheidung und Reife des Firmlings betont wird, desto eher wird ein höheres Alter gefordert. Dies, so wird festgehalten, sei jedoch keine theologische, sondern eine pastorale Ermessensfrage“113. Günter Koch hält dem gegenüber fest, dass die „pastorale Frage nach dem rechten Firmalter […] auch von dem favorisierten theologischen Ansatz“114 abhängt und somit nicht eine Entscheidung nur nach persönlichem Ermessen ist. Das kommt eigentlich auch im Synodenpapier zum Ausdruck:

Angeführt wird 1) das Argument, die Firmung im 7. Lebensjahr würde es ermöglichen, die altkirchliche und bei der Eingliederung Erwachsener in die Kirche übliche Reihenfolge der Initiationssakramente Taufe-Firmung-Eucharistie einzuhalten. 2) Dem wird aber entgegengehalten, dass gerade die Findung der eigenen persönlichen Möglichkeiten zu einem freiheitlich verfassten christlichen Leben in diesem Lebensalter noch nicht möglich ist. 3) Deshalb wird für eine Firmung ungefähr im 12. Lebensjahr plädiert. In diesem Alter könne das Kind / der oder die Jugendliche bereits Zeuge des Glaubens sein und die Bedeutung der Firmung nachvollziehen. Es bleibt eigentlich dann nur die Frage offen, wie ein Kind im 10. Lebensjahr die Bedeutung der Gegenwart des erhöhten Herrn Jesus Christus im eucharistischen Brot begreifen kann, wenn es die Erstkommunion feiert. Deutlich sichtbar wird deshalb, dass der Synodentext ein Kompromissdokument ist, das bei verschiedenen Meinungen der Synodalen das richtige Mittelmaß finden will115. Der Wunsch war jedenfalls, dass das Synodenpapier einen Beitrag zur „Erneuerung der Kirche im Leben ihrer Gemeinden“116 leistet.

Einen ähnlichen Weg ging die Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR, indem sie das Sakrament der Firmung ausschließlich in dem Dokument Aspekte des Verkündigungsdienstes der Gemeinde berücksichtigte117. Die wenigen Aussagen zur Firmung machen deutlich, dass der Auftrag zur Verkündigung in Taufe und Firmung gegeben ist und dass alle Getauften und Gefirmten an der Sendung der Kirche in der Welt teilnehmen118. Die katechetische Arbeit mit jungen Christen erfordert, auf ihre Lebensumstände einzugehen. Ebenso sollen die Eltern der Firmanden in ihrem Glauben gestärkt werden119.

1.1.5 Sachthemen für die interdisziplinäre Arbeit mit der Firmung

In einer interdisziplinären Untersuchung müssen die verschiedenen Wissenschaften miteinander ins Gespräch gebracht werden. Dies geschieht dadurch, dass Kriterien beziehungsweise Sachthemen benannt werden, die in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden und welche eine Fokussierung des normativ-theologischen Gehalts der Firmung ermöglichen. Gleichzeitig müssen diese Sachfragen im weiteren Verlauf der Arbeit den ritualwissenschaftlichen und empirisch-sozialwissenschaftlichen Entwürfen gestellt werden können.

Es kann festgehalten werden: Als Teil der christlichen Initiation steht die Firmung in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils an einem Berührungspunkt zwischen individueller Biographie und kirchlicher Gemeinschaft. In der persönlichen Biographie muss im christlichen Selbstverständnis der Blick auf das Pascha-Mysterium offen bleiben, das eigene Leben mit seinen alltäglichen Begebenheiten muss in Bezug auf das Leben und Sterben, die Worte und Taten sowie die Auferstehung Jesus Christi geführt und verstanden werden. Damit gehört jeder Christ / jede Christin in die Gemeinschaft des Kyrios, also zur Kirche. Die Firmung ist ein Heilszeichen für die kirchliche Gemeinschaft und für den /die Einzelne, denn die Gabe des Heiligen Geistes wird in der Firmung mit auf den Weg gegeben und die kirchliche Gemeinschaft wie die Firmanden stärker miteinander verbunden.

Die kirchliche Gemeinschaft ist immer eine gesandte. in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils wird der Fokus von der Verteidigung des Glaubens stärker auf die Ausbreitung des Glaubens, auf die Zeugenschaft für Christus hin gelenkt. Gerade als Heilszeichen für die Kirche verdichten sich in der Firmung sowohl sakramentale Gabe und Aufgabe an den Einzelnen und an die Gemeinschaft. Die genannten Aufgaben reichen von der Ausbreitung des Glaubens in Wort und Tat, der Zeugenschaft für Christus bis hin zur Verpflichtung auf ein ethisch tugendhaftes Leben und der spirituellen Durchdringung des persönlichen Lebens.

Mit der Gabe des Heiligen Geistes ist auch verbunden, dass die Firmung im Pascha-Mysterium und im Pfingstgeschehen verortet wird. Das heißt, dass die Firmung Zeichen der Liebe und der Nähe Gottes ist, der seinen Sohn und den Heiligen Geist gesandt hat. Die Begegnung mit Gott wird in der jüdischchristlichen Tradition als personal und als väterlich-liebende beschrieben. Mit Gott in Kontakt zu treten, bedeutet, einen kommunikativen Akt einzugehen und weiterzuführen. Dazu wird in der persönlichen Biographie ein Passageritual wie die Firmung benötigt, das zwar Elemente des alltäglichen sozialen Lebens aufnehmen kann, aber nicht auf weltliche Initiationsriten reduziert beziehungsweise mit ihnen verwechselt werden soll. In den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils wird der Wunsch geäußert, möglichst viele Getaufte sollen das Sakrament der Firmung empfangen. In nachkonziliarer Zeit wurde für den Empfang der Firmung die Erlangung des Vernunftgebrauchs, also das 7. Lebensjahr, vorgeschrieben. Einzelne örtliche Ausgestaltungen wurden zugelassen, in Deutschland wird die Firmung in der Regel in einem höheren Alter gespendet.

In diesem Zusammenhang können nun Sachthemen benannt werden, die in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Synoden in Deutschland mit der Firmung in Verbindung gebracht werden. Diese Themen stehen theologisch in komplexen Zusammenhängen ebenso auch ihre jeweils eigene Binnenlogik. Damit ist keine Unterscheidung und keine Trennung der Firmung in verschiedene, klar voneinander abgrenzbare Dimensionen intendiert. Es geht vielmehr um die Möglichkeit, theologische Aussagen in einen interdisziplinären Diskurs einzuführen. Gewählt wurden hierfür die Kriterien Biographie und Gemeinschaft, weil die Firmung Teil der christlichen Initiation ist. Das Gottesbild, das die Dokumente prägt und die vielfältigen Zuschreibungen von Gabe und Aufgabe, die mit der Firmung verbunden werden. Die Kriterien Glaubensleben und Kommunikation liegen thematisch nahe an der persönlichen Biographie, thematisieren aber die Beziehung zur Gemeinschaft und die persönliche Begegnung mit Gott. Letztlich folgen noch die Kriterien Passageritus und Alter der Firmanden, zu denen die Dokumente sehr ergiebige Aussagen gemacht haben. Die folgende Tabelle fasst die Sachfragen und ihre theologischen Begründungszusammenhänge kurz zusammen:

Tabelle 2: Sachthemen und ihre theologische Binnenlogik

SachthemenTheologische Binnenlogik
Biographie- steht in Beziehung zur meta-historischen Bedeutsamkeit der Person Jesu Christi (Zerndl)- wird geheiligt- wird mit der kirchlichen Gemeinschaft stärker verbunden
Gemeinschaft- ist von Jesus Christus gesandt- muss den Blick auf alle Menschen und die gesamte Schöpfung richten- ist in konkret verfasster Gemeinde, Diözese und in der Weltkirche erfahrbar
Gottesbild- ist personal- ist von einer liebenden Zuwendung zu allen Menschen geprägt- der Heilige Geist leitet die Kirche
Gabe und Aufgabe- richtet sich sowohl an den Einzelnen wie an die Gemeinschaft- zusätzlich zur Firmung wird ein Charisma zum Aufbau der Kirche und zum Heil der Welt gegeben- beinhaltet eine Zeugenschaft für Jesus Christus in Wort und Tat- führt zur Ausbreitung des Glaubens
Glaubensleben- beinhaltet die Verpflichtung zu einem tugendhaften Leben- steht im gemeinsamen Priestertum durch Taufe und Firmung auf einer sakramentalen Basis
Kommunikation- ist eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus in den Sakramenten- ist eine Begegnung mit der göttlichen Wirklichkeit
Passageritual- kann Elemente der Initiation des alltäglichen Lebens übernehmen, darf aber nicht darauf reduziert werden- vereinigt mit Christus- geschieht durch Auflegung der Hände, Salbung der Stirn und die Formel: Sei besiegelt mit der Gabe Gottes, dem Heiligen Geist- Verortung in der konkret verfassten Gemeinde- der Pate als Begleiter unterstützt
Alter- verschiedene örtliche Traditionen sind möglich und erwünscht- Voraussetzung 7. Lebensjahr

Im Verlauf der Arbeit muss geprüft werden, ob und wie diese Themen in den wissenschaftlichen Diskurs mit Ritualwissenschaften und empirischen Sozialwissenschaften eingebracht und welche Ergebnisse herausgearbeitet werden können. Dadurch können die befreienden Erinnerungen aus der Glaubenspraxis der Kirche in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden für eine zeitgemäße Darlegung des christlichen Glaubens mittels nichttheologischer wissenschaftlicher Zugänge (Mette). Die Aussetzung der theologischen Binnenlogik mit Ergebnissen und Herangehensweisen anderer Wissenschaften soll dazu dienen, das Sakrament der Firmung besser zu verstehen und im Hinblick auf die pastorale Praxis besser zu situieren (Först). Dazu ist es allerdings notwendig, die theologisch virulenten Themen der Firmtheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils zu fokussieren. Gerade die Firmtheologien des 20. Jahrhunderts bieten viele Ansatzpunkte zur Vertiefung und Ausweitung des Verständnisses der Firmung. Einige Themen werden aber bereits seit Jahrhunderten in der Theologiegeschichte diskutiert, wie das Beispiel der Bedeutung der persönlichen Biographie in der Firmtheologie zeigt, die bereits in der Sakramententheologie Thomas von Aquins zu entscheidender Bedeutung gekommen ist.

1.2 Blick in die Geschichte der Theologie: Firmung vom Ausgangspunkt Biographie her gesehen - die Sicht Thomas von Aquins

Als eine der großen Leistungen Thomas von Aquins gilt sein Beitrag zur Systematisierung der Sakramentenlehre120. Auch wenn Thomas nicht als erster die Sakramente in den biographischen Kontext eines Menschenlebens eingeordnet hat, so habe er diese Analogie doch originell ausgearbeitet und zur Grundlage seiner Sakramententheologie gemacht121. Damit wandte er sich auch von anderen möglichen Gruppierungen ierungen der Sakramente ab, wie der Einteilung nach Tugenden und Sünden122. Während damit in der Theologie Thomas’ also die Taufe mit der Geburt aus dem Mutterschoß vergleichbar wäre, sei die Firmung mit der Stärkung vergleichbar, die das eigenständige Leben eines Menschen erst ermöglicht. Dies wird bereits im Sentenzenkommentar deutlich123.

Taufe und Firmung erscheinen bei Thomas von Aquin als zwei Sakramente, die einerseits eng miteinander verwoben sind, weil es um die Analogie zur carnalis nativitas geht. Die Geburt aus dem Mutterschoß ist Voraussetzung für die Stärkung, die zur Überlebensfähigkeit eines Kindes beiträgt. Ähnlich ist auch die Taufe als die Eingliederung in den Leib der Kirche Voraussetzung dafür, dass der Christ / die Christin so gestärkt wird, damit er öffentlich den Namen Christi bekennen kann. Andererseits sind Taufe und Firmung auch voneinander unterschieden, denn die Eingliederung in den Leib Christi wird hier von dem öffentlichen Bekenntnis zu Christus unterschieden. Die Firmung erhält dadurch einen missionarischen Charakter, welcher der Taufe in dieser Weise nicht zugesprochen wird. Zusätzlich gerät die Firmung durch diese Bestimmung in die Nähe des Sakraments der Weihe. Während aber die Firmung „dem Getauften das übernatürliche Handeln als Privatperson [ermögliche, vervollkommene der ordo] den Christen als Amtsperson und als führendes Glied der Kirche“124. Dadurch erhält die Firmung bei Thomas einen Aspekt, der auf das Handeln als gläubiger Christ / als gläubige Christin hin ausgerichtet ist. Dieses Handeln ist möglich durch die perfectio prima, die in der Taufe Grund gelegt ist. Die höchste Vervollkommnung besteht darin, mit dem primus agens in Verbind zu gelangen: „Diese Funktion habe die Eucharistie, weil sie den Christen mit Christus, der Quelle des christlichen Lebens, verbinde“125.

Thomas bleibt bei dieser Analogie zum biographischen Kontext eines Menschenlebens aber nicht stehen. In seiner Summa Theologiae greift Thomas den Gedanken der perfectio wieder auf und verbindet ihn mit Wachstum und Speise126. Die Firmung wird hier mit dem Wachstum verglichen, das im Menschen schon selbst angelegt sei. Wenn die Firmung mit diesem Wachstum in Verbindung gebracht wird, dann wird man die Taufe als Grundlage und Ursache dieses Wachstumsprozesses voraussetzen. Der Selbstand des Christen / der Christin wird in der Firmung also vermehrt (augmentum) und gestärkt (confirmatio). Die Eucharistie hingegen wird mit all dem verglichen, das durch Hinzufügung (adiunctio) zur Vervollkommnung gelangt. Refectio erinnert dabei an die Erfrischung, aber auch an das Neu- oder Wiedergeschaffensein, das dem gläubigen Menschen in der Eucharistie widerfährt.

Die Firmung wird bei Thomas allerdings nicht als selbstverständliche Ergänzung der Taufe angesehen. Sie führt zu einer perfectio formalis, weil durch sie ein tugendhaftes Leben besiegelt wird. Dadurch wird sie wieder eng mit der Eucharistie verknüpft, weil die Eucharistie zur perfectio führt, insofern als sie die consecutio finis bezeichnet127.

In dieser Analogie zur Biographie eines Menschen versteht Thomas eindeutig das Erwachsenenalter als Vervollkommnung des Kindesalters. Vom Jugendalter ist gar nicht die Rede, eine eigene Wertigkeit kommt diesen Lebensabschnitten gar nicht zu. Es wird zumeist von der Stärkung gesprochen, die mit der Firmung gegeben wird. Die Firmung kann aber nicht alleine zur Stärkung des menschlichen Lebens eines Christen / einer Christin beitragen, die Eucharistie darf dabei nicht aus den Überlegungen herausfallen, weil durch sie Stärkung noch einmal ganz sinnlich erfahrbar beim Verzehr der konsekrierten Hostie geschieht. Die Firmung steht dabei in einer merkwürdigen Spannung: einerseits soll sie den Christen dazu befähigen, im öffentlichen Bereich von Christus Zeugnis abzulegen, andererseits soll der Christ dies als Privatperson tun, damit das Sakrament der Firmung nicht mit dem Sakrament der Priesterweihe verwechselt werden kann. Insgesamt aber haben alle Sakramente bei Thomas den Zweck, „der Gottesverehrung zu dienen“128. Deshalb müssen alle Sakramente in ihrer Relation zur Eucharistie verstanden werden, weil sie die finis, das Ziel und den Endpunkt aller Sakramente darstellt129.

Bei Thomas ist Firmung als Sakrament des öffentlichen Bekenntnisses Christi deutlich auf die Taufe bezogen. Er unterscheidet schon im Sentenzenkommentar drei verschiedene Modi, nach denen aliquid spirituale im Empfang der Sakramente, die einen Charakter, ein Merkmal einprägen, übertragen wird. 1) „Uno modo ut aliquis in se spritualia participet“130. Dieser Modus wird in der Taufe übertragen, weil jeder Getaufte an eine spiritualis potentia passiva innehat, also beispielsweise die Vollmacht zum Empfang der Sakramente. 2) „Alio modo ut spiritualia quis in notitiam ducat per eorum fortem confessionem”131. Dieser Modus sei in der Firmung gegeben und befähige zur Standhaftigkeit in Zeiten der Verfolgung, wozu Thomas die Legende des Heiligen Sebastian in Erinnerung ruft. 3) „Tertio modo ut etiam spiritualia credentibus tradat”132. Dieser Modus ist in der Priesterweihe gegeben, die wie Taufe und Firmung auch einen geistlichen Charakter verleiht.

Thomas warnt ausdrücklich davor, sich aus Furcht dem Sakrament der Firmung zu entziehen133. Taufe, Firmung und das Sakrament der Weihe werden bei ihm mit dem Priesteramt Christi verbunden134. Der sakramentale Charakter, der in Taufe, Firmung und Priesterweihe übertragen wird, ist also auf eine jeweils eigene Art Teilnahme am Priesteramt Christi: „Im Gegensatz zum Taufcharakter, bei dem es sich um ein passives Vermögen zum Empfang der anderen Sakramente handele, werden Firm- und Weihecharakter vom Sentenzenkommentar als aktive Vollmachten ‚zur Ausspendung der Sakramente und zur Ausübung anderer heiliger hierarchischer Handlungen’ bezeichnet“135. Das bedeutet, dass die Sakramente auf die Eucharistie hin bezogen sind. Während die Taufe zum Empfang der Eucharistie berechtigt, ist die Firmung sowohl auf den Empfang der Eucharistie als auch auf die Sendung in der Eucharistie bezogen und das Sakrament der Weihe auf die Vollmacht zur Konsekration. Die Taufe gerät somit in den Bereich des persönlichen, des eigenen Heils, die Firmung erscheint als eine Beauftragung zum Kampf und zur Verkündigung136. Diese aktive Komponente der Firmung wird allerdings durch eine passive ergänzt, wonach die Firmung – wie die Taufe – zum Empfang der Eucharistie befähige und diese vollende.

Ein ähnliches Verhältnis wechselseitigen Ergänzens und Oszillierens zwischen Aktivität und Passivität zeigt sich auch bei der gratia sacramentalis, die auf der einen Seite bei jedem Sakrament unterschieden sein soll, auf der anderen Seite aber immer die gratia sanctificans beinhalte137. Dadurch löse Thomas von Aquin laut Adolf Adam das schwierige Verhältnis zwischen der Tauf- und der Firmgnade und die Frage nach der Steigerung der Taufgnade durch die Firmgnade138:

„Durch die Taufe erfolgt eine gewisse Verähnlichung der Seelensubstanz mit dem göttlichen Sein und eine übernatürliche Stärkung der Seelenkräfte durch die mit der heiligmachenden Gnade verbundenen ‚virtutes et dona’. Dieses ‚gottähnliche’ Leben der Seele erfährt durch die spezielle Firmgnade eine Reifung und Vollendung, die auch verstärkend auf die ‚virtutes et dona’ wirkt. Gleichzeitig wird die im Getauften noch vorhandene Schwachheit geheilt und der Gefirmte zu den ihm übertragenen Aufgaben durch besondere Kräfte, deren Quelle die Passion Christi ist, befähigt. Diese Begnadung wird dem Heiligen Geist zugeeignet“139.

Thomas von Aquin bezeichnet die sacramentorum effectus ausdrücklich als „diversae medicinae peccati, et participationes virtutis dominicae passionis“140. Davon unterschieden sind nochmals die „diversae virtutes et diversa dona Spiritus sancti“141. Die Sakramente stehen somit bei Thomas in einem christologischen Begründungs- und Erklärungszusammenhang, die ihren Höhepunkt in der Theologie des Leidens und Sterbens Jesu Christi findet. Die Gaben des Heiligen Geistes sind auf verschiedene Handlungen der Christen und Christinnen hin ausgerichtet, weil in der Taufe bereits die Mitteilung des Heiligen Geistes gegeben ist. Von einem völligen Fehlen pneumatologischer Überlegungen in der Sakramententheologie Thomas’ zu sprechen, ist allerdings auch nicht korrekt, denn: „Baptismus aquae efficaciam habet a passione Christi, cui aliquis configuratur per Baptismum; et ulterius, sicut a prima causa, a spiritu sancto“142. Damit wird die Wirksamkeit der Taufe nicht nur von der Passion Jesu Christi abhängig gemacht, sondern auch vom Heiligen Geist. Allerdings entfaltet Thomas diese pneumatologische Dimension der Taufe nicht weiter und überträgt sie auch nicht explizit auf die Firmung. Aber die Firmung kann in der Theologie Thomas’ nicht ausschließlich und gegenüber der Taufe als das Sakrament des Heiligen Geistes verstanden werden.

Die Tauf- und die Firmgnade müssen nach Thomas als verschieden betrachtet werden, weil es sich um zwei verschiedene Sakramente handelt. Deshalb kann die Firmgnade die Taufgnade auch nicht in direkter Weise vollenden. Es gibt aber auch eine Gemeinsamkeit in der Gnade der Sakramente, so dass die Firmung die Gnade, die in der Taufe mitgegeben wurde, vermehrt143. Dabei bleibt Thomas bei dem Vergleich der Ordnung der Sakramente mit dem natürlichen Leben eines Menschen. Die Geburt ist vergleichbar mit dem, was Adam „eine gewisse Verähnlichung der Seelensubstanz mit dem göttlichen Sein und eine übernatürliche Stärkung der Seelenkräfte“144 genannt hat. Die Entwicklung des Menschen, die Thomas mit der perfectio in Verbindung bringt, ist vergleichbar mit der Reifung und Vollendung, die sich in der Firmung ereignet. Dass beide Sakramente in ihrem Verhältnis zur Passion Jesu und zum Sakrament der Eucharistie verstanden werden müssen, zeigt ihre innere Verbindung und das Ziel der perfectio, insofern sie das Ziel menschlichen Lebens darstellt: die Begegnung mit dem primus agens. Deshalb ist auch die spiritualis cognatio, die geistliche Verwandtschaft, nicht nur eine Wirkung der Firmung, wie Adam annimmt145, sondern sie wird durch Taufe und Firmung verwirklicht146, obwohl sie hauptsächlich im Eherecht thematisiert wird147, denn sie stellt ein impedimentum dar148. Die kirchliche Gemeinschaft ist demnach mit einer verwandtschaftlichen Beziehung vergleichbar, was sich auch daran zeigt, dass die Gläubigen in der Liturgie als Schwestern und Brüder angesprochen werden.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde an die Firmtheologie Thomas’ vermehrt die Frage gestellt, ob hier ein „Umfunktionieren der christlichen Initiation“149 Grund gelegt sei. Es geht hier um die innere Einheit der Sakramente von Taufe, Firmung und Eucharistie bei der Eingliederung in die Kirche. Thomas von Aquin hatte zwar die Zusammengehörigkeit dieser drei Sakramente herausgearbeitet, allerdings hatte er sie auch als eigene Sakramente unterschieden und damit die Entscheidung des Konzils von Florenz maßgeblich beeinflusst150. Man wird allerdings nicht ohne weiteres behaupten können, dass Thomas von Aquin mit Taufe und Firmung „zwei selbständige Sakramente“151 unterscheidet, wie Amougou-Atangana dies tut, als wäre von Thomas eine strikte Trennung zwischen Taufe und Firmung in die Theologiegeschichte eingeführt worden. Die innere Verwiesenheit beider Sakramente und der Bezug zur Eucharistie und Priesterweihe treten bei Thomas deutlich zu Tage. Überhaupt scheint Amougou-Atangana die Theologie Thomas’ sehr einseitig und offenkundig ausschließlich negativ zu beurteilen. Seiner Ansicht nach müsse, wenn von Entfaltung und Reife im menschlichen Leben die Rede sei, von der Eucharistie noch eher als von der Firmung gesprochen werden152. Genau dies hat Thomas aber auch getan als er von der perfectio gesprochen hat, die in Firmung und Eucharistie verliehen wird.

Hans Küng hält eine Trennung von Taufe und Geistmitteilung in den Schriften des Neuen Testaments für illegitim153. Sein Schüler Jean Amougou-Atangana fragt nach einem patristischen Autor, der die Unterschiedenheit von Taufe und Firmung bezeuge154. Diese Kritik an der Theologie Thomas’ blieb wiederum selbst nicht unhinterfragt. So wurde die Frage gestellt, ob es nun einzelne Theologen seien, die entscheiden, was ein Sakrament der Kirche ist oder was es nicht ist155. Sollen Fragen nach der Berechtigung einer von der Taufe und der Erstkommunion losgelösten Feier der Firmung überhaupt beantwortet werden können, dann laut Karl Lehmann „nur im Rahmen einer umfassenden neutestamentlichen Theologie des Geistes und der Taufe“156. Dass Lehmann allerdings auch fragt, ob man „an dieser Stelle kritischer sein [sollte,] als die Kritischen“157 zeigt die Problematik deutlich auf, denn die Initiationssakramente sind nur in der gegenseitigen Verwiesenheit von Taufe, Firmung und Eucharistie zu verstehen158.

Es lässt sich festhalten: Thomas von Aquins Firmtheologie wird von der menschlichen Biographie her entfaltet. Dazu gehört bei Thomas der Vergleich der Firmung mit der nativitas ex utero, der Stärkung des Menschen, und der perfectio per augmentum, der Vollendung und Vervollkommnung des Menschen in der Firmung. Der Sachfrage nach der Gemeinschaft können bei Thomas zugeordnet werden: die geistliche Verwandtschaft, die in Taufe und Firmung begründet werden und die Beziehung der Firmung zur Priesterweihe: in der Firmung soll der Christ als Privatmann tätig sein. Das Gottesbild in Thomas’ Firmtheologie ist von der Passion Christi und dem Pfingstereignis her geprägt. Als Gabe und Aufgabe erscheinen das öffentliche Bekenntnis des Namens Christi durch den Gefirmten, die spritiualis potentia per fortem confessionem. Dem Kriterium Glaubensleben können zugeordnet werden die perfectio formalis in der Firmung zur Besiegelung eines tugendhaften Lebens, die Ausrichtung der Firmung auf die Eucharistie und die Gottesverehrung sowie das Verständnis jeglichen rituellen Handelns in der Glaubensgemeinschaft Kirche, das vom Priestertum Christi her erklärt werden muss. Die Sachfrage Kommunikation wird von Thomas nicht explizit genannt, aber die spiritualis potentia activa beinhaltet die Ausübung heiliger Handlungen. Damit besteht eine Berechtigung, sie der Kommunikation zuzuordnen, weil Kommunikation nicht auf verbale Kommunikation eingeschränkt werden kann. Ebenso könnte hier noch das öffentliche Bekenntnis des Namens Christi genannt werden, das aber schon dem Themenbereich Gabe und Aufgabe zugeordnet wurde. Kennzeichen der Firmung als Passageritual ist bei Thomas das Verständnis der Firmung in Beziehung zu Taufe und Eucharistie und der Verbindung des Gefirmten mit Christus, der Quelle christlichen Lebens Zum Alter macht Thomas keine genauen Angaben, von seinem Ausgangspunkt Biographie her lässt sich aber folgern, dass die Firmung im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter zu spenden ist, weil im Mittelalter das Jugendalter nicht kannte und das Erwachsenenalter als Vervollkommnung des Kindesalters verstanden wird. Es gelingt Thomas also verschiedene Sachthemen wie auch verschiedene Sakramente in die Ausdifferenzierung seines Verständnisses der Firmung zu integrieren. In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse zusammengefasst und den Sachthemen, die in Kapitel 1.1.5 vorgestellt wurden, zugeordnet. Das ergibt folgendes Bild:

Tabelle 3: Firmung bei Thomas von Aquin und Sachthemen

Firmung ist bei Thomas von Aquin…Sachthemen
- …vergleichbar mit der nativitas ex utero: der Mensch wird gestärkt und kann als Christ exponiert stehen- …das Sakrament, das zur perfectio per augmentum führt: es geht um Reifung und Vollendung- …mit dem Gedanken der Vervollkommnung des Kindesalters ins Erwachsenenalter hinein verbunden, vom Jugendalter ist nicht die RedeBiographie
- …mit der Taufe das Sakrament, das eine geistliche Verwandtschaft begründet- …in Beziehung zur Priesterweihe erklärt, wobei in der Weihe der Christ als führendes Glied der Kirche wirksam werden sollGemeinschaft
- …wie alle Sakramente durch die Passion Jesu Christi wirksam- …wie die Taufe auch vom Heiligen Geist her wirksamGottesbild
- …das Sakrament zum öffentlichen Bekenntnis des Namens Christi als Privatperson- …mit der spiritualis potentia per fortem confessionem verbundenGabe und Aufgabe
- …das Sakrament, das zur perfectio formalis führt: sie besiegelt ein tugendhaftes Leben- …wie alle Sakramente auf die Gottesverehrung und damit auf das Sakrament der Eucharistie hin bezogen- …wie jegliches rituelles Handeln in der Glaubensgemeinschaft vom Priestertum Jesu Christi her zu verstehenGlaubensleben
- …mit einer spiritualis potentia activa verbunden. Der Gefirmte ist ähnlich wie der Geweihte mit der Ausübung heiliger Handlungen betrautKommunikation
- …nur in Beziehung zu Taufe und Eucharistie zu verstehen. Gerade in der Hinordnung auf die Eucharistie wird die Verbindung mit Christus als der Quelle christlichen Lebens Grund gelegtPassageritual
- …im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter zu spenden.Alter

Die Firmung steht in Zusammenhang mit dem Handeln der Kirche und hat eine christologische wie auch eine pneumatologische Perspektive, nämlich das Wirken des Heiligen Geistes in den Sakramenten der christlichen Initiation. Die anthropologische Basis für die Taufe und die Firmung ist auf die Eucharistie und das Handeln Gottes am Menschen hin geordnet. Dieser Gedanke Thomas’ von der perfectio hat sicher auch heute noch seine Gültigkeit, vor allem dann, wenn man die eschatologische perfectio, das letztgültige Handeln des primus agens am Menschen, nicht aus den Augen verliert. Perfectio darf dabei allerdings nicht so verstanden werden, dass das Kindes- und Jugendalter als eine zu überwindende Zeit hin zum Erwachsenenalter erscheint, in dem dann letztendlich die perfectio erreicht wäre. Jedes menschliche Lebensalter hat im biographischen Kontext seine eigene Wertigkeit, Bedeutung und auch Problematik. Interessant ist zu beobachten, dass Thomas von Aquin das Sakrament der Priesterweihe zur Erklärung der Firmung heranzieht: in beiden Sakramenten geht es nämlich um die Ausübung heiliger Handlungen, bei der Weihe als führendes Glied der Kirche und als Amtsperson, bei der Firmung als Privatperson. Sogar ein Gedanke Hans Küngs und Jean Amougou-Atanganas wird von der Firmtheologie Thomas’ gestützt, insofern Taufe und Firmung als Sakramente der Geistmitteilung verstanden werden.

1.3 Firmung vom Ausgangspunkt Glaubensleben her gesehen - die Sicht Karl Rahners

Das christliche Glaubensleben wurde in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils vom gemeinsamen Priestertum her verstanden. Christinnen und Christen haben damit die Aufgabe, in ihrem Alltag ein tugendhaftes Leben zu führen, das auf die Feier der Eucharistie hin bezogen ist. Alltägliches Leben ist aber auch von all den Schwierigkeiten gekennzeichnet, denen Menschen ausgesetzt sind. Die Theologie Karl Rahners stellt sich diesen Schwierigkeiten und Hoffnungen des alltäglichen Lebens von Christinnen und Christen. Gotteserfahrung im alltäglichen Leben machen zu können, gilt geradezu als Schlüssel zum theologischen Werk Karl Rahners159. Deshalb wird in diesem Abschnitt die Theologie Rahners zum christlichen Leben und zur Firmung herangezogen, um die Firmung unter dem Aspekt des Glaubenslebens weiter zu entfalten. Im Unterschied zur menschlichen Biographie, die den gesamten Verlauf eines menschlichen Lebens beschreibt, geht es im Glaubensleben getaufter und gefirmter Christen also um ihre konkreten Lebensumstände, in denen sie zum Heil der Welt wirken können und sollen.

1.3.1 Firmung ist Auftrag zur Seelsorge im Alltag

Karl Rahner betont, dass jeder Christ und jede Christin eine Fähigkeit und einen Auftrag erhalten hat, eine Gabe und eine Aufgabe. Er jedenfalls geht dabei so weit, von einer Weihe des Laien zur Seelsorge zu sprechen und meint damit, dass alle Christen sich um die Seele „sorgen können und sich sorgen müssen“160. Dies sei deshalb notwendig, weil menschliches Dasein in der Welt stattfindet und der Mensch in gemeinschaftlichen Beziehungen lebt. Wo gegenseitige Fürsorge gepflegt wird, spricht er von einer Werkgemeinschaft, die zur Seelsorge werden kann, wenn sie caritas, Liebe Christi wird und damit „ein Weiterwirken, eine Verewigung der Seelsorge Jesu“161. Diese caritative Werkgemeinschaft ist auf die eschatologische Vollendung hin angelegt, wenn die Liebe Gottes zu allen Menschen nicht mehr ein Abbild benötigt und nicht mehr bezeugt und besiegelt werden muss.

Entwickelt sich die Werkgemeinschaft zu einem gegenseitigen Führen „in das Reich des ewig Wahren und Guten“162, nennt Rahner dies Gemeinschaft im Geist. Diese Gemeinschaft ist durch Sprachlichkeit gekennzeichnet, sie geschieht „wesentlich in der Rede, im Wort“163. Da Gott nun in unüberbietbarer Weise sein Liebeswort in Jesus Christus gesprochen hat, ist der Gefirmte dazu beauftragt und geweiht, dieses Wort weiterzutragen und zwar sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Perspektive, also immer und zu allen Menschen. Firmung wird somit bei Rahner zunächst in einer missionarischen, von einer Theologie des Wortes Gottes her verstanden, Dimension beschrieben, die auf das eschatologisch endgültige Christusereignis hin bezogen ist. Der Gemeinschaft der Gefirmten im Geist ist nach Rahner deshalb auch verheißen, dass „Gott die Rede aus dem Munde des Menschen zu seinem Wort“164 macht. Die Firmung muss in diesem Grundriss der seelsorgerlichen Dimension jeder christlichen Existenz, aber auch mit der Taufe in Verbindung gebracht werden. Denn auch sie ist „Weihe zur Seelsorge“165, weil in ihr Gott seine Liebestat zu den Menschen mitteilt und weil der Mensch dadurch als ganzer und von seinem Innersten her für die anderen sorgen kann. Dies geschieht vor allem dann, wenn der Getaufte aus der Liebesbeziehung zu Gott heraus auf die Mitmenschen zugeht. In dieser gegenseitigen Verbindung der Weitergabe des Wortes (Firmung) und der grundlegenden Liebesbeziehung Gottes (Taufe), wird auch klar, dass jeder Christ als Getaufter und Gefirmter die Gabe und die Aufgabe hat, „von seinem Glauben Zeugnis zu geben“166.

Die dritte Gemeinschaft ist für Rahner die der Liebe von Mensch zu Mensch und so gelangt das Sakrament der Ehe zu einer seelsorgerlichen Dimension, weil in diesem Sakrament Gottes Liebe zur Welt zeichenhaft gegenwärtig ist167. Mit diesem Gedanken wird schließlich mit Taufe und Firmung auch noch das Sakrament der Ehe verbunden, was mit der Liebe Gottes begründet wird. Das Zueinander und das Proprium der einzelnen Sakramente wird dadurch noch weiter entfaltet. Rahner legt Wert darauf, herauszustellen, dass die Sakramente nicht nur zum privaten Heilsempfang dienen, sondern vor allem auf die Kirche hinordnen und zwar als „Einweisung in eine aktive Aufgabe in der Kirche“168. Die Frage nach einem Betätigungsfeld für Gefirmte, die im Rahmen der Darstellung der Firmtheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgekommen war, müsste also analog für jedes einzelne Sakrament gestellt werden.

Wenn die Taufe aber schon dazu verpflichtet und begabt, am Tun der Kirche mitzuhelfen nach den jeweils eigenen Begabungen, dann wird es sehr schwer, neben diesem aktiven Mitvollzug den Sinn und die Aufgabe der Firmung zu deuten: „Es ist für den Dogmatiker schwer, die beiden Sakramente in ihrem Sinn und ihrer Wirkung ganz genau zu unterscheiden“169, so Rahner. Es sind vielmehr zwei Sakramente der einen christlichen Initiation. Die Firmung aber mache noch deutlicher als die Taufe, dass jeder Christ und jede Christin eine Sendung und eine Aufgabe erhalten hat. Und in diesem Zusammenhang beschreibt Rahner die Firmung mit folgenden Worten: Sie ist das „Sakrament des Glaubenszeugnisses, der charismatischen Fülle, des Hl. Geistes, der zeugenden Sendung des Geistbesiegelten in die Welt, damit sie der Herrschaft Gottes untertan werden, der Bestärkung im Glauben gegenüber den Mächten und Gewalten in dieser Welt, den Mächten der Lüge und des Unglaubens, der dämonischen Hybris einer Selbsterlösung“170. Den Gefirmten soll durch den subjektiven Mitvollzug der Firmung bewusst werden, was objektiv in der Firmung geschehen ist und welche subjektiven Aktionen daraus abzuleiten sind, wenn man die Firmung als „Sakrament geistlicher Mündigkeit“171 verstehen soll.

Auch der Zeitpunkt der Firmung spielt in dieser Sichtweise keine Rolle mehr, entscheidend ist vielmehr die persönliche Fähigkeit des Gefirmten, sich als geistlich mündiges und aktives Glied der Kirche zu verstehen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Dass Rahner an einer anderen Stelle bedauert, dass die Firmung in der Biographie vieler Christinnen und Christen keine große Rolle spielt, führt er überraschender Weise dann doch darauf zurück, dass die Firmung meist „in einem Alter empfangen [wird], das nicht dazu angetan ist, diesem zeitlich einmaligen und schnell vorübergehenden Ereignis eine besondere Eindrücklichkeit zu gestatten“172. Der subjektive Mitvollzug der Firmung ist in Rahners Verständnis also auf Eindrücklichkeit, vielleicht könnte man auch sagen Nachhaltigkeit, hin angelegt. Solch eine tiefgreifende Empfindung des „Sakramentes des Geistes“173 hinge dann aber doch wieder nicht vom Lebensalter des Firmanden ab, sie müsse eher biographisch mitvollziehbar sein als ein entscheidendes, wirkungsvolles und eindrucksvolles Erlebnis. Um dies zu gewährleisten schlägt er zwei Handlungsweisen vor:

a) zum einen die Verbindung der Firmung mit frei machenden Erfahrungen und Lebensperspektiven, die Christinnen und Christen prägen sollen auf ihrem Lebensweg174. Er versteht darunter zunächst enthusiastische Erfahrungen, spricht vom Wehen des Geistes und Zungenrede. Dies alles sei möglich, wenn der Bezug zur eschatologischen Vollendung der Gegenwart und des Wirkens Gottes nicht in Vergessenheit geriete. Vielleicht muss man aber auch gar nicht von charismatischen Gottesdiensten sprechen oder von Zungenrede: die eigene Lebensperspektive zu finden, ist gerade für junge Menschen ein ganz entscheidendes Problem und darf auch aus christlicher Sicht nicht vernachlässigt werden: in welchen Beziehungen kann und will ich leben? Wo kann ich meine Lebenskraft einbringen? Wie verbringe ich meine Lebenszeit, die immer einmalig ist und unwiederholbar ist und damit auch unendlich kostbar? Solche Fragen könnten bei der Entstehung der Vision oder der Planung des eigenen alltäglichen Lebens hilfreich sein.

b) zum anderen gehört für Rahner in den biographischen Mitvollzug der Bedeutung der Firmung die Herausstellung des eigenen Charismas als eines Auftrages, der sowohl gesellschaftliche als auch kirchliche Verantwortung bedeutet175. Damit wird die Firmung in noch höherem Maß zum Sakrament der Sendung, der Überlieferung des Wortes Gottes für die Welt und für den Auftrag der Kirche als Ganzer entscheidend.

Die biographische oder anthropologische Dimension des Sakramentes der Firmung führt Rahner sogar dazu, von einer Stiftung dieses Sakramentes durch Christus zu sprechen176. Denn die Aktualisierung des Heilswortes Gottes in die persönliche Situation eines Menschen hinein bedeutet, dass die Kirche sich selbst in Handlung setzt und dem einzelnen die Zugehörigkeit zu Jesus Christus, die sie selbst bezeichnet, mit auf den Lebensweg gibt. Dieses Argument ist mit Sicherheit sehr zweischneidig. Es bedeutet aber auch, dass die Kirche nicht nur das Sakrament der Firmung verwaltet, sondern dass sie sich selbst gibt und an die Menschen, die beauftragt werden, mitgibt – als der Gesamtheit aller Christinnen und Christen, die aus der Zugehörigkeit zu Christus leben. Aus diesem Grund ist für Rahner auch die einseitige Zuordnung von Zukunftspessimismus so genannter engagierter Laien und einem so genannten klerikalen Triumphalismus nicht aufrecht zu halten. Denn die Aufgabe der Kirche und damit der Gemeinschaft der Christen ist es, die Eucharistie zu feiern, die Wiederkunft Christi zu erwarten, im Namen des dreieinen Gottes zu taufen und sein Wort zu verkünden in der Hoffnung, dass alle Christen in ihrem Hoffen und Scheitern zu Christus gehören177. Die Lebensplanungen und –perspektiven von Christinnen und Christen sind deshalb nicht nur allein freiheitlich getroffene Entscheidungen, sie sind immer auch als Antwort auf einen Anruf Gottes zu verstehen, der im Alltag nur sehr ungenügend reflektiert wird und deshalb unbestimmt zu bleiben droht178. Firmung muss also diese verdeckte Dimension christlichen Handelns klar und verständlich machen. Der Firmung muss damit eine Funktion für das Leben der Christen aus einem lebendigen Glauben zukommen, und zwar im Alltag, der bestanden werden muss, der aber auch eine Quelle der Gottesbegegnung werden kann. Denn:

„Rahner behauptet nicht nur […], der Alltag sei ein Ort der Gottesbegegnung, das absolute Geheimnis dieser Begegnung werde in der Durchschnittlichkeit und Routine des Alltags wirklich erfahren, sondern er behauptet darüber hinaus, höchste Spiritualität und gewöhnlichste Alltäglichkeit gehörten wesentlich zusammen: das absolute Geheimnis wird im Alltag entdeckt, oder Gott selber ist verloren und – das wäre noch hinzuzufügen – die Menschen des Alltags und der Alltag selber werden nie gerettet: es gibt überhaupt kein Heil“179.

Will man diesen Gedanken von der Zusammengehörigkeit von Gottesbegegnung und Alltäglichkeit mit der Firmung in Verbindung bringen, dann kann dies bedeuten, dass die Taufe die Eingliederung des Menschen in die Kirche darstellt. Der Mensch stirbt „in sakramentaler, in raum-zeitlicher, in gesellschaftlicher Greifbarkeit in den Tod Christi hinein“180. Die Firmung betont dann auch die gesellschaftliche Funktion der Getauften und sie ist „die Gnade der Kirche zur Sendung in die Welt und zur Ankündigung ihrer Verklärung“181. Freilich dürfen diese einzelnen Zuschreibungen nicht exklusiv verstanden werden, so als würde die Taufe nicht schon zur Sendung in die Welt beauftragen und so als hätte die Firmung nichts mit der bleibenden Kraft des Todes Christi zu tun. Es zeigen sich in den beiden Sakramenten viel eher zwei Brennpunkte christlicher Existenz: Zugehörigkeit zu Jesus Christus und Sendung in die Welt.

1.3.2 Firmung ist Sendung der Kirche in den Alltag

In der Sendung durch Gottes Wort und in der Alltäglichkeit der Lebensumstände erhält die Firmung auf diese Art und Weise eine kirchliche Dimension, indem die Kirche thematisiert wird als „die gesellschaftlich legitim verfaßte Gemeinschaft […], in der durch Glaube und Hoffnung und Liebe die eschatologisch vollendete Offenbarung Gottes (als dessen Selbstmitteilung) in Christus als Wirklichkeit und Wahrheit für die Welt präsent bleibt“182. Das bedeutet, dass Gottes Heilswillen allen Bereichen menschlichen Lebens gilt und jedes Handeln der Menschen offen bleiben muss auf Christus selbst hin. Wie dies allerdings möglich ist und was präsent bleiben soll, ist nach Rahner eine der Fragen einer praktischen Theologie183. Kurz gesagt soll sich die praktische Theologie deshalb mit der Frage beschäftigen, wie die Kirche zu handeln hat, weil sie Kirche ist und dadurch klären, was eigentlich genau in der Kirche präsent gehalten werden soll. Die Hinweise Rahners können in diesem Zusammenhang dazu dienen, die kirchliche Sendung, die in der Firmung geschieht, näher zu verstehen.

Rahner geht davon aus, dass sich Gott den Menschen selbst gibt184. Damit ist die Kirche kein Platzhalter oder ein Repräsentant Gottes, sie soll Gott die Ehre geben. Die Menschen sollen, so Rahner, gerettet werden, indem sie Gott als den bekennen, der er ist, nämlich als den Transzendenten, dessen letztlich unverfügbares Geheimnis den Menschen anvertraut ist. Die Kirche wird sich deshalb auch immer mit der Destruktion falscher Götzen zu beschäftigen haben, die das Leben der Menschen vielleicht auf den ersten Blick vielleicht reichhaltiger erscheinen lassen und sie wird sich selbst hinterfragen müssen, ob sie in aller Definitivität der Präsenz Gottes in ihrem Handeln selbst den Horizont für den Allumfassenden offen hält.

Gott selbst ist „in der Kirche präsent als die Wahrheit und als die Liebe“185. Die Selbstmitteilung Gottes ist die Selbstvollzugsweise Gottes oder mit den berühmten Worten: die „’ökonomische’ Trinität ist die immanente“186. Die Kirche bleibt somit immer eine hörende auf Gottes Wort, sie ist logisch zunächst Heilsfrucht, dann erst Heilsmittel, auch die „Apostel mußten zuerst Glaubende sein, um Offenbarungsträger sein zu können“187. Die Kirche hat deshalb die Zusage, dass der Glaube indefektibel ist, ihre ureigensten Aufgaben sind dort zu suchen, wo Gott wirklich präsent ist als die Wahrheit und als die Liebe. Dies geschieht in besonderer Art und Weise in der Feier der Eucharistie, in der Gott gelobt wird und in der gläubig empfangen wird, was als Gottes Wahrheit der Kirche anvertraut ist.

Zur Kirche gehört auch, dass in ihr „die Liebe zu Gott als Annahme der Liebe und die Vermittlung der Liebe Gottes als heiligende Macht in Sakrament, Gebet, Leben“188 gegenwärtig gehalten wird und zwar als persönlicher Vollzug und als objektive Heilsgabe von Gott her. Weil der Mitvollzug und die subjektive Aufnahme der Liebe Gottes zum innersten Wesen der Kirche dazugehört, ist auch das, was den Menschen in seiner Geschöpflichkeit auszeichnet, in der Kirche aufgehoben. Dies ist nicht von Gottes Heilszusage abzuleiten, sondern von der Faktizität, dass Gott als der Notwendige und Bleibende gegenwärtig ist für die Menschen, die kategorial verfasste Wesen sind.

Entscheidend für den Selbstvollzug der Kirche ist ihre Verwiesenheit auf die eschatologische Vollendung. Die Kirche selbst ist die „eschatologische Parousia Gottes in Christus“189. Von ihr ist noch einmal die Selbstgabe Gottes in der Ewigkeit, von Angesicht zu Angesicht, zu unterscheiden. Deshalb wird die Kirche ihre wesentliche Aufgabe, Gottes Gegenwart selbst zu bezeichnen, nur verwirklichen können, wenn sie dies in der Weise des Mysteriums tut. Die Kirche ist kein Platzhalter für Gott, so als würde er sich nicht in der Wirklichkeit zeigen. Im Gegenteil: sie ist „das Ereignis dessen, daß er als das Geheimnis für uns präsent wird“190. Die Kirche wird so zu einem Hinweis auf den letztlich unverfügbaren Größeren, der die Kirche selbst hervorgebracht hat und das Mittun des Menschen in seiner schöpferischen Kraft in der Gemeinschaft der Kirche ermöglicht.

Deshalb bezeichnet Rahner die Kirche als „das ‚Sakrament’ dieser Selbstmitteilung Gottes“191, weil so deutlich wird, dass Gott wirklich anwesend ist und gleichzeitig die Kirche „nur dessen Zeichen192 ist. Um die Kirche einerseits von den sieben Sakramenten der Kirche zu unterscheiden und andererseits ohne sie mit Christus als dem Ursakrament verwechseln zu wollen, spricht Rahner von der Kirche als Ursakrament, um die Präsenz Gottes und gleichzeitig die „Nichtidentität zwischen Zeichen und Bezeichneten“193 zu kennzeichnen. Dabei enthält die Kirche aber als Realsymbol das, was sie bezeichnet, denn sie ist das von Gott ins Werk gesetzte Zeichen seiner Selbstmitteilung und Gegenwart und insofern übt die Kirche eine heilsnotwendige Funktion aus. Das zeichnet die Kirche aus und so handelt sie in der Weise des Ursakraments.

Wenn die Kirche als Realsymbol die Präsenz Gottes bezeichnet und beinhaltet, und wenn sie auf die eschatologische Gültigkeit des Christusereignisses verpflichtet ist, dann kann man sie sich nicht als Institution verstehen, die den Menschen lediglich eine Heilsmöglichkeit anbietet. Sie ist vielmehr „geschichtliche Präsenz der siegreichen Gnade Gottes in der Welt“194. Die Kirche handelt nicht getreu ihrem Auftrag, wenn sie nur von der Möglichkeit spricht, Gott habe sein Heil angeboten oder wenn sie Gottes Heil proklamierend einfordert. Es geht auch nicht um einen blinden Optimismus, der Menschen benebeln soll. Denn: „Gott hat die Welt gerettet und ihr reuelos und unaufhebbar und unbesieglich sich selbst schon mitgeteilt“195. Deshalb muss die Kirche alle ihre Lebensvollzüge als Evangelium verstehen, als die frohe Botschaft von der endgültigen Rettung der Welt durch Gott. Und nur von daher kann sie in der Weise des neuen Gesetzes des Evangeliums sprechen und handeln. Sie kann die Menschen dabei nicht ansprechen und abwarten, wie sie reagieren, denn es geht um die Liebe Gottes, die die Liebe des Menschen zu Gott einfordert.

Die Kirche handelt dabei in eschatologischer Präsenz. Sie ist immer auf die Vollendung der gesamten Schöpfung hin angelegt und sie wird als Zeichen aufhören. Trotzdem ist in ihr in reflexer, kateogrialer und geschichtlicher Ausdrücklichkeit der eschatologische Sieg Gottes präsent und fordert eine „bleibende, geschichtliche Kontinuität im Lauf der Zeit“196. Die Kirche entsteht also nicht immer neu oder müsste sich von Zeit zu Zeit neu erfinden, je nach den Ansprüchen der jeweiligen Gegenwart. Sie ist das „’ein für alle Mal’ gegebene Zeichen und Ursakrament“197 und auf ihren Ursprung in Jesus Christus hin bezogen. Neuerungen gegenüber oder angesichts des Anspruchs, zeitgemäß zu sein, wird die Kirche „gerade als eschatologisch bleibende immer die ‚traditionelle’“198 sein.

Neben dieser Unabänderlichkeit der Kirche als eschatologisch gegebenem Zeichen des Heiles Gottes ist die Kirche auch eine geschichtliche Größe und handelt in immer neuer Aktualpräsenz. Geschichtlichkeit meint dabei, dass der Mensch „als Empfänger des Heiles“199 geschichtlich veranlagt ist. Aktualpräsenz bedeutet, dass die Kirche nicht nur „in ihrem Wesen beharrt und in einer Kirchengeschichte ‚etwas’ geschieht, sondern, daß dieses Wesen selbst eine Geschichte hat. Nicht im Sinne einer Wesensverwandlung, aber im Sinn der Entfaltung, Findung, Einholung dieses Wesens selbst“200. Rahner spricht in diesem Zusammenhang auch von dem Wesensvollzug der Kirche, der dazu führt, dass das „apriorisch-gnadenhafte Existential des Menschen und seiner Geschichte […] nicht nur der unveränderliche Horizont [ist], innerhalb dessen sich menschliche Geschichte abspielt, sondern [dass es] in dieser Geschichte des Menschen seine eigene Geschichte“201 erfährt. Genaue und exakte Handlungsanweisungen, die aus einer wissenschaftlichen Analyse der Gegenwart stammen, werden somit nur als Hinweise dienen können, weil die Geschichtlichkeit der Kirche die Geschichtlichkeit der eschatologisch gültigen Präsenz Gottes ist: „In der Unmöglichkeit der adäquaten Reflexion des Ausgleiches zwischen eschatologischer Gültigkeit des bleibenden Wesens der Kirche und je aktuell neuem Selbstvollzug“202 wird sich kirchliches Handeln ereignen müssen.

Rahners Ausführungen pendeln zwischen zwei Brennpunkten kirchlicher Existenz: die eschatologische Gültigkeit des einmal gegebenen Heilswortes in der Kirche und die Geschichte dieser Präsenz Gottes im Glauben, Leben und Handeln der Christen. In genau dieser Spannung steht auch das Handeln der Kirche in der Weise des Mysteriums und in der Weise des Ursakramentes, denn Gott, das Mysterium schlechthin, wird in der Kirche präsent. Als Gegenwärtiger und Verborgener gibt er in der Kirche seine objektive Heilsgabe und fordert beziehungsweise ermöglicht den subjektiven und persönlichen Vollzug dieser Heilsgabe im alltäglichen Leben.

In diesem Zusammenhang steht auch die Sendung in der Firmung, wenn sie wirklich eine Sendung der Kirche ist und die Kirche in ihrer Zugehörigkeit zu Jesus Christus ausgesandt wird. Die Herausforderung für das Handeln der Kirche und damit für das Handeln der Getauften und Gefirmten liegt in den Erklärungen Rahners vor allem darin, dass im jeweiligen Akt sakramentalen Lebens, aber auch des alltäglichen Lebens von Christinnen und Christen Gottes Gegenwart präsent werden soll und muss. Nur so wird verständlich, dass alle Christen tatsächlich einen Auftrag zur Seelsorge haben und Rahner sogar von einer Weihe des Laien zur Seelsorge spricht, wobei an dieser Stelle das Wort Weihe nicht in Konkurrenz zum hierarchisch verfassten Priestertum treten soll. Es geht hier eher um den Anspruch an die Laien, also an die Getauften und an die Gefirmten, die Botschaft von Gottes Heilshandeln in Liturgie und im alltäglichen Leben konkret greifbar werden zu lassen. Es geht dabei um den Anspruch, Gottes Liebe und damit Gott selbst deutlich zu machen und zwar für alle Menschen zum Zeichen dafür, dass Gott tatsächlich in der Welt handelt und dass Gott eschatologisch endgültig gehandelt hat. Wenn sich Gott tatsächlich selbst schenkt und wenn Orte des kirchlichen Handelns für Rahner gerade Wahrheit und Liebe sind, dann müssen umgekehrt diese Orte auch zu wichtigen Erkennungszeichen für Getaufte und Gefirmte werden. Christinnen und Christen müssen demnach, wie die Kirche selbst, zunächst hören und dann zum Mittel für Gottes Heilsangebot an alle Menschen werden. Dass dabei auch für Gefirmte die Unterscheidung zwischen dem, was der Kirche eschatologisch gültig anvertraut ist und dem, was als aktueller Selbstvollzug zu verstehen ist, schwierig ist, fordert mit Sicherheit Bildung. In Rahners Sprache aber vor allem Zeugnis der tätigen Liebe Gottes im alltäglichen Leben der Christinnen und Christen.

1.3.3 Firmung ist Empfang des charismatischen Geistes

Ein Verständnis, das hierarchisch verfasstes Priestertum und allgemeines Priestertum aller Getauften voneinander absondert, kommt für Rahner nicht in Frage. Die verschiedenen Gaben Gottes an die Christinnen und Christen lassen sich nach Rahner nur als „Amt und freies Charisma“203 verstehen. Diese Gaben gehören für Rahner zusammen, sie können nicht vollständig voneinander getrennt werden, weil einerseits echtes charismatisches Handeln nur in der Kirche stattfinde und andererseits das Amt nur in der Kirche, nicht gegenüber der Kirche, Vollmacht habe, beziehungsweise jedem Amtsträger selbst freies Charisma mit gegeben ist. Rahner umschreibt das Charisma der Amtsträger auch als freies Charisma, weil „biblisch und sachlich auch die Amtsvollmachten in der Kirche Gnadengaben Gottes sind“204. Im Grunde genommen geht es ihm um die Einheitlichkeit des göttlichen Heilswirkens an der Kirche und um die Zusammengehörigkeit jeglichen Handelns der Kirche, also aller Christinnen und Christen, auf der Basis der eschatologisch gültigen Präsenz Gottes im kirchlichen Dasein und Handeln.

Was Rahner nun genau unter Charisma versteht, zeigt sich in einem Aufsatz, in dem er über das Handeln von Christinnen und Christen als einzelnen in der Kirche spricht. Er fragt:

„Wie rüste ich den konkreten Christen mit der Einsicht und Kraft aus, die er zum christlichen Bestehen der Situation braucht, die ihm eine sittliche Aufgabe stellt, deren richtige Lösung konkret ihm nicht mehr so unmittelbar von der amtlichen Kirche gesagt werden kann?“205

Wenn es darum geht, im jeweiligen sakramentalen Handeln der Kirche und in der Glaubensverkündigung, Gottes Gegenwart zu präsentieren und wenn die Christinnen und Christen dazu aufgerufen sind, in ihrem alltäglichen Tun auch die Gegenwart Gottes erfahrbar und wirklich werden zu lassen, dann sind der Kirche nach Rahner Charismen mitgegeben. Die Bestimmung des Charismas bei Rahner hält sich nahe an die paulinische Definition als „geordnete Entfaltung der christl. Berufung in ihren versch. Trägern, die sich u. U. als außergewöhnl., dem Wunder verwandte Erscheinung manifestiert, grundsätzlich aber die der Kirche zum Heilsdienst gegebene, bleibende Gnadenkraft bedeutet“206. Gerade an den Orten, an denen die hierarchisch verfasste Amtskirche am wenigsten präsent zu sein scheint, ist deshalb ein Handlungsort für die Getauften und Gefirmten, indem sie ihr Leben als Christinnen und Christen bestehen. Alltag und der Kirche abständige Gemeinschaften sind deshalb genuine Orte christlichen freien Charismas. Denn das Charisma entfaltet sich immer im Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Herrn, in dem Gottes eschatologische Heilszusage unüberbietbar geworden ist207. Und das Charisma ist dort als echt zu bezeichnen, wo es zum Dienst am Aufbau der Gemeinde beziehungsweise zur Handlungsauftrag der Kirche beiträgt208.

Das christliche Charisma hat deshalb nichts mit der charismatischen Herrschaft zu tun, die Max Weber in seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft analysiert hat209. Für Weber ist Charisma und die im Charisma begründete Herrschaft etwas Außeralltägliches. Die Beherrschten stehen dem von Gott gesandten oder übernatürlichen Helden gegenüber und vertrauen in ihrer Not auf ihn. Christliches Charisma soll aber im Alltag seine Auswirkung finden – im Tun und Handeln aller Christinnen und Christen. Es hat nichts mit Herrschaft zu tun, sondern eher damit, dass der Träger des Charismas, der Christ, Gottes Herrschaft über sich anerkennt als Gottes liebende Zuwendung. Charisma wird dadurch auch zu einer Befähigung, in der persönlichen Situation als Christ / als Christin bestehen zu können.

Aus diesem Grund ist es nicht falsch, wenn Hans Küng in seinem umstrittenen Buch Die Kirche das Charisma als eine alltägliche, vielfältige und in der ganzen Kirche allgemeinen Erscheinung210 versteht. Beginnt man nun aber wie Küng von einer charismatischen Grundstruktur der Kirche zu sprechen, der die kirchliche Ämterstruktur nur dienend beigeordnet wäre211, so ist das in der Theologie Rahners weder durch die eschatologische Präsenz Gottes in der Kirche gedeckt, noch durch die Aktualpräsenz des apriorischgnadenhaften Existentials, durch das Gottes Gegenwart Wirklichkeit werden will. Denn wenn die charismatische Berufung „mit bestimmten Personen verbunden bleibt“212, dann stellt sich die Frage, wie die Kirche als Ganze denn nun bestimmt, wer in welcher Weise charismatisch berufen ist. Unter Umständen wäre mit der charismatischen Grundstruktur der Kirche dem Besonderen und Exotischen der Vorrang gegenüber dem Alltäglichen eingeräumt. Genau das hat Rahner aber in seiner Konzeption des Charismas vermieden.

Für Gotthold Hasenhüttl, der seine Habilitationsschrift bei Hans Küng angefertigt hat, bedeutet die angesprochene charismatische Grundstruktur der Kirche, dass „jeder seinen Platz in der Gemeinde hat, der ihm durch die Vollmacht geschenkt ist, daß dieser Platz der Ort ist, an dem er durch sein Charisma gestellt wurde, und daß er gerade an diesem Ort Kirche mitkonstituiert“213. So wichtig es ist, dass jeder Christ und jede Christin ihren Platz in der Kirche findet, so sehr müsste man in der Theologie Rahners darauf hinweisen, dass alle Christen diesen Platz schon haben, indem sie in ihrem Glauben und Leben die Gegenwart Gottes wirklich werden lassen. In Rahners Denken ist es deshalb weniger ein Platz oder ein Ort, durch den die Mitkonstitution der Kirche durch jeden Christen persönlich zustande kommt, sondern es ist eher das eigene Handeln, das zum Zeichen für die gnadenhaft geschenkte Präsenz Gottes in der Kirche und in der Welt werden soll. Dieses charismatische Handeln muss sich nicht durch große Begabungen äußern. Rahner verweist neben den großen enthusiastischen Bewegungen auch auf die Tugenden, auf die „Bewältigung des Alltags, [das] Durchhalten in geistesgeschichtlich ungünstigen Situationen“214, denen charismatische Valenz zukommt und zählt „nüchterne Gaben und Talente unter die Charismen […] zum Wohl der ganzen Kirche“215.

In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt, die durch Automation, Kybernetik und einem „schon neurotisch werdenden Sicherheitsbedürfnis“216 gekennzeichnet ist, entdeckt Rahner auch Kräfte, die dem Charismatischen feindlich gegenüber stünden. Er nennt unter anderem die Einstellungen, alles wäre planbar und habe deshalb auch Erfolg, die Macht der Masse, die das Leben des Einzelnen weniger wichtig erscheinen ließe, die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Institutionen und vieles mehr. Charismatisches Handeln ist deshalb ein Tun, das nicht auf Planbarkeit setzt, sondern auf Gottesbeziehung. Es ist ein Handeln, das den einzelnen Menschen persönlich angeht und kaum über eine große Masse verfügen kann, das persönliches Angesprochensein beinhaltet und Sicherheit eher als Heilszusage von Gott, denn als Abhängigkeit von einem staatlichen Amt versteht. Innerkirchlich ist eine parteihaft gedachte „Einheit und Geschlossenheit“217 und Überheblichkeit – Rahner denkt hier an den Zentralismus kirchlicher Bürokratien – dem charismatischen Handeln entgegengesetzt. Ursula Schnell hat daher die Frage gestellt, ob man doch davon ausgehen müsse, dass Rahner in diesem Aufsatz kirchliches Amt dem Charisma gegenüberstellt218. Das kirchliche Amt hat zwar prinzipiell nichts mit Parteinahme und Bürokratismus zu tun. Und auch kirchliche Amtsträger sind gefirmte Christen, denen als solchen auch der Geist verliehen ist, „der sich nach außen charismatisch kundtut“219. In wiefern aber kirchliche Verwaltungen dem charismatischen Handeln der Kirche dienen oder es erschweren, wird jeweils nur im Einzelfall überprüfbar sein.

Die Firmung dient somit nach Rahner als Sakrament „zum Empfang des charismatischen Geistes der weltverklärenden Sendung in der Durchführung des Auftrages, der der Kirche als solcher eignet“220. Die Firmung wird so zur Beauftragung an der apostolischen Sendung, die nichts mit einer kümmerlichen und ängstlichen Existenz zu tun hat, sondern mit dem Grundauftrag der Kirche selbst. Nur in diesem Zusammenhang wird man davon sprechen können, dass die Firmung mit Mündigkeit oder Reife zu tun hat. Denn während die Lexeme Reife und Mündigkeit interpretationsoffen sind, geht es in der Firmung um die „messianischen Geistesfülle, die erstmalig in Jesus Christus gegeben war und als sein Pfingstgeschenk immerfort der Kirche mitgeteilt wird“221.

Mit dem Wort Charisma tut sich allerdings auch eine Bandbreite von deutenden theologischen, spirituellen oder pseudowissenschaftlichen Erklärungen auf. Gerade durch die alltägliche Bedeutung des Charismas scheint sich Rahners Verständnis deutlich von den verschiedenen Interpretationen des gegenwärtig stark anwachsenden Pentekostalismus zu unterscheiden: „Allerdings hat die klassische Pfingstbewegung durch die Überbetonung der spektakulären Charismen das biblische Verständnis des Geisteswirkens in Richtung auf das Wundersame und Mirakulöse verschoben“222. Die spektakulären oder leuchtenden Charismen mögen zu einer „Entzauberung einer rein weltlichen Kultur und Gesellschaft“223 beigetragen haben – der evangelische Theologe Peter Zimmerling geht aufgrund des biblischen Befundes dennoch davon aus, dass jede „Betonung der spektakulären Gnadengaben […] problematisch [ist, denn] Paulus geht von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Charismen aus“224. Der im Jahr 2014 verstorbene Exeget und Religionswissenschaftler Dieter Zeller schreibt den Charismen bei Paulus noch eine weitere Bedeutung für die Entwicklung der christlichen Gemeinde in Korinth zu. In der Zeit zwischen der Gründung der heidenchristlichen Gemeinde und der erwarteten Parusie würden die vielfachen Charismen den Enthusiasmus der Gemeinde befördern. Gerade im Proömium des ersten Briefs an die Korinther zeigt Zeller, dass das Lob des „Gnadenstandes […] den leuchtenden Hintergrund [bildet,] vor dem sich die folgenden Mahnungen abheben“225.

Die Beziehung der Charismen in den Paulusbriefen zur christlichen Gemeinde, zur Kirche, steht für eine Vielzahl von exegetischen Kommentatoren an einer zentralen Stelle226. Norbert Baumert hält deshalb fest, dass die Charismen „nicht isoliert, sondern nur in Kommunikation gelebt werden“227 können. Als Gabe an jeden einzelnen Christen stellen die Charismen deshalb auch eine Grenzerfahrung dar, so jedenfalls Klaus Berger228. Damit meint er zunächst einmal eine nicht weiter spezifizierte Grenze der persönlichen Leistungs- und Leidensfähigkeit mit der Erfahrung des Haltes, des Trostes und der Stärkung durch Gott. Charisma könnte somit auch die „persönliche Brücke zum Christentum“229 werden. An zentraler Stelle steht in diesem Zusammenhang bei den paulinischen Charismen auch das diakonische Handeln: „Dass die κοινωνία mit Jesus Christus auch brüderliche Gemeinschaft erfordert, müssen die Korinther erst noch lernen“230. Deshalb kann man zurecht von der „Diakonie als Identität des Christentums“231 sprechen. Hans-Josef Klauck spannt den Bogen der Charismen bei Paulus noch weiter. Er unterscheidet vier Kategorien232: die kerygmatischen Charismen zu Verkündigung und Lehre, die diakonischen Charismen, zu denen alle Arten von Hilfeleistung gerechnet werden, die kybernetischen Charismen, die zur Gemeindeleitung dienen und zum Schluss die pneumatisch-eksatatischen Charismen, also die leuchtenden oder spektakulären Gnadengaben, die durch das Liebesgebot in 1Kor 13,1 allerdings stark relativiert werden. Ebenso hält auch Erich Garhammer fest: „Die ekstatischen Charismen werden durch die nüchternen organisatorischen und diakonischen Dienste relativiert. Letzte Bezugsgröße, an der die Charismen gemessen werden, bleibt die Liebe“233.

Neopentekostale Gruppen gewinnen laut Martin Hochholzer in den letzten Jahrzehnten gerade in Ländern Lateinamerikas und Afrikas immer stärker an Zuwachs, während die katholische Kirche „rapide an Mitgliedern verliert“234. Auch wenn Hochholzer dies für die religiöse Situation in Deutschland nicht konstatiert, bleibt die Frage, was die Stärken pentekostaler Spiritualität in den genannten Ländern sind. Seiner Meinung nach läuft es hauptsächlich auf die Abgrenzung pentekostaler Gruppen von einem rational-nüchternen Weltbild hinaus235. Es sind offensichtlich vor allem so genannte weiche Faktoren, welche die Entscheidung, sich einer pentekostalen Gruppe anzuschließen, begünstigen. Darunter zählen auch236: Die starke und integrierende Rolle, die Frauen in pentekostalen Gemeinschaften spielen und die dem sonst üblichen machismo entgegenstünden, die mediale Wirksamkeit neopentekostalen Christentums, die durch die Urbanisierung begünstigte Entwurzelung Arbeit suchender Menschen von ihrer Heimat und religiösen Sozialisation. Ferner die prosperity gospel, also das in der Predigt verkündete Versprechen materiellen Wohlstands für Glaubende, die synkretistische Aufnahme traditioneller magischer Vorstellungen, also die Absage an ein rational verantwortetes Weltbild und die starke seelsorgerische Arbeit, im Vergleich zu der die meist auf Priester zentrierte Seelsorge in der katholischen Kirche als anonym erscheinen muss. Interessanter Weise spielen in dieser Aufzählung die ekstatischen Charismen eine untergeordnete Rolle, obwohl Heilung und Gesundheit an Körper und Seele durchaus auch erwähnt werden. Während man sich aus katholischer theologischer Perspektive vor allem von der prosperity gospel und von einem unter Umständen bedenkenlosen Synkretismus absetzen muss, so gibt es doch eine ganze Reihe von Schnittstellen mit Rahners Verständnis der Alltäglichkeit des Charismas. Die Verknüpfung verschiedener Ebenen diakonischen beziehungsweise caritativen Handelns und ihr Verständnis als genuin christlich charismatische Tätigkeit sind ebenso präsent wie die Frage nach der Ausbildung eines persönlichen Charismas als persönlicher Brücke zum Christentum, welche deutlich zeigt, welche Fähigkeit der oder die Einzelne hat und was jeder und jede zum kirchlichen Leben beitragen kann oder muss, damit Kirche als geistgewirkte Gemeinschaft in Jesus Christus auf dem Weg zu Gott als solche erkennbar bleibt. Sich um die Seele sorgen können und müssen wird dabei im Sinne Rahners nicht nur eine priesterliche Aufgabe sein. Jede und jeder Getaufte und Gefirmte wird das persönliche Aufgabenfeld in diesem Bereich zu suchen haben.

1.3.4 Ergebnis

Im theologischen Werk Karl Rahners kann die Firmung vom Ausgangspunkt des alltäglichen Glaubenslebens her verstanden werden. Rahner integriert verschiedene Sachthemen in diese Sichtweise, in der er den Menschen für seinen Alltag als charismatischen Geistesträger der liebenden Zuwendung Gottes zur Welt kennzeichnet. Hier gelangt auch das Sakrament der Ehe zur Erklärung christlichen Handelns in der Welt zu besonderer Bedeutung wie auch die Sendung, als mündiger Christ im Alltag zu handeln. Im Glaubensleben soll sich auch die Seelsorge Jesu im alltäglichen Handeln weiterwirken, der Gefirmte ist zum caritativen Handeln gesandt und soll den Blick aller Menschen auf Gott offen halten. Schwierig vom Glaubensleben zu unterscheiden sind Rahners Aussagen, die der Sachfrage nach Gabe und Aufgabe in der Firmung zugeordnet werden: die Sendung zu gegenseitigen Führen zu Gott hin und die Gabe des messianischen Geistesfülle. Das hängt in Rahners Theologie damit zusammen, dass es der Alltag ist, in dem der Christ tätig werden muss.

Für die kirchliche Gemeinschaft wird der / die Gefirmte in allen Sakramenten zu einer aktiven Aufgabe eingewiesen, Firmung ist eine Gabe, in der die Kirche sich selbst auf den Weg gibt und die Zusage, dass Gott in der Kirche auf vielfältige Weise präsent ist. Dem Kriterium Gottesbild wird die Absage an die Hybris der Selbsterlösung zugeordnet, die Wahrheit und Liebe als Orte der Gottesbegegnung und die unwiderrufliche Zusage, dass Gott die Welt gerettet hat. Als solcher hat der Christ den Auftrag, seine eigenen Lebensentscheidungen frei zu treffen und sie als Antwort auf Gottes Aufruf zu verstehen, was der Biographie zugewiesen wird. Mit dem Gedanken, dass die Firmung Gottes Zusage beinhaltet, das Wort des Menschen zu Gottes Wort zu machen, ist ein deutlich kommunikatives Element in der Theologie Rahners gegeben. In die Sachfrage Passageritual kann eingeordnet werden, dass die Firmung in Rahners Sicht gelungen ist, wenn subjektiv mitvollzogen werden kann, was objektiv geschieht, die Bedeutung von frei machenden Lebensperspektiven und Erfahrungen sowie die Herausstellung des eigenen Charismas. Die Firmung ist deshalb dann zu spenden, wenn der Empfänger die Eindrücklichkeit des Sakramentes subjektiv mitvollziehen kann. In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse zusammengefasst und auf die Sachthemen hin bezogen:

Tabelle 4: Firmung bei Karl Rahner und Sachthemen

Firmung ist in der Sichtweise Karl Rahners…Sachthemen
- …Sendung zum Weiterwirken der Seelsorge Jesu im alltäglichen Handeln- …Sendung zur Liebe zwischen Mensch und Mensch, besonders deutlich am Sakrament der Ehe sichtbar- …Sendung als mündiger Christ im Alltag zu handeln- …Sendung im Alltag den Blick aller Menschen auf Gott offen zu halten- …mit der Gabe des Charismas zum Bestehen alltäglicher Situationen verbunden- …Sendung zum caritativen HandelnGlaubensleben
- …Sendung zum gegenseitigen Führen hin zu Gott- …Gabe der messianischen GeistesfülleGabe und Aufgabe
- …wie bei allen Sakramenten Einweisung in eine aktive Aufgabe in der Kirche- …eine Gabe, in der die Kirche sich selbst mit auf den Weg gibt- …Zusage und Zeichen, dass Gott, der Transzendente, in der Kirche für Menschen präsent istGemeinschaft
- …sichtbares Zeichen der Bestärkung im Glauben und der Herrschaft Gottes in dieser Welt, die vor allem der Hybris der Selbsterlösung gegenüber steht.- …Sendung, nach Wahrheit und Liebe zu suchen, als Orte, an denen Gott präsent ist- …Zusage, dass Gott die Welt gerettet hatGottesbild
- …Auftrag, die eigenen Lebensentscheidungen frei zu treffen, sie aber auch als Antwort auf Gottes Anruf zu verstehenBiographie
- …Gottes Zusage, das Wort des Menschen zu seinem eigenen Wort zu machenKommunikation
- …gelungen, wenn subjektiv mitvollzogen werden kann, was objektiv geschieht- …verbunden mit frei machenden Erfahrungen und Lebensperspektiven- …verbunden mit der Herausstellung des eigenen Charismas mit gesellschaftlicher und kirchlicher VerantwortungPassageritual
- …dann zu spenden, wenn der Empfänger die Eindrücklichkeit des Sakramentes subjektiv mitvollziehen kannAlter

Der Alltag soll der Ort sein, an dem sich christliche Sendung ereignet. Hier kann man sogar von einer verborgenen Dimension kirchlicher Sendung beziehungsweise christlichen Handelns sprechen, weil der Alltag der Christinnen und Christen Theologen und Amtsträgern nicht zugänglich ist. Sendung der Kirche im Alltag hängt damit zusammen, dass sich die Kirche selbst in den Sakramenten mit auf den Weg gibt und der Gemeinschaft der Kirche verheißen ist, dass Menschenrede zu Gottesrede werden kann, wo sie auf das eschatologisch endgültige Christusereignis hin bezogen ist. Das heißt, dass der Alltag der Christinnen und Christen zu einer verborgenen Theologie wird, wo die Sendung, die in der Taufe grundgelegt und in der Firmung verdeutlicht ist, gelebt wird. Ein eigenes Betätigungsfeld für Gefirmte wäre damit nun überflüssig geworden, weil es im Alltag der Menschen verortet ist. Kirchliches Handeln wird von Christinnen und Christen also in ihrem Alltag bewerkstelligt.

Rahner bringt die Firmung auch mit der Herrschaft Gottes in Verbindung. Alltägliches Handeln der Gefirmten ist somit ein Beitrag zu dem fragil und zerbrechlich gegenwärtigen Reich Gottes, das im Christusereignis seinen Anfang hat. Diese Gottesherrschaft verbindet Rahner an einer Stelle vor allem mit einer Absage an die „Hybris einer Selbsterlösung“237, was dazu führt, dass die Firmung in erster Linie als Heilsangebot und als Heilsereignis für das persönliche Leben wahrzunehmen ist. Firmung muss deshalb mit frei machenden Erfahrungen verbunden sein, das Heilsangebot Gottes an jeden und jede persönlich thematisieren und zur Herausbildung eines eigenen Charismas führen.

1.4 Firmung vom Ausgangspunkt Gabe und Aufgabe her gesehen – die Sicht Hans Urs von Balthasars

Zwischen Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar kam es zu einer Debatte über die Frage, wer wirklich ein Christ ist, oder anders formuliert: was einen Christen wirklich auszeichnet238. Der Hintergrund ist wohl darin zu sehen, dass Balthasars Theologie von dem Gedanken der Gabe und Aufgabe her inspiriert ist239. In den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde die Firmung unter dem Aspekt der Gabe und Aufgabe mit der Zeugenschaft für Jesus Christus in Wort und Tat verbunden. Daher gelten Gabe und Aufgabe sowohl dem Einzelnen als auch der Gemeinschaft. Die Theologie Balthasars zur Firmung und zum christlichen Leben kann dazu dienen, das Verständnis der Firmung unter dem Aspekt der Gabe und Aufgabe weiter zu entfalten. Im Unterschied zu Biographie und Glaubensleben ist hier der Fokus stark auf die Verbindung des Einzelnen mit der Gemeinschaft und mit Gott gelenkt zur persönlichen und gemeinschaftlichen Begabung und zur Sendung. Denn, wie Thomas Marschler von der Ruhr-Universität Bochum schreibt, um „seine Maßstäbe muss der Christ ebenso wissen, wenn er zusammen mit all den anderen, die den Namen Christi tragen, nach dem zukünftigen Weg der Kirche sucht“240.

1.4.1 Firmung ist Zugehörigkeit zum universale concretum

Am Beginn der Kirche stehen für Balthasar keine abstrakten Ideen oder Prinzipien, sondern konkrete Personen, die sich auf der Grundlage ihrer gelebten göttlichen Sendung ins Prinzipielle haben ausweiten lassen241. Damit ist gemeint, dass die Lebensumstände und die persönlichen Beziehungen Jesu und seiner Jüngerinnen und Jünger, von denen im Neuen Testament berichtet werden, für die Reflexion über Kirche, Nachfolge und Christsein entscheidende Bedeutung haben. Entmythologisierung, wie Rudolf Bultmann sie gefordert hat242, lehnt Balthasar in dieser Weise ab. Ihm geht es nicht darum, den Vorwurf aufrechtzuerhalten, Bultmann wolle den Mythos eliminieren statt ihn zu interpretieren. Ihm geht es eher darum, dass sich der moderne Mensch nicht zum Maßstab dafür machen kann, „was das Wort Gottes sagen und nicht sagen darf, dem Menschen zumuten und nicht zumuten kann“243. Denn jeder Tendenz zur Aufhebung der konkreten Gestalt der Offenbarung möchte Balthasar entgegentreten und zwar „unter der Voraussetzung der einmaligen Inkarnation des Logos“244. Das ist alles in der Redeweise Balthasars impliziert, wenn er Jesus Christus als das universale concretum245 bezeichnet.

Wenn Christus das „alleinige konkrete Maß zwischen Gott und Mensch“246 ist, dann muss jeder Christ von diesem Maßstab her sein Leben gestalten. Das heißt, dass Jesus Christus nicht als menschliches Phänomen gedeutet werden darf, das in einer Reihe mit anderen großen Geistern der Weltgeschichte stünde, sondern das „Menschliche an ihm ist Ausdruck und Werkzeug des Göttlichen, und keineswegs das Göttliche Ausdruck und Werkzeug des Menschlichen“247. Wer als Christ / als Christin das eigene Leben gestaltet, der muss sich mit dieser göttlichen Fülle auseinandersetzen und mehr: er oder sie muss sich beschenken lassen in der persönlichen Christusnachfolge. Jeglicher Versuch, aus der innerweltlichen Bedingtheit heraus zu Gott zu finden, bleibt für Balthasar letztlich ein Streben nach eigener persönlicher Bedürfnisbefriedigung. Der Sehnsucht nach Transzendenz stellt Balthasar die Immanenz Gottes in Jesus Christus gegenüber:

„Der natürliche Mensch und seine Vernunft sind transzendierend. Gottes Gnade, die wir im Glauben ergreifen, ist immanierend. Sie ist nicht unsere Bewegung zu Gott, sondern Gottes Bewegung zu uns. Sie ist das Hereintragen des Himmels in unsere irdische Welt. Sie ist Teilnahme an der göttlichen Natur: seinshaft als heiligmachende Gnade, bewußtseinshaft als Glaube, Liebe und Hoffnung“248.

Die Einmaligkeit Christi ist deshalb die Einmaligkeit Gottes. Und diese Einmaligkeit wird auch der Kirche mitgeteilt. Und wer als Christ / als Christin lebt, der muss sich mit dieser Einmaligkeit Gottes auseinander setzen. Logischer Weise lässt sich diese Einmaligkeit nicht klassifizieren oder in systematische Denkraster einzwängen. Das würde ihrer göttlichen Herkunft widersprechen. Sie lässt sich nur erfahren, in der Tiefe; im Glauben sind Worte möglich, aber nicht mehr auf der Ebene „menschlichen Räsonierens[, sondern in einer] Geheimnis-Dimension der göttlichen Selbstenthüllung“249. Das ist die Zumutung eines christlichen Lebens und für Balthasar: die Abwendung von allen menschlichen oder weltlichen Maßstäben, denn in allen Situationen des eigenen Lebens muss sich der Christ / die Christin darüber im Klaren sein, dass es nicht persönliches Schaffen und Machen ist, auf das er / sie im Letzten vertraut. Gottes Handeln am eigenen Leben zuzulassen und in dieser Beziehung wortlos oder wenig wortgewandt da stehen zu müssen, ist es, was Zugehörigkeit zu Christus zunächst bedeutet.

In diesem Zusammenhang interpretiert Balthasar weltliches Sein in seinen beiden Aspekten „Wesen und Dasein, Gattung und Individuum“250. Aber in allem Suchen des Menschen nach Gottes Fülle und nach dem ganz Anderen, als dem, was sinnlich erfahrbar ist, setzt Gottes Offenbarung gerade „nicht dort ein, wo der suchende Mensch sie erwartet hätte“251. Denn wenn alles Menschliche Ausdruck und Werkzeug des Göttlichen sein kann, dann zeigt sich an Christi Leben ausgenommen der Sünde auch das Gottfernste: „das Kreuz, die Schmach, die Angst und der Tod“252. Gott wird deshalb nicht als eine Art von besonderer Möglichkeit der Kreatur zu verstehen sein, er wird sich in allen Dingen finden lassen und so durch Christus, das Wort Gottes, die ganze Welt zu einem Leib werden lassen.

Wie kann sich nun aber der Christ / die Christin dem universale concretum gegenüber genauer hin verhalten? Balthasar unterscheidet dazu vier Grundtypen personaler Glaubenserfahrung253. Die vier Grundtypen entstehen durch eine verallgemeinernde Auslegung der biblischen Berichte über Personen aus dem Umfeld Jesu. Damit liegen ihnen einzelne Individuen zugrunde, die jeweils ein ganz eigenes theologisches Profil aufweisen – Balthasar geht sogar soweit, hier einerseits von einer Entprivatisierung durch die Sendung254 zu sprechen, andererseits sind es für ihn gerade menschliche Helfer, die mit Christus in einem Zusammenhang stehen, und mit denen seine Sendung unlöslich verbunden ist255:

Der erste Grundtyp zeigt sich für Balthasar in Maria. Sie wird zum Bild der Magd oder der Rezeptivität und sie verdeutlicht damit das „Zurücktreten, Gewährenlassen, Raumgeben“256. Die zweite Sendung besteht in der Person des Apostels Petrus. Balthasar sieht in Petrus das „Tunmüssen mit der ganzen Person, aber restlos im Namen und Sinn des Herrn“257. Es geht hier aber nicht nur um ein reines Aktivwerden für den Glauben oder ein Handeln aus dem Glauben heraus. Die petrinische Sendung beinhaltet auch, dass in einem Menschen die Autorität Christi „konkret werden kann“258. Auf der Grundlage dieser Autorität ist Petrus auch der, der für die Kontinuität, ja sogar für die „nicht-überwundene Wirklichkeit“259 der Kirche steht. Petrus ist also insofern Modell, als er für die Versachlichung, man könnte auch von Objektivierung sprechen, steht. „Den subjektiven Aspekt, der sich etwa in Inspiration, Charisma, Erfahrung und Liebe darstellt, sieht Balthasar in typologischer Hinsicht in Maria verwirklicht. […] Den objektiv-somatischen Aspekt (Tradition, Institution, Sakrament) interpretiert Balthasar petrinisch“260. Die dritte Sendung ist die des Johannes. Als der Jünger, den Jesus liebte, ist Johannes für Balthasar der „Heilige, weil Liebende“261. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass er Christus „in seiner je-größeren Liebe erscheinen lassen [kann] und seine Kirche in diese Liebe einweihen“262 kann. In gewisser Hinsicht reicht Johannes damit bildlich sowohl Maria als auch Petrus die Hand. Die vierte Sendung ist die paulinische, in der die „katholische Spannungseinheit“263 am deutlichsten wird. Von Paulus soll der Christ / die Christin lernen, was „katholische Universalität ist“264 und so wird Paulus für Balthasar zu dem Modell der Exzentrität.

Diese vier Sendungen oder Grundtypen sind für Balthasar ein vierfacher Weg, jeweils eine „Überantwortung in das Wunder“265 der Liebe Gottes, die in der Welt konket in Jesus Christus und im Heiligen Geist wurde. Das Wunder, das zur Freiheit der Liebe führt und das Loslassen von persönlicher Egozentritk verlangt. Manchmal wird von „einer gegenseitigen Osmose“266 oder einer Perichorese, beziehungsweise Korrelation267 der einzelnen Grundsendungen gesprochen. Tatsächlich beschreibt Balthasar die vier Grundtypen als den „Weg für alle Gemeinden und für alle einzelnen Christen in der Catholica“268, so dass die Sendung der Christinnen und Christen heute auch innerhalb der vier Modelle Zurücktreten/Charisma, Versachlichung/kirchliche Tradition, Liebe und Exzentrität zu suchen wäre. Was für Balthasar nicht denkbar ist, wäre eine Zuordnung, in der das Institutionelle in der Kirche christologisch und das Charismatische pneumatologisch begründet werden würde269.

Das Amt in der Kirche geht auf die Apostel zurück, die alles zurücklassen mussten, um Jesus nachzufolgen, denen in diese Leere die Amtsgnade eingegossen wurde und die als Einzelne berufen sind, nicht als ein Kollektiv270. Auf dieser Grundlage beschreibt Balthasar auch die Charismen, denn diese sind „jedem zugeteilte «Form» oder «Funktion» im lebendigen Organismus der Kirche“271. Damit ist die Metapher vom Leib Christi letztlich der gemeinsame Grund für die Charismen und das kirchliche Amt.

Diese Gemeinsamkeit liegt auch in der Sendung des Heiligen Geistes, denn „er ist der Überschwang der subjektiven Liebe zwischen Vater und Sohn, aber er ist auch deren objektiver Zeuge und deren Verwandlung in eine an die Welt verschenkbare objektive Gabe: hierin ist er, die subjektive Liebe mitvermittelnd, die wahrheitsgemäße (gehorsame) Aktualisierung der göttlichen Liebe in der Welt“272. Ob die Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Heiligen Geist wirklich statthaft ist273, erscheint im Zusammenhang mit der Firmtheologie weniger entscheidend. Balthasar geht es jedenfalls um die Frage, wie man christliches Leben begründen kann. Denn Gott selbst kann nur als personale Liebe verstanden werden. Und christliches Leben kann nur verstanden werden durch die Aussendung des Sohnes und die Sendung des Heiligen Geistes274. Letztlich geht es also um die eschatologische Vollendung, in der Gottes subjektive Liebe als objektive Gabe die Welt verwandelt hat und in diese Verwandlung ist der Christ / die Christin in seiner persönlichen Existenz schon jetzt mit hineingenommen.

Gnade (im Griechischen charis) und Charisma gehören damit für Balthasar in die Kirche und damit in den gegliederten Leib Christi hinein. Damit wird auch der Dienst jedes Einzelnen an der Gemeinschaft unterstrichen. Das hat weniger mit Funktionalität zu tun als vielmehr mit der Zusammengehörigkeit der einzelnen Grundtypen der Kirche, die Balthasar auch als Charismen bezeichnet275. Umgekehrt bedeutet dies, dass Charisma und alles Charismatische mit dem „Gliedcharakter des Einzelnen zusammenhängt“276 und nichts mit einer subjektiven Schwärmerei zu hat. Es ist in der Kirche schon immer gegeben und zwar aufgrund der gnadenhaften Zuwendung Gottes zur Welt und als Ausfluss der Liebe, die Gott selbst ist und die in Jesus Christus konkret greifbar und im Heiligen Geist subjektiv erfahrbar wurde.

Ein Christ / eine Christin ist für Balthasar also jemand, der / die das persönliche Charisma entdeckt hat, weil er / sie zum Leib Christi gehört und in dieser Einheit mit dem universale concretum, Jesus Christus, in Kontakt steht. Dass kein Christ sich selbst zum Maßstab darüber machen darf, was Gott und seine immanierende Gnade betrifft, heißt, dass kein Mensch Gottes Transzendenz mit der eigenen transzendierenden Vernunft zu umfassen vermag. Es heißt aber auch, dass nicht jede persönlich hervorragende Fähigkeit oder jedes subjektiv vorhandene Talent schon gleich ein Charisma wäre. Es sind die vier Grundtypen personaler Glaubenserfahrung, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen: Charisma zeichnet sich als Zurücktreten oder Rezeptivität dem Wort Gottes gegenüber aus (marianisch); als Aktiv-werden aus der Autorität Christi selbst heraus (petrinisch) zeigt sie die eschatologisch gültige Gegenwart Gottes in der Kirche; als Liebe muss sie auf die Liebe Christi selbst verweisen können, um als Charisma verstanden werden zu können (johanneisch); und als Bewusstsein für alles und alle, die außerhalb des Zentrums, sozusagen exzentrisch, stehen (paulinisch) ist sie auf Sendung und Universalität hin angelegt. Bei Balthasar wird das Charisma aber auch verstanden als Loslassen von persönlicher Egozentrik. Das bedeutet noch einmal, dass nicht jede persönliche Vorliebe und jedes persönliches Tun schon gleich charismatisch genannt werden kann. Der eigene Alltag muss vielmehr von einer grundlegenden Beziehung zur Kirche und zu Christus her verstanden werden. Gottes Liebe fordert den Menschen dazu heraus, über sich selbst hinauszuwachsen. Vielleicht ist es auch nicht falsch, zu behaupten, dass in dieser charismatischen Beziehung die immanierende Gnade Gottes die transzendierende Vernunft des Menschen zu Gott hin führt. Dadurch wird aber das Charisma bei Balthasar erklärt durch Worte wie Zugehörigkeit zur Kirche und Gehorsam, was sonst seltener in diesem Zusammenhang in Erscheinung tritt.

1.4.2 Firmung ist Kommen und Mitgehen

Durch die strikte Trennung von Gottes Besonderheit und der Allgemeinheit der Welt ist jeder Christ und jede Christin damit aber auch vor die Frage gestellt, wie sie ihr Charisma entdecken können, das vom Heiligen Geist geschenkt ist und wie sie es in der Kirche und im Gehorsam ausleben können. Der Hinweis auf ein „Tun der Liebe“277 genügt Balthasar nicht, wenn man einige wirkliche Anhaltspunkte für christliches Leben finden möchte. Er greift deshalb auch auf ein weiteres Bild zurück, das den Laien in der Kirche auszeichnet: das Urbild des Laien in der Kirche wäre der christliche Künstler, besonders der Kirchenbauer278. Ein solcher Künstler versucht, mit den Mitteln, die er zur Verfügung hat, und die allesamt aus dem materiellen Bereich stammen, das Heilige darzustellen. Damit gibt er auch der Kirche eine Form – für die Kirche selbst und für jeden, der sie ansieht. Das Bild vom Künstler zeigt, dass mit weltlicher Technik und mit weltlichem Material ein Bild von der Kirche zu erstellen möglich ist. Und dass dies im übertragenen Sinn nicht nur von jedem christlichen Künstler gilt, sondern von jedem Christen / von jeder Christin. Genau genommen sollte man bei jedem alltäglichen Handeln gar nicht genau unterscheiden können, ob es nur geistlich oder weltlich wäre. Es ist die „Inkarnation der unsichtbaren Gnade in die weltliche Sichtbarkeit“279, die damit eigentlich die Welt zu einem charismatischen Ort machen könnte. Wie dies im Einzelnen geschehen kann, überlässt Balthasar der Mündigkeit der Christinnen und Christen. Entscheidend ist für ihn lediglich, dass alles, was den Menschen auszeichnet in Jesus Christus seine Erklärung findet. Denn: „Alles bleibt abstrakt, solange es nicht auf das Concretissimum […] zurückgeführt und von ihm her erklärt worden ist“280. Lässt Balthasar damit aber nicht die Christen alleine in der schwierigen Suche nach dem, was das persönliche Charisma auszeichnet?

Es sind gerade die einfachsten Bilder, die Balthasars Gedanken am anschaulichsten werden lassen. In Bewegung zu Gott vergleicht er die Beziehung eines Kleinkindes zu seiner Mutter mit der Relation des Menschen zu Gott281. In der personalen Beziehung eines Ich zu einem Du wird Wirklichkeit erschlossen und zwar vor allem in der Liebe zwischen Ich und Du. Alle späteren Erfahrungen im Leben wären von dieser Beziehung abhängig, auch die leidvollen und mit Sünde behafteten, denn auch Gott wird in dieser Beziehung mit eingeschlossen. Im Grunde genommen geht es also darum, dass in diesem Bild der Mutter und des Kleinkindes auch schon eine größere Wirklichkeit mit erschlossen wird und sich die Perspektive weiten muss, wenn man das Bild in seiner Gänze verstehen will. Tut man dies nicht, dann begnügt man sich mit dem Ausschnitt, der eben gerade verfügbar ist. Es werden keine weiteren Einblicke mehr erwartet, die Quelle des Lebens gilt dann als ein unerreichbares fernes Etwas, das mit dem persönlichen Leben nichts zu tun hat. Und deshalb trennt sich der Mensch in diesem Fall auch von der Liebe, die jeden und jede immer über sich selbst und über den Augenblick erhebt282. Aufgabe des Christen ist es deshalb, in der jeweils eigens erfahrenen Perspektive eben mehr zu sehen und zu erwarten, als nur Endlichkeit. Die eigenen Eindrücke als Ausdrücke einer größeren Wirklichkeit zu erfahren, gehört zu einem christlichen Leben.

Wer sich von Gott abwendet, wird deshalb zu einem Verlassenen, der sich von jeder Liebe abgewandt hat. Doch auch einem solchen Menschen begegnet nach Balthasar einer, der noch verlassener ist, der Gekreuzigte, Jesus Christus283. Durch dieses Engagement Gottes kann nun der Sünder in einen noch größeren Widerspruch zu Gott gebracht werden284, dennoch möchte Balthasar in seinem Denken den Raum für das Handeln des je größeren Gottes offen halten285. Der sündige Mensch ist bei Balthasar immer als eine der Liebe abgewandte Person beschrieben. Aber ein Nein zur Liebe Gottes bedeutet heute nicht auch Verlassenheit. Es gibt Vereine, die sich genau dieses Nein zu Gott zum Ziel gesetzt haben wie der Humanistische Verband Deutschlands, der Menschen auch Trauerrituale anbietet oder Anregungen gibt, Hochzeitsfeierlichkeiten zu gestalten286. Damit ist gerade in dem Bereich der Liebe, den Balthasar als einen Kernbereich einer sich auf eine weitere Perspektive hin öffnende Größe verstanden hat, ein Nein zu Gott möglich und dieses Nein wird auch noch beworben als eine weitere Perspektive als es verschiedene Glaubensrichtungen ermöglichen würden, schließlich würden Glaubenssätze einengen oder auch Traditionen mit sich bringen, die längst überwunden wären. Die individuellen Bedürfnisse und Sehnsüchte könnten auch ohne Gott gedeckt werden.

Einen solchen Blick von außen auf die Kirche und auf die Beziehung zu Gott würde Balthasar nicht gelten lassen. Denn: „Im Kommen und Mitgehen allein ergibt sich die wirkliche Schau; diese kann nicht von Außen […] verfolgt werden, sondern nur im Mitabschreiten der durchmessenen Strecke. […] Der Geist führt ja von Anfang an in das ganze Phänomen Jesu Christi ein: in sein Leben, Sterben, Auferstehen. Deshalb wird sich die mitgehende Theorie nicht anders ereignen und zu wirklicher Anschauung gelangen als […] in einem sofortigen Mitleben, Mitsterben, Mitauferstehen, wodurch erst der Eintritt in den Auslegungsraum des Sohnes verbürgt wird“287. Damit muss ein Mensch sich auf die Beziehung zu Gott letztlich einlassen und die Lebensstrecken mit der weiteren Perspektive Gottes auf sein Leben abschreiten. Dies hängt sowohl mit der Leiblichkeit des Menschen zusammen, der immer zeitlich angelegt ist als auch mit der Art und Weise der Offenbarung, die sich in der Geschichte ereignet. Wie es allerdings möglich sein soll, Menschen von dem Wert dieses Miterlebens zu überzeugen, erklärt Balthasar nicht. Es bleibt eine Charis, eine Gnade. Und damit dürfte auch die tiefste Bestimmung des Charismas bei Balthasar geklärt sein: es liegt in der gnadenhaften Zugehörigkeit zur Kirche und dem Bewusstsein aus einer Beziehung mit Gott das Leben zu gestalten. Auch dann, wenn es alternative Lebensentwürfe gibt, die der Kirche indifferent gegenüber stehen. Auch dann, wenn Christinnen und Christen unter Verfolgung zu leiden haben und mit dem Leben für ihre Zugehörigkeit zu Christus bezahlen müssen288.

Christliche Sendung und die Sendung eines Christen / einer Christin in der Firmung wird man deshalb niemals nur mit rein anthropologischen Gründen erklären können. Und umgekehrt wird man die persönlichen Beziehungen im Leben von Christen niemals ganz ohne die weitere Perspektive Gottes verstehen können. Dazu gehören die freudigen Momente, mit Sicherheit aber auch die Brutalitäten des Alltags, die Christen in der Person Jesu deuten sollen und deuten können. Damit sind Christen immer auch auf die Offenbarung in ihrer konkreten Gestalt hingewiesen: auf die neutestamentlichen Berichte von Jesus, die niemals in ihrer Gänze zu entmythologisieren wären. Zugehörigkeit zur Kirche heißt deshalb, dass jeder Christ / jede Christin mit hinein genommen ist in die Liebesbeziehung Gottes, in die der Heilige Geist einführt und die in ihrer eschatologischen Vollendung immer noch Liebesbeziehung Gottes zu seinem Geschöpf ist.

Für die Firmung Jugendalter bietet das Bild vom Kleinkind in seiner Beziehung zu seiner Mutter keine Grundlage zur Verdeutlichung der Beziehung Gottes zum Menschen. In der Theologie Balthasars steht dieses Bild jedenfalls nicht für Fremdbestimmung, Infantilität oder auch Unmündigkeit, sondern für die personale Beziehung schlechthin, die jeder Christ / jede Christin in ihrem Leben mit gegeben ist. Gerade dann, wenn Menschen nicht mehr auf der Suche nach Gott sind, oder nichts mehr von ihm erwarten, müsste nach Balthasar ihnen Gott mit seiner Liebe entgegenkommen als der immer Größere. Diese unerwartete Ankunft Gottes zeigt sich schon in der Offenbarung, in der Gott den Menschen auf ganz andere Art und Weise begegnet, als sie das erwartet hätten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Gott auch heute Menschen überraschend zeigt, wenn sie gar nichts mehr von ihm erwarten289.

1.4.3 Firmung ist Empfänglichkeit und Entscheidung

Wenn Balthasar in Bildern von der Kirche spricht, dann gehören die Metaphern von Männlichkeit und Weiblichkeit zur Beschreibung des Verhältnisses von Gott zur Kirche mit hinein290. Die Kirche ist eben Sponsa Verbi – die Braut des Wortes und nimmt damit eine Rolle der Empfänglichkeit und der erhofften Fruchtbarkeit ein. Jeder Christ und jede Christin hat damit eine Art von weiblicher Eigenschaft, nämlich die der Empfänglichkeit291. Damit wäre Balthasars Blick auf die Rolle der Glaubenden in der Kirche aber nur sehr ungenügend beschrieben, denn sein Name ist untrennbar mit der so genannten dramatischen Theologie im 20. Jahrhundert verbunden. Das zeigt alleine schon der Titel einer seiner Arbeiten Theodramatik. Worauf es Balthasar hierbei ankommt, ist, zu zeigen, dass Aktivität in der Kirche möglich sei – auch wenn ihr zunächst eine Art von empfangender Weiblichkeit zugrunde liegt. Das Bild des Theaters, des Dramas hilft, dies zu verstehen. Karl-Heinz Menke erklärt diese Metapher folgendermaßen:

„Indem er aus der Welt des Theaters Analogien für die Schilderung des einzigartigen Dramas zwischen Gott und Mensch erhebt, spricht er von einer Bühne für das Drama der Weltgeschichte. Gott ist in Christus nicht nur der Autor und Regisseur, sondern auch der Ausführende dieses Dramas. Dennoch ist der einzelne Mensch nicht seine Marionette. Christi Stellvertretung eröffnet den Spielraum für mitspielende Personen, und zwar so, dass diese in dem Maße nicht nur scheinbar, sondern wirklich frei sind, indem sie die Rolle spielen, die ihnen zugedacht ist. Jede Rolle ist eine je einmalige Explikation der Sendung des Erlösers. Balthasar spricht von der exklusiven Sendung und Stellvertretung des Erlösers und den vielen Sendungen und inklusiven Stellvertretungen der Erlösten“292.

Im Grunde genommen heißt dies, dass sich in einem Drama freiheitlich verfasste Akteure gegenüber stehen und dass gerade in den Beziehungen Jesu Christi zu den Jüngerinnen und Jüngern ein Freiraum möglich wird, in dem Menschen in ihrer freiheitlich verfassten Existenz am „Selbststand der göttlichen Freiheit“293 teilnehmen können. Christliches Leben bedeutet also nicht nur Leben in einer empfänglichen, kontemplativen Grundhaltung, es impliziert „auch das, was die Einzelnen selbst aufgrund dieser Teilnahme an der verschenkten Liebe Christi leisten“294. Die vier Grundtypen personaler Glaubenserfahrung werden dadurch also erweitert, dass im Bild des Dramas prinzipiell alle alltäglichen Erfahrungen wieder in die Gottesbeziehung mit integriert werden. Denn gerade dadurch, dass sich die Christen von Jesus Christus her vertreten wissen, können sie ihre Sendung leben. Damit beschreibt Balthasar das Drama und die so genannte passive und aktive Stellvertretung der Christen durch Christus ganz ähnlich wie die Sendung Mariens, das Urbild der Kirche: aus ihrer empfangenden Grundhaltung heraus spricht sie ihr Fiat und wird somit aktiv295. Deshalb wird jedes Reden über die Kirche im Kern zur Christologie296 und findet sein End- und Herzstück in der Mariologie297. Gerade so wird ein Ergebnis der Auseinandersetzung Balthasars mit dem Exerzitienbuch Ignatius’ von Loyolas verständlich: „‚Indiferencia’ ist die aktive Bereitschaft, Gottes Wahl für je mich zu übernehmen. In diesem Sinne ergibt sich: ‚Indifferenz ist der Grundakt der Kreatur’“298.

Das Drama wird auf diese Weise zu einem Bild für menschliche Existenz überhaupt und gleichzeitig für die Offenbarung des persönlichen Gottes299. Durch den Kontakt mit dem persönlichen Gott und in der Teilnahme an dem Drama wird im Denken Balthasars auch der Mensch in vollem Sinn des Wortes zu einer Person300. Aufgrund dieses vielleicht einseitigen theologischen Interesses Balthasars am Drama als Bild für die Möglichkeit der aktiven Teilnahme am Erlösungsgeschehen wird auch darauf hingewiesen, dass Balthasar die Beziehungen zwischen Drama, Offenbarung und persönlichem Leben nicht in aller Präzision darstellen kann301. Jedoch hilft der Vergleich mit dem Drama Balthasar „to expand the capacities of the aesthetic form-splendor model“302. Genauer gesagt geht es Kevin Mongrain darum, dass Balthasar durch die Metapher des Dramas den Entscheidungsprozess des Menschen mit in seine theologische Sichtweise integrieren kann, weil jedes Drama in einem begrenzten zeitlichen Rahmen stattfindet. Das Drama der Heilsgeschichte mache demnach deutlich, dass die eigene Entscheidung gefragt ist, die persönliche Positionierung, wohin die eigene zeitliche Existenz hinweist. In diesem Sinn wird sich jeder Christ / jede Christin die Frage stellen müssen, worauf die eigenen persönlichen Entscheidungen ausgerichtet sind und welche Auswirkungen sie auf das persönliche Leben haben. Denn nur die Heiligen sind „die authentischen Interpreten des Theodramas“303. Jedes Lebensdrama findet damit nicht nur auf einer individuellen Bühne statt, es geht im letzten Sinn um die gesamte Freiheitsgeschichte „der Völker und der Menschheit“304.

Grundlage für die dramatische Theologie waren neben den Ausführungen Hans Urs von Balthasars auch die Untersuchungen Karl Barths und Gustav Auléns305. Die dramatische Theologie wurde von Raymund Schwaiger weitergeführt306. Gemeinsam ist diesen Herangehensweisen an die Theologie, dass sie mit dem Bild des Dramas den Charakter der Performativität in theologischen Aussagen stark betonen307. Der Nachweis und die Untersuchung dramatischer Elemente in der Theologie führen zu einer stark analytischen Arbeitsweise308. In einer nicht immer ganz spannungsfreien Debatte versucht demgegenüber die kommunikative Theologie, eine Elementarisierung verschiedener theologischer Disziplinen mittels des Grundgedankens der Kommunikation309.

1.4.4 Ergebnis

Firmung kann in den theologischen Werken Hans Urs von Balthasars von der Einmaligkeit der göttlichen Selbstoffenbarung und der Gabe Gottes im universale concretum Jesus Christus her verstanden werden. Obwohl Balthasar viele Zuschreibungen von Aufgaben macht, ist es schwierig, die aktive Rolle von Christinnen und Christen in der Welt verständlich zu machen. Letztlich gelingt Balthasar dies hauptsächlich mittels des Bildes des göttlichen Dramas und der Verbindung christlichen Lebens mit der Bereitschaft, am Selbstand der göttlichen Freiheit teilzunehmen. Aufgegeben ist dem Christen / der Christin, das persönliche Leben von Christus her zu gestalten, sich von der göttlichen Fülle in der Christusnachfolge beschenken zu lassen, sich also in das Wunder der Liebe zu überantworten. Damit hängt auch die Gabe der Charismen zusammen, die bei Balthasar aber stärker als bei Rahner mit einer Funktion in der Glaubensgemeinschaft verbunden werden. Eng mit der Gabe und Aufgabe verbunden erscheinen bei Balthasar die Biographie und das Glaubensleben. Der Sachfrage Biographie werden die Aufgabe, Gottes Wahl für das eigene Leben zuzulassen und das Loslassen von persönlicher Egozentrik zugeordnet. Dem Glaubensleben werden zugewiesen, die Bereitschaft, den Alltag in Beziehung zu Kirche und Jesus Christus zu verstehen, beziehungsweise den Alltag so zu gestalten, dass geistliches und weltliches Handeln nicht mehr unterscheidbar sind. Der Gemeinschaft der Kirche wird so die Einmaligkeit Gottes mitgeteilt. Alleiniges konkretes Maß zwischen Gott und Mensch bleibt immer Jesus Christus, ein Gedanke der dem Gottesbild zugeschrieben wird. Auch wenn das Wort Kommunikation nicht direkt erwähnt wird, scheint es sinnvoll, die Firmung als Zeichen des Glaubens, in dem Worte möglich in der Geheimnisdimension der göttlichen Selbstoffenbarung sind, aufzunehmen. Schwierig erscheint die Frage nach dem Passageritual bei Balthasar. Hier werden die Abwendung von menschlichen Maßstäben und die Aufforderung, in der eigenen Perspektive mehr zu sehen als nur Endlichkeit eingeordnet, weil dies deutlich macht, dass die christliche Initiation nicht auf Elemente des alltäglichen Lebens reduziert werden kann. In der Tabelle werden die Ergebnisse wiederum gesammelt und den Sachthemen zugeordnet.

Tabelle 5: Firmung bei Hans Urs von Balthasar und Sachthemen

Firmung ist in der Sichtweise Hans Urs von Balthasars…Sachthemen
- …Aufgabe, das persönliche Leben von Jesus Christus her zu gestalten im Kommen und Mitgehen- …Erfahrung des Beschenkenlassens von der göttlichen Fülle in der Christusnachfolge- …Überantwortung in das Wunder der Liebe Gottes- …mit Charismen verbunden, welche die jedem zugeteilte Funktion in der Glaubensgemeinschaft beschreiben (rezeptiv, aktiv, liebend und exzentrisch)- …Bereitschaft, am Selbstand der göttlichen Freiheit teilzunehmenGabe und Aufgabe
- …Aufgabe, Gottes Wahl für das eigene Leben zuzulassen- …Loslassen von persönlicher EgozentrikBiographie
- …Bereitschaft, den Alltag in seiner grundlegenden Beziehung zur Kirche und zu Jesus Christus zu verstehen- …Bereitschaft, den Alltag so zu gestalten, dass nicht mehr zwischen geistlichem und weltlichem Handeln unterschieden werden kannGlaubensleben
- …Besiegelung, in der die Einmaligkeit Gottes der Kirche mitgeteilt wirdGemeinschaft
- …Zugehörigkeit zu Jesus Christus als alleinigem konkreten Maß zwischen Gott und MenschGottesbild
- …Zeichen des Glaubens, in dem Worte möglich sind in der Geheimnisdimension der göttlichen SelbstenthüllungKommunikation
- …Abwendung von menschlichen Maßstäben- …in der eigenen Perspektive mehr zu sehen als nur EndlichkeitPassageritual
Keine AussagenAlter
Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs

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